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16 einsichten aus der philosophenschmiede<br />

01 | <strong>2014</strong><br />

« O lieber Pan und ihr Götter, die ihr<br />

sonst hier zugegen seid, verleihet mir,<br />

schön zu werden im Innern, und dass,<br />

was ich Äußeres habe, dem Inneren<br />

befreundet sei.» * *<br />

Ist Liebe eine Krankheit?<br />

Mit<br />

Platons «Phaidros»<br />

der Liebe ist es so eine Sache: Erst erfasst sie den Verliebten<br />

mit aller Gewalt, und er schwört ewige Treue; dann aber wendet<br />

er sich doch treulos wieder ab. Genau genommen ist die Liebe<br />

eine Krankheit, die jeden vernünftigen Menschen unvernünftig<br />

werden lässt. Deshalb lässt man besser von allen Verliebten die<br />

Finger und hält sich an zuverlässige Freunde. – So etwa hat<br />

Lysias in einer kunstvoll ausgearbeiteten Rede zu dem schönen<br />

Phaidros gesprochen und damit um seine Freundschaft geworben.<br />

Phaidros ist begeistert. Etwas später liest er Sokrates die Rede<br />

vor. Unter mancherlei Neckereien wandern beide am Illisosbach<br />

entlang und lagern schließlich auf weichem Gras im Schatten<br />

eines alten Baumes. Vom Genius des Ortes inspiriert und von<br />

Phaidros be drängt, hält nun auch Sokrates eine Rede. In dieser<br />

gibt er dem Lysias zu, dass ein Liebender ein Wahnkranker sei<br />

und der Nichtverliebte gewiss der bessere Freund. Aber dieses<br />

Zuge ständnis macht Sokrates mit verhülltem Haupt. Und dann<br />

bricht er vor zeitig ab, denn etwas stimmt nicht. Ja, Sokrates<br />

schämt sich, denn er hat an dem Gott Eros gefrevelt. Und er<br />

beginnt noch einmal:<br />

Um die Liebe wirklich zu begreifen, gilt es nicht nur klar und<br />

vernünftig zu reden, sondern zuvor das Wesen der Seele ins<br />

Auge zu fassen: Alle Seelen sind unsterblich. Durch ihr «Seelen -<br />

gefieder» der Schwere enthoben, folgen sie den Göttern auf<br />

deren himmlischen Wegen. Auf denen besuchen sie immer<br />

wieder einen «überhimmlischen» Ort. Dort ruhen sie in der<br />

Schau der Urbilder allen Lebens. Auch die Seelen in ihrem<br />

Gefolge drängen sich zu dieser Schau, denn der überhimmlische<br />

Glanz ernährt ihr Gefieder. Aber sie haben es schwer, einen<br />

längeren Blick zu erhaschen. Denn es verhält sich mit ihnen<br />

wie mit einem Wagen, vor den zwei sehr verschiedene Pferde<br />

gespannt sind. Eines der Pferde ist ungebärdig und eigensinnig,<br />

von Jörg Ewertowski<br />

das andere kultiviert und folgsam. Das schafft Spannungen,<br />

und deshalb ist das Gefährt schwer zu lenken. Es kommt zu<br />

Zusammenstößen. Dabei verlieren die Seelen ihr Gefieder und<br />

stürzen in die Tiefe. Sie suchen nach Halt, und das Irdische, an<br />

dem sie sich schließlich festhalten, das sind ihre Leiber.<br />

Doch bei aller Gefahr, die die Seele läuft, erfährt sie jetzt doch<br />

auch etwas Außerordentliches. Die Begeisterung und Ergriffen -<br />

heit des Liebenden, von der Lysias so abfällig sprach, rührt nämlich<br />

daher, dass er in der Schönheit des Geliebten einen Reflex<br />

aus der Welt der Urbilder auffängt. Das hat zur Folge, dass das<br />

verlorengegangene Gefieder seiner Seele neu zu keimen beginnt,<br />

woraus sich dann so manch unangepasstes Verhalten ergibt. Und<br />

natürlich sorgen die beiden Pferde auch im Irdischen für mancher -<br />

lei Verwirrung. Der Wagenlenker muss sie zügeln. Aber dann<br />

beginnt auch beim Geliebten das Seelengefieder zu sprießen. So ist<br />

die wahre Liebe ein «heilsamer Wahnsinn», der in der Seele die<br />

Kraft erzeugt, sich wieder in den Himmel zu erheben.<br />

Platons Dialog ist mehr als nur eine «Lehre». Das Kunstwerk<br />

Phaidros ist auch eine Erzählung, die von menschlichen Be -<br />

ziehungen handelt. Zwischen Sokrates und Phaidros geschieht<br />

etwas. Und das, was hier geschieht, ist der unverzichtbare<br />

Gegenpol zur überhimmlischen Ferne der Urbilder, von der da -<br />

bei die Rede ist. Der Mensch ist mehr als nur der Abglanz eines<br />

Urbildes. Wenn wir Platons Dialog so lesen, dann weitet sich<br />

unser Bewusstsein über die Distanz zwischen einem irdisch<br />

Nahen und einem »überhimmlisch« Fernen, und wir sind dann<br />

weder auf das eine noch auf das andere beschränkt. ■<br />

Aus dem Schlussgebet des Sokrates in Platons Phaidros, in der Übersetzung<br />

von Friedrich Schleiermacher<br />

Dr. Jörg Ewertowski wurde 1957 in Zweibrücken geboren. Nach seiner Ausbildung zum Goldschmied und der Tätigkeit in diesem Beruf, entschloss er sich zum<br />

Studium der Philosophie, Germanistik, Theologie und Kunstgeschichte in Frankfurt am Main. Seit 1994 ist er Bibliotheksleiter im Rudolf Steiner Haus in Stuttgart.<br />

2007 erschien sein Buch «Die Entdeckung der Bewusstseinsseele» (ISBN 978-3-7725-1413-5).

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