Auszüge aus dem Wortprotokoll - Archiv - SPD Berlin
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Die Gründungsversammlung<br />
Die Gründung des <strong>Berlin</strong>er Bezirksverbandes der SDP<br />
am 5. 11. 1989 in der Sophienkirche in <strong>Berlin</strong><br />
Gekürztes <strong>Wortprotokoll</strong> nach einer Abschrift von einer achtstündigen<br />
Videoaufzeichnung<br />
Anläßlich einer Öffentlichen Veranstaltung der <strong>Berlin</strong>er Historischen Kommission und der<br />
<strong>SPD</strong> <strong>Berlin</strong> (mit Unterstützung des Freundeskreise des Willy-Brandt-H<strong>aus</strong>es) am zehnten<br />
Jahrestag der Gründung am 5. November 1999 im Willy-Brandt-H<strong>aus</strong> veröffentlicht<br />
von Martin Gutzeit und Siegfried Heimann
2<br />
Begrüßung<br />
Herbert Hoffmann: Wir leben in einer Zeit, die wir lange, viel zu lange ersehnt haben. Wir<br />
leben in einer Zeit, die wir vor wenigen Tagen noch nicht wagten zu träumen. Wir erleben<br />
Tage, wir erlebten gestern einen Tag, um diesen zu begreifen, werden wir sehr viel Zeit<br />
brauchen. Zeit die wir nicht haben. Deswegen sind wir hier. Ich begrüße uns hier in dieser<br />
Kirche. Daß wir in dieser Kirche sind, liegt an der Zeit und an den Umständen dieser Zeit.<br />
Wir sind angetreten, diese Umstände in dieser Zeit zu verändern. Es ist trotz<strong>dem</strong> gut, noch ein<br />
Mal darauf hin zu weisen, daß wir Gäste, oder besser gesagt, Mieter in diesem H<strong>aus</strong> sind; und<br />
wir der Sophien-Kirchgemeinde dankbar sind, daß sie uns ihre Kirche für diesen heutigen Tag<br />
zur Verfügung stellt.<br />
Ich will die Gelegenheit nutzen, um die Personen des Präsidiums vor zu stellen: Da ist Frau<br />
Uta Forstbauer, da ist Fräulein Carola Gabler, da ist Dr. Konrad Elmer, da ist unser<br />
Versammlungsleiter für den heutigen Tag, Stefan Finger ,und da bin ich, Herbert Hoffmann.<br />
Wir begrüßen unter uns den Geschäftsführer des Parteivorstandes Herrn Böhme, er wird zu<br />
uns jetzt ein paar Worte des Grußes sagen.<br />
Ibrahim Böhme: Ich ergänze die Begrüßung und begrüße unter uns den ersten Sprecher des<br />
Vorstandes, Stefan Hilsberg. Ich bitte um Entschuldigung, liebe Freunde, ich begehe den<br />
ersten Verstoß gegen die innerparteiliche Demokratie, wenn ich Sie im Namen des<br />
Vorstandes, des geschäftsführenden Vorstandes der SDP als liebe Freunde ganz herzlich<br />
begrüße. Ich meine, liebe Freunde, wenn ich das sagen darf, sowohl zu denen die bereits sich<br />
in ihrer Mitgliedschaft als Sozial<strong>dem</strong>okraten erklärt haben, und die die es <strong>dem</strong>nächst tun<br />
werden und die lieben Freunde, die uns nahe bleiben werden ohne der SDP bei zu treten. Die<br />
Freunde oder die Personen, die dienstlich hier sind, möchte ich nicht als liebe Freunde<br />
anreden, sie sind trotz<strong>dem</strong> willkommen. Liebe Freunde wäre eine Vereinnahmung, die sie<br />
zumindest jetzt noch nicht gern akzeptieren würden. Wir haben gestern mindestens 25 Jahre<br />
1. Mai nachgefeiert, und es war gleichzeitig ein erhebendes Ereignis an Kreativität, was da<br />
auf Plakaten plötzlich alles entstand und was an Denksubstanz in den Menschen alles noch<br />
drin ist. Ein erhebendes Ereignis, das keiner oder nur die wenigsten, die Mehrzahl auf jeden<br />
Fall ist gekommen, friedlich ihre Meinung zu akzentuieren. Das wollen wir beibehalten in der<br />
nächsten Zeit. Es ist erstaunlich, ja es ist fast ein Wunder, wie Menschen ihren angestauten<br />
Frust wegdrücken und nun bereit sind, nicht nur emotional mit der Wirklichkeit umzugehen.<br />
Es ist ein Anfang für <strong>Berlin</strong>, aber wir Sozial<strong>dem</strong>okraten, auch wenn uns die Situation keine<br />
Zeit läßt, wir haben Zeit, uns zu strukturieren, uns inhaltlich zu streiten in der nächsten Zeit.<br />
Ich möchte als alternativer Marxist etwas in eigener Sache sagen und schließe mich hier den<br />
Worten des Vorredners an. Ich bedanke mich bei den Kirchenleitungen in diesem Lande, bei<br />
den Gemeindekirchenräten und bei den Kirchengemeinden insgesamt, die in den letzten<br />
Jahren es uns ermöglicht haben, in einem gesellschaftlichen Freiraum, den sie uns zur<br />
Verfügung gestellt haben, bei allen gegensätzlichen Auffassungen, uns diesen Weg und diese<br />
Bresche in die Wirklichkeit schlagen zu dürfen. Ich glaube, daß Kirchgemeinden oft ihre<br />
entgegengesetzten Auffassungen ... oft so weggedrückt haben, eine Stellvertreterfunktion<br />
wahrgenommen haben, ihr Evangelium so weit geöffnet haben für uns, hat uns diesen Weg<br />
hier möglich gemacht. Wenn ich gesagt habe, als alternativer Marxist, so möchte ich gleich
3<br />
erklären, daß die Initiatoren dieser Partei, die Gründer von Schwante und die vielen bereits<br />
Zugestoßenen keine Partei aufzubauen gedenken in sozialer, weltanschaulicher oder religiöser<br />
Begrenzung. Das ist etwas, was wir <strong>aus</strong> der Geschichte gelernt haben, daß der<br />
weltanschauliche Meinungsstreit uns nicht der Gemeinsamkeit enthebt, die die Wirklichkeit in<br />
Verantwortung von uns abfordert. Wir wollen eine Volkspartei sein, die jeden in seiner<br />
sozialen oder in seiner religiösen Einbindung in der Gesellschaft aufnimmt. Das wollen wir<br />
uns als einen Eid, ich sag das so deutlich, als einen Eid für die Zukunft, als die wichtigste<br />
Zielstellung für die innerparteiliche Demokratie festschreiben.<br />
Verehrte Anwesende, am 7. Juni war ich eigentlich das letzte Mal hier in <strong>dem</strong> Kirchgelände<br />
und in der Kirche, und da waren es 200 oder 250 oder vielleicht auch 300, mit Zahlen bin ich<br />
immer sehr vorsichtig, die mit sich rangen, die stritten, ob wir jetzt einen Monat nach der<br />
Wahlfälschung auf die Straße gehen, mit den ersten zwei Transparenten, die getragen wurden.<br />
Und hier sagte es in mir, es ist unsinnig bei der Bedrohung, die sich um das Kirchgelände<br />
aufgebaut hatte. Und viele Freunde sagten: Das geht nicht! Wem nützt es, wenn 150 Mann in<br />
die Magdalenenstraße oder nach Rummelsburg gebracht würden. Aber hier sagte ich mir, wir<br />
sind uns jetzt im Wort. Und zu große geistige Sterilität, alles nur von der Vernunft her<br />
bestreiten, begreifen oder <strong>aus</strong>tragen zu wollen, das tötet manchmal die Kreativität des<br />
Aufbruchs. Und es waren 200, die auf die Straße gegangen sind. Und wir wollen ehrlich sein,<br />
keiner von uns hätte sich träumen lassen, daß der Druck, der friedlich auf den Straßen<br />
Leipzigs, Dresdens, <strong>Berlin</strong>s und sonstwo Demonstrierenden das erzwingt, was wir gestern<br />
erleben konnten.<br />
Wir wollen auch all den Freunden, ob sie bei den Vereinigten Linken stehen, ob sie bei uns<br />
stehen, ob sie im Demokratischen Aufbruch stehen, bei Demokratie Jetzt, bei der<br />
Demokratischen Initiative oder bei den langjährig streitenden Freunden der Initiative für<br />
Frieden und Menschenrechte oder ob sie sich noch nicht fest gemacht haben, Dank sagen für<br />
das, was sie in <strong>dem</strong> friedlichen Widerstand in den letzten Monaten erreicht haben.<br />
Ich habe die Freunde vom Forum bewußt vergessen. Zu denen suchen wir nicht das, was uns<br />
in Diskussionen eventuell schon wieder trennt, sondern das, was uns gemeinschaftlich in<br />
Verantwortung zwingt.<br />
Verehrte Freunde, die Zielsetzung für die Gesellschaft, eine ökologisch orientierte soziale<br />
Demokratie auf <strong>dem</strong> Boden der Pluralität und des Demokratischen Parlamentarismus zu<br />
erreichen, wird ein langer Weg sein. Ich betone noch einmal, wir Sozial<strong>dem</strong>okraten bauen<br />
keine Partei auf mit der Vorstellung oder unter <strong>dem</strong> Druck hundertt<strong>aus</strong>ender Unterschriften<br />
sofort einzufangen. Hundertt<strong>aus</strong>ende Unterschriften heißen hundertt<strong>aus</strong>enden Menschen die<br />
Hemmschwelle zu nehmen, den ersten Schritt sich mit Namen und Adresse zu erklären.<br />
Diesen Hundertt<strong>aus</strong>enden könnten wir unter Umständen eine erzeugte, von uns<br />
her<strong>aus</strong>geforderte Erwartungshaltung nicht bedienen. Was wir wollen, ist ein Anwachsen auf<br />
<strong>dem</strong> Boden inhaltlicher Programmatik, die wir erst in Ansätzen erarbeitet haben. Und die es<br />
gilt, in einem geduldigen, langwierigen Meinungsstreit und immer in der Auseinandersetzung<br />
mit den Problemen der Wirklichkeit zu entwickeln und festzuschreiben.<br />
Unsere innerparteiliche Demokratie wird sich messen lassen müssen an der Möglichkeit des<br />
ständigen Korrektivs, der ständigen Korrektur, die <strong>aus</strong> der Basis gefordert wird, und die die<br />
strukturellen Leitungsgremien, die Vorstände zu beachten haben. Wir werden heute vielleicht<br />
schon erleben, daß wir alle, die wir hier sitzen, außer vielleicht den älteren Freunden, die noch<br />
in Erinnerung haben, was sozial<strong>dem</strong>okratische Tradition ist, werden wir alle zu lernen haben<br />
innerparteiliche <strong>dem</strong>okratische Strukturen.<br />
Ich begrüße unter uns vor allem jene älteren Freunde, die gern als Genossen angesprochen
4<br />
werden, die bis 1961 die Fahne der Sozial<strong>dem</strong>okratie im geteilten <strong>Berlin</strong> hoch gehalten haben.<br />
Ich bitte jeden von uns, die Freunde, die das rote Tuch zusammen gefaltet haben 1961 und<br />
zum Teil 1945, um es in die Herztasche zu stecken und warm zu halten, ans Herz zu nehmen<br />
dort wo sie sich melden. Bei allem vielleicht noch vorhandenem Unverständnis, daß wir uns<br />
nicht <strong>SPD</strong>-Ostberlin, sondern SDP für die ganze Republik nennen. Ich bitte überall, wo wir<br />
diesen Freunden begegnen, ihnen deutlich werden zu lassen, daß wir sie ernst nehmen.<br />
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.<br />
Ich habe eine Frage: Eingeladen waren auch die Massenmedien der Deutschen<br />
Demokratischen Republik. Kann sich jemand fair ein Massenmedium melden, daß wir sehen,<br />
daß sie die Einladung angenommen haben? Daß nicht die Falschmeldung rüber kommt, wie<br />
vor 14 Tagen, wir hätten sie nicht eingeladen und hätten ihnen das Interview verwehrt. Keiner<br />
da, Danke.<br />
Stefan Finger:<br />
Ich möchte mich kurz vorstellen, mein Name ist Stefan Finger, ich bin Mitglied der<br />
Initiativgruppe zur Gründung des Bezirksverbandes <strong>Berlin</strong> und Mitglied des Vorstandes der<br />
SDP.<br />
Gestatten Sie mir einige Bemerkungen bevor wir hier mit der Arbeit beginnen.<br />
Tief bewegt habe ich den gestrigen Tag erlebt. Dieser 4. November wird Eingang finden in<br />
die Geschichtsbücher unseres Landes. Er läßt uns berechtigter Weise stolz sein auf das Volk<br />
in der DDR, aber angesichts der T<strong>aus</strong>enden, die auch in den letzten Stunden unser Land<br />
verlassen haben, können wir nicht stolz sein auf den Staat in der DDR. Deutlich wird: die Zeit<br />
drängt. Lassen Sie uns heute unsere Verantwortung gegenüber der einzigen Autorität im<br />
Lande, <strong>dem</strong> Volk, heute in allen Entscheidungen dieser Autorität gerecht werden.<br />
Als erstes möchte ich darauf hinweisen, daß alle diejenigen, die sprechen wollen, bitte hier<br />
nach vorne kommen, ihren Namen nennen und vielleicht auch nochmal dazu sagen, <strong>aus</strong><br />
welchem Stadtbezirk sie kommen. Ich möchte darauf hinweisen, daß diese<br />
Gründungsversammlung elektronisch aufgezeichnet wird und protokolliert wird. Als<br />
Protokollantin möchte ich benennen: Carola Gabler. Ich möchte jetzt zum Verlesen der<br />
Geschäftsordnung als Entwurf kommen. Ich hoffe, sie liegt Ihnen allen vor....<br />
Stefan Finger verliest die Geschäftsordnung und fragt:<br />
Ich möchte Sie bitten, wer einen Antrag zur Geschäftsordnung hat, möchte bitte beide Arme<br />
heben.<br />
Tina Maier von Roudden:<br />
Mein Name ist Tina Maier von Roudden, ich spreche hier für die Basisgruppe 1 <strong>aus</strong> <strong>dem</strong><br />
Prenzlauer Berg. Wir haben bereits in einem Schreiben an den Vorstand mitgeteilt, daß, wir<br />
der Auffassung sind, daß wir hier zu dieser Versammlung nicht einen Parteirat wählen<br />
können, einen Bezirksvorstand wählen können, sondern wir machen den Vorschlag, daß<br />
dieser Bezirksvorstand sich bis zum Parteitag 1990 kommissarisch im Amt befindet, denn, ich<br />
glaube da spreche ich im Namen mehrerer Mitglieder der Partei, wir sind nicht in der Lage,<br />
die einzelnen Personen einzuschätzen auf ihre Eignung, auf ihren Charakter und das sollte uns<br />
möglich sein zu berücksichtigen. Danke.<br />
Konrad Elmer:<br />
Ich nehme an, daß hierzu eine längere Aussprache nötig ist. Und wir kommen in zeitliche
5<br />
Schwierigkeiten, deswegen mein Vorschlag, ob wir die Abstimmung über §15 und § 16, wo<br />
es also um diese Wahldinge geht, zu <strong>dem</strong> Tagesordnungspunkt verweisen, der dann noch<br />
kommen wird, nämlich "Wahlen" und dann werden wir dort die Entscheidung fällen, die hier<br />
ansteht. Vielleicht hat sich bis dahin auch noch ergeben, daß man noch einige Leute näher<br />
kennen lernen konnte. Ich will nur jetzt schon sagen, ein Hauptargument für uns, diese<br />
Wahlen heute schon vorzuschlagen, ist eben das Zeitargument und das arbeitsfähig sein<br />
Müssen, und ob es besser ist, nun einfach daß der Vorstand, der genau so wenig bei den hier<br />
Anwesenden bekannt ist, daß er nun die Sache hier übernimmt, halte ich auf keinen Fall für<br />
<strong>dem</strong>okratischer, auch erwarte ich keine besseren Ergebnisse, als wenn Sie alle die Diskussion<br />
hier verfolgen, wie Leute sich erklären und geben. Natürlich bleibt das alles provisorisch bis<br />
zu <strong>dem</strong> ersten DDR-weiten Parteitag, den wir uns irgendwann möglichst bald erhoffen, aber<br />
damit, denke ich, müssen wir leben. Aber ich möchte nicht der Diskussion, die hier noch,<br />
denke ich, weiter geführt werden muß, vorgreifen. Jetzt nur mein Geschäftsordnungsantrag,<br />
diese zwei Punkte zu vertagen zu <strong>dem</strong> späteren Zeitpunkt, damit wir mit den inhaltlichen<br />
Dingen erst einmal beginnen können.<br />
Es folgt eine längere Diskussion zur Geschäftsordnung und zu der Frage, ob ein anwesender<br />
Jugendlicher teilnehmen darf Rederecht und das Recht zur Abstimmung hat. Letzteres wird<br />
verweigert, die Teilnahme und das Reden werden erlaubt.<br />
Jugendlicher:<br />
Ja, ich möchte jetzt mal dafür danken, daß ich erst mal das Rederecht habe, und wir hatten<br />
uns, also wir waren zwei gewesen, die erst 17 waren, und noch ein paar Monate auf die<br />
Vollendung des 18. Lebensjahres warten, und hatten uns an sich schon überlegt, daß wir<br />
eventuell, das hört sich vielleicht jetzt dumm an, einen Jugendverband gründen könnten, für<br />
alle die Leute, die eben noch nicht in die SDP eintreten können, die sich aber für die Ziele und<br />
für die Interessen der SDP interessieren, und auch für Leute oder wollen auch Leute<br />
gewinnen, die eben sich bisher politisch passiv verhalten haben. Und wir haben also<br />
bestimmte Themenkomplexe, hätten wir also genauer behandelt. Dabei vor allen Dingen<br />
Neofaschismus, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit in der DDR, Naturschutz, wäs jeder<br />
einzelne bei sich anfangen kann, und dann eben auch über politische Dinge zu reden, über<br />
aktuell-politische Dinge, Veränderungen oder Sachen, die wir dagegen unternehmen können,<br />
was uns nicht gefällt. Und wir würden dabei hoffen auf die Unterstützung der SDP.<br />
Stefan Finger:<br />
Ich möchte den Entwurf zur Tagesordnung verlesen:<br />
1. Begrüßung und Vorstellung des Versammlungsleiters<br />
2. Benennung der Protokollantin<br />
3. Verlesen der vorläufigen Geschäftsordnung, Diskussion und Beschluß der<br />
Geschäftsordnung<br />
4. Verlesen der vorläufigen Tagesordnung, Ergänzung, Beschluß der Tagesordnung<br />
5. Einsetzen der Redaktionskommission<br />
6. Programmatischer Teil<br />
6.1. Inhaltliche Grundsätze der SDP<br />
6.2. Programmatische Arbeit (vorstellen der Arbeitsgruppen)<br />
7. Diskussion zu den Grundsätzen und zur programmatischen Arbeit danach: P<strong>aus</strong>e 15<br />
Minuten
6<br />
8. Vorstellung des Strukturaufb<strong>aus</strong> des Landesverbandes <strong>Berlin</strong>, Diskussion und<br />
Beschluß<br />
9. Grußworte und Erklärungen<br />
10. Gründungsakt mit Verlesen des Entwurfs der Gründungsurkunde, Diskussion und<br />
Beschluß, Verlesen der Gründungsurkunde und Unterschriftsleistung der Versammlung<br />
11. Wahl der Wahlkommission<br />
12. Wahl des Bezirksparteirates<br />
13. Wahl des geschäftsführenden Ausschusses<br />
14. Mitteilung an die <strong>Berlin</strong>er Bevölkerung<br />
15. Presseerklärung<br />
16. Sonstiges, wo Anträge, Finanzen etc. diskutiert werden können Ich bitte um<br />
WorWortmeldungen zur Tagesordnung.<br />
N.N...<br />
Ich habe das dumme Gefühl, daß wenn wir diese Tagesordnung beschließen, erst morgen früh<br />
zur Arbeit kommen. Das ist zu viel.<br />
Stefan Finger:<br />
Ich möchte dazu sagen, zu den einzelnen Punkten liegen konkrete Entwürfe der<br />
Initiativgruppe vor. D.h., es liegen konkrete Dinge vor, so daß wir nicht anfangen darüber zu<br />
diskutieren....<br />
Stephan Hilsberg:<br />
Wir dürfen heute abend hier nicht her<strong>aus</strong>gehen, ohne daß, und wenn es ein provisorischer<br />
Bezirksparteirat von <strong>Berlin</strong> ist, gewählt wurde. Das ist mein Antrag: Wenn wir bis 18.00 Uhr<br />
noch nicht zu Ende gekommen sind, die Tagesordnung abbrechen und mit der Wahl zu<br />
beginnen.<br />
Thomas Krüger:<br />
Ich bin dafür, jetzt zur Tagesordnung überzugehen und appelliere hier an die Disziplin aller<br />
hier Teilnehmenden, diese Tagesordnung mit zu unterstützen, daß wir hier vorwärts kommen,<br />
und uns nicht in lauter Anträgen uns verzetteln.<br />
Stefan Finger:<br />
Nächster Punkt ist die Einsetzung der Redaktionskommission. Es liegen dazu Vorschläge vor.<br />
Also die Redaktion hat zu leisten:<br />
Die Mitteilung an die Bevölkerung und die Presseerklärungen, dazu hatte sich schon eine<br />
provisorische Redaktionskommission gebildet durch Johannes Richter und Tjark Völker. Ich<br />
möchte diese beiden auch vorschlagen für die Redaktionskommission und zwei Weitere<br />
bitten, dort in der Redaktionskommission mitzuarbeiten. Ich bitte um weitere Vorschläge zur<br />
Redaktionskommission.<br />
Nach einer längeren Diskussion über das Wahlverfahren und einer Vorstellung der<br />
Kandidaten werden allen fünf vorgeschlagenen Kandidaten in die Redaktionskommission<br />
gewählt. Danach beginnt die Programmdiskussion mit einem längeren Beitrag von Stephan<br />
Hilsberg.
