Edition Scheffel - Blickachsen
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Denn – so das erste Fazit – die Einheit und der innere Zusammenhang aller Freiskulpturen<br />
ergibt sich trotz der erheblichen Unterschiede in Form, Technik und Inhalt ganz wesentlich aus<br />
der Zugehörigkeit zu den klassischen vier Elementen, aus denen die Erde und der Kosmos sich<br />
zusammensetzt: Feuer, Wasser, Erde und Luft bzw. Licht. Sie geben jedem öffentlichen Kunstwerk<br />
– wie es auch den tradierten Funktionen des Kurparkes und des Landschaftsgartens entspricht – ihre<br />
innewohnende Logik und ihre inhaltliche Bestimmung im Gesamtkontext aus Struktur und Bedeutung.<br />
Diese elementaren Zusammenhänge zwischen Feuer und Asche, Licht und Dunkel, Wort und<br />
Bild, Weg und Begegnung, Luft und Bewegung müssen bei der Wanderung durch den Park und dem<br />
Besuch des Schlosses durch den Besucher selbst entdeckt werden.<br />
So können sich das Fremde und das Eigene, moderne und alte Kunst, Skulptur,<br />
Architektur und Natur, als Ausdruck eigener elementarer Schöpfungskräfte, erneut begegnen. Der<br />
Wettstreit der Kulturen, wie er seit langem in den heimischen und exotischen Bauten der Stadt Bad<br />
Homburg (Siamesischer Tempel, Kirchen, Brunnen und Skulpturen) angelegt ist, kann beginnen.<br />
Jeder, der sich mit Kunst im öffentlichen Raum beschäftigt, wird wissen, daß gerade<br />
auf diesem Gebiet der Handlungsspielraum zwischen Auftraggeber und Künstler immer wieder neu<br />
definiert werden muß. So wie es kein verbindliches Konzept für alle Standorte gibt, so gibt es auch<br />
keine Standardregeln für die Idee, Stadt- und Landschaftsräume auf Dauer oder auf Zeit für<br />
die Präsentation von zeitgenössischer Kunst zu nutzen. Jedes Projekt muß nicht allein durch seine<br />
eigenen konzeptuellen Vorgaben überzeugen, es soll auch auf Dauer sinnstiftend bleiben. Darüber<br />
hinaus ist immer wieder erneut darauf zu bestehen, daß die Gegenwart sich unbedingt der historischen<br />
Tiefe bzw. Verwurzelung stellen muß, will sie sich nicht selbst als unverbindliche „Dekoration“<br />
bloßstellen.<br />
Auch in Bad Homburg mußte jede Planung einer künstlerischen Arbeit in Schloß und<br />
Kurpark von der Tatsache ausgehen, daß wir es hier mit einer – im besten Sinne der Aufklärung –<br />
gewachsenen Kultur-Landschaft zu tun haben, die keine rohe Verletzung und keinen gedankenlosen<br />
Auftritt hinnimmt. Das glücklich gewählte Thema der „<strong>Blickachsen</strong>“ fundiert in diesem Landschaftsgarten<br />
mit dem traditionellen Begriff der „Sichtachsen“, wie ihn die Gärtner und Landschaftsgestalter<br />
der ersten Stunde in England maßgeblich definiert haben. Mit den damit verbundenen<br />
Prinzipien und Werten, die im Folgenden ausführlicher erläutert werden sollen, müssen sich auch<br />
heute all jene Künstler auseinandersetzen, die wie in Bad Homburg auf unterschiedliche Weise in<br />
diesen „Garten Eden“ eingegriffen haben. Der Künstler mußte hier wie die Kollegen des 18. und 19.<br />
Jahrhunderts zu einem „Gärtner“ werden, um überhaupt schöpferisch aktiv werden zu können und<br />
um das eigene künstlerische Tun in den Kontext des Gesamten einzubinden. Triumphale Denkmäler,<br />
wie sie exemplarisch das ganze nationalbewußte 19. Jahrhundert bevorzugte, mußten hier ersetzt<br />
