Transforming Cities
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Künstlergespräch zwischen Monika<br />
Huber und Ulrich Wilmes zur<br />
Ausstellung „PROTEST – Monika<br />
Huber“ am 22.09.2014 im MaximiliansForum<br />
Ulrich Wilmes: Was war für dich der<br />
Auslöser, dich mit diesen Bildern zu<br />
beschäftigen als eine gegenstandslose<br />
Malerin?<br />
Monika Huber: Das Jahr 2011 war<br />
für mich ein großer Einschnitt gewesen.<br />
Ich hatte eine Ausstellung im<br />
Goethe-Institut in Athen, das in der<br />
Nähe des Syntagma-Platzes liegt,<br />
den ich täglich mehrmals überquerte.<br />
Die Atmosphäre in der Stadt<br />
war durch die täglichen Demonstrationen<br />
sehr aufgeladen. Zurück<br />
in München, begann ich, die Fernsehnachrichten<br />
von Protesten fotografisch<br />
zu dokumentieren. Ich war<br />
sehr irritiert von der Direktheit der<br />
Bilder; die Technologie der Smartphones<br />
machte es möglich, direkt<br />
aus den Demonstrationen heraus,<br />
fast ungefiltert und mit ungewöhnlichen<br />
Perspektiven zu berichten. Wir<br />
bekamen Bilder zu sehen, die uns<br />
mitten ins Geschehen der Proteste<br />
katapultierten.<br />
UW: Du zeigst Bilder, die nicht<br />
identifizierbar sind, die an einem<br />
bestimmten Tag aus dem Fernseher<br />
aufgenommen worden sind, das<br />
steht fest. Aber für den Betrachter<br />
sind weder Ort noch Zeit nachvollziehbar<br />
und dadurch bekommen die<br />
Bilder eine Zeitlosigkeit oder eine<br />
Allgemeingültigkeit, die über das<br />
jeweilige Ereignis hinaus weist. Ist<br />
das für dich dann auch als Malerin<br />
der Ansatz gewesen, diese Werkreihe<br />
umzusetzen, gibt es einen speziellen<br />
malerischen Zugang zu diesen<br />
Bildern oder ist es mehr doch ein<br />
politisches Engagement, welches<br />
dich treibt?<br />
MH: 2011/12 überschlugen sich die<br />
politischen Ereignisse des sogenannten<br />
„arabischen Frühlings“. Ich<br />
stellte fest, dass viele dieser Nachrichtenbilder<br />
aus den verschiedensten<br />
Konfliktländern sich ähnelten<br />
und austauschbar erschienen. Auch<br />
die zeitliche Einordnung war nicht<br />
mehr möglich, sobald das Bild aus<br />
dem Nachrichtenkontext herausgelöst<br />
war. Natürlich kann man die<br />
Nachrichtenbilder durch gewisse<br />
Attribute, Kleidung etc. verifizieren<br />
und damit an bestimmte Orte knüpfen.<br />
Aber in bürgerkriegsähnlichen<br />
Situationen heben sich die Unterscheidungskriterien<br />
fast auf. Durch<br />
diese Unbestimmtheit von Ort und<br />
Zeit bekommen diese Bilder etwas<br />
Universelles und man hat den Eindruck<br />
als würden sich die Ereignisse<br />
permanent wiederholen.<br />
UW: Du fotografierst den Bildschirm,<br />
die Bilder auf dem Fernseher,<br />
ab. Dadurch ist natürlich schon<br />
mal gegeben, dass es eben keine<br />
hohe Auflösung, keine große Qualität<br />
haben kann in dem Sinne, dass<br />
es gestochen scharfe Abbilder sind.<br />
Und dann verfremdest du die Bilder.<br />
Sie werden bewusst unscharf abgezogen.<br />
Dann bearbeitest du diese<br />
mit Farbe und schlussendlich, was<br />
Foto: Vivi D‘Angelo<br />
ein ziemlich komplizierter Prozess<br />
ist, wird das Bild reproduziert und<br />
das ist dann im Grunde genommen<br />
die Arbeit. Aber vielleicht kannst du<br />
nochmal genau sagen, wie dieser<br />
Bearbeitungsprozess und wie dieser<br />
Verfremdungsprozess funktionieren.<br />
MH: Meine Bilder, die ich von den<br />
täglichen Nachrichten abfotografiere,<br />
werden mit einer hochauflösenden<br />
Kamera aufgenommen, jedoch<br />
sind die gesendeten Handyvideos<br />
