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StA-Klausur - Alpmann Schmidt

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ALPMANN SCHMIDT<br />

<strong>Klausur</strong>en für das 2. Juristische Staatsexamen<br />

Examenssicherheit durch <strong>Klausur</strong>entraining<br />

� AS-<strong>Klausur</strong>enkurse für das Zweite Juristische Staatsexamen<br />

mit oder ohne Korrektur (auch als Download-Version)<br />

� Kostenlos zu Ihrem Print-Abo weitere <strong>Klausur</strong>en zum Download:<br />

– Strafrechtliche Spezialklausuren<br />

– Landesrechtliche <strong>Klausur</strong>en für:<br />

� Bayern<br />

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� Saarland<br />

� Probeklausuren (Falltext und Lösung) aus o.g. Rechtsgebieten<br />

finden Sie auf unserer Homepage zum kostenlosen Download<br />

unter www.alpmann-schmidt.de/klausuren.aspx<br />

<strong>Klausur</strong> 2. Juristisches Staatsexamen<br />

Redaktion: <strong>Alpmann</strong> und <strong>Schmidt</strong>, Annette-Allee 35, 48149 Münster<br />

Verlag: <strong>Alpmann</strong> und <strong>Schmidt</strong>, Juristische Lehrgänge, Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG,<br />

Annette-Allee 35, 48149 Münster, Postfach 1169, 48001 Münster, Tel. (0251) 98109-38,<br />

Fax 98109-62<br />

www.alpmann-schmidt.de<br />

as.info@alpmann-schmidt.de<br />

Druck: Media Cologne GmbH, Hürth<br />

<strong>Klausur</strong>en für das 2. Examen<br />

D 6 Bln Aktenauszug<br />

– Gerichtliche Entscheidung/<br />

Prozessrecht, Kommunal- und<br />

Gerichtskostenrecht<br />

1. Müller<br />

2. Siebert<br />

<strong>Klausur</strong>en für das 2. Examen<br />

B 568 Aktenauszug – Strafurteil<br />

Ein folgenreiches Viertelfinale<br />

03.10.2011 Dr. André Neumann / Dr. Rolf Krüger<br />

./. Gemeindevertretung Ahrensfelde (Brandenburg)<br />

19.09.2011 Martin Mönnig / Frank Hansen<br />

Volker Specht Heegermühler Str. 66<br />

Rechtsanwalt 16225 Eberswalde<br />

Telefon: 03334/22785<br />

T l f 0334/ 869<br />

<strong>Klausur</strong>en für das 2. Examen<br />

D 6 Bay Aktenauszug<br />

– Gutachten/Prozessrecht, Kommunal-<br />

und Gerichtskostenrecht<br />

Urheber- und Verlagsrechte: Die in dieser <strong>Klausur</strong> veröffentlichen Beiträge sind urheberrechtlich<br />

geschützt. Alle Rechte, insbes. die der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten.<br />

Kein Teil dieser <strong>Klausur</strong> darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form<br />

– durch Fotokopie, Mikrofilm oder andere Verfahren – reproduziert, gespeichert oder in eine von<br />

Maschinen, insbes. von Datenverarbeitungsanlagen, verwendbare Sprache übertragen werden.<br />

Auch die Rechte der Wiedergabe durch Vortrag, Funk- und Fernsehsendung im Magnettonverfahren<br />

oder auf ähnlichem Wege bleiben vorbehalten. Fotokopien für den persönlichen und sonstigen Gebrauch<br />

dürfen nur von einzelnen Beiträgen und Teilen daraus als Einzelkopien hergestellt werden.<br />

Erscheinungsweise: wöchentlich<br />

1. Hinz<br />

2. Kunz<br />

Staatsanwaltschaft Essen, 18.07.2011<br />

83 Js 398/11<br />

./. Landkreis Würzburg<br />

19.09.2011 Martin Mönnig / Dr. Carl-Christian Dressel<br />

Volker Specht Gerichtsstraße 5<br />

Rechtsanwalt 97080 Würzburg<br />

Telefon: 0931/635748<br />

<strong>Klausur</strong>en für das 2. Examen<br />

D 6 NRW Aktenauszug<br />

– Gerichtliche Entscheidung/<br />

Prozessrecht, Kommunal- und<br />

Gerichtskostenrecht<br />

1. Müller<br />

2. Siebert<br />

./. Rat der Gemeinde Lienen<br />

19.09.2011 Martin Mönnig<br />

Heinz Specht Kirchplatz 5<br />

Rechtsanwalt 49525 Lengerich<br />

Telefon: 05481/635748


<strong>Klausur</strong>en für das 2. Examen<br />

B 38 Aktenauszug – <strong>StA</strong>-<strong>Klausur</strong><br />

Strafsache Max Roland<br />

André Neumann<br />

Sachverhaltsbericht<br />

Heute waren der Unterzeichner und POM Himml auf Streifenfahrt über die Jakoberstr. zum Jakobertorplatz.<br />

Gegen 22.30 Uhr fiel uns dort ein Fahrzeug auf, das mit überhöhter Geschwindigkeit fuhr. Wir<br />

hielten das Auto – polizeiliches Kennzeichen A–BC 123 – an. Fahrer war Herr Kurt Müller, wohnhaft<br />

Berthold-Brecht-Str. 12, 86153 Augsburg. Er roch stark nach Alkohol. Er hatte weder Personalausweis,<br />

Führerschein oder Fahrzeugpapiere dabei, wies sich aber mit einem amtlichen Sozialversicherungsausweis<br />

und einer Jahreskarte des Augsburger Verkehrsverbundes GmbH (AVV) aus.<br />

Ein von ihm nach Belehrung freiwillig durchgeführter Atemalkoholtest ergab einen Wert von 1,2 Promille<br />

BAK.<br />

Nach telefonischer Rücksprache mit dem zuständigen Staatsanwalt des staatsanwaltschaftlichen Notdienstes<br />

bei der Staatsanwalt Augsburg, Herrn Staatsanwalt König, sowie dem zuständigen Ermittlungsrichter<br />

des richterlichen Notdienstes bei dem Amtsgericht Augsburg, Richter am Amtsgericht Wiesmaier,<br />

ordnete dieser, nach eingehender Schilderung des Sachverhaltes, sodann die Entnahme einer Blutprobe<br />

an. Zudem soll morgen ein Gerichtsbeschluss über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis erlassen<br />

werden.<br />

Die Blutprobe wurde anschließend um 23.00 Uhr in dem Vincentinum-Krankenhaus, Institut für<br />

Rechtsmedizin, abgenommen. Der Führerschein des Kurt Müller konnte nicht beschlagnahmt werden,<br />

da er ihn nicht bei sich führte. Auf der Dienststelle wurde anschließend eine Vernehmung des Kurt Müller<br />

durchgeführt. Morgen werden wir zu seiner Wohnung fahren und dort den Führerschein des Beschuldigten<br />

sicherstellen.<br />

Augsburg, 12.10.2010<br />

_________________________<br />

Frankl, POM


– 2 –<br />

B 38


B 38<br />

Zur Sache:<br />

– 3 –<br />

Ich habe heute am späten Abend einige Weißbier getrunken auf dem Wirtshaus. Allerdings nur vier<br />

oder fünf. Ich habe mich auch noch für fahrtüchtig gehalten. Sonst wäre es ja viel zu gefährlich für<br />

mich selbst, mit dem Auto unterwegs zu sein. Heute Abend habe ich wegen des recht guten Wetters<br />

eine dünnere Jacke angezogen. Dabei habe ich wohl vergessen, die Papiere einzustecken. Den Führerschein<br />

können Sie sich morgen bei mir abholen.<br />

Ende der Vernehmung: 23.50 Uhr selbst gelesen, genehmigt<br />

und unterschrieben<br />

_________________________ _________________________<br />

Frankl, POM Kurt Müller


Vermerk:<br />

1.<br />

– 4 –<br />

B 38<br />

Heute Morgen um 9.00 Uhr teilte Herr Prof. Dr. med. Mathias Klein vom Vincentinum-Krankenhaus<br />

telefonisch mit, dass die BAK zur Tatzeit 1,44 Promille betragen hat. Ein schriftliches Gutachten wird<br />

zum Vorgang gereicht werden.<br />

2.<br />

Das Untersuchungsergebnis hat der Unterzeichner sodann den zuständigen Dezernenten der Staatsanwalt<br />

und des Amtsgerichtes Augsburg telefonisch übermittelt.<br />

Augsburg, 13.10.2010<br />

_________________________<br />

Frankl, POM


B 38<br />

15 Gs 1235/10 AG Augsburg<br />

123 Js 1567/10 <strong>StA</strong> Augsburg<br />

In der Ermittlungssache<br />

gegen Herrn Kurt Müller,<br />

geboren am 15.06.1970 in Augsburg,<br />

– 5 –<br />

Amtsgericht Augsburg<br />

Beschluss<br />

wohnhaft Berthold-Brecht-Straße 12, 86153 Augsburg,<br />

Deutscher, ledig<br />

wegen Trunkenheit im Verkehr<br />

wird dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis gemäß § 111 a Abs. 1 S. 1 StPO vorläufig entzogen.<br />

Gründe:<br />

Der Beschuldigte führte am 12.10.2010 um 22.30 Uhr auf der Jakoberstraße in Augsburg sein Kraftfahrzeug<br />

im Zustand absoluter Fahruntüchtigkeit (BAK 1,44 Promille). Damit sind dringende Gründe für die<br />

Annahme vorhanden, dass dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis entzogen werden wird (§ 69 Abs. 1 S. 1<br />

StGB).<br />

Augsburg, 13.10.2010<br />

_________________________<br />

Wiesmaier, Richter am Amtsgericht


Vermerk:<br />

1.<br />

– 6 –<br />

B 38<br />

Der Unterzeichner war heute um 12.00 Uhr bei der vom Verdächtigen Kurt Müller angegebenen Adresse,<br />

um den Führerschein zu beschlagnahmen. Unter der Adresse wohnt zwar ein Kurt Müller, aber es ist<br />

ersichtlich nicht derjenige, den ich gestern Abend angehalten habe. Der Betreffende wies sich mit BPA<br />

Nr. 123456789 aus, es handelt sich bei ihm tatsächlich um Kurt Müller. Nach Belehrung über seine<br />

Rechte als Beschuldigter und Aufklärung über den bisher ermittelten Sachverhalt legte er die Papiere für<br />

seinen Wagen vor; dabei handelt es sich um einen Pkw Ford Focus, Kennzeichen A–KM 456, also um<br />

ein ganz anderes Fahrzeug.<br />

Ich fragte ihn dann, ob er er mir mitteilen könne, wo sich sein Sozialversicherungsausweis und seine Jahreskarte<br />

für den Verkehrsverbund befänden.<br />

Er sagte, er habe die beiden Papiere an seinen Arbeitskollegen verliehen, Herrn Max Roland, wohnhaft<br />

Lauterbach 14, 86152 Augsburg. Herr Müller selbst gab an, die letzten drei Wochen in den USA gewesen<br />

zu sein. Er sei erst gestern am späten Abend wieder zurückgekehrt. Herrn Roland habe er seine Jahreskarte<br />

überlassen, weil sie übertragbar war. Dieser konnte damit dann kostenlos zur Arbeit fahren. In<br />

derselben Hülle wie die Jahreskarte habe auch der Sozialversicherungsausweis gesteckt. Der Einfachheit<br />

halber, weil er ihn sonst verliere. Seinen Wagen habe er Herrn Roland aber nicht geliehen.<br />

2.<br />

Diesen Sachverhalt habe ich sodann telefonisch dem zuständigen Dezernenten bei der Staatsanwaltschaft<br />

Augsburg mitgeteilt. Er wird beantragen, den Beschluss über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis<br />

aufzuheben.<br />

3.<br />

Über die Namensverwechslung habe ich zudem das Vincentinum-Krankenhaus informiert.<br />

Augsburg, 13.10.2010<br />

_________________________<br />

Frankl, POM


B 38<br />

15 Gs 1235/10 AG Augsburg<br />

123 Js 1567/10 <strong>StA</strong> Augsburg<br />

In der Ermittlungssache<br />

gegen Herrn Kurt Müller,<br />

geboren am 15.06.1970 in Augsburg,<br />

– 7 –<br />

Amtsgericht Augsburg<br />

Beschluss<br />

wohnhaft Berthold-Brecht-Straße 12, 86153 Augsburg,<br />

Deutscher, ledig<br />

wegen Trunkenheit im Verkehr<br />

wird die mit Beschluss des Amtsgerichtes Augsburg vom 13.10.2010 angeordnete vorläufige Entziehung<br />

der Fahrerlaubnis des Beschuldigten gemäß § 111 a Abs. 2 StPO wieder aufgehoben.<br />

Gründe:<br />

Wie die weiteren Ermittlungen ergeben haben, hat der Beschuldigte am Abend des 12.10.2010 das Kraftfahrzeug<br />

mit dem amtlichen Kennzeichen A–BC 123 nicht im Zustande absoluter Fahruntüchtigkeit im<br />

Straßenverkehr geführt. Es handelte sich um eine Personenverwechslung aufgrund einer Identitätstäuschung<br />

durch eine andere Person. Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis war daher wieder aufzuheben.<br />

Augsburg, 18.10.2010<br />

_________________________<br />

Wiesmaier, Richter am Amtsgericht


– 8 –<br />

B 38


B 38<br />

Zur Sache:<br />

– 9 –<br />

Ich bin mit den Ergebnissen der neuen Ermittlungen der Polizei konfrontiert worden. Meine Aussage<br />

vom 12.10.2010 möchte ich nunmehr korrigieren.<br />

Die Aussage, die ich bei meiner ersten Vernehmung betreffend meinen Alkoholkonsum am fraglichen<br />

Abend getätigt habe, stimmt. Ich hielt mich noch für fahrtüchtig.<br />

Als mich die Polizei anhielt, habe ich es trotzdem mit der Angst zu tun bekommen, schließlich hatte<br />

ich ja doch was getrunken, und außerdem ist mir vor einiger Zeit die Fahrerlaubnis entzogen worden<br />

wegen Trunkenheit am Steuer. Also habe ich mir überlegt, wie ich aus der Sache wieder herauskomme.<br />

Da fiel mir ein, dass ich die Jahreskarte und den Sozialversicherungsausweis von meinem Freund<br />

Kurt Müller dabei hatte. Er hatte mir die übertragbare Jahreskarte geliehen, damit ich ohne meinen<br />

Wagen kostenlos zur Arbeit kommen kann, während er im Urlaub ist. In der Hülle steckte auch noch<br />

der Sozialversicherungsausweis. Beides habe ich dann den Beamten gezeigt und mich als Kurt Müller<br />

ausgegeben und außerdem behauptet, ich hätte Führerschein, Personalausweis und Fahrzeugschein<br />

zu Hause vergessen. Ich dachte, ich käme damit durch. Auch im Krankenhaus bei der Blutprobe und<br />

bei der Vernehmung auf der Wache habe ich dann einfach so weitergemacht. Wenn ich meinem<br />

Freund Müller dadurch Scherereien gemacht habe, so tut mir das leid.<br />

Ende der Vernehmung: 10.30 Uhr selbst gelesen, genehmigt<br />

und unterschrieben<br />

_________________________ _________________________<br />

Himml, POM Max Roland


– 10 –<br />

Institut für Rechtsmedizin Vincentinum-Krankenhaus<br />

Direktor Prof. Dr. med. Mathias Klein Marktstraße 23<br />

B 38<br />

Blutalkoholuntersuchungsstelle 86199 Augsburg<br />

Polizeipräsidium Schwaben Nord<br />

Polizeiinspektion Augsburg Mitte<br />

Göppinger Straße 43<br />

86159 Augsburg<br />

Name: Roland<br />

Vorname: Max<br />

Venülen-Nr.: 2917/10<br />

Vorfall: 12.10.2010 22.30 Uhr<br />

Blutentnahme: 12.10.2010 23.00 Uhr<br />

Blutalkohol-Untersuchungsbefund<br />

Augsburg, 13.10.2010<br />

Tel.: 0821 50 12 20<br />

Fax: 0821 50 12 27<br />

Die Analysen wurden mittels zweier voneinander unabhängiger Verfahren (GC- und ADH-<br />

Methode) durchgeführt. Hieraus wurde der forensisch relevante Mittelwert der Blutalkoholkonzentration<br />

(BAK) errechnet.<br />

Mittelwert in Promille: 1,44<br />

Der ermittelte Wert gibt die BAK für den angegebenen Tatzeitpunkt wieder. Die Rückrechnung<br />

erfolgte unter Grundlage der vorhandenen Daten zur Blutentnahme und nach<br />

Maßgabe der aktuellen Richtlinien und Arbeitsanweisungen für forensische Zwecke.<br />

