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Das Kriegsende 1945 in Hersbruck, Erinnerungen

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Fraktionssprecher der SPD im <strong>Hersbruck</strong>er Stadtrat war er<br />

gleich nach der Machtergreifung der NSDAP aus dem Amt<br />

entfernt worden.<br />

Damals hatte ihn Rechtsanwalt Dr. Neus<strong>in</strong>ger <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

Kanzlei angestellt und es ihm so ermöglicht, weiter im juristischen<br />

Bereich tätig zu bleiben. Jetzt rettete der neue Bürgermeister<br />

Roiger den alten vor der drohenden Internierung.<br />

Er berichtete den Amerikanern von Neus<strong>in</strong>gers Verhalten<br />

ihm gegenüber und von dem Attentatsversuch als Beweis<br />

dafür, dass Neus<strong>in</strong>ger ke<strong>in</strong> Nazi-Bürgermeister gewesen sei.<br />

Für Michael Roiger wäre der 19. April be<strong>in</strong>ahe se<strong>in</strong> erster<br />

und letzter Tag als <strong>Hersbruck</strong>er Bürgermeister geworden.<br />

Mit wenigen Helfern war er im Erdgeschoss durch<br />

abgelieferte Waffen und Munition aller Art gewatet und <strong>in</strong><br />

den zweiten Stock gestiegen. Gegen 16:30 Uhr schreckten<br />

ihn Explosionen auf und im Nu war das Rathaus mit<br />

schwarzem Rauch angefüllt. Nur e<strong>in</strong>em Ortskundigen, der<br />

alle W<strong>in</strong>kel des Rathauses kannte, ist es zu verdanken, dass<br />

Roiger mit se<strong>in</strong>en Helfern auf den Turmvorsprung fand, von<br />

dem aus die Feuerwehr sie rettete. Verletzt wurde nur die<br />

Frau des Hausmeisters, weil sie ihr damals so wertvolles<br />

Schmalzhäferl nicht loslassen wollte und deshalb von der<br />

Leiter stürzte.<br />

Man hat lange gerätselt und <strong>in</strong> polizeilichen<br />

Vernehmungen herauszubr<strong>in</strong>gen versucht, wie der Rathausbrand<br />

entstanden se<strong>in</strong> könnte. Munitionsfachleute schlossen<br />

aus, dass die gelagerte Munition oder e<strong>in</strong>e vergessene<br />

Panzerfaust ihn hervorgerufen haben könnte. Die damaligen<br />

Geme<strong>in</strong>deangestellten hatten nur e<strong>in</strong>e Erklärung:<br />

Es war Brandstiftung. Bewiesen wurde es nicht, “wenn<br />

auch manches dafür spricht”, wie die Staatsanwaltschaft<br />

bei der E<strong>in</strong>stellung des Verfahrens feststellte. Bei e<strong>in</strong>em<br />

Geburtstagsbesuch gab e<strong>in</strong> 91-jähriger dem Bürgermeister<br />

Endres zu verstehen, er wisse, wer das Rathaus angezündet<br />

habe. Aber als der Bürgermeister ihn bat, es ihm zu sagen,<br />

me<strong>in</strong>te der Alte: “Etz no net”.<br />

Bei den polizeilichen Ermittlungen wurde noch e<strong>in</strong>mal<br />

deutlich, welch e<strong>in</strong> Durche<strong>in</strong>ander <strong>in</strong> den Tagen zwischen<br />

dem Zusammenbruch der alten und dem Aufbau e<strong>in</strong>er<br />

neuen Ordnung herrschte. Während Roiger sich mit wenigen<br />

Helfern alle<strong>in</strong> im Rathaus glaubte, schafften unten weibliche<br />

Angestellte immer noch aufgrund e<strong>in</strong>er vor dem Anmarsch<br />

der Amerikaner ergangenen Anordnung aus Lauf<br />

“verfängliche” Akten <strong>in</strong> den Keller der <strong>in</strong>zwischen verlassenen<br />

NSDAP-Kreisleitung, um sie dort zu verbrennen – also<br />

Akten, die jetzt belastend hätten se<strong>in</strong> können. E<strong>in</strong> Bücherstapel<br />

mit Hitlers “Me<strong>in</strong> Kampf” und e<strong>in</strong>em antijüdischen<br />

Hetzbuch des Gauleiters Streicher, die alle Brautpaare zur<br />

Hochzeit bekommen hatten, war schon vorher <strong>in</strong> Flammen<br />

aufgegangen. In anderen Räumen hielten sich, wahrsche<strong>in</strong>lich<br />

nicht mit lauteren Absichten, ehemalige Insassen des<br />

KZ <strong>Hersbruck</strong> auf, die sich vor den Elendsmärschen absetzen<br />

konnten oder nach ihrer Freilassung zurückgekommen<br />

Eckhardt Pfeiffer / <strong>Das</strong> <strong>Kriegsende</strong> <strong>1945</strong> <strong>in</strong> <strong>Hersbruck</strong>, Er<strong>in</strong>nerungen<br />

waren. Sie gaben sich als politische Häftl<strong>in</strong>ge aus, gehörten<br />

aber, wie sich später herausstellte, zu den Krim<strong>in</strong>ellen.<br />

Für den neuen Bürgermeister begann nun der Kle<strong>in</strong>krieg<br />

gegen Chaos und Not. Dabei zeigte sich, dass die beiden<br />

<strong>Hersbruck</strong>er Geistlichen ke<strong>in</strong>en besseren als Michael<br />