7<br />
Stephan Hilsberg:<br />
Ich möchte als erstes sagen, daß ich mich sehr freue hier dazu Stellung nehmen zu können,<br />
programmatische Sachen zu sagen. Jeder, wahrscheinlich je<strong>dem</strong> von euch geht es so, liebe<br />
Freunde, ich hätte vor vier Wochen nicht geglaubt, daß es in dieser Runde in solchen<br />
Größenordnungen möglich ist über sozial<strong>dem</strong>okratische Sachen und Programme zu reden.<br />
Bevor ich zu den eigentlichen programmatischen Sachen komme, möchte ich bitte folgendes<br />
auch zu bedenken geben. Ich gebe zu, das, was wir in den letzten Wochen erlebt haben, an<br />
Demonstrationen, an Wenden, an Schlachten, Reden und Gegenreden, Zugeständnissen und<br />
Forderungen und auch Zerwürfnissen, das hat nicht nur mich angefaßt, berührt, manchmal<br />
glücklich, manchmal mutlos gemacht; man war geneigt, das unglaublich hoch zu bewerten,<br />
was nun um einen herum geschah und geschieht, sozusagen die Gegenwart <strong>aus</strong> ihrem<br />
Zusammenhang von Vergangenheit und Zukunft zu reißen. Es fällt gelegentlich schwer, an<br />
das zu halten, was Realität ist, woher sie rührt und wohin wir sie bringen. Am 7. Oktober<br />
eskalierte auf Befehl die staatliche Gewalt gegen den sich anstauenden Druck der friedlichen<br />
Demonstrationsbewegung. Diese war durch Polizeimaßnahmen schon nicht mehr aufzuhalten,<br />
und die Menschen griffen sich den Freiraum, um ihn bis heute nicht mehr los zu lassen.<br />
Dieser 7. Oktober war gleichzeitig, Zufälligkeit der Geschichte, der Gründungstag der SDP in<br />
Schwante. Heute, fast einen Monat später, bilden wir hier den <strong>Berlin</strong>er Ortsverband mit<br />
vielleicht, wenn ich das so schätzen kann, 300 / 400 Mitgliedern. Auch wenn wir stolz<br />
darüber sein könnten, Stolz ist unsere Sache nicht, darf sie nicht sein. Es ist zu viel an<br />
Schmerzlichem, was in den vergangenen Jahrzehnten sich angesammelt hat. Und was uns<br />
erwartet, sieht auch nicht gerade rosig <strong>aus</strong>. Die ständige Flüchtlingswelle, wirtschaftliche<br />
Schwierigkeiten nur als Beispiele. Und doch ist diese Gründung des <strong>Berlin</strong>er Ortsverbandes<br />
der SDP genau unser Teil der Antwort, wie wir sie zum jetzigen Zeitpunkt als die adäquate<br />
finden. Wir streben, und das dokumentieren wir schon in unserem Namen als Partei, eine<br />
Gesellschaft in der DDR an, die sozial und <strong>dem</strong>okratisch ist. Demokratie, das ist die Staatsform<br />
eines Volkes freier Menschen. Untertan und Hierarchie das paßt zusammen, aber<br />
Freiheit, die bedarf der Demokratie. Und wir wollen Freiheit nicht nur für Einzelne oder<br />
einzelne Schichten, wir wollen die Solidarität, wir wollen sie für alle Schichten. Wir wollen<br />
die Solidarität der gesamten Sozietät im Schlechten, wie im Guten, unter Wahrung der<br />
Menschen- und Bürgerrechte. Das nennen wir sozial<strong>dem</strong>okratisch. Wir haben erlebt und<br />
erleben, wie ein Staat Schiffbruch erleidet, weil er auf Untertanen und bürokratische<br />
Herrschaftsformen baut. Dennoch ist dieser Staat zwar angeschlagen, noch immer mächtig.<br />
Und die Psyche vieler Bürger ist diesem real existierenden Sozialismus angepaßt. Um <strong>aus</strong><br />
diesem Sozialismus einen <strong>dem</strong>okratischen zu machen, bedarf es der Anstrengung vieler, und<br />
wir glauben, und deshalb sind wir heute hier, es bedarf einer zutiefst <strong>dem</strong>okratischen Partei,<br />
die stark werden wird, die die Demokratie vorführt, die wir für unser Land erhoffen und die<br />
sich eines Tages, und wir hoffen bald, als sachliche auch im Detail, als personelle Alternative<br />
präsentieren kann.<br />
Dafür bewegt sich unsere Arbeit auf drei Schienen:<br />
Die erste wäre die interne Parteiarbeit. Die strukturelle Gliederung, Informationsstrukturen<br />
schaffen. Das hat damit zu tun, daß wir Demokratie üben müssen, und mir sei vielleicht ein<br />
kurzes Wort dazu gestattet. Es fällt schwer, Demokratie zu lernen, es fällt schwer, es zu<br />
erleben, und ich sage dazu immer, auch Demokratie ist Kampf, und man kann auch bei<br />
Demokratie Herzinfarkte bekommen, aber es ist immer noch besser, man macht es auf die Art<br />
und Weise, als sich von einer Minderheit vordiktieren zu lassen, was für die gesamte<br />
Mehrheit gilt. Es ist auch deshalb so sehr wichtig, weil wir z.Z. Freiraum haben, den sich das<br />
Volk geschaffen hat. Wir müssen jetzt die Punkte besetzen, späterhin, wenn es vielleicht nicht
8<br />
mehr ganz so wichtig ist, nicht mehr wett gemacht werden können. Wir brauchen<br />
Verbindlichkeiten.<br />
Die zweite Schiene, ist die Arbeit der Ausschüsse. Das heißt in erster Linie thematische<br />
Analysen, dessen, was wir zur Zeit haben, wie es entstanden ist, und wir brauchen, und dazu<br />
sind die Ausschüsse sehr wichtig, neue konzeptionelle, gesellschaftliche Modelle. Und die<br />
dritte Schiene, und das ist auch etwas sehr Wichtiges, und das besteht darin, vernünftig und<br />
mit <strong>dem</strong> klaren Blick auf das Erreichbare der Zukunft sich der Politik des Tages zu widmen.<br />
Man soll sich nicht täuschen, auf allen drei Schienen gleichzeitig müssen unsere Züge in<br />
Richtung Demokratie fahren.<br />
In dieser Demokratie soll die Ökologie ihren Platz haben, wie er ihr für die Bewahrung<br />
unserer natürlichen Umwelt, dessen Teil auch wir Menschen sind, zukommt. Sonst wird es<br />
uns als Gesellschaft bald nicht mehr geben. Als Wirtschaftsform streben wir die soziale<br />
Marktwirtschaft an. Ein Wort, das leicht zu Widersprüchen reizt. Aber man mag es wenden,<br />
wie man will. Der Markt muß wieder in seine Rechte eingesetzt werden. Er muß der Maßstab<br />
für wirtschaftliche Rentabilität sein. Dafür aber müssen alle Teilhaber am Markt mit Rechten<br />
<strong>aus</strong>gestattet sein, die ihnen die ungehinderte Teilnahme sichert, aber nicht anderen Gliedern<br />
nicht ungehindert <strong>aus</strong>liefert. Insbesondere müssen die Rechte der Konsumenten gestärkt<br />
werden. Die Monopolstrukturen, die die SED in den letzten anderthalb Jahrzehnten stark<br />
forcierte, müssen, wo es geht, aufgebrochen werden und der faire Wettbewerb muß wirken<br />
können. Viele Betriebe müssen wieder leistungsfähig werden. Hier ist es nicht nur nötig, die<br />
SED <strong>aus</strong> den Betrieben zu verbannen, um eindeutige Verantwortlichkeiten zu gewinnen, die<br />
Belegschaft muß auch über Mitbestimmung an den Entscheidungen beteiligt werden, sowie<br />
,an den Gewinnen ihres Betriebes. Sie sollte jetzt die Chance nutzen, durch unabhängige<br />
Gewerkschaften ihre Interessen zu stärken. Das genossenschaftliche Eigentum sollte gefördert<br />
werden, und die private Initiative darf nicht mehr gehemmt werden, sie kann ein wesentlicher<br />
Motor auch im privaten wirtschaftlichen Sektor sein. Wahrscheinlich muß man sich schon<br />
jetzt überlegen, wie man ihre Expansion an irgend einer Stelle vernünftig begrenzt. Für das<br />
Funktionieren dieser Wirtschaft bedarf es der strikten Trennung von Staat und Gesellschaft,<br />
eines wirksamen Kartellrechts, sowie generell rechtlicher Sicherheit für alle Mitglieder der<br />
Gesellschaft. Freiheit und Rechtssicherheit, soziale Marktwirtschaft und parlamentarische<br />
Demokratie sind unteilbare Bestandteile eines künftigen Demokratischen Sozialismus.<br />
Außenpolitisch, nur ein kurzes Wort, wollen wir uns <strong>dem</strong> Nord-Süd-Konflikt stellen und<br />
Beiträge zu seiner Lösung suchen, anstatt weiterhin an ihm zu partizipieren. Wir unterstützen<br />
weiterhin das europäische H<strong>aus</strong>, nicht nur deshalb, weil hierin eine Lösung für die offene<br />
deutsche Frage liegt, sondern weil wir dies als historische Chance für den Abbau der<br />
Militärblöcke und das Zusammenrücken der europäischen Staaten begreifen und unterstützen<br />
wollen.<br />
All dies wollen wir als Volkspartei erreichen, wir wollen einen Staat, in <strong>dem</strong> die Menschen<br />
ihre Interessen selber vertreten und umsetzen können. Wir wollen uns an den Wünschen,<br />
Hoffnungen und Erwartungen der Menschen unseres Landes orientieren und an<br />
<strong>dem</strong>okratischen Prinzipien festhalten und dabei immer das politisch Machbare im Blick<br />
behalten. Leicht ist das nicht, aber die Sozial<strong>dem</strong>okratie hat sich in ihren guten Zeiten nie am<br />
bequemen Weg orientiert, sondern angestrebt, was sie für richtig hielt. Für uns sind<br />
Schwierigkeiten eine Her<strong>aus</strong>forderung. Wir schaffen ein Klima, wo sich Engagement lohnt.<br />
Ich danke Ihnen.
9<br />
Torsten Hilse: Sie haben schon mitbekommen, es gibt eine kleine Unsicherheit. Wir wollten<br />
eigentlich an anderer Stelle in kleinen kurzen Vorträgen programmatische Ausrichtungen<br />
geben für unsere spätere Arbeit in Arbeitsgruppen. Die inhaltliche Arbeit unserer Partei ist ja<br />
mindestens genau so wesentlich, wie unsere Strukturierung sind, bestimmt im wesentlichen in<br />
Zukunft vor allem die Wirksamkeit in der Öffentlichkeit. Ich würde nun um Verständnis<br />
bitten, wenn das nicht so ganz reibungslos abläuft, wie ich mir es vorgestellt habe. Ich würde<br />
mal ganz kurz die Punkte nennen und bitte jetzt die einzelnen Referenten um das<br />
Handzeichen, um zu sehen, ob sie auch da sind, denn in der Hektik konnte ich mich noch<br />
nicht vergewissern. Frank Bogisch hab ich gesehen, Udo Eisner, Frau Gabler, ich erfahre<br />
soeben, Frau Küntscher ist krank. Die Gruppe Recht und Staat wird damit also inhaltlich nicht<br />
vorgestellt, das setzt aber trotz<strong>dem</strong> die Möglichkeit frei, sich links und rechts auf diesen<br />
gelben Blättern später ein-zuschreiben, wenn man Interesse hat in dieser Gruppe inhaltlich<br />
mitzuarbeiten. Frau Könke, Herr Scheffler, Frau Leger, Herr Richter - 2/3 Welt, und Herr<br />
Thron, dann Stephan Hilsberg und Herr Scherfling, gut, ich beginne gleich mit meinem<br />
Beitrag.<br />
Ich möchte die Arbeitsgruppe vorstellen Kommunalpolitik, Denkmalpflege, ein weites Feld.<br />
Alles was jetzt gesagt wird, ist nur schlaglichtartig angerissen. Über die Folgen der vierzigjährigen<br />
Alleinherrschaft der SED kann sich jeder Fremde hier im Lande innerhalb von 15<br />
Minuten in Kenntnis setzen. Hierzu reicht ein kleiner Spaziergang. Jahrzehnte vernachlässigt,<br />
verfallen ganze Stadtteile, geht unwiderbringliches historisches Erbe verloren. Die Gesichter<br />
der Städte wandeln sich zur Unkenntlichkeit. Durch tätiges Nichtstun hat ein Heer von<br />
Verwaltungsangestellten, gestützt durch entsprechende Strukturen, mehr Altb<strong>aus</strong>ubstanz<br />
zerstört, als das der zweite Weltkrieg vermochte. Das ist nur ein Bruchteil der Bilanz. Vor<br />
welchen Aufgaben stehen wir? Das Feld der Kommunalpolitik geht über das äußere Bild der<br />
Städte hin<strong>aus</strong>. Es ist wahrhaftig ein weites Feld. Es gilt nachzudenken und her<strong>aus</strong>zuarbeiten,<br />
welche Regulationsmechanismen eine Kommune benötigt, um mit minimaler administrativer<br />
Steuerung soziales Siedeln zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang muß unser Interesse<br />
auch den Mieten gelten. Neben wirtschaftlichen Erwägungen sollten die Mieten die<br />
finanziellen Aufwendungen decken. Um ein Gebäude zu erhalten, muß die Höhe der Miete<br />
von sozialen Überlegungen in Zukunft nach wie vor bestimmt sein. Nachzudenken wäre<br />
ferner, wie Städtebaukonzeptionen der Zukunft <strong>aus</strong>sehen. Satellitenstädte werden<br />
ebensowenig eine Lösung sein wie die extensive Bebauung des Weichbildes einer Stadt mit<br />
der Folge der Zersiedelung der Natur. Unsere Überlegungen sollten verstärkt auch <strong>dem</strong><br />
innerstädtischen Bauen gelten, <strong>dem</strong> Sanieren und <strong>dem</strong> Retten von Altb<strong>aus</strong>ubstanzen sowie der<br />
Bebauung vorhandener Lücken. Viel muß es sein, um Infrastrukturen zu errichten, die nicht<br />
nur die elementarsten Infrastrukturen abdecken. Eine Identifikation mit der Stadt muß <strong>dem</strong><br />
Bürger wieder möglich sein. Dieses Ziel ist erreichbar, wenn die Gestaltung der Bürger, sowie<br />
die gesamte Öffentlichkeit einbezogen wird. Dem fühlen wir uns verpflichtet. Kommunale<br />
Verwaltung muß alle Generationen gleichermaßen wieder in den Blick bekommen. Hier sei<br />
das altersgerechte Bauen genannt. Das Verhältnis Mensch / Kraftfahrzeug muß neue<br />
Prioritäten erfahren. Der Vorrang in den Städten sollte den Fußgängern gehören. Alle<br />
Verkehrsplanung wäre danach <strong>aus</strong>zurichten und sinnvoll neu und <strong>aus</strong>zugestalten. Darüber ist<br />
nachzudenken. Das Nahverkehrsnetz muß betrachtet werden. Ist es angemessen? Wird es den<br />
Erfordernissen gerecht? Zu überlegen wären Dichte und Folge der Verkehrsmittel.<br />
Überlegungen zum Tarif. Soll er so gestaltet sein, daß er Kostendeckend ist? Oder soll er so<br />
gestaltet sein, daß er <strong>aus</strong>schließlich nur anregt, eigene Fahrzeuge stehen zu lassen? Wir<br />
müssen darüber nachdenken. Den Gesellschaftsbau gilt es anzudenken. Ich erinnere daran,<br />
daß viele Instanzen und Ämter in Wohnungen sitzen und in Wohnhäusern. Das Kommunika-
10<br />
tionsnetz muß in das Blickfeld geraten. Telefone sind für eine moderne Gesellschaft wichtig.<br />
Dort wo es nicht möglich ist, müßten flächendeckend andere Möglichkeiten da sein. Das ist<br />
alles einzubringen vor Ort. Die Entsorgung der Städte muß prüfend überlegt werden. Sie darf<br />
nicht länger auf Kosten der Umwelt geschehen. Ein Gedanke zur Denkmalspflege: Hier sind<br />
neue Akzentuierungen zu setzen. Es muß für die Zukunft nicht nur das einzelne,<br />
bewahrungswürdige Gebäude im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Es gilt, diese Gebäude<br />
in ihrer Einbindung in das Umfeld zu sehen, sowie großflächig Altes und Schönes zu erhalten.<br />
Eine Liste der vom Verfall bedrohten denkmalswürdigen Gebäude wäre kurzfristig zu<br />
erarbeiten. Diese Gedanken nur als programmatische Anregung für das, was uns später<br />
erwartet, und ich denke, jeder Redner wird das nicht immer betonen müssen. Wer Interesse<br />
hat, in diesem Feld mitzuarbeiten, der hat die Möglichkeit, sich in irgend einer Liste, Spalte<br />
einzutragen.<br />
Christian Scherfling:<br />
Ich möchte hier ganz kurz die Arbeitsgruppe Gesundheitswesen und Sozialwesen vorstellen.<br />
Übrigens, mein Name ist Christian Scherfling, ich bin auch unter den Kontaktadressen zu<br />
finden, für jemanden, der da mitmachen will. Eine Sache ist mir noch der Betonung wert: In<br />
den Arbeitsgruppen können auch Leute mitmachen, die nicht Mitglied der SDP sind. Wir sind<br />
also alle aufgerufen, auch in unserem Bekanntenkreis vielleicht nachzufragen, ob es Leute<br />
gibt, die Interesse haben und die vor allen Dingen die nötige Sachkenntnis haben, die nötige<br />
Kompetenz haben, in bestimmten Arbeitsgruppen mitzuarbeiten.<br />
Also, wir haben ja im Gesundheitswesen viele Probleme. Ich glaube, ich brauch die nicht alle<br />
aufzuzählen. Es sind über 1 000 Ärzte <strong>aus</strong> <strong>Berlin</strong> weggegangen, also Ärzte und<br />
Pflegepersonal. Wir haben nur mangelhafte technische Ausstattungen. Ich habe selber auch<br />
lange im Gesundheitswesen gearbeitet und spreche hier <strong>aus</strong> eigener Erfahrung. Uns geht es<br />
darum, den Verwaltungsapparat rigoros abzubauen. Es gibt zu viele Mediziner in<br />
nichtmedizinischen Bereichen, wie z.B. als Kreishygienearzt usw. Wir müssen weg kommen<br />
von diesen großen Polikliniken. Wir sind der Meinung, daß eine Poliklinik zentral für den<br />
Stadtbezirk reicht. Wir müssen uns mehr auf das H<strong>aus</strong>arztprinzip wieder berufen. Wenn man<br />
allein davon <strong>aus</strong>geht, daß allein im Jahre 1955 2300 Allgemeinmediziner als H<strong>aus</strong>arzt in<br />
<strong>Berlin</strong> tätig waren und es heute noch 500 sind, dann kann man sich vorstellen, wie das<br />
Gesundheitswesen vernachlässigt wurde. Der Bezirksarzt von <strong>Berlin</strong>, Dr. Dellers, hat<br />
behauptet, daß in den nächsten Jahren die Zahl der H<strong>aus</strong>ärzte auf 800 steigen wird. Wir sind<br />
der Meinung, daß das nicht reichen wird - auf keinen Fall. Als weitere Linie dieser<br />
Arbeitsgruppe: Wir müssen uns unbedingt um Alkoholiker und andere Problemgruppen<br />
besser kümmern. Die jetzige Versorgung ist einfach unzureichend. Gen<strong>aus</strong>o ist es beim<br />
Pflegepersonal in Altersheimen. Es herrschen zum Teil so unhaltbare Zustände, daß man<br />
selber seine Angehörigen nicht dort hinein geben möchte. Wir müssen sehen, daß wir<br />
Probleme lösen, die die Pflege der Bedürftigen in den Wohnungen gewährleistet. Es muß ein<br />
soziales System geschaffen werden. Da bin ich der Meinung, daß es möglich sein muß, ein<br />
privates System zu schaffen, wie es auch in der Bundesrepublik geht, daß private Hilfs- und<br />
Pflegedienste die Leute in den Wohnungen pflegen, so daß nicht alle in diese zentralen<br />
Altersheime aufgenommen werden müssen. Wir denken, daß es günstig ist, daß man neben<br />
den staatlichen Arztpraxen, die sicherlich sein müssen, auch andere Formen wählt, und da ist<br />
nicht nur der private Sektor, wo man sägt, es müssen private Ärzte sein, denn dabei ist immer<br />
zu beachten, daß der Arzt daran eigentlich sehr gut verdient, aber die Schwestern und das<br />
Pflegepersonal immer noch benachteiligt sind, und deswegen denken wir, daß eine<br />
genossenschaftliche Form von Arztpraxen auch ein gangbarer Weg wären. Aber darüber<br />
müßte man sich dann unterhalten. Ich glaube das reicht jetzt erst mal nur als kleine<br />
Vorstellung.
