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1 Dr. Horst Kämpfer kaempfer@iworld.de Wie kommt die Seele in das

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1 <br />

<strong>Dr</strong>. <strong>Horst</strong> Kämpfer <br />

<strong>kaempfer@iworld</strong>.<strong>de</strong> <br />

<strong>Wie</strong> <strong>kommt</strong> <strong>die</strong> <strong>Seele</strong> <strong>in</strong> <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d? <br />

O<strong>de</strong>r: Von <strong>de</strong>r Psyche. <br />

Vortrag <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Nacht <strong>de</strong>s Wissens <strong>in</strong> Hamburg, 2011 <br />

„Da bil<strong>de</strong>te Gott <strong>de</strong>n Menschen aus Er<strong>de</strong> vom Acker und blies <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Nase Lebensatem. <br />

Da wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Mensch e<strong>in</strong> atmen<strong>de</strong>s Leben“ (Gen 1.7). Peter Sloterdijk nennt <strong>die</strong>se kle<strong>in</strong>e <br />

Szene „Inspiration“, was übersetzt „E<strong>in</strong>hauchung“ be<strong>de</strong>utet. Und er führt <strong>de</strong>n biblischen <br />

Text weiter und sagt, ab <strong>de</strong>r ersten E<strong>in</strong>hauchung atmet es sich zu zweit – es ist gleich-­sam<br />

e<strong>in</strong> beständiges Geben und Nehmen von Lebendigem. <br />

Sie wer<strong>de</strong>n sich vielleicht fragen, was <strong>die</strong>ser Vers aus <strong>de</strong>r hebräischen Bibel und <strong>die</strong> In-­terpretation<br />

e<strong>in</strong>es Philosophen mit <strong>de</strong>r Psyche, <strong>de</strong>r Psychologie o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Psychoanalyse <br />

zu tun hat? <br />

Nun: Das griechische Wort Psyche me<strong>in</strong>t übersetzt „Atem, Leben, <strong>Seele</strong> o<strong>de</strong>r Gemüt“. <br />

Man könnte sagen, <strong>das</strong> Altertum hatte schon etwas verstan<strong>de</strong>n, was wir heute neu zu <br />

verstehen beg<strong>in</strong>nen. Die Entwicklung <strong>de</strong>r Psyche beg<strong>in</strong>nt mit E<strong>in</strong>hauchungsvorgängen. <br />

Was kann man sich darunter vorstellen? <br />

Und ich wähle noch e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> biblisches Bild für <strong>de</strong>n Vorgang <strong>de</strong>r E<strong>in</strong>hauchung: Die <br />

Texte, welche <strong>die</strong> Taufe begleiten, machen <strong>das</strong> <strong>de</strong>utlich. Zunächst steht da <strong>de</strong>r funda-­mentale<br />

Satz: Dies ist me<strong>in</strong> geliebtes K<strong>in</strong>d, an <strong>de</strong>m ich Wohlgefallen habe. Dieser Satz, <br />

<strong>de</strong>n man Gott zuschreibt, sollte <strong>de</strong>r Begrüßungssatz für je<strong>de</strong>s Neugeborene auf <strong>die</strong>ser <br />

Welt se<strong>in</strong>. Wenn man aber <strong>die</strong>sen Satz ebenso <strong>de</strong>n Eltern wie eben auch Gott zuschreibt, <br />

will man damit betonen, <strong>das</strong>s <strong>die</strong>ses K<strong>in</strong>d (gewissermaßen) e<strong>in</strong> Gottesk<strong>in</strong>d ist, und <strong>das</strong> <br />

be<strong>de</strong>utet, es gehört nicht <strong>de</strong>n Eltern, es ist nicht ihr Besitz, son<strong>de</strong>rn: Es ist e<strong>in</strong> ganz eige-­nes<br />

Wesen, e<strong>in</strong> schon eigenes Subjekt. Du bist geliebt und du bist ganz eigen, ist, o<strong>de</strong>r <br />

sagen wir besser sollte, <strong>de</strong>r Inhalt <strong>de</strong>r ersten Behauchung se<strong>in</strong> als Grundlage <strong>de</strong>r Psyche. <br />

