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Liebe, Angst und Tod in Werken von Edvard Munchs Zeitgenossen ...

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BEGLEITAUSSTELLUNG BEGLEITAUSSTELLUNG im Kupferstichkab<strong>in</strong>ett <strong>von</strong> Anne Buschhoff<br />

<strong>Liebe</strong>, <strong>Angst</strong> <strong>und</strong> <strong>Tod</strong> <strong>in</strong> <strong>Werken</strong> <strong>von</strong> <strong>Edvard</strong> <strong>Munchs</strong> <strong>Zeitgenossen</strong>.<br />

Max Kl<strong>in</strong>ger, Odilon Redon, Félicien Rops, Félix Vallotton u.a.<br />

<strong>Edvard</strong> Munch hat e<strong>in</strong> stilistisch äußerst eigenständiges Gesamtwerk h<strong>in</strong>terlassen. Stets vermied er es,<br />

sich zu se<strong>in</strong>en Vorbildern <strong>und</strong> E<strong>in</strong>flüssen zu äußern, <strong>und</strong> trug auf diese Weise gezielt zu dem Mythos<br />

se<strong>in</strong>er künstlerischen Unabhängigkeit bei. Die Begleitausstellung des Kupferstichkab<strong>in</strong>etts <strong>Liebe</strong>, <strong>Angst</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Tod</strong> <strong>in</strong> <strong>Werken</strong> <strong>von</strong> <strong>Edvard</strong> <strong>Munchs</strong> <strong>Zeitgenossen</strong> aber zeigt, dass se<strong>in</strong>e zentralen Bild<strong>in</strong>halte<br />

thematisch <strong>und</strong> motivisch zahlreiche Bezüge zu anderen Künstlern <strong>und</strong> bisweilen auch zu konkreten<br />

<strong>Werken</strong> aufweisen.<br />

Bekannt ist, dass er im heimatlichen Kristiania (seit 1925 Oslo) <strong>und</strong> während se<strong>in</strong>er zahlreichen<br />

Auslandsreisen nach Berl<strong>in</strong> <strong>und</strong> Paris <strong>in</strong>tensiv die Werke der <strong>Zeitgenossen</strong> studierte. Se<strong>in</strong>e Leistung<br />

lag <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er höchst <strong>in</strong>dividuellen Umformulierung der vorgef<strong>und</strong>enen Sujets zu Bildern, die die Psyche<br />

des modernen Menschen widerspiegeln.<br />

Schlaglichtartig berührt diese Schau <strong>in</strong> sieben Kapiteln Themen <strong>und</strong> Motive, um die die Munch-<br />

Ausstellung mit den beiden Bremer Gemälden Mädchen <strong>und</strong> drei Männerköpfe <strong>und</strong> Das K<strong>in</strong>d <strong>und</strong><br />

der <strong>Tod</strong> kreist. In dieser Ausstellung mit <strong>in</strong>sgesamt 50 <strong>Werken</strong> <strong>von</strong> mehr als 20 Künstlern werden<br />

ausgewählte Beispiele <strong>von</strong> <strong>Munchs</strong> Dialog mit der Kunst se<strong>in</strong>er Zeit vorgestellt.<br />

E<strong>in</strong> unmittelbares Vorbild für <strong>Munchs</strong> Gemälde Das K<strong>in</strong>d <strong>und</strong> der <strong>Tod</strong> war die Radierung Die tote<br />

Mutter , die Max Kl<strong>in</strong>ger (1857–1920) 1898 entwarf. Sie zeigt den Kopf der schönen Verstorbenen<br />

merkwürdig hoch gegen das Kissen gelehnt, vergleichbar dem der toten Mutter bei Munch. Auf der<br />

Brust der Leiche sitzt e<strong>in</strong> Säugl<strong>in</strong>g, dessen Schutzlosigkeit durch se<strong>in</strong>e Nacktheit unterstrichen wird.<br />

Wie <strong>Munchs</strong> K<strong>in</strong>d, richtet auch dieses se<strong>in</strong>en entsetzten Blick unmittelbar auf den Betrachter. In<br />

frontaler Ansicht ersche<strong>in</strong>t auch der weibliche Kopf <strong>in</strong> Kl<strong>in</strong>gers Blatt Untergang <strong>von</strong> 1884. Mit<br />

letzter Kraft hält sich die Frau über der Wasseroberfläche – sie droht zu ertr<strong>in</strong>ken, ke<strong>in</strong> rettendes Ufer<br />

ist <strong>in</strong> Sicht. Kl<strong>in</strong>gers Darstellung legt den Vergleich zu <strong>Munchs</strong> Selbstbildnis Vision <strong>von</strong> 1892 nahe.<br />