11<br />
Frank Bogisch:<br />
Guten Tag. Mein Name ist Frank Bogisch. Ich bin auch im Vorstand der Partei und<br />
beschäftige mich sehr stark mit ökologischen Fragen und kann dazu auch nochmal aufs Statut<br />
verweisen. §9 verpflichtet uns ja förmlich dazu, die Umwelt mit einzubeziehen in unsere<br />
Denkprozesse, wenn wir uns sozial<strong>dem</strong>okratisch und verantwortlich fühlen. Ich vertrete hier<br />
zwei Gruppen, die thematisch nicht unbedingt zu trennen sind - inhaltlich und im Detail<br />
schon. Und eigentlich auch die Gruppe Wirtschaft. Deswegen hatte ich eigentlich<br />
vorgeschlagen, daß die vorher redet, ist ja da mit drin. Also die Gruppe Ökonomie und<br />
Ökologie und die Gruppe Ökologie in der Praxis. Meine Meinung ist, Ökonomie muß sich<br />
langfristig der Ökologie unterordnen, ansonsten sind entweder territoriale bzw. globale<br />
Probleme nicht mehr zu lösen. Ich möchte also auch vorweg schicken, daß ich also nur<br />
Probleme anreißen möchte, also hier eine Lösung überhaupt nicht möglich ist. Ich habe mich<br />
deswegen zur Sozial<strong>dem</strong>okratie entschieden, nach <strong>dem</strong> Statut und <strong>dem</strong> Programm, weil die<br />
Sozial<strong>dem</strong>okratie aufgrund der sozialen Marktwirtschaft und der Gewinnumverteilung auf<br />
ökologischen Gebieten die größten Möglichkeiten im Moment bietet, da keine grüne Partei<br />
oder so etwas Ähnliches in Sicht ist, dieses Moment wesentlich zu bedenken. Also, wir<br />
müssen bei diesen Gruppen Ökonomie / Ökologie die Gewinnabschöpfung <strong>aus</strong> den Betrieben<br />
auf ökologische Gebiete verlagern und zielgerichtet einsetzten, z.B. auch durch<br />
Dezentralisierung der Betriebe, Eigenverantwortlichkeit in den Betrieben schaffen. Damit<br />
wären wir gleich wieder im Territorium von <strong>Berlin</strong>, hier sind ja drei große Chemiebetriebe,<br />
<strong>Berlin</strong>chemie, Kalichemie und die Lackfabrik, die dann also Umweltgerechter produzieren<br />
müssen, oder sollten, in <strong>dem</strong> sie diese Sachen mit einbeziehen, um ein größeres Konzept zu<br />
nennen, z.B. Energiepolitik. Hierbei möchte ich mal ganz kurz anreißen, wie global und<br />
eigenstrukturell die Sache ist. Also die Infrastruktur spielt dort eine wesentliche Rolle, also<br />
z.B. beim Tagebau, wie sich die Infrastruktur dort verändert, da muß von Ausstieg <strong>aus</strong> der<br />
Braunkohlentechnologie geredet werden, das ist die Schwierigkeit, welche Energieform<br />
bieten wir dann an? Alternative Energien wie Windenergie oder Sonnenenergie ist heute<br />
schon klar, daß die absolut nicht <strong>aus</strong>-reichen. Also Europäisches H<strong>aus</strong>, internationaler<br />
Energieverbund, dort spielen Sachen hinein, wie französische Atomenergie, wollen wir<br />
Atomenergie - Ja ? - Ausstieg - Nein? Alles solche Fragen. Dann, wie rüsten wir Kraftwerke,<br />
die heute bestehen, effektiver <strong>aus</strong>? Dann, die Sicherheitsfragen, solche Sachen, es ist<br />
sicherlich etwas lächerlich, aber Energiefragen sind nur international zu lösen, z.B.<br />
Ökoterrorismus oder Sonnenenergieübertragung <strong>aus</strong> Afrika. Damit sind wir gleich bei<br />
technologischen Problemen, die Leiter, dazu müßte man ökologisch/ökonomisch sagen, die<br />
Energieübertragung spielt dort eine wichtige Rolle und nicht zuletzt der Energieverbrauch der<br />
DDR. Damit sind wir wieder am höchsten in Europa, d.h. hier müßte also wieder die Gruppe<br />
Ökonomie / Ökologie in der Praxis eingehen auf den Energieverbrauch und Alternativformen<br />
finden, wie wir Energie weniger verbrauchen in der Bevölkerung.<br />
Dann noch ein paar Punkte zu der Gruppe Ökologie in der Praxis. Der Vorredner hatte schon<br />
Sachen angeschnitten. Das sind also wesentliche Fragen der Stadtbauökologie, also<br />
Altb<strong>aus</strong>anierung, wie, warm. Auch die Energieformen dort, welche Heizungsarten werden<br />
dort eingesetzt. Dann Radwegebau, Begrünung der Stadt. Auch möchte ich noch daran<br />
erinnern, daß in <strong>Berlin</strong> gerade auch sehr große Randgebiete mit landwirtschaftlichen Formen<br />
sind, d.h. also die ganze Frage der Gülle, der Düngemittel, der schweren Technik, also<br />
Landwirtschaftsfragen, also auch die <strong>Berlin</strong>er Struktur ist dort gerade sehr gefragt.<br />
Noch eine Sache: Auch der Vorredner hat es schon angeschnitten, ich bin der Meinung, wir<br />
sollten nicht engstirnig sein und jetzt sozial<strong>dem</strong>okratische Momente, gerade bei den<br />
Ökologiefragen, ich bin der Meinung, jeder, jeder ob Mitglied der SDP oder anderer Parteien,<br />
auch
12<br />
SED, auch sie bieten Programme jetzt an <strong>aus</strong> ökologischer Sicht, wir sollten mit je<strong>dem</strong><br />
zusammen arbeiten und dort ganz offen sein, ob international oder territorial, um diese<br />
Probleme zu lösen und tatsächlich dieses sozial<strong>dem</strong>okratische Programm in den Dienst der<br />
Ökologie stellen, ansonsten haben unsere Kinder auf lange Sicht keine Chance über<br />
Sozial<strong>dem</strong>okratie oder ähnliche Fragen zu reden.<br />
Udo Eisner:<br />
Werte Anwesende, mein Name ist Eisner, ich komme <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> Stadtbezirk Friedrichshain und<br />
möchte Ihnen die Arbeitsgruppe Wirtschaft, die wir ins Leben rufen wollen, vorstellen. Sie<br />
wissen, das Problem Wirtschaft drückt uns alle, und die Diskussionen in der Presse über<br />
Wirtschaftsprobleme und Leitungsprozesse sind in vollem Gange. Wir können uns diesen<br />
Diskussionen nicht verschließen. Diese Arbeitsgruppe wird sicherlich eine komplizierte<br />
Aufgabe haben, ein für alle verständliches Konzept der zukünftigen Wirtschaftspolitik der<br />
DDR darzustellen. Im programmatischen Vortrag zur Gründung der SDP in Schwante wurde<br />
ein einfacher Begriff geprägt: soziale Marktwirtschaft mit ökologischer Orientierung.<br />
Dahinter verbirgt sich jedoch ein komplizierter Wirtschaftsmechanismus, der von uns mit<br />
Hilfe vieler Wirtschaftsexperten klar definiert werden muß. Fragen sind zu beantworten, die<br />
Einfluß auf Konsum, Ökologie, Wohnungspolitik, Verkehrs- und Energiepolitik und den<br />
Zusammenhang von Chemie und Landwirtschaft haben werden. Wir werden darüber beraten,<br />
welche Strukturen in der Industrie zweckmäßig sind. Viele Kombinate sind zu reorganisieren.<br />
Die Zulieferindustrie ist durch die Bildung unabhängiger Klein- und Mittelbetriebe, die<br />
elastisch auf die Bedürfnisse der Kunden, auch international beherrschender Großbetriebe<br />
bzw. Kombinate reagieren, zu stärken. Den Betrieben ist mehr Eigenständigkeit zu gewähren.<br />
Staatliche Vorgaben sollten die Rahmenbedingungen fixieren und nicht die betrieblichen<br />
Entscheidungen hinein administrieren. Die Hauptorientierung der Betriebe ist Markt, Absatz,<br />
die Befriedigung der Kunden und nicht bloßes Erfüllen der Kennziffer industrieller<br />
Warenproduktion. Eine neue Form der Besteuerung der Betriebe ist zu entwickeln. Dabei sind<br />
über die Abschaffung der Produktionsfondsabgabe und der Produktionsabgabe nachzudenken.<br />
Der Anteil der Mittel für die gesellschaftliche Konsumtion ist offen darzulegen, und<br />
Vorschläge für Einsparungen in diesem Sektor zur Stärkung der Investitionskraft der Industrie<br />
zu erarbeiten. Die Gewinne in den Betrieben sind so zu organisieren, daß sie dort verbleiben<br />
und zur eigenständigen Bildung von Fonds für die Investitionen, soziale Versorgung der<br />
Beschäftigten zu verwenden. Die selbständige Bildung der Fonds Lohn, Instandhaltung,<br />
Bildung von Rücklagen usw. ist von den Kombinaten ohne dirigistische Eingriffe zu<br />
ermöglichen. Zur Erhöhung der Effizienz unserer Wirtschaft ist über die Bildung von<br />
Betrieben und Kombinaten mit <strong>aus</strong>ländischer Kapitalbeteiligung nachzudenken. Alle<br />
Eigentumsformen sollten möglich werden. Dabei ist die Kontrolle der in Gemeineigentum<br />
verbleibenden Banken und Kreditinstitute von <strong>aus</strong>schlaggebender Bedeutung. Jede<br />
Eigentumsform muß nach ihrem Nutzen für die Gesellschaft beurteilt werden. Wir können<br />
uns Formen vorstellen von Betrieben und Kombinaten in Gemeinschaftseigentum, Betriebe<br />
mit halbstaatlichen Charakter, private Unternehmen im kleinen und mittleren Bereich,<br />
Betriebe in Gemeineigentum mit <strong>aus</strong>ländischer Kapitalbeteiligung, internationale Handelsund<br />
Produktionkooperation, Stärkung des Handwerks und der privaten<br />
Dienstleistungsbetriebe durch Aufhebung der Beschäftigungsgrenze und Liberalisierung des<br />
Steuersystems. Bei allen Formen sind Fragen der Mitbestimmung und Selbstverwaltung nicht<br />
zu vergessen. Zu untersuchen ist die Problematik "sozialistischer Wettbewerb", Prämien,<br />
Neuererwesen, MMM sowie weiterer formalistischer Aktivitäten der Bürokratie. Wir sind<br />
dafür, daß Forschung, Entwicklung, Konstruktion entbürokratisiert werden. Wir sind z.Z., Sie<br />
wissen das <strong>aus</strong> den Betrieben, heute so weit gekommen, daß die Bürokratie Innovationen
13<br />
hemmt. Nachzudenken ist über die Formen der Bilanzierung. Die Bilanzierung ist z.Z. nur ein<br />
typischer Ausdruck der Mangelwirtschaft. Der Investitionspolitik ist besonderes Augenmerk<br />
zu schenken, sie entscheidet letztlich über die Entwicklung unserer Wirtschaft. Administrative<br />
und politische Prestigeobjekte und Vorhaben haben zur Deformierung der Wirtschaft<br />
maßgeblich beigetragen. Betriebe, Kombinate, Genossenschaften, Handwerks- und<br />
Dienstleistungsbetriebe sind nur nach ökonomischen, technischen, ökologischen und<br />
volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten zu leiten. Wir fordern Tarifautonomie, sogenannte<br />
politische Entscheidungen haben in unseren Betrieben nichts zu suchen. Nicht der<br />
Parteisekretär, sondern der staatliche Leiter, der Betriebsleiter oder das Kollegium, die<br />
Fachdirektoren entscheiden über das Wohl und Wehe eines Betriebes. Lassen Sie mich zum<br />
Abschluß Prof. Siegfried Schiller vom Forschungsinstitut "Manfred von Ardenne" zitieren,<br />
der in der Wochenpost vom 3. 11., und er möge mir verzeihen, daß ich ihn hier zitiere,<br />
vorlesen: "Durch Kontrolle und durch Überkontrolle wurde immer wieder versucht, das<br />
Problem zu fassen. Das Ergebnis ist mehr als mager. Die Rückkopplung über Kontrollorgane<br />
und Planauflagen ist viel zu starr. Sie konnte oftmals nicht verhindern, daß am wirklichen<br />
Bedarf vorbei produziert wird. Im Kapitalismus wird ein solches Verhalten mit <strong>dem</strong> Konkurs<br />
bestraft. Bei uns aber heißt es "Friß Vogel oder stirb", das ist Kapitalismus im Quadrat." Ich<br />
bedanke mich.<br />
Marlit Könke:<br />
Ich bin gebeten worden, ein Diskussionsangebot für die Arbeitsgruppe Kultur <strong>aus</strong>zuarbeiten.<br />
Ich bin also nicht Leiter der Arbeitsgruppe, das Amt ist also noch zu vergeben, aber ich würde<br />
natürlich auch mitarbeiten und fordere hier alle Basisgruppen auf, die Mitglieder der<br />
Basisgruppen auf, wer mitarbeiten möchte, trage sich dort ein. Wir haben eigentlich eine<br />
ganze Menge zu tun, und ich kann nur sagen, hier so ein Vortrag hier des Vorredners, da kann<br />
man vor Neid nur erblassen. Also wie gesagt, jetzt zur Arbeitsgruppe Kultur einige Probleme.<br />
Das kulturelle Leben in der DDR ist durch verkrustete zentralistische Strukturen und<br />
parteipolitische Eingriffe bestimmt, die wenig bzw. keinen Raum für die publikumswirksame<br />
Arbeit vom künstlerischen Rand- und Einzelprojekten, Basistheatergruppen und alternativen<br />
Unterhaltungs- und Freizeitunternehmen bieten. Den Künstlern, die mit kritischer<br />
Schöpferkraft die veränderungswürdige Realität dieses Landes darstellen und beschreiben in<br />
der Literatur, mit Mitteln des Filmes oder in der bildenden Kunst, ist es ohne Protektion durch<br />
bereits etablierte Künstler oder staatliche Förderinstitutionen nicht möglich, ihre Arbeit<br />
öffentlich zur Diskussion zu stellen. Denn es gibt keine parteipolitisch unabhängigen Verlage,<br />
Filmproduktionsstätten, Theater, Zeitungen etc. Wir übersehen nicht die Bemühungen von<br />
Kulturinstitutionen und kommunalen Behörden, <strong>dem</strong> Kulturleben in den Städten ein<br />
differenzierteres Gesicht zu verleihen, fair Nachwuchskünstler und unabhängige Gruppen die<br />
Bühnen frei zu machen und neue Freizeitmöglichkeiten anzubieten. Wir müssen jedoch<br />
feststellen, ein zentralistisch organisiertes Kulturleben und die finanzielle Abhängigkeit der<br />
Kunstproduktionen von Staat und Partei machen eine Vielzahl kultureller Ausdrucksformen<br />
in Gruppen und Projekten, in Stadtteilen und neuen Wohngebieten unmöglich. Die<br />
Massenwirksamkeit von Kultur kann nicht daran gemessen werden, daß wenige und<br />
manchmal gute Unterhaltungs- und Kunstproduktionen für die breite Bevölkerung zu<br />
Billigpreisen unter ihrem Wert verkauft werden, sondern erst, wenn die in der Bevölkerung<br />
entstehenden unter-schiedlichen Kulturbedürfnisse in hoher Qualität zum Selbstkostenpreis<br />
angeboten und von den Kulturinteressierten aufgenommen werden, kann man von einer<br />
tatsächlichen Befriedigung kultureller Bedürfnisse, von einer Identität des Volkes mit seiner<br />
Kultur sprechen. Auf
14<br />
der Basis von Selbstfinanzierung und kommunaler Unterstützung wird sich kulturelles Leben<br />
<strong>aus</strong> staatlicher Finanz- und letztlich <strong>aus</strong> parteipolitischer Abhängigkeit lösen. Wir fordern:<br />
Schluß mit der seit 1951, seit der Formalismusdiskussion begonnenen Unterordnung von<br />
Kunst und Kultur unter die parteipolitischen Interessen der SED. Wir fordern die weitere<br />
Aufarbeitung der DDR-Geschichte und Kulturgeschichte, so wie es mit der Janka-Lesung am<br />
Deutschen Theater begonnen hat. Schluß mit der Unterordnung der Arbeit des Ministeriums<br />
für Kultur unter die Weisung des Leiters der Abteilung Kultur beim ZK der SED. Wir fordern<br />
eine Umstrukturierung des Ministeriums für Kultur und eine öffentliche Diskussion seiner<br />
Projekte und seines H<strong>aus</strong>haltsplanes. Wir fordern die Dezentralisierung der Kulturpolitik<br />
durch die Schaffung finanziell und politisch unabhängiger Kulturbehörden in den Bezirken<br />
der Republik. Kunst und Kultur brauchen Orte, an denen sie sich unabhängig darstellen<br />
können. Die Vor<strong>aus</strong>setzungen dafür zu schaffen ist Sache der Politik. Kulturpolitik ist eine<br />
Pflichtaufgabe der Kommunen. Der Staat darf nicht Vormund der Kultur, er muß Garant<br />
kultureller Vielfalt sein. Ich danke.<br />
Helmut Scheffler:<br />
Ja, mein Name ist Helmut Scheffler, ich bin in der Gruppe Prenzlauer Berg, Basisgruppe 2<br />
aktiv. Und habe mich bereit erklärt, in der Gruppe Bildung und Erziehung mitzuarbeiten. Ich<br />
muß sagen, daß wir ganz am Anfang stehen, wir sind also im Prinzip drei Leute, die sich<br />
bereit erklärt haben, dort mitzuarbeiten. Und meine Meinung ist die, daß wir jetzt eine<br />
Bildungsreform brauchen, die von unten kommt, und die viele verhärtete Strukturen aufbricht<br />
und zu einer Erziehung beiträgt, die die Demokratie aufbaut. Ich kann dazu nur sagen, daß es<br />
in Potsdam ein pädagogisches Seminar gab, wo sich Alternativgruppen getroffen haben. Da<br />
waren ehemalige Lehrer dabei, Pädagogikstudenten, Eltern, die haben sich zusammengesetzt<br />
und haben schon angefangen zu arbeiten in diese Richtung. Dort wurde schon ziemlich klar<br />
formuliert, was wir jetzt brauchen, was wir verändern wollen. Es wurde ein Papier erstellt, wo<br />
ganz klare Forderungen drauf waren. Z.B. brauchen wir freie Lehrergewerkschaften, freie<br />
Schülerorganisationen, Wiedereingliederung von Behinderten ins normale Leben. Das waren<br />
so die wichtigsten Forderungen. Wie gesagt, wir stehen noch ganz am Anfang, es ist wichtig,<br />
daß es jetzt los geht. Ich habe mich dort eingetragen in diese Liste und ich bitte darum, daß<br />
Leute, die daran interessiert sind, seien es Lehrer, seien es Eltern, dort mitzumachen. Schönen<br />
Dank.<br />
Sabine Leger:<br />
Mein Name ist Sabine Leger, ich bin Mitglied des Vorstandes der SDP und ich möchte eine<br />
kleine Werbeaktion für die Arbeitsgruppe Land- und Forstwirtschaft starten. Während meiner<br />
Studentenzeit war ich im Ernteeinsatz in Wusow, das ist so ein kleines Kaff im Bezirk<br />
Frankfurt/Oder. Die meiste Zeit verbrachten wir mit der Ernte von Gurken, die letztendlich an<br />
anderer Stelle als Gründüngung wieder untergepflügt wurden. Aber das erfuhren wir zum<br />
Glück erst später. Das Kurioseste war, daß wir auf einem Feld Tomaten ernten sollten, auf<br />
<strong>dem</strong> viel üppiger Möhren wuchsen. Man hatte die Tomaten, auf das mit Möhren angesäte<br />
Feld, gepflanzt. Tja, weil der Platz nicht reichte, oder weil man zu viele Pflanzen bestellt<br />
hatte, ich weiß es nicht mehr ganz genau und eigentlich ist es ja auch egal. Geerntet jedenfalls<br />
wurden nur die Tomaten, weil man in den Planunterlagen der LPG die Möhren <strong>aus</strong>radiert und<br />
dafür Tomaten eingetragen hatte, und weil die Tomaten sicherlich mehr Geld bringen. Es gibt<br />
viele Gründe. Das also ist die Planwirtschaft. Erst kam der Plan mit den Möhren und dann die<br />
Wirtschaft mit den Tomaten. Warum ich die Geschichte nicht vergessen habe? Vielleicht war<br />
es die Gleichgültigkeit der Bauern, es war ihnen egal, daß da Lebensmittel auf <strong>dem</strong> Feld<br />
vergammeln. Wenn allen alles gehört, dann gehört es nieman<strong>dem</strong> richtig. Das war nicht
15<br />
immer so, wenn man auf ein altes Sprichwort hört, das besagt, "Wer einen Bauern betrügen<br />
will, der muß einen Bauern mitbringen". Hierin liegt wohl der Fehler der Bodenreform: Vater<br />
Staat brachte nicht den Bauern mit, sondern den Parteisekretär mit <strong>dem</strong> Megaphon und die<br />
FDJ und überhaupt alle, die nichts auf <strong>dem</strong> Land zu suchen hatten. Das ging dann auch<br />
gründlich ins Auge, denn so sagt ein anderes Sprichwort, "Wer mit fremden Ochsen pflügt,<br />
hat eine magere Ernte." Die Landwirtschaft wurde von nun an nicht mehr allein von den<br />
Bauern bestimmt, sondern auch von den Städtern, die an ihren Schreibtischen die industrielle<br />
Großproduktion vor Augen hatten. Was dabei her<strong>aus</strong>gekommen ist, kann jeder sehen, riechen<br />
und schmecken. Eine aufgeräumte Landschaft ohne Baum, Strauch, Feuchtbiotop,<br />
technokratisch und eigentlich beliebig. Der Geruch von Gülle <strong>aus</strong> der Massentierhaltung ist<br />
zum Erkennungszeichen ganzer Landstriche geworden. Der Verzehr eines Schnitzels hat<br />
immerhin den Vorteil, daß man mit ihm soviel Antibiotika aufnimmt, daß man in den<br />
nächsten acht Wochen keinen Schnupfen bekommen kann. Die Industrie schließlich bläst eine<br />
Luft ab, die den Wald um 40% seines Bestandes gebracht hat, sie hat dafür das<br />
Wohnungsproblem des Borkenkäfers gelöst, schon vor 1990 und noch weit darüber hin<strong>aus</strong>.<br />
Das Chaos ist groß und die Komplexität der Probleme fast erdrückend. In der Arbeitsgruppe<br />
Land- und Forstwirtschaft wollen wir versuchen, die Knoten etwas zu entwirren, in <strong>dem</strong> wir<br />
zu folgenden Themen arbeiten:<br />
1. Dokumentation der Bodenreform und ihrer politischen, wirtschaftlichen und sozialen<br />
Folgen.<br />
2. Analyse der gegenwärtigen Situation, unter anderem auch durch Befragung der in diesen<br />
Branchen arbeitenden Menschen, sowie die Diskussion der bestehenden Eigentumsformen.<br />
3. Die Publikation konzeptioneller Überlegungen und Diskussion dieser, sowie vielleicht die<br />
Erarbeitung von Gesetzesvorlagen. Grundlage dafür muß die Zuarbeit einer Arbeitsgruppe<br />
sein, die sich mit den Varianten eines ökologischen Umb<strong>aus</strong> der Landwirtschaft beschäftigt.<br />
Ich danke für die Aufmerksamkeit.<br />
Christian Richter:<br />
Christian Richter, Kunsttöpfermeister in Hohenschönh<strong>aus</strong>en. Ich glaube nicht, daß ich heute<br />
viel Appl<strong>aus</strong> bekomme, aber darauf kommt es nicht an. Mich begleiten täglich zwei<br />
Hungernde. Weltweit wird jeder begleitet von zwei Hungernden. Jeder von ihnen. Und wer<br />
für eine Familie zu sorgen hat, sagen wir mal mit fünf Köpfen, der wird also von zehn<br />
Hungern-den begleitet. Ich mach seit etwa 30 Jahren in meiner Töpferei diese Brote "Brot für<br />
die Welt". 18 Jahre habe ich sie verschenkt, da gingen sie nicht gut. Jetzt nehme ich einen<br />
Unkostenbeitrag von 3 Mark, da gehen sie besser. Und das ist typisch für unsere Gesellschaft.<br />
Es ist auch typisch für unsere Gesellschaft, daß die Angst so gewachsen ist, daß man<br />
rüstungsmäßig für jeden den t<strong>aus</strong>endfachen Tod auf dieser Erde an Rüstungskapazität<br />
vorgesorgt hat, aber daß nur ein Drittel der Menschheit satt zu essen hat. Und dieses eine<br />
Drittel schmeißt die Stulle weg, wenn es zu trocken geworden ist und man sieht das Brot auf<br />
der Straße oder als Viehfütterung, weil es ja subventioniert ist. Früher hat man gesagt, "wer<br />
Brot weg wirft, ist ein sündiger Mensch". Ich möchte folgendes sagen: man hat auch früher<br />
gesagt, "Wir geben einen Zehnten den Armen". Heutzutage geben wir gezwungener Maßen<br />
30% <strong>dem</strong> Staat, ohne daß wir genau wissen, wohin es kommt oder einen Einfluß darauf<br />
haben. Wenn wir zum Thema Finanzen kommen, werde ich ebenfalls den Vorschlag machen,<br />
daß ein Zehntel der SDP-Gelder, Spendengelder einbezogen, auch für "Brot für die Welt"<br />
gehen. Zumindest würde ich meinen Austritt erklären, wenn nicht mindestens 2% dabei r<strong>aus</strong><br />
kommen, was die Mindestforderung auch an alle Kirchen ist. Ich habe also an je<strong>dem</strong> 3.<br />
Freitag im Monat in meiner Werkstatt ein paar Leute zu sitzen, die so kleine Minikeramik für<br />
Setzkästen machen, und die verkaufen wir dann so als kleine Souveniers für "Brot für die
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Welt" als Spendenanreiz. Diese Leute sind noch nicht in der SDP, aber ich nehme auch alle<br />
anderen Leute dafür auf. Wir müßten dann Gruppen bilden. Es werden sackweise gute<br />
Kleidungssachen in den Müllcontainer geschmissen, und bis auf die, von meiner Lieben<br />
gestrickten Pullover, habe ich also größtenteils nur getragene Kleidung, die ich trage und ich<br />
sehe darin auch gut <strong>aus</strong>. Und man soll mal überlegen, wieviel Menschen versuchen, sich in<br />
Lumpen zu hüllen und trotz<strong>dem</strong> frieren müssen. Man könnte also vielmehr Pakete in andere<br />
Länder packen. Es gibt die Aktion Lepradorf, es gibt überhaupt 10 Aktionen in der DDR, die<br />
sich um die 2/3-Welt kümmern. Ich sagte 2/3-Welt. Ich spreche nicht abwertend von der 3.<br />
Welt, sondern 2/3 sind es. Danke.<br />
Udo Thron:<br />
Erlauben sie mir zunächst ein Wort in eigener Sache. Auf dieser Liste mit Kontaktadressen<br />
bin ich auch zu finden, so zirka in der Mitte in 1090. Nun hat man aber bei der angegebenen<br />
Telefonnummer die letzte Ziffer vergessen. Ich bitte doch, vielleicht könnten Sie hinter der 33<br />
07 55 noch die 4 setzen. Name Thron. Udo Thron in der Mitte, 1090 ist die Postleitzahl. Also<br />
als letzte Ziffer noch die 4, das ist eine Dienstnummer. Sonst landet derjenige beim Direktor<br />
oder sonstwo, das ist vielleicht nicht so günstig.<br />
Thema: Medien und Werbung. Ich will vorweg schicken, ich bin dazu kein Fachmann und mit<br />
<strong>dem</strong> Begriff Werbung konnte ich erst mal nichts anfangen, ich habe ihn erstmal einfach<br />
untern Tisch fallen lassen. Ich möchte also erst einmal etwas zu Medien sagen, zu <strong>dem</strong>, was<br />
Inhalt dieser Arbeitsgruppe sein könnte. Erklärtes Ziel der SDP ist es, für eine<br />
parlamentarische Demokratie mit Parteienpluralität einzutreten. Im gleichberechtigtem<br />
Wettbewerb werden Parteien um die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger ringen. Mündige<br />
Wähler ;entscheiden in <strong>dem</strong>okratischen Wahlen, welchen Programm- und<br />
Personalvorschlägen sie Eignung und Vertrauenswürdigkeit zuerkennen....<br />
So wird dann auch eine an den international vereinbarten Menschenrechten orientierte<br />
Verfassung in <strong>dem</strong>okratischer Handhabung ohnehin einen Codex nach sich ziehen, der den<br />
Rahmen journalistischer Freiheit absteckt. Und dennoch kann es, und das auch in unserer<br />
Partei, unterschiedliche Standpunkte bei der konkreten Grenzziehung bezüglich des Erlaubten<br />
geben. Beispielsweise bei solchen Fragen wie: Wann verletzt Öffentlichkeit die Würde des<br />
Einzelnen? Oder: Wann wuchert Journalismus in spekulative Sensationsheischerei <strong>aus</strong>? Oder:<br />
Wann gebietet die Wahrung äußerer und innerer Sicherheit den Verzicht auf öffentliche<br />
Information. Anderes mehr ließe sich nennen. Auch in solchen Fragen ist eine<br />
Standortbestimmung unserer Partei vonnöten . Abschließend ein spezielles Wort zu den<br />
elektronischen Medien. Die wahrscheinlich erst langfristig zum Tragen kommende<br />
Möglichkeit privater Rundfunk- und Fernsehanbieter außer acht lassend, wenngleich auch<br />
hier zukunftsorientiert gedacht werden sollte, stellt sich zunächst die Frage nach <strong>dem</strong><br />
Vorhandenen. Ein Modell könnte sein: Rundfunk- und Fernsehanstalten in öffentlich<br />
rechtliche Körperschaften umzuwandeln mit wähl- und abwählbaren Intendanten und mit<br />
Verwaltungsräten als gesellschaftliche Kontrollorgane. In diesen Verwaltungsräten müssen<br />
die verschiedensten gesellschaftlichen Interessengruppen, wie Parteien, Gewerkschaften,<br />
Kirchen und andere eine Stimme erhalten, um zu garantieren, daß ein <strong>aus</strong>gewogenes, den<br />
gesellschaftlichen Gegebenheiten adäquates Informations- und Unterhaltungsangebot<br />
gesendet wird. Ich bin ans Ende meiner Ausführungen gelangt, die aufgrund des<br />
vorgegebenen Zeitlimits und sicher auch als Folge ungenügender Sachkenntnis keinesfalls<br />
Anspruch auf Vollständigkeit und Systematik erheben. Meine Absicht war es, mögliche<br />
Arbeitsthemen einer in unserem Bezirk zu bildenden Arbeitsgruppe Medien anzudeuten. Es<br />
konnte sicher nicht Ziel dieses Beitrages sein, jetzt schon verbindlich <strong>aus</strong>zuloten, was einmal<br />
Programm wird. Das zu tun ist Aufgabe der Arbeitsgruppe selbst. Ich danke für Ihre<br />
Aufmerksamkeit.