Die Weiterentwicklung <strong>de</strong>r nun wechselseitigen Inspiration ist e<strong>in</strong> Prozess wechselseiti-­gen,<br />

emotionalen Austausches. Dieser Austausch grün<strong>de</strong>t sich <strong>in</strong> emotionaler Bezogen-­heit<br />

und <strong>in</strong> sich immer stärker entwickeln<strong>de</strong>r wechselseitiger E<strong>in</strong>fühlung: <br />

In Liebe, Sorge und Beachtung <strong>de</strong>r Eigenheit auf <strong>de</strong>r e<strong>in</strong>en und <strong>in</strong> Bedürftigkeit, Abhän-­gigkeit<br />

und Lebenswille auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite. <br />

Dieses wechselseitige „Mite<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rse<strong>in</strong>“ zeigt sich <strong>in</strong> Versorgung, <strong>in</strong> Blicken, Gesten, <br />

Tönen, Spielen, Sprache und Zärtlichkeiten. Das dabei Wichtige ist nicht so sehr <strong>das</strong> rich-­tige<br />

Tun, son<strong>de</strong>rn <strong>die</strong> richtige Haltung und Bezogenheit. <br />

Dass es hier wirklich um e<strong>in</strong>en wechselseitigen Austauschprozess geht, also <strong>das</strong>s auch <strong>in</strong> <br />

<strong>de</strong>r Mutter etwas geschieht, kann man wohl am ehesten daran erkennen, <strong>das</strong>s e<strong>in</strong>e Frau, <br />

<strong>die</strong> zur Mutter wird, nicht <strong>die</strong>selbe bleibt; Mutter ist e<strong>in</strong>e neue I<strong>de</strong>ntität. Vielleicht gilt <strong>das</strong> <br />

sogar auch für Männer, <strong>die</strong> zu Vätern wer<strong>de</strong>n. <br />

Nun hab ich <strong>de</strong>n ersten wechselseitigen Austauschprozess gewissermaßen i<strong>de</strong>altypisch <br />

beschrieben; aber natürlich wissen wir alle, <strong>das</strong>s es neben wohltuen<strong>de</strong>n Erfahrungen <br />

eben auch schwierige und konflikthafte gibt, <strong>die</strong> ebenso e<strong>in</strong>geatmet wer<strong>de</strong>n. <br />

Kurzer H<strong>in</strong>weis auf Süsk<strong>in</strong>d: Das Parfüm.


2 <br />

Diesen Austauschprozess hat man auch „psychisches Atmen“ genannt; <strong>die</strong> Psychoanaly-­se<br />

hat schließlich <strong>die</strong> wissenschaftlichen Begriffe Projektion und Introjektion dafür ge-­fun<strong>de</strong>n,<br />

was ihr schließlich ermöglichte, <strong>die</strong>se hoch differenzierten Wechselprozesse <br />

genauer zu beschreiben. <br />

Der Begriff psychisches Atmen – also Introjektion und Projektion – macht <strong>de</strong>utlich, <strong>das</strong>s <br />

alle Erfahrungen – gute wie schlechte -­‐ eben wie <strong>de</strong>r Atem, nach <strong>in</strong>nen gehen, sich <strong>in</strong> <br />

<strong>de</strong>m Neugeborenen nie<strong>de</strong>rschlagen, sie wesentlich <strong>in</strong> <strong>de</strong>m Man<strong>de</strong>lkern unseres Gehirns <br />

gespeichert wer<strong>de</strong>n. Dabei darf man sich nicht vorstellen, <strong>das</strong>s Erfahrungen wie auf ei-­ner<br />

Festplatte im Computer gespeichert wer<strong>de</strong>n, vielmehr unterliegt je<strong>de</strong> Erfahrung ei-­ner<br />

ganz persönlichen Modulation, e<strong>in</strong>er persönlichen Verarbeitung. Weil <strong>das</strong> so ist, <br />

möge man sich hüten vor allzu schnellen Schlüssen nach <strong>de</strong>m Motto: Immer wenn je-­mand<br />

