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Das Kriegsende 1945 in Hersbruck, Erinnerungen

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g<strong>in</strong>g, drang erst allmählich nach außen. Der ungarische Jude<br />

Bernhard Teitelbaum schrieb <strong>in</strong> den Aufzeichnungen über<br />

se<strong>in</strong>e Häftl<strong>in</strong>gszeit <strong>in</strong> <strong>Hersbruck</strong>, er habe ke<strong>in</strong> Mitleid <strong>in</strong> den<br />

Augen der Leute erkennen können, welche die Häftl<strong>in</strong>ge<br />

vorbei ziehen sahen. Aber viele empfanden Mitleid, auch<br />

Scham und Zorn angesichts der geschundenen Menschen.<br />

Mir wurde allerd<strong>in</strong>gs nur von e<strong>in</strong>em Fall erzählt, wo e<strong>in</strong>e<br />

etwa 50 Jahre alte Frau e<strong>in</strong>em der Zugbegleiter, der e<strong>in</strong>en<br />

Häftl<strong>in</strong>g übel behandelte, zurief: “Schämt ihr euch nicht!”<br />

Und das war ja auch sehr gefährlich, wie e<strong>in</strong> Erlebnis unterstreicht,<br />

von dem e<strong>in</strong> se<strong>in</strong>erzeitiger Schüler berichtet hat,<br />

der zum Hopfenzupfen <strong>in</strong> Leutenbach e<strong>in</strong>geteilt war.<br />

“Als e<strong>in</strong>es Morgens gegen drei Uhr Sirenen heulten, sagte<br />

me<strong>in</strong>e Mutter: “Es müssen wieder Häftl<strong>in</strong>ge ausgebrochen<br />

se<strong>in</strong>.” Wir g<strong>in</strong>gen wie immer zu dem Bauern nach Leutenbach.<br />

Weil es regnete, wurde <strong>in</strong> der Scheune gepflückt. So<br />

gegen neun Uhr hörten wir Motorengeräusche von Autos,<br />

die mit Vollgas näher kamen. Wir liefen aus der Scheune<br />

auf die Straße. Es waren zwei Militärfahrzeuge, die mit SS-<br />

Soldaten besetzt waren. Sie hatten zwei Hunde dabei. Sie<br />

fuhren an uns vorbei <strong>in</strong> den Wald. Wir ahnten sofort, was sie<br />

suchen wollten: die entkommenen Häftl<strong>in</strong>ge.<br />

Die vorher gute Stimmung unter den Hopfenblodern<br />

änderte sich schlagartig. Man wusste, dass schon öfters<br />

Häftl<strong>in</strong>ge ausgebrochen waren. Wir alle, ungefähr 25<br />

Leute, meistens Frauen und K<strong>in</strong>der, hofften, dass die<br />

Häftl<strong>in</strong>ge nicht entdeckt werden würden. Aber nach ungefähr<br />

e<strong>in</strong>er Stunde hörte man lautes Hundegebell, e<strong>in</strong>ige<br />

Gewehrschüsse und wildes Schreien. E<strong>in</strong>ige ältere Frauen<br />

beteten.<br />

E<strong>in</strong> Lkw fuhr vor und stellte sich direkt vor die Hofe<strong>in</strong>fahrt.<br />

Bald darauf kamen die SS-Männer mit zwei Häftl<strong>in</strong>gen,<br />

die sie völlig durchnässt, entkräftet, blutend und zitternd<br />

anschleppten. Sie waren ansche<strong>in</strong>end angeschossen<br />

und von den Hunden übel zugerichtet worden. Frierend<br />

standen sie da und bettelten, man möge sie doch endlich<br />

erschießen. Darauf schrie e<strong>in</strong>er der Soldaten: “Für euch ist<br />

jede Kugel zu schade! Rauf auf den Wagen!”. Die verwundeten<br />

Häftl<strong>in</strong>ge waren jedoch zu schwach, um aus eigener<br />

Kraft auf die Ladefläche des Lastwagens zu klettern, obwohl<br />

sie es immer wieder versuchten. Da packten die Soldaten die<br />

armen Kerle und stießen ihnen die Gewehrläufe durch die<br />

Be<strong>in</strong>e, um sie auf den Wagen zu werfen. E<strong>in</strong>e ältere Frau<br />

konnte <strong>in</strong> diesem Augenblick nicht mehr schweigen und<br />

schrie: “<strong>Das</strong> s<strong>in</strong>d doch auch Menschen!”. Nun wurde auch<br />

die Frau an den Armen gepackt und aufgefordert, mitzukommen,<br />

wenn sie schon solches Mitleid mit den Ausbrechern<br />

hätte. Wir alle standen starr da. Da schrie der Gruppenführer<br />

uns an: “Verschw<strong>in</strong>det endlich, sonst krachts!”<br />

Mit hängenden Köpfen g<strong>in</strong>gen wir <strong>in</strong> die Scheune zurück.<br />

Motoren wurden angeworfen. Doch dann brachte man die<br />

Frau zurück. Man hatte sie beschimpft, weil sie “Untermenschen”<br />

hatte helfen wollen. Sie wurde aufgeschrieben<br />

und belehrt: Nur weil sie e<strong>in</strong>e alte Frau sei, wolle man sie<br />