17<br />
Andreas Röhl:<br />
Also, mein Name ist Röhl, ich komme <strong>aus</strong> Marzahn. Ich möchte Ihnen hier ein paar eigene<br />
Gedanken nur vortragen, <strong>aus</strong> denen sich die Notwendigkeit ergibt, daß man sich mit der Rolle<br />
der Gewerkschaften intensiv beschäftigen muß. Wir haben in den letzten Tagen in bedrückend<br />
eindrucksvoller Weise erleben können, wie hoch aktuell diese Auseinandersetzung ist. Der<br />
Bundesvorstand des FDGB, des "Freien" Deutschen Gewerkschafts Bundes, ich betone hier<br />
<strong>aus</strong>drücklich das Wort "frei" im Sinne des FDGB, versteht sich, <strong>aus</strong>gedrückt durch ein<br />
überwältigendes Abstimmungsergebnis mit 176 zu 5 Gegenstimmen und 2 Enthaltungen, als<br />
<strong>aus</strong>führendes Organ der SED, in <strong>dem</strong> er die Fortführung seiner am 31. 10. 89 begonnenen<br />
Tagung auf einen Termin nach der bereits anberaumten ZK-Tagung der SED verschob. Diese<br />
findet vom 8. bis 10. 11. statt. Dies ist ein satzungsgemäßes Verhalten, denn sie will die<br />
Arbeiter, Angestellten und Angehörigen der Intelligenz eng um die Partei<br />
zusammenschließen. Das ist nachzulesen in der Präambel der Satzung des FDGB. Aber ich<br />
denke, dieses Verhalten ist im Verständnis der SDP über die Rolle der Gewerkschaften<br />
vollständig entgegenstehend. Die inzwischen fortgesetzte Tagung des Bundesvorstandes und<br />
der Aust<strong>aus</strong>ch des Vorsitzenden ändert nach meiner Auffassung an dieser Einschätzung<br />
nichts. "Freie", und hier sage ich noch einmal, hier meine ich das Wort im eigentlichen Sinn<br />
dieses Wortes, und qualitativ starke Gewerkschaften spielen sowohl für die Demokratisierung<br />
des Wirtschaftslebens, als auch für die soziale und rechtliche Absicherung der Arbeitenden<br />
und die Solidarität zwischen ihnen eine wesentliche Rolle. Gewerkschaften sind keine<br />
Transmissionsriemen von Parteien, sondern Interessenvertretungen arbeitender Menschen. Sie<br />
können ihre Aufgaben im Lande und international nur erfüllen, wenn sie unabhängig von<br />
Staat, Parteien, Kirchen und anderen Interessengruppen auf der Grundlage <strong>dem</strong>okratischer<br />
Prozesse entstanden sind, in diesem Sinne arbeiten und ihre Vertreter nur den Interessen der<br />
Gewerkschaften gegenüber verantwortlich sind. Nach meinen Vorstellungen sollten sich<br />
voneinander unabhängige Einzelgewerkschaften in einem Dachverband organisieren. Es muß<br />
dabei sichergestellt werden, daß eine Ämterverquickung der Funktionäre <strong>aus</strong>geschlossen ist,<br />
und jeder unabhängig von seiner politischen Gesinnung und Konfession, nur den Regeln der<br />
Gewerkschaft selbst verpflichtet, Mitglied werden kann.<br />
Die Gewerkschaften müssen über Kampfmittel verfügen, zu denen das Streikrecht gehört. Das<br />
Streikrecht stärkt die Position der Gewerkschaften, verlangt aber, und da möchte ich<br />
<strong>aus</strong>drücklich darauf hinweisen, ein außerordentliches Verantwortungsbewußtsein bei seiner<br />
Anwendung. Ich persönlich wünsche mir, daß Streiks nie erforderlich werden. Aber ohne um<br />
das Wissen, die Gefahr des Streiks und seiner ökonomischen Konsequenzen wird das<br />
gedankenlose Administrieren der Vergangenheit nicht überwunden und für die Zukunft nicht<br />
<strong>aus</strong>geschlossen werden können. Da ich der letzte Redner in Sachen Arbeitsgruppen bin,<br />
möchte ich noch etwas hinzufügen: Seit gestern, so glaube ich, müssen wir uns auch beeilen<br />
Konzepte zu erarbeiten, klare Vorstellungen zu entwickeln, um gewappnet zu sein für eine<br />
Zeit, in der nur die besten Ideen und überzeugendsten Argumente eine Chance haben<br />
Mehrheiten zu gewinnen. Mir fällt in diesem Zusammenhang Egon Krenz ein, den ich hier<br />
zitieren möchte, wenn er sagt: "Gehen wir an die Arbeit." Ich muß hinzufügen: Für eine<br />
wirklich bessere DDR. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.<br />
Anne-Kathrin Pauk:<br />
Mein Name ist Anne-Kathrin Pauk, ich komme <strong>aus</strong> <strong>Berlin</strong>-Marzahn. Ich würde den Vorschlag<br />
machen, daß wir uns zu einer nicht allzu <strong>aus</strong>geweiteten, aber dennoch zu einer<br />
Diskussion kommen, weil es vielleicht zu den programmatischen Punkten noch einiges zu<br />
sagen gibt und wenn es auch nur die Gewichtung der einzelnen Punkte betrifft. Mich würde
18<br />
z.B. die Rolle der Gewerkschaften noch interessieren und die Verantwortung, die die SDP bei<br />
der Unterstützung der unabhängigen Gewerkschaften zu spielen hat. Aus ihrem Statut geht<br />
das hervor. Dazu wäre meiner Meinung nach etwas zu sagen. Ich möchte den Antrag<br />
einbringen, daß eine ganz kurze Diskussion noch erfolgt.<br />
Konrad Elmer:<br />
Ich würde das auf eine viertel Stunde begrenzen... Wer ist dafür? Wer ist dagegen?<br />
Enthaltungen. Damit ist jetzt die inhaltliche Diskussion für eine viertel Stunde bis halb vier<br />
eröffnet. Wer möchte nun inhaltlich etwas sagen?<br />
Joachim Stoltzenburg:<br />
Mein Name ist Joachim Stoltzenburg, ich komme <strong>aus</strong> Pankow, und ich hätte eigentlich einen<br />
organisatorischen Vorschlag zu machen, daß die beiden Gruppen Ökologie und Wirtschaft<br />
zusammengelegt werden, einfach <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> Grunde, weil wir uns in den nächsten Jahren das<br />
Ziel gestellt haben, wesentliche Grundsätze zur Bildung einer sozial orientierten<br />
Marktwirtschaft her<strong>aus</strong>zuarbeiten. Und es besteht die Gefahr, daß beide Gruppen aneinander<br />
vorbei arbeiten. Die Gefahr besteht <strong>aus</strong> der Darlegung der inhaltlichen Zielstellung, und es ist<br />
unbedingt erforderlich, daß diese beiden Gruppen zusammengelegt werden.<br />
Gerd Weis:<br />
Die Partei möchte ja gesellschaftsverändernd wirken, und ich glaube, daß sie dann an den<br />
grundsätzlichen Problemen unserer Gesellschaft arbeiten muß, d.h. an verfassungsrechtlichen<br />
Fragen, an Rechtsfragen, und sofern man dort nicht erfolgreich ist, hat man gar keine<br />
Vor<strong>aus</strong>setzung zu einer sachlichen Arbeit. Die Hoffnung, die dabei besteht, ist, daß<br />
verfassungsändernd der Mensch frei wird, ganz andere Leute zur Partei zustoßen. Ich glaube,<br />
das grundsätzliche Problem heute ist nicht, jetzt in Arbeitsgruppen mit Leuten, die die<br />
Fähigkeit noch nicht haben Sachprogramme <strong>aus</strong>zuarbeiten. Wir müssen die Leute erst frei<br />
machen, damit die Fachleute kommen, die heute in Bereichen arbeiten, wo es ihnen<br />
unmöglich ist, zu uns zu kommen.<br />
Peter Schlafen:<br />
Mein Name ist Peter Schlafen, ich komme <strong>aus</strong> <strong>Berlin</strong> Hohenschönh<strong>aus</strong>en, ganz kurz. Hier<br />
sind ja vorgestellt worden 10 Arbeitsgruppen. Eine ist ja nicht vorgestellt worden von meinem<br />
Vorredner. Eine Frage hätte ich: Familie, Jugend und Sport; gibt es ja einen Senator auf der<br />
anderen Seite. Das Problem Sport und Jugend sehe ich als wichtiges Problem noch an. Wir<br />
haben ja hier viele Olympiasieger, aber wenige Nobelpreisträger in der DDR und ein<br />
gesunder Geist sollte in einem gesunden Körper sein. Denn es ist ein ganz wesentliches, auch<br />
politisches, Problem, was mit in eine Arbeitsgruppe aufgenommen werden müßte. Soweit<br />
Danke.<br />
Frank Bogisch:<br />
Ich möchte zu <strong>dem</strong> Redner davor etwas sagen. Unsere Meinung oder unsere Intention zu drei<br />
Gruppen, also "Wirtschaft", "Ökonomie/Ökologie" und "Ökologie in der Praxis" gingen<br />
dahin, daß sich die Wirtschaftsgruppe, und da gibt es eine bestehende, und die Partei besteht<br />
noch nicht lange, so daß eine Doppelung im Moment noch besteht, die abgeschafft werden<br />
sollte, oder innerhalb der Themen abgeschafft wird, sich mit grundsätzlichen Fragen, mit<br />
thematischen also auch mit Sachfragen, mit begrifflichen Fragen beschäftigt. Und da arbeitet<br />
eine Gruppe. Von daher gibt's also etwas. Und die ökologisch/ökonomische Gruppe sich dann<br />
mehr doch mit in die Praxis hineingehenden Fragen intensiv beschäftigt. Das ist natürlich
19<br />
überhaupt nicht voneinander zu trennen. Und deswegen wollte ich auch nochmal bei der<br />
Gruppenvielfalt und doch bei den recht wenigen Leuten, die da sind jetzt, darauf hinweisen<br />
und einen Appell richten, ich hab das auch in den Jahren davor bei anderen Gruppen gesehen,<br />
wir dürfen uns jetzt natürlich auch nicht thematisch zerfaseln, daß jeder zu allem und alle und<br />
jeder drauf los, also eine unbedingte Absprache und Koordinierung der Gruppen<br />
untereinander und Sachkompetenz sind tatsächlich erforderlich. Nicht, daß wir uns jetzt ins<br />
Uferlose <strong>aus</strong>arbeiten wollen. Das kann ich nur nochmal als Appell sagen. Und dann noch eine<br />
Frage: Warum wollen wir als <strong>Berlin</strong>er gerade nicht eine Gruppe bilden, die sich so mit diesen<br />
ganzen Grundwerten, also <strong>SPD</strong>, bis '61 gab es ja eine, die haben einfach aufgehört zu<br />
existieren durch die Mauer, und Geschichte und Sozial<strong>dem</strong>okratie usw. und so fort. Also ein<br />
Antrag, daß sich dort noch eine Gruppe bildet.<br />
Dieter Kaiser:<br />
Dieter Kaiser, Pankow. Drei Punkte, der erste ist mir der wichtigste. Ich hab Anfragen an den<br />
Begriff soziale Marktwirtschaft ökologisch orientiert. Es kam in den Ausführungen bei der<br />
Arbeitsgruppe auch zwei Stichworte als Hauptkriterien. Einmal: Bedürfnisbefriedigung<br />
reguliert durch den Markt, zum anderen, was die Gesellschaft braucht, ich denke, das Zweite<br />
ist das Wichtige und darf nicht nur in <strong>dem</strong> Ersten bestehen, also in Bedürfnisbefriedigung.<br />
Die Gesellschaft braucht mehr. Meine Frage: Muß es nicht eine dritte Größe geben zwischen<br />
Marktwirtschaft und Plan, Staat nämlich die Gesellschaft, eine gesellschaftliche Institution<br />
<strong>aus</strong> kompetenten Leuten, die dann an den Staat Vorschläge macht, damit er<br />
Rahmenbedingungen gesetzlich festlegen kann, die an die Wirtschaft Vorschläge macht, wie,<br />
was, wo ökonomisch sinnvoll, ökologisch sinnvoll und auf den Menschen zu gedacht<br />
produziert. Das gebe ich zu bedenken. Das Zweite ist nur eine Anfrage. Vielleicht<br />
merkwürdig, wenn ich die mache. Frauen fehlen völlig in den Arbeitsgruppen, ist mir<br />
aufgefallen, als Arbeitsgruppe. Und das Dritte ist mehr eine organisatorische Frage: Wie<br />
kommen dann die Ergebnisse der Arbeitsgruppen zusammen, wie gewährleisten wir das, daß<br />
auch über Zwischenergebnisse berichtet wird?<br />
Stefan Finger:<br />
Ich wollte ganz kurz sagen zu <strong>dem</strong>, was Herr Christian Richter gesagt hatte, zu der 2/3 Welt.<br />
Ich habe ihn sehr verstanden und ich stelle mich dazu zu den emotionalen Dingen, ich denke,<br />
was wir als Partei zu leisten haben, ist aber zusätzlich zu analysieren, wie unsere DDR-<br />
Wirtschaft verflochten ist in diesen ganzen Prozeß der Ungerechtigkeit auf unserer Welt. Ich<br />
denke, das müßte wohl diese Arbeit leisten. Dann denke ich, wenn wir schon diese einzelnen<br />
Gruppen anfragen nach sozialen Gruppen, also sprich Frauengruppe, dann müßte es auch eine<br />
Gruppe Jugend geben, ich denke, das Problem haben wir vorhin schon gesehen, was dort<br />
besteht. Und dann zu einer Bemerkung von vorhin, daß wir erst mal in den Vordergrund<br />
stellen sollten nicht die inhaltliche Arbeit, sondern die Arbeit auf einen Zustand, daß alle<br />
Leute mitarbeiten können, ich möchte nur meine Erfahrung von Polen mitteilen, wir sollten<br />
jetzt schon programmatisch arbeiten, nicht, daß wir in eine Situation kommen, wo wir<br />
politische Verantwortung übernehmen müssen oder können und dann nicht dieses Amt<br />
<strong>aus</strong>füllen. Ich denke, das ist ja das, was uns als Partei jetzt <strong>aus</strong>macht, daß wir jetzt schon in<br />
der Programmatik uns kümmern, daß wir dann auch wirkliche politische Verantwortung in<br />
diesem Land tragen können.<br />
Rabenhorst:<br />
Mein Name ist Rabenhorst, ich komme <strong>aus</strong> Lichtenberg. Ich möchte mal kurz was zu<br />
Gewerkschaften sagen: In der momentanen Situation, und ich denke, das ist auch in der
20<br />
nächsten Zeit der Fall, bin ich erstmal dafür, Vor<strong>aus</strong>setzung: Ich bin für ein Streikrecht. Aber<br />
in der momentanen Situation sollte man sich genau überlegen, bei den fehlenden<br />
Arbeitskräften überall, daß man so weit geht. Das sind meine Ausführungen dazu.<br />
Dankward Brinksmeier:<br />
Ich bin Dankward Brinksmeier, <strong>Berlin</strong>-Mitte. Ich möchte gerne wissen, ob die Bildung der<br />
Arbeitsgruppen bedeutet, daß die Ortsgruppen von den inhaltlichen Arbeiten entlastet werden.<br />
Ich habe Sorge, daß, wenn die Ortsgruppen Konzeptionsarbeit und Arbeit vor Ort machen<br />
sollen, im Statut steht, daß wir vor Ort am besten wissen, was dran ist, daß wir uns einfach zu<br />
viel vorgenommen haben, die meisten von uns machen das nebenamtlich und nebenher. Ich<br />
sehe einfach, das wird zu dicke. Ich möchte, daß das mal klarer <strong>aus</strong>gesprochen wird, das hat<br />
mir noch nicht gereicht. Ich bin Studentenpfarrer und möchte einige Fragen weiter geben, die<br />
ich hier vor mir liegen habe. Es gibt unter Studenten viel Diskussionen um die SDP. Die erste<br />
Frage, die <strong>aus</strong> diesem Bereiche immer wieder kommt: Wann stellt ihr euch endlich mal<br />
öffentlich vor? Gibt's da Konzepte und Leute, die so etwas bringen? Ich kriege bloß immer<br />
spontane Informationen, wann irgendwann wieder irgend etwas ist. Dann möchte ich einfach<br />
berichten und die Frage weiter geben. Die Studenten, die links denkenden Studenten, ich sag<br />
das mal so p<strong>aus</strong>chal, möchten gerne wissen, ob wir für den Sozialismus sind oder nicht? Und<br />
eine klare Definierung dessen, was wir mit Sozialismus meinen, da reicht mir einfach das<br />
Statut noch nicht. Da ist ein Manko angemeldet. Eine zweite Frage <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> offenen Brief der<br />
Studenten ist: Wie stellt Ihr Euch eigentlich Zusammenarbeit und Konsensfähigkeit im<br />
Rahmen der Nationalen Front vor. Könntet Ihr Euch vorstellen, daß Ihr da mitarbeitet oder<br />
nicht. Also, wir werden klar angefragt: Wollt Ihr alles alleine machen oder mit wem wollt Ihr<br />
eigentlich Zusammenarbeiten und was erwartet Ihr von denen? Diese zwei Fragen wollte ich<br />
mal weitergegeben haben, weil ich denke, das ist auch der Stand von <strong>dem</strong>, was Jugendliche<br />
von uns mitgekriegt haben, zum Großteil bewegt.<br />
Jürgen Jakobs:<br />
Jürgen Jakobs, ich gehöre zur Gruppe Friedrichshain. Zum Vorredner nochmal gesagt, die<br />
Arbeitsgruppen verstehe ich als Stamm nach oben zusammengefaßt. Es wird dann sicher die<br />
Problematik bestehen, ob man dann die anderen Regionen dazu nimmt. Ich bitte jetzt mal<br />
festzuhalten, weil das mehrmals fiel, daß man noch zu Arbeitsgruppen kommt: vielleicht<br />
Grundwerte, Ethik, daß das Wort "Frauen" hier fiel, daß wir das von vorn herein mit drin<br />
haben und hier drüben stand Kultur, die Frage ist, ist da Geschichte mit drin. Also, daß man<br />
sagt: Geschichte und Kultur, einmal daß wir jetzt auf ein Geschichtsbild zurückgreifen<br />
können, und daß die Älteren von früher noch, die jetzt zu uns stoßen, da hat man<br />
Herzbewegendes erlebt, daß die da ihre Erfahrungen, die ja doch bald verloren gehen, daß wir<br />
die noch festhalten können. Zur Jugend nochmal zu sagen: Mir wäre es ein Anliegen, das<br />
habe ich auch heute gemerkt, ob der Jugendliche da oben sitzt oder unten, das hat mit <strong>dem</strong><br />
Paragraphen nichts zu tun, warum sollen wir Vertreter der Jugend nicht unten sitzen lassen?<br />
Ich würde sagen, wenn hier Jugendliche schon sind, dann sollten wir die eine Jugendgruppe<br />
bilden lassen. Nun aber zum Hauptanliegen, das fiel auch schon zweimal: Wir müssen uns<br />
einen Rechtsstaat machen. In nächster Zeit liegen hier Strafgesetz, Zivilgesetz,<br />
Gerichtsprozeßordnung, Verfassung, neue Wahlordnung an. Da werden manche schon mit<br />
einer Vereinsfestlegung zufrieden sein, wir müssen aber auf Partei drängen und hier gibt es<br />
noch vieles, für was wir uns stark machen müssen, auch wenn wir Rechtsanwälte, die jetzt<br />
frei arbeiten, noch zu uns bekommen, dann haben wir auch gleich den Bogen zur<br />
Gewerkschaft, dort müssen wir uns im Arbeitsrecht stark machen, denn viele treten <strong>aus</strong> der<br />
Gewerkschaft <strong>aus</strong> und dann stehen sie da. Daß wir diese Kollegen vertreten können und selbst<br />
welche, die
21<br />
nicht drin sind. Dieser Punkt ist noch wichtig, daß wir einen Schutzmechanismus zu unser<br />
aller Schutz aufbauen. Danke<br />
Ulrich Scholz:<br />
Ulrich Scholz ist mein Name. Ich hab schon mal gesprochen. Ich unterstütze den Vorschlag,<br />
eine Grundwertekommission zur Geschichte des Sozialismus und Stalinismus in der DDR zu<br />
gründen. Mein wichtigstes Anliegen, ich habe versucht im Stadtbezirk Hellersdorf mit <strong>dem</strong><br />
Neuen Forum zusammen zu arbeiten, wir wollten eine Informationsveranstaltung durchführen<br />
in der Kirche in Kaulsdorf, weil wir anders an die Leute in Hellersdorf nicht herankommen.<br />
Das hat nicht geklappt. Ich bin da als SDP-Mitglied <strong>aus</strong>gebootet worden. Das Neue Forum<br />
führt jetzt da in dieser Kirche wöchentlich mittwochs eine Informationsveranstaltung durch.<br />
Der SDP wurde das nicht gestattet, wir wurden da <strong>aus</strong>gebootet. Ich war sehr traurig darüber<br />
und ich habe auch gemerkt, daß in der letzten Zeit das Neue Forum erheblich mehr Zulauf<br />
hatte als die SDP, und daß die SDP auch nicht überall freundlich aufgenommen wird, wenn<br />
andere Mitglieder ähnliche Erfahrungen gemacht haben sollten, dann sollten wir uns heute<br />
dazu äußern und dazu auch Beschlüsse fassen, ich glaube, das ist ganz wichtig. Danke.<br />
Thomas Krüger.<br />
Erstens zur wichtigen Gewerkschaftsfrage. Ich denke, wir müssen, was das Streikrecht<br />
betrifft, unterscheiden zwischen den ökonomischen und den politischen Belangen. Die<br />
Werktätigen spüren das selber ganz genau, daß die derzeitigen politischen Probleme nicht mit<br />
einem Streik zu lösen sind und gehen deshalb nach der Arbeit oder am Wochenende auf die<br />
Straße und stimmen mit den Füßen ab.<br />
Ein anderer Gesichtspunkt: Ich denke, hierzu sollten wir uns auf die Streikfrage<br />
konzeptionelle Überlegungen machen und die auch mit den Werktätigen selber diskutieren.<br />
Mein zweites Anliegen betraf die Arbeitsgruppe Frauen. Ich bin also durch<strong>aus</strong> dafür, bestehe<br />
dann aber darauf, daß es auch eine Arbeitsgruppe Männer gibt. Danke.<br />
Gerd Weis:<br />
Ich wollte nur sagen, daß eine Zeitung gemacht werden muß, damit solche Diskussionen, wie<br />
sie hier <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> Stehgreif gemacht werden mit Überlegung unter die Mitglieder gebracht<br />
werden kann.<br />
Peter Mulnke:<br />
Mein Name ist Peter Mulnke, ich komme <strong>aus</strong> der Ortsgruppe Pankow. Ich habe mich<br />
entschlossen, in der Arbeitsgruppe Europäische Sicherheit / Deutschland mitzuwirken, weil<br />
mir diese Probleme seit Jahren, möchte ich sagen, dringend unterm Nagel brennen. Die SED<br />
sagt, es gibt keine offene deutsche Frage. Ich bin der Auffassung, und jetzt mehr den je, sie ist<br />
offen, so offen wie noch nie. Über hundertt<strong>aus</strong>end Bürger haben unsere Republik verlassen,<br />
und wir müssen uns überlegen, wie wir schnellstens Perspektiven aufzeigen für die beiden<br />
deutschen Staaten, wie es weiter gehen soll. Ich schließe da auch die Partnerpartei <strong>SPD</strong> mit<br />
ein, daß wir auch von drüben eventuell mit Antworten kriegen, und daß wir hier gemeinsam<br />
vielleicht irgendwelche Konzeptionen erarbeiten können. Ziel muß sein, daß die Bürger hier<br />
bleiben. Und ich habe große Befürchtungen, wenn wir uns nicht bald etwas ein-fallen lassen,<br />
sitzen hier in ein paar Monaten noch viel weniger. Und das wäre schade drum.