<strong>die</strong>s o<strong>de</strong>r jenes erlebt hat, dann <strong>kommt</strong> <strong>die</strong>se o<strong>de</strong>r jene Schwierigkeit o<strong>de</strong>r Per-­sönlichkeit<br />

heraus, so wie es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Popularpsychologie so gern getan wird. <br />

Gera<strong>de</strong> <strong>die</strong> mehr und mehr bekannt wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Resilienzforschung macht uns darauf <br />

aufmerksam, mit welchen Kräften, Kompetenzen und Begabungen K<strong>in</strong><strong>de</strong>r ausgestattet <br />

s<strong>in</strong>d, um Defizite <strong>in</strong> ihrer Entwicklungsgeschichte zu kompensieren. Resilienz bezeich-­net<br />

<strong>die</strong> psychische Wi<strong>de</strong>rstandsfähigkeit von K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn gegenüber biologischen, psycho-­logischen<br />

und psychosozialen Entwicklungsrisiken. Säugl<strong>in</strong>ge kommen mit e<strong>in</strong>er enor-­men<br />

Ausstattung auf <strong>die</strong> Welt – und selbst wenn <strong>die</strong> primäre Familiensituation extrem <br />

<strong>de</strong>solat war, s<strong>in</strong>d manche K<strong>in</strong><strong>de</strong>r <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Lage, sich an<strong>de</strong>re menschliche wie kulturelle <br />

Objekte zu suchen, mit <strong>de</strong>nen sie traumatisches kompensieren können. Auch aus <strong>die</strong>sem <br />

Grun<strong>de</strong> ist Vorsicht gegenüber allen schnellen „Wenn –Dann – Formulierungen“ gebo-­ten.<br />

<br />

Zurück zum psychischen Atmen: Der zuvor beschriebene Austauschprozess ist uns nicht <br />

bewusst, niemand hat e<strong>in</strong>e Er<strong>in</strong>nerung an se<strong>in</strong>e ersten Lebensjahre. Sie s<strong>in</strong>d, wie man <br />

sagt, verdrängt und unbewusst. Und doch bestimmen <strong>die</strong>se modulierten Nie<strong>de</strong>rschläge <br />

von Erfahrungen, also <strong>das</strong> Verdrängte, unser Denken, Fühlen und Verhalten <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Welt <br />

und somit auch <strong>die</strong> jeweils neuen Wahrnehmungen und Erfahrungen. <br />

Wir wollen hier nicht verschweigen, <strong>das</strong>s es auch Unbewusstes gibt, <strong>das</strong> nicht verdrängt <br />

ist. So weiß man heute, <strong>das</strong>s z.B. <strong>die</strong> Art <strong>de</strong>s „Mite<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rse<strong>in</strong>s“ aus unserer frühesten <br />

Zeit <strong>in</strong> uns e<strong>in</strong>e Suche nach ähnlichen Formen <strong>de</strong>s „Mite<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rse<strong>in</strong>s“ grundgelegt hat. <br />

Diese psychische Matrix nennt man <strong>das</strong> „ungedachte Bekannte“ – wir er<strong>in</strong>nern uns nicht, <br />

können es nicht <strong>de</strong>nken, und doch ist es uns bekannt, vertraut und macht uns, wenn wir <br />

e<strong>in</strong>e annähern<strong>de</strong> Erfahrung mit Menschen o<strong>de</strong>r auch <strong>de</strong>r Kunst, <strong>de</strong>r Musik o<strong>de</strong>r Religion <br />

machen, zufrie<strong>de</strong>n, vorsichtig, schau<strong>de</strong>rnd, ängstlich o<strong>de</strong>r neugierig o<strong>de</strong>r auch glücklich. <br />

Wir alle suchen also aufgrund erlebter und verschie<strong>de</strong>ner Formen <strong>de</strong>s frühen „Mite<strong>in</strong>-­an<strong>de</strong>rse<strong>in</strong>s“<br />

nach ähnlichen Formen <strong>in</strong> <strong>de</strong>r aktuellen Lebenszeit. <br />