_________________________<br />

Prof. Dr. med. Mathias Klein<br />

Polizeipräsidium Schwaben Nord<br />

PI Augsburg Mitte<br />

Eingang: 26.10.2010


B 38<br />

1.<br />

Die Ermittlungen sind abgeschlossen.<br />

2.<br />

Der Vorgang wird der<br />

– 11 –<br />

Vfg.<br />

Staatsanwaltschaft Augsburg (Az.: 123 Js 1567/10)<br />

zur weiteren Veranlassung übersandt.<br />

Augsburg, 27.10.2010<br />

_________________________<br />

Runge, PHM


– 12 –<br />

Vermerk für die Bearbeitung<br />

I.<br />

B 38<br />

Der Sachverhalt ist dahin zu begutachten, ob die Beschuldigten einer oder mehrerer Straftaten hinreichend<br />

verdächtig sind. Die Entschließung der Staatsanwaltschaft ist zu entwerfen. Straftaten und<br />

Ordnungswidrigkeiten außerhalb des StGB, mit Ausnahme der im StVG enthaltenen Tatbestände, sind<br />

nicht zu erörtern.<br />

Die tatsächliche Würdigung des Sachverhaltes ist bei den einzelnen Merkmalen der untersuchten<br />

Straf- und Ordnungswidrigkeitentatbestände vorzunehmen.<br />

Sollten weitere Ermittlungen für notwendig gehalten werden, so ist davon auszugehen, dass diese<br />

durchgeführt worden sind und keine neuen Gesichtspunkte ergeben haben. Die Durchführung einer<br />

nicht im Aktenstück enthaltenen verantwortlichen Vernehmung darf aber nicht unterstellt werden.<br />

Im Falle der Anklageerhebung ist von einer Darstellung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen<br />

abzusehen.<br />

Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft ergeht am 1. November 2010.<br />

II.<br />

Bei den Akten befinden sich die Bundeszentralregisterauszüge und die Verkehrszentralregisterauszüge<br />

der Beschuldigten. Sie weisen aus, dass Max Roland am 14. Juni 2010 von dem Amtsgericht München<br />

rechtskräftig wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen<br />

zu je 40 € verurteilt worden ist. Die Fahrerlaubnis wurde ihm dabei für die Dauer von einem Jahr entzogen.<br />

In Ihrem eigenen Interessen bitten wir Sie, am Ende der <strong>Klausur</strong> anzugeben,<br />

a) welche Auflagen der zugelassenen Kommentare Sie benutzt<br />

und<br />

b) auf welchem Stand sich die von Ihnen verwendeten Gesetzestexte befunden haben.<br />

III.<br />

Hinweis: Der von Ihnen genutzte Aufgabentext wird nicht zur Korrektur genommen. Bezugnahmen<br />

oder Verweisungen, die nur durch Einsicht in das von Ihnen benutzte Exemplar des Aktenstückes verständlich<br />

werden, verbieten sich deshalb.<br />

Besonderer Hinweis für die Teilnehmer des <strong>Klausur</strong>enkurses zur Vorbereitung auf das Assessorexamen<br />

aus Bayern und Baden Württemberg: Soweit Sie eine Entschließung der Staatsanwaltschaft für<br />

erforderlich halten, die in der Form von dem in Norddeutschland üblichen Aufbau abweicht, vermerken<br />

Sie dies bitte auf dem Deckblatt Ihrer <strong>Klausur</strong>lösung (z.B. „Bay“ oder „BaWü“). Die Korrektur<br />

erfolgt dann unter Zugrundelegung der entsprechenden Aufbaumuster. Unsere Lösung folgt dem<br />

in Norddeutschland üblichen Aufbau (vgl. AS-Skript Die strafrechtliche Assessorklausur 1, 7. Aufl.<br />

2009).


<strong>Klausur</strong>en für das 2. Examen<br />

B 38 Lösung – <strong>StA</strong>-<strong>Klausur</strong>: Anklage,<br />

Einstellung<br />

Strafsache Max Roland<br />

André Neumann<br />

Gutachten; Anklageschrift; Einstellung des Verfahrens<br />

Fahren ohne Fahrerlaubnis, Falsche Verdächtigung, Vortäuschen einer Straftat, Urkundenfälschung,<br />

mittelbare Falschbeurkundung, Missbrauch von Ausweispapieren, Betrug,<br />

Verleumdung, isolierte Sperrfrist, isolierte Einziehung, Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen<br />

§§ 69, 69 a, 74, 145 d, 164, 187, 263, 267, 271, 281, 316 StGB; § 21 StVG; §§ 2, 9 StrEG;<br />

§§ 170, 407 ff. StPO<br />

Vorüberlegungen<br />

Diese Hinweise sind kein Teil der zu erstellenden Lösung, sondern dienen ausschließlich dazu,<br />

die Musterlösung nachvollziehbar zu machen. Für die praxisgerechte Bearbeitung ist es<br />

nicht erforderlich, dass sämtliche hier angesprochenen Fragen behandelt werden.<br />

Akteninhalt<br />

Es bietet sich stets an, den Sachverhalt und Verfahrensablauf vor der Bearbeitung in der zeitlichen<br />

Abfolge zu ordnen und zugleich stichwortartig zu erfassen. Man verschafft sich so einen<br />

inneren Bezug zum Fall, erlebt ihn gewissermaßen mit. Außerdem sind auf diese Weise<br />

auch etwaige tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten des Sachverhaltes (problematische<br />

Beweiswürdigung, Verwertungsverbote, Strafantragsfristen, Verjährung usw. ) besser zu erkennen.<br />

A. Chronologie<br />

12. Oktober 2010<br />

Tattag (Vorzeigen der Jahreskarte und des Sozialversicherungsausweises des Kurt Müller<br />

durch Max Roland)<br />

Richterliche Anordnung der Blutentnahme des angetroffenen Fahrers<br />

Entnahme der Blutprobe im Krankenhaus<br />

Vernehmung des Max Roland (gibt sich weiter als Kurt Müller aus und unterschreibt das polizeiliche<br />

Vernehmungsprotokoll mit diesem Namen)<br />

13. Oktober 2010<br />

Mitteilung von Prof. Dr. med. Mathias Klein vom Krankenhaus, dass die BAK zur Tatzeit 1,44<br />

Promille betragen hat<br />

Unterrichtung der Staatsanwaltschaft und des Gerichtes über diesen Sachverhalt durch den<br />

ermittelnden Polizeibeamten<br />

Richterlicher Beschluss über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis des Kurt Müller<br />

Vernehmung des Kurt Müller als Beschuldigter mit Ermittlung des Max Roland als tatsächlichen<br />

Fahrer zur Tatzeit


– 2 – B 38<br />

Mitteilung dieses neuen Ermittlungsergebnisses an die Staatsanwaltschaft, das Gericht sowie<br />

das Krankenhaus durch den ermittelnden Polizeibeamten<br />

18. Oktober 2010<br />

Aufhebung des richterlichen Beschlusses über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis<br />

des Kurt Müller<br />

25. Oktober 2010<br />

Vernehmung des Max Roland als Beschuldigter mit geständiger Einlassung (hielt sich aber<br />

noch für fahrtüchtig)<br />

26. Oktober 2010<br />

Eingang des verlesbaren (§ 256 Abs. 1 Nr. 4 StPO) schriftlichen Gutachtens vom 13. Oktober<br />

2010 über den festgestellten BAK-Wert bei der Polizei<br />

27. Oktober 2010<br />

Übersendung des Vorganges an die Staatsanwaltschaft<br />

1. November 2010<br />

Tag der staatsanwaltschaftlichen Entschließung<br />

B. Mögliche Problemfelder<br />

I. Materiell-rechtlich ist zu beachten, dass der Beschuldigte Max Roland gehandelt hat, um<br />

sich einer eigenen Strafverfolgung zu entziehen. Dies ist bei der Prüfung der einzelnen Straftatbestände<br />

zu berücksichtigen. Außerdem sind die Urkundeneigenschaft von polizeilichen<br />

Vernehmungsprotokollen sowie die Funktion der von dem Beschuldigten Max Roland vorgezeigten<br />

Ausweispapiere zu erörtern.<br />

II. Verfahrensrechtlich ist zu beachten, dass auch der Kurt Müller Beschuldigter in dem Verfahren<br />

geworden ist. Zudem sind bei ihm eventuelle Entschädigungsansprüche in Betracht<br />

zu ziehen.<br />

C. <strong>Klausur</strong>taktik<br />

Hier gibt es keine Besonderheiten. Wegen der überschaubaren Anzahl der zu prüfenden<br />

Straftatbestände empfiehlt sich im Gutachten aber ein etwas ausführlicheres Eingehen auf<br />

die Problemstellen.<br />

Lösung<br />

Materiell-rechtlicher Gutachtenteil<br />

A. Hinreichender Tatverdacht bezüglich des Beschuldigten Max Roland (R)<br />

I. Durch die von ihm eingeräumte Fahrt mit seinem Wagen hat sich R, dem die Fahrerlaubnis<br />

entzogen worden war, wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG<br />

hinreichend verdächtig gemacht. Er handelte insoweit auch vorsätzlich, rechtswidrig und<br />

schuldhaft.<br />

II. Er könnte auch einer fahrlässigen Trunkenheitsfahrt hinreichend verdächtig sein, § 316<br />

Abs. 2 .*<br />

1. R hat im öffentlichen Straßenverkehr ein Fahrzeug geführt. Zu diesem Zeitpunkt wies er eine<br />

BAK von 1,44 Promille aus, was zur unwiderleglichen Annahme absoluter Fahruntüchtigkeit<br />

führt. 1<br />

∗ §§ ohne Gesetzesangabe sind solche des StGB.<br />

1 Vgl. BGHSt 36, 89; Fischer, 57. Auflage 2010, § 316 Rdnr. 25.


B 38<br />

– 3 –<br />

Bedenken gegen die Verwertbarkeit des Untersuchungsergebnisses bestehen nicht. Die Entnahme<br />

der Blutentnahme erfolgte unter Grundlage eines richterlichen Beschlusses und richtete<br />

sich auch gegen den Fahrer als mutmaßlichen Täter der Trunkenheitsfahrt.<br />

Er hat somit ein Fahrzeug im Zustand absoluter Fahruntüchtigkeit geführt.<br />

2. Für Vorsatz gibt seine glaubhafte Einlassung keinen hinreichenden Anhaltspunkt, insbesondere<br />

lässt sich aus der Höhe der BAK nicht schließen, dass er die Möglichkeit absoluter<br />

Fahruntüchtigkeit erkannt hat und trotzdem seinen Wagen in Bewegung setzte. 2 Er hätte<br />

aber bei Anspannung seiner Erkenntniskräfte erkennen können, dass er den Zustand absoluter<br />

Fahruntüchtigkeit erreicht hatte. Daher ist bloße Fahrlässigkeit anzunehmen.<br />

3. Er handelte auch rechtswidrig und schuldhaft.<br />

Hinreichender Tatverdacht hinsichtlich einer fahrlässigen Trunkenheitsfahrt ist daher zu bejahen.<br />

Dem damit zugleich verwirklichten Ordnungswidrigkeitentatbestand des § 24 a StVG<br />

geht § 316 Abs. 2 vor (§ 21 OWiG).<br />

III. R könnte weiterhin eines Missbrauchs von Ausweispapieren nach § 281 hinreichend<br />

verdächtig sein, indem er bei der Kontrolle den Sozialversicherungsausweis und die Jahreskarte<br />

des Augsburger Verkehrsverbundes des Kurt Müller vorzeigte.<br />

1. § 281 Abs. 1 S. 1, 1. Var. erfordert den Gebrauch amtlicher Ausweispapiere. Darunter<br />

sind nur solche zu verstehen, die von einer Behörde gerade zum Zwecke des Identitätsnachweises<br />

ausgestellt worden sind, so etwa Personalausweis und Reisepass. 3 Vorliegend<br />

handelt es sich aber um Dokumente, die nicht in erster Linie den Identitätsnachweis bezwecken,<br />

sondern Berechtigungen zur Inanspruchnahme von Leistungen verbriefen (Jahreskarte<br />

für Bus und Straßenbahn) bzw. zum Nachweis über die erfolgte Erfassung als Sozialversicherungspflichtiger<br />

dienen.<br />

R ist daher nicht eines Missbrauchs amtlicher Ausweispapiere nach § 281 Abs. 1 S. 1, 1. Var.<br />

hinreichend verdächtig.<br />

2. § 281 Abs. 2 erklärt aber § 281 Abs. 1 auch insoweit für anwendbar, als es sich um Zeugnisse<br />

und andere Urkunden handelt, die im Verkehr als Ausweis verwendet werden. Für die<br />

beiden fraglichen Dokumente, die auch die Voraussetzungen des Urkundsbegriffs erfüllen,<br />

trifft das, wie eben gezeigt, zu, denn mit ihrer Hilfe kann der Inhaber seine Berechtigung und<br />

damit mittelbar auch seine Identität nachweisen. Die gesetzgeberische Regelung trägt dem<br />

Umstand Rechnung, dass auch bei Dokumenten, die im Verkehr wie Identitätsnachweise Verwendung<br />

finden, dieselbe Gefahr eines Missbrauchs mit denselben schädlichen Folgen, um<br />

derentwillen § 281 Abs. 1 den Schutz vor Missbrauch hinsichtlich der Identitätsnachweise anordnet,<br />

besteht wie bei echten Ausweispapieren.<br />

R müsste diese einem Ausweispapier gleichstehenden Urkunden auch gebraucht haben.<br />

Fraglich ist, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um einen solchen Gebrauch annehmen<br />

zu können. Zwar setzt § 281 nicht voraus, dass der Ausweis oder die ihm gleichstehende<br />

Urkunde seiner Zweckbestimmung entsprechend gebraucht wird. 4 Das Tatobjekt muss allerdings<br />

als Ausweispapier fremder Wahrnehmung zugänglich gemacht werden. Daran fehlt<br />

es aber, wenn das Ausweispapier zum Zweck des Identitätsnachweises im allgemeinen<br />

Rechtsverkehr gebraucht wird, obwohl es nicht zu diesem Zweck ausgestellt ist, sondern zum<br />

Nachweis einer anderweitigen Rechtsstellung des Vorlegenden, auf die es bei dem Gebrauch<br />

nicht ankommt. Der Versicherungsausweis und die Jahreskarte sind nur dann geeignete Papiere<br />

zum Nachweis der Identität, wenn sie gegenüber Mitarbeitern des betreffenden Verkehrsunternehmens<br />

bzw. gegenüber Mitarbeitern der ausstellenden Versicherungs- bzw.<br />

Kontrollbehörde verwendet worden wären. Das würde jeweils zum Beweis dafür erfolgen,<br />

dass der Inhaber der Papiere auch tatsächlich diejenige Person ist, die in den betreffenden<br />

2 Vgl. Fischer § 316 Rdnr. 46.<br />

3 Sch/Sch/Cramer/Heine, 27. Auflage 2006, § 281 Rdnr. 3.<br />

4 Sch/Sch/Cramer/Heine § 281 Rdnr. 5.


– 4 – B 38<br />

Papieren als Berechtigter genannt ist. 5 Vorliegend wurden die Ausweispapiere aber nicht zu<br />

den jeweiligen Zwecken, sondern zu einem allgemeinen Identitätsnachweis bei einer polizeilichen<br />

Kontrolle verwendet. Ein Missbrauch scheidet damit aus.<br />

R ist somit eines Missbrauchs von Ausweispapieren nicht hinreichend verdächtig.<br />

IV. Er könnte einer falschen uneidlichen Aussage hinreichend verdächtig sein, § 153<br />

Abs. 1, indem er bei der Kontrolle vor der Polizei falsche Angaben gemacht hat.<br />

R hat vor der Polizei die Aussage gemacht, er sei Herr Kurt Müller. Diese Aussage müsste<br />

falsch gewesen sein. Aussagen sind jedenfalls dann falsch, wenn sie mit der objektiven Wirklichkeit<br />

nicht übereinstimmen und der Täter dies weiß. 6 Vorliegend gab sich R bewusst für einen<br />

anderen aus; es handelt sich daher um eine falsche Aussage. Weiterhin müsste die Polizei<br />

auch eine zur eidlichen Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen zuständige Stelle<br />

sein. Nur gegenüber einer solchen ist die uneidliche falsche Aussage mit Strafe bedroht. Aus<br />