22<br />
Torsten Hilse:<br />
Torsten Hilse, Pankow. Ich möchte ganz kurz zu der Zahl der vorgestellten Arbeitsgruppen<br />
etwas sagen. Wir können hier nicht inhaltlich diskutieren. Die Zeit und der Rahmen dafür ist<br />
nicht vorhanden. Wer auch immer eine Lücke jetzt spürt, der möge sich irgendwo<br />
einschreiben in einer Gruppe, die ihm am nächstliegendsten scheint, und je mehr es sind, und<br />
je mehr sachkompetente Mitarbeiter in einer Gruppe sind, desto schneller kann die Gruppe<br />
wieder zerfallen in Untergruppen und flächendeckend werden. Sollte wirklich eine Lücke sein<br />
- eine ganz große, dann bitte schreiben Sie Ihren Namen hin und stellen sich als eigene<br />
Gruppe vor, das ist das allereinfachste. Danke.<br />
Anne-Katrin Pauk:<br />
Ganz kurz zur Arbeitsgruppe Frauen: Wenn es Probleme der Frauen gibt, dann können die<br />
Frauen sich in dieser Hinsicht selbst artikulieren und diese Gruppe bilden. Zweitens zu den<br />
Medien: In die Reihe solcher Wörter wie Chauvinismus, Nationalismus usw. heutzutage darf<br />
in der DDR niemand in dieser Reihe das Wort Stalinismus vergessen. Als nächstes: Ich<br />
glaube, Informationspolitik kann in der SDP durch jedes Mitglied selbst betrieben werden.<br />
Statute liegen hier massenhaft <strong>aus</strong>, Gespräche allenthalben sind möglich. Ich habe gestern<br />
festgestellt, daß z.B. die Studenten der Filmhochschule, die zukünftigen Leute, die an der<br />
Spitze der Medien überall stehen werden, so die Situation noch eine Weile so bleibt, wie sie<br />
jetzt ist, wissen nichts über die SDP. Ich wurde gefragt, ob die SDP noch immer ein Verein<br />
von 48 oder 49 Mitgliedern sei. Da kann man sicherlich eingreifen und sich vielleicht mal an<br />
diese Filmhochschule wenden. Das Problem der Gewerkschaften, das ich vorhin<br />
angesprochen hatte. Ich glaube, es kann niemand eine soziale Marktwirtschaft verantworten,<br />
wenn es keine Gewerkschaften gibt, wenn es keine unabhängigen freien Gewerkschaften gibt.<br />
Dazu muß es ein Streikrecht geben, d.h. nicht, daß das die Vernunft der<br />
Gewerkschaftsmitglieder <strong>aus</strong>schließt einzusehen, daß ein Streik zu einem gewissen Zeitpunkt<br />
nur Schaden bringt. Das Recht muß vorhanden sein. Das ist eine <strong>dem</strong>okratische<br />
Vor<strong>aus</strong>setzung. Zur aktuellen Situation: Gestern auf dieser Demonstration war Heiner Müller<br />
der einzige, der diesen unabhängigen Gewerkschaften Gehör verschafft hat. Ich halte das für<br />
symptomatisch für die Situation, die derzeit besteht, in den Medien hüben wie drüben ist<br />
dieser Aufruf zur Gründung einer unabhängigen Gewerkschaft sehr schnell untergegangen.<br />
Das wird verschiedene Gründe haben auf dieser Seite und auf der anderen Seite. Wenn es<br />
perspektivisch solche Sachen wie Joint venture hier in der DDR geben wird, aufgrund der<br />
katastrophalen Situation in der Wirtschaft, dann wird es sicherlich auch für mögliche<br />
Investoren sehr günstig sein, eine Belegschaft zu haben, die zehn Tage weniger Urlaub hat als<br />
es z.B. in der BRD der Fall ist. Das ist eine günstige Möglichkeit der Kapitalverwertung. Wir<br />
müssen gegen dieses Interesse rechtzeitig vorgehen. Deshalb unsere Informationspolitik<br />
daraufhin, und das auch als Anregung für die Redaktionskommission, die heute arbeitet,<br />
deutlich die Unterstützung der SDP für diese unabhängigen Gewerkschaften her<strong>aus</strong>arbeiten.<br />
So, ich will jetzt nicht die Zeit weiter stehlen.<br />
Christa Sammler:<br />
Christa Sammler, Bildhauerin. Ich möchte zum Verfall der Städte kurz sagen, daß<br />
Altstadtsanierung, Stadt und Umfeld nicht <strong>aus</strong>schließlich ein Problem der<br />
Kommunalwirtschaft ist, sondern daß es in Ökologie und Geschichte geradezu eng übergreift<br />
und das sollte berücksichtigt werden, dieses Spartendenken bringt da eine Abgrenzung mit<br />
sich, die ich für etwas problematisch halte.
23<br />
Alexander Wiesemann:<br />
Ich heiße Alexander Wiesemann, Chemiearbeiter. Ich bin dafür, die beiden<br />
Arbeitsgemeinschaften "Ökologie und Ökonomie" und Wirtschaft nicht zusammen zu legen<br />
auf Grund der Bandbreite. Der thematischen Verflechtung der beiden kann man durch eine<br />
engere Zusammenarbeit gerecht werden. Und ich bin weiterhin dafür, eine<br />
Arbeitsgemeinschaft Wissenschaft und Philosophie zu gründen, die sich mit<br />
Wissenschaftspolitik und mit all-gemeinen gesellschaftlichen und weltanschaulichen<br />
Problemen <strong>aus</strong>einandersetzt.<br />
Stephan Hilsberg:<br />
Es sind in der P<strong>aus</strong>e einige Leute zu mir gekommen. Und es zeigte sich, daß es zu einigen<br />
Punkten Mißverständnisse gab. Wir haben große Schwierigkeiten, die Informationen in der<br />
Partei durchzugeben. Das liegt an der Öffentlichkeit vor allen Dingen. Wir haben jetzt in der<br />
letzten Woche die erste Zeitung gemacht. Das wird eine Möglichkeit sein, dieses<br />
Informationsdefizit etwas aufzuholen, völlig aufholen werden wir das nicht können. Wir<br />
müssen daran arbeiten. Auch das ist ein wesentlicher Grund, daß wir zu inneren Strukturen<br />
kommen müssen, um die Frage der Information schneller angehen zu können.<br />
Aber jetzt möchte ich zu einigen Punkten etwas ganz deutlich sagen. Erstens, was die<br />
Wiedervereinigung betrifft. Die SDP ist derzeit, darüber kann man diskutieren, aber derzeit<br />
nicht der Meinung, daß wir eine Wiedervereinigung anstreben, die die Angliederung der DDR<br />
an die Bundesrepublik bedeutet, das steht nicht zur Debatte. Wiedervereinigung ist, wenn<br />
überhaupt, nur im Rahmen einer gemeinsamen Europäischen Friedensordnung möglich, und<br />
dann eventuell als Konföderation oder solche Sachen. Darüber kann man später diskutieren.<br />
Z.Z. müssen wir darauf halten, daß wir die konsequente Zweistaatlichkeit Deutschlands<br />
wahren. Das ist die Bedingung dafür. Dementsprechend sieht unser Verhältnis zur <strong>SPD</strong> <strong>aus</strong>.<br />
Wir sind oder wir werden Mitglied der Sozialistischen Internationale sein, insofern haben wir<br />
Beziehungen zu allen sozial<strong>dem</strong>okratischen Parteien, die existieren, also auch zur <strong>SPD</strong>.<br />
Unsere Beziehungen werden nicht die sein, daß wir in eine Rechtsnachfolge der ehemaligen<br />
Ostberliner <strong>SPD</strong> eintreten, was ich schon erläutert hatte, sondern wir haben gleichberechtigte<br />
Beziehungen zu ihnen, wir werden Kontakte aufbauen, von der <strong>SPD</strong> sind Wünsche an uns<br />
herangetragen worden. Dialog kann nie schaden, man kann nur voneinander lernen. Das sind<br />
die Grundlagen unserer Beziehungen zur <strong>SPD</strong>.<br />
Der nächste Punkt betrifft die Frage des Verhaltens, was wir jetzt als Forderungskatalog<br />
anstreben. Wir sind sehr glücklich gewesen, wir haben in der letzten Woche gemeinsam mit<br />
den Bürgerbewegungen Demokratie Jetzt, des Demokratischen Aufbruchs, <strong>dem</strong> Grünen<br />
Netzwerk Arche, der Initiative für Frieden und Menschenrechte, der Initiativgruppe der<br />
Vereinigten Linken <strong>Berlin</strong>s, des Neuen Forums und uns natürlich eine gemeinsame Erklärung<br />
verabschiedet, die das ziemlich genau faßt, und zwar nicht nur für uns alleine, sondern im<br />
Schulterschluß mit sämtlichen oppositionellen Gruppen, die es zur Zeit in der DDR gibt, die<br />
lautet:<br />
"Für eine <strong>dem</strong>okratische Umgestaltung von Staat und Gesellschaft in der DDR fordern wir<br />
eine Verfassungsreform, die eine <strong>dem</strong>okratische Willensbildung ohne festgeschriebene<br />
Führungsrolle der SED ermöglicht, freie und geheime Wahlen auf der Grundlage eines<br />
<strong>dem</strong>okratischen Wahlrechts, und für alle <strong>dem</strong>okratischen Kräfte fordern wir, Versammlungsund<br />
Vereinigungsfreiheit, Pressefreiheit, einschließlich der Zulassung unabhängiger<br />
Zeitungen und gleichberechtigten Zugang zu den elektronischen Medien. Wir bitten die<br />
Bürgerinnen und Bürger der DDR, diese Forderungen mit eigenen Beiträgen und Aktionen zu<br />
unterstützen."<br />
Es ist für uns besonders wertvoll, daß das eine gemeinsame Erklärung ist, weil immer wieder
24<br />
der Vorwurf kommt: Warum diese Vielfalt? Und wir können an diesen Sachen<br />
dokumentieren, daß trotz der Vielfalt, die ich für notwendig halte, ein grundsätzlicher<br />
<strong>dem</strong>okratischer Grundkonsens besteht, der zeigt, daß trotz aller Vielfalt gemeinsame<br />
politische Ziele für die Jetztzeit möglich sind.<br />
Wir sind noch aufgefordert worden, Stellung zu nehmen zum Volksentscheidantrag der<br />
Initiative Demokratie Jetzt. Wir unterstützen diesen Volksentscheid eindeutig. Es müßte noch<br />
überlegt werden, oder vielleicht kann man das einfach machen, es ist ja im Grunde genommen<br />
eine Formfrage, eigene Formblätter dafür <strong>aus</strong>zulegen und Unterschriften zu sammeln.<br />
Grundsätzlich bedeutet das, alle Mitglieder werden aufgefordert, sich daran zu beteiligen, sie<br />
werden aufgefordert, Unterschriften einzuholen, und wir nehmen die Unterschriften, die<br />
schon entstanden sind auf Listen entgegen und leiten sie an die entsprechenden Initiatoren<br />
weiter. Danke.<br />
Stefan Finger:<br />
Wir kommen jetzt zum nächsten Punkt. Konrad Elmer wird einiges sagen zur Strukturierung -<br />
Vorstellungen zum Strukturaufbau des Bezirksverbandes <strong>Berlin</strong>. Im Anschluß gibt es dazu<br />
eine Diskussion. Wenn möglich, dann sollte es von dieser Gründungsversammlung einen<br />
Beschluß dazu geben.<br />
Jörg Hildebrandt:<br />
Jörg Hildebrandt, zugleich Mitglied von Demokratie Jetzt. Ich stelle die Frage, es war für<br />
einen späteren Zeitpunkt vorgesehen, daß sich die Formulierung des Aufrufs zum<br />
Volksentscheid verlese, ob das an dieser Stelle jetzt geschehen soll, weil es thematisch<br />
angesprochen wurde, oder erst, wenn das kurze Grußwort von Demokratie Jetzt erfolgt.<br />
Jörg Hildebrandt verliest den Aufruf zu einem Volksentscheid:<br />
„Die Zeit ist da, das Volk soll entscheiden, wir brauchen Demokratie für unser Land, jetzt.<br />
Wir fragen, gibt es für den Führungsanspruch der SED, auf den Egon Krenz schon wenige<br />
Minuten nach seiner Wahl zum Staatsratsvorsitzenden verwies, gibt es für diesen<br />
Führungsanspruch einen klaren Auftrag der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes? Wir<br />
meinen, Sozialismus sollte auf <strong>dem</strong> Mehrheitswillen der Bürger und Bürgerinnen und nicht<br />
auf der festgeschriebenen Führungsrolle der SED beruhen. Sozialismus hört mit <strong>dem</strong> Ende<br />
solcher Vorherrschaft nicht auf, er fängt mit lebendiger Demokratie erst richtig an. Wir<br />
fordern, <strong>dem</strong>okratische Willensbildung ohne festgeschriebene Führungsrolle der SED.<br />
Entweder SED führt an oder wer es am besten kann.”<br />
Stefan Finger:<br />
Ich würde vorschlagen, daß wir mit den Grußworten gleich fortfahren...<br />
Jörg Bandmann:<br />
Ich hätte sonst gesagt: Genossinnen und Genossen, ich hab gehört, das ist unter Euch noch<br />
umstritten. Ich heiße Jörg Bandmann, ich bin Sozial<strong>dem</strong>okrat <strong>aus</strong> <strong>Berlin</strong>-Tiergarten. Ich<br />
möchte vorab betonen, ich bin hier als Gast, ich fühle mich hier als Gast und mit Interesse<br />
beobachte ich das, was heute stattfindet auch mit Solidarität, mit Gefühlen von Freude. Ich<br />
bin nicht beauftragt, hier eine offizielle Grußadresse an Euch weiterzugeben, aber ich denke,<br />
ein persönliches Grußwort von unserem Landesvorsitzenden Walter Momper, vom Regierenden<br />
Bürgermeister von <strong>Berlin</strong>-West kann ich hier ruhig wiederholen, das er auf unserem<br />
Landesparteitag in diesem Monat gesagt hat. Er hat gesagt, uns bewegt natürlich das, was hier
25<br />
in <strong>Berlin</strong> passiert, uns bewegen die Aktivitäten, die Menschen, die hier frei ihre Meinung<br />
sagen. Und es erfreut uns mit ganz besonderer Freude, daß Sozial<strong>dem</strong>okratinnen und<br />
Sozial<strong>dem</strong>okraten auch in <strong>Berlin</strong>, auch hier im Stadtbezirk Mitte sich formieren, und es ist<br />
eine große Freude, daß es hier wieder eine sozial<strong>dem</strong>okratische Partei gibt, und daß ich die<br />
Ehre hab, hier an der Gründungsversammlung der Sozial<strong>dem</strong>okratischen Partei in <strong>Berlin</strong> in<br />
der Deutschen Demokratischen Republik teilzunehmen. Ich denke, es ist hier schon<br />
wiederholt gesagt worden, es kann auch <strong>aus</strong> unserer Sicht weiß Gott nicht darum gehen, die<br />
Tradition der Sozial<strong>dem</strong>okratischen Partei, die es ja bis 1961 auch in den östlichen<br />
Stadtbezirken gab, hier fortzusetzen, oder Euch unsere Hilfe aufzudrängen. Ihr müßt Euren<br />
Weg ganz alleine finden. Wir wollen uns nicht einmischen. Wir können uns hohe Solidarität<br />
vorstellen, menschliche Solidarität, politische Solidarität, gen<strong>aus</strong>o wie Solidarität mit allen<br />
kämpfenden Demokraten und Sozial<strong>dem</strong>okraten, ob in Nikaragua, in Ungarn oder ob in<br />
anderen Ländern Europas uns vorstellen können. Natürlich ist das Verhältnis trotz<strong>dem</strong> ein<br />
bißchen ein anderes, allein durch die räumliche Nähe. Michael Gorbatschow hat vor wenigen<br />
Tagen am 7. Oktober gesagt im Palast der Republik hier in <strong>Berlin</strong>:" Die Veränderung, die sich<br />
hier in der DDR vollziehen werden, werden nicht in Moskau entschieden, sondern sie werden<br />
in <strong>Berlin</strong> entschieden". Und ein bißchen betrifft uns das in <strong>Berlin</strong>-West natürlich auch. Ich<br />
denke auch, daß es Euch vielleicht interessiert, daß wir uns darüber Gedanken machen über<br />
unser Verhältnis auf der einen Seite zur SED, was durch die Existenz einer neuen<br />
Sozial<strong>dem</strong>okratischen Partei hier in <strong>Berlin</strong> natürlich ein anderes ist. Ich habe Ibrahim Böhme<br />
vorhin erzählt und berichtet, daß wir am 20. November in einem Bezirksrath<strong>aus</strong> in <strong>Berlin</strong>-<br />
West in Tiergarten eine Diskussion haben unter Sozial<strong>dem</strong>okraten, was es für uns bedeutet,<br />
daß es ein neues Verhältnis gibt zur SED durch die Existenz, durch die Gründung der SDP,<br />
die wir sehr begrüßen, und ich würde mich sehr freuen, wenn Ibrahim Böhme oder ein<br />
anderer Vertreter Eurer sozial<strong>dem</strong>okratischen Partei hier in der DDR an dieser Diskussion<br />
teilnehmen könnte. Ich denke, eine entsprechende Einladung werden wir nächste Woche an<br />
Euch schicken. Es wäre schön, wenn bereits jetzt die Möglichkeit zum Dialog auch nach<br />
<strong>Berlin</strong>-West bestehen würde. Ich denke weiter, wenn es eine starke sozial<strong>dem</strong>okratische<br />
Partei hier in <strong>Berlin</strong> in der DDR geben wird, vielleicht können wir die Fahne der <strong>SPD</strong> von<br />
<strong>Berlin</strong> Pankow, die heute das Eingangsgebäude des Landesverbandes der <strong>SPD</strong> in <strong>Berlin</strong> in der<br />
Müllerstraße immer noch schmückt, vielleicht können wir sie Euch bald stolz zurückgeben in<br />
Eure Hände, damit ihr Eure eigene Tradition fortsetzt. Wir selbst sind sehr froh, daß in dieser<br />
Zeit des politischen Wandels hier in Europa, wir in <strong>Berlin</strong>-West seit <strong>dem</strong> Januar im<br />
Schöneberger Rath<strong>aus</strong> die Christ<strong>dem</strong>okratische Union und die anderen ewig Gestrigen in der<br />
Regierung abgelöst haben und daß Sozial<strong>dem</strong>okraten in <strong>Berlin</strong>-West die Regierung stellen<br />
und bestimmen. Meine Hoffnung ist, daß im nächsten Januar oder im Januar darauf<br />
Sozial<strong>dem</strong>okraten auch ins Rote Rath<strong>aus</strong> einziehen. Ich grüße Euch herzlich.<br />
Lorenz:<br />
Mein Name ist Lorenz, ich bin nicht Mitglied der SDP. Ich war bis vor drei Jahren noch<br />
Mitglied der SED. Damals bin ich <strong>aus</strong>getreten, weil ich es für nicht mehr akzeptabel hielt, daß<br />
nach den Lehren von 1968 die durch Gorbatschow <strong>aus</strong>gelöste Bewegung einer<br />
Demokratisierung des Sozialismus weiterhin blockiert wird. Ich halte die pluralistische<br />
Demokratie für die Existenzform des Sozialismus, die die historische Mission des<br />
Gesamtarbeiters und nicht nur der Arbeiterklasse erfüllt. Aus diesem Grunde versuche ich, sie<br />