Etwas vergröbert ließe sich sagen, man sucht <strong>die</strong> gut erlebten Formen auf, um sich gut <br />

zu fühlen, <strong>die</strong> schlecht erlebten, um sie letztlich zu bearbeiten. Die psychoanalytische <br />

Therapie macht sich schließlich <strong>die</strong>se Tatsache zu nutze. Sie versucht <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Formen <strong>de</strong>s <br />

therapeutischen Mite<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rse<strong>in</strong>s <strong>die</strong> frühen Formen wie<strong>de</strong>r zu beleben, zu ent<strong>de</strong>cken <br />

und <strong>die</strong>sem „ungedachten Bekannten“ Sprache und Ausdruck zu verleihen. <br />

Aus <strong>de</strong>r wechselseitigen Inspiration o<strong>de</strong>r Beatmung und aus <strong>de</strong>n frühen Formen <strong>de</strong>s <br />

Mite<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rse<strong>in</strong>s entwickelt sich also im geistigen Innenleben <strong>de</strong>s K<strong>in</strong><strong>de</strong>s <strong>das</strong>, was wir


3 <br />

<strong>die</strong> Psyche, <strong>die</strong> psychische Realität o<strong>de</strong>r auch <strong>die</strong> <strong>Seele</strong> nennen. Dabei ersche<strong>in</strong>t uns <strong>die</strong> <br />

Psyche wie e<strong>in</strong> Eisberg -­‐ <strong>das</strong> Meiste davon ist unter Wasser, ist unbewusst. <br />

Vor gut 100 Jahren war Sigmund Freud auf <strong>die</strong>ses Phänomen von bw. und nicht bewusst <br />

aufmerksam gewor<strong>de</strong>n und hat daher <strong>die</strong> menschliche Psyche <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en bewussten und <br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en unbewussten Teil unterschie<strong>de</strong>n. Man kann <strong>das</strong> leicht nachvollziehen: Angst z.B. <br />

ist häufig bewusst, auch <strong>das</strong> Objekt <strong>de</strong>r Angst ist uns häufig bewusst, also etwa e<strong>in</strong>e <br />

Sp<strong>in</strong>ne. Aber warum hat man vor e<strong>in</strong>er Sp<strong>in</strong>ne Angst? Für unser vernünftiges Bewusst-­se<strong>in</strong><br />

ist <strong>die</strong> Angst vor e<strong>in</strong>er w<strong>in</strong>zigen Sp<strong>in</strong>ne völlig unerklärlich und uns<strong>in</strong>nig. Es muss <br />

also e<strong>in</strong>e Ursache für <strong>die</strong>se Angst geben, <strong>die</strong> <strong>de</strong>m Bewusstse<strong>in</strong> entzogen, aber offensicht-­lich<br />

außeror<strong>de</strong>ntlich wirkungsvoll ist. <br />

Nun sche<strong>in</strong>t es mir wichtig, Sie auf etwas aufmerksam zu machen, was Sie vielleicht <br />

schon bei <strong>die</strong>sen ersten Sätzen geahnt haben: Was <strong>die</strong> Psyche <strong>in</strong> ihrer Gesamtheit ist, <br />

kann man gar nicht sagen. Sie ist nicht sichtbar, sie ist ke<strong>in</strong>e ausge<strong>de</strong>hnte Masse, <strong>die</strong> wir <br />

messen können, sie ist uns eben größtenteils verborgen: E<strong>in</strong> „humanum absconditum“ , <br />

e<strong>in</strong> zutiefst Menschliches, <strong>das</strong> <strong>de</strong>m Menschen weitgehend verborgen ist. <br />

Daher können wir nur <strong>in</strong> Bil<strong>de</strong>rn von ihr sprechen, wie etwa Lebensatem. Aber, wir spü-­ren,<br />

wir erleben ihre Wirkungen, wie etwa <strong>in</strong> <strong>de</strong>r genannten Sp<strong>in</strong>nenphobie und natür-­lich<br />

nicht zuletzt <strong>in</strong> unseren Träumen und können daher nicht nur auf ihr reales Vor-­han<strong>de</strong>nse<strong>in</strong><br />

schließen, son<strong>de</strong>rn I<strong>de</strong>en und Hypothesen über ihre Arbeitsweise entwic-­keln.<br />

