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Grenzen in Ostmitteleuropa im 19. und 20 ... - Herder-Institut

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<strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong> <strong>Ostmitteleuropa</strong> <strong>im</strong> <strong>19.</strong> <strong>und</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert


TAGUNGEN<br />

ZUR OSTMITTELEUROPA-FORSCHUNG<br />

Herausgegeben vom <strong>Herder</strong>-<strong>Institut</strong><br />

10


<strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong> <strong>Ostmitteleuropa</strong><br />

<strong>im</strong> <strong>19.</strong> <strong>und</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

Aktuelle Forschungsprobleme<br />

Herausgegeben von<br />

HANS LEMBERG<br />

VERLAG HERDER-INSTITUT � MARBURG � <strong>20</strong>00


Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek<br />

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation <strong>in</strong> der<br />

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische<br />

Daten s<strong>in</strong>d <strong>im</strong> Internet über<br />

abrufbar.<br />

© <strong>20</strong>00 by <strong>Herder</strong>-<strong>Institut</strong>, 35037 Marburg, Gisonenweg 5-7<br />

Alle Rechte vorbehalten<br />

Pr<strong>in</strong>ted <strong>in</strong> Germany<br />

Satz: <strong>Herder</strong>-<strong>Institut</strong>, 35037 Marburg<br />

Druck <strong>und</strong> B<strong>in</strong>dung: Druckerei Herr, 35390 Gießen<br />

Umschlagbild aus: Die Ostgebiete des Deutschen Reiches, Würzburg 1957<br />

ISBN 3-87969-275-0


Inhalt<br />

E<strong>in</strong>führung........................................................................................................... 1<br />

<strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong> <strong>Ostmitteleuropa</strong> <strong>in</strong> der Forschung<br />

Hans-Jürgen K a r p : <strong>Grenzen</strong> – e<strong>in</strong> wissenschaftlicher Gegenstand............... 9<br />

Horst F ö r s t e r : <strong>Grenzen</strong> – e<strong>in</strong>e geographische Zwangsvorstellung?........... 19<br />

Peter K r ü g e r : Der Wandel der Funktion von <strong>Grenzen</strong> <strong>im</strong> <strong>in</strong>ternationalen<br />

System <strong>Ostmitteleuropa</strong>s <strong>im</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert............................................. 39<br />

Peter H a s l i n g e r : Funktionspr<strong>in</strong>zip Staatsgrenze: Aspekte se<strong>in</strong>er<br />

Anwendbarkeit <strong>im</strong> Bereich der Osteuropaforschung........................................... 57<br />

Karl von D e l h a e s : Wirtschaftliche Großräume oder nationalstaatliche<br />

Parzellierung? Die ökonomischen Funktionen von <strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong> <strong>Ostmitteleuropa</strong><br />

<strong>in</strong> den Jahrzehnten um die Mitte des <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>erts ............................ 67<br />

Staaten <strong>in</strong> <strong>Ostmitteleuropa</strong> <strong>und</strong> ihre <strong>Grenzen</strong><br />

Edgar H ö s c h : Die „Balkanisierung“ – Vor- <strong>und</strong> Schreckbilder der Entstehung<br />

neuer Nationalstaaten ............................................................................. 79<br />

Robert L u f t : „Alte <strong>Grenzen</strong>“ <strong>und</strong> Kulturgeographie. Zur historischen<br />

Konstanz der <strong>Grenzen</strong> Böhmens <strong>und</strong> der böhmischen Länder............................ 95<br />

Włodz<strong>im</strong>ierz B o r o d z i e j : Die polnische Grenzdiskussion <strong>im</strong> Lande<br />

<strong>und</strong> <strong>im</strong> Exil (1939-1945) ..................................................................................... 137<br />

Gert von P i s t o h l k o r s : Historische <strong>und</strong> ethnische <strong>Grenzen</strong> <strong>im</strong><br />

baltischen Raum .................................................................................................. 149<br />

<strong>Grenzen</strong> <strong>und</strong> Menschen <strong>im</strong> östlichen Mitteleuropa<br />

Hans L e m b e r g : <strong>Grenzen</strong> <strong>und</strong> M<strong>in</strong>derheiten <strong>im</strong> östlichen Mitteleuropa<br />

– Genese <strong>und</strong> Wechselwirkungen........................................................................ 159<br />

s


Mathias N i e n d o r f : Die Grenze als Grauzone. Zum Problem der Perspektive<br />

<strong>in</strong> den deutsch-polnischen Beziehungen der Zwischenkriegszeit .........<br />

Hannelore B u r g e r : <strong>Grenzen</strong> <strong>und</strong> Grenzüberschreitungen – Bericht<br />

183<br />

über e<strong>in</strong> Projekt....................................................................................................<br />

Hanns H a a s : Dörfer an der Grenze – Bericht von e<strong>in</strong>em österreichisch-<br />

195<br />

tschechischen Forschungsprojekt ........................................................................ <strong>20</strong>9<br />

Hans L e m b e r g u.a.: Arbeitsbibliographie................................................... 247<br />

Verzeichnis der Autoren...................................................................................... 291<br />

sf


E<strong>in</strong>führung<br />

<strong>Grenzen</strong> haben <strong>in</strong> den neunziger Jahren e<strong>in</strong>e neue Aktualität gewonnen. Vier Jahrzehnte<br />

lang war das Staatensystem <strong>in</strong> Europa unter der Hegemonie der atomaren Supermächte<br />

USA <strong>und</strong> Sowjetunion stabil geblieben – e<strong>in</strong>e Veränderung war kaum<br />

mehr vorstellbar. Aber schon die Situation von 1945 hatte <strong>in</strong> gewissem S<strong>in</strong>ne auf<br />

e<strong>in</strong>en älteren Zustand zurückgegriffen <strong>und</strong> nach der <strong>im</strong> Zweiten Weltkrieg <strong>und</strong> seit<br />

1938 angestellten ephemeren „Neuordnung Europas“ von Hitlers <strong>und</strong> bald auch Stal<strong>in</strong>s<br />

Gnaden <strong>in</strong> großem Maße die nach dem Ersten Weltkrieg geschaffenen <strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong><br />

Ostmittel- <strong>und</strong> Südosteuropa wiederhergestellt, von relativ wenigen, wenn auch signifikanten<br />

Änderungen an der polnischen Ost-, West- <strong>und</strong> Nordgrenze, <strong>im</strong> Baltikum<br />

<strong>und</strong> an e<strong>in</strong>igen anderen Stellen <strong>im</strong> östlichen Europa abgesehen.<br />

Gerade der gegen Ende der vierziger Jahre rasch gewachsene Antagonismus der<br />

beiden Weltlager bed<strong>in</strong>gte für die europäische Zone entlang des Eisernen Vorhangs<br />

e<strong>in</strong> striktes Status-quo-Denken, was die Verteilung der beiden E<strong>in</strong>fluß- <strong>und</strong> Herrschaftssphären<br />

<strong>in</strong> Ost <strong>und</strong> West, aber auch was die <strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong>nerhalb der „Lager“<br />

anlangte. Die sowjetische Völkerrechtswissenschaft versuchte sogar, wenn auch wohl<br />

vergeblich, die „Unverletzbarkeit von <strong>Grenzen</strong>“ als „neues Pr<strong>in</strong>zip“ <strong>in</strong>s Völkerrecht<br />

e<strong>in</strong>zuführen. 1 Selbst eklatante E<strong>in</strong>griffe wie die Niederschlagung des Aufstands <strong>in</strong><br />

Ungarn oder die Intervention <strong>in</strong> der C+SSR vermochten der Erhaltung des Status quo<br />

zuliebe nicht, die Westmächte zum E<strong>in</strong>greifen herauszufordern. Die Erhaltung der bestehenden<br />

Staatenordnung, auch <strong>und</strong> vor allem der <strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong> Europa, erschien als<br />

gleichbedeutend mit der Friedenswahrung. Das alles wurde anders, als an der Wende<br />

zu den neunziger Jahren die kommunistischen Reg<strong>im</strong>e <strong>in</strong> <strong>Ostmitteleuropa</strong> zusammenbrachen,<br />

zuletzt <strong>in</strong> der DDR <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Tschechoslowakei; <strong>in</strong> Polen, Jugoslawien<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong> der Sowjetunion selbst war die Erosion bereits <strong>im</strong> Gange.<br />

Die <strong>Grenzen</strong>-Frage wurde jetzt <strong>in</strong> zweierlei H<strong>in</strong>sicht aktuell: E<strong>in</strong>erseits ist gerade<br />

<strong>in</strong> diesem Augenblick <strong>und</strong> durch die mit dem Zusammenbruch des Ostblocks ermöglichte<br />

E<strong>in</strong>igung Deutschlands die deutsch-polnische Grenze zum ersten Mal nach<br />

Kriegsende <strong>in</strong>ternational gesichert worden, andererseits aber entstanden an anderer<br />

1 LARISA IVANOVA VOLOVA: Nerus=<strong>im</strong>ost' granic – novyj pr<strong>in</strong>cip mez=dunarodnogo prava<br />

[Die Unverletzlichkeit der <strong>Grenzen</strong> als neues Völkerrechtspr<strong>in</strong>zip], Rostov 1987. – JERZY<br />

TYRANOWSKI: Zasada nienaruszałności granic w prawie mieçdzynarodowym [Der Gr<strong>und</strong>satz<br />

der Unverletzlichkeit von <strong>Grenzen</strong> <strong>im</strong> Völkerrecht], Warszawa 1987 (Biblioteka spraw<br />

mieçdzynarodowych, 118).<br />

1


Stelle gerade <strong>im</strong> östlichen Mitteleuropa <strong>und</strong> <strong>in</strong> Südosteuropa neue <strong>Grenzen</strong>, oder,<br />

besser gesagt: ältere <strong>Grenzen</strong> gewannen neue Qualität. B<strong>in</strong>nengrenzen, wie e<strong>in</strong>ige<br />

<strong>Grenzen</strong> sozialistischer Sowjetrepubliken oder von Teilrepubliken Jugoslawiens oder<br />

der Grenze zwischen Tschechischer <strong>und</strong> Slowakischer Republik, wurden zu Außengrenzen<br />

von neuen Staaten, die es entweder vorher nur als unerfülltes Wunschziel nationaler<br />

Bewegungen oder <strong>im</strong> Höchstfall als kurzfristige Staatsgebilde aus Gnade von<br />

Hegemonialmächten gegeben hatte (die Ukra<strong>in</strong>e, Kroatien, die Slowakei). Nationale<br />

Befreiungsbewegungen artikulieren sogar den Anspruch, ehemals autonome Sowjetrepubliken<br />

der RSFSR oder autonome Prov<strong>in</strong>zen <strong>in</strong> Serbien zu souveränen Staaten<br />

zu erheben.<br />

Andererseits verloren Außengrenzen, vor allem <strong>im</strong> ehemaligen Ostblock, ihren<br />

Schrecken, allen voran die deutsch-deutsche Grenze bzw. die Berl<strong>in</strong>er Mauer, deren<br />

„Fall“ geradewegs zum Symbol der e<strong>in</strong>getretenen politischen Wende wurde. Schon<br />

e<strong>in</strong> Jahr nach dem Mauerfall war diese „verschw<strong>und</strong>ene“ Grenze <strong>im</strong> wiedervere<strong>in</strong>igten<br />

Deutschland zu e<strong>in</strong>er der oft nur noch auf Landkarten, <strong>im</strong>mer schwerer <strong>in</strong> der<br />

Landschaft selbst wiederzuf<strong>in</strong>denen Verwaltungsgrenzen zwischen B<strong>und</strong>esländern<br />

geworden. Daß gar die Reste der Berl<strong>in</strong>er Mauer zehn Jahre danach nur noch mit<br />

Mühe aufzuspüren s<strong>in</strong>d, wird bereits von der Tourismusbranche <strong>und</strong> von Denkmalpflegern<br />

beklagt.<br />

Mit diesen gegenläufigen Vorgängen kam gleichzeitig die Historizität von <strong>Grenzen</strong>,<br />

die ja <strong>in</strong> der ersten Jahrh<strong>und</strong>erthälfte so stark die Öffentlichkeit beschäftigt hatte,<br />

danach aber <strong>in</strong> H<strong>in</strong>sicht auf ihre Wandelbarkeit nahezu vergessen worden war 2 , mit<br />

e<strong>in</strong>em Mal wieder zum Bewußtse<strong>in</strong>. Auf e<strong>in</strong>mal fanden wieder <strong>Grenzen</strong> erneut <strong>in</strong> der<br />

Alltagswelt Interesse, <strong>und</strong> sie erlebten <strong>in</strong> der zweiten Hälfte der neunziger Jahre auch<br />

wissenschaftlich geradezu e<strong>in</strong>e Konjunktur.<br />

Als 1992 während e<strong>in</strong>er Beratung <strong>im</strong> Vorstand des J.G. <strong>Herder</strong>-Forschungsrates<br />

über mögliche Tagungsthemen Hugo Weczerka das Thema „<strong>Grenzen</strong>“ vorschlug, war<br />

das Thema sozusagen noch „neu“; gleichwohl erschien es sofort allen Beteiligten als<br />

attraktiv. Schon damals wurden Überlegungen angestellt, wie e<strong>in</strong>e solche Tagung<br />

aussehen könnte. Wegen der notwendigen Umorganisation von J. G. <strong>Herder</strong>-<br />

Forschungsrat <strong>und</strong> <strong>Herder</strong>-<strong>Institut</strong> 3 kam e<strong>in</strong>e solche Tagung jedoch erst <strong>im</strong> Frühjahr<br />

1995 zustande; sie wurde geme<strong>in</strong>sam vom umgestalteten <strong>Herder</strong>-<strong>Institut</strong> <strong>und</strong> vom<br />

2 Peter Hasl<strong>in</strong>ger spricht <strong>in</strong> dieser H<strong>in</strong>sicht von „fast gespenstischer Ruhe“, s. unten, S. 58.<br />

3 1992: Vorlage der Empfehlungen des Wissenschaftsrates: Wissenschaftsrat. Empfehlungen<br />

<strong>und</strong> Stellungnahmen 1992, Köln 1993, S. 317–368; 1992 <strong>und</strong> 1993: Mitgliederversammlungen<br />

zur Beratung der Umgestaltungen; Gründung des neuen <strong>Herder</strong>-<strong>Institut</strong>s e.V.;<br />

1994: Übergabetagung des <strong>Herder</strong>-<strong>Institut</strong>s vom bisherigen Träger, dem <strong>Herder</strong>-<br />

Forschungsrat, auf den neuen Trägervere<strong>in</strong>, <strong>in</strong> dem der J. G. <strong>Herder</strong>-Forschungsrat e<strong>in</strong>es<br />

von elf korporativen Mitgliedern ist; s. dazu den Tagungsband: Aspekte der Zusammenarbeit<br />

<strong>in</strong> der <strong>Ostmitteleuropa</strong>forschung. Tagung des <strong>Herder</strong>-<strong>Institut</strong>s <strong>und</strong> des J.G. <strong>Herder</strong>-<br />

Forschungsrates am 22./23. Februar 1994, hrsg. von HUGO WECZERKA, Marburg 1996 (Tagungen<br />

zur <strong>Ostmitteleuropa</strong>-Forschung, 1).<br />

2


<strong>Herder</strong>-Forschungsrat veranstaltet; die Fachkommission Zeitgeschichte des <strong>Herder</strong>-<br />

Forschungsrates widmete ihr richtungweisende Vorüberlegungen. 4<br />

Die Referate dieser vom 29. bis 31. März 1995 abgehaltenen <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären<br />

<strong>und</strong> – heute schon e<strong>in</strong>e Selbstverständlichkeit – <strong>in</strong>ternationalen Tagung mußten lange<br />

auf ihre Publikation warten, weil e<strong>in</strong>ige Texte erst mit Verzögerung zu beschaffen<br />

waren, dann wieder e<strong>in</strong>e neuerlich anstehende <strong>und</strong> <strong>in</strong>zwischen mit gutem Ergebnis<br />

abgelaufene Evaluation des <strong>Herder</strong>-<strong>Institut</strong>s andere Prioritäten erforderte, <strong>und</strong><br />

schließlich waren Berichte über laufende Projekte, die 1995 ganz am Ende der Tagung,<br />

sozusagen <strong>in</strong> marg<strong>in</strong>e vorgetragenen wurden, durch deren Fortentwicklung<br />

<strong>in</strong>zwischen so weit überholt, daß den damaligen Referenten Gelegenheit gegeben<br />

werden mußte, ihre Texte dem neuen Projektstand zu adaptieren. Das ist - bisweilen<br />

unter erheblicher Erweiterung - geschehen, <strong>und</strong> zu guter Letzt ist es noch gelungen,<br />

zwei weitere, während der Tagung nicht vorgetragene Projektberichte <strong>in</strong> das Gesamtmanuskript<br />

mit e<strong>in</strong>zubeziehen, um das Bild dessen, was das Spektrum gegenwärtiger<br />

Arbeitsvorhaben über <strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong> <strong>Ostmitteleuropa</strong> ausmacht, wenigstens e<strong>in</strong>igermaßen<br />

breit, wenn auch ke<strong>in</strong>esfalls vollständig erfassen zu können. Es ist zu hoffen,<br />

daß die Leser <strong>und</strong> nicht zuletzt diejenigen Autoren, die schon früh ihre<br />

Manuskripte zur Verfügung gestellt hatten, die Verzögerung verzeihen.<br />

Das Thema „<strong>Grenzen</strong>“ hat seither an Attraktivität gewonnen; zahlreiche Tagungen<br />

<strong>und</strong> Projekte haben sich <strong>in</strong>zwischen damit beschäftigt, weitere s<strong>in</strong>d vorgesehen. 5 Die<br />

<strong>im</strong> vorliegenden Band abgedruckten Referate der Marburger Tagung von 1995 haben<br />

also Aussicht, mit anderen Tagungsbänden zusammen künftig e<strong>in</strong>e Vorstellung<br />

darüber zu vermitteln, was <strong>in</strong> den neunziger Jahren des zu Ende gehenden Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

über <strong>Grenzen</strong> gedacht <strong>und</strong> geforscht worden ist. 6<br />

4 Im Vorfeld ist <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Sitzung der Fachkommission Zeitgeschichte des <strong>Herder</strong>-<br />

Forschungsrates – <strong>in</strong>sbesondere auf Anregung von Rolf Ahmann – e<strong>in</strong>e Panel-Struktur für<br />

die Tagung entwickelt worden; wegen der Kürze der für die Vorbereitung zur Verfügung<br />

stehenden Zeit wurde jedoch der traditionellen Tagungsform der Vorzug gegeben.<br />

5 Z.B.: „<strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong> <strong>Ostmitteleuropa</strong>“ (Nida/Nidden, Litauen, August 1996), „<strong>Grenzen</strong> <strong>und</strong><br />

Grenzräume <strong>in</strong> der deutschen <strong>und</strong> polnischen Geschichte. XXVIII. deutsch-polnische<br />

Schulbuchkonferenz“ (Frankfurt/Oder Juni 1998), „<strong>Grenzen</strong> <strong>und</strong> Grenzregionen <strong>in</strong> Südosteuropa<br />

vom ausgehenden <strong>19.</strong> bis zum Ende des <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>erts“ (Tüb<strong>in</strong>gen, November<br />

1998); Projektentwicklung „Grenzregionen <strong>im</strong> Osten der EU. Strukturen - Voraussetzungen<br />

– Perspektiven” (Philipps-Universität Marburg, um 1997); „Granice i pogranicza. Historia<br />

codziennos;ci i dos;wiadczen; [<strong>Grenzen</strong> <strong>und</strong> Grenzgebiete. Alltags- <strong>und</strong> Erfahrungsgeschichte]“<br />

(Bia¬ystok Oktober 1998) usw.; s. auch die Beiträge von Hannelore Burger,<br />

Hanns Haas, Peter Hasl<strong>in</strong>ger <strong>und</strong> Mathias Niendorf <strong>im</strong> vorliegenden Bande.<br />

6 Fast gleichzeitig ersche<strong>in</strong>t e<strong>in</strong>e parallele Publikation: Grenze <strong>im</strong> Kopf. Beiträge zur<br />

Geschichte der Grenze <strong>in</strong> <strong>Ostmitteleuropa</strong>, hrsg. von PETER HASLINGER, Frankfurt am<br />

Ma<strong>in</strong> u.a. 1999.<br />

3


Im folgenden soll der Aufbau des vorliegenden Bandes skizziert werden. In e<strong>in</strong>em<br />

ersten Block wird der wissenschaftliche Zugang zum Problem <strong>Grenzen</strong> allgeme<strong>in</strong> <strong>und</strong><br />

unter dem besonderen Blickw<strong>in</strong>kel der <strong>Ostmitteleuropa</strong>forschung aus der Sicht verschiedener<br />

Wissenschaftsdiszipl<strong>in</strong>en <strong>in</strong> den Blick gefaßt:<br />

Hans-Jürgen Karp (Marburg) schlägt e<strong>in</strong>en weiten Bogen mit exemplarischen<br />

Schlaglichtern auf die Schlüsselrolle des <strong>Grenzen</strong>-Begriffs <strong>in</strong> der Theologie (Paul Tillich<br />

stellte rückblickend se<strong>in</strong> Leben unter das Leitmotiv der Grenze 7 ), <strong>in</strong> der Sprachgeschichte,<br />

auch unter siedlungs- <strong>und</strong> sozialgeschichtlichem Aspekt seit dem Mittelalter<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong> H<strong>in</strong>sicht auf die literarische Gestaltung von „Grenzland“-Situationen.<br />

Horst Förster (Tüb<strong>in</strong>gen) n<strong>im</strong>mt sich der <strong>Grenzen</strong> aus der Sicht der Geographie<br />

an, derjenigen Wissenschaft, die sich seit dem späten <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>ert des <strong>Grenzen</strong>-<br />

Problems mit besonderem Nachdruck <strong>und</strong> <strong>in</strong> verschiedenen Wahrnehmungsbereichen<br />

(politische <strong>und</strong> Kulturgeographie, Regionalforschung, Geopolitik usw.) bemächtigt<br />

hat.<br />

Der Beitrag von Peter Krüger (Marburg) bildete <strong>in</strong> der Tagung den öffentlichen<br />

E<strong>in</strong>leitungsvortrag. Er packt das Thema der <strong>Grenzen</strong> aus der Perspektive der <strong>in</strong>ternationalen<br />

