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Urs von Arx Der Hl. Bischof Nikolaj. Ein Blick auf seine frühen Jahre ...

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http://www.drustvosns.org<br />

1991<br />

Gesellschaft für serbisch-deutsche<br />

Zusammenarbeit<br />

http://www.drustvosns.org<br />

<strong>Urs</strong> <strong>von</strong> <strong>Arx</strong><br />

<strong>Der</strong> <strong>Hl</strong>. <strong>Bischof</strong> <strong>Nikolaj</strong>.<br />

<strong>Ein</strong> <strong>Blick</strong> <strong>auf</strong> <strong>seine</strong> <strong>frühen</strong> <strong>Jahre</strong> im Ausland und <strong>auf</strong> die serbisch-orthodoxen<br />

Beziehungen zur Christkatholisch-theologischen Fakultät Universität Bern 1<br />

<strong>Nikolaj</strong> (T<strong>auf</strong>name: Nikola) Velimirović, der spätere <strong>Bischof</strong> <strong>von</strong> Žiča (1919-1920 und 1936-<br />

1956) bzw. <strong>von</strong> Ochrid (1920-1936), der 2003 offiziell <strong>von</strong> der Versammlung der Bischöfe<br />

der serbischen orthodoxen Kirche kanonisiert worden ist, ist weitaus der bekannteste der rund<br />

44 serbischen Theologen, die an der<br />

1 Christkatholisch-theologischen Fakultät der Universität Bern<br />

studiert haben. Ich will in diesem Vortrag den Heiligen aus der Perspektive der Zeit <strong>seine</strong>s<br />

Studiums in Bern und <strong>seine</strong>s anschliessenden brieflichen Kontaktes mit <strong>seine</strong>m theologischen<br />

Doktorvater in Bern, <strong>Bischof</strong> Prof. Eduard Herzog, darstellen. Damit bewegen wir uns in den<br />

<strong>Jahre</strong>n zwischen 1906 und 1920.<br />

Dabei benütze ich vor allem gedruckte und ungedruckte Quellen aus der Zeit, die ich<br />

schon in meinem Aufsatz „<strong>Bischof</strong> <strong>Nikolaj</strong> Velimirović (1880-1956) und <strong>seine</strong> Berner Zeit im<br />

Rahmen der<br />

2 christkatholisch – serbisch-orthodoxen Beziehungen“<br />

in der „Internationalen Kirchlichen Zeitschrift“ ausgewertet habe (IKZ 95, 2005, 1-33); eine<br />

mit neuem Archivmaterial erweiterte Fassung wird vielleicht <strong>auf</strong> Englisch erscheinen. Diese<br />

kann auch <strong>auf</strong> eine im Mai 2006 am Reed College, Oregon, USA, eingereichte Arbeit für den<br />

Grad eines<br />

3 Bachelor of Arts<br />

zurückgreifen: Evan Brewer, One Ray of the Sun: The Education and Early Theology of<br />

<strong>Nikolaj</strong> Velimirović. Ich stand mit dem Verfasser in Kontakt im gemeinsamen Bemühen, für<br />

die genannte Zeit Bausteine für eine historisch zuverlässige Biographie des Heiligen<br />

bereitzustellen. In diesem Zusammenhang erwähne ich auch noch Vladan Kostadinović –<br />

heute am Priesterseminar in Kragujevac –, der während <strong>seine</strong>s Studiums in Erlangen an <strong>seine</strong>r<br />

Biographie gearbeitet hat.<br />

<strong>Der</strong> Student Nikola Velimirović in Halle und Bern<br />

Nikola Velimirović kam im Herbst 1906 nach Bern und immatrikulierte sich am 16. Oktober<br />

an der<br />

4 Katholisch-theologischen Fakultät lautete damals der offizielle Name der Lehranstalt für<br />

altkatholische, oder – wie man in der Schweiz sagt – christkatholische Theologie und<br />

Priesteramtskandidaten.<br />

1 Vortrag <strong>von</strong> Vater Prof. Dr. <strong>Urs</strong> <strong>von</strong> <strong>Arx</strong>, Bern, gehalten am 2. September 2006 im Kloster Sokograd<br />

1


Im selben Monat immatrikulierte sich übrigens noch ein weiterer, 14 <strong>Jahre</strong> älterer serbischer<br />

Theologe, Svetozar Radovanović aus Lazarevac, an der Fakultät. Beide kamen mit einem<br />

Abgangszeugnis der Universität Halle an der Saale.<br />

Sie waren aber nicht die ersten Serben an der Christkatholisch-theologischen Fakultät.<br />

Bald nach ihrer Errichtung durch die staatlichen Behörden des Kantons Bern im <strong>Jahre</strong> 1874<br />

erwarb sich Radoslav (Mönchsname: Emilijan) <strong>von</strong> Radić (1857-1907), der Neffe des<br />

damaligen <strong>Bischof</strong>s <strong>von</strong> Vršac in der Vojvodina, mit einer Arbeit über das Patriarchat <strong>von</strong><br />

Konstantinopel nach 1453 den Grad eines<br />

5 Lizentiaten.<br />

Dann dauerte es bis 1903/04, bis ein weiterer Serbe, Čedomir Marjanović (geboren 1872) aus<br />

Ćuprija, sich in Bern einschrieb und hier – nach einem eingeschobenen Semester in Leipzig –<br />

promovierte. Mit ihm setzt eigentlich die Reihe der serbischen Studierenden an der Berner<br />

Fakultät – oder anders gesagt: die „Berne connection“ – ein. Auf Grund welcher<br />

zwischenkirchlicher Beziehungen er und drei <strong>Jahre</strong> später Velimirović und Radovanović nach<br />

Bern kamen, ist noch nicht geklärt. Vielleicht wirkte <strong>auf</strong> serbischer Seite als Vermittler der<br />

damalige Rektor des Priesterseminars des <strong>Hl</strong>. Sava in Belgrad, <strong>Bischof</strong> Nikanor Ružičić <strong>von</strong><br />

Niš (1843-1916, <strong>Bischof</strong> 1898-1911); er gehörte eine Zeitlang zu den ständigen Mitarbeitern<br />

der altkatholischen Zeitschrift „Revue Internationale de Théologie“ (RITh) und hatte 1897<br />

den 4. Internationalen Altkatholikenkongress in Wien besucht.<br />

Wie dem auch sei, Velimirović studierte, bevor er nach Bern kam, in Halle an der Saale.<br />

Er hatte sich dort, nachdem er im September 1905 ein vierjähriges Studium am theologischen<br />

Seminar in Belgrad abgeschlossen hatte, am 9. und 10. November an der Theologischen und<br />

Philosophischen Fakultät der Königlichen Vereinigten Friedrichs-Universität Halle-<br />