meist unscharf. Oft sieht man nur<br />
rudimentäre Formen und Strukturen<br />
von Menschen, von Orten und<br />
Ereignissen. Aus dem fotografierten<br />
Fernsehbild schneide ich anschließend<br />
ein Hochformat heraus und<br />
bearbeite das Bild malerisch, meist<br />
mit schwarzer und weißer Farbe.<br />
Dadurch versuche ich nochmals<br />
einen intensiveren Fokus auf das<br />
Geschehen zu legen und kritische<br />
Situationen herauszuschälen, die im<br />
Moment der Bewegung der Filmaufnahme<br />
nicht erkennbar sind. Dieser<br />
Prozess der malerischen Bearbeitung<br />
wird zu einem permanenten<br />
Sichtbar-Unsichtbar-Werden der<br />
Ereignisse. Zuletzt fotografiere ich<br />
die übermalte Fotografie und ziehe<br />
sie als Print ab.<br />
UW: Um es mit einem Schlagwort<br />
zu benennen, geht es dir dabei um<br />
eine Auslöschung oder um diese<br />
Dialektik von Auslöschung und Hervorhebung,<br />
was ist da für dich dann<br />
das Entscheidende?<br />
MH: Durch die tägliche Konfrontation<br />
mit diesen Nachrichtenbildern,<br />
tauche ich natürlich intensiver in die<br />
politischen Ereignisse ein. Jetzt haben<br />
wir die letzten Jahre täglich so<br />
viele Demonstrationen, Bürgerkriege<br />
und Kriege in den nordafrikanischen<br />
Ländern und im Nahen Osten<br />
in den Nachrichten mitverfolgt, die<br />
politische Lage hat sich dort keineswegs<br />
entspannt, sondern vieles<br />
hat sich verschlechtert und aktuell<br />
sehen wir die brutale Vorgehensweise<br />
der IS. Ich frage mich hier schon,<br />
wie manipulativ diese Nachrichtenbilder<br />
eingesetzt werden und aus<br />
welchem politischen Blickwinkel<br />
heraus ein Ereignis gezeigt wird.<br />
UW: Mir ist aufgefallen, dass bestimmte<br />
Filmsequenzen in verschiedenen<br />
Zusammenhängen immer<br />
wieder gezeigt werden und man<br />
den Eindruck hat: Aha, es ging heute<br />
nichts über die Agenturen, was<br />
interessant ist, also nehmen wir das<br />
Bild von gestern, vorgestern oder<br />
von letzter Woche. Aber die wirkliche<br />
Manipulation, die besteht ja in<br />
der Berichterstattung selbst.<br />
MH: Wenn man die gesendeten<br />
Bildnachrichten der verschiedenen<br />
Sendeanstalten vergleicht, bemerkt<br />
man, dass diese nahezu identisch<br />
sind.<br />
UW: Auch darin sehe ich ein Muster.<br />
MH: Und genau hier wird es spannend,<br />
weil politische Haltungen zu<br />
Tage treten und deutlich wird, dass<br />
es verschiedene politische und<br />
wirtschaftliche Interessen und Verflechtungen<br />
gibt, die die Berichterstattung<br />
beeinflussen. Mich interessierte<br />
zu Beginn der Arbeit an dem<br />
Fotografieprojekt „Einsdreißig“<br />
warum so viele Menschen plötzlich<br />
auf die Straße gehen? Warum jetzt<br />
und nicht schon früher? Nehmen<br />
wir z.B. Jemen - es ist ein Land, in<br />
dem 70 Prozent der Bevölkerung<br />
jung und online ist und ihr tägliches<br />
Problem die mangelnde Versorgung<br />
mit Energie ist, um miteinander<br />
kommunizieren zu können. Soziale<br />
Medien sind zu einem wesentlichen<br />
Element der Kommunikation geworden.<br />
Eine weitere Frage drängt sich<br />
mir auf: Von welchen Konflikten gibt<br />
es überhaupt Bilder? Wird Krieg erst<br />
Realität, wenn er fotografisch dokumentiert<br />
ist, oder was geschieht,<br />
wenn es keine Bilder vom Krieg und<br />
sonstigen gewalttätigen Exzessen<br />
mehr gibt.<br />
UW: Die Abwesenheit von Bildern<br />
spielt natürlich ebenfalls eine ganz<br />
große Rolle. Wo keine Bilder sind,<br />
existieren trotzdem Konflikte, bloß<br />
wir erfahren nichts davon.<br />