§ 161 a StPO ergibt sich aber mittelbar, dass die Polizei diese Befugnis nicht hat.<br />

Da die Polizei somit keine zur Abnahme von Eiden befugte Stelle ist, ist R einer uneidlichen<br />

Falschaussage nicht hinreichend verdächtig.<br />

V. Wegen einer Strafvereitelung (§ 258 Abs. 1, 1. und 2. Var.) besteht gegen R kein hinreichender<br />

Tatverdacht, da er nur sich selbst, nicht aber einen anderen der Bestrafung bzw. der<br />

Verhängung einer Maßnahme nach § 69 entzogen hat (§ 258 Abs. 5).<br />

VI. R könnte aber einer falschen Verdächtigung (§ 164 Abs. 1) hinreichend verdächtig sein,<br />

weil er gegenüber den Polizisten den Eindruck erweckte, Kurt Müller sei der Fahrer des Fahrzeugs.<br />

1. Der das Protokoll aufnehmende POM Frankl war ein nach § 158 Abs. 1 StPO für die Aufnahme<br />

von Anzeigen zuständiger Amtsträger.<br />

2. Indem R sich gegenüber dem Beamten als Kurt Müller ausgab, hat er bei diesem den Verdacht<br />

geweckt, Herr Müller habe den Wagen im Straßenverkehr geführt.<br />

a) Fraglich ist, ob darin die Verdächtigung hinsichtlich einer rechtswidrigen Tat liegt. Als<br />

solche rechtswidrige Tat kommt zunächst § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG in Betracht. Diesbezüglich<br />

gilt es allerdings zu berücksichtigen, dass Herr Müller eine Fahrerlaubnis besaß. Ein Verdacht<br />

bezüglich dieser Straftat konnte auf ihn daher nicht gelenkt werden. 7<br />

b) R könnte jedoch, indem er den Atemalkoholtest durchführte und sich die Blutprobe abnehmen<br />

ließ, dafür gesorgt haben, dass auf Herrn Müller der Verdacht einer fahrlässigen<br />

Trunkenheitsfahrt fiel. Fraglich ist, ob R, indem er sich für Herrn Müller ausgab, diesen dieser<br />

Tat verdächtigt hat. Ein Verdächtigen kann erfolgen durch das Schaffen einer kompromittierenden<br />

Beweislage, ohne dass der Denunziant als solcher in Erscheinung tritt, sog. Beweismittelfunktion.<br />

8 Es reicht aus, dass der ermittelnde Polizeibeamte die Schlussfolgerung<br />

hinsichtlich der Person zieht. Indem er sich für Herrn Müller ausgab, hat R eine Situation geschaffen,<br />

aus der der Polizeibeamte schließen konnte, Herr Müller sei Täter eines Delikts nach<br />

§ 316 Abs. 2. Er hat somit Herrn Müller objektiv verdächtigt. Diese Verdächtigung war auch<br />

falsch, denn Herr Müller hat diese Tat nicht begangen. Eine falsche Verdächtigung liegt daher<br />

vor.<br />

Allerdings gilt es zu bedenken, dass R die falsche Verdächtigung nur vorgebracht hat, um sich<br />

selbst vor Verfolgung und Bestrafung zu schützen. Möglicherweise handelt es sich daher um<br />

eine tatbestandslose Selbstbegünstigung, ähnlich wie in den Fällen der §§ 257, 258, weil<br />

sich der Täter hier in einer vergleichbaren Zwangslage befindet. 9 Allerdings führt bei § 164<br />

5 Vgl. LG Dresden NZV 1998, 217; insoweit a.A. Saal, NZV 1998, 1998, 218.<br />

6 Vgl. Sch/Sch/Lenckner Vorbem. §§ 153 ff. Rdnr. 6; Fischer § 153 Rdnr. 4.<br />

7 Vgl. LG Dresden NZV 1998, 217.<br />

8 BGHSt 9, 240; Geilen Jura 1984, 253.<br />

9 Vgl. Sch/Sch/Lenckner § 164 Rdnr. 5.


B 38<br />

– 5 –<br />

nicht jede vom Täter erstrebte Selbstbegünstigung schon zur Tatbestandslosigkeit. Bei einer<br />

wie vorliegend sachverhaltsmanipulierenden Verfälschung der Beweislage sind vielmehr<br />

nach allgemeiner Ansicht die Grenzen strafloser Selbstbegünstigung im Rahmen des § 164<br />

überschritten. 10<br />

c) Er müsste des Weiteren auch vorsätzlich gehandelt, müsste insbesondere gewusst haben,<br />

dass er Herrn Müller einer Straftat verdächtigte. R ging davon aus, selbst keine Straftat nach<br />

§ 316 Abs. 1 verwirklicht zu haben; vielmehr hat er seine absolute Fahruntüchtigkeit verkannt.<br />

Nach seinem Vorstellungsbild hat er Herrn Müller diese Sachverhaltslage untergeschoben,<br />

indem er sich bei der Polizeikontrolle und später auf der Wache für ihn ausgab. Einer<br />

Straftat wollte er ihn daher nicht verdächtigen, denn nach seinem Vorstellungsbild wurde<br />

durch die Autofahrt in der Person des Müller überhaupt keine Straftat verwirklicht – weder<br />

§ 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG noch § 316 Abs. 1 oder 2. 11 Er handelte somit nicht vorsätzlich.<br />

VII. Möglicherweise liegt aber eine falsche Verdächtigung nach § 164 Abs. 2 vor. Dann müsste<br />

R zunächst eine sonstige Behauptung tatsächlicher Art aufgestellt haben. Behaupten<br />

meint damit die unmittelbare Kommunikation des betreffenden Gedankeninhalts. 12 Durch<br />

die Täuschung über seine Identität hat R bei den Polizeibeamten den Eindruck erweckt, Herr<br />

Müller habe eine Ordnungswidrigkeit nach § 24 a StVG begangen. Er hat diesen Verdacht<br />

aber nicht gegenüber den Beamten mündlich geäußert, sondern er hat es vielmehr diesen ermöglicht,<br />

aufgrund seines Verhaltens – Angabe des falschen Namens – die Schlussfolgerung,<br />

Herr Müller habe die Ordnungswidrigkeit begangen, selbst zu ziehen. Das reicht für ein Behaupten<br />

im obigen Sinn jedoch nicht aus.<br />

R ist daher auch einer falschen Verdächtigung zum Nachteil des Müller nach § 164 Abs. 2<br />

nicht hinreichend verdächtig.<br />

VIII. Er könnte aber des Vortäuschens einer Straftat (§ 145 d Abs. 2 Nr. 1) hinreichend verdächtig<br />

sein, indem er die Beamten in die Vorstellung versetzte, er sei Herr Müller.<br />

1. R könnte den für die Ermittlung zuständigen Polizeibeamten POM Frankl über den Beteiligten<br />

an einer Straftat getäuscht haben. Diese Straftat muss für den angeblichen Täter allerdings<br />

selbst strafbar sein. § 145 d Abs. 2 Nr. 1 erfasst nämlich – neben der falschen Selbst-<br />

oder Drittbezichtigung - auch die Fälle, in denen der Täter die rechtswidrige Tat selbst begangen<br />

hat (oder sich das zumindest irrig vorstellt, str.) 13 und den Verdacht von sich abzulenken<br />

versucht, indem er sein eigenes Verhalten dem anderen zuschiebt. 14 Diese Voraussetzung<br />

ist jedoch nicht erfüllt, wenn der Täter mit der Angabe des falschen Namens nicht einen<br />

anderen verdächtigen will, sondern nur eine Identitätstäuschung bezweckt, um sich selbst<br />

vor Ermittlungen zu schützen. Die Verfolgung bloßer Selbstbegünstigungstendenzen ist<br />

also auch hier – ebenso wie bei § 164 – tatbestandslos. 15 Diese Überlegungen ergeben sich<br />

aus dem Normzweck des § 145 d: Die Vorschrift dient dazu, eine unnütze Inanspruchnahme<br />

der Strafverfolgungsbehörden zu vermeiden. Eine solche ist aber nur dann gegeben, wenn<br />

das Verhalten des „geständigen“ Täters in der Person desjenigen, dem es zugeschoben wird,<br />

strafbar wäre. 16 Ist das nicht der Fall, so wird keine unberechtigte Ermittlungstätigkeit ausgelöst.<br />

Nur wenn ein Verhalten den ebengenannten Normzweck tangiert, ist es tatbestandsmäßig. 17<br />

Fehlt es daran, so liegt schon keine Täuschungshandlung vor.<br />

10 Vgl. dazu OLG Düsseldorf JMBl NW 1991, 294; BayObLG JZ 1985, 753.<br />

11 Vgl. LG Dresden NZV 1998, 217<br />

12 Sch/Sch/Lenckner § 164 Rdnr. 6 i.V.m. § 186 Rdnr. 3, 7.<br />

13 Vgl. Sch/Sch/Stree/Sternberg-Lieben § 145 d Rdnr. 13.<br />

14 KG JR 1989, 27.<br />

15 Vgl. Fischer § 145 d Rdnr. 9.<br />

16 KG JR 1989, 27; OLG Zweibrücken NStZ 1991, 530; BGHSt 19, 59; a.A. Saal NZV 1998, 218 f.<br />

17 Vgl. BayObLG NJW 1984, 2302; Sch/Sch/Stree/Sternberg-Lieben § 145 d Rdnr. 14 ff.


– 6 – B 38<br />

Fraglich ist, ob R durch sein Verhalten gemäß der oben angeführten Voraussetzung Herrn<br />

Müller seine Straftaten unterschieben konnte.<br />

R ist des Fahrens ohne Fahrerlaubnis hinreichend verdächtig, § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG. Diese Tat<br />

konnte er Herrn Müller jedoch nicht unterschieben, denn dieser war seinerseits im Besitz einer<br />

Fahrerlaubnis, war also nicht tauglicher Täter dieses Delikts. 18<br />

Ferner ist R einer fahrlässigen Trunkenheitsfahrt hinreichend verdächtig, § 316 Abs. 2. Diesbezüglich<br />

ist das Verhalten des R rechtsgutrelevant, denn Herr Müller war tauglicher Täter dieses<br />

Delikts. Das Verhalten von R löst somit bezüglich dieses Tatvorwurfs unnütze Ermittlungstätigkeit<br />

der Strafverfolgungsbehörden aus.<br />

Eine Täuschungshandlung liegt damit hinsichtlich des Vorliegens eines Vergehens nach<br />

§ 316 Abs. 2 vor.<br />

2. Fraglich ist allerdings, ob R hinsichtlich dieser Täuschungshandlung vorsätzlich gehandelt<br />

hat, d.h., ob er wusste, dass er Herrn Müller eine Tat nach § 316 Abs. 2 zuschob. R hatte vorliegend<br />

auch noch bis zum Zeitpunkt der Blutentnahme keinen Vorsatz hinsichtlich einer Trunkenheitsfahrt,<br />

wusste also nicht, dass er sich strafbar gemacht hatte. Mithin konnte er Herrn<br />

Müller diese – seiner Vorstellung nach gar nicht existente – Tat auch nicht unterschieben wollen.<br />

19<br />

R ist daher auch einer Straftat nach § 145 d Abs. 2 nicht hinreichend verdächtig.<br />

IX. Er könnte aber einer Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1, 1. und 3. Var.) hinreichend verdächtig<br />

sein, indem er das polizeiliche Vernehmungsprotokoll mit dem Namen des Kurt Müller<br />

unterschrieb.<br />

1. Dann müsste er eine unechte Urkunde hergestellt haben.<br />

a) Urkunde ist jede verkörperte Gedankenerklärung, die zum Beweise einer außerhalb ihrer<br />

selbst liegenden Tatsache im Rechtsverkehr zu beweisen geeignet und bestimmt ist und die<br />

einen Aussteller erkennen lässt. 20<br />

In dem Protokoll ist die Gedankenerklärung enthalten, dass ein Beschuldigter gemäß § 136<br />

StPO über seine Rechte belehrt worden ist und er bestimmte Angaben zur Person und gegebenenfalls<br />

auch zur Sache gemacht hat.<br />

Das Protokoll kann in der Hauptverhandlung zwar grundsätzlich nicht als originäres Beweismittel<br />

gegen den Angeklagten verwendet, wohl aber zum Zwecke des Vorhalts verlesen<br />

werden. 21 Außerdem kann es zum Beweise der Existenz dieses Protokolls verlesen werden 22<br />

und dient insoweit auch als Beweismittel. Die Gedankenerklärung ist also zum Beweise einer<br />

außerhalb ihrer selbst liegenden Tatsache geeignet und auch bestimmt.<br />

Weiterhin müsste auch ein Aussteller aus der Gedankenerklärung hervorgehen. Aussteller ist<br />

jedenfalls derjenige, dem die urkundliche Erklärung zuzurechnen ist, der für sie einstehen<br />

und sie sich zurechnen lassen will (sog. Geistigkeitstheorie). 23 Als Aussteller geht aus ihr zunächst<br />

die Polizeiinspektion Augsburg Mitte hervor, deren Beamter POM Frankl die Aufzeichnung<br />

angefertigt hat.<br />

Die Merkmale des Urkundsbegriffs sind daher gegeben. Fraglich ist allerdings, ob die Urkunde<br />

nicht noch einen zweiten Aussteller hat, nämlich Herrn Kurt Müller, mit dessen Namen ja R<br />

als Vernommener unterschrieben hat. Nach dem äußeren Anschein – was ausreicht 24 – will<br />

auch Herr Müller für die Richtigkeit des in der Urkunde Aufgezeichneten einstehen. Schließ-<br />

18 Vgl. Fischer § 145 d Rdnr. 9; LG Dresden NZV 1998, 217.<br />

19 Vgl. LG Dresden NZV 1998, 217.<br />

20 BGHSt 3, 84.<br />

21 Meyer-Goßner, 52. Auflage 2009, § 254 Rdnr. 7.<br />

22 Meyer-Goßner § 254 Rdnr. 6.<br />

23 Vgl. BGHSt 5, 149.<br />

24 Vgl. BGHSt 5, 149.


B 38<br />

– 7 –<br />

lich beinhaltet die verkörperte Gedankenerklärung im Wesentlichen ihn betreffende Aussagen.<br />

Gegen seine Ausstellereigenschaft könnte allenfalls sprechen, dass dann die Urkunde<br />

zwei Aussteller hätte. Allerdings ist dies in vielen anderen Fällen auch anerkannt. Nach allgemeiner<br />

Ansicht enthält etwa ein Wechsel mehrere verkörperte Gedankenerklärungen mehrerer<br />

Aussteller auf einem Urkundsträger, nämlich die Erklärungen von Aussteller, Bezogenem<br />

und evtl. Wechselbürgen mit ihrem jeweiligen rechtlichen Gehalt. Daher bestehen vorliegend<br />

keine Bedenken, auch Herrn Müller als Aussteller der Urkunde anzusehen. 25<br />

b) Diese Urkunde müsste unecht sein. Eine Urkunde ist unecht, wenn sie nicht von dem Aussteller<br />

herrührt, der aus ihr hervorgeht. 26 Vorliegend stammt die Urkunde mit genau diesem<br />

Inhalt zunächst von POM Frankl her. Fraglich ist, wer als wahrer zweiter Aussteller der Urkunde<br />

anzusehen ist, R oder Herr Müller. Nicht notwendigerweise ist derjenige Aussteller einer<br />

Urkunde, der sie unmittelbar körperlich hergestellt hat. Entscheidend ist, wer geistig hinter<br />

der Erklärung steht, wer für ihre Echtheit die Garantie übernehmen will. Aus der Urkunde<br />

geht, wie gezeigt, Herr Müller als Aussteller hervor. Herr Müller müsste sich diese Erklärung<br />

aber nur dann zurechnen lassen – und wäre damit seinerseits auch der wahre Aussteller der<br />

Urkunde –, wenn er R bevollmächtigt hätte, diese Erklärung in seinem Namen abzugeben.<br />

Davon kann indes keine Rede sein. Herr Müller hat seinem Arbeitskollegen R seine Papiere<br />

nicht deswegen gegeben, damit dieser bei einer Verkehrskontrolle den Verdacht auf ihn lenken<br />

kann. Eine Zurechnung zu Herrn Müller kommt daher schon aus diesem Grund nicht in<br />