Beziehungen an. Dabei spielen Staatsgrenzen verständlicherweise e<strong>in</strong>e<br />

herausragende Rolle; Peter Krüger wendet sich aber darüber h<strong>in</strong>aus dem „Frontier“-<br />

Phänomen zu, das über den früheren Ansatz von Dietrich Gerhard <strong>und</strong> die Turnersche<br />

These h<strong>in</strong>aus gerade <strong>in</strong> <strong>Ostmitteleuropa</strong> bis <strong>in</strong>s <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert verfolgt werden kann.<br />

Der Verteidigung von <strong>Grenzen</strong> durch Machtmittel gegenüber wird die wirkliche<br />

Sicherung von <strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em funktionierenden, kooperativen <strong>in</strong>ternationalen System<br />

erblickt.<br />

Verschiedene Theorieansätze aus den der Geschichte benachbarten Diszipl<strong>in</strong>en<br />

faßt Peter Hasl<strong>in</strong>ger (Freiburg) zusammen <strong>und</strong> skizziert auf ihrem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>im</strong> Zusammenhang mit e<strong>in</strong>em Freiburger Projekt Hypothesen <strong>und</strong> Forschungsfelder,<br />

die <strong>in</strong> der <strong>Ostmitteleuropa</strong>- <strong>und</strong> Osteuropaforschung allgeme<strong>in</strong> <strong>in</strong> H<strong>in</strong>sicht auf das<br />

<strong>Grenzen</strong>-Problem als weiterführend ersche<strong>in</strong>en.<br />

Aus ökonomischer Sicht untersucht <strong>im</strong> letzten Beitrag des ersten Teils Karl von<br />

Delhaes (Marburg) die ökonomischen Funktionen von <strong>Grenzen</strong> anhand der Frage<br />

staatlicher E<strong>in</strong>wirkungen auf den grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr <strong>in</strong> <strong>Ostmitteleuropa</strong><br />

<strong>im</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert.<br />

In e<strong>in</strong>er zweiten Gruppe von Beiträgen werden <strong>in</strong> unterschiedlichen Schnittebenen<br />

von Süden nach Norden die Länder <strong>Ostmitteleuropa</strong>s <strong>in</strong> H<strong>in</strong>sicht auf Grenzprobleme<br />

beleuchtet: Zunächst erörtert Edgar Hösch (München) anhand der Staatsentstehungen<br />

<strong>im</strong> südöstlichen Europa <strong>im</strong> späteren <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>ert das, was <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er schmähenden<br />

Publizistik nach dem Ersten Weltkrieg als „Balkanisierung“ bezeichnet wurde, wenn<br />

nämlich die Parzellierung größerer Staaten nach dem nationalen Pr<strong>in</strong>zip an jenen<br />

7 Dieses Lebensgefühl sche<strong>in</strong>t <strong>im</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert häufiger vorhanden gewesen zu se<strong>in</strong>, vgl.<br />

die Memoiren von EUGEN LEMBERG: E<strong>in</strong> Leben <strong>in</strong> Grenzzonen <strong>und</strong> Ambivalenzen. Er<strong>in</strong>nerungen,<br />

niedergeschrieben 1972, mit e<strong>in</strong>em Nachtrag von 1975, <strong>in</strong>: Lebensbilder zur<br />

Geschichte der böhmischen Länder, Band 5: Eugen Lemberg 1903–1976, hrsg. von FERDI-<br />

NAND SEIBT, München 1986, S. 133–278.<br />

4


früheren Vorgang <strong>in</strong> Südosteuropa er<strong>in</strong>nerte. Grenzfragen waren <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d – nicht nur<br />

auf dem Balkan – e<strong>in</strong>gespannt <strong>in</strong> die Konkurrenz von nationalen Bewegungen <strong>und</strong><br />

<strong>in</strong>ternationalem Mächtesystem.<br />

Robert Luft (München) legt das Schicksal der „alten <strong>Grenzen</strong>“ Böhmens exemplarisch<br />

dar, <strong>in</strong>dem er zunächst sie Stück für Stück umschreitet <strong>und</strong> ihre historische<br />

Tiefe auslotet <strong>und</strong> dann die Frage nach ihrer Def<strong>in</strong>ition stellt: Es s<strong>in</strong>d weniger natürliche<br />

<strong>Grenzen</strong> als solche ger<strong>in</strong>gerer Verdichtung. E<strong>in</strong> besonderes Augenmerk richtet<br />

er auf die Praktikabilität ethnischer <strong>Grenzen</strong> – e<strong>in</strong>e für Böhmen besonders kritische<br />

Frage.<br />

Wenn die Probleme der Folgen des Münchner Abkommens für Robert Luft e<strong>in</strong>en<br />

Prüfste<strong>in</strong> für das Verhältnis von Nationalitäten <strong>und</strong> <strong>Grenzen</strong> bilden, so schließt sich<br />

daran die nahezu gleichzeitige polnische Diskussion „<strong>im</strong> Lande <strong>und</strong> <strong>im</strong> Exil“ an, die<br />

für die Zeit des Zweiten Weltkrieges W¬odz<strong>im</strong>ierz Borodziej (Warschau) nachzeichnet<br />

<strong>und</strong> dabei vor allem historische <strong>und</strong> sozusagen geopolitische Argumente als richtungweisend<br />

herausstellt. Er ordnet die Diskussion <strong>in</strong> das traditionelle <strong>und</strong> aktuelle<br />

Panorama der polnischen Politik <strong>und</strong> der sich rasch wandelnden Konstellationen <strong>im</strong><br />

alliierten Lager <strong>im</strong> Laufe des Krieges e<strong>in</strong> <strong>und</strong> diagnostiziert die polnische „Westverschiebung“<br />

als e<strong>in</strong> Stück Souveränitätsfrage.<br />

Die nördlichste Position <strong>in</strong> diesem Themenblock beleuchtet Gert von Pistohlkors<br />

(Gött<strong>in</strong>gen), der für die drei baltischen Staaten das Bed<strong>in</strong>gungsfeld von historischen<br />

<strong>und</strong> ethnischen Grenzbildungsfaktoren ausmißt <strong>und</strong> betont, daß vor diesen die völkerrechtliche<br />

Frage maßgebend für Stabilität von <strong>Grenzen</strong> bleibt.<br />

„<strong>Grenzen</strong> <strong>und</strong> Menschen <strong>im</strong> östlichen Mitteleuropa“ ist der Titel der dritten<br />

Gruppe von Referaten. Dar<strong>in</strong> wird zunächst e<strong>in</strong>leitend von Hans Lemberg (Marburg)<br />

die Genese der Rolle <strong>und</strong> der ideologischen Begründung von <strong>Grenzen</strong> bis zum Nationalstaat<br />

des <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>erts verfolgt <strong>und</strong> die <strong>in</strong> Nationalstaaten üblichen<br />

Lösungsmöglichkeiten für die grenzbed<strong>in</strong>gten nationalen M<strong>in</strong>derheiten behandelt, allem<br />

voran der Bevölkerungstransfer. Wie das Zusammenleben solcher M<strong>in</strong>derheiten<br />

<strong>und</strong> ihre Konflikte dies- <strong>und</strong> jenseits e<strong>in</strong>es relativ kle<strong>in</strong>räumigen Abschnitts e<strong>in</strong>er<br />

neuen Grenze aussehen konnten, erfährt man von Mathias Niendorf (Warschau).<br />

Schließlich werden zwei umfangreiche, <strong>in</strong> Österreich behe<strong>im</strong>atete Projekte<br />

vorgestellt: Hannelore Burger (Wien) referiert Ansätze <strong>und</strong> Ergebnisse e<strong>in</strong>es <strong>in</strong>ternationalen<br />

Projekts zu „<strong>Grenzen</strong> <strong>und</strong> Grenzüberschreitungen“ <strong>im</strong> Habsburgerreich vor<br />

der Mitte des <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts, <strong>und</strong> über die e<strong>in</strong>es österreichischtschech(oslowak)ischen<br />

Projekts berichtet Hanns Haas (Salzburg), <strong>in</strong> dem es um die<br />

langsame Nationa-<br />

lisierung von „Dörfern an der Grenze“ g<strong>in</strong>g.<br />

Den Abschluß des Bandes bildet e<strong>in</strong>e „Arbeitsbibliographie“ zum Thema <strong>Grenzen</strong>,<br />

die <strong>im</strong> Laufe von mehreren Jahren entstanden ist <strong>und</strong> an der neben dem Herausgeber<br />

verschiedene Koautoren mitgearbeitet haben. Sie hat nicht nur zur Vorbereitung<br />

der genannten Tagung gedient, sondern ist auch für Lehrveranstaltungen des Herausgebers<br />

genutzt worden <strong>und</strong> wurde an Interessenten <strong>in</strong> verschiedenen Entwicklungsstadien<br />

verteilt. Schließlich wurden wichtige Titel aus den Beiträgen dieses Bandes <strong>in</strong><br />

5


die Arbeitsbibliographie aufgenommen. Es ist zu hoffen, daß die Liste dem e<strong>in</strong>en oder<br />

der anderen, die sich mit <strong>Grenzen</strong>problemen beschäftigen, stellenweise neue Anregungen<br />

geben kann.<br />

Schließlich sei noch darauf h<strong>in</strong>gewiesen, daß während der Tagung, deren Ergebnisse<br />

<strong>im</strong> vorliegenden Band präsentiert werden, <strong>im</strong> Tagungsraum e<strong>in</strong>e von Wolfgang<br />

Kreft gestaltete Ausstellung von Karten aus dem Bestand des <strong>Herder</strong>-<strong>Institut</strong>s gezeigt<br />

wurde. 8<br />

Herrn Dr. Hans-Werner Rautenberg <strong>und</strong> dem Team der Veröffentlichungsabteilung<br />

des <strong>Herder</strong>-<strong>Institut</strong>s ist für Geduld <strong>und</strong> k<strong>und</strong>ige redaktionelle Betreuung des<br />

Bandes ausdrücklich zu danken.<br />

Lectori salutem!<br />

Marburg an der Lahn, <strong>im</strong> Herbst 1999 Hans Lemberg<br />

8 WOLFGANG KREFT: <strong>Grenzen</strong> <strong>im</strong> östlichen Mitteleuropa des <strong>19.</strong> <strong>und</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>erts <strong>im</strong><br />

Kartenbild. [Ausstellungskatalog über 27 Karten], Marburg 1995. DERS.: Das östliche Mitteleuropa<br />

des <strong>19.</strong> <strong>und</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>erts <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e <strong>Grenzen</strong> <strong>im</strong> Bild thematischer Karten,<br />

Leipzig 1996.<br />

6


<strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong> <strong>Ostmitteleuropa</strong> <strong>in</strong> der Forschung


<strong>Grenzen</strong> – e<strong>in</strong> Gegenstand wissenschaftlicher Forschung<br />

von<br />

Hans-Jürgen K a r p<br />

Die Universalität der Fragestellung, der hier mit e<strong>in</strong>igen Reflexionen nachgegangen<br />

werden soll, macht e<strong>in</strong>e Beschränkung notwendig, ermöglicht aber zugleich, die<br />

gr<strong>und</strong>sätzlichen Aspekte exemplarisch an ausgewählten Beispielen zu behandeln. Die<br />

Auswahl beschränkt sich auf drei wissenschaftliche Diszipl<strong>in</strong>en: Die Grenze als wissenschaftlicher<br />

Gegenstand wird an e<strong>in</strong>igen Forschungen aus der Sprachgeschichte,<br />

der Sozialgeschichte <strong>und</strong> der Literaturgeschichte vorgestellt werden. In ihrer allgeme<strong>in</strong>sten<br />

Form ist die Frage nach Wesen <strong>und</strong> Bedeutung von Grenze philosophischer<br />

Art. Daher sollen am Anfang die Aussagen zweier bedeutender Religionsphilosophen<br />

des <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>erts – e<strong>in</strong>es katholischen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>es evangelischen – stehen, die sich<br />

<strong>in</strong> ihrem Denken mit dem Phänomen der Grenze beschäftigt haben.<br />

I<br />

Der Freiburger Religionsphilosoph Bernhard Welte († 1983) hat sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>leitenden<br />

Dies-Vortrag des W<strong>in</strong>ters 1957/58 mit der Grenze <strong>im</strong> Leben der Wissenschaften<br />

befaßt. 1 Se<strong>in</strong>e Überlegungen beg<strong>in</strong>nen mit der Frage nach den <strong>Grenzen</strong> zwischen<br />

den e<strong>in</strong>zelnen Wissenschaften, die <strong>in</strong> den regionalen Ordnungen des Seienden gründen,<br />

nach den <strong>Grenzen</strong> der Wissenschaft selber <strong>und</strong> dem, was noch nicht oder nicht<br />

mehr Wissenschaft ist, d. h. nach den <strong>Grenzen</strong> der Wissenschaften, die sie von ihren<br />

Voraussetzungen abgrenzen, <strong>und</strong> nach ihren <strong>Grenzen</strong> zum noch nicht Gewußten <strong>und</strong><br />

zum Unwißbaren schlechth<strong>in</strong>. In e<strong>in</strong>em zweiten Schritt fragt Welte nach dem Wesen<br />

der Grenze selbst. „Grenze waltet (...) zunächst als Position, d. h. als Best<strong>im</strong>mung, sie<br />

waltet auch als Negation, d. h. als Unterscheidung“, jedoch „als e<strong>in</strong>e Unterscheidung,<br />

die überall zugleich vere<strong>in</strong>t“. 2 „Die Grenze, die die Bereiche trennt, ist auch das ihnen<br />

beide Geme<strong>in</strong>same. (...) Die Grenze waltet, <strong>in</strong>dem sie zusammenhält, verknüpft <strong>und</strong><br />

benachbart, was sie zugleich trennt. (...) Es liegt am scheidenden Wesen der Grenze<br />

1 BERNHARD WELTE: Die Grenze <strong>im</strong> Leben der Wissenschaft, <strong>in</strong>: Bedeutung <strong>und</strong> Funktion<br />

der Grenze <strong>in</strong> den Wissenschaften, Freiburg i. Br. 1958 (Freiburger Dies Universitatis,<br />

Band 6), S. 9-<strong>19.</strong><br />

2 Ebenda, S. 13.<br />

9


selbst, daß dieses mit gehe<strong>im</strong>nisvoller Notwendigkeit unverbrüchlich auch e<strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dendes<br />

ist.“ Die Frage nach dem, was die Grenze ist, „frägt schließlich <strong>in</strong> das Gehe<strong>im</strong>nis<br />

des Se<strong>in</strong>s selbst h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>.“ 3<br />

Vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> dieser dialektischen Def<strong>in</strong>ition des Wesens der Grenze wird<br />

verständlich, daß für Paul Tillich (+ 1965) „der Ort der Grenze (...) der für die Erkenntnis<br />

fruchtbare Ort“ war, wie er <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>leitung zu se<strong>in</strong>em Frühwerk „Religiöse<br />

Verwirklichung“ schrieb, <strong>in</strong> dem er sich mit dem Grenzgebiet von Kirche <strong>und</strong> Gesellschaft,<br />

von Religion <strong>und</strong> Kultur, von Heiligem <strong>und</strong> Profanem, von Theologie <strong>und</strong> Philosophie<br />

beschäftigte. 4 Tillich, der se<strong>in</strong>e wissenschaftliche Laufbahn 1924 <strong>in</strong> Marburg<br />

als außerordentlicher Professor für systematische Theologie <strong>und</strong> Religionsphilosophie<br />

begann, emigrierte 1933 nach Amerika <strong>und</strong> führte sich dort mit e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en Schrift<br />

e<strong>in</strong>, der er den Titel „On the Bo<strong>und</strong>ary-L<strong>in</strong>e“ gab. Dar<strong>in</strong> charakterisiert er <strong>in</strong> zwölf<br />

Kapiteln se<strong>in</strong> Leben <strong>und</strong> Denken. 5 In der E<strong>in</strong>leitung zu dieser autobiographischen<br />

Skizze betont er, daß der Begriff der Grenze geeignet sei, Symbol für se<strong>in</strong>e ganze persönliche<br />

<strong>und</strong> geistige Entwicklung zu se<strong>in</strong>. 6<br />

Aus Anlaß der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an Tillich<br />

hielt der Preisträger 1962 e<strong>in</strong>e Rede mit dem Titel „<strong>Grenzen</strong>“. 7 In ihr thematisierte<br />

er „das Dase<strong>in</strong> auf der Grenze, die Grenzsituation“, die „der Durchgang“ ist, „den<br />

jeder e<strong>in</strong>zelne gehen muß <strong>und</strong> den die Völker gehen müssen, um zum Frieden zu gelangen.<br />

Denn der Friede ist das Stehen <strong>im</strong> Übergreifenden, das <strong>im</strong> Überschreiten <strong>und</strong><br />

Rücküberschreiten der Grenze gesucht wird. Nur wer Anteil an den beiden Seiten e<strong>in</strong>er<br />

Grenzl<strong>in</strong>ie hat, kann dem Übergreifenden <strong>und</strong> damit dem Frieden dienen, nicht,<br />

wer sich <strong>in</strong> der momentanen Ruhe e<strong>in</strong>es fest Begrenzten sicher fühlt“. 8 In der Angst,<br />

die eigenen <strong>Grenzen</strong> zu überschreiten <strong>und</strong> dem Fremden zu begegnen, sieht Tillich<br />

die „Ursache e<strong>in</strong>es das Fremde hassenden Fanatismus. Man will die Grenze, die man<br />

nicht überschreiten konnte, auslöschen, <strong>in</strong>dem man das Fremde zerstört“. 9 „Aber die<br />

Grenze ist nicht nur das, was überschritten, sie ist auch das, was verwirklicht werden<br />

muß. Grenze gehört zur Form, <strong>und</strong> Form macht jedes D<strong>in</strong>g zu dem, was es ist.“ 10 Es<br />

geht darum, daß Personen, nicht nur als e<strong>in</strong>zelne, sondern auch als Glieder von nationalen,<br />

kulturellen <strong>und</strong> religiösen Geme<strong>in</strong>schaften, daß Völker ihre Identität <strong>und</strong> damit<br />

ihre Wesensgrenzen f<strong>in</strong>den. Identität <strong>und</strong> Wesensgrenze e<strong>in</strong>es Volkes drücken sich <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>em Berufungsbewußtse<strong>in</strong> aus. „Friede ist möglich, wo Macht <strong>im</strong> Dienst e<strong>in</strong>es<br />

3<br />

Ebenda, S. 14.<br />

4<br />

PAUL TILLICH: Religiöse Verwirklichung, Berl<strong>in</strong> 1930, hier S. 11.<br />

5<br />

Deutsch unter dem Titel: Auf der Grenze, <strong>in</strong>: PAUL TILLICH: Auf der Grenze. E<strong>in</strong>e Auswahl<br />

aus dem Lebenswerk. Mit e<strong>in</strong>em Vorwort von HEINZ ZAHRNT zur Taschenbuchausgabe<br />

(Serie Piper, Band 593), München, Zürich 1987, S. 13-68.<br />

6<br />

Ebenda, S. 13.<br />

7<br />

PAUL TILLICH: <strong>Grenzen</strong>. Rede bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen<br />

Buchhandels am 23. September 1962 <strong>in</strong> der Paulskirche <strong>in</strong> Frankfurt am Ma<strong>in</strong>, Stuttgart<br />

1962.<br />

8<br />

Ebenda, S. 4.<br />

9<br />

Ebenda, S. 7.<br />

10<br />

Ebenda, S. 9.<br />

10


echten Berufungsbewußtse<strong>in</strong>s steht <strong>und</strong> das Wissen um die Wesensgrenze die Wirklichkeitsgrenzen<br />

<strong>in</strong> ihrer Wichtigkeit herabsetzt.“ 11<br />

Zu der Theologie <strong>und</strong> Religiosität Tillichs, der zeit se<strong>in</strong>es Lebens e<strong>in</strong> Grenzgänger<br />

zwischen Theologie <strong>und</strong> Philosophie, zwischen der Theologie <strong>und</strong> allen anderen Lebensgebieten<br />

gewesen, aber niemals e<strong>in</strong> Überläufer geworden ist 12 , wird gleichwohl<br />

kritisch angemerkt, daß sie durch e<strong>in</strong>en starken, ja gefährlichen Impuls gekennzeichnet<br />

sei, „den Abstand zwischen Gott <strong>und</strong> Welt zu verwischen.“ 13<br />

II<br />

Die Sprachwissenschaft hat sich seit langem mit dem Ursprung des deutschen Wortes<br />

Grenze befaßt. G. A. Tzschoppe <strong>und</strong> G. A. Stenzel haben es 1832 für e<strong>in</strong> <strong>in</strong> Schlesien<br />

althe<strong>im</strong>isches Wort gehalten. Se<strong>in</strong>e Herkunft von dem „allen Slaven geläufigen Wort“<br />

granitza ist zuerst von Jakob Gr<strong>im</strong>m 1865 erkannt worden, nur war noch nicht klar,<br />

wann, wo zuerst <strong>und</strong> warum es entlehnt wurde. 14<br />

Für die Beantwortung dieser Fragen hat <strong>in</strong>zwischen die sprachwissenschaftliche<br />

Gr<strong>und</strong>lagenforschung mit der Aufnahme des Gesamtbestandes slawischer Wörter <strong>in</strong><br />

der deutschen Schriftsprache die Voraussetzungen geschaffen. 15 Hans-Werner Nicklis<br />

bezeichnet Granitze, Grenitze, Grenze als „das bedeutendste polnische Lehnwort der<br />

deutschen Sprache, zu dem sich (unter wenigen anderen) noch Kaschemme (= Wirtshaus)<br />

h<strong>in</strong>zugesellt“. Nach se<strong>in</strong>er Auffassung s<strong>in</strong>d „geme<strong>in</strong>sames Tr<strong>in</strong>ken <strong>und</strong><br />

,Granitzen setzen‘ als noch komplementäre Sphären e<strong>in</strong>es gemitteten Alltags zu def<strong>in</strong>ieren“.<br />

16<br />

Nach me<strong>in</strong>en eigenen tastenden Versuchen, die Rezeption des Wortes granica <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>en möglichen Zusammenhang mit e<strong>in</strong>er neuen rationalen Grenzidee <strong>im</strong> Osten zu<br />

br<strong>in</strong>gen 17 , hat auch Herbert Kolb die Vermutung geäußert, „daß das Wort damals e<strong>in</strong>e<br />