<br />

Dies gehört nun zu <strong>de</strong>n genialen Erkenntnissen Freuds: Die Psyche arbeitet, sie versucht <br />

Schmerz und Unlust zu vermei<strong>de</strong>n, Ausgleiche zu f<strong>in</strong><strong>de</strong>n, <strong>in</strong><strong>de</strong>m sie <strong>in</strong>nere Konflikte mo-­<strong>de</strong>riert,<br />

sie versucht, unseren Schlaf zu schützen, uns e<strong>in</strong> Gefühl von uns selbst zu ver-­mitteln.<br />

<br />

<strong>Wie</strong> kann man sich <strong>die</strong> Arbeitsweise <strong>de</strong>r Psyche/<strong>de</strong>r <strong>Seele</strong> vorstellen? Hier greife ich nun <br />

wie<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>n Anfang zurück: Es atmet zu zweit. Dieses „zu zweit“ me<strong>in</strong>t nicht <strong>die</strong> Zahl <br />

zwei. In <strong>de</strong>r bildhaften Sprache <strong>de</strong>s Philosophen Sloterdijk kl<strong>in</strong>gt <strong>das</strong> geme<strong>in</strong>te so: Der <br />

Empfänger <strong>de</strong>r Inspiration behält e<strong>in</strong>e Ahnung davon, <strong>das</strong>s er gewissermaßen Besucher <br />

von an<strong>de</strong>rswo <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Denken beherbergt hat. Sloterdijk spricht von e<strong>in</strong>er Grotte, <strong>in</strong> <br />

<strong>de</strong>r für <strong>das</strong> Selbst und <strong>die</strong> assoziierten Geister auf Lebenszeit geme<strong>in</strong>sam Platz se<strong>in</strong> wird. <br />

Das heißt <strong>in</strong> unsere normale Sprache übertragen, <strong>das</strong>s unsere wichtigsten Bezugsperso-­nen<br />

<strong>in</strong> uns e<strong>in</strong>en Platz haben, sie s<strong>in</strong>d lebendig <strong>in</strong> uns, ganz gleich, ob wir uns an alle Er-­fahrungen<br />

mit ihnen er<strong>in</strong>nern o<strong>de</strong>r nicht. Die Psychoanalyse spricht von Objektreprä-­sentanzen<br />

– <strong>die</strong> be<strong>de</strong>utsamen An<strong>de</strong>ren <strong>in</strong> unserem Leben s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> uns repräsentiert. <br />

<strong>Wie</strong><strong>de</strong>rum s<strong>in</strong>d es nicht e<strong>in</strong>fach Abbil<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r realen, äußeren Personen, son<strong>de</strong>rn es s<strong>in</strong>d <br />

unsere modifizierten Erfahrungen mit ihnen, <strong>die</strong> gleichsam unser Inneres mitbewohnen. <br />

So ist z.B. <strong>die</strong> Mutter <strong>in</strong> Geschwistern nicht <strong>die</strong>selbe, obwohl es um <strong>die</strong> gleiche Mutter <br />

geht. Je<strong>de</strong>r Mensch hat se<strong>in</strong>e ganz eigenen Erfahrungen mit se<strong>in</strong>en be<strong>de</strong>utsamen An<strong>de</strong>-­ren.<br />

<br />

Innerlich ist man also <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ständigen Gespräch, Dialog o<strong>de</strong>r Ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rsetzung mit <br />

<strong>de</strong>n <strong>in</strong>neren Objekten. Teile davon s<strong>in</strong>d uns sogar bewusst. Man er<strong>in</strong>nert sich: So war <br />

me<strong>in</strong> Vater mit mir, me<strong>in</strong>e Mutter, me<strong>in</strong>e Geschwister usw. Aber vieles <strong>die</strong>ser wechsel-­seitigen<br />

Erfahrungen wur<strong>de</strong> auch verdrängt, sei es, weil es <strong>in</strong> <strong>de</strong>n frühen Jahren gesche-­hen<br />

ist – man sagt, weil es vor unserer Er<strong>in</strong>nerungsschranke liegt – o<strong>de</strong>r sei es, weil <strong>die</strong> <br />