Betracht. Somit ist R als tatsächlicher (Mit-) Aussteller der Urkunde anzusehen. Diese Identitätstäuschung<br />

durch ihn macht die Urkunde zu einer unechten. Eine unechte Urkunde liegt<br />

daher vor.<br />

Diese unechte Urkunde hat R auch hergestellt, indem er sie unterschrieben hat und sich damit<br />

deren Inhalt zu Eigen machte.<br />

2. Er handelte vorsätzlich und auch zur Täuschung im Rechtsverkehr, da er beabsichtigte,<br />

dass die Strafverfolgungsbehörden aufgrund der Identitätstäuschung kein Ermittlungsverfahren<br />

gegen ihn eröffnen würden.<br />

3. Indem er die unechte Urkunde der Polizei zugänglich machte, hat er sie auch gebraucht.<br />

Da R schon bei Herstellung der Urkunde die Absicht hatte, sie in einer ganz bestimmten Weise<br />

zu verwenden, liegt nur ein einheitliches Delikt der Urkundenfälschung vor.<br />

4. R ist daher einer Urkundenfälschung hinreichend verdächtig.<br />

X. Gegen R könnte außerdem ein hinreichender Tatverdacht wegen mittelbarer Falschbeurkundung<br />

(§ 271 Abs. 1) bestehen, weil er die Urkunde zusammen mit POM Frankl anfertigte.<br />

Dann müsste das polizeiliche Protokoll eine öffentliche Urkunde sein. Der Begriff definiert<br />

sich nach der zivilrechtlichen Bestimmung des § 415 ZPO, wonach es sich dabei um Urkunden<br />

handeln muss, die von einer Behörde unter Einhaltung der Zuständigkeit und Form aufgenommen<br />

worden sind. Zweck der Vorschrift ist, dass sich Dritte auf die gesteigerte Beweiskraft<br />

dieser Urkunden verlassen dürfen können. Daraus ergibt sich zwingend als zusätzliches<br />

Erfordernis, dass sie für den Beweisverkehr nach außen bestimmt sein und dort Beweis für<br />

und gegen jedermann erbringen müssen.<br />

Das polizeiliche Vernehmungsprotokoll ist von POM Frankl als dafür zuständigem Beamten<br />

im Rahmen seiner Behörde aufgesetzt worden. Auch die Form genügt den dafür aufgestellten<br />

Erfordernissen. Fraglich ist allerdings, ob die Urkunde auch für den Beweisverkehr nach<br />

außen bestimmt ist. Das Protokoll dient nur polizei- und gerichtsinternen Zwecken, wie sich<br />

aus § 163 Abs. 2 S. 1 StPO ergibt. Einen Beweis nach außen für und gegen jedermann soll es<br />

daher gerade nicht erbringen. 27 Eine öffentliche Urkunde liegt somit nicht vor.<br />

25 Vgl. Sch/Sch/Cramer/Heine § 267 Rdnr. 16; a.A. LG Dresden NZV 1998, 217.<br />

26 BGHSt 33, 150.<br />

27 Vgl. OLG Düsseldorf NJW 1988, 217, 218.


– 8 – B 38<br />

R ist daher einer mittelbaren Falschbeurkundung nicht hinreichend verdächtig.<br />

XI. Möglicherweise hat sich R aber eines versuchten Betruges gegenüber den Polizeibeamten<br />

und zulasten der Staatskasse (§§ 263 Abs. 2, 22, 23) hinreichend verdächtig gemacht, indem<br />

er durch Vorlage der Jahreskarte und des Sozialversicherungsausweises vermeiden wollte,<br />

später zur Zahlung einer Geldstrafe verurteilt zu werden.<br />

1. R wollte die Polizeibeamten über den tatsächlichen Fahrer des Wagens täuschen und damit<br />

auch darüber, dass an sich gegen ihn selbst Ermittlungen wegen eines Vergehens nach<br />

§ 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG aufzunehmen waren. Er wollte die Beamten auch in einen Irrtum darüber<br />

versetzen.<br />

2. Fraglich ist, ob er es auch in seinen Tatentschluss aufgenommen hat, dass aufgrund dieses<br />

Irrtums von den Polizeibeamten eine Vermögensverfügung vorgenommen werden sollte.<br />

Vermögensverfügung ist jedes Handeln, Dulden oder Unterlassen, das Vermögensbezug aufweist,<br />

und durch das das Vermögen des Getäuschten oder eines Dritten unmittelbar gemindert<br />

wird. 28 Ein Unterlassen liegt in der Form der Nichtaufnahme von Ermittlungen gegen ihn,<br />

die letztlich in die Verhängung einer Geldstrafe gemündet hätten, vor. Fraglich ist aber, ob<br />

dies auch Vermögensbezug aufweist. Die konkrete Aussicht auf die Verhängung einer Geldstrafe<br />

hat für den Fiskus Vermögenswert; allerdings ist der staatliche Strafanspruch – auch<br />

sofern er sich in Form der Geldstrafe vermögenswert manifestiert – gegenüber dem Täter<br />

nicht geschützt, 29 da es sich dabei um ein Rechtsgut sui generis handelt, das dem Schutzzweck<br />

der Vermögensdelikte nicht unterfällt. 30 § 263 hat nur das Vermögen als wirtschaftliche<br />

Potenz im Auge. Deswegen unterfallen dem Schutz dieser Vorschrift nur für den Wirtschaftsverkehr<br />

relevante Gegenstände, nicht strafrechtliche Sanktionen, denen es an jeder<br />

wirtschaftlichen Zweckbestimmung fehlt. 31<br />

3. R ist daher auch eines versuchten Betruges nicht hinreichend verdächtig.<br />

XII. Schließlich könnte R einer Verleumdung (§ 187) zum Nachteil des Herrn Müller hinreichend<br />

verdächtig sein, indem er sich in alkoholisiertem Zustand für Herrn Müller ausgab und<br />

so den Eindruck erweckte, dieser fahre betrunken Auto.<br />

Dann müsste er gegenüber einem Dritten eine ehrmindernde Tatsache betreffend einen<br />

anderen behauptet haben. Behaupten bedeutet unmittelbare Kommunikation des ehrmindernden<br />

Gedankeninhalts. 32 Vorliegend hat R durch die Angabe des falschen Namens bei den<br />

Polizisten den Eindruck erzeugt, Fahrer des Autos sei Herr Müller. Erst die Beamten selbst zogen<br />

die ehrmindernde Schlussfolgerung aus dem Auftreten von R, nämlich dass Herr Müller<br />

betrunken Auto gefahren sei. Mangels Gedankenerklärung seitens des R stellt dies kein Behaupten<br />

dar.<br />

R ist daher auch einer Verleumdung zum Nachteil des Herrn Müller nicht hinreichend verdächtig.<br />

XIII. Konkurrenzen<br />

R ist des Fahrens ohne Fahrerlaubnis und fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr hinreichend<br />

verdächtig. Beide Taten stehen in Tateinheit (§ 52 Abs. 1), da sie im Zusammenhang<br />

mit der Autofahrt begangen wurden. In Tatmehrheit (§ 53 Abs. 1) dazu steht die Urkundenfälschung.<br />

XIV. Weitere Rechtsfolgen der Tat<br />

1. Mit der fahrlässigen Trunkenheitsfahrt liegt eine Regelkatalogtat vor, welche die Entziehung<br />

der Fahrerlaubnis nach § 69 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 begründet. Da dem R aber bereits<br />

28 Sch/Sch/Cramer/Perron § 263 Rdnr. 55 und 78 a.<br />

29 Vgl. Graul JR 1991, 436.<br />

30 BGH StV 1998, 194.<br />

31 Sch/Sch/Cramer/Perron § 263 Rdnr. 78 a; BGH NStZ 1993, 79.<br />

32 Sch/Sch/Lenckner § 187 Rdnr. 7.


B 38<br />

– 9 –<br />

aufgrund einer anderen Tat die Fahrerlaubnis gerichtlich entzogen worden war, kommt hier<br />

allein die Verhängung einer isolierten (weiteren) Sperrfrist nach § 69 a Abs. 1 S. 3 in Betracht.<br />

33<br />

2. Des Weiteren unterliegt das Tatfahrzeug des R der Einziehung nach § 21 Abs. 3 Nr. 1<br />

StVG i.V.m. § 74 Abs. 2 Nr. 1. Die hiernach mögliche Ermessensentscheidung 34 fällt deshalb<br />

zum Nachteil des Beschuldigten aus, weil er – über die tatbestandlichen Einziehungsvoraussetzungen<br />

des § 21 Abs. 3 Nr. 1 StVG hinaus – zusätzlich im Zustand absoluter Fahruntauglichkeit<br />

das Fahrzeug geführt hat (§ 316). Insoweit ist die Anordnung dieser Maßregel auch<br />

nicht unverhältnismäßig (vgl. § 74 b Abs. 1).<br />

B. Hinreichender Tatverdacht bezüglich des Beschuldigten Kurt Müller (M)<br />

Die Beschuldigteneigenschaft des M ergibt sich schon aus der – wenn auch irrtumsbedingten<br />

und daher später aufgehobenen – Anordnung der vorläufigen Fahrerlaubnisentziehung gegen<br />

seine Person. 35 Zudem ist er nachfolgend als Beschuldigter vernommen worden.<br />

Ein hinreichender Tatverdacht besteht gegen ihn allerdings nicht. Nach seiner glaubhaften<br />

Einlassung ist eine Teilnahme an den Straftaten des R und auch eine eigenständige Strafbarkeit<br />

durch das gutgläubige Überlassen seiner Papiere ausgeschlossen.<br />

Verfahrensrechtlicher Gutachtenteil<br />

A. Der Beschuldigte R<br />

I. Hinsichtlich des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, der fahrlässigen Trunkenheit im<br />

Straßenverkehr und der Urkundenfälschung wird die Staatsanwaltschaft Anklage gegen R<br />

erheben. Die Beweislage ist klar, der Beschuldigte hat die Taten eingeräumt. Ein Strafbefehlsverfahren<br />

(§§ 407 ff. StPO) ist wegen der einschlägigen Vorbelastung des R nicht angebracht.<br />

II. Da es sich insoweit um Vergehen handelt und die zu erwartende Strafe zwei Jahre Freiheitsstrafe<br />

nicht übersteigt, ist am Amtsgericht Augsburg (vgl. § 7 StPO) der Strafrichter nach<br />

§§ 24, 25 GVG sachlich zuständig.<br />

III. Wegen der zu erwartenden Anordnung einer isolierten Sperrfrist nach § 69 a Abs. 1 S. 3 ist<br />

keine vorläufige Maßnahme nach § 111 a StPO angezeigt, da R zur Zeit keine vorläufig zu<br />

entziehende Fahrerlaubnis besaß.<br />

IV. Dagegen ist aber die vorläufige Sicherstellung seines Kraftfahrzeuges durch Beschlagnahme<br />

nach §§ 111 b, 111 c StPO zusätzlich zu beantragen, um die Einziehung dieses Tatobjektes<br />

nach § 21 Abs. 3 Nr. 1 StVG i.V.m. § 74 Abs. 2 Nr. 1 in der Hauptverhandlung abzusichern.<br />

V. Bezüglich der übrigen Vorwürfe gegen R besteht kein hinreichender Tatverdacht. Eine<br />

förmliche Teileinstellung kommt aber nicht in Betracht, da durch die angeklagten Taten der<br />

gesamte Lebenssachverhalt (§ 264 Abs. 1 StPO) von der Autofahrt bis hin zur polizeilichen<br />

Vernehmung abgedeckt ist.<br />

B. Der Beschuldigte M<br />

I. Bezüglich des M ist das Verfahren nach § 170 Abs. 2 S. 1 StPO mangels hinreichenden Tatverdachts<br />

einzustellen. Hiervon ist der Beschuldigte nach § 170 Abs. 2 S. 2 StPO zu unterrichten.<br />

II. Weil dem M die Fahrerlaubnis zeitweilig entzogen war, besteht für ihn ggf. ein Entschädigungsanspruch.<br />

Hierüber ist er zu belehren (§§ 2 Abs. 2 Nr. 5, 9 Abs. 1 S. 5 StrEG).<br />

33 Vgl. Fischer § 69 a Rdnr. 2, 10 ff.<br />

34 Vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Auflage 2007, § 21 StVG Rdnr. 24.<br />

35 Vgl. Meyer-Goßner Einl. Rdnr. 76.


Entschließung der Staatsanwaltschaft<br />

Staatsanwaltschaft<br />

– 123 Js 1567/10 –<br />

– 10 – B 38<br />

Vfg.<br />

1. Vermerk: Die Ermittlungen gegen den Beschuldigten Kurt Müller beruhten auf einer Identitätstäuschung<br />

durch den Beschuldigten Max Roland. Ein Tatverdacht gegen den Beschuldigten<br />

Müller besteht daher nicht mehr.<br />

2. Einstellung des Verfahrens gemäß § 170 Abs. 2 StPO gegen den Beschuldigten Kurt Müller<br />

(Bl. 4 d.A.) aus den Gründen zu 1.<br />

3. Einstellungsnachricht an den Beschuldigten Kurt Müller mit Belehrung – Formblatt – nach<br />

§ 9 Abs. 1 S. 5 StrEG.<br />

4. Kein Einstellungsbescheid, da Verfahren von Amts wegen.<br />

5. Die Ermittlungen sind abgeschlossen.<br />

6. Anklageschrift in Reinschrift fertigen.<br />

7. Entwurf und ein Überstück zu den Handakten.<br />

8. Ablichtung des Bundeszentralregisterauszuges sowie des Verkehrszentralregisterauszuges<br />

des Beschuldigten Max Roland zu den Handakten.<br />

9. U.m.A.<br />

dem Amtsgericht<br />

– Strafrichter –<br />

Augsburg<br />

mit dem Antrag aus der Anklageschrift und dem weiteren Antrag übersandt,<br />

das Kraftfahrzeug des Angeschuldigten – amtliches Kennzeichen A–BC–123 – vorläufig<br />

durch Beschlagnahme nach §§ 111 b, 111 c StPO sicherzustellen.<br />

10. 1 Monat (Ansprüche nach StrEG gestellt?)<br />

Augsburg, 01.11.2010<br />

Unterschrift<br />

Staatsanwalt


B 38<br />

– 11 –<br />

Staatsanwaltschaft Augsburg Augsburg, 01.11.2010<br />

– 123 Js 1567/10 –<br />

An das<br />

Amtsgericht<br />

– Strafrichter –<br />

Augsburg<br />

Der Angestellte Max Roland,<br />

geboren am 22.12.1973 in Augsburg,<br />

wohnhaft Lauterbach 14, 86152 Augsburg<br />

Deutscher, ledig<br />

wird angeklagt,<br />

am 12.10.2010 in Augsburg<br />

durch zwei selbstständige Handlungen<br />

1. tateinheitlich<br />

Anklageschrift<br />

a) fahrlässig ein Fahrzeug im Straßenverkehr geführt zu haben, obwohl er infolge des Genusses<br />

alkoholischer Getränke nicht in der Lage gewesen ist, das Fahrzeug sicher zu führen,<br />

b) vorsätzlich ein Kraftfahrzeug ohne die dazu erforderliche Fahrerlaubnis geführt zu haben,<br />

und<br />

2. eine unechte Urkunde hergestellt und in Täuschungsabsicht im Rechtsverkehr gebraucht<br />

zu haben.<br />

Dem Angeschuldigten wird Folgendes zur Last gelegt:<br />

Am 12.10.2010 war der Angeschuldigte gegen 22.30 Uhr mit seinem Pkw – amtliches Kennzeichen<br />

A–BC–123 – auf der Jakoberstraße in Augsburg unterwegs, obwohl ihm seine Fahrerlaubnis<br />

entzogen worden war. Er befand sich mit 1,44 Promille BAK im Zustand absoluter<br />

Fahruntüchtigkeit.<br />

Als er von einer Polizeistreife angehalten wurde, wies er sich mit dem Sozialversicherungsausweis<br />

und der Jahreskarte des Augsburger Verkehrsverbundes des Zeugen Kurt Müller aus,<br />

wobei er vorgab, dieser zu sein und seine gesamten Papiere vergessen zu haben.<br />

Bei der nachfolgenden Vernehmung auf der Polizeidienststelle behauptete der Angeschuldigte<br />

weiter, Herr Kurt Müller zu sein, und unterschrieb mit dem Namen des Zeugen Müller<br />

auch das Protokoll.<br />

Der Angeschuldigte hat sich durch sein Verhalten als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen<br />

erwiesen. Sein bei der Tatbegehung benutztes Kraftfahrzeug unterliegt der Einziehung.