Eckhardt Pfeiffer / <strong>Das</strong> <strong>Kriegsende</strong> <strong>1945</strong> <strong>in</strong> <strong>Hersbruck</strong>, Er<strong>in</strong>nerungen<br />

noch e<strong>in</strong>mal laufen lassen. “Heil Hitler”-schreiend fuhren<br />

sie dann ab.<br />

Langsam fand man <strong>in</strong> der Runde der Hopfenpflücker die<br />

Sprache wieder. E<strong>in</strong> älterer Mann sagte: “Wenn wir das alles<br />

e<strong>in</strong>mal büßen müssen, was diese SS-Leute anstellen, dann<br />

wird es uns noch dreckig gehen.” Der letzte Satz war e<strong>in</strong>e<br />

Redewendung, die man damals öfters hörte.<br />

Ich möchte allerd<strong>in</strong>gs davor warnen, die Männer der<br />

Waffen-SS mit brutalen KZ-Bewachern über e<strong>in</strong>en Kamm<br />

zu scheren. SS-Truppen tauchen <strong>in</strong> den Berichten vom<br />

<strong>Kriegsende</strong> immer wieder als Schrecken der Bevölkerung<br />

auf. Aber sie wurden oft selbst h<strong>in</strong> und her gerissen zwischen<br />

der Treue zum Führer, die ihnen als höchste Tugend<br />

e<strong>in</strong>geimpft worden war, und der Befehlsverweigerung<br />

zum Schutz der Bevölkerung, auf die die Todesstrafe stand.<br />

E<strong>in</strong> ehemaliger SS-Mann, der vor <strong>Kriegsende</strong> <strong>in</strong> Ungarn<br />

kämpfen musste, sagte zu mir: “Ich kann dir gar nicht sagen,<br />

wie froh ich b<strong>in</strong>, dass ich damals nicht <strong>in</strong> Deutschland e<strong>in</strong>gesetzt<br />

war.”<br />

Wie gefährlich es war, den Häftl<strong>in</strong>gen etwas zukommen<br />

zu lassen, erfuhren <strong>Hersbruck</strong>er Buben, die im W<strong>in</strong>ter<br />

1944/45 Brot für die armseligen Gestalten besorgt hatten,<br />

die sie öfter gesehen hatten, und das warfen sie jetzt über<br />

den Zaun den Häftl<strong>in</strong>gen zu. E<strong>in</strong> Posten, der das beobachtet<br />

hatte, rannte den Buben nach und erwischte natürlich den<br />

kle<strong>in</strong>sten. Er gab ihm e<strong>in</strong>e solche Ohrfeige, dass er e<strong>in</strong>ige<br />

Meter durch den Schnee flog und schrieb se<strong>in</strong>en Namen<br />

auf. Der Junge hatte natürlich nicht mit e<strong>in</strong>er solchen Reaktion<br />

auf se<strong>in</strong>e Hilfsbereitschaft gerechnet. Tief enttäuscht<br />

machte er sich auf den Heimweg und versteckte sich zu<br />

Hause vor lauter Angst. Tatsächlich wurde er mit se<strong>in</strong>er Mutter<br />

von e<strong>in</strong>em Polizeibeamten auf die Wache zitiert. Dort<br />

stellte man Erwägungen an, ob man den Buben nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

Erziehungsanstalt geben müsse, weil die Mutter offenbar mit<br />

ihm nicht fertig werde. Vermutlich waren diese Erörterungen<br />

nur als Drohung gedacht, aber auch das war schon bezeichnend<br />

genug.<br />

E<strong>in</strong>ige Tage nach dem Attentat vom 20. Juli hatte<br />

Hitler den fanatischsten se<strong>in</strong>er Parteiführer, Dr. Goebbels,<br />

auf dessen unausgesetztes Drängen h<strong>in</strong> zum Reichsbevollmächtigten<br />

für den totalen Kriegse<strong>in</strong>satz berufen und<br />

der erließ ganze Kataloge von E<strong>in</strong>schränkungen, Sperren<br />

und Verboten und verkündete am 24. August die totale Mobilmachung<br />

unter dem Motto: “<strong>Das</strong> Volk will es.”<br />

Im September notiert Dekan Monn<strong>in</strong>ger: “Der Fe<strong>in</strong>d<br />

steht vor Deutschlands Toren . . . ernste Menschen sehen den<br />

Zusammenbruch kommen, aber ke<strong>in</strong>e Bedenken dürfen laut<br />

werden.” Monn<strong>in</strong>ger wusste da offenbar noch nicht, dass<br />

am 11. September die ersten Amerikaner die deutsche Westgrenze<br />

überschritten hatten.<br />

Zu den zunehmenden Versorgungsnöten kamen jetzt die<br />

sich ständig steigernden Luftangriffe. Voralarme wurden<br />

kaum mehr beachtet, nur die Vollalarme. Als Verzwei-<br />

c○ <strong>Hersbruck</strong>er Zeitung 15.04.2005.

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