Wittenberg immatrikuliert (heute heisst sie Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg). Die<br />

ein Jahr später ausgestellte Exmatrikel vermerkt übrigens nur das Gymnasium in Valjevo als<br />

Zulassungsausweis, nicht aber den Studienabschluss in Belgrad, der in Bern in den<br />

Immatrikulationsakten festgehalten ist. <strong>Der</strong> Ausland<strong>auf</strong>enthalt erfolgte <strong>auf</strong> Wunsch bzw. im<br />

<strong>Ein</strong>verständnis des Metropoliten <strong>von</strong> Belgrad Dimitrije (Pavlović – 1846-1930) und des<br />

Königs Peter I. (Karađorđević – 1844-1921); die serbische Regierung war damals interessiert<br />

daran, begabte junge Serben mit einem Stipendium des serbischen Cultus- und<br />

Unterrichtsministeriums in das westliche Ausland zu schicken. In Halle also hörte der junge<br />

Velimirović während zwei Semestern Vorlesungen bei den evangelischen Theologen Gerhard<br />

Ficker, Friedrich Loofs, Erich Haupt, Martin Kähler, Emil Kautzsch, Johann Wilhelm<br />

Rothstein, Max Scheibe und Gustav Warneck, sowie an der Philosophischen Fakultät bei<br />

Hermann Ebbinghaus, Siegmar Schultze, Hermann Schwarz, Goswin Uphues und Hans<br />

Vaihinger. Ob <strong>von</strong> vornherein nur ein einjähriger Aufenthalt geplant war oder ob er sich<br />

wegen eines „rationalistischen“ Wissenschaftsverständnisses nicht recht angesprochen fühlte<br />

– dar<strong>auf</strong> könnten spätere Bemerkungen hindeuten –, muss offen bleiben.<br />

In Bern nun lässt sich für das Studium an der Christkatholisch-theologischen Fakultät<br />

nicht so genau feststellen wie in Halle, bei welchen Professoren er welche – an sich bekannten<br />

– Lehrveranstaltungen während vier Semestern wirklich besucht hat; es gibt dazu keine<br />

Unterlagen. Damals unterrichteten die Professoren Eduard Herzog (1841-1924) Neues<br />

Testament (er war zugleich auch <strong>Bischof</strong> der Christkatholischen Kirche der Schweiz), Philipp<br />

Woker (1848-1924) Kirchengeschichte, Adolf Thürlings (1844-1915) systematische<br />

Theologie und Liturgik, Jakob Kunz (1861-1932) Altes Testament und Praktische Theologie<br />

sowie Eugène Michaud (1839-1917) dogmatische Theologie und Kirchengeschichte in<br />

französischer Sprache. Was aber bekannt ist, das ist der Erfolg des Berner Studiums: Am 18.<br />

Juli 1908 wurde Nikola Velimirović mit der besten Auszeichnung summa cum laude zum<br />

Doktor der Theologie (Dr. theol.) promoviert. Seine Dissertation lautet: „<strong>Der</strong> Glaube an die<br />

Auferstehung Christi als<br />

2


6 Grunddogma der apostolischen Kirche“;<br />

die 1910 in Bern veröffentlichte Arbeit umfasst 56 Druckseiten. Er untersucht darin<br />

7 die verschiedenen Texte über die österlichen Christophanien<br />

und kommt zum Schluss, dass die historischen Erklärungsversuche über ihre Entstehung<br />

letztlich nicht überzeugen können; vielmehr sei der Glaube jenseits <strong>von</strong> empirischen oder<br />

logischen Verifikationsmöglichkeiten die theologisch angemessene <strong>Ein</strong>stellung ihnen<br />

gegenüber.<br />

Velimirović musste sich auch einer schriftlichen und mündlichen Doktoratsprüfung<br />

(dem sog. Rigorosum) unterziehen. In der ersten wurden ihm die folgenden Themen gestellt:<br />

8 Christenverfolgung in der apostolischen Zeit<br />

(Philipp Woker); Inwiefern kann man <strong>von</strong> einer<br />

9 trinitarischen Gotteslehre<br />

im Neuen Testament sprechen? (Dogmatik, Adolf Thürlings); Hauptunterschiede der morgenund<br />

abendländischen Messe nach der heute geltenden Liturgie (Praktische Theologie bei<br />

Thürlings, der die Arbeit «weniger beschreibend als philosophisch» beurteilt). Im mündlichen<br />

Examen wurde er (<strong>von</strong> Eduard Herzog) in neu- und alttestamentlicher Exegese geprüft.<br />

Nach dem theologischen Doktorat in Bern begab sich Velimirović, nach einem kurzen<br />

Heimat<strong>auf</strong>enthalt in Valjevo, nach London, wo er gemäss <strong>seine</strong>n eigenen Angaben im Winter<br />

1908/09 „ein Semester lang die grosse Bibliothek des ‚British Museum’s‘ besuchte“ und sich<br />

<strong>auf</strong> ein zweites Doktoratsexamen in Bern vorbereitete. Für das Sommersemester 1909 schrieb<br />

er sich an der Philosophischen Fakultät I der Universität Bern ein. Hier wurde er am 29. Juni<br />

1909 mit dem Prädikat magna cum laude zum Doktor der Philosophie (Dr. phil.) promoviert.<br />

Als Dissertation reichte er bei Prof. Philipp Woker, der seit 1888 neben <strong>seine</strong>m Ordinariat an<br />

der Christkatholisch-theologischen Fakultät auch das Fach Allgemeine Geschichte an der<br />

Philosophischen Fakultät vertrat, die Arbeit „Französisch-slavische Kämpfe in der Bocca di<br />

Cattaro 1806-1814“ ein. Die ebenfalls im <strong>Jahre</strong> 1910 in Bern publizierte Schrift umfasst 64<br />

Seiten. Im Zentrum steht die Figur <strong>von</strong> Petar I. Petrović-Njegoš im Zusammenhang mit den<br />

kriegerischen Auseinandersetzungen um die auch <strong>von</strong> Franzosen und Österreichern<br />

beanspruchte Bucht <strong>von</strong> Kotor, die für die montenegrinischen und serbischen Aspirationen<br />

<strong>auf</strong> staatliche Eigenständigkeit <strong>von</strong> hohem strategischem Interesse war.<br />

Von den schriftlichen und mündlichen Prüfungen, die Velimirović zu bestehen hatte,<br />

sind im Fakultätsprotokoll die Bewertungen dokumentiert: „Geschichte schriftlich: sehr gut;<br />

mündlich: gut. Neufranzösisch schriftlich: gut; mündlich: gut. Philosophie schriftlich: sehr<br />

gut; mündlich: genügend.“<br />

Ich schalte eine Zwischenbemerkung ein: Die beiden Doktorate in Bern, das<br />

theologische und das philosophische (also Dr. theol. et phil.), sind die einzigen, die<br />