– 12 – B 38<br />

Vergehen, strafbar nach §§ 267 Abs. 1, 1. und 3. Var., 316 Abs. 2, 69, 69 a, 74 Abs. 2 Nr. 1 StGB;<br />

21 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1 StVG.<br />

Beweismittel:<br />

I. Geständige Einlassung des Angeschuldigten<br />

II. Zeugen<br />

1. Kurt Müller, Berthold-Brecht-Str. 12, 86153 Augsburg<br />

2. POM Frankl,<br />

3. POM Himml, beide zu laden über das Polizeipräsidium Schwaben Nord, PI Augsburg<br />

Mitte, Göppinger Straße 43, 86159 Augsburg<br />

III. Urkunden<br />

Gutachten des Vincentinum-Krankenhauses vom 13.10.2010 über die BAK des Angeschuldigten<br />

zur Tatzeit (Bl. 12 d.A.)<br />

IV. Augenscheinsobjekte<br />

Protokoll über die verantwortliche polizeiliche Vernehmung des Angeschuldigten am<br />

12.10.2010 (Bl. 2 f d.A.)<br />

Wesentliches Ergebnis der Ermittlungen:<br />

– von einer Darstellung ist nach dem Bearbeitervermerk abzusehen –<br />

Es wird beantragt,<br />

Unterschrift<br />

Staatsanwalt<br />

das Hauptverfahren vor dem AG Augsburg – Strafrichter – zu eröffnen.<br />

– – – – –


<strong>Klausur</strong>en für das 2. Examen<br />

B 564 Aktenauszug – Revisionsklausur<br />

Strafsache gegen Heinz Kunze<br />

Dr. André Neumann<br />

Staatsanwaltschaft Essen, den 30. Dezember 2010<br />

Geschäftsnummer: 12 Js 1235/10<br />

An das<br />

Landgericht Essen<br />

– große Strafkammer –<br />

in Essen<br />

Der arbeitslose Heinz Kunze,<br />

geboren am 28.04.1976 in Essen,<br />

wohnhaft Grotiusweg 15, 45133 Essen,<br />

Deutscher, ledig,<br />

wird angeklagt,<br />

am 15. und 22. Oktober 2010 in Essen<br />

durch zwei selbstständige Handlungen<br />

Anklageschrift<br />

1. sich als Unfallbeteiligter nach einem Unfall im Straßenverkehr vom Unfallort entfernt zu<br />

haben, bevor er zugunsten eines anderen Unfallbeteiligten die Feststellung seiner Person,<br />

seines Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung durch seine Anwesenheit und durch die<br />

Angabe, dass er an dem Unfall beteiligt war, ermöglicht hat,<br />

2. eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht weggenommen zu haben, sich<br />

die Sache rechtswidrig zuzueignen, wobei er zur Ausführung der Tat in einen Geschäftsraum<br />

eingestiegen ist.<br />

Dem Angeschuldigten wird Folgendes zur Last gelegt:<br />

1. Am 15. Oktober 2010 gegen 13.30 Uhr fuhr der Angeschuldigte mit einem PKW der Marke<br />

Seat mit dem amtlichen Kennzeichen E-MN 320 auf der Viehofer Straße in Essen in Höhe des<br />

Hauses Nr. 257 aus einer Parklücke heraus und berührte sowie beschädigte dabei das vor ihm<br />

stehende Fahrzeug der Marke BMW mit dem amtlichen Kennzeichen MS-AR 357 des Zeugen<br />

Fennerich. Obwohl er den Unfall bemerkt hatte, fuhr der Angeschuldigte davon, um die<br />

Feststellung seiner Identität zu verhindern. An dem beschädigten Fahrzeug entstand ein<br />

Sachschaden in Höhe von 930,00 € einschließlich Umsatzsteuer.<br />

2. Am 22. Oktober 2010 gegen 19.30 Uhr begab sich der Angeschuldigte gemeinsam mit dem<br />

gesondert Verfolgen Karl Lorenz zu der Firma „Schröter PC Technik“ in der Westfalenstraße 56<br />

in Essen. Aufgrund eines zuvor gemeinsam gefassten Tatplans entwendeten sie dann aus dem<br />

Geschäftsgebäude technische Geräte, um sie sodann weiter zu veräußern und den Verkaufs-


– 2 – B 564<br />

erlös für sich zu behalten. Sie wussten dabei, keinen Anspruch auf die mitgenommenen Waren<br />

zu haben. Der Angeschuldigte und der gesondert Verfolgte Karl Lorenz drangen in das<br />

Gebäude ein, indem sie eine dort befindliche Schließkette mit Hilfe eines Schraubendrehers<br />

und einfacher Kraftentfaltung entfernten und später wieder anbrachten. Der Angeschuldigte<br />

verkaufte die entwendeten Gegenstände später zwischen Ende Oktober 2010 und Mitte<br />

November 2010 im Freundes- sowie Bekanntenkreis und erhielt dafür einen Betrag in Höhe von<br />

15.389,00 €, was auch dem Verkehrswert der Waren entsprach. Der Verkaufserlös konnte im<br />

Zuge der Ermittlungen allerdings nicht aufgefunden werden. Die Firma „Schröter PC Technik“<br />

wurde aber inzwischen von ihrer Versicherung für den erlittenen Schaden mit 15.389 €<br />

entschädigt.<br />

In Höhe dieses Betrages ist der Verfall des Wertersatzes anzuordnen.<br />

Vergehen, strafbar nach §§ 142 Abs. 1 Nr. 1, 242, 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 53, 73, 73a StGB.<br />

Beweismittel:<br />

I. Einlassung des Angeschuldigten<br />

II. Zeugen<br />

Ernst Fennerich, Mühlenweg 19, 48145 Münster<br />

Sahira Carici, Gösselweg 17a, 45138 Essen<br />

Frauke Berthold, Am Weiher 157, 45133 Essen<br />

Horst Schröter, Westfalenstraße 56, 4576 Essen<br />

Karl Lorenz, Piepenweg 145, 45130 Essen<br />

Wesentliches Ergebnis der Ermittlungen:<br />

1. Zur Person<br />

Der Angeklagte ist gelernter Tischler, zur Zeit aber ohne Beschäftigung. Er erhält Arbeitslosengeld<br />

in Höhe von 935,00 € netto im Monat. Er ist ledig, lebt allein und hat keine Kinder.<br />

Vorbestraft ist der Angeklagte nicht.<br />

2. Zur Sache<br />

Angaben zur Sache hat der Angeklagte nicht gemacht. Er wird aber durch die aufgeführten<br />

Zeugen in der Hauptverhandlung überführt werden.<br />

Es wird beantragt,<br />

das Hauptverfahren vor dem Landgericht – große Strafkammer - in Essen zu eröffnen.<br />

Dr. König<br />

Staatsanwalt


B 564<br />

– 3 –<br />

Ort und Tag<br />

Landgericht Essen, 04.02.2011<br />

Geschäfts-Nr.: Anschrift/Fernruf<br />

Zweigertstr. 52, 45130 Essen<br />

25 KLs 12 Js 1235/10 –27/11 (0201) 803 - 11 74<br />

Fax: (0201) 803 – 1000<br />

In der Strafsache<br />

gegen<br />

Heinz Kunze,<br />

geboren am 28.04.1976 in Essen,<br />

wohnhaft Grotiusweg 15, 45133 Essen,<br />

Deutscher, ledig<br />

wegen<br />

Beschluss<br />

besonders schwerem Fall des Diebstahls u.a.<br />

wird die Anklage<br />

der Staatsanwaltschaft Essen vom 30. Dezember 2010 (Az.: 12 Js 1235/10<br />

zur Hauptverhandlung zugelassen.<br />

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft wird das Hauptverfahren gegen ihn vor der<br />

V. großen Strafkammer des Landgerichts eröffnet.<br />

Das Gericht ist in der Hauptverhandlung mit zwei Richtern einschließlich des<br />

Vorsitzenden und zwei Schöffen besetzt.<br />

Fuhlenkotte Dr. Schön Muskaya<br />

Vorsitzender Richter am Landgericht Richter am Landgericht Richterin am<br />

Landgericht


– 4 – B 564<br />

Öffentliche Sitzung Ort und Tag 1. Verhandlungstag<br />

des Landgerichts<br />

Essen, den 1. März 2011<br />

Geschäfts-Nr.:<br />

25 KLs 12 Js 1235/10 –27/11<br />

Gegenwärtig: Strafsache<br />

Vorsitzender Richter am Landgericht<br />

Fuhlenkotte<br />

als Vorsitzender, gegen<br />

Richterin am Landgericht Muskaya, Heinz Kunze,<br />

als beisitzende Richterin geboren am 28.04.1976 in Essen,<br />

wohnhaft Grotiusweg 15,<br />

45133 Essen,<br />

Beamter Markus Seinold, Essen, Deutscher, ledig<br />

Ingenieur Helmut Dietz, Essen,<br />

als Schöffen<br />

Staatsanwältin Küppers<br />

als Beamtin der Staatsanwaltschaft,<br />

Justizangestellte Krafft<br />

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle<br />

wegen besonders schwerem Fall des<br />

Diebstahls u.a.<br />

Die Hauptverhandlung begann mit<br />

dem Aufruf der Sache<br />

Der Vorsitzende stellte fest, dass<br />

erschienen waren:<br />

Dauer der Hauptverhandlung der Angeklagte<br />

von bis<br />

als Verteidiger: Rechtsanwalt Alfons<br />

Maier, Essen<br />

9.00 Uhr 14.00 Uhr<br />

(Uhrzeit) (Uhrzeit)<br />

folgende Zeugen:<br />

Ernst Fennerich<br />

Sahira Carici<br />

Frauke Berthold<br />

Horst Schröter<br />

01.03.2011, Krafft, JAng. Karl Lorenz<br />

Datum, Name, Amtsbezeichnung


B 564<br />

– 5 –<br />

Die Besetzung des Gerichtes wird unter Hervorhebung des Vorsitzenden gemäß § 222a<br />

StPO mitgeteilt.<br />

Die Zeugen wurden mit dem Gegenstand der Untersuchung und der Person des<br />

Angeklagten bekannt gemacht. Sie wurden zur Wahrheit ermahnt und auf die Möglichkeit<br />

der Vereidigung hingewiesen. In diesem Zusammenhang wurden die Zeugen über<br />

die Bedeutung des Eides und über die strafrechtlichen Folgen einer unrichtigen oder<br />

unvollständigen eidlichen oder uneidlichen Aussage ebenso belehrt wie darüber, dass die<br />

Wahrheitspflicht sich auch auf die Beantwortung solcher Fragen beziehe, die ihnen über<br />

ihre Person und die sonst nach § 68 StPO aufgeführten Umstände vorgelegt würden. Sie<br />

wurden ferner darüber belehrt, dass sie berechtigt seien, falls sie zu den in § 52 Abs. 1<br />

StPO bezeichneten Angehörigen des Angeklagten oder eines derzeit oder früheren<br />

Mitbeschuldigten gehören, das Zeugnis und gegebenenfalls die Beeidigung des Zeugnisses<br />

zu verweigern. Die Zeugen wurden schließlich darüber belehrt, dass sie berechtigt seien,<br />

die Aussage auf solche Fragen zu verweigern, deren Beantwortung ihnen selbst oder<br />

einem der in § 52 Abs. 1 StPO bezeichneten Angehörigen die Gefahr zuziehen würde,<br />

wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.<br />

Darauf entfernten sich die Zeugen aus dem Sitzungssaal.<br />

Der Angeklagte machte über seine persönlichen Verhältnisse Angaben wie Bl. 15 der<br />

Akten.<br />

Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft verlas den Anklagesatz aus der Anklageschrift vom<br />

30. Dezember 2011 (Bl. 44 der Akten) mit der dem Eröffnungsbeschluss vom 4. Februar<br />

2011 (Bl. 74 der Akten) zugrundeliegenden rechtlichen Würdigung.<br />

Der Angeklagte wurde darauf hingewiesen, dass es ihm freistehe, sich zu der<br />

Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen.<br />

Er erklärte: Ich bin zur Äußerung nicht bereit.<br />

Die Zeugen wurden hierauf einzeln hervorgerufen und in Abwesenheit der später zu<br />

vernehmenden Zeugen wie folgt vernommen:<br />

1. Zeuge<br />

Zur Person:<br />

Ich heiße Ernst Fennerich, bin 38 Jahre alt, von Beruf SAP-Berater, wohne in Münster und<br />

bin mit dem Angeklagten nicht verwandt oder verschwägert.<br />

Der Zeuge bekundete zur Sache.<br />

Er wird im allseitigen Einverständnis unvereidigt entlassen.<br />

2. Zeuge<br />

Zur Person:<br />

Ich heiße Sahira Carici, bin 27 Jahre alt, von Beruf Bedienung, wohne in Essen und bin mit<br />

dem Angeklagten nicht verwandt oder verschwägert.<br />

Die Zeugin bekundete zur Sache.<br />

Sie wird im allseitigen Einverständnis unvereidigt entlassen.


3. Zeuge<br />

Zur Person:<br />

– 6 – B 564<br />

Ich heiße Frauke Berthold, bin 33 Jahre alt, von Beruf Bedienung, wohne in Essen und bin<br />

mit dem Angeklagten nicht verwandt oder verschwägert.<br />

Die Zeugin bekundete zur Sache.<br />

Sie wird im allseitigen Einverständnis unvereidigt entlassen.<br />

4. Zeuge<br />

Zur Person:<br />

Ich heiße Horst Schröter, bin 44 Jahre alt, von Beruf Inhaber eines Elektrogeschäftes,<br />

wohne in Essen und bin mit dem Angeklagten nicht verwandt oder verschwägert.<br />

Der Zeuge bekundete zur Sache.<br />

Er wird im allseitigen Einverständnis unvereidigt entlassen.<br />

5. Zeuge<br />

Zur Person:<br />

Ich heiße Karl Lorenz, bin 40 Jahre alt, zur Zeit arbeitslos, wohne in Essen und bin mit dem<br />

Angeklagten nicht verwandt oder verschwägert.<br />

Der Zeuge wird erneut gemäß § 55 Abs. 2 StPO belehrt.<br />

Er erklärt: Ich habe diese Belehrung verstanden und möchte dennoch aussagen.<br />

Der Zeuge bekundete zur Sache.<br />

Er wird im allseitigen Einverständnis unvereidigt entlassen.<br />

Die Hauptverhandlung wird zur Beratung unterbrochen.<br />

Es ergeht folgender Kammerbeschluss:<br />

Die Hauptverhandlung wird unterbrochen und soll fortgesetzt werden am<br />

Dienstag, 29. März 2011, 9.00 Uhr, Saal B 12<br />

Sämtliche Verfahrensbeteiligte werden zu diesem Termin mündlich geladen.<br />

Fuhlenkotte Krafft


B 564<br />

– 7 –<br />

Öffentliche Sitzung Essen 29. März 2011<br />

des Landgerichts<br />

25 KLs 12 Js 1235/10 -27/11<br />

in der Strafsache<br />

gegen Heinz Kunze<br />

wegen besonders schwerem Fall des Diebstahls u.a.<br />

Das Gericht ist besetzt wie am 1. Sitzungstag.<br />

2. Verhandlungstermin (Fortsetzungstermin)<br />

Für die Staatsanwaltschaft erscheint Frau Staatsanwältin Küppers und als Urkundsbeamtin Frau<br />

Justizangestellte Krafft.<br />

Die Fortsetzung der Hauptverhandlung begann mit dem Aufruf der Sache. Der Vorsitzende stellte fest, dass<br />

erschienen waren:<br />

Der Angeklagte Kunze und als sein Verteidiger Rechtsanwalt Alfons Maier aus Essen.<br />

Der Verteidiger beantragte, Herrn Hubert Reinersmann, Winkelgasse 12a in 45130 Essen, in der<br />

Hauptverhandlung zu vernehmen. Dies zum Beweis der Tatsache, dass der Angeklagte am 22. Oktober 2010<br />

gegen 19.30 mit dem benannten Zeugen in der Pizzeria „Venezia“ am Altendorfer Markt 1 in Essen<br />

zusammentraf und sich beide dort etwa eine Minute unterhielten. Zur Begründung führte der Verteidiger<br />

aus, dass der benannte Zeuge und der Angeklagte gute Bekannte aus dem gemeinsam besuchten Fitnesscenter<br />

seien und sich zur angegebenen Zeit zufällig in der bezeichneten Lokalität getroffen hätten. Die unter Beweis<br />

gestellte Beweisbehauptung sei für das Verfahren auch von Bedeutung, weil dem Angeklagten vorgeworfen<br />

werde, zu dieser Zeit einen Einbruch begangen zu haben und sich der vorgebliche Tatort zudem weit von<br />

dem Altendorfer Markt entfernt befinde.<br />

Die Hauptverhandlung wurde zur Beratung unterbrochen. Nach Wiedereintritt in die Hauptverhandlung<br />

verkündete der Vorsitzende folgenden Kammerbeschluss:<br />

Der Antrag des Verteidigers auf Vernehmung des Zeugen Hubert Reinersmann wird abgelehnt, weil es sich<br />

insoweit um ein völlig ungeeignetes Beweismittel handelt. Das behauptete Zusammentreffen mit einer<br />

Unterhaltung von lediglich einer Minute war für den benannten Zeugen, selbst wenn es stattgefunden hat,<br />

ersichtlich ein lediglich belangloses Geschehen. Hinzu kommt, dass das unter Beweis gestellte Ereignis<br />

inzwischen über vier Monate zurückliegt. Vor diesem Hintergrund kann ausgeschlossen werden, dass der<br />

Zeuge Reinersmann sich an ein solches Ereignis noch erinnern könnte, sodass dem Beweisantrag nicht<br />

nachzugehen war.<br />

Es wurde durch Verlesung des Bundeszentralregisterauszuges vom 3. Februar 2011 festgestellt, dass der<br />

Angeklagte nicht vorbestraft ist.<br />

Eine Verständigung nach § 257c StPO hat nicht stattgefunden.<br />

Nach jeder einzelnen Beweiserhebung wurde der Angeklagte gefragt, ob er etwas zu erklären habe.<br />

Die Beweisaufnahme wurde geschlossen.<br />

Nach dem Schluss der Beweisaufnahme erhielten die Vertreterin der Staatsanwaltschaft, der Angeklagte und<br />

sein Verteidiger zu ihren Ausführungen und Anträgen das Wort.