auch zu unterstützen. Es hat sich ein Zufall ergeben, ein ganz verblüffender Zufall, der mich<br />
vor dieses Mikrofon führt. Ich habe führende Genossen, unter anderem Gunar Stenvar von der<br />
Schwedischen Sozialistischen Arbeiterpartei getroffen anläßlich einer Verwandtenreise, und<br />
wir kamen in ein Gespräch. Und er zeigte sich <strong>aus</strong>gesprochen interessiert über die<br />
Entwicklung in der
26<br />
DDR. Die Sozial<strong>dem</strong>okraten, und nicht nur die Sozial<strong>dem</strong>okraten Schwedens, sehen mit<br />
großer Aufmerksamkeit und mit Hoffnung das Entstehen einer sozial<strong>dem</strong>okratischen<br />
Bewegung in ganz Osteuropa. Das ist zum einen Ausdruck von Pluralismus für die<br />
schwedischen Sozial<strong>dem</strong>okraten als Kehrseite einer funktionierenden und funktionsfähigen<br />
Demokratie. Demokratische Formen der Führung einer Gesellschaft sehen sie auf der anderen<br />
Seite als die sicherste Form einer Friedensgarantie. Einen Krieg zwischen <strong>dem</strong>okratisch<br />
regierten Staaten hat es nach ihren historischen Beobachtungen in der Weltgeschichte nicht<br />
gegeben. Somit ist die Entstehung der Sozial<strong>dem</strong>okratie auch als Ausdruck eines Prozesses<br />
friedenssichernder politischer Strukturen zu betrachten, zum anderen sehen sie ihn auch als<br />
ein Anknüpfen an die deutsche sozial<strong>dem</strong>okratische Tradition, und sie haben mich gebeten,<br />
den Sozial<strong>dem</strong>okraten der DDR die herzlichsten Grüße zu übermitteln, auch anläßlich dieser<br />
Gründungsversammlung und wünschen Erfolg und Gedeihen an alle Genossen, wie sie gesagt<br />
haben. Das wäre es, was ich zu sagen habe, des weiteren haben sie Angebote zu informeller<br />
und anderer Kooperation, die in keiner Weise mit Einmischung verbunden sein soll,<br />
angeboten.<br />
Stefan Finger: Gibt es noch weitere Grußworte? Dann Konrad Elmer.<br />
Konrad Eimer: Es wurde gesagt: Die Strukturen vom <strong>Berlin</strong>er Verband, den wir hier gründen<br />
wollen ... Ich muß es zunächst noch ein bißchen erweitern. Wir haben die Strukturdiskussion<br />
in Schwante ja leider <strong>aus</strong> Zeitgründen nicht durchführen können. Deswegen ist alles, was auf<br />
der zweiten Seite des Statuts steht, zunächst nur ein Vorschlag, aber ein doch gewichtiger<br />
Vorschlag. Es wäre gut, wenn für die Verhandlung jeder dies vor sich hätte. Vielleicht bitte<br />
ich mal dort hinten die, die schon aufgestanden sind, noch Exemplare zu holen, für die, die<br />
noch kein Statut vor sich liegen haben. Strukturfragen sind abstrakt und quälend hier am<br />
Anfang, aber sie sind entscheidend. Strukturfragen sind Machtfragen. Das haben uns ja auch<br />
die Reden gestern auf <strong>dem</strong> Alex noch einmal deutlich vor Augen geführt. Deswegen ist es ein<br />
sehr gewichtiger Punkt, den wir hier verhandeln, und wir sollten uns mal eine Stunde lang<br />
nicht unter Zeitdruck setzen lassen. Es wäre wichtig, daß wir zu einem wirklichen Beschluß<br />
kommen. Einmal, weil wir eine wirkliche Struktur für unseren Verband brauchen, und<br />
zweitens, weil es auch für den Vorstand selbst interessant ist, wie sich die Bezirksverbände in<br />
Strukturfragen entscheiden, damit wir dann den ersten Landesparteitag entsprechend solchen<br />
schon auf den Bezirksparteitagen gefaßten Beschlüssen vorbereiten können. Welchen<br />
Geltungsbereich hätte unser Beschluß? Natürlich nur für den Bezirk <strong>Berlin</strong>. Nur für die, die<br />
daran mitwirken. Aber 'es wäre ja durch<strong>aus</strong> ein sehr basis<strong>dem</strong>okratischer Beschluß, weil alle,<br />
die bisher Mitglied sind, bis auf die, die die Information nicht erreicht hat, was es sicher auch<br />
gegeben haben wird - leider -, hier anwesend sind.<br />
Was sind die Grundsätze dieser Struktur, die hier vorgeschlagen wurde von einer<br />
Arbeitsgruppe? Es ist eine repräsentative Demokratie. Der Grundsatz ist, daß nicht an allen<br />
Entscheidungen immer alle mitwirken können. Das ist nun einfach einmal eine praktische<br />
Frage. Es soll also durch<strong>aus</strong> zu Delegierungen kommen und zu leitenden Gremien, so wie wir<br />
ja heute auch ein solches wählen. Aber, das ist das, worauf Sie heute Ihr Augenmerk richten<br />
möchten, ob man das vielleicht noch besser machen kann. Wir wollen eine Struktur, in der ein<br />
für allemal abgesichert ist, daß sich die leitenden Gremien nicht abheben können, sowie wir<br />
das bei der SED ja jahrelang beobachten konnten und mußten. Sind genügend Sicherungen<br />
dagegen eingebaut? Das wäre die eine wichtige Frage. Um das nun praktisch werden zu<br />
lassen, haben wir gewissermaßen zwei Säulen in dieser Struktur. Einmal, eine<br />
Parteitags<strong>dem</strong>okratie und eine innerparteiliche Rätestruktur. Ich habe dazu etwas aufgemalt,<br />
das muß ich jetzt schnell noch holen. Es ist natürlich viel zu klein für diesen Raum. Oder es<br />
halten
27<br />
jetzt einfach mal Zwei, damit man hier beginnen kann. Auf der rechten Seite von mir ist also<br />
die Parteitagsebene rot gezeichnet und links sozusagen die Rätestruktur grün, die wie Sie<br />
sehen, vernetzt ist.<br />
Wie soll es funktionieren? Unten den Basisgruppen, von denen gewissermaßen alle Macht<br />
<strong>aus</strong>geht. Diese sollen Gesprächsfähigkeit behalten, also doch der Rätestruktur entsprechen.<br />
Diese wählen einmal zwei Vertreter in einen zusammenfassenden Rat. Also, sagen wir sieben<br />
Basisgruppen wählen dann 14 Leute, und das ist wieder so ein gesprächsfähiges Gremium,<br />
meinetwegen auf Kreisebene zunächst, später, wenn wir mehr werden, muß man<br />
wahrscheinlich noch eine Zwischenebene einschalten. Die wählen wieder die nächsthöhere<br />
Ebene, die Bezirksebene, und von dort den Landesparteirat. Aber hier haben wir ja die<br />
Erfahrung, daß es da gewissermaßen Verselbständigungseffekte geben könnte. Nicht wahr,<br />
das ZK wählt das Politbüro und niemand an der Basis hat eine Mitsprachemöglichkeit,<br />
deswegen ist nun die Parteitagsebene parallel geschaltet. Wo all diese Kandidaten, die von<br />
unten nach oben gewählt werden in dieser Rätestruktur noch einmal zur Wahl stehen sollen<br />
und durch weitere Kandidaten, die der Parteitag oder die Vollversammlung, wollen wir das<br />
auf Ortsebene bescheidenerweise nennen, noch hinzufügen kann. Und dann wird gewählt.<br />
Und die Wahl ist ein bißchen kompliziert, weil hier ja nun auch die Rätestruktur nicht einfach<br />
wieder verschwinden soll. Deswegen heißt es, und dazu sehen Sie sich mal den Paragraphen<br />
16 an: Die <strong>aus</strong> diesen Delegierten sich zusammensetzenden Leitungsgremien, also in<strong>dem</strong> <strong>aus</strong><br />
dieser Rätestruktur immer zwei Delegierte werden gewählt, werden auf den jeweiligen<br />
Parteitagen durch weitere Kandidaten entsprechend den unterschiedlichen Mitgliederzahlen<br />
[ergänzt], ein Rat kann ja nur 20 Leute haben, der andere bloß 10, da kann man einen<br />
Ausgleich schaffen. Durch solche weiteren Kandidaten werden sie also ergänzt und<br />
gemeinsam zur Wahl gestellt. Dabei muß im neu gewählten Rat <strong>aus</strong> jeder delegierenden<br />
Gruppe wenigstens ein Delegierter vertreten sein. Das ist ja schon wegen <strong>dem</strong><br />
Informationsfluß wichtig. Dar<strong>aus</strong> ergibt sich folgende Wahlstruktur, die ein bißchen<br />
kompliziert ist: Gewählt ist dann also der Kandidat der delegierenden Gruppe, der die meisten<br />
Stimmen auf sich vereinigen konnte, also der mehr hat als ein Zweiter, der ja mit dahin<br />
delegiert wurde, sowie, unabhängig von der Gruppenzugehörigkeit, die Kandidaten mit den<br />
meisten Stimmen bis zur vom Parteitag bestimmten Vollzähligkeit der Leitungsgruppe. Ich<br />
möchte hier gleich zwei Präzisierungen einfügen. Dann wird es vielleicht noch etwas<br />
verständlicher, wenn Sie das mal als einen Antrag von mir sehen und erst mal mit einfügen.<br />
Ob wir's nachher beschließen, liegt ja an Ihnen. Ich würde hinter den letzten Satz: "Gewählt<br />
ist dann also der Kandidat...", dann noch "einer jeden delegierenden Gruppe" [einfügen], dann<br />
wird es in meinen Ohren noch etwas deutlicher, ich weiß nicht, ob auch in Ihren. "... der die<br />
meisten Stimmen auf sich vereinen konnte, sowie unabhängig von der Gruppenzugehörigkeit,<br />
die" - und jetzt würde ich hinter das "die" noch ein "weiteren" einfügen - "die weiteren<br />
Kandidaten" mit den meisten Stimmen bis zur vom Parteitag bestimmten Vollzähligkeit"....<br />
Konrad Elmer erläutert im folgenden die einzelnen Paragraphen des Statutenentwurfs, danach<br />
schließt sich noch einmal eine längere Diskussion über einzelne Fragen des Statuts an. Es<br />
kommt zu <strong>dem</strong> Antrag, die Diskussion abzubrechen, um aufgrund der vorgeschrittenen Zeit<br />
die Gründung der SDP in <strong>Berlin</strong> zu vollziehen und anschließend auch noch die Wahlen für<br />
den Bezirksparteirat (Vorstand) durchzuführen. Der Antrag wird angenommen.<br />
Stefan Finger:<br />
Ich denke, wir kommen jetzt zu <strong>dem</strong> Teil, der an sich der Wichtigste ist - zum Gründungsakt.
28<br />
Verlesen der Gründungsurkunde:<br />
„Gründungsurkunde des Bezirksverbandes <strong>Berlin</strong> der Sozial<strong>dem</strong>okratischen Partei in der<br />
DDR<br />
Hiermit gründen die Unterzeichnenden den Bezirksverband <strong>Berlin</strong> der Sozial<strong>dem</strong>okratischen<br />
Partei in der Deutschen Demokratischen Republik. Sie erklären ihre Übereinstimmung mit<br />
den im Statut verankerten Grundsätzen einer ökologisch orientierten sozialen Demokratie. Die<br />
Mitglieder des Bezirksverbandes <strong>Berlin</strong> suchen die Zusammenarbeit mit allen <strong>dem</strong>okratischen<br />
Initiativen, Gruppen, Parteien und Personen, ungeachtet ihrer weltanschaulichen und sozialen<br />
Bindung. Angesichts des sich seit <strong>dem</strong> 7. Oktober stark entwickelnden politischen<br />
Bewußtseins der Bürgerinnen und Bürger, sowie der wachsenden Mitgliederzahl der SDP,<br />
halten wir es für erforderlich, die Gründung des <strong>Berlin</strong>er Bezirksverbandes jetzt zu<br />
vollziehen. Der Fortgang der Diskussion über die vorgelegten Grundsätze bestärkt uns in der<br />
Überzeugung, mit inhaltlichen und strukturellen Verbindlichkeiten einer<br />
Sozial<strong>dem</strong>okratischen Partei an der <strong>dem</strong>okratischen Erneuerung unseres Landes mitzuwirken.<br />
<strong>Berlin</strong>, den 5. November 1989. Die Mitglieder der Gründungsversammlung.”<br />
Ich bitte um Wortmeldungen. Bitte.<br />
Udo Eisner:<br />
Ich möchte den Antrag machen, auf das Wort "soziale Demokratie" zu verzichten, und dafür<br />
einzusetzen "sozialistische Demokratie". Wir haben sicherlich mit diesem Wort "soziale<br />
Demokratie" Schwierigkeiten, viele Kreise der Bevölkerung und viele Kreise der Studentenund<br />
Arbeiterschaft zu gewinnen, wir sollten nicht vergessen, daß das Wort "Sozialismus"<br />
nach wie vor in der Tradition der Sozial<strong>dem</strong>okratischen Partei enthalten ist, und sollten das<br />
auch formulieren.<br />
Ibrahim Böhme:<br />
Ich bin ja nicht so ein großer Kenner der sozial<strong>dem</strong>okratischen Entwicklungsbewegung, aber<br />
ich muß dazu sagen, nicht nur weil das Wort "sozialistische Demokratie" sehr eng gebunden<br />
ist an den Begriff des <strong>dem</strong>okratischen Zentralismus in der DDR, den ich nicht mittragen kann,<br />
und an eine Verballhornisierung von Volksherrschaft, wie ich sie auch nicht tragen könnte,<br />
bin ich für die soziale Demokratie, zumindest kann man sagen <strong>aus</strong> der Tradition der deutschen<br />
Sozial<strong>dem</strong>okratie, daß die Parteitage von Erfurt 1891 und von 1905 in Jena eindeutig den<br />
Begriff der sozialen Demokratie als Umsetzung des Sozialismus benutzen.<br />
Stefan Finger:<br />
Uns liegt jetzt hier ein Antrag vor, über den jetzt abgestimmt werden muß. Wer dafür ist, daß<br />
wir statt "ökologisch orientierte soziale Demokratie" "ökologisch orientierte sozialistische<br />
Demokratie" setzen, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Gegenprobe. Enthaltungen.<br />
Damit bleibt es bei <strong>dem</strong> Begriff "ökologisch orientierte soziale Demokratie". Weitere<br />
Wortmeldungen. Das ist nicht der Fall. Damit möchte ich jetzt zum Gründungsakt kommen.<br />
Folgendes Verfahren: Ich bitte die Versammelten während des Verlesen der<br />
Gründungsurkunde, wenn ich das tue, das ist noch nicht gleich, sich von den Plätzen zu<br />
erheben. Ich denke, wir sollten diesen ganzen Teil wirklich würdig begehen. Ich frage jetzt<br />
nach <strong>dem</strong> Alter. Wer ist älter als 70? Es ist folgendes: Ich denke, wir sollten den Ältesten<br />
unter uns als ersten unterzeichnen lassen. Danach haben alle in der P<strong>aus</strong>e die Möglichkeit, die<br />
Gründungsurkunde zu unterschreiben. Ich bitte die Versammlung, sich von den Plätzen zu<br />
erheben.
29<br />
Der Vorschlag, beim Gründungsakt aufzustehen, findet erst nach einer kurzen Diskussion und<br />
mehreren Geschäftsordnungsanträgen Zustimmung. Danach wird die Gründungsurkunde<br />
erneut verlesen. Der älteste Gründer unterschreibt und hält danach eine kurze Ansprache:<br />
Walter Förster:<br />
Werte Freunde und Gäste ich bin glücklich, ich glaube, es ist ein ganz besonderer glücklicher<br />
Tag in meinem Leben. Ich bin 70 Jahre alt, und in der Weimarer Zeit habe ich schon das<br />
Kleid der roten Falken getragen. Und daß ich heute nochmal hier Mitglied werden kann der<br />
sozial<strong>dem</strong>okratischen Partei, das zeichnet mich durch Ihren Beifall ganz besonders <strong>aus</strong>. Ich<br />
danke schön.<br />
Konrad Eimer:<br />
Der Gründungsakt wird fortgeführt durch alle weiteren Unterschriften, die die Mitglieder jetzt<br />
leisten....<br />
Während einer längeren P<strong>aus</strong>e unterschreiben die meisten in der Kirche Anwesenden die<br />
Gründungsurkunde. Danach entspinnt sich eine Diskussion, ob der nun noch zu wählende<br />
Vorstand nur kommissarisch eingesetzt ist oder bis zum ersten Bezirksparteitag alle Rechte<br />
eines Vorstandes hat. Letztere Auffassung setzt sich durch.<br />
Stefan Finger:<br />
Ich möchte von vornherein noch was sagen: Wir haben extra diesen Passus eingesetzt, daß<br />
dieses Gremium [der Bezirksparteirat) eine begrenzte Amtszeit hat, damit wollten wir an sich<br />
dieser Diskussion <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> Wege gehen, ob kommissarisch oder nicht. Damit ist klar definiert,<br />
wie lange er wirksam ist und nicht auf Ewigkeiten nun dort fest steht. Zu dieser Frage: Wir<br />
haben auch darüber diskutiert, sind dann aber zu der Meinung gekommen, da nicht in allen<br />
Stadtbezirken schon Basisgruppen drin sind oder in anderen Stadtbezirken sind zwei<br />
Basisgruppen oder mehr, wäre es jetzt schwierig zu sagen, die einen Delegieren und die<br />
anderen nicht. Ich denke, der Weg wäre, falls es so ist, daß nicht alle Stadtbezirke vertreten<br />
sind in diesem Gremium, daß über die Kooptierung auf jeden Fall gewährleistet ist, daß alle<br />
Stadtbezirke vertreten sind. Ich denke, das ist natürlich wichtig, daß das gewährleistet ist.<br />
Wenn wir das anstreben, kann es passieren, daß Basisgruppen delegieren, und diese<br />
Delegierten kommen, dadurch, daß sie schon eine gewisse Zahl von Leuten hinter sich haben<br />
schnell durch und andere Stadtbezirke, die jetzt nicht über das Delegierungsprinzip hier ihre<br />
Kandidaten vorbringen, keine Chance haben.<br />
Dankward Brinksmeier:<br />
Also, ich finde das Humbug und unrealistisch, den Zwang, daß jede Gruppe und jeder<br />
Stadtbezirk dabei sein muß, wo die Gruppen sich noch nicht einmal kennen, ist Quatsch. Und<br />
zweitens ich bin der Meinung, daß jeder der bereit ist, in den Vorstand zu gehen und ungefähr<br />
eine Ahnung hat, was auf ihn zukommt, sowieso schon alle Achtung von mir <strong>aus</strong> hat.<br />
Stefan Finger:<br />
Ich stelle den Antrag jetzt zur Abstimmung. Wer dafür ist, daß sich die Basisgruppen jetzt<br />
nochmal kurz treffen und über den Delegierten beraten, wer dafür ist, daß dann die<br />
Kandidaten zur Verfügung stehen, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Gegenprobe.<br />
Enthaltungen. Ich stelle fest, der Antrag wurde nicht befürwortet.