Bedeutungsnuance gehabt habe, die mit den Bezeichnungsmitteln der aufnehmenden<br />

Sprache, vorab Deutsch <strong>und</strong> Late<strong>in</strong>, nicht zureichend oder nicht prägnant wiedergegeben<br />

werden konnte“. 18<br />

11<br />

Ebenda, S. 11 f., hier S. 12.<br />

12<br />

HEINZ ZAHRNT <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Vorwort zu TILLICH: Auf der Grenze (wie Anm. 5), S. 3.<br />

13<br />

Ebenda, S. 9.<br />

14<br />

HERBERT KOLB: Zur Frühgeschichte des Wortes ,Grenze‘, <strong>in</strong>: Archiv für das Studium der<br />

neueren Sprachen <strong>und</strong> Literaturen, Bd. 226, 141 (1989), S. 344-356, hier S. 345 f., Anm. 5.<br />

15<br />

E<strong>in</strong>zelnachweise ebenda, S. 344, Anm. 1.<br />

16<br />

HANS-WERNER NICKLIS: Von der ,Grenitze‘ zur Grenze. Die Grenzidee des late<strong>in</strong>ischen<br />

Mittelalters (6. – 15. Jhdt.), <strong>in</strong>: Blätter für deutsche Landesgeschichte 128 (1992), S. 1-27,<br />

hier S. 22.<br />

17<br />

HANS-JÜRGEN KARP: <strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong> <strong>Ostmitteleuropa</strong> während des Mittelalters, Köln, Wien<br />

1972 (Forschungen <strong>und</strong> Quellen zur Kirchen- <strong>und</strong> Kulturgeschichte Ostdeutschlands, Bd.<br />

9).<br />

18<br />

KOLB (wie Anm. 14), S. 346.<br />

11


Etymologisch läßt sich granica unmittelbar auf polnisch gran zurückführen, das<br />

etwas Hervorragendes, Kantiges, Scharfes oder auch Ecke <strong>und</strong> W<strong>in</strong>kel bedeutet. 19<br />

Granica ist dann das Zeichen, die Gestalt, die durch e<strong>in</strong>e Spitze bzw. Kante charakterisiert<br />

ist. Das kann entweder e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>kerbung <strong>in</strong> Baumstämmen oder auch e<strong>in</strong> Erd-<br />

oder Holzhaufen se<strong>in</strong>, dessen Form sich nach oben verjüngt oder der an den Ecken<br />

e<strong>in</strong>es Gebiets aufgeschüttet ist. Das Wort hat aber auch – etwa <strong>im</strong> Bulgarischen – die<br />

Bedeutung von Eiche, weshalb ihm e<strong>in</strong>e „bisemantische“ Struktur zugeschrieben<br />

wird. <strong>20</strong><br />

In den Grenzbeschreibungen der Urk<strong>und</strong>en des 13. Jahrh<strong>und</strong>erts bezeichneten<br />

granicia oder granicies – also die lat<strong>in</strong>isierten Formen des polnischen granica – <strong>im</strong><br />

S<strong>in</strong>gular e<strong>in</strong>en geographischen oder topographischen Punkt am Außenrand e<strong>in</strong>es abgemessenen<br />

Gr<strong>und</strong>stücks, meistens e<strong>in</strong>en Baum, <strong>in</strong>sbesondere e<strong>in</strong>e Eiche, die durch<br />

e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>kerbung besonders gekennzeichnet ist. Durch e<strong>in</strong>e geradl<strong>in</strong>ig zu denkende<br />

Verb<strong>in</strong>dung zwischen diesen Punkten ergibt sich e<strong>in</strong>e l<strong>in</strong>eare Außenabmessung der<br />

betreffenden Landfläche, die gewöhnlich durch den Plural graniciae ausgedrückt<br />

wird. Die Bedeutung des Wortes entwickelt sich sehr schnell von Grenzzeichen über<br />

den gekennzeichneten Grenzbaum <strong>und</strong> Grenzpunkt zur Grenzl<strong>in</strong>ie.<br />

Bei diesem Bef<strong>und</strong> ist die Schlußfolgerung Kolbs e<strong>in</strong>igermaßen überraschend. Er<br />

stellt fest, „die Außenabmessung von Landbesitz durch eigens dazu markierte Bäume“<br />

sei „e<strong>in</strong> vom Altland her seit alters vertrauter (...) Brauch“, <strong>und</strong> erklärt die Entlehnung<br />

von granica „nicht zuletzt“ aus dem „Zusammentreffen e<strong>in</strong>er bekannten Sache<br />

mit e<strong>in</strong>em fremden Wort <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er mehrsprachigen Umwelt“, <strong>in</strong> der dieses Wort<br />

„den Vorzug hatte, für die Beteiligten auf beiden Seiten e<strong>in</strong>deutig zu se<strong>in</strong>“. 21<br />

Geradezu entgegengesetzt argumentiert Hans-Werner Nickels <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Habilitationsvortrag,<br />

<strong>in</strong> dem er auf dem H<strong>in</strong>terg<strong>und</strong> der Grenzidee des late<strong>in</strong>ischen Mittelalters<br />

die Entwicklung „von der ,Grenitze‘ zur Grenze“ untersucht. Er stellt die geomorphologische<br />

Struktur des Altreichs den grenzenlosen dünnbesiedelten Heide- <strong>und</strong><br />

Waldflächen des Ostens gegenüber <strong>und</strong> macht geltend, daß die gesamteuropäische<br />

Ostbewegung mit ihrer „planmäßigen, mit geometrischer Akribie vorstoßenden Landerschließung“<br />

geradezu „e<strong>in</strong>es neuen sprachlichen Gefäßes bedurfte, um die massive<br />

Kollision von Natur- <strong>und</strong> Kulturraum begrifflich fassen zu können. 22 In der ostelbischen<br />

Slavia wurde der moderne Gedanke der l<strong>in</strong>earen Grenze geboren. 23 Im Zuge<br />

der Ostkolonisation erreichte der Begriff der Grenze „e<strong>in</strong>e qualitativ neue Ebene (...),<br />

ohne aber noch den Reifegrad e<strong>in</strong>er nationalstaatlichen oder völkerrechtlichen Abgrenzungspraxis<br />

nach sich zu ziehen“. 24 ,Grenitzen zeichnen‘ <strong>und</strong> ,Grenitzen setzen‘<br />

wird zu e<strong>in</strong>em „Leitbegriff der Ostkolonisation“. 25 Im Gegensatz zum germanischen<br />

19 KARP (wie Anm. 17), S. 147 f.<br />

<strong>20</strong> KOLB (wie Anm. 14), S. 349 f.<br />

21 Ebenda, S. 355.<br />

22 NICKLIS (wie Anm. 16), S. 14.<br />

23 Ebenda, S. 17.<br />

24 Ebenda, S. <strong>19.</strong><br />

25 Ebenda, S. 22.<br />

12


Grenzumgang, der Grenzpunkte summiere, gehe es be<strong>im</strong> slawischen bzw. germanoslawischen<br />

Grenzumgang darum, L<strong>in</strong>earität zu begründen. 26 „Da sich die Regionen<br />

östlich der Elbe zu idealtypischen Gebieten von Grenzzeichen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er rationalen<br />

Grenzidee schlechth<strong>in</strong> entwickelt hatten, mußte auch der Begriff für Grenzmal <strong>und</strong><br />

für die l<strong>in</strong>eare, formale slawische Grenzauffassung endlich von der europäischen Slavia<br />

geborgt werden“. 27 Die Zuordnung der Idee l<strong>in</strong>earer Grenzziehung zur „ethnospezifischen<br />

Gedankenwelt der slawischen Völker“ n<strong>im</strong>mt der Autor allerd<strong>in</strong>gs doch<br />

nur sehr vorsichtig vor. Angedeutet wird <strong>im</strong>merh<strong>in</strong> die besondere Bedeutung der rationalen<br />

Grenzidee für den Deutschen Orden <strong>und</strong> se<strong>in</strong>en Territorialstaat 28 .<br />

III<br />

Die weitere Wort- <strong>und</strong> Begriffsgeschichte von „Grenze“ ist bisher noch unzureichend<br />

erforscht. Hans Medick hat dazu – auch <strong>im</strong> Vergleich zum Französischen („frontière“<br />

<strong>und</strong> „l<strong>im</strong>ite“ ), bei dem sich Parallelen <strong>und</strong> Eigentümlichkeiten zeigen, – e<strong>in</strong>ige Anmerkungen<br />

gemacht. 29 Er stellt zu Recht fest, daß die Begriffsgeschichte der Grenze<br />

„nur e<strong>in</strong> Bestandteil e<strong>in</strong>er umfassenden sozialgeschichtlichen Betrachtungsweise<br />

ist“ 30 , um die es ihm <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie geht.<br />

In der Gegenwart konstatiert Medick bei der Beschäftigung mit der Frage von<br />

<strong>Grenzen</strong> <strong>und</strong> Grenzziehungen e<strong>in</strong>e Verlagerung des Interesses „von den politischmilitärischen<br />

Abgrenzungen auf kulturelle <strong>und</strong> ethnische Ausgrenzungen“. 31 Er stellt<br />

die überkommene E<strong>in</strong>engung des Grenzbegriffs auf e<strong>in</strong> staatliches Territorium oder<br />

gar auf naturräumliche Vorgegebenheiten <strong>in</strong> Frage <strong>und</strong> plädiert für e<strong>in</strong>e Erweiterung<br />

durch E<strong>in</strong>beziehung symbolisch-kultureller <strong>und</strong> sozialer Elemente der Grenzziehung,<br />

Abgrenzung <strong>und</strong> Grenzbeschreibung. Als Leitgedanke für e<strong>in</strong>e von ihm angeregte<br />

vergleichende Sozialgeschichte von Grenzbildungsprozessen dient ihm e<strong>in</strong>e Formulierung<br />

des Soziologen Georg S<strong>im</strong>mel aus dem Jahre 1908: „Die Grenze ist nicht e<strong>in</strong>e<br />

räumliche Tatsache mit soziologischen Wirkungen, sondern e<strong>in</strong>e soziologische Tatsache,<br />

die sich räumlich formt.“ 32 Zur Illustration se<strong>in</strong>es Anliegens verweist Medick <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em kurzen Forschungsbericht auf hierzulande weitgehend unbekannt gebliebene<br />

26<br />

Ebenda, S. <strong>20</strong>.<br />

27<br />

Ebenda, S. 21.<br />

28<br />

Ebenda, S. <strong>20</strong>.<br />

29<br />

HANS MEDICK: Zur politischen Sozialgeschichte der <strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong> der Neuzeit Europas, <strong>in</strong>:<br />

SOWI. Sozialwissenschaftliche Informationen <strong>20</strong> (1991), Heft 3 (= Sonderheft <strong>Grenzen</strong>),<br />

S. 157-163.<br />

30<br />

DERS.: Grenzziehungen <strong>und</strong> die Herstellung des politisch-sozialen Raumes. Zur Begriffsgeschichte<br />

<strong>und</strong> politischen Sozialgeschichte der <strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong> der Frühen Neuzeit, <strong>in</strong>: Grenzland.<br />

Beiträge zur Geschichte der deutsch-deutschen Grenze, hrsg. von BERND WEISBROD,<br />

Hannover 1993, S. 195-211, hier S. <strong>20</strong>3.<br />

31<br />

Ebenda, S. 195.<br />

32<br />

GEORG SIMMEL: Soziologische Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung<br />

(1908), 6. Aufl. Berl<strong>in</strong> 1983, S. 467.<br />

13


Arbeiten wie die des deutsch-amerikanischen Historikers Dietrich Gerhard, des Gründers<br />

der französischen Annales-Schule Lucien Febvre sowie des amerikanischen Historikers<br />

Peter Sahl<strong>in</strong>s.<br />

Der gr<strong>und</strong>legende Aufsatz von Dietrich Gerhard aus dem Jahre 1961 setzte sich<br />

mit der klassischen Frontier-Hypothese des amerikanischen Historikers Frederick<br />

Jackson Turner von 19<strong>20</strong> ause<strong>in</strong>ander 33 , die e<strong>in</strong>en Zusammenhang der offenen Siedlungsgrenzen<br />

<strong>im</strong> Westen Nordamerikas mit der Entstehung e<strong>in</strong>er offenen Gesellschaft<br />

behauptete, e<strong>in</strong>em „Zusammenhang von Siedlungs- <strong>und</strong> Grenzbildungsprozessen <strong>und</strong><br />

der Ausbildung der sozialen Strukturen, der Mentalität <strong>und</strong> der politischen Kultur e<strong>in</strong>er<br />

Gesellschaft“. 34 Gerhard vergleicht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Untersuchung die Verhältnisse <strong>in</strong><br />

Nordamerika mit denen <strong>in</strong> <strong>Ostmitteleuropa</strong> <strong>und</strong> Rußland <strong>und</strong> entdeckt dort <strong>im</strong> Unterschied<br />

zu den „offenen, wandernden Grenzzonen freier Siedler des amerikanischen<br />

Westens“ stärker herrschaftlich angeleitete Siedlungsbewegungen <strong>und</strong> Grenzbildungsprozesse.<br />

35<br />

Lucien Febvres Ansatz 36 läßt sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er apodiktischen Formulierung zusammenfassen:<br />

„Nicht von der Grenze, der frontière selbst, muß man ausgehen, um sie zu<br />

erforschen, sondern vom Staat.“ 37 Personengruppen <strong>im</strong> Dienste des werdenden Territorialstaats<br />

führen e<strong>in</strong>erseits se<strong>in</strong>e <strong>Grenzen</strong> auf naturräumliche Vorgegebenheiten zurück,<br />

andererseits betonen sie die „Machbarkeit“ des Raumes durch den Staat als die<br />

grenzziehende Instanz – Grenzziehung also durch Herstellung des politisch-sozialen<br />

Raumes. Breitere Bevölkerungsgruppen s<strong>in</strong>d daran erst später <strong>in</strong>folge e<strong>in</strong>es Mentalitätswandels<br />

beteiligt, durch den sie die Grenzvorstellungen des modernen militarisierten<br />

Nationalismus ver<strong>in</strong>nerlicht haben. 38<br />

Dieser Ansatz – daß also <strong>im</strong> Prozeß der neuzeitlichen Staats- <strong>und</strong> Nationsbildung<br />

der Staat <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e <strong>Institut</strong>ionen die entscheidende oder gar alle<strong>in</strong>ige Rolle bei der<br />

Grenzsetzung spielen – wurde <strong>in</strong> den letzten Jahren durch e<strong>in</strong>e Reihe von Arbeiten,<br />

<strong>in</strong>sbesondere durch e<strong>in</strong>e Modellstudie von Peter Sahl<strong>in</strong>s 39 , <strong>in</strong> Frage gestellt. Sahl<strong>in</strong>s<br />

<strong>in</strong>terpretiert den Grenzbildungsprozeß zwischen Frankreich <strong>und</strong> Spanien <strong>in</strong> den Pyrenäen<br />

vom 17. bis zum <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>ert als e<strong>in</strong>en zweibahnigen Vorgang, nämlich ei-<br />

33 DIETRICH GERHARD: Neusiedlung <strong>und</strong> <strong>in</strong>stitutionelles Erbe. Zum Problem von Turners<br />

„Frontier“. E<strong>in</strong>e vergleichende Geschichtsbetrachtung, <strong>in</strong>: E<strong>in</strong> Leben aus freier Mitte. Beiträge<br />

zur Geschichtsforschung. Festschrift für Ulrich Noack, Gött<strong>in</strong>gen 1961, S. 255-295,<br />

auch <strong>in</strong>: DERS.: Alte <strong>und</strong> Neue Welt <strong>in</strong> vergleichender Geschichtsbetrachtung, Gött<strong>in</strong>gen<br />

1962, S. 108-140. – FREDERICK JACKSON TURNER: The Significance of the Frontier <strong>in</strong><br />

American History (1893), <strong>in</strong>: DERS.: The Frontier <strong>in</strong> American History, New York 19<strong>20</strong><br />

(Repr<strong>in</strong>t 1985), S. 1-38.<br />

34 MEDICK: Grenzziehungen (wie Anm. 29), S. 197.<br />

35 Ebenda.<br />

36 LUCIEN FEBVRE: „Frontière“ – Wort <strong>und</strong> Bedeutung (1928), <strong>in</strong>: DERS.: Das Gewissen des<br />

Historikers, Berl<strong>in</strong> 1988, S. 27-38.<br />

37 Ebenda, S. 32, zitiert nach MEDICK: Grenzziehungen (wie Anm. 29), S. 199, Anm. 10.<br />

38 MEDICK: Grenzziehungen (wie Anm. 29), S.198 f.<br />

39 PETER SAHLINS: Bo<strong>und</strong>aries. The Mak<strong>in</strong>g of France and Spa<strong>in</strong> <strong>in</strong> the Pyrenees, Berkeley<br />

14<br />

1989.


nerseits als Durchsetzung e<strong>in</strong>es vom Staat zentral gesteuerten Prozesses, andererseits<br />

als Geltendmachung spezifisch lokaler Interessen <strong>und</strong> Wahrung der lokalen Identität<br />

der Gesellschaften an der Grenze. Se<strong>in</strong>e Perspektive ist die „auf die Grenze“ <strong>und</strong> „von<br />

der Grenze her“. Im Ergebnis ersche<strong>in</strong>t die Grenze „als e<strong>in</strong> eigentümliches soziales,<br />

kulturelles <strong>und</strong> politisches Gebilde (...), das die Gesellschaften <strong>und</strong> Staaten vone<strong>in</strong>ander<br />

trennt <strong>und</strong> doch zugleich ihren Austausch fördert“. 40 So entstanden Staat <strong>und</strong> nationale<br />

Identität eher durch den alltäglichen Streit <strong>und</strong> Austausch an der Grenze als<br />

durch Aktionen <strong>in</strong> den hauptstädtischen Zentren der Macht. Solche vielgestaltigen<br />

„offenen“ <strong>Grenzen</strong>, die es auch <strong>in</strong> den Territorien des frühneuzeitlichen Deutschland<br />

gab, behielten ihre befreiende Wirkung bis weit <strong>in</strong>s <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>ert. 41<br />

IV<br />

„Offene“ <strong>Grenzen</strong> s<strong>in</strong>d gewiß etwas anderes als „verwischte“ <strong>Grenzen</strong>, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

literaturgeschichtlichen Arbeit thematisiert worden s<strong>in</strong>d. Die Kulturlandschaft Galizien<br />

mit ihren nationalen, konfessionellen <strong>und</strong> kulturellen Abgrenzungen <strong>in</strong> der zweiten<br />

Hälfte des <strong>19.</strong> <strong>und</strong> zu Beg<strong>in</strong>n des <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>erts ist Gegenstand e<strong>in</strong>er literaturwissenschaftlichen<br />

Abhandlung, mit der die Krakauer Germanist<strong>in</strong> Maria Klańska 1991<br />

hervorgetreten ist. 42 Es handelt sich um e<strong>in</strong>e Analyse deutschsprachiger Prosatexte<br />

aus der Zeit von 1846 <strong>und</strong> 1914, <strong>in</strong> denen <strong>im</strong> Gegensatz zu dem idealisierten Galizienbild,<br />

das <strong>im</strong> polnischen Bewußtse<strong>in</strong> lebendig ist, e<strong>in</strong> negatives Gegenbild der Prov<strong>in</strong>z<br />

zutage tritt, das von sozialen <strong>und</strong> ökonomischen Mißständen <strong>und</strong> nationalen<br />

Zwistigkeiten geprägt ist. Zwei Jahre später legte die Autor<strong>in</strong> an Hand literarischer<br />

Texte von Joseph Roth e<strong>in</strong>en Aufsatz über Lemberg, die mult<strong>in</strong>ationale Landeshauptstadt,<br />

vor, die sie <strong>im</strong> Titel als „Stadt der verwischten <strong>Grenzen</strong>“ bezeichnet. 43 Die vielgestaltigen<br />

<strong>Grenzen</strong> s<strong>in</strong>d allerd<strong>in</strong>gs nicht oder jedenfalls nur <strong>in</strong>direkt Gegenstand der<br />

literturwissenschaftlichen Interpretation. Das Leitmotiv der „verwischten <strong>Grenzen</strong>“<br />

stammt von Roth selbst, der 1924 <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Reportage „Lemberg, die Stadt“ 44 den genius<br />

loci der ehemaligen Hauptstadt se<strong>in</strong>er galizischen He<strong>im</strong>at festzuhalten versucht<br />

<strong>und</strong> sie eben als „Stadt der verwischten <strong>Grenzen</strong>“ gerühmt hat. E<strong>in</strong>e Mischung von<br />

nüchterner Ironie <strong>und</strong> naiv-k<strong>in</strong>dlicher Anhänglichkeit ist bezeichnend für se<strong>in</strong>e Optik,<br />

die sich etwa <strong>in</strong> der folgenden Anekdote spiegelt. „In Lemberg ereignete es sich, daß<br />

e<strong>in</strong> Lastwagenpferd durch e<strong>in</strong> offenes Kanalgitter fiel. Die Kanalöffnungen <strong>in</strong> Lemberg<br />

s<strong>in</strong>d nicht größer, die Pferde nicht kle<strong>in</strong>er als <strong>in</strong> der ganzen europäischen Welt.<br />

40<br />

MEDICK: Grenzziehungen (wie Anm. 29), S. <strong>20</strong>6.<br />

41<br />

Ebenda, S. <strong>20</strong>7.<br />

42<br />

MARIA KLAÔSKA: Problemfeld Galizien. Zur Thematisierung e<strong>in</strong>es nationalen <strong>und</strong> politisch-sozialen<br />

Phänomens <strong>in</strong> deutschsprachiger Prosa 1846-1914, Wien, Köln u.a. 1991.<br />

43<br />

DIES.: Lemberg. Die „Stadt der verwischten <strong>Grenzen</strong>“, <strong>in</strong>: Zeitschrift für Germanistik N. F.<br />

III – 1 (1993), S. 33-47.<br />

44<br />

Veröffentlicht <strong>in</strong> der „Frankfurter Zeitung“ vom 22. 11. 1924, vgl. JOSEPH ROTH: Werke,<br />

hrsg. von HERMANN KESTEN, Köln 1975-1976, Bd. IV, S. 840.<br />

15


Aber Gott läßt W<strong>und</strong>er geschehen. Jeden Tag läßt Gott W<strong>und</strong>er geschehen. Jeden<br />

