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Edition Scheffel - Blickachsen

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<strong>Blickachsen</strong> 3 Ausgestellte Werke<br />

JAUME PLENSA<br />

Wendet man sich von der Mitte des Schmuckplatzes hangabwärts dem Kurpark zu, so<br />

stößt man auf das käfigartige, überlebensgroße Gehäuse, das im Schatten eines grazilen Baumes<br />

steht. Es handelt sich nicht wie noch in den „<strong>Blickachsen</strong> 2“ um eine jener betretbaren, transparenten<br />

Kabinen („Vier Möglichkeiten“), die eine „assoziativ-intellektuelle Reaktion herausfordern“ (Uwe Rüth).<br />

Hier waren über den Türen die Begriffe eingraviert, unter deren Vorzeichen man die Wahl hatte, einzutreten.<br />

Es betraf die Lebenssäfte und den Geschmackssinn, Emotion und Konsumverhalten.<br />

In dieser neuen Arbeit handelt es sich um eine durchlässige enge Stahlbox, die an<br />

Vorder- und Rückseite gänzlich durch ein Strebewerk bzw. Gitter gleichmäßiger Quadrate (je Seite 24<br />

Felder) gerastert ist. In die waagerechten Querstangen sind<br />

genau an den jeweiligen Kreuzungspunkten sprachlich<br />

überstilisierte französische Begriffe eingraviert (je Front 15<br />

Begriffe), die einem Lehrbuch psychologischen Verhaltens<br />

entstammen könnten. Die Wörter der Vorderseite und jene<br />

der Rückseite korrespondieren kompositionell exakt miteinander.<br />

Sie ergeben Begriffspaare wie „Philogeniture“ (Liebe<br />

zu Kindern) und „Configuration (Gestaltung), „Vénération“<br />

(Ehrfurcht) und „Calcul“ (Berechnung). Zwischen den<br />

Wörtern der Vorder- und Rückseite, aber auch zwischen den<br />

benachbarten Begriffen ergeben sich nun aber keine einleuchtenden<br />

Sinnzusammenhänge, sprechen doch gerade derartig „weihevolle“ Wörter intensiver<br />

als jede Alltagssprache Erinnerung und Dauer an.<br />

„Wie auf den Giebeln von Monumenten oder auf einem Grabstein erhebt die Inschrift<br />

den Anspruch, endgültig zu sein“ (Daniel Abadie). Jede dem entgegenstehende Begriffskoppelung<br />

führt somit zu einer „babylonischen“ Begriffsverwirrung, die sich offenbar immer dann einstellt,<br />

wenn der Verstand durch Gefühl und Liebe (Amativite) ausgehebelt wird.<br />

In eine derartig irritierende Situation gerät hier unvermutet der Besucher, der den Park<br />

zu betreten beginnt und sich nach Schönheit und Stille, Weite und Licht sehnt. Das unverrückbare<br />

Objekt Plensas präsentiert sich dagegen als „Käfig“ der Gefühle. Trotz seiner Offenheit gleicht dieser<br />

der „Zelle eines Klosters“ (so Lorand Hegyi) oder noch eher eines Gefängnisses, in welchem der<br />

von Trieben und Wünschen beherrschte Mensch seinen eigenen Ideen, Vorstellungen, Fiktionen und<br />

Erinnerungen ausgeliefert ist.<br />

66<br />

Amativite, 2000, Stahl [275 x 177 x 60 cm]

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