30<br />
Konrad Eimer:<br />
Ich bitte die Wahlkommission nach vorn.<br />
Ich verlese jetzt die Vorschläge, die wir auf der Liste haben, und ich bitte jeden mit "ja" zu<br />
antworten, wenn er zur Verfügung steht.<br />
Carola Gabler ja<br />
Udo Eisner ja<br />
Alfons Schlappa ja<br />
Walter Förster a<br />
Gerhard Weis nein<br />
Dietrich Jakob ja<br />
Eva Kunz ja<br />
Christian Tscherpling ja<br />
Dankward Brinksmeier ja<br />
Franke nein<br />
Olaf Schurig ja<br />
Johannes Richter ja<br />
Torsten Hilse nein<br />
Fasbinder ja<br />
Tjark Völker ja<br />
Frank Bogisch nein<br />
Annekatrin Pauk ja<br />
Maja von Rooge ja<br />
Ulrich Schoppe ja<br />
Brücke nein<br />
Thomas Krüger ja<br />
Udo Mohn ja<br />
Herbert Hoffmann ja<br />
(Name unverständlich) ja<br />
Arne Grimm ja<br />
Eike Kl<strong>aus</strong> nein<br />
Günter Hans ja<br />
Joachim Görtz nein<br />
E. Kraft ja<br />
(Name unverständlich) ja<br />
Damit wäre die Liste durch, und wir kommen nun zur Vorstellung der Kandidaten. Ich bitte,<br />
jeweils nach vorn zu kommen und ein paar Dinge zu sich zu sagen.<br />
Carola Gabler:<br />
Ich heiße also Carola Gabler, bin 23 Jahre alt. Ich arbeite in der Evangelischen Kirche der<br />
Union und bin auch hier von der SDP Kontaktadresse im Prenzlauer Berg. Fragen?<br />
(Verheiratet?)<br />
Nein ledig, Kinder auch nicht.<br />
Udo Eisner:<br />
Mein Name ist Udo Eisner Ich bin 52 Jahre alt, verheiratet, 5 Kinder, davon sind nur noch
31<br />
zwei im H<strong>aus</strong>halt. Ich bin Diplomingenieur und z. Z. Direktor für Technik in einem <strong>Berlin</strong>er<br />
Betrieb.<br />
(Welchen politischen Organisationen gehören Sie an?)<br />
Ich habe bis zum 30. Oktober <strong>dem</strong> FDGB angehört.<br />
(In welchem Betrieb?)<br />
In <strong>dem</strong> Betrieb "VEB <strong>Berlin</strong>er Schokoladenfabrik Elfe" in <strong>Berlin</strong> - Weißensee in der Gustav<br />
Adolf Straße.<br />
Alfons Schlappa:<br />
Ich bin 37 Jahre alt, wohnhaft in Pankow, bin verheiratet, habe zwei Kinder, und ich bin<br />
Autodidakt in der Malerei / Graphik seit ungefähr 7 Jahren. Ich habe vorher ein Studium als<br />
Bauingenieur absolviert in Cottbus an der Ingenieurhochschule, habe knapp meine<br />
Absolventenbindung eingehalten, und habe diesen Beruf dann an den Nagel gehängt und<br />
artfremd gearbeitet.<br />
(Mitgliedschaften?)<br />
Während des Studiums, das bis 1978 währte, war ich noch Mitglied der FDJ, mehr oder<br />
weniger gezwungen. Solange ich voll gearbeitet habe als Projektant, das war bis 1980, war ich<br />
FDGB - Mitglied und seit<strong>dem</strong> bin ich bar jeder Gruppen oder Parteien gewesen bis heute.<br />
Walter Förster:<br />
Mein Name ist Walter Förster. Ich bin geboren am 2. 4. 1919. Ich komm' <strong>aus</strong> einer echten<br />
Arbeiterfamilie mit Funktionärstätigkeit in der Sozial<strong>dem</strong>okratischen Partei. Nach '45, dort<br />
mußte man ja an sich anfangen, das andere war ja nicht - in der Hitlerjugend war ich nicht,<br />
also von uns Geschwistern keiner, die einzigen im Ort bei uns zu H<strong>aus</strong>e Schwepnitz im<br />
Bezirk Dresden. Was kann ich noch sagen? Nach 1945, als ich <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> Krieg nach H<strong>aus</strong>e<br />
gekommen bin, habe ich mitgeholfen, die Freie Deutsche Jugend aufzubauen. Differenzen<br />
haben sich gleich eingefunden, weil mein Gedankengut ein anderes war, aber der Anfang<br />
bestand darin - entschuldigen Sie bitte, daß ich mal drei Worte sag - der Anfang bestand<br />
darin, eine Freie Deutsche Jugend mit aufzubauen und ich habe mir gesagt, zu den<br />
Kapitalisten kannst du nicht gehen, die dir als jungen Menschen eine Knarre umgehangen<br />
haben, haben gesagt renne los, erobere Europa und was sich dir in den Weg stellt, legst du<br />
um. Dahin kann ich nicht gehen, also ich muß hier bei der Arbeiterklasse meine Fähigkeiten<br />
und meine Kraft einsetzen, um etwas besseres entstehen zu lassen, daß ein Krieg nie wieder<br />
passieren darf, und das ist ja auch an unsere Fahne geheftet, hier in dieser neuen<br />
sozial<strong>dem</strong>okratischen Partei, daß so etwas nie wieder passieren darf. Ich muß sagen, ich bin<br />
kein gewähltes Mitglied im Zentralrat gewesen, obwohl mir bei der Gründung oder am<br />
Anfang nur 10 Mann waren, aber wir wurden von Anfang an gleich geteilt. Diese Freunde in<br />
der FDJ, die <strong>aus</strong> der Sozial<strong>dem</strong>okratie gekommen sind, darunter gehörte auch die Edith<br />
Baumann und bei ihr war ich, und die kommunistische Seite, die war im Zentralkomitee der<br />
KPD und SED in der Wallstraße. Und meine Differenzen, die gingen so weit, daß ich eben<br />
1951 r<strong>aus</strong>geflogen bin, ich hab Kulturarbeit da betrieben, habe einige Jahre keine Arbeit<br />
gekriegt, hatte ein fingiertes Arbeitsverhältnis bei einem Dr. Kemnitz in Pankow und nach<br />
diesen zwei, zweieinhalb Jahren hat sich das wieder ergeben, daß ich in den normalen<br />
Arbeitsprozeß einsteigen konnte, ich bin Funktechniker von Beruf, habe einen Sohn, der ist<br />
43 Jahre alt, und einen Enkelsohn mit 21.
32<br />
Dietrich Jackobs:<br />
So, der Name ist schon gesagt, ich sag's aber nochmal, Dietrich Jackobs. Von der Ausbildung<br />
her bin ich Ingenieurökonom Maschinenbau und Diplomökonom Mathematik -<br />
Datenverarbeitung. Praktisch gearbeitet habe ich über 20 Jahre in einem<br />
Maschinenbaubetrieb, mehr die Strecke Organisation in Verbindung mit Datenverarbeitung,<br />
bin dann <strong>aus</strong> gesundheitlichen Gründen <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> Beruf r<strong>aus</strong>, und bin seit<strong>dem</strong> frei tätig. Ich bin<br />
gesellschaftlich nirgends gebunden, habe zwei Kinder, und mein Ziel ist, daß ich meinen<br />
Kindern einen <strong>dem</strong>okratischen Pluralismus hinterlasse und dafür ein bißchen die Kraft gebe.<br />
Sind noch Fragen bitte?<br />
Eva Kunz:<br />
Ja, ich bin Eva Kunz. Ich bin 42 Jahre alt. Ich habe Psychologie und<br />
Bibliothekswissenschaften studiert, auch einige Jahre da gearbeitet und bin dann<br />
<strong>aus</strong>gestiegen, und bin dann H<strong>aus</strong>meisterin in der Französischen Kirche geworden. Ich hab<br />
zwei Kinder, die ich alleine groß gezogen habe. Ich bin eigentlich von meiner politischen<br />
Biographie her den Idealen von 1968 von den Prager Bewegungen verpflichtet gewesen und<br />
hab jetzt eigentlich so ein bißchen das Gefühl, daß man jetzt die uneingelösten Hoffnungen<br />
von damals vielleicht ein Stück verwirklichen kann und daran möchte ich, und dabei möchte<br />
ich unbedingt dabei sein.<br />
(Aus welchem Stadtbezirk?)<br />
Mitte.<br />
Christian Scherfling:<br />
Mein Name ist Christian Scherfling, ich bin 26 Jahre alt, bin als Buchhändler in einer <strong>Berlin</strong>er<br />
Buchhandlung tätig, lebe in wilder Ehe mit einer Frau zusammen, bin in keinen<br />
gesellschaftlichen Organisationen. Ich denke, daß die SDP die einzige Möglichkeit ist, hier<br />
was aktiv zu tun in diesem Land.<br />
Dankward Brinksmeier:<br />
Ich bin Dankward Brinksmeier, 32 Jahre alt, verheiratet, habe drei Kinder. Ich war bis<br />
September Jugendpfarrer in Aschersleben für den Kirchenkreis Aschersleben und bin seit<br />
September hier in <strong>Berlin</strong> Studentenpfarrer. Ich war freiwillig in der FDJ, ich glaube, auch ich<br />
habe kommunal einiges Sinnvolle tun können, war in der GOL-Leitung im Dresdener<br />
Kreuzchor, habe damals schon gewußt und heute noch deutlicher gemerkt, damit erreicht man<br />
nicht viel, heute will ich entscheidendes tun, in entscheidenden Zeiten, deswegen war ich, ich<br />
denke in der SDP so ziemlich von Anfang an dabei. Mitte.<br />
Thomas Schurig: Ich bin Thomas Schurig <strong>aus</strong> <strong>Berlin</strong> Müggelheim. Ich bin verheiratet, habe<br />
zwei Kinder, hab BMSR-Mechaniker gelernt, bin nach 15 Betriebsjahren <strong>aus</strong>gestiegen, bin<br />
jetzt H<strong>aus</strong>meister in einer Kinderkrippe und Küster bei der evangelischen Kirche. 34 Jahre.<br />
Uta Forstbauer: Mein Name ist Uta Forstbauer. Ich bin 39 Jahre alt, verheiratet, hab zwei<br />
Kinder und hab Bibliothekarin studiert und arbeite auch immer noch in diesem Beruf.<br />
Stadtbezirk Friedrichshain.<br />
(Mitgliedschaften?)<br />
Keine, außer jetzt SDP.
33<br />
Johannes Richter:<br />
Ja, mein Name ist Johannes Richter. Ich bin 23 Jahre alt, arbeite in einem<br />
Rationalisierungsmittelbau, der sich mit Alternativ-Energien beschäftigt, und engagiere mich,<br />
wie gesagt, hier in der SDP seit Schwante. Ich habe vorher keiner politischen Institution<br />
angehört oder keiner Vereinigung oder keiner Organisation, weder Pionieren noch FDJ.<br />
Meine politische Bildung erfolgte zum großen Teil durchs Elternh<strong>aus</strong> bzw. wurde dort<br />
gefördert, weil ich mich von klein an mit <strong>dem</strong> politischen Gegner <strong>aus</strong>einandersetzen mußte<br />
und wollte dann auch. Ich habe die Hoffnung hier in der DDR noch nicht aufgegeben, das ist<br />
auch einer der Gründe, warum ich das Land noch nicht verlassen habe, und denke, daß man<br />
durch aktive Einbringung seines Wissens und Vermögens wirklich noch was ändern kann.<br />
Daß es die Chance gibt, die reale Chance gibt, die Wirtschaft wieder anzukurbeln, daß es die<br />
reale Chance gibt, den Leuten ein gewisses Vertrauen zu geben, den Leuten wieder das<br />
Stimmrecht zuzuführen und sie von den Entmündigungen und Bevormundungen durch diesen<br />
Staat zu befreien. Und das habe ich mir selber zum Ziel gemacht. Ich will für einen<br />
<strong>dem</strong>okratischen Rechtsstaat kämpfen und stelle mich zur Wahl. Stadtbezirk Pankow.<br />
Tjark Völker:<br />
Also mein Name ist Tjark Völker, und um einer entsprechenden Rückfrage gleich mal<br />
vorzubeugen: Ich bin auch mit in der Redaktionsgruppe, die jetzt nebenan etwas mit vorbereitet.<br />
Dazu im Zusammenhang vielleicht eine ganz kleine Kritik. Die vier Leute, die von<br />
dort kandidieren, hätten sich vielleicht am Ende vorstellen können, dann hätten wir im<br />
Zusammenhang arbeiten können, gut. Ich bin 25 Jahre alt, also '64 geboren. Ich bin<br />
verheiratet, habe zwei Kinder, und bin seit einem Jahr, reichlich einem Jahr in <strong>Berlin</strong>. Ich<br />
arbeite in der Geschäftsstelle der Evangelischen Studentengemeinden, das hatte ich vorhin<br />
schon mal gesagt. Meine Frau studiert Musik. Ich hab, bevor ich hier in <strong>Berlin</strong> angefangen<br />
hab zu arbeiten, in Rostock drei Jahre Musik studiert, und ein Jahr als Kraftfahrer gearbeitet.<br />
Und ich möchte ab nächstes Jahr Theologie studieren, ob das klappt, weiß ich natürlich noch<br />
nicht. Ja, wie ich zur SDP gekommen bin? Interesse an politischen Engagement hatte ich<br />
eigentlich schon relativ lange, im Prinzip seit der Armeezeit, da hat dann irgendwas geklickt,<br />
daß das so an sich nicht weiter geht, wie das dort war, und wie ich das dort erfahren habe, und<br />
habe mich dann erst mal im Rahmen der Studentengemeinden politisch engagiert, und naja im<br />
Rahmen der ganzen Vorgänge der letzten Wochen und Monate, ganz besonders natürlich der<br />
Ausreisewelle ist mir klar geworden, daß wir noch viel, viel mehr tun müssen, als bisher<br />
überhaupt getan wurde, und da ich relativ gut bekannt mit Konrad Eimer bin, habe ich mich<br />
viel mit ihm darüber unterhalten. Ja, das war's eigentlich. Ich bin eigentlich Prenzlauer Berg,<br />
aber im Moment noch in der Gruppe von Mitte.<br />
Anne-Kathrin Pauk:<br />
Ich heiße Pauk wie Pauke. Ich bin auch Lehrerin. Ich bin 23 Jahre alt, ich wohne in <strong>Berlin</strong><br />
Marzahn. Ich wohne erst seit einem halben Jahr in <strong>Berlin</strong>. Ich hab vorher in Schwerin<br />
gewohnt und vorher fünf Jahre in Leipzig Pädagogik studiert. Ich bin in keiner anderen<br />
Organisation als in der SDP, ach, ich bin noch im DTSB, das hatte ich noch vergessen. Wenn<br />
sie das interessiert: Ich habe eigentlich einen ganz normalen Entwicklungsweg genommen.<br />
Ich war 8 Jahre an der POS, dann war ich an der EOS, dann hab ich studiert, bin jetzt wieder<br />
an einer Schule. Ich werde also vor<strong>aus</strong>sichtlich mein ganzes Leben in der Schule verbringen<br />
und hoffe trotz<strong>dem</strong>, etwas vom Leben mitbekommen zu haben. Ich habe einen ziemlich<br />
schmerzhaften Desillusionierungsprozeß mitmachen müssen, weil ich zwar immer schon
34<br />
ziemlich kritisch mich mit allem, was mir begegnet ist, <strong>aus</strong>einandergesetzt habe, andererseits<br />
aber entdecken mußte, das ist vornehmlich während des Studiums passiert, wie furchtbare<br />
Schäden diese Strukturierung der Gesellschaft hier hinterläßt in der ganzen Art und Weise des<br />
Herangehens. Und deshalb möchte ich auch in der Zukunft niemanden befreien, ich möchte<br />
nicht, daß die Menschen sich ändern und so was alles, ich möchte nur daran mitarbeiten, daß<br />
man zeigen kann, daß man sagen kann: Ich will, ich will das und das machen, daß man<br />
daraufhin nicht mehr angeblickt wird wie ein armer Irrer, wie es ja teilweise noch ist. Ich<br />
arbeite in der Volksbildung, da ist das der Fall und das ist sehr traurig. Ich hab vorhin über die<br />
Gewerkschaften gesprochen. Z. B. da sehe ich ziemlich schwarz. Ich kann mir nicht<br />
vorstellen, daß die Lehrerschaft dazu zur Zeit in der Lage ist und ob sie das überhaupt will.<br />
Das war's.<br />
(Welche Fächer?)<br />
Deutsch und Russisch.<br />
Tina Maier von Roudden:<br />
Ich sage meinen Namen heute nicht zum ersten Mal, er lautet Tina Maier von Roudden, bin<br />
30 Jahre alt, verheiratet, habe zwei Kinder und bin H<strong>aus</strong>frau, komme <strong>aus</strong> <strong>Berlin</strong>, Stadtbezirk<br />
Prenzlauer Berg. Ganz kurz möchte ich noch dazu sagen: Bei mir hat's auch klick gemacht,<br />
wie wahrscheinlich bei allen, die hier sind und in die SDP eingetreten sind, und ich möchte<br />
meine Kraft und die Zeit, die ich habe, dieser Partei zur Verfügung stellen. Gesellschaftliche<br />
Mitgliedschaft habe ich seit '85 keine mehr, davor FDGB und FDJ. Der erlernte Beruf ist<br />
Baufacharbeiter mit Abitur, anschließend Architektur- und Formgestaltungsstudium, was ich<br />
abgebrochen habe.<br />
Annette Bassenge:<br />
Annette Bassenge heiße ich. Ich bin 35 Jahre alt, habe zwei Kinder, bin verheiratet, gelernte<br />
Audiologisch-phoniatische Assistentin für Stimm- und Sprachtherapie, arbeite zur Zeit im<br />
Betriebsgesundheitswesen. Gesellschaftlich habe ich mich vorher nur im Nein-sagen betätigt.<br />
Ich freue mich, daß ich jetzt was eventuell zum Ja-sagen finde, und da möchte ich dann gerne<br />
hier arbeiten. Für Mitte.<br />
Ulrich Scholz:<br />
Ich heiße Ulrich Scholz, komme <strong>aus</strong> Hellersdorf, bin 23 Jahre alt, Lehrer für Deutsch und<br />
Russisch, zur Zeit allerdings im Babyjahr mit meinem Sohn, bin verheiratet habe einen Sohn,<br />
möchte, daß er wie die andern Schüler, die ich unterrichten werde, in einem Land<br />
aufwachsen, das sie nicht krank macht. Gesellschaftliche Organisationen: Ich bin noch im<br />
Kulturbund, wo ich auch noch bleiben werde, und seit einigen Wochen Kontaktadresse der<br />
SDP.<br />
Thomas Krüger:<br />
Mein Name ist Thomas Krüger, bin 30 Jahre, gelernter Reifenmacher, Mitgliedschaft bis '76<br />
in der FDJ, seit <strong>dem</strong> in nichts mehr, und arbeite jetzt seit November als Theologe im Kunstdienst<br />
im Bund. Ich bin für Lichtenberg Kontaktadresse fürs Neue Forum und habe da<br />
Strukturarbeit geleistet, die wird in der nächsten Woche vorläufig abgeschlossen sein. Seit<br />
Schwante dabei.<br />
Udo Thron:<br />
Stadtbezirk Hohenschönh<strong>aus</strong>en, habe eine Ausbildung als Diplomlehrer für Mathematik und<br />
Physik, bin aber seit 1982 nicht mehr im Schuldienst, es war nicht meine Entscheidung,
35<br />
arbeite jetzt beim VEB Wasserbehandlungsanlagen <strong>Berlin</strong> als Investitionsvorbereiter. Wir<br />
sind Ausrüstungsbetrieb für wassertechnische Anlagen. Ich bin 35 Jahre alt, geschieden, lebe<br />
aber mit einer Frau und drei Kindern zusammen. Mitgliedschaft bis 1981 SED und bis 1988<br />
FDGB.<br />
Herbert Hoffmann:<br />
Ich bin 43 Jahre alt, bin verheiratet, habe 4 Kinder, zwei davon essen ihr Brot heute noch zu<br />
H<strong>aus</strong>e. Ich arbeite zur Zeit an einer theologischen Ausbildungsstätte als Studentenbegleiter,<br />
habe 10 Jahre in der Landwirtschaft irgendwie auch als leitender Mitarbeiter mitgearbeitet.<br />
Ich will sagen, mir ist jede Partei verdächtig, dieses Mißtrauen habe ich auch in diese Partei<br />
mit hineingenommen und ich möchte es behalten. Ich denke, es ist sehr nötig, denn alle, die<br />
sich in einer Partei groß tun und manchmal groß tun wollen, müssen hinterfragt werden. Das<br />
sehe ich als eine wesentliche Aufgabe, die ich in dieser Partei leisten möchte.<br />
Peter Schlafen:<br />
Mein Name ist Peter Schlafen, Stadtbezirk Hohenschönh<strong>aus</strong>en. Ich bin 46 Jahre, verheiratet,<br />
drei Kinder. Ich bin Hauptabteilungsleiter im Werkzeugmaschinenkombinat 7. Oktober,<br />
zuständig für Investitionen. Ich war Mitglied der SED bis vor zwei Jahren, bin derzeit noch<br />
im FDGB.<br />
Arne Grimm:<br />
Mein Name ist Arne Grimm, bin 1969 hier in <strong>Berlin</strong> geboren, von H<strong>aus</strong>e <strong>aus</strong> eigentlich ,<br />
Reprofotograph, seit einem Jahr in der evangelischen Verlagsanstalt als Hersteller tätig, war<br />
bis vor anderthalb Jahren in gesellschaftlichen Organisationen, also FDJ und FDGB. Diese<br />
Sachen habe ich gestern noch gemacht mit einem Freund zusammen. Seit <strong>dem</strong> 12. Oktober in<br />
der SDP. Bin für Prenzlauer Berg Kontaktadresse.<br />
Günter Herms:<br />
Günter Herms, 58 Jahre alt, verheiratet, zwei Kinder, komme <strong>aus</strong> Niederschönh<strong>aus</strong>en, von<br />
Beruf bin ich Ingenieur für Heizungs-, Lüftungs-, Sanitärtechnik, seit 1946 mit der <strong>SPD</strong>, wie<br />
ich vorhin schon andeutete, verbunden, war einer der ersten, der für die <strong>SPD</strong> damals den Sieg<br />
erringen konnte, damals in <strong>Berlin</strong>. Wir sind damals Trepp auf Trepp ab gelaufen und haben<br />
Wahlzettel verteilt, Erklärungen den Leuten gegeben, wie also zu wählen ist. Leider konnte<br />
ich dann meine Mitgliedschaft nicht antreten, weil ich noch zu jung war. Mir gings damals so,<br />
wie's heute <strong>dem</strong> jungen Mann um 12.00 Uhr ging, er wollte gern, durfte aber nicht. Ich habe<br />
im <strong>Berlin</strong>er Bauwesen Führungstätigkeiten <strong>aus</strong>geübt, konnte mich aber nie entschließen,<br />
Mitglied der Partei zu werden, weil mir deren ideologisches Verständnis nicht klar war. Ich<br />
bin lediglich Mitglied des FDGB gewesen.<br />
Marco Pawlik:<br />
Also, mein Name ist Marco Pawlik, bin 21 Jahre alt, ledig, keine Kinder, meine soziale<br />
Herkunft ist ein Elternh<strong>aus</strong>, wo man sagt "Intelligenz" also Lehrer, und ich war bis vor 5<br />
Jahren in der FDJ gewesen, bin dort dann während der Lehrzeit r<strong>aus</strong> geflogen wegen meiner<br />
recht offenen und kritischen Position auch als, na ich sag mal Funktionär in der FDJ, bin im<br />
vergangenen November von meinem Wehrdienst zurückgekommen, habe ein kleines bißchen<br />
in den anderthalb Jahren, denke ich, auch hinter die Kulissen unserer NVA gucken können,<br />
weil ich die anderthalb Jahre im Stab einer Division gedient habe, und hatte auch immer<br />
schon vorher was dagegen, die Worte Ehrendienst und Ehrenpflicht in den Mund zu nehmen.
