Psalm 109
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Predigtthesen<br />
vom 14.07.2002<br />
"<strong>Psalm</strong> <strong>109</strong>“<br />
Predigtreihe: Mit den <strong>Psalm</strong>en beten lernen<br />
von Dr. Klaus Douglass<br />
Inmitten des Gebetsbuches der Bibel – der so genannten „<strong>Psalm</strong>en“ – finden sich neben den wunderbaren Dank-, Lob-, Klage-, Trost-, Naturund<br />
Vertrauensliedern eben auch Rachepsalmen (etwa <strong>Psalm</strong> <strong>109</strong>; 129; 137). Dabei handelt es sich dabei um das Dunkelste und<br />
Schrecklichste, was wir in der Bibel überhaupt finden können, Texte, die an Gehässigkeit und Sadismus kaum zu überbieten sind. Was mich<br />
noch mehr beunruhigt: Solche Verwünschungen finden sich nicht nur in den Rachepsalmen, sondern oft auch eingestreut inmitten der<br />
schönsten <strong>Psalm</strong>en (vgl. <strong>Psalm</strong> 143,12 oder <strong>Psalm</strong> 139, 19-22). Was haben solche Stellen in der Heiligen Schrift zu suchen? Sie einfach zu<br />
ignorieren und wegzufiltern ist auf jeden Fall keine Lösung.<br />
1. Wir sollten keinesfalls annehmen, dass diese Texte, weil sie in der Heiligen Schrift stehen, in irgendeiner Weise gut seien<br />
Ich sage das deshalb, weil es tatsächlich Leute gibt, die das so sehen. Schließlich steht es in der Bibel und die Bibel ist das Wort Gottes und<br />
das Wort Gottes ist schließlich irrtumslos und moralisch korrekt. Also muss es auch moralisch korrekt sein, seinen Feinden oder gar den<br />
Feinden Gottes die Pest an den Hals zu wünschen. Mit dieser Art von Beweisführung sind die Kreuzzüge begründet worden. Doch nicht eine<br />
Sekunde sollten wir meinen, Hass, Rachegefühle oder Racheakte seien christlich begründbar. Sie mögen verständlich und nachvollziehbar<br />
sein, aber sie sind niemals fromm noch entsprechen sie dem Willen Gottes, nur weil wir Vergleichbares in den Rachepsalmen finden. So<br />
vereinfachend können wir die Bibel nicht lesen.<br />
2. Was wir aber aus den Rachepsalmen lernen können, ist zunächst einmal die grundlegende Ehrlichkeit, mit der diese Leute zu<br />
Gott sprechen<br />
Das hat man uns ja gründlich abtrainiert: ehrlich mit Gott zu sprechen. In unseren Gebeten sind wir sehr viel stärker darauf dressiert,<br />
irgendwelchen äußeren Erwartungen zu entsprechen. Es gibt so viele Glaubenssätze, die uns daran hindern, im Gebet wirklich ehrlich zu<br />
sein. Zum Beispiel, dass Loben „höher“ ist als Bitten, dass man immer „danke“ sagen muss und dass man mit Gott nicht schimpfen darf etc.<br />
Wir glauben das und blenden bestimmte Aspekte unseres Seelenlebens einfach aus und machen uns selbst und anderen und Gott etwas<br />
vor. Für die <strong>Psalm</strong>beter hingegen lautet die grundlegende Regel allen Gebetes: absolute Ehrlichkeit. Wenn sich etwas in unserem Kopf<br />
abspielt, was uns in religiöser oder moralischer oder politischer Hinsicht unerlaubt erscheint, hat es keinen Sinn, sich selbst oder Gott da<br />
irgendetwas vorzumachen. Gott können wir nichts vormachen. Und wo immer wir uns selbst etwas vormachen, tragen wir am Schluss auch<br />
selber den größten Schaden davon. Darum legt die Bibel einen so großen Wert auf Ehrlichkeit, dass sie eben nicht nur die hehren, schönen<br />
und großartigen Gebete eines David überliefert, sondern auch seine gesammelten Peinlichkeiten.<br />
3. Die Rachepsalmen lassen mich die Frage stellen, ob es nicht auch in meinem Leben einen – vielleicht sogar fromm oder<br />
anderweitig unterdrückten – Groll oder Zorn gibt<br />
Natürlich leben wir heute in einer etwas weicheren Kultur und haben gelernt, unsere Ressentiments etwas besser im Zaun zu halten. Aber<br />
sind Sie sicher, dass Sie noch nie jemandem den Tod gewünscht haben? Kennen Sie nicht die Schadenfreude, wenn jemand, der sich in<br />
Ihren Augen falsch verhalten hat, sich blamiert? Und kennen Sie nicht die Nächte, in denen Sie vor Selbstmitleid nicht schlafen können,<br />
sondern sich hin und herwälzen und irgendein erlittenes Unrecht immer und immer selbstquälerisch wiederkäuen? Vielleicht wäre es gar<br />