Velimirović nachweislich erworben hat. In Lebensdarstellungen des Heiligen ist bisweilen<br />

noch <strong>von</strong> weiteren Studien und Doktoraten in Genf und/oder Oxford die Rede, aber<br />

entsprechende Nachforschungen konnten das nicht bestätigen. Von erworbenen Doktoraten<br />

sind ehrenhalber verliehene Doktorate zu unterscheiden; nachweisbar sind nur Ehrendoktorate<br />

der Universität Glasgow (am 25. Juni 1919) und der Columbia University in New York<br />

(1946), nicht aber solche <strong>von</strong> Halle, Oxford, Cambridge, London. Auch an Universitäten<br />

eingereichte Dissertationen Velimirović’s über Bergson, George Berkeley, Dostojevskij und<br />

Nietzsche lassen sich m.W. nicht belegen. Man möge das nicht als eine Herabsetzung des<br />

Ansehens des grossen <strong>Bischof</strong>s verstehen, denn <strong>seine</strong> kirchliche und religiöse Bedeutung ist<br />

auch ohne derartige hagiographische Ausschmückungen überragend.<br />

Vater <strong>Nikolaj</strong> in Grossbritannien<br />

3


<strong>Der</strong> weitere Lebensweg des hl. <strong>Nikolaj</strong> vom Herbst 1909 bis Mitte Juni 1915, wo er in<br />

staatlichem Auftrag in Grossbritannien eintrifft und zur Serbischen Gesandtschaft zählt, lässt<br />

sich anhand <strong>von</strong> Dokumenten aus jener Zeit anscheinend nicht mehr so genau verfolgen.<br />

Zunächst finden wir ihn in Serbien, wo er im Dezember 1909 / Januar 1910 im Kloster<br />

Rakovica die Mönchs- und die Priesterweihe empfängt. Vermutlich noch im Januar 1910 wird<br />

er <strong>von</strong> <strong>seine</strong>n Vorgesetzten an die Geistliche Akademie St. Petersburg geschickt, mit dem<br />

Ziel, dass er „orthodox werde“ (da „se opravoslavi“). Er blieb dort wohl bis im Frühling 1911<br />

und scheint danach bis zum Frühling 1915 als Lehrer am Theologischen Seminar des <strong>Hl</strong>. Sava<br />

in Belgrad gewirkt zu haben. Es ist auch die Rede da<strong>von</strong>, dass er in den Balkankriegen und zu<br />

Beginn des Ersten Weltkriegs als Armeeseelsorger gewirkt hat.<br />

<strong>Ein</strong>en kleinen, partiellen <strong>Ein</strong>blick in die erste Periode dieses Lebensabschnitts verschafft<br />

uns <strong>seine</strong> Briefkorrespondenz mit <strong>seine</strong>m theologischen Betreuer in Bern, <strong>Bischof</strong> Eduard<br />

Herzog. Da<strong>von</strong> sind die Briefe Velimirovićs un<strong>auf</strong>findbar, aber aus den erhaltenen Kopien der<br />

Briefe Herzogs im Bischöflichen Archiv in Bern geben sich die angeschnittenen Themen<br />

leicht zu erkennen. Nach der Rückkehr aus Bern musste der junge zweifache Doktor<br />

feststellen, dass er in <strong>seine</strong>r Heimat mit all <strong>seine</strong>n Zeugnissen, die er im Westen – und zwar<br />

im kirchlichen Auftrag – erlangt hatte, als theologischer Lehrer nicht gebraucht werden<br />

konnte. Das hatte ihn offensichtlich schmerzlich berührt. Herzog regte (im Oktober 1909) an,<br />

er möge er sich doch in Bern mit einer zweiten theologischen Dissertation habilitieren.<br />

Nachdem Herzog im September 1910 <strong>von</strong> der Priesterweihe <strong>seine</strong>s früheren Studenten<br />

erfahren hatte, bot er ihm zusätzlich noch an, er könne bei einer Lehrtätigkeit als Privatdozent<br />

in Bern auch die orthodoxen Studierenden an der Christkatholisch-theologischen Fakultät<br />

betreuen. Allerdings könne er ihm keine gut bezahlte Stelle anbieten. Velinirović bekundete<br />

<strong>seine</strong> grundsätzliche Bereitschaft, nach Bern zu kommen. Noch im selben September 1910<br />

konnte Herzog Velimirović, der immer noch in St. Petersburg weilte, den zusätzlichen<br />

Vorschlag machen, die Redaktion der in Bern erscheinenden „Revue internationale de<br />

Théologie“ zu übernehmen, da dessen Eigentümer und Redaktor, Prof. Eugène Michaud, die<br />

Zeitschrift nicht mehr weiterführen wolle; die Redaktionsarbeit würde ihm vielleicht doch den<br />

Lebensunterhalt in Bern sichern. Die genannte Zeitschrift wurde <strong>auf</strong> Antrag des russischen<br />

Laientheologen General Aleksandr A. Kireev (1832/33-1910) vom Internationalen<br />

10 Altkatholikenkongress<br />

1892 in Luzern ins Leben gerufen. Sie entwickelte sich unter der Leitung <strong>von</strong> Michaud und<br />

mit altkatholischen, orthodoxen und anglikanischen Mitarbeitern zu einem monumentalen<br />

Forum, wo Fragen einer kirchlichen Union<br />

11 <strong>auf</strong> dem dogmatischen Boden der Alten Kirche<br />

diskutiert wurden. Nun, es zeigte sich bald, dass die Weiterführung der Zeitschrift unter dem<br />

neuen Namen „Internationale Kirchliche Zeitschrift“ anders organisiert wurde, als <strong>Bischof</strong><br />

Herzog zunächst gedacht hatte. Überdies meldete ihm Velimirović im Dezember 1910, er<br />

werde nun <strong>von</strong> <strong>seine</strong>r Kirche nach Hause gerufen und könne so doch nicht nach Bern zur<br />

Habilitation kommen.<br />

Man erkennt aus dieser Korrespondenz nicht nur eine gewisse Niedergeschlagenheit, die<br />

den jungen serbischen Theologen nach <strong>seine</strong>r Abreise <strong>von</strong> Bern befallen hatte, sondern auch<br />

die Zuneigung, die er <strong>von</strong> Seiten <strong>seine</strong>s Mentors in Bern genoss. Dabei steht Herzog ganz in<br />

der Linie früherer altkatholischer ökumenischer Zielsetzungen, dass die altkatholische Kirche<br />

ihren bescheidenen Anteil an einer Wiederherstellung der kirchlichen Gemeinschaft der<br />

östlichen und westlichen Tradition zu leisten habe. Er erblickte einen konkreten Ort dieses<br />

Brückenschlags zwischen Ost und West in der altkatholischen Fakultät in Bern. <strong>Der</strong> schon<br />

genannte russische orthodoxe Theologie Kireev hatte 1892 die Internationalisierung der<br />