MH: Ja, die Konflikte, die nicht bebildert<br />
werden können, verschwinden<br />
einfach aus den Fernsehnachrichten.<br />
Wir haben meist nur einen<br />
oder zwei Konflikte im Fokus der<br />
Nachrichtensendungen und das ist<br />
im Moment hauptsächlich die Ukraine<br />
und der Irak; aktuell durch die<br />
Gewalt der IS auch wieder Syrien.<br />
Zu viele Konfliktsituationen werden<br />
in den Nachrichtensendungen nicht<br />
gleichzeitig angesprochen, da man<br />
damit die Zuschauer überfordern<br />
würde. In meiner Archiv-Arbeit<br />
bemühe ich mich, alle globalen Konflikte<br />
festzuhalten.<br />
UW: Wir haben ja vorhin auch schon<br />
von gewissen Mustern gesprochen,<br />
einmal, wie diese ganzen Konflikte<br />
sich in Nordafrika und dann im<br />
Nahen Osten entwickelt und weiterentwickelt<br />
haben. Die Weltgemeinschaft<br />
sieht zu via Nachrichten. Die<br />
Diplomatie ist mehr oder weniger<br />
hilflos bzw. man gewinnt zunehmend<br />
den Eindruck, von Interessen<br />
gesteuert zu werden, die nicht unbedingt<br />
unsere Interessen sind. Und<br />
dann eskaliert eine Situation dermaßen,<br />
dass sich die Politik dann<br />
zum Handeln gezwungen sieht und<br />
Handeln heißt dann immer Gewalt.<br />
Und man fragt sich: Wie sind denn<br />
solche Konflikte überhaupt lösbar?<br />
UW: Wenn die Kunst tatsächlich<br />
etwas anders machen kann als<br />
Nachrichtenbilder, dann ist es eben<br />
der Versuch, diese Propaganda<br />
auszublenden und bestimmte Bilder<br />
und Inhalte in einem Kontext zu diskutieren,<br />
der ein größeres Problemfeld<br />
zieht als das, was uns tagtäglich<br />
vorgesetzt wird.<br />
MH: Ich denke, einen Künstler sollte<br />
es interessieren, wie sich unsere<br />
Bilderwelt verändert. Mit meiner<br />
Arbeit versuche ich ein Bewusstsein<br />
für diesen neuen Bildtypus<br />
der Medienbilder zu schaffen. Es<br />
geht um die veränderte Form von<br />
Wahrnehmung. Nach fast vier<br />
Jahren des täglichen Archivierens<br />
dieser Nachrichtenbilder sehe ich,<br />
dass diese Bilder nicht einfach auf<br />
uns zukommen, nein, sie sind das<br />
Ergebnis des politischen Handelns<br />
oder Nichthandelns der internationalen<br />
Gemeinschaft.<br />
UW: Und eine Künstlerin wie du<br />
belegt ihre Bilder mit einer ganz<br />
anderen Funktion als ein Pressefotograf<br />
oder ein Fernsehjournalist.<br />
Sie kann natürlich mit ihren Bildern<br />
die Wahrnehmung, die bestimmte<br />
Bilder in uns auslösen, oder die<br />
Wahrnehmung, mit denen wir den<br />
Bildern tagtäglich begegnen, viel<br />
weiter spannen. Deine Bilder machen<br />
dabei auch ganz deutlich, dass<br />
es dir um alles geht, aber bloß nicht<br />
darum, Gewalt in irgendeiner Weise<br />
als ein ästhetisches Objekt auszuschlachten.<br />
MH: Eine künstlerische Arbeit ist<br />
niemals nur eine rein ästhetische<br />
Auseinandersetzung. Als Künstlerin<br />
habe ich ebenso eine Verantwortung<br />
für die gewählten Inhalte, als auch<br />
für deren gestalterische Umsetzung.<br />
Meine Bilder wollen nicht nur etwas<br />
wiedergeben, was wir bereits sehen<br />
und das Gesehene bestätigen. Sie<br />
sollen vielmehr eine neue Wahrnehmungsebene<br />
aufmachen, ebenso<br />
vergleichbar meiner Arbeit an den<br />
ungegenständlichen Bildern. Bilder<br />
sind Impulse, Katalysatoren. Sie<br />
zeigen Veränderungsprozesse und<br />
stoßen neue Gedanken an. Natürlich<br />
kann ich die Welt damit nicht<br />
verändern, aber ein politisches Bewusstsein<br />
schaffen. Politisch verantwortlich<br />
handeln muss jeder selbst.<br />
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