– 8 – B 564<br />

Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft beantragte, den Angeklagten wegen Verkehrsunfallflucht zu einer<br />

Geldstrafe von 90 Tagessätzen und wegen besonders schwerem Diebstahl zu einer Freiheitsstrafe von 2<br />

Jahren und sechs Monaten, insgesamt zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und neun Monaten zu<br />

verurteilen.<br />

Der Verteidiger beantragte, den Angeklagten freizusprechen.<br />

Der Angeklagte hatte das letzte Wort. Er machte keine Ausführungen.<br />

Die Sitzung wurde zur Beratung unterbrochen.<br />

Das Urteil wurde dann durch Verlesung der Urteilsformel und die mündliche Mitteilung des wesentlichen<br />

Inhalts der Urteilsgründe dahin verkündet:<br />

Im Namen des Volkes<br />

Urteil<br />

Der Angeklagte wird wegen besonders schwerem Fall des Diebstahls und wegen unerlaubtem Entfernen vom<br />

Unfallort zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt.<br />

Ein Betrag in Höhe von 15.389,00 € wird für verfallen erklärt.<br />

Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen.<br />

Angewendete Vorschriften: §§ 142 Abs. 1 Nr. 1, 242, 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 53, 73, 73a StGB<br />

Rechtsmittelbelehrung ist erfolgt.<br />

Das Protokoll wurde am 29. März 2011 fertiggestellt.<br />

Fuhlenkotte Krafft<br />

Vorsitzender Richter am Landgericht Justizangestellte


B 564<br />

25 KLs 27/11<br />

12 Js 1235/10<br />

In der Strafsache<br />

gegen<br />

den arbeitslosen Heinz Kunze,<br />

geboren am 28.04.1976 in Essen,<br />

wohnhaft Grotiusweg 15 , 45133 Essen,<br />

Deutscher, ledig,<br />

– 9 –<br />

Landgericht Essen<br />

Im Namen des Volkes<br />

Urteil<br />

wegen besonders schweren Fall des Diebstahls u.a.<br />

hat die V. große Strafkammer des Landgerichts Essen<br />

in der Sitzung am 1. März 2011 und 29. März 2011, an der teilgenommen haben:<br />

Vorsitzender Richter am Landgericht Fuhlenkotte<br />

als Vorsitzender,<br />

Richterin am Landgericht Muskaya,<br />

als beisitzende Richter,<br />

Beamter Markus Seinold, Essen,<br />

Ingenieur Helmut Dietz, Essen,<br />

als Schöffen,<br />

Staatsanwältin Küppers<br />

als Beamtin der Staatsanwaltschaft,<br />

Rechtsanwalt Alfons Maier aus Essen<br />

als Verteidiger,<br />

Justizangestellte Krafft<br />

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle<br />

in der Sitzung am 29. März 2011<br />

für Recht erkannt:<br />

Der Angeklagte wird wegen besonders schwerem Fall des Diebstahls und unerlaubtem Entfernen<br />

vom Unfallort zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt.<br />

Ein Betrag in Höhe von 15.389,00 € wird für verfallen erklärt.<br />

Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen.<br />

Angewendete Vorschriften: §§ 142 Abs. 1 Nr. 1, 242, 243, Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 53, 73, 73a StGB


– 10 – B 564<br />

Gründe:<br />

I.<br />

Der heute 34 jährige Angeklagte ist in Essen geboren und wuchs dort zusammen mit einem zwei<br />

Jahre jüngeren Bruder im elterlichen Haushalt auf. Die Mutter des Angeklagten war gelernte<br />

Fachkosmetikerin, übte diesen Beruf aber nicht aus, sondern kümmerte sich um die Erziehung der<br />

Kinder und den elterlichen Haushalt. Der Vater des Angeklagte war gelernter Tischler, arbeitete<br />

aber bis im Jahr 2008 als Lagerverwalter bei der Firma „Schröter PC Technik“, die ihr Büro sowie<br />

ein dazu gehörendes Ladenlokal in der Westfalenstraße 56 in Essen unterhält. Zu seinen Eltern und<br />

seinem Bruder hat der Angeklagte bis heute ein gutes familiäres Verhältnis.<br />

Nach dem Erreichen der mittleren Reife an der städtischen Realschule in Essen erlernte der<br />

Angeklagte, wie sein Vater, den Beruf des Tischlers in einer Privatschreinerei in Velbert. Diese<br />

Lehre schloss er im Jahr 1996 mit dem Gesellenbrief ab. Zwar wurde er zunächst von dem<br />

Ausbildungsbetrieb übernommen. Aufgrund einer zurück gehenden Auftragslage musste die<br />

Schreinerei jedoch im Jahr 2002 ihren Betrieb einstellen, sodass der Angeklagte entlassen werden<br />

musste. In der Folgezeit übte er verschiedene Beschäftigungen aus. Meist handelte es sich dabei um<br />

kurzfristige Aushilfstätigkeiten. Zuletzt war er, bis zum Zeitpunkt der Anklageerhebung, bei der<br />

Firma „Schröter PC Technik“ als Lagerhelfer tätig. Diese Arbeit war ihm über seinen Vater<br />

vermittelt worden, der auch nach seiner Verrentung im Jahr 2008 mit dem Inhaber dieser Firma,<br />

dem Zeugen Horst Schröter, noch gut bekannt ist.<br />

Der Angeklagte erlitt in seinem Leben weder schwere Erkrankungen noch Schädigungen des<br />

Hirnorgans. Drogen- oder Alkoholprobleme hat er nicht. Der Angeklagte lebt zur Zeit in einem<br />

kleinen Appartement zu einer monatlichen Warmmiete in Höhe von 335,00 €. Er ist alleinstehend<br />

und hat keine Kinder. Gegenwärtig erhält er Leistungen des Arbeitsamtes in Höhe von 935,00 €<br />

netto im Monat.<br />

Vorbestraft ist der Angeklagte bislang nicht.<br />

II.<br />

Zu den dem Angeklagten zur Last gelegten Straftaten hat die Strafkammer folgende Feststellungen<br />

getroffen:<br />

1. (Fall 1 der Anklage)<br />

Am 15. Oktober 2010 gegen 13.30 Uhr befuhr der Angeklagte mit seinem PKW der Marke Seat mit<br />

dem amtlichen Kennzeichen E-MN 320 die Viehofer Straße in Essen. In Höhe des Hauses Nr. 257<br />

hielt er das Fahrzeug vor der dort befindlichen Pizzeria an. Er rangierte mit dem Wagen so, dass er<br />

zwischen zwei anderen dort befindlichen PKW zum Stehen kam. Der Angeklagte stieg aus seinem<br />

Fahrzeug aus und ging in die Pizzeria hinein. Nachdem er dort eine „Pizza Funghi“ von der<br />

Verkaufsbedienung in Empfang genommen hatte, verließ er die Lokalität etwa 5 Minuten später<br />

wieder, setzte sich in seinen Wagen und setzte seine Fahrt auf der Viehofer Straße fort, um nach<br />

Hause zu gelangen, wo er die erworbene Pizza verzehren wollte. Beim Ausfahren aus der zuvor<br />

gewählten Parkstelle stieß der rechte vordere Kotflügel des von dem Angeklagten gelenkten PKWs<br />

gegen die linke hintere Seite des davor stehenden Fahrzeuges der Marke BMW mit dem amtlichen<br />

Kennzeichen MS-AR 357. Der Zeuge Fennerich, dem dieser Wagen gehörte und der sich ebenfalls in<br />

der von dem Angeklagten zuvor aufgesuchten Pizzeria befand, sah zufällig die Berührung der<br />

beiden PKW aus der Lokalität heraus. Er lief deshalb zu seinem Wagen und fuhr dem Fahrzeug des<br />

Angeklagten hinterher. An einer Ampel erreichte er schließlich den verfolgten PKW, stieg aus dem<br />

Wagen aus und machte den Angeklagten auf den Unfall vor der Pizzeria aufmerksam. Obwohl er<br />

den Zeugen Fennerich wahrgenommen und auch verstanden hatte, reagierte der Angeklagte darauf<br />

nicht, sondern setzte seine Fahrt weiter fort. Aufgrund des von dem Zeugen Fennerich notierten<br />

Kennzeichens konnte der Angeklagte im Zuge der polizeilichen Ermittlungen später als Halter und<br />

dann auch als Fahrer des Fahrzeuges ermittelt werden. An dem PKW des Zeugen Fennerich<br />

entstand ein Schaden in Höhe von 930,00 € einschließlich Umsatzsteuer, den er inzwischen auch<br />

reparieren ließ.<br />

2. (Fall 2 der Anklage)


B 564<br />

– 11 –<br />

Am 22. Oktober 2010 gegen 19.30 Uhr begab sich der Angeklagte mit seinem Fahrzeug und dem<br />

gesondert Verfolgten Karl Lorenz aufgrund eines gemeinsamen Tatplanes zu dem Büro- und<br />

Ladenlokal der Firma „Schröter PC Technik“ in der Westfalenstraße 56 in Essen. Die Räumlichkeiten<br />

sowie die Sicherungsmaßnahmen des Geschäftes waren dem Angeklagten aufgrund seiner<br />

Lagertätigkeit bei dieser Firma sehr gut vertraut. So wusste er auch, dass an einer Seitentür im Hof<br />

des Gebäudes eine nur ungenügende Sicherung mit einer abschließbaren Kette vorhanden war,<br />

welche mit einem Schraubendreher unter genügender Kraftentfaltung aufgeschlossen werden<br />

konnte. In dieser Weise sperrten der Angeklagte und der gesondert Verfolgte Lorenz dann auch die<br />

Sicherungskette auf und gingen in das dort befindliche Büro hinein. Hinter dem Büro befand sich<br />

ein weiterer Raum, in dem sich, wie der Angeklagte auch wusste, zahlreiche technische Geräte, die<br />

zum Verkauf bestimmt waren, befanden. Gemeinsam trugen sie so insgesamt acht Mobiltelefone<br />

der Marke Nokia, acht Laptops und zwei PCs von Multimedia und drei Flachbildschirme sowie zwei<br />

Scanner der Marke LG in den Wagen des Angeklagten. Gemeinsam verließen sie dann wieder den<br />

Tatort, nachdem sie die Sicherungskette wieder angebracht hatten, ohne dass sichtbare<br />

Einbruchspuren erkennbar waren. Die entwendeten Gegenstände brachten der Angeklagte und der<br />

gesondert Verfolgte Lorenz daraufhin in die Wohnung des Angeklagten. Beiden ging es allein<br />

darum, die erbeuteten technischen Geräte, bei denen es sich sämtlich um neue handelte, zu<br />

veräußern und das dabei erhaltene Geld für sich zu behalten. Sie wussten dabei, keinen Anspruch<br />

auf die entwendeten Gegenstände zu haben. In der Folgezeit war es dann aber allein der<br />

Angeklagte, der, von Ende Oktober 2010 bis Mitte November 2010, die gesamten Handys, Laptops,<br />

PCs, Bildschirme sowie Scanner im Freundes- sowie Bekanntenkreis verkaufte und hier insgesamt<br />

einen Betrag in Höhe von 15.389,00 € erhielt. Diese Summe entsprach auch dem Verkehrswert der<br />

entwendeten Gegenstände. Wo das vereinnahmte Geld geblieben ist, konnte in der Hauptverhandlung<br />

nicht geklärt werden. Der Inhaber der Firma „Schröter PC Technik“, der Zeuge Horst<br />

Schröter, erhielt von seiner Versicherung für den erlittenen Schaden später einen Betrag in Höhe<br />

von 15.389,00 € erstattet.<br />

III.<br />

Von diesem Sachverhalt ist das Gericht nach Durchführung der Hauptverhandlung überzeugt.<br />

Der Angeklagte hat sich nicht zur Sache eingelassen, sondern lediglich zu seinen persönlichen<br />

Verhältnissen Angaben gemacht. Diese waren glaubhaft, sodass das Gericht ihnen folgen konnte.<br />

Im Übrigen wird der Angeklagte durch die erhobenen Beweismittel überführt.<br />

1. (Fall 1 der Anklage)<br />

Dass der Angeklagte am 15. Dezember 2010 gegen 13.30 Uhr Fahrer des Fahrzeuges mit dem<br />

amtlichen Kennzeichen E-MN 320 war, steht zur Überzeugung der Kammer fest. Zwar konnte<br />

aufgrund des von dem Zeugen Fennerich notierten Kennzeichens die Polizei zunächst nur den<br />

Angeklagten als Halter des Wagens ermitteln. Der Umstand, dass er auch Fahrer war, ergibt sich<br />

aber aus den übereinstimmenden Angaben der Zeuginnen Berthold und Carici. Beide sind seit<br />

vielen Jahren Bedienstete der Pizzeria auf der Viehofer Straße, wo der Angeklagte kurz vor dem<br />

Unfall eine Pizza erworben hatte. Die Zeugin Berthold bediente ihn auch zur Tatzeit und die Zeugin<br />

Carici befand sich gleichfalls hinter der Verkaufstheke. Beide Zeuginnen kennen den Angeklagten<br />

seit ungefähr vier Jahren, weil er dort regelmäßig, etwa zwei- bis dreimal in der Woche,<br />

verschiedene Speisen erwirbt. Weil die Zeugin Carici am Tattag Geburtstag hatte und der<br />

Angeklagte ihr hierzu gratulierte, war sie auch sicher, dass er zu diesem Zeitpunkt in der Pizzeria<br />

war. Daran erinnerte sich auch die Zeugin Berthold. Gleichfalls wussten beide Zeuginnen noch zu<br />

berichten, dass der Zeuge Fennerich aufsprang, laut fluchte, sich in ein Fahrzeug setze und dem<br />

Wagen des Angeklagten, welches den Zeuginnen ebenfalls bekannt war, hinterher fuhr. Das Gericht<br />

konnte vor diesem Hintergrund einen Irrtum der Zeuginnen Berthold oder Carici ausschließen.<br />

Deren Aussagen waren auch widerspruchsfrei, in sich schlüssig und ohne jede Belastungstendenz.<br />

Die Kammer ist auch sicher, dass der Angeklagte von dem Zeugen Fennerich an der Ampel<br />

angesprochen und auf den Unfall hingewiesen worden ist. Insoweit glaubt das Gericht den Angaben<br />

dieses Zeugen. Irgendwelche Anhaltspunkte für eine versehentliche oder bewusste Falschbelastung<br />

des Angeklagten haben sich nicht ergeben. Gleichfalls geht die Kammer davon aus, dass<br />

an dem PKW des Zeugen Fennerich der in der Rechnung ausgewiesene Betrag in Höhe von<br />

930,00 € brutto als Schaden entstanden ist.