Fakultät in dem Sinn vorgeschlagen, dass auch eine Abteilung in einer slawischen Sprache zu<br />

schaffen wäre. <strong>Bischof</strong> Herzog hatte sich bei <strong>seine</strong>n bischöflichen Kollegen nach dem Tod<br />

4


des letzten altkatholischen Professors in Bonn immer wieder um eine interne altkatholische ,<br />

Internationalisierung bemüht, aber ohne Erfolg. Im <strong>Blick</strong> <strong>auf</strong> Velimirović hoffte er <strong>auf</strong> eine<br />

Teilrealisierung des etwas utopischen Projekts: Er stellte sich anscheinend vor, dass ein<br />

13 allfälliger<br />

orthodoxer Lehrer an der Fakultät die orthodoxen Studierenden als Mentor und Priester<br />

begleiten könnte. Denn gerade serbische Studenten kamen in unserem Zeitraum wiederholt<br />

zum Studium an die altkatholische Fakultät in Bern, und zwar anscheinend <strong>auf</strong> Empfehlung<br />

<strong>von</strong> Vater <strong>Nikolaj</strong>. Die weitere Hoffnung, dass zu ihnen auch<br />

14 polnische Mariaviten<br />

stossen würden, so dass sich eine slawischsprachige Dozentur geradezu <strong>auf</strong>drängen würde,<br />

wurde aber nie realisiert.<br />

Dass es <strong>Bischof</strong> Herzog in all dem auch um eine Rechtfertigung der Existenz <strong>von</strong><br />

Fakultät und Kirche, die damals <strong>von</strong> römisch-katholischer Seite zugleich bekämpft und<br />

totgesagt wurden, ging, braucht nicht weiter ausgeführt zu werden.<br />

Geistliche Konvergenzen zwischen <strong>Bischof</strong> Herzog und Vater <strong>Nikolaj</strong>?<br />

Es wäre interessant zu untersuchen, ob sich in den <strong>frühen</strong> Arbeiten <strong>von</strong> Velimirović Spuren<br />

<strong>seine</strong>r Studien an der christkatholischen Berner Fakultät finden. <strong>Ein</strong> möglicher Hinweis<br />

begegnet in einer Jugendschrift aus dem Jahr 1909: «Pitanje o sjedinjenju Crkava» (Die Frage<br />

der <strong>Ein</strong>heit der Kirche); möglicherweise ist der Inhalt identisch mit einem Text, der 1909 in<br />

der anglikanischen Wochenzeitschrift „The Guardian“ erschien sein soll („The Question of<br />

the Unity of the Church“). Dort spricht Velimirovič im <strong>Blick</strong> vor allem <strong>auf</strong> die Beziehungen<br />

zwischen der Kirche <strong>von</strong> England und der Ostkirche da<strong>von</strong>, dass eine Herzenseinheit, eine<br />

entente cordiale, wichtiger sei als eine Übereinstimmung hinsichtlich<br />

15 filioque und Transsubstantiation.<br />

Gerade diese beiden Themen waren die beiden immer wieder beackerten Problemfelder im<br />

stets nur schriftlich erfolgten Austausch <strong>von</strong> Gutachten zwischen der russischen orthodoxen<br />

St. Petersburger Kommission und der altkatholischen Rotterdamer Kommission; diese beiden<br />

Kommissionen führten im Auftrag der beiden Kirchen den kirchenamtlichen Dialog in den<br />

<strong>Jahre</strong>n 1893-1913. Von diesem ersten offiziellen orthodox-altkatholischen Dialog hat<br />

Velimirović in Bern sicher gehört, aber wohl auch <strong>von</strong> Herzogs Skepsis gegenüber einer<br />

detaillierten Aufarbeitung theologischer Differenzen als Voraussetzung kirchlicher<br />

Gemeinschaft. Er teilte voll dessen Auffassung.<br />

Ich möchte gerade <strong>seine</strong> Äusserungen zur Frage der Annäherung der getrennten Kirchen<br />

und zur Wiedervereinigung noch etwas weiterverfolgen. Wir kommen dabei in die Zeit<br />

zwischen Juni 1915 und Januar 1919, die Vater <strong>Nikolaj</strong> – abgesehen <strong>von</strong> einer Reise in die<br />

USA im Spätsommer 1915 – in Grossbritannien verbrachte. Dorthin wurde er <strong>von</strong> der<br />

Regierung in Belgrad nach dem deutschen Angriff <strong>auf</strong> Serbien geschickt mit dem Auftrag, bei<br />

den Alliierten Verständnis für die serbischen Anliegen und die serbische Kultur zu wecken.<br />

Er vermochte dank <strong>seine</strong>r persönlichen Ausstrahlung und <strong>seine</strong>r rhetorischen Begabung bald<br />

die Herzen vieler Briten zu gewinnen, besonders solcher, die zur Kirche <strong>von</strong> England<br />

gehörten. Zum Erzbischof <strong>von</strong> Canterbury, Randall Th. Davidson, entwickelte sich so etwas<br />

wie ein Sohn-Vater-Verhältnis. Man kann wohl sagen, dass Velimirovć in anglikanischen<br />

Kreisen in jenen <strong>Jahre</strong>n der bekannteste Orthodoxe war und mit zu der Annäherung der<br />

Kirche <strong>von</strong> England (und der<br />

16 amerikanischen Episkopalkirche)<br />

zu den orthodoxen Kirchen des Ostens beigetragen hat; diese hat dann besonders in den<br />

beiden <strong>auf</strong> den Ersten Weltkrieg folgenden Jahrzehnten zu grossen Hoffnungen <strong>auf</strong> eine<br />

5


Praxis kirchlicher Gemeinschaft geführt. An den damaligen zahlreichen Konferenzen der<br />

1920er <strong>Jahre</strong> war freilich Vater <strong>Nikolaj</strong>, nunmehr <strong>Bischof</strong> <strong>von</strong> Žiča bzw. Ochrid, nicht mehr<br />

beteiligt. Immerhin wurde er <strong>von</strong> <strong>seine</strong>r Kirche an die Erste Weltversammlung der<br />

Kommission für Glauben und Kirchenverfassung 1927 in Lausanne delegiert. Da er<br />

verhindert war, selbst teilzunehmen, wurde sein Referat über die Sakramente vom Leiter der<br />

orthodoxen Delegation verlesen, dem Erzbischof <strong>von</strong> Thyateira, Germanos (Strinopulos);<br />

dieser war auch Vertreter des Ökumenischen Patriarchen beim Erzbischof <strong>von</strong> Canterbury<br />

(später auch beim altkatholischen Erzbischof <strong>von</strong> Utrecht).<br />