Munch zeigt ebenfalls e<strong>in</strong>en aus dem Wasser ragenden Kopf, der se<strong>in</strong>e eigenen, existentiellen Ängste<br />

metaphorisiert <strong>und</strong> dem Untergang nahe ist.<br />

Das Motiv der mehr oder weniger rumpflosen Köpfe f<strong>in</strong>det sich mehrfach im Munch’schen OEuvre.<br />

Beispielsweise steigert er <strong>in</strong> dem Bremer Bild Mädchen <strong>und</strong> drei Männerköpfe die männliche<br />

Bedrohung durch den E<strong>in</strong>satz dreier körperloser Köpfe. Die Darstellung isolierter Köpfe weist auf<br />

den E<strong>in</strong>fluss der Grafik des französischen Symbolisten Odilon Redon (1840–1916) h<strong>in</strong>. Statt e<strong>in</strong>es<br />

Albtraums thematisiert Redon <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Lithografie Geschlossene Augen das Träumen selbst als<br />

geheimnisvollen Bewusstse<strong>in</strong>szustand. Das Blatt zeigt die Büste e<strong>in</strong>er jungen Frau, die sich am<br />

Horizont e<strong>in</strong>es flachen Wassers gigantisch gegen den Himmel abhebt. Die geschlossenen Augen<br />

betonen ihre Innenwendung. Munch kann das Blatt <strong>in</strong> der Pariser Galerie Durand-Ruel <strong>in</strong> der dritten<br />

Ausstellung der Maler <strong>und</strong> Radierer im April 1891 gesehen haben.<br />

Neben Redon gehörte auch der belgische Künstler Félicien Rops (1833–1898) zu den bekanntesten<br />

<strong>und</strong> e<strong>in</strong>flussreichsten Grafikern am Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts. Munch kannte sehr wahrsche<strong>in</strong>lich die<br />

kle<strong>in</strong>formatige Illustration zu Don Juans schönstes <strong>Liebe</strong>sabenteuer <strong>von</strong> J. Barbey d’Aurevilly , deren<br />

Komposition bemerkenswerte Ähnlichkeit zu se<strong>in</strong>er Lithografie Pubertät aufweist. Er griff diesen<br />

zarten Mädchenakt <strong>in</strong> dem neuen Bremer Bild Mädchen <strong>und</strong> drei Männerköpfe wieder auf. In Barbey


d’Aurevillys Erzählung berichtet der Graf de Ravila <strong>von</strong> der Tochter e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>stigen Geliebten, die ihn<br />

mit sexueller Neugier beäugte <strong>und</strong> e<strong>in</strong>es Tages gr<strong>und</strong>los fürchtete, <strong>von</strong> ihm schwanger zu se<strong>in</strong>,<br />

nachdem sie nach ihm auf demselben Fauteuil gesessen hatte. Rops zeigt die junge Frau im Akt,<br />

schattengleich h<strong>in</strong>terfangen <strong>von</strong> der Mantelfigur des Grafen. Der Mädchenakt <strong>in</strong> <strong>Munchs</strong> Pubertät<br />

sitzt erstarrt auf dem Bettrand, die Hände verschämt im Schoß haltend, während sich h<strong>in</strong>ter ihm e<strong>in</strong><br />

übermächtiger Schatten bedrohlich aufbäumt.<br />

<strong>Munchs</strong> Darstellungen der <strong>Liebe</strong>sschicksale s<strong>in</strong>d jedoch weit weniger erzählerisch ausgebreitet als bei<br />

se<strong>in</strong>en <strong>Zeitgenossen</strong>. Für das ambivalente Mite<strong>in</strong>ander der Geschlechter fand er seit den frühen<br />

1890er Jahren mit se<strong>in</strong>en zahlreichen Variationen des Kuss-Themas zu über<strong>in</strong>dividuellen S<strong>in</strong>nbildern.<br />