Erfahrung mit zu komplexen, schwierigen o<strong>de</strong>r schmerzhaften Gefühlen verbun<strong>de</strong>n war. <br />

So kann es se<strong>in</strong>, <strong>das</strong>s wir zwar noch e<strong>in</strong> schwieriges Ereignis, e<strong>in</strong>e schwierige Erfahrung <br />

er<strong>in</strong>nern, aber <strong>die</strong> Affekte und Gefühle uns nicht mehr zugänglich s<strong>in</strong>d, man hat sie ver-­‐


4 <br />

drängt. Damit ist nun auch ausgesagt, <strong>das</strong>s Affekte und Gefühle an Erfahrungen gebun-­<strong>de</strong>n<br />

s<strong>in</strong>d und Erfahrungen stets von Affekten und Gefühlen begleitet. <br />

Mit <strong>de</strong>m Wort Verdrängung ist e<strong>in</strong> Schlüsselwort <strong>de</strong>r Psychoanalyse benannt. Verdrängt <br />

heißt aber nun ke<strong>in</strong>eswegs weg, ausgelöscht. Vielmehr bleibt es <strong>in</strong> unserem Unbewuss-­ten<br />

lebendig und – und <strong>das</strong> ist <strong>das</strong> gewissermaßen Unheimliche – es mischt sich <strong>in</strong> unser <br />

Alltagsleben e<strong>in</strong>, ohne <strong>das</strong>s wir es merken. Wir merken es erst, wenn es sich <strong>in</strong> soge-­nannten<br />

Fehlleistungen o<strong>de</strong>r Symptomen zeigt. Plötzlich vergisst man Sachen, verdreht <br />

Wörter, man hat e<strong>in</strong>e Dauerangst krank zu se<strong>in</strong>, man fühlt sich nie<strong>de</strong>rgeschlagen und <br />

mag gar nicht mehr aufstehen, <strong>das</strong> K<strong>in</strong>d macht wie<strong>de</strong>r <strong>in</strong>s Bett o<strong>de</strong>r kann nicht alle<strong>in</strong> <br />

se<strong>in</strong>, man be<strong>kommt</strong> körperliche Beschwer<strong>de</strong>n, <strong>die</strong> ke<strong>in</strong>en somatischen Befund haben <br />

o<strong>de</strong>r man wird gequält von Ordnungs-­‐, Zähl-­‐, Grübel-­‐ o<strong>de</strong>r Sauberkeitszwängen usw. <br />

Das Unbewusste ersche<strong>in</strong>t <strong>in</strong> unserem Alltag zunächst wie etwas Unbekanntes und <br />

Frem<strong>de</strong>s, als wür<strong>de</strong> es nicht zu uns gehören und stören. Und stört es, empf<strong>in</strong><strong>de</strong>t man <br />

Leid. <br />

Die Psyche, <strong>die</strong> <strong>Seele</strong> arbeitet und hat e<strong>in</strong> unangenehmes Resultat hervorgebracht. <strong>Wie</strong> <br />

passiert so etwas? Alles Verdrängte, so hat Freud herausgefun<strong>de</strong>n, hat gewissermaßen <br />

<strong>de</strong>n <strong>Dr</strong>ang, aus <strong>de</strong>m Untergrund an <strong>die</strong> Oberfläche zu kommen. <br />

Da gab es vielleicht mal e<strong>in</strong>e Erfahrung mit Verlassenwer<strong>de</strong>n. Die Eltern hatten auf <strong>die</strong> <br />

Angst <strong>de</strong>s K<strong>in</strong><strong>de</strong>s, alle<strong>in</strong> zu se<strong>in</strong>, nicht reagiert, haben se<strong>in</strong> We<strong>in</strong>en ignoriert o<strong>de</strong>r waren <br />

e<strong>in</strong>fach weggefahren. Das K<strong>in</strong>d wur<strong>de</strong> überflutet von <strong>de</strong>r Angst, <strong>de</strong>r Verzweiflung und <br />

vielleicht auch <strong>de</strong>r Wut. Nun, schon erwachsen, er<strong>in</strong>nert sich <strong>die</strong>ser Mensch vielleicht <br />

noch daran, <strong>das</strong>s er als K<strong>in</strong>d häufig alle<strong>in</strong> war, aber nicht mehr an <strong>die</strong> furchtbaren Gefüh-­le,<br />