17 Metropolit<br />

Germanos (1872-1951) war punkto Bekanntheit als orthodoxer Geistlicher in Grossbritannien<br />

so etwas wie der Nachfolger <strong>von</strong> Vater <strong>Nikolaj</strong>. Die beiden hatten sich übrigens zum ersten<br />

Mal im April 1911 in Konstantinopel kennen gelernt: Dort hatte der Christliche<br />

Studentenweltbund („The World’s Christian Students Federation“) ihre dritte internationale<br />

Konferenz durchgeführt, um auch jungen orthodoxe Christen für die Aufgaben christlicher<br />

Zusammenarbeit zu gewinnen, und es waren gerade die orthodoxen und anglikanischen<br />

Kräfte im Studentenweltbund, die diesen später<br />

18 zu einer klar trinitarischen Basis gebracht hatten.<br />

Die Dichte <strong>von</strong> persönlichen Begegnungen und theologisch-kirchlichem Austausch<br />

zwischen Anglikanern und Orthodoxen hatte natürlich auch damit zu tun, dass die zahlreichen<br />

Repräsentanten <strong>von</strong> orthodoxen und altorientalischen Kirchen, die aus dem Orient immer<br />

wieder nach Grossbritannien kamen, um bei der britischen Regierung (und der Kirche <strong>von</strong><br />

England) um politische und andere Unterstützung für ihr Länder und ihre eigene Kirche zu<br />

werben. Dies geschah in einer Zeit, wo sich die beiden Vielvölkerreiche der Osmanen und der<br />

österreichisch-ungarischen Monarchie <strong>auf</strong>lösten und die Nachfolgeordnung national<br />

orientierter Staaten noch nicht geklärt war.<br />

In diesem Kontext bewegte sich selbstverständlich auch Vater <strong>Nikolaj</strong>, wie aus den<br />

zahlreichen Veröffentlichungen aus jenen <strong>Jahre</strong>n hervorgeht: ich zähle vier Bücher mit<br />

gesammelten Reden, Predigten und Aufsätzen (The Soul of Serbia, The Religious Spirit of the<br />

Slavs, Serbia in Light and Darkness, The Agony of the Church) – ein fünftes kommt noch<br />

dazu, wenn man die Äusserungen während des kurzen Besuch des <strong>Bischof</strong>s <strong>von</strong> Žiča vom<br />

Dezember 1919 bis Januar 1920 in London einbezieht (The Spiritual Rebirth of Europe).<br />

Daneben wären noch einige kleinere Broschüren zu nennen. Sie sind alle englisch geschrieben<br />

und zielen <strong>auf</strong> ein angelsächsisches Publikum, das sich im Krieg mit den Mittelmächten und<br />

der Pforte befand. Velimirović lag das Wohl des kriegsversehrten Serbiens am Herzen. Dabei<br />

suchte er die besondere<br />

19 Eigenart des serbischen Volkes zu vermitteln, das er im Licht der <strong>von</strong> ihm so genannten<br />

Theodulie sah:<br />

Das alte, Gott dienende Serbentum mit <strong>seine</strong>m besonderen, in der eigenen Geschichte<br />

erworbenen Wissen, dass <strong>auf</strong> Golgotha Ostern, <strong>auf</strong> das Martyrium die Auferstehung folgen<br />

müsse, habe einen Auftrag zu erfüllen bei der geistlichen Wiedergeburt Europas aus den<br />

Trümmern des Weltkrieges.<br />

Ich zitiere aus einer Predigt, die er im Dezember 1919 in der St. Paul’s Kathedrale in<br />

London hielt, bei der ihn der<br />

20 Suffragan des <strong>Bischof</strong>s <strong>von</strong> London,<br />

<strong>Bischof</strong> Herbert Bury, als Verkörperung des serbischen Geistes (the Spirit of Serbia) den<br />

Zuhörern vorstellte. In dieser Ansprache kam <strong>Bischof</strong> <strong>Nikolaj</strong> <strong>auf</strong> das geistliche Grundgesetz<br />

der Ostkirche zu sprechen (The Principle of the Eastern Orthodox Church). Er sieht sie im<br />

Wesen und in der Fähigkeit, alles zu umfassen, alles Lebensfördernde in die umfassende<br />

Gegenwart Gottes zu integrieren, kurz in ihrer inclusiveness. Er führt wörtlich aus „Was sind<br />

nun die praktischen Konsequenzen dieses orthodoxen Grundgesetzes der inclusiveness? Die<br />

6


praktische Konsequenz ist die Sehnsucht des christlichen Ostens nach der <strong>Ein</strong>heit der<br />

Christenheit und das Gebet für diese <strong>Ein</strong>heit.“ Er fragt dann, „warum die Ostkirche sich so<br />

nach dieser <strong>Ein</strong>heit aller christlichen Gruppen sehnt, da sie doch in sich alle Besonderheiten<br />

der anderen in sich selbst besitzt.“ Er sieht den Grund dafür erstens darin, „dass wir Euch<br />

brauchen. Wir lieben Euch, weil wir Euch brauchen. Das ist kein materielles und<br />

vorübergehendes Bedürfnis, sondern ein geistliches und für immer ... Wir erwarten ein<br />

volleres Leben in der Vereinigung mit Euch. Wir gleichen dürren Gebeinen ohne Euch... „ Er<br />

kommt dann <strong>auf</strong> weitere Gründe zu sprechen, die mit der aktuellen politischen Situation und<br />

den Aufgaben des Völkerbundes zu tun haben. Letztlich aber gilt: „Das Wichtigste, das alle<br />

Sorgen der christlichen Völker behebt, ist die Vereinigung der Kirchen. Nicht bloss eine<br />

Annäherung (rapprochement), sondern wirkliche <strong>Ein</strong>heit. <strong>Ein</strong>e Annäherung zwischen der<br />

Anglikanischen Gemeinschaft und dem orthodoxen Osten ist ja schon erreicht. Die<br />

Gebetsversammlung heute abend manifestiert dies. ... Wir brauchen mehr ... eine wirkliche<br />

<strong>Ein</strong>heit der Christenheit.“ Und er stellt mit Befriedigung fest, dass die althergebrachten<br />

Lehrunterschiede zwischen Ost- und Westkirche gegenüber geistlichen und praktischen<br />

Erwägungen zurückgestuft worden sind. Das erfüllt ihn mit Hoffnung im <strong>Blick</strong> <strong>auf</strong> die<br />

geplante<br />

21 Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung<br />

(eine Vorversammlung fand 1020 in Genf, die Vollversammlung 1927 in Lausanne statt), und<br />

er erkennt dieselbe Zielsetzung im<br />

22 Programm der Lambeth Konferenz der anglikanischen Bischöfe<br />

<strong>von</strong> 1920.<br />

Ich frage nach der Lektüre dieser Predigt: Ist das nicht ein kontextuelles und daher<br />

zeitgemässes Beispiel der <strong>von</strong> <strong>Bischof</strong> <strong>Nikolaj</strong> auch sonst beschriebenen Svetosavlje – der<br />

