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Ausschnitt der malerisch bearbeiteten Videoprojektion von Monika Huber, Foto: Vivi D‘Angelo<br />

Foto: Monika Huber<br />

Nachrichten: Der Aufstand im Bild<br />

Gekürzte Fassung eines Vortrags zu<br />

Monika Hubers Installation<br />

„Protest“ im MaximiliansForum<br />

Heinz Schütz<br />

Unser politisches Weltbild wird ganz<br />

entscheidend durch die Nachrichten<br />

in den Medien geprägt. In ihrer<br />

Summe formen sie eine Art Paralleluniversum,<br />

das die politische<br />

Wirklichkeit medial gefiltert konstruiert<br />

und dabei selbst zum Politikum<br />

mutiert. Sein eigenständiger Charakter<br />

zeigt sich besonders deutlich<br />

in seiner Tendenz zur medialen<br />

Selbsterregung: Journalistische<br />

Gleichschaltung und monatelange<br />

Dauerberichterstattung (re)produzieren<br />

singuläre Ereignisse als einen<br />

von Tageszeitungen, Talkshows und<br />

sozialen Netzwerken befeuerten<br />

Medienhype. Die mediale Selbsterregung,<br />

die eine Art von kollektiver<br />

Gehirnwäsche bewirkt, generiert<br />

eine emotionale Atmosphäre, die<br />

sich mit Vorliebe moralisierend<br />

auflädt und dabei im Hintergrund<br />

unausgesprochen politische Einstellungen<br />

transportiert. In der medialen<br />

Selbsterregung verbinden sich<br />

markttechnische Gesetze – eingeführte<br />

Nachrichtenthemen funktionieren<br />

wie eingeführte Marken<br />

– und eine Ästhetik des Spektakels,<br />

die mit ihrer Vorliebe für Personen<br />

– Guttenberg, Wulff, Steinbrück,<br />

Tebartz-van Elst, Gurlitt – zur Soap-<br />

Opera mit Enthüllungscharakter<br />

neigt. Die mediale Exekution einzelner<br />

Personen fördert kompensatorisch-unterhaltsam<br />

die moralische<br />

Empörung. Unter geht dabei die<br />

auf analytische Abstraktion angewiesene<br />

Darstellung politischer<br />

Zusammenhänge und die Kritik der<br />

bestehenden systemischen Verwerfungen.<br />

Sie lassen sich so gut<br />

wie nicht in die Form „fortgesetztes<br />

Nachrichtenepos mit singulären<br />

Protagonisten“ gießen.<br />

Die mediale Selbsterregung stellt<br />

sich auch dann ein, wenn die<br />

Erregung, die von Demonstrationen,<br />

Protesten und kriegsartigen<br />

Revolten ausgeht, vom Medium<br />

gleichsam absorbiert wird. Wenn die<br />

Revolte endet und das Spektakuläre<br />

des Aufstands in Alltagspolitik<br />

übergeht, endet gewöhnlich die<br />

Berichterstattung. Das Spektakuläre<br />

der Demonstration und die<br />

Spektakelsehnsucht der Medien<br />

überlagern sich, geht es in Demonstrationen<br />

doch darum, über den<br />

öffentlichen, und das heißt letztlich<br />

immer auch den medialen Auftritt<br />

auf den politischen Diskurs einzuwirken.<br />

Aufstände hingegen greifen<br />

offen zur Gewalt. Ihre Absicht ist es,<br />

die politische Realität unmittelbar<br />

zu verändern und das Personal, das<br />

den Status quo aufrechterhält, aus<br />

den Machtpositionen zu katapultieren.<br />

Ihr Spektakuläres ist letztlich<br />

die Gewalt, über die dann berichtet<br />

und die in Bildern demonstriert<br />

wird. Dabei kommt dem eingesetzten<br />

Bildmaterial bei Nachrichten<br />

über Demonstrationen und Revolten<br />

eine besondere, keineswegs nur<br />

informative, sondern durchaus eigenwertige<br />

Bedeutung zu. Nicht zuletzt<br />

davon handelt Monika Hubers<br />

Installation „Protest“. Die von Huber<br />

eingesetzten Bilder entstammen ihrem<br />

Archiv, das sie mit Bildern von<br />

Aufständen aus den Fernsehnachrichten<br />

angelegt hat. Es reicht von<br />

den Demonstrationen und Platzbesetzungen<br />

in Nordafrika – sie wurden<br />

einst euphorisch „arabischer<br />

Frühling“ genannt – über Taksim-<br />

Platz und Maidan-Platz bis hinein in<br />

die jüngste Gegenwart. Die in der<br />

MaximiliansForum-Installation verwendeten<br />

Bilder verweisen auf die<br />

von der türkischen Regierung Erdogan<br />

gewaltsam niedergeschlagene,<br />

vom Gezi-Park ausgehende Revolte<br />