Die Gesichter <strong>von</strong> Mann <strong>und</strong> Frau s<strong>in</strong>d auf dem Gemälde Der Kuss <strong>in</strong>e<strong>in</strong>ander verschmolzen <strong>und</strong> <strong>in</strong><br />

ihrer Individualität aufgelöst. Die E<strong>in</strong>heit im <strong>Liebe</strong>sakt bekommt etwas Beklemmendes.<br />

In Nachfolge <strong>von</strong> Auguste Rod<strong>in</strong>s berühmter Skulptur <strong>von</strong> 1886 thematisierte auch der zu der<br />

Gruppe der Nabis gehörige Grafiker <strong>und</strong> Maler Félix Vallotton (1865–1925) die unglückliche Seite<br />

der <strong>Liebe</strong> <strong>und</strong> das trügerische Moment der körperlichen Verschmelzung. <strong>Munchs</strong> Kuss-Darstellung<br />

dürfte Vallotton bekannt gewesen se<strong>in</strong>, denn beide Künstler waren mit Julius Meier-Graefe<br />

befre<strong>und</strong>et – Meier-Graefe hatte 1894 se<strong>in</strong>e erste kunstkritische Arbeit über Munch verfasst <strong>und</strong> auch<br />

über Vallotton 1898 e<strong>in</strong>e Monografie geschrieben. Vallottons Darstellung zeigt e<strong>in</strong> eng<br />

umschlungenes, junges Paar im zärtlichen Mite<strong>in</strong>ander. Doch die Idylle täuscht <strong>und</strong> entpuppt sich als<br />

moralisch doppelbödig, wie der Titel dieses Blattes – Die Lüge – offenbart. Vallotton entwarf e<strong>in</strong>en<br />

ironischen Sittenspiegel des bürgerlichen Ehelebens. In dessen Mittelpunkt steht die Verführungskunst<br />

der Frau, die den materiellen Vorteil im Blick hat, den der Mann mit sich br<strong>in</strong>gt. Nach Erreichen<br />

ihres Ziels aber amüsiert sie sich anderweitig.<br />

Die vorgestellten Beispiele zeigen, wie stark <strong>Edvard</strong> Munch aus dem symbolistischen Bildrepertoire<br />

se<strong>in</strong>er Zeit schöpfte. Se<strong>in</strong>e Kunst entstand <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em komplizierten <strong>in</strong>tellektuellen Prozess, bei dem er<br />

<strong>von</strong> persönlichen Erlebnissen ausg<strong>in</strong>g, diese aber unter E<strong>in</strong>beziehung der zeitgenössischen Bildsprache<br />

zu über<strong>in</strong>dividuellen, dichten Bildern <strong>von</strong> elementaren Lebenskonflikten komprimierte. Munch schuf<br />

so e<strong>in</strong>en existentiellen Symbolismus. In ihrem s<strong>in</strong>nbildlichen Charakter ist se<strong>in</strong>e Kunst im 19.<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert verankert, <strong>in</strong> ihrer Motivation subjektiver Entäußerung bereitet sie den Weg <strong>in</strong> das 20.<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert.<br />

Text: Anne Buschhoff/Kathar<strong>in</strong>a Groth<br />

Weitere Weitere Informationen:<br />

Informationen:<br />

Ansprechpartner<strong>in</strong> Ansprechpartner<strong>in</strong> für für kunsthistorische kunsthistorische Informationen<br />

Informationen<br />

Dr. Anne Buschhoff, Kurator<strong>in</strong> der Ausstellung<br />

Kunsthalle Bremen – T 0421-32908-270, buschhoff@kunsthalle-bremen.de<br />

Ansprechpartner<strong>in</strong> Ansprechpartner<strong>in</strong> für für Presse Presse- Presse <strong>und</strong> Öffentlichkeitsarbeit<br />

Rebekka Maiwald, Leiter<strong>in</strong> Presse- <strong>und</strong> Öffentlichkeitsarbeit<br />

Kunsthalle Bremen – T 0421-32908-380, presse@kunsthalle-bremen.de<br />

Text Text- Text <strong>und</strong> Bildmaterial<br />

Bildmaterial:<br />

Bildmaterial<br />

Texte <strong>und</strong> hochaufgelöstes Bildmaterial f<strong>in</strong>den Sie <strong>in</strong> unserem Presse-Downloadbereich unter<br />

www.kunsthalle-bremen.de/<strong>in</strong>formationen/presse/<br />

Benutzername: presse, Kennwort: Rutenberg

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