<strong>die</strong> s<strong>in</strong>d verdrängt. In <strong>de</strong>n Beziehungen, <strong>die</strong> er nun als Erwachsener e<strong>in</strong>geht, zeigt <br />

sich, <strong>das</strong>s er o<strong>de</strong>r sie immer genau wissen muss, wo se<strong>in</strong> Partner sich aufhält, was er <br />

macht, wann er wie<strong>de</strong>r<strong>kommt</strong>. Es ist, als dürfte <strong>de</strong>r An<strong>de</strong>re ke<strong>in</strong>en Schritt tun, <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r <br />

Zurückbleiben<strong>de</strong> nicht unter Kontrolle hat. Gefragt, warum er/sie <strong>das</strong> so tut, antwortet <br />

<strong>die</strong>ser Mensch, <strong>das</strong>s es doch e<strong>in</strong> Ausdruck von Verrauen sei, <strong>das</strong>s man vone<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r im-­mer<br />

alles wisse. Die Beziehung kann durch <strong>die</strong>sen Kontrollzwang unter <strong>Dr</strong>uck geraten, <br />

es entsteht Leid. <br />

Wenn sie <strong>die</strong>ses kle<strong>in</strong>e, von mir sehr vere<strong>in</strong>fachte, Beispiel hören, ahnen sie vielleicht <br />

schon <strong>die</strong> Zusammenhänge. In <strong>de</strong>r Psyche ist etwas geschehen, e<strong>in</strong>e Arbeit wur<strong>de</strong> gelei-­stet,<br />

<strong>die</strong> für <strong>das</strong> Individuum selbst e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n macht, auch wenn es darunter lei<strong>de</strong>t. <br />

<strong>Wie</strong> sieht <strong>die</strong> Arbeit aus? <br />

Das ursprüngliche Gefühl <strong>de</strong>r Überflutung von Angst, Wut o<strong>de</strong>r Verzweiflung wur<strong>de</strong> <br />

verdrängt. Das Verdrängte drängt aber wie<strong>de</strong>r zur Oberfläche. Aber es ist so furchtbar, <br />

<strong>das</strong>s <strong>das</strong> Selbst immer noch annimmt, <strong>die</strong>se Wucht nicht ertragen zu können. Nun hilft <br />

sich <strong>die</strong> Psyche durch e<strong>in</strong>en Trick, <strong>das</strong> Ursprüngliche, so kann man sagen, wird nur <strong>in</strong> <br />

„Verkleidung“ zugelassen, so geschieht es im Traum; Bil<strong>de</strong>r und Geschichten, <strong>die</strong> wir so <br />

zunächst nicht recht verstehen können. Und es gibt noch e<strong>in</strong>e weitere Möglichkeit, <strong>de</strong>nn <br />

auch <strong>das</strong> Symptom – wie etwa <strong>de</strong>r Kontrollzwang ist e<strong>in</strong>e solche Verkleidung: Die Per-­son<br />

reagiert z.B. so, als könnte <strong>die</strong> ursprüngliche Gefahr nach wie vor auftreten und ver-­sucht<br />

<strong>das</strong> auf je<strong>de</strong>n Fall zu vermei<strong>de</strong>n. Der ubw Satz könnte lauten: Nie wie<strong>de</strong>r will ich <br />

mich so alle<strong>in</strong> und verloren fühlen wie damals, und <strong>das</strong> geht nur, <strong>in</strong><strong>de</strong>m ich <strong>de</strong>n An<strong>de</strong>ren <br />

unter Kontrolle habe. <br />

Dies, um es gleich anzuschließen, s<strong>in</strong>d längst nicht alle Möglichkeiten, <strong>die</strong> <strong>die</strong> <strong>Seele</strong> zur <br />

Verarbeitung schwieriger Erfahrungen hat. Sie aufzuzählen und zu beschreiben hieße, <br />

Ihnen e<strong>in</strong> ganzes Lehrbuch vorzutragen.