nicht so verkehrt, wenn Sie sich wie David mal hinsetzen würden und einmal Ihre ganze Wut in Form eines „Rachepsalms“ niederschrieben.<br />
Machen Sie sich doch einmal eine Liste aller Menschen, auf die Sie Groll hegen und sagen Sie Gott, was Sie wirklich über diese Menschen<br />
denken – nicht „als ein Christ“, sondern als ein großes pulsierendes Herz, als ein im Innersten verletzter Mensch, als eine verwundete Seele<br />
(s.u.: „Übung A“). Nur das, was wir Gott wirklich hinhalten, kann er auch heilen. Unterdrückten Zorn, den wir uns vielleicht selbst nicht einmal<br />
eingestehen, kann Gott nicht heilen. Im Gegenteil: Dieser Zorn richtet ein verheerendes Werk in unserer Seele an. Zorn hingegen, den wir<br />
Gott gegenüber äußern, ist heilbar. Manchmal direkt von oben, manchmal brauchen wir die Hilfe eines Seelsorgers oder Therapeuten.<br />
4. Die Rachepsalmen stellen aber auch die erschütternde Frage, wo wir anderen Menschen vielleicht Anlass zu loderndem Zorn<br />
und Groll gegeben haben<br />
Hier wird es plötzlich ziemlich persönlich. Die Selbstprüfung, wo wir auf andere zornig sind, lassen wir uns ja noch gefallen. Die Prüfung, wo<br />
andere vielleicht Grund haben, auf uns zornig zu sein, schmeckt uns weniger. Denn mal ganz ehrlich: Wo Rauch ist, ist auch Feuer. Der<br />
lodernde Hass, der sich in den Rachepsalmen ausdrückt, mag in seiner Intensität vielleicht völlig überzogen und in seinen Einzelzügen grob<br />
ungerecht sein, aber er fällt nicht senkrecht vom Himmel. Auf jeden Fall ist es ziemlich einfältig, die Rachepsalmen zu lesen und dabei nur<br />
den Kopf zu schütteln über die Schrecklichkeit des hier Gesagten. Mag sein, dass es auch einen pathologischen Hass gibt, aber David, der<br />
diese Scheußlichkeiten dichtete, war kein Psychopath, sondern ein Mensch wie Sie und ich. Bei ihm war es wie eben bei den meisten von<br />
uns, dass sein Hass nämlich eine Ursache hatte, und darum kann ich diese <strong>Psalm</strong>en eigentlich nicht lesen ohne diesen Gedanken: „Redet<br />
da vielleicht einer so von mir? Wo habe ich Menschen Ärgernis gegeben und was kann ich tun, um das ins Reine zu bringen?“– Das wäre<br />
eine zweite Liste, die wir anfertigen sollten: Wem haben wir Anlass zu Rachegefühlen gegeben? Schreiben Sie mal einen Rachepsalm auf,<br />
wie Ihr Gegner ihn vielleicht formulieren würde und schauen Sie, was das mit Ihnen macht. (s.u.: „Übung B“)<br />
5. Die Rachepsalmen sind eine ziemlich konstruktive Weise, mit dem eigenen Hass umzugehen<br />
Denn mal im Ernst: Wenn Sie in sich Hass und Rachegefühle hegen, was wollen Sie damit anfangen?
Predigtthesen 2<br />
• Sie können diesen Gefühlen nachgeben und Rache üben. Aber in den meisten Fällen schlägt diese Rache auf Sie selbst zurück. Sie<br />
lösen damit entweder eine Spirale der Gewalt und Gegengewalt aus. Und nicht selten habe ich erlebt, dass Menschen in ihrem Zorn<br />
etwas so Dummes taten, dass am Schluss sie selber die Geschädigten waren. So wie jene Leute, die ihre Möbel zersägen, damit der<br />
geschiedene Partner nichts davon hat.<br />
• Sie können diese Gefühle unterdrücken (schließlich darf man so etwas als Christ ja nicht empfinden). Dann richtet sich die Gewalt, die<br />
Sie nach außen nicht ausleben konnten, nach innen und Sie werden depressiv, bekommen ein Magengeschwür oder was weiß ich.<br />
• Sie können versuchen, sich mit Ihrem Gegner zu versöhnen. Das wäre natürlich ideal, aber machen wir uns nichts vor: In den seltensten<br />
Fällen ist das eine realistische Option.<br />
• Sie können ein Ventil suchen. Das würden Ihnen viele Psychologen empfehlen und viele machen das auch, etwa indem sie in den<br />
Teppich beißen, ein Kissen aufschlitzen, mit den Kindern schimpfen oder die Katze treten.<br />
Ehrlich gesagt, so verkehrt finde ich die Lösung nicht, dass ein Mensch seinen ganzen Hass und Groll aufschreibt und Gott in<br />
schonungsloser Ehrlichkeit darlegt, was er wirklich denkt. Urplötzlich merke ich: Das, was mir eben noch ein Riesen-Manko zu sein schien –<br />
nämlich dass die Bibel solche fragwürdigen Texte vorzuweisen hat, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als großes Plus. Ich lerne: So darf<br />
