Gemeindebrief zum downloaden - Kirche Altes Land
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ST. NIKOLAI - BORSTEL<br />
Visitationen – gestern und heute<br />
Wir bereiten uns schon mal drauf vor, dass wir besucht werden. Noch in diesem Jahr werden alle drei Gemeinden in<br />
Jork visitiert, allein und gemeinsam: die Borsteler, die Estebrügger und die Jorker.<br />
Vor einiger Zeit berichteten wir aus dem Borsteler<br />
Gemeindearchiv über Pastor Meyer, der von 1896-1928<br />
hier als Pastor tätig war. Dabei wurde überwiegend aus<br />
sogenannten Visitationsberichten zitiert.<br />
Visitationen (Besuche) haben ihren Ursprung in der<br />
Reformation. Die ersten Visitationen fanden 1526 im<br />
Kurfürstentum Sachsen statt; dort, wo auch Luther lebte<br />
und wirkte und wo schon früh die Reformation eingeführt<br />
wurde. Die Gesetze der römisch-katholischen <strong>Kirche</strong> galten<br />
nicht mehr. Der <strong>Land</strong>esherr sollte nun die neue <strong>Kirche</strong>nordnung<br />
durchsetzen. Und so geschah es. Es wurden<br />
vom Kurfürsten vier Personen beauftragt, durch das<br />
<strong>Land</strong> zu reisen, um den Zustand der <strong>Kirche</strong>n und Schulen<br />
zu protokollieren. Immerhin waren die im Amt befindlichen<br />
Pastoren alle noch in der römischen <strong>Kirche</strong> geweiht<br />
und in der alten Theologie ausgebildet worden. Die Visitationen<br />
deckten viel Unwissenheit in der lutherischen<br />
Lehre auf, untaugliche Pfarrer wurden ausgeschieden.<br />
Nicht zuletzt mit den Visitationen ging die lutherische<br />
<strong>Kirche</strong> eine enge Verbindung mit dem <strong>Land</strong>esherrn ein.<br />
Eine Verbindung, die bis 1918, bis <strong>zum</strong> Zusammenbruch<br />
der Monarchie in Deutschland, halten sollte.<br />
Visitationsprotokolle aus der frühen Reformationszeit<br />
sind für die Borsteler <strong>Kirche</strong>ngemeinde nicht erhalten. Es<br />
befinden sich allerdings im <strong>Kirche</strong>narchiv Visitationsprotokolle<br />
aus der Zeit vom Ende des 19. Jahrhunderts bis<br />
1950. Zunächst einmal zeugen die Protokolle von dem<br />
Aufwand, der für die Visitationen betrieben wurde, denn<br />
sie konnten gut 30 Seiten umfassen. Durchgeführt wurden<br />
die Visitationen von dem Superintendenten, dessen<br />
Amt in der Reformationszeit nicht zuletzt zu diesem<br />
Zweck geschaffen wurde. Die Antworten der Pastoren auf<br />
die etwa 90 Fragen sind eben auch für uns heute noch<br />
interessant. Ganz in der Tradition der ursprünglichen<br />
Visitation wurde der Pastor als erstes nach seinem Glauben<br />
gefragt. Pastor Meyer z.B. antwortet, daß er zu den<br />
Bekenntnissen seiner <strong>Kirche</strong> stehe. Als zweites möchte<br />
man Auskunft über die von ihm betriebenen theologischen<br />
Studien haben. Weiter müssen die Pastoren darlegen,<br />
wie sie die Gottesdienste gestalten, wie sie die Predigten<br />
ausarbeiten und jeweils vortragen. Die Arbeit als<br />
Seelsorger wird beschrieben und nach dem Ablauf der<br />
Amtshandlungen wird gefragt. Berichtet werden muß<br />
auch über die kirchliche Erziehung der Jugend und über<br />
die Leitung des Religionsunterrichts in den Volksschulen,<br />
z.B. mit welchen Büchern gearbeitet wird und welche Lieder<br />