– 12 – B 564<br />

2. (Fall 2 der Anklage)<br />

Das Gericht ist sich auch sicher, dass der Angeklagte, gemeinsam mit dem gesondert Verfolgten<br />

Karl Lorenz und unter Grundlage eines gemeinsamen Tatplanes, am 22. Dezember 2010 in der<br />

dargestellten Weise die genannten Waren entwendete, sie später veräußerte und dafür den<br />

bezifferten Betrag erhielt. Dies ergibt sich aus der Aussage des in der Hauptverhandlung<br />

vernommenen Karl Lorenz, der bei der Tat dabei war und sie so geschildert hat, wie festgestellt.<br />

Von den späteren Verkäufen konnte der Zeuge berichten, weil sie ihm von dem Angeklagten<br />

geschildert wurden. Der eingehend vernommene Zeuge Lorenz hat die Vorgänge stringent und<br />

widerspruchsfrei geschildert. Selbst auf kritische Nachfragen des Gerichtes, der Staatsanwaltschaft<br />

und der Verteidigung blieb der Zeuge Lorenz bei seinen Angaben und konnte dann jeweils auch<br />

noch weitere Details schildern, welche sich zwanglos in die Gesamtschilderung einfügten. Die<br />

Kammer hat dabei nicht verkannt, dass der Zeuge Lorenz selbst an dem Diebstahl beteiligt war und<br />

die nachfolgenden Verkäufe zumindest gefördert hat. Da gegen ihn aufgrunddessen ebenfalls<br />

Anklage erhoben worden ist, war sein nahe liegendes eigenes Interesse an einer Entlastung bei der<br />

Würdigung seiner Aussage in Betracht zu ziehen. Das hat das Gericht getan und die Angaben des<br />

Zeugen Lorenz auch vor diesem Hintergrund eingehend gewürdigt. Es haben sich jedoch keine<br />

Anhaltspunkte für eine bewusste oder unbewusste Falschbelastung ergeben. Vielmehr machte der<br />

Zeuge den Eindruck, „reinen Tisch“ machen zu wollen, und zeigte keine Belastungstendenz in<br />

Richtung des Angeklagten. Die Kammer hatte deshalb keinerlei Zweifel, den umfassenden<br />

Bekundungen des Zeugen Lorenz zu folgen und daraus die Überzeugung von der Schuld des<br />

Angeklagten zu gewinnen.<br />

IV.<br />

Der Angeklagte hat sich hiernach wegen Verkehrsunfallflucht nach § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB und<br />

Diebstahls in einem besonders schweren Fall gemäß §§ 242, 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StGB schuldig<br />

gemacht.<br />

V.<br />

Die Vorschrift des § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StGB eröffnet einen Strafrahmen von sechs Monaten bis zu<br />

zehn Jahren Freiheitsstrafe, die des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB einen von Geldstrafe bis zu drei Jahren.<br />

Nach dem zur Verfügung stehenden Strafrahmen hat die Kammer sodann zu Gunsten des<br />

Angeklagten berücksichtigt, dass er nicht vorbestraft ist, in stabilen sozialen Verhältnissen lebt und<br />

seine wirtschaftliche Situation zumindest angespannt ist. Auch hat das Gericht gesehen, dass der<br />

Angeklagte bei der Durchführung der Taten keine besondere kriminelle Energie gezeigt hat,<br />

sondern ihre Durchführung eher spontan erfolgte. Weiter hat die Kammer zugunsten des<br />

Angeklagten gewichtet, dass er als Erstverbüßer besonders haftempfindlich ist und ihn die<br />

Verfallsentscheidung zusätzlich belastet.<br />

Zu seinen Lasten war dagegen in erheblicher Weise der verursachte Schaden sowohl im ersten wie<br />

auch im zweiten Fall zu berücksichtigen. Der Zeuge und Geschädigte Schröter war als Folge der<br />

zweiten Tat zudem gezwungen, zunächst einige Mitarbeiter zu entlassen, wenngleich ihm der<br />

eigentliche Warenschaden in Höhe von 15.389,00 € letztlich von seiner Versicherung erstattet<br />

worden ist.<br />

Unter Berücksichtigung und Abwägung all dieser für und gegen den Angeklagten sprechenden<br />

Umstände hält das Gericht für die erste Tat eine Geldstrafe in Höhe von<br />

und für die zweite Tat eine Freiheitsstrafe von<br />

für tat- und schuldangemessen.<br />

60 Tagessätzen zu je 20,00 €<br />

zwei Jahren und drei Monaten


B 564<br />

– 13 –<br />

Unter nochmaliger Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände hat die<br />

Kammer schließlich unter Erhöhung der höchsten verwirkten Einzelstrafe von zwei Jahren und<br />

drei Monaten eine Gesamtfreiheitsstrafe von<br />

zwei Jahren und vier Monaten<br />

für tat- und schuldangemessen sowie erforderlich, aber auch ausreichend gehalten, um die Taten<br />

zu ahnden.<br />

Für die von dem Angeklagten bei der zweiten Tat entwendeten und inzwischen veräußerten Waren<br />

hat er einen Erlös in Höhe von 15.389,00 € erhalten, welcher auch dem Verkehrswert entspricht.<br />

Das vereinnahmte Geld konnte bei dem Angeklagten jedoch nicht mehr aufgefunden werden,<br />

sodass in dieser Höhe der Verfall des Wertersatzes nach § 73a StGB anzuordnen war. Das Gericht<br />

hat insoweit auch geprüft, ob nach Maßgabe des § 73c StGB von der Anordnung des<br />

Wertersatzverfalls abgesehen werden konnte, dies jedoch im Ergebnis verneint.<br />

VI.<br />

Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO.<br />

Fuhlenkotte Muskaya<br />

Vorsitzender Richter am Landgericht Richterin am Landgericht


Rechtsanwalt Alfons Maier<br />

Landgericht Essen<br />

– V. große Strafkammer –<br />

Zweigertstraße 52<br />

45130 Essen<br />

25 KLs 27/11<br />

In der Strafsache<br />

gegen Herrn Heinz Kunze<br />

wegen schweren Diebstahls u.a.<br />

Az.: 25 KLs 12 Js 1235/10 -27/11<br />

lege ich gegen das Urteil vom 29. März 2011<br />

ein.<br />

Alfons Maier<br />

Rechtsanwalt<br />

– 14 – B 564<br />

Landgericht Essen<br />

Eingang 4. April 2011<br />

Berufung<br />

Steeler Straße 245<br />

45128 Essen<br />

T: 0201 45 67 80<br />

F: 0201 45 67 81<br />

ra.a. maier@web.de<br />

Essen, 1. April 2011


B 564<br />

Vermerk für die Bearbeitung:<br />

– 15 –<br />

I.<br />

Die Erfolgsaussichten der Revision sind zu begutachten. Begutachtungszeitpunkt ist der 13. Juni 2011.<br />

Eine Sachverhaltsdarstellung ist nicht erforderlich. Die Urteilsgründe sind dem Angeklagten und<br />

seinem Verteidiger am 20. Mai 2011 zugestellt worden. Frist und Form des § 275 StPO wurden<br />

beachtet.<br />

Etwaige Revisionsanträge sind auszuformulieren. Sollten Sie zu dem Ergebnis kommen, dass die<br />

Revision nicht mehr in zulässiger Weise durchgeführt werden kann, ist die Begründetheit in einem<br />

Hilfsgutachten zu prüfen.<br />

Die Formalien (Ladungen, Zustellungen, Unterschriften, Vollmachten) sind in Ordnung, soweit sich<br />

aus dem mitgeteilten Akteninhalt nichts anderes ergibt.<br />

Es ist davon auszugehen, dass nicht abgedruckte Aktenteile für die Erfolgsaussichten der Revision<br />

ohne weitere Bedeutung sind.<br />

Die Staatsanwaltschaft hat kein Rechtsmittel eingelegt.<br />

In Ihrem eigenen Interesse bitten wir Sie, am Ende der <strong>Klausur</strong> anzugeben,<br />

a) welche Auflagen der zugelassenen Kommentare Sie benutzt und<br />

b) auf welchen Stand sich die von Ihnen verwendeten Gesetzestexte befunden haben.<br />

Hinweis:<br />

II.<br />

Der von Ihnen genutzte Aufgabentext wird nicht zur Korrektur genommen. Verweise, welche nur<br />

unter Zuhilfenahme Ihres persönlich verwendeten Aktenstückes verständlich werden, verbieten sich<br />

deshalb.<br />

– – – – –


<strong>Klausur</strong>en für das 2. Examen<br />

B 564 Lösung – Revisionsklausur<br />

Strafsache gegen Heinz Kunze<br />

Dr. André Neumann<br />

Revisionsgutachten<br />

Verkehrsunfallflucht, besonders schwerer Fall des Diebstahls, Wertersatzverfall, Strafrahmenwahl,<br />

falsche Bezeichnung des Rechtsmittels, sachliche Zuständigkeit, Höchstdauer<br />

der Hauptverhandlungsunterbrechung, Ungeeignetheit eines Beweismittels<br />

§§ 53, 73, 73a, 142, 242, 243 StGB<br />

§§ 6, 229, 244, 269, 273, 274, 297, 300, 312, 333, 337, 341, 344, 345 StPO<br />

Vorüberlegungen<br />

Diese Hinweise sind kein Teil der zu erstellenden Lösung, sondern dienen ausschließlich dazu,<br />

die Musterlösung nachvollziehbar zu machen. Für die praxisgerechte Bearbeitung ist es<br />

nicht erforderlich, dass sämtliche hier angesprochenen Fragen behandelt werden.<br />

Akteninhalt<br />

Es bietet sich stets an, den Sachverhalt und Verfahrensablauf vor der Bearbeitung in der zeitlichen<br />

Abfolge zu ordnen und zugleich stichwortartig zu erfassen. Man verschafft sich so<br />

einen inneren Bezug zum Fall, erlebt ihn gewissermaßen mit. Außerdem sind auf diese Weise<br />

auch etwaige tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten des Sachverhaltes (problematische<br />

Beweiswürdigung, Verwertungsverbote, Strafantragsfristen, Verjährung usw.) besser zu erkennen.<br />

A. Chronologie<br />

15. Oktober 2010<br />

1. Tattag (Vorwurf der Verkehrsunfallflucht)<br />

22. Oktober 2010<br />

2. Tattag (Vorwurf des besonders schweren Fall des Diebstahls)<br />

30. Dezember 2010<br />

Anklageerhebung vor dem Landgericht Essen<br />

4. Februar 2011<br />

Eröffnungsbeschluss mit unveränderter Zulassung der Anklage<br />

Besetzungsbeschluss nach § 76 Abs. 2 GVG<br />

1. März 2011<br />

Erster Hauptverhandlungstermin<br />

Gerichtsbesetzung gemäß Beschluss nach § 76 Abs. 2 GVG<br />

Sämtliche notwendigen Verfahrensbeteiligten dauernd anwesend<br />

Mitteilung der Gerichtsbesetzung zu Beginn der Hauptverhandlung<br />

Ordnungsgemäße Zeugenvernehmungen


29. März 2011<br />

Zweiter Hauptverhandlungstermin (Fortsetzungstermin)<br />

Gleiche Gerichtsbesetzung wie am 1. Sitzungstag<br />

Sämtliche notwendigen Verfahrensbeteiligten dauernd anwesend<br />

Gestellter Beweisantrag wegen Ungeeignetheit abgelehnt<br />

Verkündung des Urteils in Anwesenheit des Angeklagten<br />

Rechtsmittelbelehrung<br />

4. April 2011<br />

– 2 – B 564<br />

Eingang des vom Verteidiger unterzeichneten Schriftsatzes bei dem Landgericht Essen, womit<br />

„Berufung“ eingelegt wird.<br />

20. Mai 2011<br />

Zustellung der vollständigen Urteilsgründe an den Angeklagten und seinen Verteidiger<br />

13. Juni 2011<br />

Tag der Bearbeitung<br />

B. Mögliche Problemfelder<br />

I. Materiell erscheinen die Subsumtion des Gerichtes unter den Tatbestand des § 142 StGB<br />

sowie die Strafrahmenwahl problematisch zu sein.<br />

II. In verfahrensrechtlicher Hinsicht sind vor allem die Unterbrechungsdauer von vier Wochen<br />

sowie die Ablehnung des Beweisantrages in den Blick zu nehmen.<br />

C. <strong>Klausur</strong>taktik<br />

Die Prüfung von Verfahrensfehlern ist im Rahmen revisionsrechtlicher <strong>Klausur</strong>en schwieriger<br />

und aufwendiger als sachlich-rechtliche Fehler, sodass mit jenen begonnen werden sollte.<br />

Zum Auffinden absoluter Revisionsgründe empfiehlt es sich, den Katalog des § 338 StPO<br />

gedanklich abzuarbeiten.<br />

Lösung<br />

Gutachten über die Erfolgsaussichten einer Revision<br />

Die Revision des Angeklagten Kunze (K) hat Erfolg, wenn dieses Rechtsmittel zulässig und in<br />

der Sache begründet ist.<br />

A. Zulässigkeit der Revision<br />

I. Die Revision ist statthaft. Denn nur dieses Rechtsmittel kann gegen das den Angeklagten<br />

beschwerende Urteil des Landgerichts Essen eingelegt werden (§§ 312, 333 StPO). Rechtsanwalt<br />

Maier war als Verteidiger des K für diesen auch zur Rechtsmitteleinlegung berechtigt<br />

(§ 297 StPO).<br />

II. Mit dem vom Verteidiger unterzeichneten und bei dem Landgericht Essen am 4. April 2011<br />

eingegangenen Schriftsatz ist die Revision form- und fristgerecht (§ 341 Abs. 1 StPO) eingelegt<br />

worden. Zwar hat Rechtsanwalt Maier sein Rechtsmittel dabei fälschlich als „Berufung“<br />

bezeichnet. Dies ist nach § 300 StPO, der auch für die Staatsanwaltschaft und den Verteidiger<br />

gilt, 1 aber unschädlich, da der Anfechtungswille selbst nicht zweifelhaft ist und nur die Revisionseinlegung<br />

statthaft war.<br />

1 Meyer-Goßner § 300 Rdnr. 2.


B 564<br />

– 3 –<br />

III. Schließlich hat die Zulässigkeit der Revision noch zur Voraussetzung, dass binnen eines<br />

Monats nach Zustellung der Urteilsgründe, also bis zum 20. Juni 2011, bei dem Landgericht<br />

Essen eine Revisionsrechtfertigung angebracht wird, welche den Erfordernissen der §§ 344,<br />

345 Abs. 2 StPO genügt.<br />

Die Revision kann in zulässiger Weise weiter durchgeführt werden.<br />

B. Begründetheit der Revision<br />

Die Revision ist begründet, wenn das Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes beruht (§ 337<br />

Abs. 1 StPO), der behauptete Rechtsfehler bewiesen und darüber hinaus revisibel ist.<br />

I. Verfahrensbedingungen<br />

1. In diesem Zusammenhang kann problematisch sein, dass angesichts der gegen K erhobenen<br />

Tatvorwürfe die Anklage vor dem Landgericht Essen möglicherweise nicht erforderlich<br />

war, vielmehr eine Anklageerhebung bei dem Amtsgericht Essen ausreichend gewesen wäre.<br />

Bei der damit aufgeworfenen Frage der sachlichen Zuständigkeit der großen Strafkammer<br />

ist allerdings zu berücksichtigen, dass das Landgericht sich im Rahmen dieser stets von Amts<br />

wegen zu prüfenden Verfahrensvoraussetzung nicht deshalb für unzuständig erklären darf,<br />

weil die Sache vor ein Gericht niederer Ordnung gehöre (§§ 6, 269 StPO). Zwar erfährt dieser<br />

Grundsatz insoweit eine verfassungsrechtlich fundierte Einschränkung, dass der Angeklagte<br />

durch eine Anklage vor dem höheren Gericht nicht willkürlich seinem gesetzlichen Richter<br />

entzogen werden darf. 2 Hier ist aber zu beachten, dass zumindest nach der abstrakten Strafdrohung<br />

auch eine Freiheitsstrafe von bis zu zwölf Jahren und elf Monaten hätte verhängt<br />

werden können, womit die Strafgewalt des Amtsgerichtes deutlich überschritten gewesen<br />

wäre (§ 24 Abs. 2 GVG). Die Anklage vor dem Landgericht Essen lässt sich somit jedenfalls<br />

sachlich rechtfertigen, womit Willkür letztlich nicht angenommen werden kann.<br />

2. Weitere Hinweise für das Fehlen von Verfahrensvoraussetzungen oder das Vorliegen von<br />

Verfahrenshindernissen ergeben sich nicht.<br />

II. Verfahrensfehler<br />

Ausführungsbedürftige Verfahrensfehler können entweder im Zusammenhang mit § 338<br />