5 <br />

Die Erfahrungen, <strong>die</strong> wir im Laufe <strong>de</strong>s Lebens machen, wer<strong>de</strong>n ver<strong>in</strong>nerlicht, e<strong>in</strong>geatmet <br />

o<strong>de</strong>r auch gefressen, so wie man manche zum Fressen gern hat. Diese Erfahrungen s<strong>in</strong>d <br />

verantwortlich für <strong>de</strong>n Aufbau unterschiedlicher <strong>in</strong>nerer Instanzen und neue Erfahrun-­gen<br />

wer<strong>de</strong>n zugleich wie<strong>de</strong>rum <strong>die</strong>sen zugeordnet. <br />

Diese Instanzen nennt <strong>die</strong> Psa. : Ich, Es und Über-­‐Ich. Das Es ist <strong>in</strong>sgesamt ubw, da es <br />

wesentlich aus <strong>de</strong>m Verdrängten besteht. Die Arbeit <strong>de</strong>r Verdrängung wird vom Ich ge-­leistet,<br />

aber wenn wir verdrängen, tun wir <strong>das</strong> niemals bewusst. Das heißt e<strong>in</strong> Teil <strong>de</strong>s <br />

Ichs, <strong>das</strong> ansonsten unsere Verb<strong>in</strong>dung zur Außenwelt herstellt, ist ebenfalls ubw. Auch <br />

unser Gewissen und unser Ich-­‐I<strong>de</strong>al -­‐ bei<strong>de</strong> bil<strong>de</strong>n <strong>das</strong> Über-­‐Ich -­‐ s<strong>in</strong>d uns nicht immer <br />

bewusst. So können wir Schuldgefühle haben und wissen doch nicht genau, warum. <br />

Man sagt, <strong>die</strong> Psychoanalyse sei e<strong>in</strong>e Konfliktpsychologie, <strong>de</strong>nn man geht davon aus, <br />

<strong>das</strong>s <strong>die</strong>se drei Instanzen beständig mite<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r zu r<strong>in</strong>gen haben. Das Ich versucht, <br />

Triebimpulse <strong>de</strong>s Es mit <strong>de</strong>n Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s Über-­‐Ichs und <strong>de</strong>n Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r <br />

Außenwelt <strong>in</strong> E<strong>in</strong>klang zu br<strong>in</strong>gen. Gel<strong>in</strong>gt <strong>die</strong>s nicht, so muss erneut verdrängt wer<strong>de</strong>n <br />

und/o<strong>de</strong>r es <strong>kommt</strong> zu eigenwilligen Verkleidungen o<strong>de</strong>r Kompromissformen, <strong>die</strong> man <br />

dann Symptome nennt. <br />

Ich hoffe, Ihnen verstehbar gemacht zu haben, <strong>das</strong>s <strong>die</strong> Psyche e<strong>in</strong>e mit an<strong>de</strong>ren be-­wohnte,<br />

erfahrungsgela<strong>de</strong>ne Innenwelt ist, <strong>die</strong> wir nur durch ihre Auswirkungen erken-­nen<br />

können. Stimmungen, Träume, Fehlleistungen, Beziehungsgestaltungen o<strong>de</strong>r Sym-­ptome<br />

geben <strong>die</strong> H<strong>in</strong>weise, was alles auf <strong>de</strong>r <strong>in</strong>neren Bühne, <strong>die</strong> <strong>de</strong>m Bewusstse<strong>in</strong> nicht <br />

leicht zugänglich ist, geschieht. <br />

Die Psychoanalyse, <strong>in</strong> ihrer Theorie wie ihrer Praxis, hat ke<strong>in</strong> an<strong>de</strong>res Ziel, als <strong>die</strong>sen <br />

unbewussten Arbeitsprozessen <strong>de</strong>r Psyche auf <strong>die</strong> Spur zu kommen, sie bewusst zu ma-­chen<br />

und somit aus fremd-­‐ und selbstverschul<strong>de</strong>ter Unmündigkeit und <strong>de</strong>m Leid zu be-­freien.

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