Sonntag übertrifft er sich selbst.“ 45<br />

In se<strong>in</strong>en publizistischen Texten wie <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en „galizischen“ Werken gestalten sich<br />

„Roths K<strong>in</strong>dheitser<strong>in</strong>nerungen, die Sehnsucht nach dem Vielvölkerstaat, die Erlebnisse<br />

aus dem Krieg <strong>und</strong> die Verzweiflung über den allumfassenden Antisemitismus <strong>in</strong><br />

Deutschland zu e<strong>in</strong>em Mosaik der ostgalizischen Landschaft <strong>und</strong> ihrer Menschen“ 46 .<br />

E<strong>in</strong> wichtiges Element ist die jüdisch-slawische Nachbarschaft mit ihrer Spannung<br />

zwischen Fremdheit <strong>und</strong> Vertrautheit. Das Grenzgebiet zu Rußland erhält e<strong>in</strong>en ambivalenten<br />

Symbolgehalt: Bestandteil der idyllischen Landschaft s<strong>in</strong>d auch die Sümpfe.<br />

„Ke<strong>in</strong>er war so kräftig wie der Sumpf. Niemand konnte der Grenze standhalten“,<br />

heißt es <strong>im</strong> „Radetzkymarsch“. 47 Die Nähe zur russischen Grenze <strong>und</strong> die Ferne zur<br />

Hauptstadt Wien „verliehen dem Leben an der Grenze die Funktion e<strong>in</strong>er Sammell<strong>in</strong>se.“<br />

48 E<strong>in</strong>ige Gestalten sehen die kommenden Ereignisse voraus. Kritisch merkt Maria<br />

Klańska an: „Der allem Nationalen abholde <strong>und</strong> von der ungestillten Sehnsucht der<br />

ewigen Wanderer getriebene Roth konnte sich nicht <strong>in</strong> die Gedankenwelt jener nach<br />

123 Jahren der Teilung die Auferstehung ihres Staates freudig feiernden Polen h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>versetzen.“<br />

49 Man wird vielleicht h<strong>in</strong>zufügen können, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Wunsch nach<br />

Harmonie „verwischten“ sich die real existierenden <strong>Grenzen</strong>.<br />

„Verwischte <strong>Grenzen</strong>“ – das Leitmotiv zeigt, obwohl die Autor<strong>in</strong> es nur als Chiffre<br />

für das friedliche, heitere Zusammenleben verschiedener ethnischer <strong>und</strong> konfessioneller<br />

Gruppen <strong>in</strong> Lemberg zu verstehen sche<strong>in</strong>t, me<strong>in</strong>es Erachtens doch eher den<br />

ambivalenten Charakter der Grenze <strong>im</strong> Verständnis Roths. Dem Begriff haftet gar etwas<br />

Negatives, die Realitäten Negierendes an, wenn doch „Grenze“- wie oben gesagt<br />

– per def<strong>in</strong>itionem „zusammenhält, verknüpft <strong>und</strong> benachbart, was sie zugleich<br />

trennt“. 50 Wird der dialektische Charakter der Grenze „verwischt“, verliert sie ihre<br />

ordnende Funktion.<br />

Während Maria Kla¹ska e<strong>in</strong>en Aspekt von Grenze am konkreten Beispiel Galiziens<br />

<strong>und</strong> der Stadt Lemberg <strong>und</strong> auf der Gr<strong>und</strong>lage von Texten Joseph Roths <strong>in</strong> den<br />

Blick n<strong>im</strong>mt, hat der Posener Germanist Hubert Or—owski <strong>im</strong> gleichen Jahr das Thema<br />

gr<strong>und</strong>sätzlicher <strong>und</strong> allgeme<strong>in</strong>er behandelt. 51 Se<strong>in</strong> Beitrag befaßt sich mit der<br />

kurzlebigen Karriere des Begriffs der deutschen Grenzlandliteratur nach dem Ersten<br />

Weltkrieg, mit ihrer trennenden <strong>und</strong> spaltenden Funktion <strong>und</strong> ihrer politischen In-<br />

45<br />

JOSEPH ROTH: Land <strong>und</strong> Leute, <strong>in</strong>: DERS.: Werke, Bd. IV, S. 835, zitiert nach KLAÔSKA,<br />

Lemberg (wie Anm. 43), S. 40.<br />

46<br />

Ebenda, S. 41.<br />

47<br />

JOSEPH ROTH: Radetzkymarsch (Romane I), Köln 1984, S. 467, zitiert nach KLAÔSKA,<br />

Lemberg (wie Anm. 43), S. 43.<br />

48<br />

Ebenda.<br />

49<br />

Ebenda, S. 45.<br />

50<br />

Siehe oben S. 2 f. mit Anm. 3.<br />

51<br />

HUBERT OR¡OWSKI: Grenzlandliteratur. Zur Karriere e<strong>in</strong>es Begriffs <strong>und</strong> Phänomens, <strong>in</strong>:<br />

He<strong>im</strong>at <strong>und</strong> He<strong>im</strong>atliteratur <strong>in</strong> Vergangenheit <strong>und</strong> Gegenwart, hrsg. von DEMS., Instytut Filologii<br />

Germa¹skiej UAM, Pozna¹ 1993, S. 9-18.<br />

16


strumentalisierung. Se<strong>in</strong>en Ausführungen stellt der Autor als Motto e<strong>in</strong> Zitat von<br />

Horst Bienek voran: „Die Grenze ist es, die den Menschen prägt. Ganz tief, bis <strong>in</strong>s<br />

Unbewußte.“<br />

Die deutsche Grenzlandliteratur war noch bis <strong>in</strong> die Zeit nach 1945 h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> von e<strong>in</strong>er<br />

„axiologischen Asymmetrie“ best<strong>im</strong>mt, von den asymmetrischen Gegenbegriffen<br />

„Pole – Deutscher“, „Polentum – Deutschtum“, „Slaven – Germanen“. 52 Ihr stellt Or-<br />

—owski die „neue Grenzlandliteratur“ gegenüber, die es, gleichgültig, ob sie so oder<br />

wie auch <strong>im</strong>mer bezeichnet wird, <strong>in</strong> der „doppeldeutschen“ Nachkriegsliteratur <strong>und</strong><br />

auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Nationalliteraturen <strong>Ostmitteleuropa</strong>s seit e<strong>in</strong>iger Zeit gibt. Es ist die<br />

He<strong>im</strong>atliteratur (verlorener) Grenzlandschaften, die die durch die Grenzverschiebungen<br />

<strong>und</strong> Vertreibungen der Bevölkerung „verlorene He<strong>im</strong>at“ literarisch gestaltet. Diese<br />

neue Grenzlandliteratur hat gerade <strong>in</strong> der deutschen <strong>und</strong> der polnischen Literatur<br />

e<strong>in</strong>en zentralen Stellenwert erreicht. In ihr wird „die bisher best<strong>im</strong>mende Asymmetrie<br />

der ethnisch-ethisch-zivilisatorischen Legit<strong>im</strong>ierung“ zugunsten e<strong>in</strong>er „kulturanthropologisch<br />

verstandenen Nachbarschaft der Ethnien“ 53 aufgegeben. Möglich<br />

geworden ist diese – relative späte – Neuorientierung durch die – <strong>im</strong> S<strong>in</strong>ne des oben<br />

zitierten Mottos – „distanzierende Erfahrung der ,prägenden Grenze‘“. 54<br />

*<br />

Die hier vorgelegten wenigen Beispiele dürften nicht nur gezeigt haben, welche bedeutende<br />

Rolle <strong>Grenzen</strong> als Forschungsgegenstand verschiedener wissenschaftlicher<br />

Diszipl<strong>in</strong>en spielen. Sie lassen darüber h<strong>in</strong>aus erkennen, daß der Begriff der Grenze<br />

als universale anthropologische Kategorie verstanden werden muß.<br />

52 Ebenda, S. 14.<br />

53 Ebenda.<br />

54 Ebenda, S. 15.<br />

17


<strong>Grenzen</strong> – e<strong>in</strong>e geographische Zwangsvorstellung?<br />

von<br />

Horst Förster<br />

1. Zur Problematisierung: Von der „Geographie der natürlichen <strong>Grenzen</strong>“ zur<br />

„Geography of Border Landscapes“<br />

In se<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>führung zu dem Sammelband „Deutschlands <strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong> der Geschichte“<br />

spannt Alexander Demandt unter der Frage „Was heißt Grenze“ e<strong>in</strong>en weiten wissenschaftsgeschichtlichen<br />

Bogen von der „historia sacra“ bis h<strong>in</strong> zu modernen, verhaltenstheoretischen<br />

Interpretationen der Grenz- <strong>und</strong> Abgrenzungsproblematik. Er kommt dabei<br />

zu dem Schluß, daß die „Grenze“ zweifellos e<strong>in</strong> „historisches Thema von Rang“<br />

sei. Aber er fragt zugleich: Ist die „Grenze“ nicht eher e<strong>in</strong> Thema für den Geographen<br />

als für den Historiker?<br />

Zitat: „Wenn die Geschichte sich <strong>in</strong> den Bahnen bewegt, die ihr der Boden vorschreibt,<br />

wenn e<strong>in</strong>e Politik um so erfolgreicher ist, je genauer sie die Erde studiert, auf<br />

der sie sich abspielt, wenn die politischen <strong>Grenzen</strong> e<strong>in</strong>es Landes nicht eher stabil werden<br />

als sie die natürlichen L<strong>in</strong>ien erreicht haben, dann liegt der Schlüssel zu ihrem<br />

Verständnis <strong>in</strong> der Hand des Geographen“ (Demandt, 1993, S. 22).<br />

Ohne diese Übertragung e<strong>in</strong>er „Schlüsselfunktion“ aus der wissenschaftlichen<br />

Nachbarschaft überbewerten zu wollen oder die Rhetorik der Frage zu prüfen, zeigt bereits<br />

e<strong>in</strong> flüchtiger Blick <strong>in</strong> die Diszipl<strong>in</strong>geschichte der Geographie, daß dieses um die<br />

Mitte des vergangenen Jahrh<strong>und</strong>erts aufgekommene „Konzept der natürlichen <strong>Grenzen</strong>“<br />

nicht nur wissenschaftliche Irrwege verursachte (vgl. Schultz, 1993), sondern<br />

auch das Feld öffnete für e<strong>in</strong>e Politische Geographie, die nach 1933 <strong>in</strong> das Fahrwasser<br />

nationalsozialistischer Machtpolitik geriet.<br />

In e<strong>in</strong>em bereits 1969 von der Akademie für Raumforschung publizierten Referateband<br />

„Grenzbildende Faktoren <strong>in</strong> der Geschichte“ leitete der damalige Vizepräsident<br />

der Kommission der Europäischen Geme<strong>in</strong>schaft, F. Hellwig, se<strong>in</strong>en Beitrag über die<br />

„Überw<strong>in</strong>dung von <strong>Grenzen</strong>“ mit e<strong>in</strong>er Anekdote e<strong>in</strong>. Im Frühjahr 1564 versuchten<br />

zwei Landvermesser <strong>im</strong> Auftrag des Herzogs Karl III. von Lothr<strong>in</strong>gen, e<strong>in</strong>e Landkarte<br />

des Herzogtums zu erstellen, um durch e<strong>in</strong>e kartographische Aufnahme klare Verhältnisse<br />

über den Herrschaftsbereich zu ermöglichen. Doch die Auftragnehmer versagten.<br />

Aus e<strong>in</strong>er Karte, die zwanzig Jahre später auf der Gr<strong>und</strong>lage dieser Aufnahmen veröffentlicht<br />

wurde, war ersichtlich, daß die beiden Landvermesser mehr <strong>in</strong>teressiert waren<br />

an e<strong>in</strong>er Erfassung <strong>und</strong> Darstellung der Topographie von Flüssen <strong>und</strong> Seen, von Gebir-<br />

19


gen <strong>und</strong> Ebenen, von Wälder <strong>und</strong> Siedlungen – modern gesprochen, an der „geographischen<br />

Substanz“ – als an der eigentlichen Aufgabe, der Festlegung von <strong>Grenzen</strong>. Bei<br />

den Landvermessern handelte es sich um G. Mercator <strong>und</strong> se<strong>in</strong>en Sohn. Wenige Jahre<br />

später präsentierte Mercator der erstaunten Fachwelt se<strong>in</strong>e Weltkarte.<br />

Diese beiden Textbelege habe ich aus verschiedenen Gründen vorangestellt. Zum<br />

e<strong>in</strong>en kennzeichnet das von Demandt angedeutete Konzept von den „natürlichen <strong>Grenzen</strong><br />

oder L<strong>in</strong>ien“ tatsächlich den Beg<strong>in</strong>n <strong>und</strong> das von Hellwig bereits vor mehr als 25<br />

Jahren angedeutete Problem von der „Überw<strong>in</strong>dung der <strong>Grenzen</strong>“ den aktuellen Stand<br />

kulturgeographischer Forschungen zum „Phänomen Grenze“. Zum anderen zeigt sich<br />

<strong>in</strong> der Arbeitsweise Mercators nicht nur e<strong>in</strong> Gr<strong>und</strong>problem geographischer Methodologie,<br />

sondern auch die Gr<strong>und</strong>frage der „Grenzproblematik“: nämlich die Frage nach<br />

dem Maßstab.<br />

Unmittelbar vor dem Systemzusammenbruch <strong>in</strong> Ostmittel- <strong>und</strong> Osteuropa, vor der<br />

entscheidenden Zäsur <strong>in</strong> den politischen, ökonomischen <strong>und</strong> sozialen Entwicklungsprozessen<br />

Europas, die selbstverständlich auch für unser Forschungsanliegen von großer<br />

Bedeutung wurde, legten Dennis Rumley <strong>und</strong> Julian V. M<strong>in</strong>ghi unter dem Titel<br />

„The Geography of Border Landscapes“ e<strong>in</strong>en wissenschaftlich gewichtigen Beitrag<br />

vor. Auf der Gr<strong>und</strong>lage von zwölf <strong>in</strong>ternationalen Fallstudien wurde hier erstmals der<br />

Versuch unternommen, Ziele <strong>und</strong> Konzepte e<strong>in</strong>er geographischen Grenzraumforschung<br />

<strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er modernen, sozialgeographisch orientierten Politischen Geographie zu<br />

entwickeln.<br />

Zwischen diesen beiden hier angedeuteten Forschungsansätzen möchte ich me<strong>in</strong>en<br />

folgenden Diskussionsbeitrag zur Thematik „Grenze <strong>und</strong> Grenzraum als Gegenstand<br />

der geographischen Forschung“ ansiedeln.<br />

Aufgr<strong>und</strong> der übergroßen Fülle an Literatur zu diesem Forschungsfeld <strong>und</strong> <strong>im</strong> H<strong>in</strong>blick<br />

auf den mir zur Verfügung stehenden Raum möchte ich zwei Schwerpunkte setzen:<br />

1. Unter e<strong>in</strong>em ersten Punkt soll <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em sehr kurzen diszipl<strong>in</strong>historischen Exkurs e<strong>in</strong>e<br />

Annäherung an das Phänomen „Grenze“ als e<strong>in</strong>e ansche<strong>in</strong>end „geographische<br />

Zwangsvorstellung“ (Hans Lemberg) zwischen Politischer Geographie <strong>und</strong> Geopolitik<br />

versucht werden,<br />

2. <strong>und</strong> unter e<strong>in</strong>em zweiten Punkt möchte ich e<strong>in</strong>ige Forschungsfelder <strong>und</strong> Forschungsansätze<br />

vorstellen, die <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit den aktuellen raumstrukturellen<br />

Veränderungsprozessen <strong>in</strong> Europa zu sehen s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> sich thematisch<br />

zwischen angewandter Politischer Geographie <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er neuen „Geopolitik“ e<strong>in</strong>ordnen<br />

lassen.<br />

<strong>20</strong>


2. Die Grenze als Gegenstand der kulturgeographischen Forschung. Von der<br />

Politischen Geographie zur Geopolitik<br />

Bevor <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em kurzen diszipl<strong>in</strong>historischen Exkurs der Frage nachgegangen wird,<br />

„wozu <strong>und</strong> zu welchem Zweck“ versuchen Geographen <strong>Grenzen</strong> zu f<strong>in</strong>den oder zu <strong>in</strong>terpretieren,<br />

muß <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Vorbemerkung auf zwei wesentliche Prämissen unserer Betrachtung<br />

h<strong>in</strong>gewiesen werden.<br />

Seit ihrer Etablierung als moderne Wissenschaft <strong>in</strong> der zweiten Hälfte des letzten<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts (A. v. Humboldt <strong>und</strong> C. Ritter werden traditionell als ihre „Väter“ bezeichnet)<br />

gehört der sogenannte „Doppelte Dualismus“, gehören Dichotomien zum logischen<br />

System der Geographie. Stark generalisiert gesprochen bezieht sich e<strong>in</strong> erster<br />

Dualismus auf die Forschungsobjekte, auf geofaktorbezogene oder raumbezogene Fragestellungen,<br />

d.h. also z.B. auf den Gegensatz von Allgeme<strong>in</strong>er Geographie <strong>und</strong> Regionaler<br />

Geographie (Länderk<strong>und</strong>e).<br />

E<strong>in</strong> zweiter Dualismus ist mit dem Ursache-Wirkungsgefüge <strong>im</strong> physischen Bereich<br />

bzw. <strong>im</strong> anthropogenen Bereich verb<strong>und</strong>en, d.h. e<strong>in</strong>e Dichotomie zwischen Naturgesetzlichkeit<br />

<strong>und</strong> Sozialgesetzlichkeit. Seit Beg<strong>in</strong>n wissenschaftlicher geographischer<br />

Forschung wurde <strong>in</strong> vielfältigen Konzeptionen versucht, diese Dichotomien zu überw<strong>in</strong>den<br />

bzw. zu verb<strong>in</strong>den, z.B. <strong>im</strong> länderk<strong>und</strong>lichen Konzept, <strong>im</strong> Landschaftskonzept,<br />

<strong>im</strong> ökologischen Konzept, <strong>in</strong> der Prozeßforschung.<br />

E<strong>in</strong>e zweite Prämisse: Ziel e<strong>in</strong>er jeden geographischen Raumanalyse ist es, <strong>in</strong> der<br />

sche<strong>in</strong>bar ungeordneten Vielfalt der Phänomene <strong>im</strong> Raum gewisse Regelhaftigkeiten<br />

zu erkennen oder Gesetze abzuleiten. Obwohl es nun ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>deutige Def<strong>in</strong>ition dieses<br />

„Raumes“ gibt („Räume werden gemacht“), können wir ihm durchaus qualitative Eigenschaften<br />

zuweisen: z.B. Lagemoment, Fläche, Gr<strong>und</strong>rißform <strong>und</strong> auch Grenze.<br />

Folglich müssen wir bei e<strong>in</strong>er Betrachtung der Grenze als qualitative Kategorie des<br />

Raumes neben der Maßstabsebene vor allem die unterschiedlichen Objektebenen beachten.<br />

Ohne der gr<strong>und</strong>sätzlichen Diskussion um die Begriffe „Grenze“ oder „Grenzraum“<br />

ausweichen zu wollen, sei als erster Schritt unserer Betrachtung auf die unter geographiedidaktischen<br />

Zielstellungen zusammengestellte Typologie von <strong>Grenzen</strong> durch M.<br />

Geiger (1997) zurückgegriffen (Abb. 1). Während sich M. Le<strong>im</strong>gruber (1980) <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />

Forschungsbericht aus pragmatischen Gründen auf drei Gr<strong>und</strong>typen von <strong>Grenzen</strong> beschränkt<br />

(politische, wirtschaftlich-funktionale, psychologische), läßt diese Übersicht nicht<br />

nur die unterschiedlichen Objektebenen, sondern auch die verschiedenen Funktionen deutlich<br />

werden (Gr<strong>und</strong>lage: Schw<strong>in</strong>d, 1972, Ante, 1981, Haggett, 1991).<br />

Es ist nun ke<strong>in</strong>eswegs verw<strong>und</strong>erlich, daß e<strong>in</strong>e diszipl<strong>in</strong>geschichtliche Analyse h<strong>in</strong>sichtlich<br />

formaler Erkenntniswerte, konkreter Forschungskonzepte oder wissenschaftstheoretischer<br />

Ansätze über 150 Jahre h<strong>in</strong>weg e<strong>in</strong>e Entwicklung aufzeigen kann, die<br />

e<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>en ist <strong>in</strong> die jeweiligen historisch-politischen (z.T. ideologischen) oder sozial-ökonomischen<br />

Rahmenbed<strong>in</strong>gungen.<br />

Bezüglich der „Grenze als Forschungsgegenstand“ hat H.D. Schultz (1993) <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

sehr anregenden <strong>und</strong> auch zum Widerspruch herausfordernden Studie über „Deutsch-<br />

21


lands natürliche <strong>Grenzen</strong>“ diese Verflechtungen sehr deutlich werden lassen. Anknüpfend<br />

an Fichtes Auffassungen vom Staat <strong>und</strong> se<strong>in</strong>en natürlichen <strong>Grenzen</strong>, verfolgt er<br />

diese Ideen über die Gründungsphase der wissenschaftlichen Hochschulgeographie am<br />

Ende des <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts h<strong>in</strong>aus bis <strong>in</strong> die Zwischenkriegszeit. Zitat: „Vor allem war<br />

es die Geographie, <strong>in</strong> der das Konzept der ’natürlichen <strong>Grenzen</strong>‘ bzw. ’natürlicher<br />

Länder‘ auf fruchtbaren Boden fiel: Mit den ’natürlichen Ländern‘ bot sich ihr die<br />

Chance, sich aus der bloßen Hilfswissenschaft für die Geschichte, als die sie noch bis<br />

zu Beg<strong>in</strong>n des <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts galt, auf Dauer zu befreien“ (H.D. Schultz, 1993, S.<br />

34). In jene Phase, <strong>in</strong> der versucht wurde, „Staaten- <strong>und</strong> Erdgrenzen“ <strong>in</strong> E<strong>in</strong>klang zu<br />

br<strong>in</strong>gen, fallen auch jene unglückseligen Diskussionen um die Abgrenzung von Mitteleuropa,<br />

die sich von A. Zeune (1808) über v. Bülow (1834) bis h<strong>in</strong> zu Kirchhoff (1882)<br />