36<br />
Ich hatte nach der Dienstzeit <strong>aus</strong> ideologischen und politischen Gründen einige Monate lag,<br />
wie man sagt, große Daseinszweifel hier in der DDR, was auch durch Verwandtschaft in der<br />
Bundesrepublik verstärkt wurde, habe diese dann überwunden. Auf der Suche nach einer<br />
Alternative, die ich heute hier gefunden habe, damals hatte sie sich nur bestätigt in kleinen<br />
Diskussionsgruppen im Freundes- und im Familienkreis und unter Kollegen. Ich bin<br />
Nichtwahlgänger der letzten Kommunalwahl und ich möchte noch ganz kurz sagen, wenn ich<br />
darf, warum ich mich heute zu dieser Partei verpflichtet fühle und warum ich mich von mir<br />
her<strong>aus</strong> auch verpflichtet fühle, in dieser Partei in einer Leitungsfunktion meine Kraft und<br />
meine Fähigkeiten für diese Partei einzusetzen. In unserer Familie geht eigentlich die<br />
sozial<strong>dem</strong>okratische Tradition bis ins vergangene Jahrhundert, mein Urgroßvater, mein<br />
Großvater und mein Großonkel, die letzten beiden Jahrgänge 1898 und 1917 waren<br />
Jahrzehnte lang Mit-glieder der Sozial<strong>dem</strong>okratischen Partei, im Faschismus auch verfolgt.<br />
Woll'n wir's nur ganz kurz noch machen. Ich möchte hier, das könnte man als Versprechen<br />
oder als Gelöbnis sagen, falls ich gewählt werde oder falls ich nicht gewählt werden sollte:<br />
Ich werde meine gesamte Kraft und Fähigkeit auch als junger Mensch dafür einsetzen für<br />
diese Partei, für die breite Massenwirksamkeit der Partei, und daß ich in diesem Land auf<br />
<strong>dem</strong>okratischen friedlichem Weg helfen werde, daß sich etwas ändert. Dankeschön. Pankow.<br />
Gelernt bin ich Mechaniker für medizinische Geräte, aber seit zwei Jahren im<br />
Backwarenkombinat als stellvertretender Abteilungsleiter. Politische Organisationen z. Z. nur<br />
noch bis morgen im FDGB.<br />
Joachim Rabenhorst:<br />
Also mein Name ist Rabbenhorst. Ich komme <strong>aus</strong> Lichtenberg, bin geschieden, lebe mit einer<br />
Frau und ihrem Kind zusammen und habe einen großen Bogen gemacht bei meiner<br />
Entwicklung. Ich habe alle schulischen Dinge erst über die Volkshochschule abends<br />
nachholen müssen, habe dann Facharbeiter auf Abendschule nachgeholt, bin jetzt dabei,<br />
Schichtmeister zu machen, bin seit ca. 15 Jahren im Deutschen Roten Kreuz tätig, was immer<br />
meine Ersatzpartei war, da ich ja in der DDR keine sozial<strong>dem</strong>okratische Partei vorher gehabt<br />
habe, in die ich eintreten konnte. Und ich denke, daß ich auch sehr aktiv sein könnte in den<br />
Reihen der SDP. Ich hoffe es nicht nur, sondern ich habe ja Aktivitäten wo anders schon<br />
reichlich gezeigt. Der humane Gedanke beim roten Kreuz ist eigentlich Ausdruck dafür. Ich<br />
bin 34 Jahre alt. Lichtenberg.<br />
Konrad Elmer:<br />
Sie haben jetzt die Qual der Wahl. 12 Leute sollten in den Vorstand gewählt werden von den<br />
Kandidaten. Hat jeder, der hier Mitglied der SDP ist, einen grünen Wahlzettel? Wenn nicht,<br />
möchte man sich noch draußen an den Tischen welche holen, aber wie gesagt, nur einen. Dort<br />
möchten Sie bitte bis zu 12 Namen eintragen. Nicht ja oder nein.<br />
Nach nochmaliger Namensnennung erfolgt die Stimmabgabe<br />
Konrad Elmer:<br />
Ich möchte jetzt noch sagen, was heute unbedingt noch sein muß: Es muß noch sein die<br />
Verkündigung der Wahlergebnisse. Dann müssen die Gewählten kurz zusammentreten und<br />
für die wesentlichen Funktionen 1. Sprecher, 2. Sprecher, Geschäftsführer und Kassenwart<br />
vorschlagen, und die müssen wir dann noch wählen. Die Mitteilung an die Bevölkerung wird<br />
noch geschrieben. Und das ist dann alles. Eine Presseerklärung wird dann noch geschrieben.<br />
Über den Wortlaut der Presseerklärung entspinnt sich noch einmal eine längere Diskussion.
37<br />
Schließlich verliest Eva Kunz den Wortlaut in der endgültigen Fassung.<br />
Eva Kunz:<br />
„Bekanntmachung über die Gründung des <strong>Berlin</strong>er Bezirksverbandes der<br />
Sozial<strong>dem</strong>okratischen Partei in der Deutschen Demokratischen Republik<br />
Liebe <strong>Berlin</strong>erinnen und <strong>Berlin</strong>er!<br />
Am 5. November 1989 haben wir in der <strong>Berlin</strong>er Sophienkirche den Bezirksverband <strong>Berlin</strong><br />
der SDP gegründet, und werden nun das politische Leben unserer Stadt mitbestimmen. Die<br />
Demonstration am 4. 11. in der <strong>Berlin</strong>er Innenstadt und das Meeting auf <strong>dem</strong> <strong>Berlin</strong>er<br />
Alexanderplatz bestärkten uns erneut in unserem Willen, direkt in die Politik unseres Landes<br />
einzugreifen. Die Gründungsurkunde wurde feierlich verlesen und von den anwesenden Mitgliedern<br />
unterzeichnet. In den <strong>Berlin</strong>er Bezirksparteirat wurden gewählt: - ... - Alle Bürger<br />
unserer Stadt, die sich mit unserem im Statut erklärten Zielen <strong>dem</strong>okratischer Sozialismus<br />
Rechtsstaatlichkeit und Parteienpluralität, ökologisch orientierte soziale Marktwirtschaft mit<br />
Eigentumsvielfalt identifizieren können, rufen wir zur Mitarbeit in der Sozial<strong>dem</strong>okratischen<br />
Partei auf. Wir sind davon überzeugt, daß der am 4. November auf <strong>dem</strong> Alexanderplatz<br />
geäußerte Wille der Menschen durch das politische Engagement vieler unserer Gesellschaft<br />
ein neues Gesicht geben wird. Über Statut und Programm der SDP sowie über die Arbeit der<br />
Basisgruppen können Sie sich bei folgenden Kontaktadressen informieren.”<br />
Stefan Finger: Wir kommen jetzt also zur Abstimmung über diesen Brief. Wer also mit<br />
diesem Brief oder Aufruf, wie man es auch immer nennen will, den bitte ich jetzt um das<br />
Handzeichen. Gegenprobe. Enthaltungen. Damit ist der Brief so im Wortlaut verabschiedet.<br />
Ich bitte jetzt Ibrahim um das Wort.<br />
Ibrahim Böhme:<br />
Liebe Freunde, es gehört zu einer alten sozial<strong>dem</strong>okratischen Tradition, daß die Mitglieder<br />
des Landesparteirates, Vorstandes und dergleichen oder des Bezirks- oder Kreisvorstandes, so<br />
sie an der Basis, also einer etwas, nicht geistig, sondern niederen Strukturebene zu Gast sind,<br />
sich zu verabschieden haben, wenn sie gehen, vor den gesamten Delegierten oder<br />
Anwesenden. Ich möchte nur wenig sagen. Ich möchte mich ganz herzlich bedanken, und ich<br />
glaube, ich spreche in Euer aller Namen, für die immense Arbeit, die die Freunde in<br />
Vorbereitung der heutigen Gründungsversammlung geleistet haben. Wer Parteiarbeit, egal in<br />
welchen bisherigen Parteien oder noch existierenden Parteien bisher getan hat, weiß, was<br />
dazu gehört, das so sauber vorzubereiten. Als zweites stelle ich einen Antrag: Unter den<br />
vielen Transparenten, Fahnen, Plakaten und dergleichen, die von der Kreativität, der geistigen<br />
Kreativität der Menschen zeugten, die gestern getragen wurden, war eins das einfallsreichste,<br />
das von unserer Sabine dieses Transparent, das jetzt gerade verdeckt ist, mit der "<strong>SPD</strong>" und<br />
<strong>dem</strong> "E" das gerade nach unten gezogen wird. Ich möchte vorschlagen, daß dieses<br />
Transparent bei allen Umzügen, hoffentlich gibt's nicht zu viele, wir gewöhnen uns. sonst zu<br />
sehr daran, mitgetragen wird, als eines unserer Gründungsdokumente in <strong>Berlin</strong> zumindest. So<br />
daß es irgendwann mal in einem Parteih<strong>aus</strong> einen würdigen Platz bekommt. Liebe Freunde,<br />
und dann würde ich mich freuen, ich weiß, das "Du" macht nicht das Vertrauen und das "Sie"<br />
macht nicht den Respekt, ich bin auch gegen jegliche Vereinsmeierei, aber ich würde mich<br />
freuen, wenn wir, das ist kein Antrag, in der Zukunft zu <strong>dem</strong> vertrauensvollen "Du" finden<br />
würden. Ich bedanke mich und wünsche Euch alles Gute in Euern Stadtbezirksverbänden.
38<br />
Konstantin Brotmann:<br />
Mein Name ist Konstantin Brotmann. Ich bin <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> Prenzlauer Berg. Ich möchte zu diesem<br />
Antrag nochmal zu bedenken geben: Dieses Auswechseln dieses einen Buchstaben, ob wir<br />
uns da nicht mit der SED nicht zu sehr vergleichen oder so was. Wir wollen doch eine Partei<br />
werden, die frei gewählt wird, und nicht, die durch irgendwelche Auswechselungen an die<br />
Macht kommt oder so etwas. Das wollte ich nur nochmal zu bedenken geben.<br />
Stefan Finger:...<br />
Ich stelle das jetzt zur Abstimmung. Wer dafür ist, daß dieses Plakat jetzt immer mitgeführt<br />
wird bei Demonstrationen und dergleichen, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenprobe.<br />
Enthaltungen. Ich stelle fest, der Antrag von Ibrahim Böhme ist nicht angenommen.<br />
Konrad Elmer :<br />
Ich bitte alle Gruppen, einen Vertreter nach vorn zu schicken, um Termine bekannt zu geben.<br />
N.N..<br />
Treptow trifft sich am 16. 11. um 19.30 Uhr bei Ulf Menzel, 1193 <strong>Berlin</strong>, Karl Kunger Straße<br />
64.<br />
N.N.:<br />
Friedrichshain trifft sich am Dienstag, jetzt am Dienstag, um 20.00 Uhr bei Biback in der<br />
Richard Sorge Straße 78.<br />
N.N.:<br />
Friedrichshain, Basisgruppe 2: Ruft morgen Herrn Eisner an, und dort wird bekanntgegeben,<br />
wann wir uns genau treffen können. Der Raum dafür ist noch unklar und die Zeit.<br />
Telefonnummer ist im Statut drin als Kontaktadresse.<br />
N.N.:<br />
Hohenschönh<strong>aus</strong>en trifft sich am Dienstag, den 7. 11. um 19.30 Uhr bei mir Peter Schlafen,<br />
Privatstraße 6 Nr. 12.<br />
N.N..<br />
Am Mittwoch um 19 Uhr trifft sich die Basisgruppe Mitte I bei Dankward Brinksmeier in der<br />
Invalidenstraße 4. Telefonnummer ist im Statut, ich weiß sie nicht <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> Kopf.<br />
Anette Bassenge:<br />
Am Mittwoch, den 8. November um 20 Uhr die Basisgruppe II von Mitte in der Rosa<br />
Luxemburg Straße 3, 4. Etage, Wohnung Bassenge.<br />
Ulrich Scholz:<br />
Stadtbezirke Marzahn und Hellersdorf am Mittwoch bei Scholz, Schneeberger Straße 9. Und<br />
zwar treffen wir uns im U-Bahnhof Cottbusser Platz unten, weil die Wohnung nicht so leicht<br />
zu finden ist, um 19.30 Uhr. Ahrensfelde würde auch dazugehören.<br />
Tina Maier von Roudden:<br />
Prenzlauer Berg, ich sage alle drei Basisgruppen an. Die Basisgruppe I trifft sich am Montag,<br />
den 6. 11. um 20.00 Uhr in der Lychener Straße 22 bei Maier von Roudden, Vorderh<strong>aus</strong>. Die<br />
Basisgruppe II trifft sich am 6. 11. um 20.00 Uhr in der Buchholzer Straße 16 bei Katrin
39<br />
Schneider. Kleine Änderung: Die Basisgruppe III sagt sich gleich selbst an. Ich sage jetzt die<br />
Basisgruppe IV an. Die trifft sich am 7. 11. um 19.30 Uhr bei Venske in der Winzstraße 46.<br />
N.N.:<br />
Basisgruppe III trifft sich bei Brotmann in der Lettestraße 7 morgen um 19.00 Uhr, das ist<br />
linker Seitenflügel drei Treppen rechts.<br />
N.N.:<br />
Pankow, die Basisgruppe II trifft sich am Donnerstag um 19.00 Uhr bei Olaf Grill,<br />
Pestalozistraße 37, Seitenflügel.<br />
N.N.:<br />
Pankow, die Basisgruppe I hat leider Schwierigkeiten bei der Raumbeschaffung. Den genauen<br />
Treffpunkt unter der Telefonnummer 48 30 909 bei Piel ab morgen 18.00 Uhr zu erfragen.<br />
N.N..<br />
Die Basisgruppe Köpenick trifft sich am Dienstag, den 14. 11. um 20.00 Uhr in der Kirche<br />
Müggelheim. Und dann ist noch eine Veranstaltung jetzt am Dienstag, also am 7. 11. um<br />
20.00 Uhr auch in der Kirche Müggelheim, da trifft sich die Basisgruppe Köpenick zusammen<br />
mit den anderen Gruppen vom Neuen Forum und Demokratie jetzt und was es da noch alles<br />
so gibt.<br />
Ekkhard Kraft:<br />
Die Basisgruppe Lichtenberg trifft sich am 7. 11. um 19.30 Uhr in der Kirche Ho-Chi-Min-<br />
Straße Ecke Leninallee in Richtung Rödernplatz. Die Kirche ist der Neubau mit Kupferdach.<br />
Frank Bogisch:<br />
Am 14. 11. in der Invalidenstraße 4 auch bei Dankward Brinksmeier, aber nicht in der<br />
Wohnung, sondern in den Räumen der ESG treffen sich die Ökologen der beiden<br />
Arbeitsgruppen zu ihrem ersten Kontaktgespräch, 18.00 Uhr.<br />
Stefan Finger:<br />
Es ist folgendes Problem: Sie merken, der Vorgang mit der Wahl geht ziemlich lange, es<br />
macht sich ein zweiter Wahlgang erforderlich, und danach müssen noch die Ämter gewählt<br />
werden. Wir haben uns in der Geschäftsordnung zu einer geheimen Wahl verpflichtet, ich<br />
sehe aber eine große Schwierigkeit, zeitlich gesehen, wenn wir die einzelnen Kandidaten<br />
wieder in so einem Wahlgang wählen, daß wir noch bis um 10.00 Uhr (22.00 Uhr) hier sitzen.<br />
Ich möchte das jetzt hier in die Runde geben, wie wir verfahren. Mein Vorschlag ist bei der<br />
Wahl der Ämter, auch wenn das im Gegensatz steht jetzt zum Statut, daß wir die Kandidaten<br />
<strong>aus</strong> <strong>dem</strong> Raum her<strong>aus</strong> bitten und per Handzeichen über die Kandidaten abstimmen. Ich denke,<br />
das wird das Verfahren beschleunigen, daß wir heut noch nach H<strong>aus</strong>e kommen, das steht aber<br />
im Widerspruch zur Geschäftsordnung.<br />
N.N..<br />
Die Basisgruppe Rosenthal und Wilhelmsruh, das heißt <strong>aus</strong> Pankow, die trifft sich am<br />
Donnerstag um 19.00 Uhr in der Gaststätte Dittmann in Rosenthal, in der Hauptstraße. Es gibt<br />
in Rosenthal drei Gaststätten, die eine davon ist diese. Also, wir haben es geschafft, eine
40<br />
Gaststätte zu bekommen, also einen öffentlichen Raum. Früher wurden Parteien in Gaststätten<br />
gegründet. Wir haben leider nicht die Möglichkeit. Danke.<br />
Stefan Finger:<br />
Ich denke, wir sollten jetzt über die beiden Anträge abstimmen. Der weitestgehende Antrag....<br />
Wer für den Vorschlag von Konrad Elmer ist, daß die Wahl der einzelnen Mitglieder des<br />
Bezirksparteirates an das Gremium selbst geht, den bitte ich um das Handzeichen. Ich denke,<br />
das müssen wir zählen. 75. Gegenprobe. Das sind wohl weniger. 27 Enthaltungen. Ich stelle<br />
fest, der Antrag von Konrad Elmer ist angenommen. Die Wahl der einzelnen Ämter wie<br />
Geschäftsführer, 1. und 2. Sprecher, Kassenwart usw. werden im Gremium selbst durchgeführt.<br />
Damit warten wir jetzt auf das Ergebnis der Wahl und eventuell einen zweiten<br />
Wahlgang.<br />
Christian Richter:<br />
Erstmal wollte ich hier meinen Fotoapparat nehmen, und dann wollte ich noch sagen, daß<br />
Gruppe 2/3 Welt sich immer jeden 3. Freitag im Monat um 18.30 Uhr in Niederschönh<strong>aus</strong>en,<br />
Kurt-Fischer-Platz 6 in meiner Töpferei trifft.<br />
N.N.:<br />
Ich wollte vorschlagen, noch eine Arbeitsgruppe zu gründen, der Vorschlag kam vorhin schon<br />
mal: Geschichte. Und da dachte ich speziell einmal als Thematik "Geschichte vor 1945 -<br />
Deutsche Arbeiterbewegung" und ähnliches "Deutsche Sozial<strong>dem</strong>okratie" und als zweite<br />
Hauptthematik "Deutsche Geschichte nach 1945" und da konsequente Einbeziehung des<br />
Stalinismus in der DDR. Ich würde mich anbieten, wenn Interesse besteht, daß wenn es keine<br />
anderen Vorschläge gibt oder andere Ideen gibt, daß ich jetzt meinetwegen als Sammelbecken<br />
für diese Arbeitsgruppe, falls sie ins Leben gerufen wird, zur Verfügung stehe.<br />
Stefan Finger:<br />
Da es keine weiteren Wortmeldungen zu diesem Punkt gibt, denke ich, sollten wir in die<br />
Diskussion treten...<br />
In der folgenden Diskussion geht es um Für und Wider einer SDP-Jugendorganisation. Da die<br />
Zahl der Teilnehmer immer kleiner wird und die Wahlen endlich abgeschlossen werden<br />
sollen, wird dieser Tagungsordnungspunkt vertagt.<br />
Arne Grimm:<br />
Antrag zur Geschäftsordnung: Ich muß sagen: So langsam werde ich ein bißchen beleidigt.<br />
Wir sehen wieviel Leute hier noch sind, und jetzt noch irgend etwas abstimmen zu wollen ist<br />
eine Farce, das ist äußerst peinlich.<br />
Konrad Elmer:<br />
Wer will uns nun das Geheimnis lüften <strong>aus</strong> der Wahlkommission? Ehe wir zur Verkündigung<br />
kommen, ist folgendes Problem zu lösen: Dadurch, daß es so viele Kandidaten waren, haben<br />
sich natürlich zwangsläufig die Stimmen verteilen müssen, und es haben nicht zwölf 50% der<br />
Stimmen bekommen. Ich denke, angesichts der Zahl, die wir sind, werden wir nicht mehr<br />
repräsentativ nochmal einen Wahlgang durchführen können. Deswegen mein Vorschlag:<br />
können wir beschließen, daß wir im Blick auf alles, was hier so provisorisch war, wir auch<br />
sagen, daß wir für dieses Mal die Regelung zulassen: Die 12 sind gewählt, die die meisten<br />
Stimmen haben. Ich möchte doch noch darüber abstimmen. Wer ist dafür, so zu verfahren,
41<br />
der hebe die Hand. Das ist die Mehrheit. Wer ist dagegen? Mit einigen Stimmen, sagen wir<br />
ruhig 5. Enthaltungen? Zwei. Dann hören wir jetzt einfach die zwölf, welche die meisten<br />
Stimmen haben. Die möchten sich doch nochmal hier vorne dann für ein Foto zur Verfügung<br />
stellen.<br />
Christian Richter verliest das Wahlergebnis:<br />
Anne-Katrin Pauk Marzahn 108 Stimmen<br />
Udo Eisner Weißensee 97 Stimmen<br />
Eva Kunz Mitte 93 Stimmen<br />
Dankward Brinksmeier Mitte 93 Stimmen<br />
Uta Forstbauer 93 Stimmen<br />
Herbert Hoffmann 80 Stimmen<br />
Johannes Richter 75 Stimmen<br />
Schlafen 75 Stimmen<br />
Annette Bassenge [unverständlich]<br />
Knut Herbst 70 Stimmen<br />
Carola Gabler 64 Stimmen<br />
Thomas Krüger 64 Stimmen<br />
Ich bitte dann alle nach vorn.<br />
Konrad Elmer: Ich bitte alle, hier vorn kurz Aufstellung zu nehmen für ein Foto.<br />
Ich hätte noch einen Wunsch: Können sich die, die bis zuletzt <strong>aus</strong>geharrt haben, noch zu<br />
einem Foto versammeln?<br />
Für die Gewählten ist noch nicht Schluß, die müssen sich noch zusammensetzen und den<br />
geschäftsführenden Ausschuß wählen.<br />
Nun wollte Herr Hoffmann noch zwei Sätze sagen, aber nur zwei.<br />
Herbert Hoffmann:<br />
Einmal weiß ich, daß wir einen langen Tag hinter uns haben, und ich möchte mir und Euch<br />
gegenüber barmherzig sein und möchte allen ein großes Dankeschön sagen, für das, was wir<br />
heute geleistet haben, es hat mich so ermutigt, und wir können voller Hoffnung und Willenskraft<br />
in die nächste Zeit gehen und dennoch weitermachen.<br />
Mit diesen Worten war die Gründungsversammlung des <strong>Berlin</strong>er Bezirksverbandes der SDP<br />
am 5. November 1989 in der Sophienkirche nach acht Stunden zu Ende.