Gabe und Begabung zugleich, die universale Botschaft vom <strong>auf</strong>erstandenen Christus so zu<br />

verstehen und zu leben, dass sie das Leben der Nationen und Völker reinigt und in ein<br />

friedvolles Miteinander stellt statt es mit Abgrenzungsstrategien zu vergiften?<br />

Wie dem auch sei, man kann in den Äusserungen, die Vater <strong>Nikolaj</strong> in jenen <strong>Jahre</strong>n<br />

gemacht hat, Konvergenzen zu den Erwartungen einer künftigen <strong>Ein</strong>heit der Christen sehen,<br />

die <strong>seine</strong>n früheren Mentor <strong>Bischof</strong> Eduard Herzog bewegt haben. Dieser hat den Weg <strong>seine</strong>s<br />

ehemaligen Doktoranden auch aus der Ferne mit Sympathie verfolgt. Die Sympathie galt auch<br />

den Anstrengungen der mehrheitlich orthodoxen Völker <strong>auf</strong> dem Balkan, eine nationale<br />

Identität und eine entsprechende staatliche und relative kirchliche Unabhängigkeit zu<br />

gewinnen, obschon ihm die damit verbundenen Schwierigkeiten – man denke nur an die den<br />

Zweiten Balkankriege <strong>von</strong> 1913 – gewiss nicht verborgen bleiben konnten.<br />

Herzog stand in der Linie, wie sie das „Programm“ des 1. Altkatholiken-Kongresses <strong>von</strong><br />

München 1871 formuliert hatte: Bei der angestrebten Reform der Kirche <strong>auf</strong> der Grundlage<br />

des Glaubens und der<br />

23 Verfassung der Alten Kirche<br />

– und diese Reform schliesst eben auch <strong>Ein</strong>heit und Gemeinschaft der getrennten Kirchen ein<br />

– können „unbeschadet der kirchlichen<br />

<strong>Ein</strong>heit in der Lehre, die nationalen Anschauungen und Bedürfnisse Berücksichtigung<br />

finden.“ Zu den nationalen Bedürfnissen gehörte für Herzog auch das altkirchliche Prinzip der<br />

relativen Autonomie der Ortskirchen: Diese werden nicht universal <strong>von</strong> Zentrum aus geleitet<br />

(etwa durch eine universale päpstliche Jurisdiktion), sie sind aber gemeinsam für ihre<br />

Gemeinschaft verantwortlich sind und müssen sie auch sichtbar bezeugen.<br />

<strong>Ein</strong>e national organisierte Kirche ist für Herzog klarerweise auch nicht eine Kirche, deren<br />

Mitglieder eine besondere ethnische oder sprachliche Identität <strong>auf</strong>weisen; das wäre für die<br />

Schweiz gar nicht möglich, weil mit den vier Landessprachen und ihren kulturellen<br />

Identitäten dafür die Voraussetzungen völlig fehlen würden. <strong>Der</strong> Begriff „nationale Kirche“<br />

7


ezieht sich allein <strong>auf</strong> das Territorium eines Staates, innerhalb deren Grenzen die Kirche eben<br />

ihre innere kanonische Eigenständigkeit lebt und mit anderen „nationalen Kirchen“ die<br />

Gemeinschaft im Glauben und in der Liebe sucht und bewahrt. So gibt es in der<br />

Altkatholischen Kirche der Schweiz deutsch- und französischsprachige Parochien. Wo die<br />

Kirche unabhängig <strong>von</strong> staatlichen Regelungen bestimmen kann, sind auch Altkatholiken<br />

ohne schweizerischen Pass völlig gleichberechtigte Mitglieder.<br />

24 Das allein dürfte sinngemäss der T<strong>auf</strong>tradition entsprechen, die der Völkerapostel im<br />

Galaterbrief 3,27-28 ausspricht:<br />

In Christus gibt es weder Jude noch Grieche. Das entscheidende Kriterium der Gemeinschaft<br />

ist der Glaube an den dreieinen Gott und die ihm entsprechende Praxis der Liebe in der<br />

kirchlichen Ordnung, wie sie die ökumenischen Synoden umrissen haben.<br />

Spätere Früchte <strong>von</strong> <strong>Nikolaj</strong> Velimirovićs Aufenthalt in Bern<br />

<strong>Bischof</strong> Herzog hat <strong>seine</strong>n Schüler, dem er offensichtlich sehr zugetan war, nach dessen<br />

Abreise aus Bern nicht mehr gesehen. Und auch die Korrespondenz endet mit einem Brief<br />

vom Juli 1919. In ihm redet er den fast 40 <strong>Jahre</strong>n jüngeren, unterdessen zum <strong>Bischof</strong><br />

geweihten <strong>Nikolaj</strong> als „verehrten und lieben Bruder“ an. Er hält es für eine Fügung Gottes,<br />

dass Velimirović zuerst nach Bern gekommen und dann mit der Kirche <strong>von</strong> England in<br />

Kontakt getreten sei, denn im <strong>Blick</strong> <strong>auf</strong> die Annäherung der Kirchen seien menschliche<br />

Begegnungen wichtiger als differenzierte Auseinandersetzungen über theologische Probleme.<br />

Heute sei der junge <strong>Bischof</strong> durch <strong>seine</strong>n Dienst „der geistige Führer Ihres Volkes geworden“.<br />

So sei es auch besser, dass er in Serbien bleibe statt als Lehrer an der Berner Fakultät zu<br />

wirken.<br />

Dies war insofern konsequent, als Herzog in <strong>seine</strong>n Briefen wiederholt deutlich machte,<br />

dass der vertrauensvolle Kontakt zwischen Velimirović und dem christkatholischen <strong>Bischof</strong><br />

im Dienst einer höheren Sache stand, nämlich der<br />

25 Beziehungen zwischen Kirchen, die in ihrer relativen Autonomie (terminologisch:<br />

orthodoxe Autokephalie und altkatholische Nationalkirche) eine nicht zentralistische und<br />

daher strukturell nicht autoritäre Katholizität und Gemeinschaft zu bezeugen haben.<br />

<strong>Bischof</strong> Herzog hatte andererseits im Juni 1916 in Bern eine Begegnung mit dem<br />

Metropoliten Dimitrije, der <strong>von</strong> England in <strong>seine</strong> Heimat zurückkehrte. Dieser – nach der<br />

Wiederherstellung der früheren Autokephalie nunmehr Patriarch – dankte ihm auch nach dem<br />

Krieg für die geistliche und materielle Unterstützung <strong>von</strong> Studenten und Flüchtlingen. <strong>Ein</strong><br />

gewisser Höhepunkt der christkatholisch – serbisch-orthodoxen Beziehungen zu Lebzeiten<br />