<strong>und</strong> Partsch (1904) verfolgen lassen <strong>und</strong> die dann vor allem durch die spätere Publikation<br />

von Naumann (1915) neuen Aufschwung erhielten.<br />

Abb. 1: Räumliche <strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong> Europa<br />

D<strong>im</strong>ension<br />

Arten von <strong>Grenzen</strong><br />

<strong>Grenzen</strong> <strong>im</strong> Naturraum:<br />

tellurische <strong>Grenzen</strong><br />

geozonale <strong>Grenzen</strong><br />

arealgeographische <strong>Grenzen</strong><br />

hypsometrische <strong>Grenzen</strong><br />

<strong>Grenzen</strong> <strong>im</strong> Kulturraum:<br />

ethnographische <strong>Grenzen</strong><br />

kulturelle <strong>Grenzen</strong><br />

siedlungsräumliche <strong>Grenzen</strong><br />

wirtschaftsräumliche <strong>Grenzen</strong><br />

verkehrsräumliche <strong>Grenzen</strong><br />

<strong>Grenzen</strong> <strong>im</strong> politischen Verwaltungsraum:<br />

transnationale <strong>Grenzen</strong><br />

nationale <strong>Grenzen</strong><br />

<strong>in</strong>tranationale <strong>Grenzen</strong><br />

<strong>Grenzen</strong> <strong>im</strong> Planungsraum:<br />

<strong>Grenzen</strong> von Strukturräumen<br />

<strong>Grenzen</strong> von Planungsregionen<br />

<strong>Grenzen</strong> von Fördergebieten<br />

<strong>Grenzen</strong> <strong>im</strong> Handlungsraum:<br />

Aktionsräumliche <strong>Grenzen</strong><br />

<strong>Grenzen</strong> <strong>im</strong> Wahrnehmungsraum:<br />

Informationsgrenzen<br />

Kommunikationsgrenzen<br />

Zeitgrenzen<br />

Quelle: Geiger, 1997, S. 5.<br />

22<br />

Beispiele von <strong>Grenzen</strong><br />

oder umgrenzten Gebieten<br />

- Kont<strong>in</strong>entalgrenzen<br />

- Kl<strong>im</strong>azonen<br />

- Naturräume, Verbreitungsgrenzen<br />

- Höhengrenzen<br />

- Volksgrenzen, Sprachgrenzen<br />

- Religionsgrenzen<br />

- Ökumene, Anökumene<br />

- Anbaugrenzen, Währungs-, Zollgrenzen<br />

- Verkehrsbarrieren, Erreichbarkeitsgrenzen<br />

- <strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong>ternationaler Bündnisse<br />

- Festland-, Meeres- u. Luftraumgrenzen<br />

- B<strong>in</strong>nengrenzen: Bezirke, Wahlkreise<br />

- Verdichtungsräume, periphere Räume<br />

- Gebietse<strong>in</strong>heiten<br />

- Zielgebiete von Fördermaßnahmen<br />

- E<strong>in</strong>zugsgebiete<br />

- Reichweitegebiete<br />

- Sperrgebiete, Schutzgebiete<br />

- Reichweite von Zensur oder Kabelnetzen<br />

- Sprachbarrieren<br />

- <strong>Grenzen</strong> von Zeitzonen


Zweifellos besaß die Geographie (besser: zahlreiche geographische Hochschullehrer)<br />

<strong>in</strong> dieser Periode, die politisch <strong>und</strong> ideologisch best<strong>im</strong>mt war durch die Reichsgründung<br />

von 1871, die Erwerbung von Kolonien seit 1884/85 <strong>und</strong> die Entstehung e<strong>in</strong>es<br />

neuen politischen Bewußtse<strong>in</strong>s (<strong>und</strong> bald <strong>im</strong>perialistischen Bewußtse<strong>in</strong>s) (BECK<br />

1973, S. 261), e<strong>in</strong>en Legit<strong>im</strong>ationsdrang. E<strong>in</strong>erseits blieb man verhaftet <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Naturdeterm<strong>in</strong>ismus,<br />

suchte die Allgeme<strong>in</strong>e Geographie wie die Länderk<strong>und</strong>e naturwissenschaftlich<br />

zu untermauern, andererseits blickte man zurück auf die Vorbilder A. v.<br />

Humboldt <strong>und</strong> C. Ritter, deren „Regionale Geographien“ sich direkt aus dem Historismus<br />

der Romantik ableiten ließen.<br />

Erst mit F. Ratzel (1844-1904) hat die Geographie <strong>im</strong> S<strong>in</strong>ne der heutigen Kulturgeographie<br />

e<strong>in</strong>e klare Systematik erfahren. Er gilt zu Recht als Begründer der beziehungswissenschaftlichen<br />

Periode der Anthropogeographie, denn für ihn stand diese<br />

Frage nach der Abhängigkeit des Menschen von den Naturbed<strong>in</strong>gungen <strong>im</strong> Vordergr<strong>und</strong><br />

des Interesses – e<strong>in</strong>e determ<strong>in</strong>istische Sicht <strong>in</strong> der Tradition des Positivismus am<br />

Ende des letzten Jahrh<strong>und</strong>erts.<br />

Ratzel gilt auch als Begründer der wissenschaftlichen Politischen Geographie. Se<strong>in</strong><br />

Bestreben, den Staat zu verstehen als e<strong>in</strong> lebendiges Gebilde, das als bodenständiger<br />

Organismus <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es Raumes zu sehen ist <strong>und</strong> <strong>in</strong> dessen Gestaltsveränderungen<br />

Gesetzmäßigkeiten zu f<strong>in</strong>den s<strong>in</strong>d, hat die deutsche <strong>und</strong> <strong>in</strong>ternationale Geographie<br />

nachhaltig bee<strong>in</strong>flußt. Mit se<strong>in</strong>er „Politischen Geographie“ (Untertitel: Oder die Geographie<br />

der Staaten, des Verkehrs <strong>und</strong> des Krieges) hat er wesentlich zur Typologie der<br />

<strong>Grenzen</strong>, so auch zur Revision des „Natürliche <strong>Grenzen</strong>-Konzeptes“ beigetragen.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs s<strong>in</strong>d die Ideen Ratzels vielfach mißverstanden <strong>und</strong> auch mißbraucht<br />

worden, nicht zuletzt der Begriff „Lebensraum“, der zwanzig Jahre später zu zweifelhaften<br />

Ehren kam.<br />

Aber auch bei Ratzel war bereits die H<strong>in</strong>wendung zu praktisch-politischen Folgerungen<br />

spürbar. Verhängnisvoll für die Diszipl<strong>in</strong>geschichte wurde dann die <strong>in</strong> Anlehnung<br />

an den schwedischen Staatsrechtler Kjellen geführte Diskussion um Geopolitik –<br />

als Lehre über den Staat, als Organismus <strong>und</strong> Ersche<strong>in</strong>ung <strong>im</strong> Raum <strong>und</strong> die Vermischung<br />

der Begriffe; die Vermischung von wissenschaftlicher Forschung <strong>und</strong> praktisch-propagandistischer<br />

Anwendung, Tendenz <strong>und</strong> Prognose. 1935 legte W. Vogel e<strong>in</strong>en<br />

umfangreichen Literaturbericht zur Politischen Geographie <strong>und</strong> Geopolitik für die<br />

Jahre 1909 bis 1934 vor. Obwohl er durchaus zwischen wissenschaftlicher Politischer<br />

Geographie <strong>und</strong> Geopolitik unterscheidet, ist se<strong>in</strong>e Argumentation für die Beschäftigung<br />

mit „<strong>Grenzen</strong>“ symptomatisch. Zitat: „Der deutschen Forschung ist der Anstoß<br />

zur <strong>in</strong>tensiven Beschäftigung mit dem Grenzproblem hauptsächlich dadurch gekommen,<br />

daß von italienischer Seite <strong>in</strong> der Anfangszeit des Weltkrieges (<strong>in</strong> der Wirklichkeit<br />

aber schon vorher) die Forderung der Ausdehnung des italienischen Staatsgebietes<br />

bis zur Hauptwasserscheide der Alpen erhoben wurde“ (VOGEL 1935, S. 163). Ähnliches<br />

galt, so Vogel, für die deutsche Westgrenze, wo die Franzosen den Rhe<strong>in</strong> seit langem<br />

zur „natürlichen Grenze“ Frankreichs stempeln wollten (vgl. Abb. 2).<br />

23


24<br />

Abb. 2


Zusammenfassend läßt sich mit J. Matznetter (1974) jene Periode der Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />

von Politischer Geographie <strong>und</strong> Geopolitik, wobei letztere zur bloßen politschen<br />

Zweckbest<strong>im</strong>mung wurde, nicht nur <strong>in</strong> die Zeitabschnitte 1919-1924, 1925-<br />

1933, 1934-1945 untergliedern, sondern lassen sich die Forschungsansätze konkret an<br />

folgenden auslösenden Momenten festmachen, so z.B.<br />

– an den Pariser Vorortverträgen,<br />

– an der Zerschlagung des Habsburgerreiches <strong>und</strong> der Entstehung der Nachfolgestaaten,<br />

– an Gebietsabtretungen <strong>und</strong> Verlusten der Überseegebiete,<br />

– an der Absperrung von Rohstoffgebieten <strong>und</strong> an dem Abdrängen von Weltmärkten.<br />

E<strong>in</strong> Forschungsansatz, der <strong>in</strong> der Diszipl<strong>in</strong>geschichte der Geographie m.E. noch<br />

kaum aufgearbeitet wurde, sei mit den Aktivitäten der Reichsarbeitsgeme<strong>in</strong>schaft für<br />

Raumforschung (z.B. Raumordnung <strong>im</strong> „Neuen Osten“) auf verschiedener Maßstabsebene<br />

abschließend angedeutet (vgl. Abb. 3).<br />

3. Die „Grenze“ <strong>in</strong> den Ansätzen moderner Regionalforschung <strong>und</strong> die „Renaissance“<br />

der Geopolitik<br />

Obwohl mit den gr<strong>und</strong>legenden Arbeiten von C. Troll (1947), H. Overbeck (1957) <strong>und</strong><br />

vor allem P. Schöller (1957) mit e<strong>in</strong>er Abklärung der Irrwege der Politischen Geographie<br />

e<strong>in</strong>e klare wissenschaftstheoretisch abgesicherte Trennung <strong>und</strong> Distanzierung der<br />

Politischen Geographie von e<strong>in</strong>er pseudowissenschaftlichen Geopolitik vorgelegt wurde,<br />

zeichnete sich die deutsche Geographie bezüglich politisch-geographischer Fragestellungen,<br />

<strong>in</strong>sbesondere bezüglich des Phänomens „Grenze“, bis <strong>in</strong> die späten 60er<br />

Jahre durch e<strong>in</strong>e z.T. verständliche Abst<strong>in</strong>enz aus.<br />

Umso stärker wurden „Grenzprobleme“ <strong>in</strong> den Analysen amerikanischer, englischer<br />

oder französischer Geographen <strong>in</strong> das politisch-geographische Forschungszentrum gerückt.<br />

So hat der 1963 von J. M<strong>in</strong>ghi vorgelegte umfangreiche Literaturbericht über die<br />

„<strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong> der Politischen Geographie“ nicht nur E<strong>in</strong>blicke <strong>in</strong> die Rezeptionsprozesse<br />

Ratzelscher Ideen <strong>und</strong> deren Weiterentwicklung (z.B. über Semple, Hold, Hartshorne<br />

oder Lösch) eröffnet, sondern <strong>im</strong> Versuch der Klassifikation der Forschungsansätze<br />

zugleich e<strong>in</strong>e Gr<strong>und</strong>legung zur „Theorie der Grenze“ geleistet. Die schon bei Ratzel<br />

<strong>und</strong> se<strong>in</strong>en Nachfolgern z.T. vorhandene Differenzierung der Term<strong>in</strong>ologie von Mark,<br />

Grenzmark, Grenzl<strong>in</strong>ie, Grenzsaum wurde <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung gesetzt mit den Term<strong>in</strong>i:<br />

border, borderl<strong>in</strong>e, bo<strong>und</strong>ary, frontier oder border landscape (vgl. Abb. 4).<br />

25


26<br />

Abb. 3


Abb. 4: Typologie der Fallstudien über Politische <strong>Grenzen</strong><br />

(nach MINGHI 1963)<br />

1. Studien über umstrittene Gebiete<br />

2. Studien über die Auswirkungen von Grenzveränderungen<br />

3. Studien über die Entwicklung von <strong>Grenzen</strong><br />

4. Studien über die Festlegung <strong>und</strong> Demarkation von <strong>Grenzen</strong><br />

5. Studien über Exklaven <strong>und</strong> Zwergstaaten<br />

6. Studien über <strong>Grenzen</strong> <strong>im</strong> Meer<br />

7. Studien über <strong>Grenzen</strong> bei Streitigkeiten um Bodenschätze <strong>und</strong> Wasser<br />

8. Studien über <strong>in</strong>nere <strong>Grenzen</strong><br />

Trotz vielfältiger neuer Aufgabendef<strong>in</strong>itionen für die Politische Geographie durch<br />

P. Schöller, K.A. Boesler <strong>und</strong> andere, wonach nicht der Staat <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em politischen<br />

Handeln <strong>im</strong> Mittelpunkt der Forschung stehen sollte, sondern die auf die Kulturlandschaft<br />

e<strong>in</strong>wirkenden politischen Kräfte – so auch die Grenze –, wurden auch unter<br />

raumordnungs- <strong>und</strong> raumordnungspolitischen Aspekten vornehmlich die B<strong>in</strong>nengrenzen<br />

(sowohl <strong>im</strong> deutschen als auch <strong>im</strong> ostmitteleuropäischen Raum) zum Gegenstand<br />

der Forschung. Die gelungene Konzeption e<strong>in</strong>er neuen Staatengeographie durch M.<br />

Schw<strong>in</strong>d (1972) bildete zweifellos – zusammen mit wenigen Ansätzen zur Erforschung<br />

grenzüberschreitender Probleme (Saarland/Lothr<strong>in</strong>gen, Regio Basiliensis, Alpen-Adria<br />

etc.) – e<strong>in</strong>e Ausnahme.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs wurden <strong>in</strong> jener Zeit – nicht zuletzt unter dem E<strong>in</strong>fluß anglo-amerikanischer<br />

Regional Science – theoretische Konzeptionen zur Grenzproblematik entwickelt<br />

(u.a. RAFFESTIN 1986; Elements for a theorie of the frontier; GUICHONNET/<br />

RAFFESTIN 1974, etc.).<br />

Für die nachfolgende, überblickartige Kennzeichnung der Forschungsfelder <strong>und</strong><br />

Forschungsansätze <strong>im</strong> S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er modernen Regionalforschung stütze ich mich auf<br />

e<strong>in</strong>ige ausgewählte Studien, die sowohl aus dem deutschsprachigen Raum als auch aus<br />

den west- <strong>und</strong> ostmitteleuropäischen Ländern vorgelegt wurden, z.B. SEGER, BELUSZ-<br />

KY (1993), AUBERT, ERDÖSI, TOTH (1993), SCHABHÜSER (1993), O’LOUGHLIN, V.D.<br />

WUSTEN (1993), SZSCEPAŃSKI (1993), HELLER (1993), HAJDÚ, HORVATH (1994), KO-<br />

TER (1995), KRÄTKE, HEEG, STEIN (1997), WACKERMANN (1998), BÜRKNER, KO-<br />

WALKE (1996).<br />

Obwohl <strong>in</strong> den meisten der mir zugänglichen Arbeiten, vor allem bei HELLER<br />

(1993) <strong>und</strong> BÜRKNER (1996), bei allen „Grenzraumforschungen“, e<strong>in</strong> Theoriedefizit<br />

konstatiert wird, möchte ich dennoch – nicht zuletzt um die Fülle <strong>und</strong> Vielfalt der Forschungsansätze<br />

etwas transparenter ersche<strong>in</strong>en zu lassen – e<strong>in</strong>ige theoretische Bemerkungen<br />

vorausschicken (vgl. Abb. 5).<br />

27


28<br />

Abb. 5


Das nebenstehende Schema nach Seger, M./Beluszky, P. (1993) versucht, die vielfältigen<br />

Aspekte der Bedeutung von <strong>Grenzen</strong> an sich <strong>und</strong> für die Grenzregion an drei<br />

theoretischen Ansätzen, die allerd<strong>in</strong>gs unterschiedlichen Sachbereichen zugeordnet<br />

s<strong>in</strong>d, festzumachen:<br />

1. der erste bezieht sich auf unterschiedliche Typen von Regionen, d.h. Areal-versus<br />

Kont<strong>in</strong>uum-Ansatz; <strong>Grenzen</strong> als Bruchl<strong>in</strong>ien <strong>und</strong> grenzunabhängige Strukturen,<br />

2. der zweite Ansatz verdeutlicht die handlungstheoretische Begründung von grenzüberschreitenden<br />

Interaktionen:<br />

a) zentrierte Regionen <strong>und</strong> peripherer Grenzraum (Peripherie-Ansatz <strong>und</strong> Übersprungeffekte),<br />

b) Potentialdifferenz- <strong>und</strong> Diffusions-Ansatz (grenzüberschreitender Verkehr <strong>und</strong><br />

Reichweiten bzw. E<strong>in</strong>zugsbereiche),<br />

3. der dritte Ansatz vermittelt als politisch-historischer Ansatz Machtverhältnisse <strong>und</strong><br />

Grenzverschiebungen.<br />

Abb. 6: Wesentliche Forschungsansätze der <strong>Grenzen</strong> <strong>und</strong> Grenzraumforschung<br />

(1) Determ<strong>in</strong>istischer Ansatz<br />

(RATZEL 1897; SEMPLE 1971; BOGGS 1940<br />

(2) Landschaftsgeographischer Ansatz<br />

(HASSINGER 1932; SCHWIND 1950; BURGHARDT 1962)<br />

(3) Sozialgeographische Ansätze:<br />

a) Wahrnehmungstheoretische Ansätze<br />

b) Verhaltensorientierte Ansätze<br />

c) Migrationstheoretische Ansätze<br />

(SEGER, BELUSZKY 1993)<br />

(4) Regionalwissenschaftliche Ansätze<br />

(KRÄTKE et al. 1997)<br />

Wenn wir nun <strong>im</strong> folgenden Schritt das umfangreiche Tableau von Forschungsfeldern<br />

<strong>und</strong> Forschungsansätzen betrachten (vgl. Zusammenstellung bei HELLER 1993,<br />

BÜRKNER et al. 1996), dann spiegelt sich dar<strong>in</strong> nicht nur e<strong>in</strong> Stück Diszipl<strong>in</strong>geschichte<br />

der „Grenzraumforschung“ wider, sondern wir erkennen <strong>in</strong> dieser Dynamik den Paradigmenwechsel<br />

der Geographie Ende der 60er Jahre, die Übernahme der Systemtheorie<br />

(Stichwort: Kulturlandschaftsforschung als Prozeßforschung) <strong>und</strong> die E<strong>in</strong>flüsse der Sozialwissenschaften.<br />

29


Um diesen Wechsel noch etwas mehr zu verdeutlichen, habe ich die Forschungsansätze<br />

auf vier wesentliche Kategorien reduziert (vgl. auch HELLER 1993), wobei ich<br />

nicht betonen muß, daß die dritte <strong>und</strong> vierte Kategorie <strong>in</strong> der empirischen Praxis oftmals<br />

verknüpft s<strong>in</strong>d (vgl. Abb. 6).<br />

Es bleibt hier zunächst festzuhalten, daß e<strong>in</strong>e moderne politisch-geographische wie<br />

auch wirtschaftsgeographische Analyse von <strong>Grenzen</strong> <strong>und</strong> Grenzregionen auf der<br />

Gr<strong>und</strong>lage sozialgeographischer Fragestellungen resp. regionalwissenschaftlicher Ziele<br />

zu erfolgen hat. Beispiele bilden jene zahlreichen Studien aus dem deutschfranzösischen<br />

Grenzraum, aber auch aus den Grenzgebieten Bayerns <strong>und</strong> Böhmens,<br />

Westungarns oder Österreichs bzw. aus den deutsch-polnischen Grenzgebieten.<br />

Aus der Vielzahl der Forschungsarbeiten zu den „border-regions“ seien exemplarisch<br />

nur die Untersuchungen der PAN (1994), die Analysen der deutsch-polnischen<br />

Raumordnungskommission (1993) oder die Analysen zu den Euro-Regionen (Deutschland,<br />

Polen, Tschechien) genannt.<br />

Neben dieser politisch-geographischen Regionalanalyse zu Grenzräumen, neben<br />

dem neuen Aufschwung der Politischen Geographie als Folge neuer politischer Strukturen<br />

<strong>und</strong> Konflikte, läßt sich aber zugleich e<strong>in</strong>e erstaunliche Renaissance der Geopolitik<br />

verzeichnen.<br />

Nicht zuletzt unter dem E<strong>in</strong>fluß resp. <strong>in</strong> Anlehnung an die französischen Arbeiten<br />

von M. Foucher (1993) lassen sich <strong>in</strong> Polen wie <strong>in</strong> Tschechien neuerd<strong>in</strong>gs Forschungen<br />

zur geostrategischen <strong>und</strong> geopolitischen Situation jener Länder f<strong>in</strong>den. Beispiele: der<br />

1993 <strong>in</strong> Ljubljana publizierte Sammelband zu geographischen Aspekten der Grenzgebiete<br />

(Beiträge über Slowenien, Ungarn, Slowenien/Italien, Österreich etc.), vor allem<br />

aber der 1993 vom IG PAN veröffentlichte Band zur „Contemporary Political Geography“<br />

bzw. der 1994 <strong>im</strong> tschechischen „Sbornik“ (99/1994) abgedruckte Beitrag zur<br />

„Geopolitischen Entwicklung des tschechischen Staates“.<br />

Bereits zu E<strong>in</strong>gang dieses Diskussionsbeitrages war darauf h<strong>in</strong>gewiesen worden,<br />

daß sich mit den e<strong>in</strong>schneidenden Veränderungen <strong>in</strong> Europa, mit der zunehmenden Integration<br />

<strong>in</strong> Westeuropa <strong>und</strong> den raumwirksamen Transformationsprozessen <strong>in</strong> Ostmittel-<br />