im Frühjahr 2013, ein Verweis, der<br />

zwangsläufig nur für diejenigen<br />

erkenntlich ist, die das Abgebildete<br />

wiedererkennen. Dies entspricht<br />

dem Defizit, das allen dokumentarischen<br />

Bildern eignet: Sie bedürfen,<br />

wenn das Abgebildete nicht ohnehin<br />

bekannt ist, des identifizierenden<br />

Textes. In den Nachrichten wird<br />

er gewöhnlich von den SprecherInnen<br />

geliefert, wobei die Texte nicht<br />

nur die Bilder verorten, sondern sie<br />

auch selbstreferentiell und illustrativ<br />

in Dienst nehmen. So werden<br />

etwa bei Berichten über die Pharmaindustrie<br />

einfach Pillenabfüllanlagen<br />

oder Weißbekittelte im Labor<br />

eingeblendet, bei Kriegen fahrende<br />

Panzer und fliegende Bomber, bei<br />

Aufständen Steinewerfer, Polizeikohorten<br />

und Scharfschützen. Das Bild<br />

verdoppelt hier einfach tautologisch<br />

das Gesagte und funktioniert wie<br />

ein Lexem aus einem Bildwörterbuch.<br />

Als „Lexem“ kann ein und<br />

derselbe dokumentarische Bildbeitrag<br />

unterschiedliche Nachrichtentexte<br />

illustrieren. Dabei löst sich das<br />

Bild vom fotografierten, konkreten<br />

Ereignis. Es versprachlicht sich und<br />

funktioniert wie ein Begriff, gleichzeitig<br />

wirkt das freigesetzte Bild<br />

einfach als Bild. Neben seiner Bedeutung<br />

wie „dies ist ein Aufstand“<br />

appelliert es über das Sichtbare an<br />

die Emotionen. Dieser Appell, der<br />

nun durchaus auch als Appell zum<br />

politischen Handeln verstanden<br />

werden könnte, verpufft aufgrund<br />

der Nachrichtenflut und der Distanz<br />

zum Wahrgenommenen. Die Bilder,<br />

die von Frühstückstischen und<br />

Wohnzimmercouchen aus betrachtet<br />

werden, bleiben trotz ihrer<br />

Nähe weit weg. Der paralysierende<br />

Schwall von Nachrichten produziert<br />

zum einen das Gefühl ohnmächtiger<br />

Überforderung, zum anderen die<br />

Genugtuung an Infotainment und<br />

Medienhpye zu partizipieren. Mit<br />

ihrem Video „Protest“, das auf eine<br />

Seite der Untergrundpassage des<br />

MaximilansForums projiziert wurde,<br />

verringert Monika Huber die Distanz<br />

zu den Nachrichten und eignet sich<br />

Aufnahmen der Istanbuler Revolte<br />

als Malerin an. Mit raschen Gesten<br />

übermalte sie während des Abspielens<br />

die aufgenommenen Nachrichtenbilder,<br />

die nun im Videoloop<br />

unter den Pinselspuren und Farbschlieren<br />

verschwinden, auftauchen<br />

und wieder verschwinden. Isolierte,<br />

gestische Details der Revolte treten<br />

eindringlich in den Vordergrund,<br />

andere, kurz aufscheinende Bilder<br />

erscheinen wie immer schon bekannte<br />

Ikonen des Aufstands. Hinter<br />

dem Farbnebel wirken die einstigen<br />

Nachrichten wie im Unterbewussten<br />

sedimentierte Eindrücke, wie eine<br />

Art Traumsprache des Aufstands,<br />

die sich an der Oberfläche artiku-<br />

liert und wieder absinkt, wobei die<br />

Insistenz dieses Vorgangs mit der<br />

Insistenz der Revoltierenden koinzidiert.<br />

Auf der anderen Seite der Passage<br />

brachte Huber die bewegten Bilder<br />

– nun in Farbe, aber ebenfalls<br />

pinselgestisch kommentiert – zum<br />

Stillstand. Hier nun werden die<br />

einstigen Nachrichten zum Monument<br />

der Revolte. Es setzt sich aus<br />

„archetypischen“ Einzelmomenten<br />

zusammen, die vom Tumult auf der<br />

Straße, über den behelmten Polizisten<br />

mit Gewehr im Anschlag, bis zum<br />

hingestreckten Opfer reichen. Die<br />

einzelnen Szenen werden wie auf<br />

einer Bühne von hinten beleuchtet<br />

und lassen auch an eindringliche<br />

Filmbilder denken. Unter Münchens<br />

Maximilianstraße formen sie ein<br />

Erinnerungszeichen. An einem Ort,<br />

der fern aller Aufstände als luxurierende<br />

Insel erscheint, weist es nicht<br />

nur auf die zurückliegende Revolte,<br />

es lässt sich auch als Vorschein<br />

möglicher kommender Aufstände<br />

betrachten.<br />

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