<strong>von</strong> <strong>Bischof</strong> Herzog ist darin zu sehen, dass <strong>auf</strong> Antrag des Heiligen Synods der Serbischen<br />

Orthodoxen Kirche der Monarch des Königreiches der Serben, Kroaten und Slowenen, König<br />

Alexander (Karađorđević – 1888-1934), <strong>Bischof</strong> Eduard Herzog am 1. November 1923 die<br />

höchste Auszeichnung der Kirche verlieh, den Orden des <strong>Hl</strong>. Sava 1. Klasse. Das ist ja<br />

gegenüber einem Nichtorthodoxen ein ungewöhnlicher Vorgang, und ich kenne aus jener Zeit<br />

nur eine Analogie: 1918 erhielten der Erzbischof <strong>von</strong> Canterbury und die Bischöfe <strong>von</strong><br />

London und Oxford dieselbe Ehrung. Auf die erst im März 1924 erfolgte Mitteilung diktierte<br />

Herzog am 21. März, fünf Tage vor <strong>seine</strong>m Tod, dem bischöflichen Vikar Adolf Küry einen<br />

Brief des Dankes – es war sein letzter.<br />

<strong>Bischof</strong> <strong>Nikolaj</strong> kam gemäss mündlichen Quellen noch einmal in die Schweiz, nämlich<br />

irgendwann im Sommer 1945, in der Zeit zwischen <strong>seine</strong>r Befreiung aus deutscher Hand im<br />

Mai 1945 und <strong>seine</strong>m <strong>Ein</strong>treffen in London im dar<strong>auf</strong>folgenden Herbst. Dabei hat er im Hotel<br />

„Schweizerhof“ <strong>seine</strong>n früheren Kommilitonen Prof. Arnold Gilg (1887-1967) getroffen. Gilg<br />

war im Herbst 1906 neben den beiden Serben Velimirović und Radanović der einzige<br />

8


Neuimmatrikulierte. Ihm, „meinem lieben Freund und Studiengenossen“, hatte Velimirović<br />

<strong>seine</strong> theologische Dissertation gewidmet. Gilg, unterdessen Professor für Kirchen- und<br />

Dogmengeschichte an der Christkatholisch-theologischen Fakultät geworden, habe <strong>seine</strong>m<br />

bischöflichen Freund fast Vorwürfe gemacht, dass er nicht in <strong>seine</strong> Heimat zurückkehren<br />

wolle. Dieser habe ihm dar<strong>auf</strong> geantwortet, er fände im titoistischen Jugoslawien keinen Platz<br />

mehr. Gilg hat <strong>von</strong> diesem Gespräch den sechs serbischen Studierenden erzählt, die 1947 als<br />

Flüchtlinge in Bern eintrafen, unter ihnen Predislav Kuburović, mein Informant.<br />

Man kann sich fragen, ob <strong>Bischof</strong> <strong>Nikolaj</strong> in jenem Sommer nicht auch <strong>Bischof</strong> Prof.<br />

Adolf Küry (1870-1955) getroffen hatte, da er, wie Đoko Slijepčević berichtet, ihn aus der<br />

deutschen Haft brieflich um Hilfe angegangen habe. <strong>Ein</strong>e Begegnung lässt sich aber nicht<br />

nachweisen. <strong>Bischof</strong> Küry war in den Kriegsjahren und unmittelbar danach eine Anl<strong>auf</strong>stelle<br />

für viele orthodoxe Flüchtlinge aus dem Osten. Daher hat die schweizerische Regierung 1945<br />

eigens eine „Kommission für orthodoxe Flüchtlinge“ gegründet und unter das Patronat der<br />

Christkatholischen Kirche und ihres <strong>Bischof</strong>s gestellt.<br />

<strong>Ein</strong> letztes Zeugnis des Heiligen für die Berner Fakultät sei erwähnt. Er schreibt im<br />

Februar 1946 <strong>seine</strong>m Freund aus den Tagen <strong>seine</strong>s langen England<strong>auf</strong>enthaltes, dem <strong>Bischof</strong><br />

<strong>von</strong> Chichester, George Bell, folgendes:<br />

„Mein lieber <strong>Bischof</strong> Bell.<br />

Ich schreibe Ihnen schon wieder. Ich bin so vergesslich geworden – es ist ein Jammer.<br />

In meinem letzten Brief vergass ich, die Altkatholische Kirche in der Schweiz zu<br />

erwähnen. Die altkatholische Fakultät der Universität Bern war meine erste alma mater.<br />

<strong>Der</strong> berühmte E. Herzog war mein Professor für Neues Testament. Meine anderen<br />

Professoren waren: Michaud, Thürlings, Woker, Kunz und andere – alles grosse<br />

Vorkämpfer für den Altkatholizismus. <strong>Der</strong> jetzige <strong>Bischof</strong> Küry war damals Pfarrer <strong>von</strong><br />

Basel. Zu meinen Mitstudenten gehörten unter anderem: Gilg, Bailly, Seiler. Alle sind<br />

noch am Leben. Dr. Arnold Gilg ist berühmt geworden. Er war eine Zeitlang Rektor der<br />

Universität. Bailly und Seiler sind immer noch Gemeindepfarrer, wie sie es <strong>von</strong> Anfang<br />

an waren. Überzeugte Christen und gute Seelsorger.<br />

Nun, was ich vorschlagen möchte ist, dass es eine sehr gute Sache wäre, wenn Sie ihnen<br />

in Bern einen Besuch abstatten würden – um ihre theologische Fakultät zu sehen und in<br />

ihrer Kirche dort (Metzgergasse) zu predigen. Es wäre natürlich noch wirkungsvoller,<br />

wenn Seiner Gnaden der Erzbischof <strong>von</strong> Canterbury dies zusammen mit Ihnen tun<br />

würde. Sie würden sich sicher freuen. Und es würde diese kleine und zähe Herde Christi<br />

stärken. Es würde auch die Beziehungen zwischen Ihrer Kirche und der ihrigen<br />

befestigen. Ich denke wirklich, das wäre ein gesegnetes Unternehmen. Ich weiss, sie<br />

haben eine Kirchgemeinde in Genf, in Lausanne [was nicht stimmt], Luzern, usw., aber<br />