ich mit Gott reden. Diese Gefühle werden nicht moralisch heruntergebügelt, Gott kennt sie und ich darf sie ihm gegenüber in aller Offenheit<br />
äußern. Und während ich mit Gott in aller Offenheit darüber rede, verändert sich etwas. So auch in den Versen 21-31 unseres <strong>Psalm</strong>es. Klar,<br />
das ist immer noch die alte Melodie. Die „bewährte“ Mischung aus Zorn, Rachegedanken und Selbstmitleid. Aber inmitten dieser alten<br />
Melodie erklingt doch so etwas wie ein neuer Ton. Plötzlich ist bei alledem von Gott die Rede. Das war es vorher nur am Rande. Da konnte<br />
sich David Gott überhaupt nur als Rächer vorstellen. Hier in diesen Versen gewinnt Gott plötzlich Raum – und mit einem Mal verändert sich<br />
die Weltsicht des <strong>Psalm</strong>isten. Was sich hier äußert, ist inmitten von Selbstmitleid und Rachgedanken so etwas wie Vertrauen, Trost und<br />
Zuversicht. Und zwar einfach durch die Tatsache, dass der Beter spürt: Ich bin nicht allein. Gott ist bei mir. Selbst dort, wo ich meine<br />
heimlichsten, perversesten und abgrundtiefsten Gedanken äußere, ist ER da und hält mich an seiner Hand. Das wäre der dritte Teil der<br />
Aufgabe, die ich Ihnen heute geben möchte. Ich habe Sie zum einen eine Liste der Leute aufschreiben lassen, auf die Sie sauer sind und<br />
sodann eine Liste derer, die Grund haben, auf Sie sauer zu sein. Ich habe Sie sodann jeweils einen Rachepsalm schreiben lassen: einmal<br />
einen, wo Sie sich bei Gott über jemand anderen beschweren, und dann einen, wo sich jemand anderes bei Gott über Sie beschwert. Jetzt<br />
vollenden Sie den <strong>Psalm</strong>, indem Sie sich Zeit nehmen, zu fragen: Wo ist in alledem Gott? Welche Rolle kann er spielen? Wie kann er da<br />
heilsam hineinwirken? Ist Rache wirklich die einzige Lösung?<br />
Machen Sie sich nicht nur Gedanken, reden Sie mit Gott darüber und – ganz wichtig! – schreiben Sie das Ganze auf! Indem Sie Ihre<br />
Gedanken aufschreiben, bekommen Sie einen gewissen Abstand dazu. Sie schreiben es sich – wie man so schön sagt – „von der Seele“. Ihr<br />
Hass und Ihr Gefühlschaos ist dann auf einem Blatt Papier, Sie können sich dazu in Beziehung setzen, es objektiver anschauen. Und es Gott<br />
hinhalten. Und sagen: „Hey, Gott, hier ist mein Chaos, hier ist mein Hass – oder: hier ist der Mensch, der mich hasst. Ich halte da nichts<br />
zurück. Komm in diese Situation herein und ändere da etwas – zumindest meine Einstellung zu dem Ganzen.“ Um mit Jakob zu reden: „Ich<br />
lasse dich nicht, es sei denn, du segnest mich!“ (1. Mose 32, 27). Vielleicht machen Sie diese Übung mal und schreiben ein paar<br />
Rachepsalmen, sozusagen als therapeutische Übung. Vielleicht kommt Ihnen die Übung etwas albern vor, aber Sie können doch nicht viel<br />
verlieren, oder? Ich bin überzeugt: Es ist hier wie überall im Leben: Gott wird auch hier den Raum einnehmen, den Sie ihm einräumen. Und<br />
wenn’s der peinlichste unserer Räume ist: Wo, wenn nicht hier, könnte Gott ein heilsameres Werk in unserem Leben vollbringen?<br />
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Übung A (bitte unbedingt schriftlich!):<br />
a) Ich liste auf, wem gegenüber ich Zorn, Hass oder Groll empfinde.<br />
b) Auf wen davon bin ich am wütendsten?<br />
c) Ich formuliere einen „Rachepsalm“: „Gott, dieser Mensch... „<br />
d) Ich frage weiter: Wo ist in alledem Gott? Welche Rolle kann er spielen? Wie kann er hier heilsam hineinwirken? Ist Rache wirklich die<br />
einzige Lösung? ---<br />
e) Ich formuliere die Antwort als Gebet: „Herr, du kannst...“<br />
Übung B (bitte unbedingt schriftlich!):<br />
a) Ich liste auf, wer mir gegenüber Zorn, Hass oder Groll empfindet.<br />
b) Wer davon ist am wütendsten auf mich?<br />
c) Ich formuliere seinen „Rachepsalm“: „Gott, dieser Mensch... „<br />
d) Ich frage weiter: Wo ist in alledem Gott? Welche Rolle kann er spielen? Wie kann er hier heilsam hineinwirken? Ist Rache wirklich die<br />
einzige Lösung? ---<br />
e) Ich formuliere die Antwort als (mein) Gebet : „Herr, du kannst...“