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Januar 2014 - a tempo

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Sitz, stellte ihn in die gewünschte Position ein, legte den Sicher -<br />

heitsgurt an, blätterte die Menükarte durch und klingelte nach der<br />

Stewardess. Warme Getränke und ein kleiner Snack wurden serviert,<br />

auf die technische Versorgung mit Strom für den Laptop und auf die<br />

saubere Toilette für die «kleinen Bedürfnisse» während der Fahrt verwiesen.<br />

Fast war ich bereit, all dies zu glauben. Beim Verstauen des<br />

Gepäcks (nach keinem erkennbaren System flog es in den Lade -<br />

raum, was da nicht mehr hinpasste, musste eben um den Sitzplatz<br />

gestapelt werden) und beim Ton der Stewardess (mürrischer Blick<br />

und zwei Worte: «Ticket? Passport!») hatte ich jedoch erste<br />

«Abweichungen» bemerkt. Dass es nur an manchen Sitzen überhaupt<br />

Gurte gab, nahm ich mit «ungefesselter» Gelassenheit, dass sich<br />

der Sitz überhaupt nicht bewegen ließ, auch. Als ein japanischer<br />

Mitreisender verzweifelt versuchte, Strom für seinen Laptop<br />

zu be kommen und auf die ängstliche Nachfrage als Ant wort<br />

nur ein unmissverständliches «broken» erhielt, war klar: Getränke<br />

und Snacks – «no». Toilette – «broken». Die Durchsage bei den<br />

Zwischen stopps: «No out. Sit!», ließ mich kurz zusammenzucken.<br />

Die andere Durchsage: «No alcohol!», wiederum beruhigt aus dem<br />

Fenster auf die vorbeiziehenden, schier endlos wirkenden Birken -<br />

wälder blicken. In den fast viereinhalb Stunden Fahrzeit herrschte<br />

im Bus jene Stimmung, die schon an der Station spürbar war:<br />

Die kratzbürstige Schroffheit der russischen Stewardess wurde mit<br />

Gleichmut entschärft, das Fehlen jeglicher «Luxuszusätze» unverwundert<br />

hinwegimprovisiert, denn fast jeder hatte Verköstigungen<br />

aller Art dabei. Auch reichlich Alkohol, aber der floss erst nach der<br />

Ankunft, als die Koffer und Kisten wieder den Bauch des Busses<br />

verließen und im Gedränge irgendwie ihren Besitzer wiederfanden.<br />

Wer schon einmal in Asien oder Afrika mit dem Bus unterwegs war,<br />

wird milde und gelassen über all das schmunzeln. Wer es nicht war,<br />

konnte es nun lernen und bekam zudem eine Lektion über den<br />

Alltag und die jüngere Geschichte des Baltikums gratis zum günstigen<br />

Fahrpreis von umgerechnet 11,– Euro dazu.<br />

Nach ohnehin bewegter Geschichte, an der auch mal wieder<br />

Deutschland seinen prägenden, selten unschuldigen Anteil hatte,<br />

wurden Estland, Lettland und Litauen von 1944 bis 1990 von der<br />

damaligen Sowjetunion okkupiert, größtenteils gegen den Willen<br />

der Bevölkerung in das restriktive sowjetische System integriert und<br />

durch eine exzessiv betriebene Ansiedlungspolitik zur ausgegrenzten<br />

Minderheit im eigenen Land – gesellschaftlich, kulturell und wirtschaftlich.<br />

Dass sie sich nach fast fünfzig Jahren Unfreiheit befreien<br />

konnten und nun selbstbewusste Mitglieder der Europäischen<br />

Union sind, gehört zu den «kleinen Wundern» der jüngeren<br />

Geschichte, von denen auch Deutschland ein freudiges Lied

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