Bern ist ihr Zentrum.<br />

Sehr wahrscheinlich haben Sie selbst das zu tun geplant. In diesem Fall unterstütze ich<br />

nur Ihre gute Absicht. Und ich tue es, weil ich diese wunderbaren Menschen Gottes so<br />

liebe wie meine eigenen.<br />

Ich wünsche Ihnen und Seiner Gnaden eine gute Reise in die Schweiz und bete für einen<br />

wirklichen Erfolg Ihrer Arbeit und bleibe wie immer in brüderlicher Liebe in unserem<br />

gesegneten Herrn<br />

Ihr + <strong>Bischof</strong> <strong>Nikolaj</strong>.“<br />

<strong>Bischof</strong> <strong>Nikolaj</strong> war es auch, der den Anstoss dazu gab, dass im <strong>Jahre</strong> 1948 der <strong>Bischof</strong><br />

der serbischen Orthodoxen Diözese in den USA, Dionisije (Milivojević), <strong>Bischof</strong> Adolf Küry<br />

und der Fakultät das Kreuz des Hk. Joanikie übergab in Anerkennung der seit Jahrzehnten<br />

währenden Aufnahme <strong>von</strong> serbisch-orthodoxen Studenten an die Christkatholischtheologische<br />

Fakultät.<br />

9


Bis in die Gegenwart sind es deren 44 gewesen, die kürzere oder längere Zeit in Bern<br />

studiert haben, in der Regel als Stipendiaten des christkatholischen <strong>Bischof</strong>s. Wenn wir das<br />

Verzeichnis gliedern müssten, so würde das am Anfang so aussehen: 1 kanonisierter <strong>Bischof</strong>,<br />

5 weitere Bischöfe (Jovan [Jordan A. Ilić], Sava [Svetozar Vuković], Milutin [Marko<br />

Stojadinović], Amfilohije [Risto Radović], Dositej [Despot Motika]; 10 Professoren und<br />

Dozenten der Theologischen Fakultät in Belgrad oder <strong>von</strong> Priesterseminaren (Radivoje Josić,<br />

Jordan P. Ilić, Nikola Đorđević, Dimitrije Dimitrijević, Đoko Slijepčević, Emilijan Čarnić,<br />

Pribislav Simić, Radomir Rakić, Dragan Milin, Ilija Tomić), daneben Pfarrer oder<br />

Gymnasiallehrer; <strong>von</strong> einigen ist mir ihr Lebensweg nicht bekannt.<br />

Im Rückblick ist der 1909 im zweiten Brief <strong>von</strong> <strong>Bischof</strong> Herzog an den „Lieben Herrn<br />

Doktor“ geäusserte Wunsch, es möge „die serbische Nationalkirche immer wieder so<br />

ausgezeichnete Sohne an unsere Fakultät senden ..., wie Sie einer sind“, irgendwie in<br />

Erfüllung gegangen. Den ersten Schub hat sicher Vater <strong>Nikolaj</strong> gegeben, später war es vor<br />

allem Prof. Dimitrijević, der Absolventen der Belgrader Fakultät – insgesamt zehn – zum<br />

Weiterstudium nach Bern vermittelt hat. In der jüngsten Zeit haben sich die Beziehungen aus<br />

unterschiedlichen Gründen eher gelockert.<br />

Wie weiter?<br />

Ich schliesse mit einem Schwenker weg <strong>von</strong> der Christkatholisch-theologischen Fakultät, dem<br />

Ort der theologischen Diskurse und Forschungen, und lenke den <strong>Blick</strong> hin <strong>auf</strong> die<br />

christkatholische<br />

26 <strong>Bischof</strong>s- und Pfarrkirche<br />

der <strong>Hl</strong>. Apostel Petrus und Paulus in Bern. In dieser Kirche hat der erste <strong>Bischof</strong> der<br />

damaligen serbischen Diözese und jetzige <strong>Bischof</strong> <strong>von</strong> Šabac (dessen Gast ich an diesem<br />

Wochenende sein darf), Vladika Lavrentije, im Dezember 1969 im Beisein des damaligen<br />

christkatholischen <strong>Bischof</strong>s, Prof. <strong>Urs</strong> Küry, den ersten serbischen Geistlichen für die<br />

Schweiz ordiniert (Vater Draško Todorović). Seither feiert die serbische Kirchgemeinde Bern<br />

in der Krypta der Kirche nach wie vor die ihre Gottesdienste.<br />

Es ist dieselbe Kirche, in der – gemäss einer <strong>Ein</strong>tragung <strong>von</strong> <strong>Bischof</strong> Eduard Herzog in<br />

sein Tagebuch –<br />

27 am Hohen Donnerstag<br />

des <strong>Jahre</strong>s 1907, d.h. dem Tag vor der dreitägigen Osterfeier, die beiden orthodoxen<br />

Theologen Radovanović und Velimirović „zum ersten Mal“ an der Kommunion teilnahmen.<br />

„Die beiden Herren haben sich bei ihrem <strong>Bischof</strong> erkundigt, ob ihnen das gestattet sei und<br />

dar<strong>auf</strong> eine zusagende Antwort erhalten.“ Vom <strong>Bischof</strong> <strong>von</strong> Žiča wird auch in einer<br />

orthodoxen Quelle (1920) ohne weiteren Kommentar berichtet, dass er in anglikanischen<br />

Eucharistiefeiern kommuniziert habe.<br />

Selbstverständlich waren das ausserordentliche Ereignisse und können (noch) nicht<br />

einfach zur Regel werden. Aber ich sehe in dieser Handlung des Heiligen wie auch in den<br />

vorher referierten Worten aus <strong>seine</strong>m Mund so etwas wie ein prophetisches Zeichen: ein<br />

Hinweis <strong>auf</strong> etwas Künftiges und eine Mahnung an uns. Was sollen die persönlichen<br />

Beziehungen <strong>von</strong> Bischöfen und ihre Erfahrungen einer anfänglichen entente cordiale , was<br />

soll der Austausch <strong>von</strong> Studierenden der Theologie, was soll auch die Aufarbeitung <strong>von</strong><br />

theologischen Differenzen, wenn dabei über die Generationen hinweg sich nichts am Zustand<br />

der kirchlich gespaltenen Christenheit ändert? Im Vergleich mit der Zeit, die der hl. <strong>Nikolaj</strong><br />

gelebt und an <strong>seine</strong>m Ort mitgeprägt hat, ist das Gespräch zwischen Ost- und<br />

Westchristentum punkto Vertrauen und gegenseitiger Offenheit heutzutage nicht weiter<br />

gekommen, sogar eher in alte Verhaltensmuster zurückgefallen. Darum ist uns sein Zeugnis,<br />

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<strong>seine</strong> Vision, eine Mahnung. Und die Prophetie liegt darin, dass die Gemeinschaft beim<br />

heiligen Mahl letztlich dem Willen des Herrn entspricht, der dafür betet, dass wir alle eins<br />

seien, damit die Welt glaubt. Dies freilich in passiver Lethargie allein <strong>von</strong> Gott zu erwarten,<br />

wäre zu wenig, sind wir doch als <strong>seine</strong> Freunde (Joh 15,14) in die göttliche Gemeinschaft<br />

derer berufen, die mit ihren Gaben und Kräften Frucht hervorbringen – die Frucht der Liebe,<br />

die aus Gottes unendlicher Menschenliebe stammt.<br />

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