von den Kindern auswendig gelernt werden müssen.<br />
(Hierzu fügt Pastor Meyer eine Liste mit ca. 50 <strong>Kirche</strong>nlieder<br />
an.) Von Interesse ist ebenso die Arbeit des <strong>Kirche</strong>nvorstandes,<br />
die Verwaltung des kirchlichen Vermögens<br />
und die Tätigkeiten der <strong>Kirche</strong>ndiener. Zu den <strong>Kirche</strong>ndienern<br />
zählen neben Kantor und Küster der sogenannte<br />
„Bälgentreter“, Glöckner, Totengräber und ebenso<br />
die Hebamme. Besonders bemerkenswert heute sind<br />
die Antworten der Pastoren auf die Frage nach dem<br />
„kirchlichen und sittlichen Zustand der Gemeinde“.<br />
Der Nachfolger von Pastor Meyer, Pastor Reinicke, kommt<br />
in seinen Ausführungen zu einer ähnlichen Einschätzung<br />
wie sein Vorgänger. Eine immer wieder geäußerte Kritik<br />
der Pastoren war, wie schon im Artikel über Pastor Meyer<br />
berichtet, die Mißachtung der Sonntagsheiligung. Über<br />
die Bauern in der Gemeinde schreibt Pastor Reinicke,<br />
daß sie „fast alle in guten teilweise sogar in sehr guten<br />
Verhältnissen“ lebten. „Fischer und Schiffer haben ihr<br />
Auskommen. Große Armut findet sich keine.“ 1949 führt<br />
er noch an, daß die wirtschaftliche Lage der Ostvertriebenen<br />
meist schlecht sei. Interessant auch folgendes<br />
Zitat: „Als fleißig und strebsam kann man die Gemeindeglieder<br />
wohl ausnahmslos bezeichnen. In vielen Fällen<br />
grenzt die Sparsamkeit allerdings schon an Geiz.“<br />
Eheliche Treue und Friedfertigkeit sei durchweg zu finden.<br />
Von Tischgebet und Hausandacht seien einzelne<br />
Fälle bekannt, allgemeiner Brauch scheinen sie aber<br />
nicht zu sein. Hinsichtlich der Keuschheit sei zu bemerken,<br />
daß uneheliche Geburten Seltenheit sind. Zur Kindererziehung<br />
bemerkt Pastor Reinicke, daß es hier oftmals<br />
an Konsequenz und Strenge fehle, „die Eltern sind<br />
zu nachsichtig, auch scheinen mir manche Kinder schon<br />
allzu früh und zu stark aufs Geldverdienen hin erzogen<br />
zu werden.“ Die konfirmierte Jugend sei im allgemeinen<br />
unkirchlich. Und dann wird immer wieder über den<br />
schwachen Gemeindegesang geklagt. Ein <strong>Kirche</strong>nchor<br />
sei auch nicht vorhanden. Letzteres hat sich glücklicherweise<br />
in unserer Zeit geändert!<br />
Visitationen werden auch heute noch durchgeführt, die<br />
<strong>Kirche</strong>ngemeinde Borstel wurde zuletzt 2002 visitiert.<br />
Dies ist im Wesentlichen immer noch Aufgabe des Superintendenten<br />
und es ist nach wie vor eine Form der Aufsicht.<br />
Gleichzeitig soll sie der Kommunikation zwischen<br />
<strong>Kirche</strong>nkreis und Gemeinde dienen. Einher mit der Visitation<br />
soll Beratung und Ermutigung gehen. Auch möchte<br />
man, gestern wie heute, einen Eindruck von der<br />
ganzen <strong>Kirche</strong>ngemeinde bekommen. Aber es sind auch<br />
neue Schwerpunkte hinzugekommen, so die Erhaltung<br />
und Pflege der Bausubstanz, der Orgel und des Archivs.<br />
Pastor Meyer zitiert auf die Frage nach dem Nutzen der<br />
Visitation einen Kollegen: „Allens bliwt, as et was!“ Er<br />
selbst sah durchaus Nutzen in der Visitation, weil man<br />
bei der Beantwortung der Fragen eben auch auf Mängel<br />
aufmerksam wurde, die es zu beheben galt.<br />
Karen Jäger