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Pax Christi-Frauenwochenende - Navid Kermani

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12 <strong>Pax</strong>pOSt<br />

Binnenwahrnehmung deutlicher benenne, als ein<br />

Außenstehender es vielleicht je vermöchte, ist in<br />

der Regel auch augenblicklich die Bereitschaft da,<br />

Kritik anzunehmen. Bei Biographien wie der<br />

meinen, wenn ich das hinzufügen darf, ist die<br />

eigene Kultur, der ich mich aus Verbundenheit<br />

kritisch zuwende, übrigens nicht nur islamisch oder<br />

iranisch, sondern zunächst einmal europäisch und<br />

auch deutsch, auch wenn es vielen Deutschen<br />

immer noch schwer zu fallen scheint, das zu<br />

verstehen.<br />

Gibt es politische Vorschläge, die den Konflikt in<br />

eine dauerhafte und friedliche Lösung überführen<br />

können?<br />

Der Aufruf ist bewusst unpolitisch gehalten, um<br />

neben dem Willen zum Frieden diesen einen Punkt<br />

der Entführung und politisch-aggressiven<br />

Indienstnahme der jeweils eigenen kulturellen und<br />

religiösen Tradition herauszustellen. Die<br />

Unterzeichner werden unterschiedliche<br />

Vorstellungen haben, wie der aktuelle Konflikt zu<br />

lösen ist, aber an diesem Punkt treffen sie sich. Ich<br />

selbst denke (und das ist wirklich nur meine<br />

persönliche Meinung, nicht die der Unterzeichner),<br />

dass man jetzt kurzfristig unbedingt versuchen<br />

sollte, den libanesischen Vorschlag aufzugreifen<br />

und für einen Waffenstillstand und die Stationierung<br />

libanesischer Soldaten einen Konsens zu finden,<br />

womöglich unter Einbeziehung einer<br />

internationalen Friedenstruppe. Man muss weitere<br />

Opfer und Zerstörungen verhindern, aber auch,<br />

dass die Hisbollah und das Regime in Teheran als<br />

Sieger aus dem Konflikt hervorgehen. Der<br />

libanesische Vorschlag weist hier einen Weg.<br />

Gibt es eine mittelfristige Lösung für die<br />

Konfliktregion?<br />

Was Palästina betrifft, ist in Genf formuliert worden,<br />

wie eine Einigung aussehen könnte. Auch zuvor in<br />

Taba und Camp David waren Palästinenser und<br />

Israelis nicht so weit auseinander, dass ein<br />

Friedensschluss für alle Zeit aussichtslos wäre. Es<br />

ist natürlich durch die Eskalation der letzten Jahre<br />

alles viel schwieriger geworden, aber was einen<br />

zusätzlich zur Verzweiflung bringt, ist doch der<br />

Eindruck, dass es unter Palästinensern wie unter<br />

Israelis längst eine deutliche gesellschaftliche<br />

Mehrheit für den Frieden gegeben hatte. Man wird<br />

in vielen Bereichen von vorne beginnen müssen,<br />

aber eine Alternative sehe ich nicht. Was früher<br />

hier und dort die Zuversicht geleistet hat, wird<br />

heute vielleicht die Erschöpfung leisten. Wenn erst<br />

einmal der Friedensschluss geschafft ist, werden<br />

die praktischen Erleichterungen auf beiden Seiten<br />

so anziehend sein, dass die Fanatiker es nicht<br />

mehr schaffen werden, den Wunsch der<br />

Mehrheiten nach Normalität, nach einem sicheren<br />

Alltag zu sabotieren. Im Gegenteil: Die<br />

ökonomische und gesellschaftliche Dynamik, die<br />

ein Frieden freisetzt, könnte noch zu ganz anderen<br />

Formen der Kooperation führen. Freilich ist das<br />

angesichts der jetzigen Situation eine ferne Vision.<br />

Jetzt geht es zunächst darum, auf beiden Seiten<br />

weitere Tote zu verhindern und das Projekt der<br />

Demokratie und des multikonfessionellen<br />

Zusammenlebens im Libanon vor dem neuerlichen<br />

Ruin zu bewahren.<br />

Interview: Harry Nutt<br />

<strong>Navid</strong> <strong>Kermani</strong>, 1967 in Siegen geboren, ist<br />

Orientalist, Islamwissenschaftler und Schriftsteller.<br />

Er lebt in Köln. In einem Aufruf fordern <strong>Kermani</strong><br />

und weitere 70 internationale Intellektuelle und<br />

Künstler, darunter die Philosophin Susan Neimann<br />

und der Schriftsteller Ivan Nagel, eine sofortige<br />

Waffenruhe in Nahost: „Wir, Juden und Muslime,<br />

Kuenstler, Intellektuelle und Weltbuerger<br />

verabscheuen die Gewalt, Militarisierung und das<br />

Blutvergießen unschuldiger Menschen, das derzeit<br />

zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn<br />

stattfindet. Wir lassen es nicht zu, dass unsere<br />

jeweilige kulturellen und religiösen Traditionen für<br />

einen groß angelegten militärischen Konflikt<br />

vereinnahmt werden, der von durchsichtigen<br />

geopolitischen und geo-wissenschaftlichen<br />

Interessen bestimmt wird und die westlichen und<br />

islamischen Zivilisationen auf zynische Weise<br />

uralten Klischees von „gut“ und „böse“ zuordnet.<br />

(...) Wir halten die derzeitige gewalttätige<br />

Polarisierung zwischen der so genannten<br />

westlichen und der sogenannten islamischen Welt<br />

für eine Perversion unserer jeweiligen Traditionen.“<br />

Vorstehendes Interview erschien in der Frankfurter<br />

Rundschau am 11. August 2006<br />

Impressum II: Fotos: S. 4, 5, 7: privat; S. 9: Petra Diek-Münchow.<br />

Namentlich gekennzeichnete Artikel verantwortet der/die VerfasserIn. Herzlichen Dank allen AutorInnen und<br />

FotografInnen, die uns ihre Beiträge und Fotos kostenlos zum Abdruck zur Verfügung gestellt haben.<br />

Gedruckt in der „Druck, Satz, Verlag Vogelsang“, Wallenhorst<br />

Die <strong>Pax</strong>pOSt 4/06 erscheint nach um den 1. Advent. Redaktionsschluss: 1. November 2006<br />

Die <strong>Pax</strong>pOSt ist die Informationszeitung von <strong>Pax</strong> <strong>Christi</strong> in den Bistümern Osnabrück und Hamburg, die<br />

kostenlos an Mitglieder und Interessierte abgegeben wird. Beiträge, Artikel, Leserbriefe, .... sind erwünscht.

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