<strong>und</strong> Osteuropa auch die Thematik der Grenz- <strong>und</strong> Grenzraumforschung verändert<br />

hat. Während <strong>im</strong> Westen als Auswirkungen jener Prozesse die räumlichen Disparitäten<br />

trotz gegensteuernder Bemühungen der Raumordnungspolitik <strong>im</strong>mer mehr zunehmen,<br />

treten <strong>im</strong> Osten als Folge jener Transformationen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er kaum vorhandenen Regionalpolitik<br />

vorsozialistische Raummuster wieder <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung. Allgeme<strong>in</strong> läßt sich,<br />

das zeigen zahlreiche raumstrukturelle Analysen aus Ungarn, Polen oder Tschechien,<br />

e<strong>in</strong>e Renaissance des Regionalismus konstatieren.<br />

30


Abb. 7<br />

31


Abb. 8: Grenzraumforschungvor Beg<strong>in</strong>n der Transformationsprozesse <strong>in</strong> Europa<br />

(1) Grenzregionen als periphere Räume<br />

(2) Grenzüberschreitende Beziehungen<br />

(3) E<strong>in</strong>fluß der <strong>Grenzen</strong> auf das Verhalten der Grenzlandbewohner<br />

Grenzraumforschung seit Beg<strong>in</strong>n der Transformationsprozesse<br />

(1) Verhalten der Bevölkerung <strong>in</strong> den Grenzregionen<br />

(<strong>im</strong> S<strong>in</strong>ne aktionsräumlicher Verflechtungsanalysen)<br />

(2) Ökonomische Umstrukturierungsprozesse <strong>in</strong> den Grenzregionen (<strong>im</strong> S<strong>in</strong>ne<br />

regionalwissenschaftlicher Analysen)<br />

(3) Analysen der neuen grenzüberschreitenden Planungsregionen (<strong>im</strong> doppelten<br />

S<strong>in</strong>ne: von „oben“, von „unten“)<br />

(4) Gesamtgesellschaftliche Transformationsanalysen als Basis zur Untersuchung<br />

regionaler Veränderungsprozesse<br />

Zweifellos wird die neue räumliche Dynamik <strong>in</strong> Europa durch die Transformation<br />

der Länder des ehemaligen RGWs <strong>und</strong> ihre Integration <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en europäischen Wirtschaftsraum<br />

wesentlich verändert werden. In diesem Zusammenhang ergeben sich auch<br />

für die Grenz- <strong>und</strong> Grenzraumforschung neue Aufgabenfelder. Die nachfolgende Übersicht<br />

(vgl. Abb. 8) ist e<strong>in</strong> Ergebnis der aktuellen Diskussion um diese Forschungsfelder<br />

(vgl. Varia-Sitzung auf dem Potsdamer Geographentag 1995 bzw. die Beiträge von<br />

BÜRKNER, MAIER, WEBER, STRYJAKIEWICZ, ASCHAUER, 1996). Während <strong>in</strong> der Zeit<br />

vor der „Wende“ mehr raumstrukturelle Fragen („Periphere Räume“) <strong>und</strong> beschreibende<br />

Analysen grenzüberschreitender Beziehungen <strong>im</strong> Mittelpunkt standen, rücken nun<br />

verstärkt – neben den modernen regionalwissenschaftlichen Analysen – auch sozialökonomisch<br />

best<strong>im</strong>mte Themen <strong>in</strong> den Mittelpunkt.<br />

Als e<strong>in</strong> Beispiel für die aktuellen Ansätze regionalwissenschaftlicher „Grenzraumforschung“<br />

sei die Untersuchung von KRÄTKE et al. (1997) über die Deutsch-Polnische<br />

Grenzregion (vgl. Abb. 9) angeführt.<br />

Die bereits mehrfach angesprochenen gegenwärtigen Raumentwicklungsprozesse <strong>in</strong><br />

Europa, die mit Integration, Transformation, EU- <strong>und</strong> NATO-Osterweiterung nur<br />

stichwortartig umrissen werden können, bedeuten für die Politische Geographie wie<br />

auch für die moderne Wirtschaftsgeographie neue Aufgabenfelder. Nicht mehr die<br />

„Abgrenzung“ steht dabei <strong>im</strong> Mittelpunkt, sondern die mögliche „Überw<strong>in</strong>dung“ der<br />

Grenze. Die Renaissance des politischen <strong>und</strong> sozial-ökonomischen Regionalismus<br />

führt zur Entstehung „neuer Räume“, denen wiederum neue Qualitäten, z.B. die Grenze,<br />

zukommt. Solche „neuen Räume“ bilden z.B. die grenzüberschreitenden Planungs-<br />

<strong>und</strong> Entwicklungsräume, denen e<strong>in</strong> aus dem „Westen“ <strong>im</strong>portiertes Raummodell (EU-<br />

32


Abb. 9<br />

33


Abb. 10<br />

34


Abb. 11<br />

35


REGIO) zugr<strong>und</strong>e liegt <strong>und</strong> das zur Aktivierung des endogenen Raumpotentials resp.<br />

zur Strukturverbesserung ehemals peripherer Grenzregionen führen soll (vgl. Abb. 10).<br />

So hat die Grenze als Gegenstand der Politischen Geographie <strong>im</strong> Zuge der diszipl<strong>in</strong>historischen<br />

Entwicklungen sehr unterschiedliche wissenschaftliche Bewertungen<br />

erfahren, von der natürlichen <strong>und</strong> politischen Grenze <strong>in</strong> der Abkopplungs- <strong>und</strong> Etablierungsphase<br />

der wissenschaftlichen Geographie über die Politisierung der Grenze <strong>und</strong><br />

ihre Instrumentalisierung <strong>im</strong> S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er irregeleiteten Geopolitik bis h<strong>in</strong> zur Grenze<br />

als Faktor der Kulturlandschaftsentwicklung.<br />

Der neue Regionalismus <strong>in</strong> Europa (sowohl e<strong>in</strong> politischer als auch e<strong>in</strong> sozialökonomischer)<br />

hat die Regionalwissenschaftler zur Konstruktion zahlreicher „Raummodelle“<br />

verführt (Abb. 11). Diese Raummuster s<strong>in</strong>d <strong>im</strong> wesentlichen Erkenntnisse der<br />

neuen „Geopolitik“, als Beispiele s<strong>in</strong>d hier Brunet, Foucher, Lacoste, aber auch Gorzelak<br />

zu nennen. Um e<strong>in</strong> Abdriften dieser neuen Geopolitik, verstanden als <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre<br />

Lehre, <strong>in</strong> re<strong>in</strong>e Geostrategie zu vermeiden, sollte die Politische Geographie<br />

hierzu die theoretischen Gr<strong>und</strong>lagen bieten (vgl. BOESLER 1997).<br />

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37


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Jahrbuch 49 (1935), S. 78-304.<br />

38


Der Wandel der Funktion von <strong>Grenzen</strong> <strong>im</strong><br />

<strong>in</strong>ternationalen System <strong>Ostmitteleuropa</strong>s <strong>im</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

von<br />

Peter Krüger<br />

E<strong>in</strong> für unser Thema <strong>in</strong> jeder H<strong>in</strong>sicht belangvolles amerikanisches Sprichwort lautet:<br />

„Good fences make good neighbors“, <strong>und</strong> es f<strong>in</strong>det besondere Anerkennung <strong>im</strong> amerikanischen<br />

Westen, dem heroisierten <strong>und</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Wirkungen so umstrittenen Entfaltungsraum<br />

der „Frontier“, des <strong>im</strong>mer weiter vorgeschobenen Grenzraumes <strong>im</strong> Prozeß<br />

der Erschließung der kont<strong>in</strong>entalen Landmasse durch die Amerikaner. Wenn man<br />

das Phänomen der Grenze genauer untersuchen <strong>und</strong> Aussagen darüber sammeln will,<br />

kann die Feststellung: „Gute Zäune – gute Nachbarn“ Aufmerksamkeit beanspruchen;<br />

denn sie besagt, auf das Thema übertragen, daß gut geregelte <strong>Grenzen</strong> e<strong>in</strong> gutes Zusammenleben<br />

der Staaten ermöglichen. Gut geregelte <strong>Grenzen</strong> s<strong>in</strong>d demnach offenk<strong>und</strong>ig<br />

solche, die klar festgelegt, unstrittig, gesichert <strong>und</strong> von allen Beteiligten akzeptiert<br />

s<strong>in</strong>d, <strong>in</strong>sbesondere also solche, die ke<strong>in</strong>e Beunruhigung oder Bedrohungsängste<br />

auslösen oder etwa durch die Art ihrer Entstehung <strong>und</strong> die Machtverhältnisse e<strong>in</strong>e<br />

Gefahr bedeuten. Diese Voraussetzungen weisen aber schon über die eigentliche<br />

Grenzregelung h<strong>in</strong>aus. Ihre befriedigende Festlegung alle<strong>in</strong> genügt nicht; um sie dauerhaft<br />

zu sichern, bedarf es e<strong>in</strong>es weiterreichenden <strong>in</strong>ternationalen E<strong>in</strong>vernehmens,<br />

also e<strong>in</strong>es gut geordneten Staatensystems. Ke<strong>in</strong>e dieser Voraussetzungen traf zu, als<br />

die Sieger des Ersten Weltkriegs nach harten Ause<strong>in</strong>andersetzungen die <strong>Grenzen</strong><br />

<strong>Ostmitteleuropa</strong>s neu gezogen hatten. Es gab weder viele gute Zäune noch gute<br />

Nachbarn, es gab daher ebensowenig e<strong>in</strong> zufriedenstellend geregeltes, funktionierendes<br />

<strong>in</strong>ternationales System – trotz aller Anstrengungen auf der Pariser Friedenskonferenz;<br />

die Interessen <strong>und</strong> Ziele divergierten zu sehr. Aber die zum Teil katastrophalen<br />

Auswirkungen der neuen <strong>Grenzen</strong> – Auswirkungen, die man übrigens ke<strong>in</strong>esfalls<br />

pauschal der Friedenskonferenz zur Last legen sollte, die bei der Grenzziehung vor<br />

ungeahnten Schwierigkeiten stand – bleiben weith<strong>in</strong> unerklärlich, wenn man sie nur<br />

<strong>im</strong> Kontext <strong>und</strong> als Ergebnis der Neuordnung nach dem Ersten Weltkrieg betrachtet,<br />

gleichgültig, ob die Konsequenzen für e<strong>in</strong>zelne Länder oder für das <strong>in</strong>ternationale System<br />

zur Debatte stehen. Aufgr<strong>und</strong> der anhaltenden Brisanz dieser Problematik sche<strong>in</strong>en<br />

e<strong>in</strong>ige Überlegungen über den Charakter von <strong>Grenzen</strong> <strong>und</strong> über ihre Funktion <strong>in</strong><br />

langfristigen historischen Zusammenhängen s<strong>in</strong>nvoll <strong>und</strong> veranlaßt.<br />

E<strong>in</strong>e systematische <strong>und</strong> umfassende Erörterung des Themas der Grenze <strong>in</strong> Vergangenheit<br />

<strong>und</strong> Gegenwart ist hier nicht erforderlich, vielmehr geht es um e<strong>in</strong>ige Gesichtspunkte<br />

<strong>in</strong> bezug auf den Gegenstand der Tagung, zu dem ich mit me<strong>in</strong>en Aus-<br />

39


führungen angesichts der aus diesen Anlaß versammelten geballten Sachkompetenz<br />

nur e<strong>in</strong>en bescheidenen, auf e<strong>in</strong>ige Zusammenhänge <strong>und</strong> fortbestehende Fragen aufmerksam<br />

machenden Beitrag leisten kann. Warnen möchte ich zunächst vor e<strong>in</strong>er bedeutungsschweren<br />

Überfrachtung des Begriffs der Grenze, <strong>in</strong>sbesondere für die deutsche<br />

Geschichte, so nahe das gerade hier liegt, angesichts der Schwierigkeiten, welche<br />

die deutsche Nation mit ihren <strong>Grenzen</strong> hatte. 1 Die Grenze ist allerd<strong>in</strong>gs, <strong>und</strong> zwar<br />

für mehrere wissenschaftliche Diszipl<strong>in</strong>en, e<strong>in</strong>e Forschungsaufgabe von herausragender<br />

Bedeutung, weil Abgrenzungen für jede Form <strong>und</strong> Stufe menschlicher Kultur unentbehrlich<br />

s<strong>in</strong>d. Wahllose Begeisterung für das Überw<strong>in</strong>den <strong>und</strong> Aufheben von<br />

<strong>Grenzen</strong>, gleich welcher Art, zeugt nur von Naivität oder fortgeschrittener Gedankenlosigkeit,<br />

ke<strong>in</strong>esfalls jedoch von fortschrittlichem Denken, aber das bedeutet nicht,<br />

daß man der Versuchung nachgeben sollte, sie zum Mythos zu stilisieren. Es gibt genug<br />

derartiger Mythen, <strong>und</strong> wir brauchen dabei nicht nur an die häufigen Ansätze <strong>und</strong><br />

unsäglichen Formulierungskünste <strong>im</strong> Deutschen zu denken, etwa an die makabre<br />

Wortschöpfung „blutende <strong>Grenzen</strong>“ 2 ; denn dazu zählt auch der Mythos von den natürlichen<br />

<strong>Grenzen</strong> 3 <strong>und</strong> selbstverständlich die „Frontier“, der Mythos von der den<br />

amerikanischen Nationalcharakter prägenden Kraft der wandernden Grenze <strong>im</strong> Zuge<br />

der Westexpansion der Vere<strong>in</strong>igten Staaten, e<strong>in</strong> Mythos, der übrigens unter ähnlichen<br />

Voraussetzungen auch andernorts entstand oder Nachahmung fand wie etwa <strong>in</strong> der<br />

„Frontera“ Chiles. 4 Damit ist schon e<strong>in</strong>e wesentliche Funktion von <strong>Grenzen</strong> für den<br />

nationalen Mythos genannt – mit beträchtlichen Auswirkungen für die Nachbarn <strong>und</strong><br />

damit für das <strong>in</strong>ternationale System.<br />

E<strong>in</strong> für die deutsche Geschichte vergleichbar mythenträchtiges Grenz-Syndrom<br />

heißt Ostkolonisation. Dieser historische Vorgang wurde später, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er vom geschichtlichen<br />

Denken nachhaltig bee<strong>in</strong>flußten Zeit, <strong>in</strong>terpretiert als das Vorantreiben<br />

der nationalen <strong>Grenzen</strong> <strong>im</strong> Osten seit dem Hochmittelalter, <strong>und</strong> er prägte sich tief <strong>in</strong><br />

das deutsche National- <strong>und</strong> Geschichtsbewußtse<strong>in</strong> e<strong>in</strong>, obwohl sehr zweifelhaft ist,<br />

<strong>in</strong>wieweit sich die neuzeitliche, an Hand des territorial geschlossenen, souveränen<br />

Staates entwickelte Auffassung von präzisen <strong>Grenzen</strong> als wesentliches Element moderner<br />

Staatsbildung 5 überhaupt auf mittelalterliche Verhältnisse anwenden läßt.<br />

1 Deutschland, deutscher Staat, deutsche Nation. Historische Erk<strong>und</strong>ungen e<strong>in</strong>es Spannungsverhältnisses,<br />

hrsg. von PETER KRÜGER, Marburg 1993, S. 42ff.<br />

2 Siehe z. B.: Blutende <strong>Grenzen</strong>. Deutsche Not <strong>in</strong> der Ostmark, hrsg. von PAUL ROGGEN-<br />

HAUSEN, Bielefeld, Leipzig o.J. (Velhagen & Klas<strong>in</strong>gs deutsche Lesebogen, Nr. 172).<br />

3 LUCIEN FEBVRE: »Frontière« Wort <strong>und</strong> Bedeutung [1928], <strong>in</strong>: DERS.: Das Gewissen des<br />

Historikers, Berl<strong>in</strong> 1988, S. 27-38; PETER SAHLINS: Natural Frontiers Revisited. France's<br />

Bo<strong>und</strong>aries s<strong>in</strong>ce the Seventeenth Century, <strong>in</strong>: American Historical Review 95 (1990), S.<br />

1423-1451.<br />

4 FREDERICK JACKSON TURNER: The Frontier <strong>in</strong> American History, New York 19<strong>20</strong>; außerdem<br />

den Roman von LUIS DURAND: Frontera, Santiago de Chile 1949.<br />

5 Anregend darüber SAMUEL E. FINER: State-build<strong>in</strong>g, State Bo<strong>und</strong>aries and Border Control.<br />

An Essay on Certa<strong>in</strong> Aspects of the first State-Build<strong>in</strong>g <strong>in</strong> Western Europe considered <strong>in</strong><br />

the Light of the Rokkan-Hirschman Model, <strong>in</strong>: Social Science Information 13 (1974), S.<br />

79-126.<br />

40


Wenn auch ke<strong>in</strong>eswegs unbestritten, wurde die seit der zweiten Hälfte des <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

maßgeblich von politischen Intentionen bee<strong>in</strong>flußte Rücker<strong>in</strong>nerung an die<br />

Ostkolonisation dann nach 1918, unter den Auspizien des nationalistischen Grenz-<br />

<strong>und</strong> Volkstumskampfes, der emphatisch beschworenen deutschen Kulturmission <strong>im</strong><br />

Osten <strong>und</strong> des noch geschichtsmächtigeren Mythos vom Vorrang beanspruchenden,<br />

kaum abgrenzbaren Reich der Deutschen <strong>in</strong> Mitteleuropa, zu e<strong>in</strong>er erheblichen Bee<strong>in</strong>trächtigung<br />

der Fähigkeit des <strong>in</strong>ternationalen Systems, auf der Basis der neuen <strong>Grenzen</strong><br />

akzeptable, zur Kooperation e<strong>in</strong>ladende Verhältnisse <strong>in</strong> <strong>Ostmitteleuropa</strong> herbeizuführen.<br />

Zweifellos gab es noch andere Bee<strong>in</strong>trächtigungen, <strong>und</strong> das Deutsche Reich<br />

war auch nicht der e<strong>in</strong>zig Schuldige. Trotzdem liegt <strong>in</strong> den jeweils vorherrschenden<br />

nationalen <strong>und</strong> von daher <strong>in</strong> dieser Region tief historisch geprägten Vorstellungen<br />

über die <strong>Grenzen</strong> – Vorstellungen, die mite<strong>in</strong>ander unvere<strong>in</strong>bar waren <strong>und</strong> e<strong>in</strong> von<br />

hoher Konfliktbereitschaft zeugendes Bewußtse<strong>in</strong> hervorbrachten – der schwerwiegendste<br />

Gr<strong>und</strong> für die Ruhelosigkeit <strong>und</strong> Instabilität des ohneh<strong>in</strong> erschütterten <strong>in</strong>ternationalen<br />

Systems <strong>in</strong> <strong>Ostmitteleuropa</strong>. Die neuen <strong>Grenzen</strong> nach dem Ersten Weltkrieg<br />

waren zur Befriedigung sowohl nationalstaatlicher als auch ethnischer Ansprüche<br />

gezogen worden <strong>und</strong> erfüllten <strong>in</strong>folgedessen e<strong>in</strong>e spezifisch moderne Funktion,<br />

die sich allerd<strong>in</strong>gs mit e<strong>in</strong>em <strong>im</strong>mer enger verflochtenen Staatensystem schwer vere<strong>in</strong>baren<br />

ließ. Die Feststellung bedarf allerd<strong>in</strong>gs weiterer Begründungen <strong>und</strong> Überlegungen.<br />

Heutzutage kann man, besonders <strong>in</strong> sogenannten fortschrittlichen Kreisen, den<br />

E<strong>in</strong>druck gew<strong>in</strong>nen, <strong>Grenzen</strong> seien nur noch dazu da, um überw<strong>und</strong>en zu werden, ja –<br />

sie seien Relikte e<strong>in</strong>es überholten Staatsverständnisses des eifersüchtig auf se<strong>in</strong>e Unversehrtheit<br />

bedachten Nationalstaats, e<strong>in</strong>er Wortverb<strong>in</strong>dung von zwei politischgesellschaftlichen<br />

Gestaltungsformen, Staat <strong>und</strong> Nation, die <strong>im</strong> Gr<strong>und</strong>e beide obsolet<br />

seien <strong>und</strong> daraus möglichst bald die Konsequenzen zu ziehen hätten. Das ist falsch.<br />

Wer sich heute ernsthaft mit <strong>Grenzen</strong> beschäftigt, sollte dies unvore<strong>in</strong>genommen tun<br />

<strong>und</strong> sie nicht von vornhere<strong>in</strong> zu den Häßlichkeiten des menschlichen Dase<strong>in</strong>s rechnen.<br />

Alle Vorteile <strong>und</strong> Fortschritte des Rechtsstaates, der Verfassung, der Menschen-<br />

<strong>und</strong> Bürgerrechte, <strong>im</strong> Gr<strong>und</strong>e der Kultur <strong>und</strong> Gesittung des Menschen s<strong>in</strong>d nur <strong>in</strong> der<br />

Abgegrenztheit des eigenen, überschaubaren Geme<strong>in</strong>wesens durchzusetzen <strong>und</strong> zu<br />

gewährleisten, ungeachtet der Forderung nach ihrer universellen Geltung; denn selbst<br />

wenn sie auf der ganzen Welt durchgesetzt wären, blieben doch die vielen unterschiedlichen,<br />

traditionsgeb<strong>und</strong>enen Formen ihrer Verwirklichung. Aber nicht alle<strong>in</strong><br />

von e<strong>in</strong>er weltumspannenden Kultur- <strong>und</strong> Rechtsgeme<strong>in</strong>schaft, auch von e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>heitlichen<br />

Weltgesellschaft s<strong>in</strong>d wir noch sehr weit entfernt, <strong>und</strong> es ersche<strong>in</strong>t wenigstens<br />

zweifelhaft, ob man diesen Zustand unbed<strong>in</strong>gt ändern sollte, selbst <strong>in</strong> Anbetracht<br />

der Tatsache, daß die Ambivalenz aller menschlichen Gestaltungen die Abgegrenztheit<br />

politischer Organisation zu e<strong>in</strong>er Quelle des Unrechts <strong>und</strong> des Schreckens<br />

machen kann.<br />

Akzeptierte Normen des Verkehrs der Menschen untere<strong>in</strong>ander hängen nicht von<br />

der e<strong>in</strong>heitlichen, grenzenlosen Weltgesellschaft ab. Erst <strong>Grenzen</strong> gewähren die Möglichkeit<br />

wirksamer Maßnahmen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>igermaßen homogenen <strong>und</strong> dauerhafter<br />