werden durch Sinnbilder der Freiheit, der Poesie und der Natur selbst. Nur so hat generell die zeitgenössische<br />
Kunst im öffentlichen Raum des Landschaftsparkes eine Chance, jenen Grad an Respekt<br />
und Toleranz zu gewinnen, der ihr durch Intoleranz, Vandalismus und Gedankenlosigkeit häufig<br />
genug genommen wird.<br />
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Die Kunst des traditionellen Landschaftsgartens forderte: „In allem laßt Natur niemals<br />
vergessen sein... Der hat den Preis, der angenehm verwirrt, auch überrascht, für Wechsel sorgt, den<br />
Zaun verbirgt. Befragt den Genius loci immerdar“ (Lehrgedicht von Theophil Desaguliers, 1728).<br />
In dieser Sequenz aus der Gründungszeit des Landschaftsgartens ist nicht allein die<br />
„Natur“ als „grüne“ Landschaft gemeint, sondern vielmehr der Wunsch nach jener Freiheit und<br />
Verantwortung gegenüber einer „neuen“ Gesellschaft zum Ausdruck gebracht, die sich als Gemeinwesen<br />
im Dienst eines Gesamtkunstwerkes in Technik, Wissenschaft und Kunst offenbart.<br />
Der Schweizer Landschaftsarchitekt André Schmid hat diese Position 1999 modifiziert<br />
auch für unsere Gegenwart vorbildlich formuliert: „Der Garten ist ein Sinnbild für das Prozeßhafte,<br />
das sich ständig Wandelnde. Ein Gebilde, das nicht eindeutig zu fassen ist, balancierend zwischen<br />
Eindeutigkeiten, zwischen entfernten Polen. Die Zeit spielt in ihm eine essentielle Rolle. Pflanzen<br />
wachsen und verändern ihr Aussehen. Im jahreszeitlichen Verlauf werden ganz unterschiedliche<br />
Stimmungen hervorgerufen. Sein Endzustand ist absehbar, auch wenn der Gartengestalter eine noch<br />
so klare Vorstellung vom Ganzen hat. Offenheit ist das Prinzip des Gartens.“<br />
Dieses Prinzip der „Offenheit“ mit den eigenen Ansprüchen aus künstlerischer<br />
Autonomie und Vision in Einklang zu bringen, ist die Aufgabe all jener Künstler, die wie im Bad<br />
Homburger Kurpark das Wagnis auf sich nahmen, den „Garten als Bild“ und – nicht allein für den<br />
aufgeklärten Zeitgenossen – als Utopie auf Zeit anzunehmen. So konnte auch dieses Mal der<br />
Bildhauer „Gärtner sein“, denn die <strong>Blickachsen</strong> des gestaltenden Künstlers haben sich mit den<br />
Sichtbeziehungen des Landschaftsgestalters gekreuzt. Erneut wurde das traditionsreiche Spannungsfeld<br />
zwischen Arcadia und Utopia mit Leben erfüllt.<br />
2. Der Ort der Skulptur: Die Idee des natürlichen Raumes<br />
Der englische Garten, wie er auch noch in Bad Homburg angelegt und erlebbar<br />
ist, kultiviert keineswegs in seinem Drang nach unbedingter Freiheit und Ausnutzung des natürlichen<br />
Raumes die wilde, sich selbst überlassene Natur. Der Eindruck, daß es sich um natürliches<br />
Wachstum und historisches Bauen handle, wird auch hier künstlich hervorgerufen. Dem Terrain<br />
angepaßte Wege schlängeln sich durch den Garten, auf denen der Besucher „wandeln“ soll. Das<br />
Natürliche wird in wohlabgewogenen Blickrichtungen und in stimmigen „Bildern“ geboten. Diese<br />
„Bilder“ sind allerdings ganz individuell und einzigartig. Jedem bleibt die Möglichkeit – worauf<br />
gerade die gestaltenden Bildhauer größten Wert legen – sich seine Lieblingsplätze und Lieblings-<br />
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