Roiger zum Bürgermeister hätten vorschlagen können.<br />

Durch se<strong>in</strong>en Gerechtigkeitss<strong>in</strong>n und se<strong>in</strong>e persönliche<br />

Ausstrahlung gewann er die Achtung nicht nur der eigenen<br />

Bürger, sondern auch der Militärregierung. Als deren<br />

erster Chef, Major Dunbaugh, <strong>Hersbruck</strong> verlassen musste,<br />

hatte er zu Roiger e<strong>in</strong> be<strong>in</strong>ahe freundschaftliches Verhältnis<br />

und nach se<strong>in</strong>er Rückkehr <strong>in</strong> die Staaten schrieb er für e<strong>in</strong>e<br />

amerikanische Zeitschrift e<strong>in</strong>en positiven Artikel über se<strong>in</strong>e<br />

E<strong>in</strong>drücke <strong>in</strong> <strong>Hersbruck</strong>.<br />

Zu den ersten Maßnahmen der amerikanischen Besatzungsmacht<br />

gehörte die Säuberung des öffentlichen<br />

Lebens von Nazis. Nicht nur die Parteifunktionäre erschienen<br />

ihnen verdächtig, sondern alle, die im Dritten Reich<br />

führende Stellen und Ämter bekleidet hatten. Sie wurden<br />

größtenteils <strong>in</strong> Internierungslager gesteckt. Dazu bot<br />

sich natürlich das <strong>Hersbruck</strong>er Barackenlager an, <strong>in</strong> dem<br />

bis zum März die KZ-Häftl<strong>in</strong>ge untergebracht waren. Dann<br />

hatte es wenige Tage als Sammellager für deutsche Kriegsgefangene<br />

gedient. Nun wurde es e<strong>in</strong> Internment Camp, e<strong>in</strong><br />

Zivil<strong>in</strong>ternierten-Lager.<br />

Schon bald saßen hier 2000 bis 3000, später sogar 6000<br />

bis 8000 Internierte. Zum Anfang war dort e<strong>in</strong>e ganze<br />

Kompanie hoher Offiziere versammelt, darunter e<strong>in</strong>e Zeitlang<br />

der bekannteste Panzergeneral der Wehrmacht, Generaloberst<br />

Guderian und e<strong>in</strong>ige SS-Generäle. H<strong>in</strong>zu kamen<br />

viele hohe Beamte, zahlreiche Landräte, Oberbürgermeister<br />

und Bürgermeister, etwa 120 Ärzte, darunter bekannte Professoren<br />

aus Erlangen und Nürnberg, Rechtsanwälte, Wissenschaftler<br />

und Künstler, aber auch e<strong>in</strong>e große Zahl mittlerer<br />

und kle<strong>in</strong>er Parteifunktionäre bis herunter zum Ortsgruppenleiter<br />

und Bauernführer, unter diesen auch mehrere<br />

aus dem <strong>Hersbruck</strong>er Land. E<strong>in</strong>e Gruppe für sich bildeten<br />

die SS-Angehörigen.<br />

Neben diesem Männerlager existierte, durch e<strong>in</strong>en doppelten<br />

Stacheldrahtzaun getrennt, e<strong>in</strong> Frauenlager. Dort<br />

waren höhere Führer<strong>in</strong>nen des BDM und der Frauenschaft,<br />

unter ihnen die Reichsfrauenschaftsführer<strong>in</strong> Scholz-Kl<strong>in</strong>k,<br />

aber auch KZ-Bewacher<strong>in</strong>nen untergebracht.<br />

Die Verpflegung war dürftig, aber immer noch besser,<br />

als was die deutschen Kriegsgefangenen <strong>in</strong> russischen oder<br />

französischen Lagern zu dieser Zeit bekamen. Auch die<br />

Bevölkerung hat ja <strong>in</strong> diesen Monaten gehungert. Was den<br />

meisten Gefangenen noch mehr zusetzte als das Zusammengedrängtse<strong>in</strong><br />

auf engstem Raum, der Hunger und die<br />

schlechten hygienischen Verhältnisse, war nach dem Zusammenbruch<br />

ihrer Welt die Hoffnungslosigkeit. Dazu kamen<br />

Denunziationen, Diebstähle, Hassausbrüche. Es gab viele<br />

Selbstmorde.<br />

c○ <strong>Hersbruck</strong>er Zeitung 15.04.2005.

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