41


Ordnung zugänglichen Anwendungsbereich, erst <strong>Grenzen</strong> schaffen die Voraussetzungen<br />

für die Gültigkeit von Maßnahmen über die <strong>Grenzen</strong> h<strong>in</strong>aus durch Interessenausgleich<br />

<strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>barungen zwischen den Staaten <strong>und</strong> vor allem durch die Ermöglichung<br />

der adäquaten Verwirklichung geme<strong>in</strong>sam als s<strong>in</strong>nvoll anerkannter Regelungen<br />

<strong>in</strong> unterschiedlichen Rechts- <strong>und</strong> Kulturbereichen.<br />

Dies <strong>in</strong> Rechnung gestellt, erhält der vielgeschmähte, engstirnige Nationalismus<br />

der 1918/19 neu geschaffenen oder nach Umfang <strong>und</strong> Struktur tiefgreifend veränderten<br />

Staaten Osteuropas 6 e<strong>in</strong> etwas anderes Aussehen. Auch wenn ihre Verantwortung<br />

für e<strong>in</strong>e ganze Reihe von Fehlentwicklungen bestehen bleibt, so ist doch anzuerkennen,<br />

daß die klare Abgrenzung des neuen Staatsgebiets <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e volle Unabhängigkeit<br />

<strong>und</strong> nationale Verfügbarkeit e<strong>in</strong>e geradezu existentielle Bedeutung für diese Staaten<br />

<strong>und</strong> ihre, ungeahnte Anstrengungen kostende, Konsolidierung besaß – Unterpfand<br />

ihrer ungesicherten Souveränität. Diese wichtige Funktion der <strong>Grenzen</strong> <strong>und</strong> der Unabhängigkeit<br />

gilt <strong>im</strong> Zeitalter des modernen souveränen Staates generell als unentbehrlich<br />

gerade für neue, stark vergrößerte oder anderen gr<strong>und</strong>legenden Veränderungen<br />

unterworfene Staaten. Allerd<strong>in</strong>gs kann die damit gewonnene Eigenständigkeit nur<br />

die Voraussetzung für die Konsolidierung se<strong>in</strong> <strong>und</strong> muß zur Verfassungs-, Verwaltungs-<br />

<strong>und</strong> Gesellschaftsreform als Mittel der staatlichen Integrierung genutzt werden,<br />

wie etwa <strong>in</strong> den Rhe<strong>in</strong>b<strong>und</strong>staaten. Geschlossene, mit nationalistischer Symbolik<br />

überlastete <strong>Grenzen</strong> <strong>und</strong> eifersüchtig bewachte Unabhängigkeit auf allen Gebieten<br />

schaffen alle<strong>in</strong> noch ke<strong>in</strong>e dauerhafte Stabilisierung des Staates; beides wirkt <strong>im</strong> Gegenteil<br />

auf Dauer destabilisierend, weil es dann eigentlich zum Selbstzweck erhoben,<br />

das Verhältnis von Zweck <strong>und</strong> Mitteln umgekehrt wird. Hier deuten sich wechselseitig<br />

wirkende Zusammenhänge von Grenze <strong>und</strong> Verfassung an, <strong>und</strong> die Sicherung der<br />

Grenze erhält e<strong>in</strong>e viel umfassendere staatlich-gesellschaftliche D<strong>im</strong>ension; sie erschöpft<br />

sich nicht <strong>in</strong> der Verteidigung oder <strong>in</strong>ternationalen Garantie. Integration von<br />

Staat <strong>und</strong> Gesellschaft ist e<strong>in</strong>e unerläßliche, obgleich ebensowenig ausreichende, Bed<strong>in</strong>gung<br />

der Grenzsicherung; auch das Deutsche Reich hat das <strong>im</strong> Falle Elsaß-<br />

Lothr<strong>in</strong>gens erfahren müssen. Das ist auch nicht erstaunlich, zeigt doch die Bedeutung<br />

der modernen Grenze seit der frühen Neuzeit den Übergang von der dynastischen<br />

Agglomeration, von Erbgew<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Erbteilungen zum modernen Flächenstaat<br />

mit der E<strong>in</strong>heit von Territorium <strong>und</strong> Bevölkerung, Verfassung <strong>und</strong> Gesellschaft<br />

– e<strong>in</strong> gewaltiger, zeitlich gestreckter Prozeß staatlicher Integration <strong>und</strong> Verdichtung<br />

<strong>in</strong> Europa seit dem Spätmittelalter. Schon hier erweist sich die heute geläufige Floskel<br />

vom Charakter der <strong>Grenzen</strong>, nämlich Barriere oder Interaktionsansporn zu se<strong>in</strong>, als<br />

analytisch unergiebig: Dieser Tatbestand ist ke<strong>in</strong>e funktionale Erklärung, sondern<br />

selbst erklärungsbedürftig, abhängig von den <strong>in</strong>neren Verhältnissen benachbarter<br />

Staaten <strong>und</strong> ihren Beziehungen untere<strong>in</strong>ander, vor allem aber vom Zustand des Staatensystems.<br />

6 Das Jahr 1919 <strong>in</strong> der Tschechoslowakei <strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong>Ostmitteleuropa</strong>, hrsg. von HANS LEMBERG<br />

<strong>und</strong> PETER HEUMOS, München 1993; Ethnicity and Nationalism. Case Studies <strong>in</strong> their Intr<strong>in</strong>sic<br />

Tension and Political Dynamics, hrsg. von PETER KRÜGER, Marburg 1993.<br />

42


Das Stichwort vom funktionalen Charakter der Grenze ist aber noch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em weiter<br />

zu spannenden Rahmen <strong>in</strong> unserem Zusammenhang wichtig, nämlich bei der Frage<br />

nach unterschiedlichen Arten <strong>und</strong> Funktionen von <strong>Grenzen</strong>, die sich nach 1918 etwa<br />

als mehr oder weniger konfliktfördernd erweisen konnten, <strong>und</strong> vor allem nach<br />

dem Bewußtse<strong>in</strong>, den verbreiteten Vorstellungen, die sich mit best<strong>im</strong>mten <strong>Grenzen</strong>,<br />

<strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie also den Ostgrenzen des Deutschen Reiches verbanden, gleichgültig,<br />

welcher formalen Klassifikation man sie nun zurechnen möchte. Die nächstliegende<br />

Klassifikation sche<strong>in</strong>t die Unterscheidung zwischen künstlichen <strong>und</strong> natürlichen<br />

<strong>Grenzen</strong> zu se<strong>in</strong> – aber auch die <strong>in</strong>zwischen anerkanntermaßen unbefriedigendste. Eigentlich<br />

gibt es nur künstliche <strong>Grenzen</strong>; denn alle s<strong>in</strong>d das Ergebnis menschlicher,<br />

politischer Entscheidungen. Sie können, vor allem bei der Wassergrenze, natürliche<br />

Gegebenheiten dabei zu Hilfe nehmen, aber niemals s<strong>in</strong>d die sogenannten natürlichen<br />

<strong>Grenzen</strong> gegebene <strong>Grenzen</strong>, die die Natur selbst gesteckt habe <strong>und</strong> denen deshalb höherer<br />

Rang <strong>und</strong> Wert zukomme. Derartige Urteile führen zu mythischen Überhöhungen,<br />

abgesehen davon, daß natürliche <strong>Grenzen</strong> häufig konfliktreicher <strong>und</strong> unpraktischer<br />

s<strong>in</strong>d als andere. Die Entwicklung der Idee der natürlichen <strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong> Frankreich<br />

seit dem 15. Jahrh<strong>und</strong>ert bietet dafür e<strong>in</strong> illustratives Beispiel. 7 Ähnliches gilt<br />

für ethnische, historische oder andere kulturell def<strong>in</strong>ierte <strong>Grenzen</strong> 8 , wenn es um die<br />

Abgrenzung von Staaten geht, <strong>und</strong> weil dafür auch „künstlich/natürlich“ e<strong>in</strong>en abwegigen<br />

Gegensatz <strong>und</strong> „künstlich“ e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>adäquate Bezeichnung darstellt, ist der<br />

Schluß völlig gerechtfertigt, daß echte <strong>Grenzen</strong> nur die politischen <strong>Grenzen</strong> s<strong>in</strong>d, also<br />

die aufgr<strong>und</strong> politischer Maßnahmen <strong>im</strong> weitesten S<strong>in</strong>ne entstandenen <strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong> ihrer<br />

präzisen Festlegung <strong>und</strong> völkerrechtlichen Gültigkeit. Allerd<strong>in</strong>gs entsteht e<strong>in</strong>e<br />

wirkliche politische Grenze <strong>im</strong> modernen S<strong>in</strong>ne nur, wenn alle Beteiligten als gleichberechtigte,<br />

souveräne Staaten anerkannt s<strong>in</strong>d.<br />

Da es sich aber um vom Menschen geschaffene, nicht um gegebene, außerhalb<br />

menschlich-politischer Verfügungsgewalt stehende L<strong>in</strong>ien handelt, können sie auch<br />

bestritten <strong>und</strong> geändert werden. Um so wichtiger werden die Pr<strong>in</strong>zipien <strong>und</strong> Normen,<br />

auf die sich Grenzforderungen stützen lassen, besonders <strong>in</strong> der Moderne seit der<br />

wachsenden Beteiligung breiterer Schichten an der politischen Willensbildung <strong>und</strong><br />

der öffentlichen Me<strong>in</strong>ung, die man gew<strong>in</strong>nen muß. Und so entwickelten die Verfechter<br />

e<strong>in</strong>er best<strong>im</strong>mten Grenzziehung, vor allem unter dem E<strong>in</strong>fluß des Nationalismus<br />

<strong>und</strong> des Nationalstaats, der entsprechenden Forderungen e<strong>in</strong>e viel größere Brisanz<br />

verlieh <strong>und</strong> häufig e<strong>in</strong>en den Spielraum der Politik e<strong>in</strong>engenden Druck ausübte, e<strong>in</strong>e<br />

ungeme<strong>in</strong> ergiebige Phantasie, sobald es darum g<strong>in</strong>g, Pr<strong>in</strong>zipielles zugunsten der eigenen<br />

Forderungen <strong>in</strong>s Feld zu führen – vom Selbstbest<strong>im</strong>mungsrecht bis zum historischen<br />

Recht, von Siedlungs- <strong>und</strong> Kulturräumen bis zu Wirtschaftszusammenhängen<br />

<strong>und</strong> strategischen Notwendigkeiten. Spannungen, die daraus entstehen, s<strong>in</strong>d desto gefährlicher<br />

je größer die Diskrepanz ist zwischen e<strong>in</strong>er Grenze <strong>und</strong> den über sie h<strong>in</strong>ausreichenden<br />

wirtschaftlichen, kulturellen, ethnischen <strong>und</strong> anderen Regionen.<br />

7 Siehe dazu Anm. 3.<br />

8 ULRICH ANTE: Politische Geographie, Braunschweig 1981, S. 104 ff.<br />

43


Aus denselben Bed<strong>in</strong>gungen heraus hat die Grenzsicherung e<strong>in</strong> ganz anderes Gewicht<br />

als früher gewonnen. Gerade weil die <strong>Grenzen</strong> präzisiert, demarkiert, bewacht<br />

werden, wahrnehmbar geworden s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> auch für den e<strong>in</strong>zelnen spürbare Konsequenzen<br />

haben, entsteht zugleich mit ihnen ihre Unsicherheit: Sie können nicht nur<br />

dauernd, selbst aus ger<strong>in</strong>gfügigen Anlässen, verletzt werden, was meist empf<strong>in</strong>dliche<br />

Reaktionen nach sich zieht, vielmehr wird ihre Unsicherheit zu e<strong>in</strong>em gr<strong>und</strong>legenden<br />

Problem. Es geht um die territoriale Sicherheit <strong>und</strong> damit um die Sicherheit des modernen<br />

Staates überhaupt. Je weiter sich die Kriegsmittel entwickeln, desto verw<strong>und</strong>barer<br />

wird er. Deshalb wird so große Mühe darauf verwendet, die Unverletzlichkeit<br />

der <strong>Grenzen</strong> als vorrangiges Völkerrechtspr<strong>in</strong>zip zu verankern <strong>und</strong> für entsprechende<br />

Garantien zu sorgen. Damit ist man darauf angewiesen, funktionierende Formen <strong>in</strong>ternationaler<br />

Organisation zu etablieren, e<strong>in</strong>e Anstrengung, die sich von der Ordnung<br />

des Wiener Kongresses bis zu den neuen <strong>in</strong>ternationalen <strong>Institut</strong>ionen des Völkerb<strong>und</strong>s<br />

<strong>und</strong> se<strong>in</strong>es Artikels 10 zieht, der für die neuen ostmitteleuropäischen Staaten<br />

von so großer Bedeutung war – wenn es nur gelungen wäre, automatisch wirksame<br />

Garantieverpflichtungen des Völkerb<strong>und</strong>es <strong>im</strong> Falle der Gefahr zu erlangen. E<strong>in</strong>e solche<br />

direkte Sanktionsverpflichtung g<strong>in</strong>g den meisten Regierungen 1919 <strong>und</strong> danach<br />

zu weit, <strong>und</strong> so rief die umstrittene Regelung der Grenzfragen <strong>und</strong> ihre Belastung des<br />

<strong>in</strong>ternationalen Systems <strong>in</strong> der Folgezeit den unzutreffenden E<strong>in</strong>druck hervor, daß<br />

konfliktträchtige Konsequenzen aus <strong>in</strong>ternationalen Grenzregelungen unvermeidlich<br />

seien. Daß Grenzregelungen als Interessenausgleich <strong>und</strong> entspannender Konsolidierungsvorgang<br />

zum Instrument e<strong>in</strong>er dauerhaften <strong>in</strong>ternationalen Ordnung werden<br />

können, hat demgegenüber der Wiener Kongreß bewiesen. Allerd<strong>in</strong>gs waren dafür<br />

e<strong>in</strong>vernehmliche europäische Lösungen die Voraussetzung. Diese Voraussetzung war<br />

unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg nicht gegeben.<br />

Es gibt noch e<strong>in</strong>e Sonderform der Grenze, von der bisher nicht die Rede war, <strong>und</strong><br />

man mag auf den ersten Blick berechtigte Zweifel äußern, ob sie mit den umstrittenen<br />

<strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong> <strong>Ostmitteleuropa</strong> seit 1918 irgend etwas zu tun hat: Es handelt sich um<br />

ganz oder partiell offene, sich verschiebende Grenzräume. Der klassische Fall ist die<br />

amerikanische „Frontier“, die kont<strong>in</strong>entale Erschließung <strong>und</strong> Verschiebung der<br />

Grenzregionen <strong>im</strong> Zuge der Westexpansion der Vere<strong>in</strong>igten Staaten. 9 In Deutschland<br />

wäre Vergleichbares höchstens <strong>in</strong> der deutschen Ostsiedlung des Mittelalters 10 zu f<strong>in</strong>-<br />

9 JOHN MACK FARAGHER: The Frontier Trail. Reth<strong>in</strong>k<strong>in</strong>g Turner and Re<strong>im</strong>ag<strong>in</strong><strong>in</strong>g the American<br />

West (Review Article), <strong>in</strong>: American Historical Review 98 (1993), S. 106-117; The<br />

American Frontier. Oppos<strong>in</strong>g Viewpo<strong>in</strong>ts, hrsg. von MARY ELLEN JONES, San Diego 1994.<br />

10 LOTHAR DRALLE: Die Deutschen <strong>in</strong> Ostmittel- <strong>und</strong> Osteuropa. E<strong>in</strong> Jahrtausend europäischer<br />

Geschichte, Darmstadt 1991; JAN PISKORSKI: Die deutsche Ostsiedlung des Mittelalters<br />

<strong>in</strong> der Entwicklung des östlichen Mitteleuropa. Zum Stand der Forschung aus polnischer<br />

Sicht, <strong>in</strong>: Jahrbuch für die Geschichte Ost- <strong>und</strong> Mitteldeutschlands 40 (1991), S. 27-<br />

84; PETER ERLEN: Europäischer Landesausbau <strong>und</strong> mittelalterliche Ostsiedlung. E<strong>in</strong> struktureller<br />

Vergleich zwischen Südwestfrankreich, den Niederlanden <strong>und</strong> dem Ordensland<br />

Preußen, Marburg 1992; Die historische Wirkung der östlichen Regionen des Reiches,<br />

hrsg. von HANS ROTHE, Köln u.a. 1992; ROBERT BARTLETT: The Mak<strong>in</strong>g of Europe. Conquest,<br />

Colonization, and Cultural Change, 950-1350, London 1993.<br />

44


den. Nun ist <strong>im</strong>mer wieder umstritten, was vergleichbar ist. Zu Recht hat sich Klaus<br />

Zernack dagegen gewehrt, daß nur solche Phänomene sich vergleichen ließen, „deren<br />

strukturelle Vergleichbarkeit vorgegeben sei. Das ist schon re<strong>in</strong> methodologisch e<strong>in</strong><br />

Zirkel <strong>und</strong> sachlich völlig unergiebig. Denn erst <strong>in</strong> der Prüfung von Übere<strong>in</strong>st<strong>im</strong>mungen,<br />

Abweichungen <strong>und</strong> Kontrasten sowie der jeweils <strong>in</strong>dividuellen Bed<strong>in</strong>gungen der<br />

historischen Phänomene werden die Strukturen erkennbar“. 11 Im vorliegenden Fall<br />

möchte ich noch etwas weitergehen. Gerade die beträchtlichen zeitlichen, kulturellen<br />

<strong>und</strong> räumlichen Unterschiede machen den Vergleich ähnlicher historischer Phänomene<br />

– hier der <strong>im</strong>mer weiter getriebenen Siedlungsexpansion, verb<strong>und</strong>en mit der Ausdehnung<br />

best<strong>im</strong>mter Formen des Rechts, des Wirtschaftens, der Herrschaft etc. –<br />

fruchtbar, sofern man entweder die Unterschiede erfassen oder – was me<strong>in</strong>e Absicht<br />

ist – aus der Fülle der Unterschiede die wenigen um so bemerkenswerteren Ähnlichkeiten<br />

hervorheben will. Kühn bleibt trotzdem die Behauptung, daß dies zum Thema<br />

gehören soll.<br />

Dietrich Gerhard gehört zu den ganz wenigen Historikern, die diesen Vergleich als<br />

Teil e<strong>in</strong>es umfangreichen, für e<strong>in</strong>e umfassende Fragestellung gedachten Satzes an<br />

Beispielen versucht haben. Das liegt gut 40 Jahre zurück. Er kommt zu dem Ergebnis,<br />

daß Siedlungsexpansion <strong>und</strong> B<strong>in</strong>nenwanderung eng zusammengehörten <strong>und</strong> daß für<br />

beides, vor allem aber für die „wandernde Grenze“ der „mobile Charakter e<strong>in</strong>er Gesellschaft“<br />

maßgebend sei. Infolgedessen gebe es zwar sehr unterschiedliche Formen<br />

<strong>und</strong> Bed<strong>in</strong>gungen der Siedlungsexpansion <strong>und</strong> der wandernden Grenze <strong>in</strong> den von<br />

ihm vornehmlich herangezogenen Beispielen der Vere<strong>in</strong>igten Staaten, Kanadas, Australiens<br />

<strong>und</strong> Rußlands, gr<strong>und</strong>legend aber bleibe, daß es sich hierbei um gesellschaftliche<br />

Mobilität <strong>und</strong> um e<strong>in</strong>e Lebensordnung gehandelt habe, „die entweder die ständische<br />

Gliederung, die e<strong>in</strong> Gr<strong>und</strong>zug des alten Europa gewesen war, nie entwickelt hat<br />

oder aber <strong>im</strong> Begriff war, sich von ihr zu befreien“. Deshalb gehöre die Ostkolonisation<br />

gerade nicht dazu <strong>und</strong> sei mit der Frontier nicht vergleichbar. Denn: „Gewiß war<br />

auch die alteuropäische Gesellschaft, vom geographischen oder vom gesellschaftlichen<br />

Gesichtspunkt gesehen, ke<strong>in</strong>eswegs statisch. Und doch unterscheidet sie sich<br />

von der Entwicklung, die seit dem 18. Jahrh<strong>und</strong>ert <strong>und</strong> der Französischen Revolution<br />

Europa ergriffen hat, vor allem dadurch, daß sie Überlieferung <strong>und</strong> soziale Gliederung<br />

akzeptierte, daß die soziale Mobilität sie nicht best<strong>im</strong>mte. Indem Turner die entgegengesetzten<br />

Merkmale der amerikanischen ‚frontier‘ betonte, arbeitete er jene Züge<br />

heraus, die der amerikanischen Gesellschaft eigentümlich s<strong>in</strong>d.“ 12<br />

Die Geme<strong>in</strong>samkeiten <strong>und</strong> damit die Vergleichsglieder hauptsächlich <strong>in</strong> der gesellschaftlichen<br />

Mobilität <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Befreiung von der Feudal- <strong>und</strong> Ständegesellschaft<br />

zu sehen, ersche<strong>in</strong>t mir nicht nur zu eng, sondern am Kern der Sache vorbeizu-<br />

11 KLAUS ZERNACK: „Ostkolonisation“ <strong>in</strong> universalgeschichtlicher Perspektive, <strong>in</strong>: Universalgeschichte<br />

<strong>und</strong> Nationalgeschichte, hrsg. von G. HÜBINGER u.a. Festschrift für Ernst Schul<strong>in</strong>,<br />

Freiburg i. Br. 1994, S. 109.<br />

12 DIETRICH GERHARD: Neusiedlung <strong>und</strong> <strong>in</strong>stitutionelles Erbe. Zum Problem von Turners<br />

„Frontier“. E<strong>in</strong>e vergleichende Geschichtsbetrachtung, <strong>in</strong>: DERS.: Alte <strong>und</strong> neue Welt <strong>in</strong><br />

vergleichender Geschichtsbetrachtung, Gött<strong>in</strong>gen 1962, S. 139 f. (engl. Or. 1959).<br />

45


gehen. Der Bezugspunkt der Französischen Revolution <strong>und</strong> der großen Wende zur<br />