StPO als absolute Revisionsgründe Bedeutung erlangen oder als sogenannte relative Revisionsgründe.<br />

1. Verletzung der §§ 229, 337 StPO<br />

Die Terminierung des Tatgerichtes kann als ein Verstoß gegen die Höchstdauer der Unterbrechung<br />

einer Hauptverhandlung gemäß §§ 229, 337 StPO revisibel sein.<br />

a) Der erste Hauptverhandlungstermin in dieser Sache fand am 1. März 2011 statt und der<br />

zweite Verhandlungstermin am 29. März 2011. Die Unterbrechungsdauer betrug also vier<br />

Wochen.<br />

Nach § 229 Abs. 1 StPO darf eine Hauptverhandlung im Regelfall aber nur bis zu drei Wochen<br />

unterbrochen werden. Gründe für eine längere Unterbrechungsmöglichkeit nach § 229<br />

Abs. 2 und 3 StPO lagen nicht vor. Wird die Hauptverhandlung nicht spätestens am Tag nach<br />

Ablauf der Dreiwochenfrist fortgesetzt, ist mit ihr von neuem zu beginnen (§ 229 Abs. 4 S. 1<br />

StPO).<br />

Ein Neubeginn der Hauptverhandlung, womit ihre vollständige Wiederholung gemeint ist, 3<br />

fand hier nicht statt, sondern lediglich ein Fortsetzungstermin. Dies war rechtsfehlerhaft.<br />

b) Der Verfahrensfehler ist auch beweisbar. Hinsichtlich der wesentlichen Förmlichkeiten,<br />

wozu auch der Zeitpunkt der Sitzungstage gehört, wird der Beweis durch das Sitzungsprotokoll<br />

geführt (§§ 273 Abs. 1, 274 StPO), dessen absolute positive und negative Beweiskraft<br />

2 Siehe hierzu KK-Engelhardt § 269 Rdnr. 10; Meyer-Goßner § 269 Rdnr. 8.<br />

3 Meyer-Goßner § 229 Rdnr. 14.


– 4 – B 564<br />

auch nicht durch Mängel erschüttert, wegen einer nachgewiesenen Fälschung im Sinne des<br />

§ 274 S. 2 StPO ausgeschlossen oder im Wege einer zulässigen Protokollberichtigung überholt<br />

ist.<br />

c) Auf diesem Verfahrensfehler muss das Urteil, weil mit der Verletzung des § 229 StPO nur<br />

ein relativer Revisionsgrund geltend gemacht wird, zudem beruhen (§ 337 Abs. 1 StPO).<br />

Davon ist allgemein auszugehen, wenn die Entscheidung bei richtiger Anwendung des Gesetzes<br />

anders und für K günstiger ausgefallen wäre. Dieser kausale oder normative Zusammenhang<br />

braucht aber nicht erwiesen zu sein, vielmehr reicht die bloße Möglichkeit einer<br />

abweichenden Entscheidung aus. 4<br />

Von einem solchen Beruhen ist hier auszugehen. Es kann nämlich nicht ausgeschlossen werden,<br />

dass die Wiederholung der Hauptverhandlung, mit einer dann auch denkbaren gänzlichen<br />

Neuorientierung der Verteidigung, ein für den Angeklagten günstigeres Verfahrensergebnis<br />

erbracht hätte.<br />

Eine auf §§ 229, 337 StPO gestützte Verfahrensrüge wird somit erfolgreich sein.<br />

2. Verletzung der §§ 244 Abs. 3 S. 2, 337 StPO<br />

Durch die Ablehnung des Antrages auf Vernehmung des Zeugen Reinersmann kann das<br />

Gericht das Beweisantragsrecht des Angeklagten nach §§ 244 Abs. 3 S. 2, 337 StPO verletzt<br />

haben.<br />

a) Bei dem in der Hauptverhandlung gestellten Antrag auf Vernehmung dieses Zeugen handelt<br />

es sich um einen ordnungsgemäßen Beweisantrag. Dieser ist durch einen Gerichtsbeschluss<br />

nach Maßgabe des § 244 Abs. 6 StPO zurückgewiesen und der Zeuge Reinersmann in<br />

der Hauptverhandlung auch nicht mehr vernommen worden. Zur Begründung der Ablehnung<br />

des Beweisantrages wurde ausgeführt, dass es sich bei der unter Beweis gestellten<br />

Tatsache um ein Geschehen handele, welches der Zeuge Reinersmann nur beiläufig wahrgenommen<br />

habe und zudem vier Monate zurückliege. Es könne deshalb ausgeschlossen werden,<br />

dass dieses Ereignis noch von dem benannten Zeugen sicher erinnert werde, sodass<br />

dieser ein völlig ungeeignetes Beweismittel sei. Dieses Vorgehen des Tatgerichtes war dann<br />

fehlerhaft, wenn die vorgetragenen Gründe die Ablehnung der beantragten Beweiserhebung<br />

nicht tragen.<br />

Nach § 244 Abs. 3 S. 2 StPO kann ein Beweisantrag unter anderem dann abgelehnt werden,<br />

wenn das benannte Beweismittel völlig ungeeignet ist. Hiervon ist auszugehen, wenn das<br />

Gericht ohne Rückgriff auf das bisherige Beweisergebnis feststellen kann, dass sich mit dem<br />

angebotenen Beweismittel das im Beweisantrag in Aussicht gestellte Ergebnis nach sicherer<br />

Lebenserfahrung nicht erreichen lässt. 5<br />

In der Ablehnungsbegründung war darauf abgestellt worden, dass sich der Zeuge Reinersmann<br />

an das für ihn wenig einschneidende Erlebnis nach dem Zeitablauf von vier Monaten<br />

nicht mehr erinnern könne. Zwar ist es grundsätzlich denkbar, dass bestimmte Gebrechen<br />

oder Störungen einen Zeugen zu einem völlig ungeeigneten Beweismittel machen können. 6<br />

Auf solche individuellen Umstände nahm das Tatgericht aber gerade keinen Bezug, sondern<br />

zog allein generalisierende Erwägungen heran. Einen allgemeinen Erfahrungssatz dahin gehend,<br />

dass ein Zeuge nach einem gewissen Zeitablauf nicht mehr zuverlässig ein Ereignis<br />

oder dessen Einzelheiten zu erinnern in der Lage sei, gibt es aber nicht. 7 Die Ablehnungsbegründung<br />

war daher rechtsfehlerhaft. 8<br />

4 KK-Kuckein § 337 Rdnr. 33; Meyer-Goßner § 337 Rdnr. 37.<br />

5 BGH StV 2010, 117, 118; KK-Fischer § 244 Rdnr. 149; Meyer-Goßner § 244 Rdnr. 58.<br />

6 Siehe hierzu BGH StV 2010, 117, 118; KK-Fischer § 244 Rdnr. 151; Meyer-Goßner § 244 Rdnr. 59.<br />

7 BGH StraFo 2005, 113, wo es um den Wortlaut einer acht Jahre zurückliegenden Äußerung ging; BGH StV 2010,<br />

117, 118.<br />

8 Das Revisionsgericht darf die Ablehnungsgründe in der Regel auch nicht auswechseln (siehe hierzu Meyer-<br />

Goßner § 244 Rdnr. 86). Ein anderer zulässiger Grund zur Ablehnung des Beweisantrages war aber ohnehin nicht<br />

vorhanden.


B 564<br />

– 5 –<br />

b) Der Beweis des Verfahrensgeschehens kann durch das Sitzungsprotokoll geführt werden.<br />

c) Auf diesem Verfahrensfehler beruht das Urteil auch. Es ist nicht auszuschließen, dass das<br />

Tatgericht nach Vernehmung des Zeugen Reinersmann zu einem für K günstigeren Beweisergebnis<br />

gelangt wäre.<br />

Die Verletzung des Beweisantragsrechtes nach §§ 244 Abs. 3 S. 2, 337 StPO kann ebenfalls als<br />

Verfahrensfehler beanstandet werden.<br />

III. Sachlich rechtliche Fehler<br />

Mit Hilfe der Sachrüge können solche Rechtsfehler des Tatrichters zur Überprüfung des Revisionsgerichts<br />

gestellt werden, welche allein aus der Lektüre der Urteilsurkunde erkennbar<br />

werden.<br />

1. So kann die Rüge sachlicher Mängel auch dahin gehen, dass das Recht auf dem im Urteil<br />

rechtsfehlerfrei festgestellten Sachverhalt nicht richtig angewendet worden ist, 9 denn die<br />

rechtliche Subsumtion unter das Gesetz obliegt dem Revisionsgericht als ureigenste<br />

Aufgabe. 10<br />

a) Verurteilung wegen Verkehrsunfallflucht (§ 142 StGB)<br />

aa) In diesem Rahmen ist zu bemängeln, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des<br />

§ 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB durch die hierzu getroffenen Feststellungen des Tatgerichtes nicht<br />

getragen werden.<br />

Denn die Urteilsgründe verhalten sich nicht zu der Frage, ob der Angeklagte die Berührung<br />

der beiden Fahrzeuge schon unmittelbar während des Unfallgeschehens bemerkte oder erst<br />

bei dem kurze Zeit später erfolgten Halt an der Ampel von dem Zeugen Fennerich darauf<br />

aufmerksam gemacht wurde. Auch ist unklar, welche Wegstrecke der Angeklagte bis zu diesem<br />

Zeitpunkt bereits zurückgelegt hatte. Damit bleibt nach dem festgestellten Sachverhalt<br />

aber die Möglichkeit offen, dass er den Ort des Unfalls noch in Unkenntnis des Unfallgeschehens<br />

verließ.<br />

Das Entfernen nicht vom Unfallort selbst, sondern von einem anderem Ort, an dem der Täter<br />

erstmalig von dem Unfall erfährt, erfüllt aber nicht den Tatbestand des § 142 Abs. 1 Nr. 1<br />

StGB. 11 Auch eine Strafbarkeit nach § 142 Abs. 2 Nr. 2 StGB scheidet insoweit aus, weil das<br />

unvorsätzliche dem unentschuldigten Entfernen unter Grundlage der Grenze des Wortlautes<br />

nicht gleichgestellt werden kann. 12<br />

bb) Auf diesem durch die Urteilsurkunde belegten Rechtsfehler beruht das Urteil auch.<br />

b) Anordnung des Wertersatzverfalls (§ 73a StGB)<br />

aa) Keinen Bestand haben kann gleichfalls die Anordnung des Wertersatzverfalls in Höhe von<br />

15.389,00 €.<br />

Denn auch für den Verfall des Wertersatzes nach § 73a StGB gilt § 73 Abs. 1 S. 2 StGB, wonach<br />

eine entsprechende Anordnung ausgeschlossen ist, soweit dem Verletzten aus der Tat ein<br />

Anspruch erwachsen ist, dessen Erfüllung dem Täter den Wert des aus der Tat Erlangten entziehen<br />

würde.<br />

Zwar ist hier der in seinem Vermögen verletzte Zeuge Schröter nach den Feststellungen des<br />

Tatgerichtes von seiner Versicherung entschädigt worden, sodass ihm selbst keine Forderung<br />

gegen den Angeklagten wegen des erlittenen Schadens mehr zusteht. Die Strafkammer hat<br />

9 AS-Skript Die strafrechtliche Assessorklausur 3, S. 178; Meyer-Goßner § 344 Rdnr. 15.<br />

10 Dahs/Dahs Rdnr. 433.<br />

11 BGH NStZ 2011, 209, 210; OLG Hamburg StraFo 2009, 211, 212; siehe auch OLG Düsseldorf StraFo 2008, 83, wo<br />

der Begriff des „Unfallortes“ ausgeweitet wird; a.A. BGH NStZ 2011, 209, 210; OLG Hamburg StraFo 2009, 211,<br />

212, wonach kein Anlass bestehe, von der bisherigen Rechtsprechung abzuweichen.<br />

12 BVerfG StraFo 2007, 213; BGH NStZ 2011, 209, 210; OLG Düsseldorf StraFo 2008, 83; siehe hierzu auch<br />

Lackner/Kühl § 142 Rdnr. 25.


– 6 – B 564<br />

jedoch verkannt, dass mit Zahlung der Versicherungssumme der Anspruch des Versicherungsnehmers<br />

nach § 86 Abs. 1 VVG auf die Versicherung übergeht und gegen K deshalb<br />

eine mögliche Forderung des Verletzten in Höhe der erlangten Tatbeute fortbesteht. 13 Die<br />

Verfallsentscheidung muss deshalb insgesamt entfallen. 14<br />

bb) Die Entscheidung beruht auch auf dem durch die Gründe erwiesenen Rechtsfehler.<br />

2. Es ist grundsätzlich ebenfalls allein die Aufgabe des Tatrichters, auf der Grundlage des<br />

umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Person des<br />

Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen,<br />

sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen, sodass die Strafzumessung nur in eingeschränktem<br />

Umfang der Überprüfung durch das Revisionsgericht zugänglich ist. Ein revisionsrechtlicher<br />

Eingriff in die Bemessung der Strafe ist aber dann nötig, wenn die Zumessungserwägungen<br />

in sich fehlerhaft sind. Dies ist dann der Fall, wenn das Tatgericht von<br />

unzutreffenden Tatsachen ausgeht, gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt<br />

oder wenn sich die verhängte Strafe von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich<br />

zu sein, so weit löst, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatrichter eingeräumten<br />

Spielraums liegt. 15<br />

a) Insoweit begegnet es durchgreifenden Rechtsbedenken, dass die Kammer bei der Aburteilung<br />

des besonders schweren Falls des Diebstahls einen Strafrahmen von sechs Monaten bis<br />

zu zehn Jahren zugrunde gelegt hat. Denn zutreffender Weise hätte die Strafe hier innerhalb<br />

des Rahmens von drei Monaten bis zu zehn Jahren gefunden werden müssen (§ 243 Abs. 1<br />

S. 1 StGB).<br />

b) Das Urteil beruht auch auf diesem durch die Urteilsurkunde bewiesenen Mangel, weil<br />

sonst im Ergebnis möglicherweise eine geringere Strafe verhängt worden wäre.<br />

C. Ergebnis des Gutachtens<br />

I. Die Revision ist zulässig und begründet, wenn die vom Verteidiger zu unterzeichnende<br />

Rechtfertigungsschrift bis zum 20. Juni 2011 beim Landgericht Essen eingeht und formgerecht<br />

ausgeführt wird.<br />

1. Nach Maßgabe des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO müssen im Rahmen der Verfahrensrügen dabei<br />

die den Mangel enthaltenen Tatsachen angegeben werden. Dies bedeutet, die den geltend<br />

gemachten Gesetzesverstoß enthaltenen Umstände sind von Rechtsanwalt Maier so genau<br />

und vollständig darzulegen, dass das Revisionsgericht schon allein aufgrund dieser Darlegungen<br />

das Bestehen oder das Fehlen der Verfahrensfehler prüfen kann, wenn die behaupteten<br />

Tatsachen erwiesen sind. Der Vortrag erfordert dabei als sogenannte Negativtatsachen<br />

auch das Vorbringen von solchen Umständen, welche dem Durchgreifen des Rechtsfehlers<br />

möglicherweise entgegenstehen können. 16<br />

2. Einer ausdrücklichen Darlegung der aufgezeigten Sachmängel bedarf es gemäß § 344<br />

Abs. 2 StPO bei der Revisionsbegründung dagegen an sich nicht, weil das Revisionsgericht<br />

bereits mit der Erhebung der allgemeinen Sachrüge zur umfassenden sachlich-rechtlichen<br />

Prüfung des Urteils verpflichtet ist. Gleichwohl ist der Hinweis auf diese Rechtsfehler aber<br />

zweckmäßig, sodass, neben der stets zu erhebenden allgemeinen Sachrüge, auf diese Urteilsmängel<br />

hingewiesen werden sollte.<br />

II. Mit dem zugleich nach § 344 Abs. 1 StPO zu stellenden Revisionsantrag ist der Umfang<br />

der Anfechtung deutlich zu machen und hier somit zu beantragen, das Urteil mit den<br />

zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben sowie die Sache zur erneuten Verhandlung<br />

und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichtes Essen zurückzuverweisen.<br />

– – – – –<br />

13 BGH NStZ 2009, 145, 146.<br />

14 Siehe hierzu BGH NStZ 2009, 145, 146.<br />

15 BGH wistra 2008, 58 f.; Dahs/Dahs Rdnr. 437 ff.<br />

16 Dahs/Dahs Rdnr. 464 ff.; KK-Kuckein § 344 Rdnr. 38 ff.

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