Moderne ist bei e<strong>in</strong>em Vergleich unterschiedlicher, zeitlich weit ause<strong>in</strong>anderliegender<br />

Prozesse abwegig. So lohnend auch unter E<strong>in</strong>beziehung der geographischen Forschung<br />

– der Vergleich Ostsiedlung/Frontier wird für Stadt <strong>und</strong> Land gelegentlich<br />

durchaus gezogen 13 – e<strong>in</strong>e umfassende Erörterung wäre, sie muß hier auf sich beruhen,<br />

abgesehen von wenigen Überlegungen <strong>in</strong> Beschränkung auf unser Thema. Selbst<br />

wenn man allgeme<strong>in</strong> an der Modernisierungswirkung von Siedlungsexpansion festhalten<br />

will, ist der Vergleich mit der Ostsiedlung sehr wohl möglich <strong>und</strong> auch ergiebig.<br />

Mobilität <strong>und</strong> Modernisierung s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e Monopole der modernen Gesellschaft,<br />

wie sie sich seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts durchsetzte, sondern Kennzeichen<br />

auch des Höhepunkts der Ostsiedlung <strong>im</strong> Mittelalter, <strong>in</strong> der Zeit vom 12. bis<br />

14. Jahrh<strong>und</strong>ert. Deren Bedeutung liegt gerade dar<strong>in</strong>, daß sie Teil – wenn auch e<strong>in</strong> besonders<br />

wichtiger – e<strong>in</strong>es gewaltigen Entwicklungsschubs von europäischen Ausmaßen<br />

war, der, teils <strong>in</strong> der Siedlungsexpansion, teils <strong>im</strong> Landesausbau, nicht nur periphere<br />

Rückständigkeiten ausglich <strong>und</strong> Osteuropa an die gesamteuropäische Entwicklung<br />

anschloß, sondern von den ländlichen <strong>und</strong> städtischen Siedlungsformen über die<br />

Verbesserung der Produktions-, Wirtschafts- <strong>und</strong> Verkehrsstruktur bis zu den Formen<br />

der politischen, gesellschaftlichen <strong>und</strong> kirchlichen Organisation e<strong>in</strong>e durchaus planmäßige<br />

Ausgestaltung <strong>und</strong> Verbesserung brachte. Insoweit hält dieser vielfältige <strong>und</strong><br />

differenzierte Prozeß e<strong>in</strong>em Vergleich mit der Erschließung des amerikanischen Westens<br />

durchaus stand. Wie tief <strong>und</strong> <strong>in</strong> welcher H<strong>in</strong>sicht dieser Vorgang die Entfaltung<br />

der Vere<strong>in</strong>igten Staaten bee<strong>in</strong>flußte oder prägte, ist <strong>in</strong>sgesamt <strong>im</strong>mer noch schwer abzuschätzen.<br />

Die neueste amerikanische Forschung darüber ist fasz<strong>in</strong>ierend <strong>und</strong> reicht<br />

<strong>in</strong> ihren, lokale <strong>und</strong> regionale Entwicklungen mit säkularen Trends sowie methodischer<br />

Vielfalt verb<strong>in</strong>denden, unseren landesgeschichtlichen Forschungen teilweise<br />

ähnlichen Untersuchungen weit h<strong>in</strong>aus über die berühmte, enorm e<strong>in</strong>flußreiche Frontier-These<br />

des amerikanischen Historikers Frederick Jackson Turner von 1893 14 , auf<br />

die Gerhard <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en von mir zitierten Sätzen Bezug nahm. Für Turner wurde die<br />

Frontier zur wichtigsten Kraft e<strong>in</strong>er eigenständigen amerikanischen Geschichte, das<br />

anfangs unermeßliche freie Land <strong>im</strong> Westen zum Unterpfand des <strong>im</strong>mer wieder erneuerten<br />

Pioniergeistes <strong>und</strong> vor allem der fortschreitenden Demokratisierung. Die<br />

Heranbildung e<strong>in</strong>es genu<strong>in</strong> amerikanischen, nicht mehr von europäischen Traditionen<br />

abhängigen Nationalcharakters verband sich mit dieser Kräftigung <strong>und</strong> Entfaltung der<br />

Demokratie.<br />

Obwohl diese nachhaltige These <strong>in</strong> der generellen Form e<strong>in</strong>er gr<strong>und</strong>legenden Bedeutung<br />

des Westens für die amerikanische Geschichte trotz aller späteren Kritik –<br />

besonders an der Demokratisierungsthese – gültig <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e ständige Herausforderung<br />

für nachfolgende Historikergenerationen blieb, handelt es sich doch auch um e<strong>in</strong>e Heroisierung,<br />

e<strong>in</strong>en sich tief <strong>und</strong> wirksam e<strong>in</strong>prägenden Mythos des amerikanischen Na-<br />

13 HANS-JÜRGEN NITZ: Historical Geography, <strong>in</strong>: 40 Years after. German Geography. Developments,<br />

Trends and Prospects 1952-1992, hrsg. von ECKART EHLERS, Bonn 1992, S. 145-<br />

172.<br />

14 Siehe dazu Anm. 3 <strong>und</strong> 9.<br />

46


tional- <strong>und</strong> Geschichtsbewußtse<strong>in</strong>s. Und das ist der Punkt, der für unser Thema bedeutsam<br />

ist. Es geht um die Wirkung des Mythos von der Grenze auf die <strong>in</strong>ternationalen<br />

Beziehungen seit dem Ersten Weltkrieg, nicht um irgende<strong>in</strong>e Berufung auf historische<br />

<strong>Grenzen</strong> selbst; <strong>und</strong> der amerikanische Frontier-Mythos bildet den klärenden<br />

Kontrast zu den Wirkungen vom Mythos der deutschen Ostkolonisation. Dies soll<br />

aber durch den noch etwas weitergeführten Vergleich zwischen beiden historischen<br />

Prozessen samt ihrer Mythologisierung vertieft werden, wobei <strong>in</strong> bezug auf die Mythen<br />

sofort <strong>in</strong>s Auge spr<strong>in</strong>gt, daß es sich <strong>im</strong> deutschen Fall um e<strong>in</strong>en historisch gebrochenen<br />

Rückgriff auf e<strong>in</strong>en viele Jahrh<strong>und</strong>erte zurückliegenden Prozeß handelt, <strong>im</strong><br />

amerikanischen Fall h<strong>in</strong>gegen um <strong>in</strong> ihrer Schlußphase noch erlebte Vorgänge, um<br />

e<strong>in</strong> unmittelbares Anknüpfen an die jüngste Vergangenheit.<br />

Turners Frontier-Mythos sollte die nationale Demokratie stärken, ihr die Aufbruchsenergie<br />

e<strong>in</strong>er großen Vergangenheit geben, <strong>und</strong> es ist nicht zu leugnen, daß<br />

Appelle zur Bewältigung neuer großer Aufgaben, der „New Frontiers“, die Amerikaner<br />

<strong>im</strong>mer wieder st<strong>im</strong>uliert, sie auf die Verwirklichung ihrer Tugenden <strong>und</strong> Ideale<br />

festgelegt haben. Der Funktion nach handelt es sich also – trotz mancher Skepsis –<br />

um e<strong>in</strong>en die moderne demokratische Gesellschaft <strong>und</strong> den nationalen Verfassungsstaat<br />

fördernden Mythos. Das kann man vom Mythos der Ostkolonisation best<strong>im</strong>mt<br />

nicht behaupten – ganz <strong>im</strong> Gegenteil. Für unser Thema ist wichtig, ob das <strong>in</strong> der Sache,<br />

dem historischen Prozeß selbst lag oder Folge des Jahrh<strong>und</strong>erte später erst, nach<br />

dem alles verändernden Durchbruch der modernen Welt geformten Mythos war – e<strong>in</strong><br />

Mythos, der se<strong>in</strong>e schärfste, anti-moderne Ausprägung <strong>in</strong> dem mit großen Krisen verb<strong>und</strong>enen<br />

neuen Aufbruch zu e<strong>in</strong>er neuen Moderne <strong>in</strong> der Zeit von den 1880er bis <strong>in</strong><br />

die 1930er Jahre erhielt. 15 Um dies zu klären, möchte ich mit e<strong>in</strong>igen kurzen H<strong>in</strong>weisen<br />

den Vergleich zwischen Frontier <strong>und</strong> Ostsiedlung auf Gebiete lenken, auf denen<br />

er bisher nicht durchgeführt wurde, wobei es hier um gewisse Ähnlichkeiten geht <strong>und</strong><br />

die großen Unterschiede beiseite bleiben.<br />

Voraussetzung für beide Prozesse, die ihrer Bedeutung nach Entwicklungsschübe<br />

für die Peripherie von seltener Intensität <strong>und</strong> dauerhaft verändernder Wirkung auslösten,<br />

waren Intensivierungs- oder Verdichtungsvorgänge <strong>in</strong> den jeweiligen Zentren<br />

(Bevölkerungsvermehrung, Produktivitätsfortschritte durch technische <strong>und</strong> organisatorische<br />

Verbesserungen, Kapitalbildung, straffere politische <strong>und</strong> adm<strong>in</strong>istrative Zusammenfassung<br />

auf verschiedenen Ebenen). Sie ermöglichten es erst, daß <strong>in</strong> beiden<br />

Fällen der Siedlungsexpansion Rahmenbed<strong>in</strong>gungen gesetzt wurden, welche die künftige<br />

Organisation der zu erschließenden Gebiete, ihre Siedlungsform, ihre rechtliche<br />

<strong>und</strong> politische, ja ihre Verfassungsgestaltung festlegten.<br />

Ostsiedlung (besonders vom 12.-14. Jahrh<strong>und</strong>ert) wie Frontier (von der Kolonialzeit<br />

bis weit <strong>in</strong> die zweite Hälfte des <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts) waren Teil umfassender Wanderungs-<br />

<strong>und</strong> Ausbauprozesse; sie zogen auf sich <strong>und</strong> konzentrierten Migrationsbewegungen<br />

mit weitem E<strong>in</strong>zugsbereich. Für die Frontier ist das klar, aber auch die<br />

Ostsiedlung war ja ke<strong>in</strong> nur von Deutschen getragener Prozeß. Sie stand <strong>im</strong> großen<br />

15<br />

Jahrh<strong>und</strong>ertwende. Der Aufbruch <strong>in</strong> die Moderne 1880-1930, 2 Bde., hrsg. von AUGUST<br />

NITSCHKE u.a., Re<strong>in</strong>bek 1990.<br />

47


Zusammenhang des Landesausbaus, der Ausbreitung <strong>und</strong> Intensivierung der Lebens-<br />

<strong>und</strong> Gesellschaftsformen Europas; die amerikanische Frontier war Teil der letzten<br />

großen Wellen europäischer Siedlungserschließung <strong>in</strong> Übersee. Mit der Ausdehnung<br />

des Reiches <strong>und</strong> deutscher Territorialherrschaft auf der e<strong>in</strong>en, der Vere<strong>in</strong>igten Staaten<br />

auf der anderen Seite war e<strong>in</strong>e relativ rasche Besiedlung, organisatorische Dichte <strong>und</strong><br />

Geschlossenheit <strong>in</strong> abgegrenzten Territorien verb<strong>und</strong>en, Voraussetzung für die Konsolidierung<br />

<strong>und</strong> das Fortschreiten der Erschließung weiterer Regionen. Erschließung<br />

ist <strong>in</strong> umfassendem S<strong>in</strong>n zu verstehen – von der Siedlung über neue Wirtschafts- <strong>und</strong><br />

Verkehrsstrukturen bis zur neuen rechtlich-verfassungsmäßigen <strong>und</strong> kirchlichen Ordnung<br />

– <strong>und</strong> war verb<strong>und</strong>en mit Modernisierung <strong>und</strong> Ausgestaltung der mitgebrachten<br />

politisch-gesellschaftlichen Organisationsformen. Es handelte sich um gewaltige, beschleunigte<br />

Entwicklungsprozesse, die E<strong>in</strong>beziehung der erschlossenen Gebiete <strong>in</strong> die<br />

Gesamtstruktur der – <strong>und</strong> das ist wichtig – selbst <strong>in</strong> rascher Entfaltung begriffenen<br />

Altländer: e<strong>in</strong>e wesentliche Etappe <strong>in</strong> der Europäisierung Europas <strong>und</strong> der Amerikanisierung<br />

Amerikas.<br />

Den wichtigsten Zusammenhang für unser Thema bildet dabei die Bedeutung von<br />

Ostsiedlung <strong>und</strong> Frontier für Staat, Nation <strong>und</strong> Verfassung. Im amerikanischen Fall<br />

ist dieser Zusammenhang unmittelbar gegeben, <strong>im</strong> Falle der deutschen Ostsiedlung<br />

muß man von längeren <strong>und</strong> komplizierteren Entwicklungen ausgehen. Trotzdem handelte<br />

es sich auch hier um Gr<strong>und</strong>lagen, Ansätze zum Prozeß der Staatsbildung auf territorialer<br />

Basis. Und was den zweiten, <strong>in</strong> der deutschen Geschichte ebenso schwierigen<br />

Begriff angeht, den der Nation, so kann man sich dem behutsamen Urteil Helmut<br />

Beumanns aus dem Jahre 1988 anschließen: Zu den „Entstehungspotentialen“ der<br />

deutschen Nation <strong>im</strong> Mittelalter gehöre die lange Ostgrenze zur heidnischen Welt,<br />

„e<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>guläre Herausforderung, die <strong>in</strong> der ersten Phase“ der Nationsbildung „<strong>im</strong> Bed<strong>in</strong>gungszusammenhang<br />

mit der Kaiserpolitik zur ottonischen Missionspolitik, später<br />

zum Landesausbau bei der Ostsiedlungsbewegung seit dem 12. Jahrh<strong>und</strong>ert geführt<br />

hat“. 16 Und was den E<strong>in</strong>fluß auf die Rechts- <strong>und</strong> Verfassungsentwicklung angeht, so<br />

hat er se<strong>in</strong>e Basis <strong>in</strong> der Verfügung der Regierung der Vere<strong>in</strong>igten Staaten e<strong>in</strong>erseits,<br />

der Fürsten, Bischöfe, Orden etc. andererseits über den zu besiedelnden Gr<strong>und</strong> <strong>und</strong><br />

Boden. Dies ermöglichte über die Richtl<strong>in</strong>ien zur Besiedlungsform <strong>in</strong> beiden Fällen<br />

Verfassunggebung. Die präzisen Anweisungen <strong>in</strong> den spätmittelalterlichen Urk<strong>und</strong>en<br />

wie <strong>in</strong> den amerikanischen Landverordnungen von 1785 <strong>und</strong> 1787 regelten zusammen<br />

mit der Bodenvergabe Rechte <strong>und</strong> Pflichten der Siedler, verzahnten Land- <strong>und</strong> Stadtsiedlung,<br />

sorgten für planmäßige Anlage von Städten <strong>und</strong> Dörfern, gaben Rechtsnormen<br />

vor <strong>und</strong> legten die Gestaltung größerer territorialer E<strong>in</strong>heiten fest. 17 Selbstver-<br />

16 HELMUT BEUMANN: Europäische Nationenbildung <strong>im</strong> Mittelalter, <strong>in</strong>: Geschichte <strong>in</strong> Wissenschaft<br />

<strong>und</strong> Unterricht 39 (1988), S. 591.<br />

17 Urk<strong>und</strong>en <strong>und</strong> erzählende Quellen zur deutschen Ostsiedlung <strong>im</strong> Mittelalter, 2 Bde., hrsg.<br />

von HERBERT HELBIG <strong>und</strong> LORENZ WEINRICH, Darmstadt 1968-70; Documents on American<br />

History, New York 1944, Nr. 78, 82; HERMANN WELLENREUTHER: „First pr<strong>in</strong>ciples of<br />

freedom“ <strong>und</strong> die Vere<strong>in</strong>igten Staaten als Kolonialmacht, 1781-1803: Die Northwest Ord<strong>in</strong>ance<br />

von 1787 <strong>und</strong> ihre Verwirklichung <strong>im</strong> Northwest Territory, <strong>in</strong>: Revolution <strong>und</strong> Be-<br />

48


ständlich gab es <strong>im</strong> e<strong>in</strong>zelnen große Unterschiede, aber <strong>in</strong> den Gr<strong>und</strong>zügen e<strong>in</strong>er<br />

rechtlich geregelten, den Neusiedlern besseres Recht <strong>und</strong> ihren Ansiedlungen e<strong>in</strong>e<br />

planmäßigere modernere Struktur verschaffenden Siedlungsexpansion mit Modernisierungsschüben,<br />

Verfassungsübertragungen <strong>und</strong> – obgleich <strong>im</strong> deutschen Fall sehr<br />

begrenzten – Freiräumen zur Selbstgestaltung liegen doch bemerkenswerte Parallelen.<br />

18<br />

Die Form der Rücker<strong>in</strong>nerung nun, des Mythos, der sich bildete, ist maßgebend<br />

für den E<strong>in</strong>fluß der nach Osten verschobenen Grenzräume der mittelalterlichen Ostsiedlung<br />

auf die deutsche Haltung gegenüber den Ostgrenzen von 1919 <strong>und</strong> auf die<br />

besondere Funktion, die man ihnen zuschrieb. Wie die vergleichende Betrachtung der<br />

Ostsiedlung mit der Entwicklung <strong>und</strong> dem Mythos der Frontier gezeigt hat, wäre auch<br />

<strong>im</strong> deutschen Fall e<strong>in</strong> sogenannter fortschrittlicher Mythos der Ostsiedlung denkbar<br />

gewesen, der sich vornehmlich auf Modernisierung, neue Gestaltungsmöglichkeiten<br />

<strong>und</strong> – etwa <strong>im</strong> Blick auf historische Begründungen für europäische Kooperation – gesamteuropäische<br />

Prozesse unter nachhaltiger deutscher Beteiligung hätte berufen<br />

können. Aber schon <strong>in</strong> der Nationalversammlung von 1848/49 wurden gelegentlich<br />

der Vorrang des Reiches <strong>und</strong> die national-deutsche Kulturmission <strong>in</strong> Osteuropa beschworen<br />

19 ; <strong>und</strong> <strong>im</strong> Zuge der repressiven Polenpolitik Preußens <strong>20</strong> <strong>und</strong> vor allem des<br />

sich verschärfenden, <strong>in</strong>tegralen <strong>und</strong> teilweise schon völkische Züge annehmenden<br />

deutschen Nationalismus <strong>im</strong> Kaiserreich nahm der Mythos der Ostsiedlung e<strong>in</strong>e ganz<br />

andere, anti-moderne Gestalt an. Man berief sich auf die Geschichte, auf Glanz <strong>und</strong><br />

Erfolge der Ostsiedlung, <strong>und</strong> behauptete, e<strong>in</strong> geschichtliches Recht auf die kulturelle<br />

<strong>und</strong> politische Vormachtstellung der Deutschen „<strong>im</strong> Osten“ zu haben. Infolgedessen<br />

erhielt die Grenze e<strong>in</strong>e ganz neue, destabilisierende Funktion. In der Reduzierung <strong>und</strong><br />

historischen Verfälschung der Ostsiedlung auf e<strong>in</strong>e anachronistische deutschnationale<br />

Großleistung – der Historikerstreit der 1860er Jahre über die richtige Kaiserpolitik<br />

<strong>im</strong> Mittelalter lieferte erste Stichworte: Nationalpolitische Ostexpansion<br />

oder <strong>im</strong>periale Italienpolitik – bereitete sich die Forderung nach e<strong>in</strong>er als Wiederaufnahme<br />

deklarierten Expansion des Deutschtums <strong>im</strong> Osten vor. Nicht nur <strong>in</strong> Deutsch-<br />

wahrung. Untersuchungen zum Spannungsverhältnis von revolutionärem Selbstverständnis<br />

<strong>und</strong> politischer Praxis <strong>in</strong> den Vere<strong>in</strong>igten Staaten von Amerika, hrsg. von ERICH ANGER-<br />

MANN, München 1979 (Historische Zeitschrift, Beiheft 5 – neue Folge), S. 89-188.<br />

18 Walter Schles<strong>in</strong>ger schrieb 1963 (zitiert bei ROTHE – wie Anm. 10, S. 35), ostdeutsche Kolonisierung<br />

sei nicht nur bloßer Landesausbau, sondern e<strong>in</strong>e Bewegung, die mit der Ostwanderung<br />

deutscher Bevölkerung <strong>und</strong> „mit der Ausdehnung politischer Herrschaft, mit<br />

der Mission <strong>und</strong> der Übertragung westlicher Rechts-, Wirtschafts- <strong>und</strong> Verfassungsformen<br />

nach dem Osten auf das <strong>in</strong>nigste verflochten“ sei.<br />

19 Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der deutschen constituirenden Nationalversammlung,<br />

hrsg. von FRANZ WIGARD, Bd. 7, S. 4927-4929, Bd. 8, S. 5721 (Abg.<br />

Schulz, 29.1. u. 15.3.1849).<br />

<strong>20</strong> BRIGITTE BALZER: Die preußische Polenpolitik 1894-1908 <strong>und</strong> die Haltung der deutschen<br />

konservativen <strong>und</strong> liberalen Parteien. Unter besonderer Berücksichtigung der Prov<strong>in</strong>z Posen,<br />

Frankfurt a.M. (usw.) 1990.<br />

49


land verbreitete Vorstellungen e<strong>in</strong>er beg<strong>in</strong>nenden großen Ause<strong>in</strong>andersetzung zwischen<br />

Germanentum <strong>und</strong> Slawentum kennzeichneten den ideologischen H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong>.<br />

Unter diesen Voraussetzungen kam es vor allem seit dem Ende des <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

zu e<strong>in</strong>em oberflächlich absurd wirkenden, dennoch folgerichtigen <strong>und</strong> für die<br />

Unsicherheit der deutschen <strong>Grenzen</strong> nach 1918 gr<strong>und</strong>legenden Vorgang. In der <strong>im</strong>mer<br />

schärferen Wendung gegen die polnische Bevölkerung <strong>in</strong> den preußischen Ostprov<strong>in</strong>zen<br />

wurden die bestehenden politischen <strong>Grenzen</strong> zwischen Rußland <strong>und</strong> dem<br />

Deutschen Reich quasi unterlaufen <strong>und</strong> traten h<strong>in</strong>ter den Sprach- <strong>und</strong> Siedlungsgrenzen<br />

zurück. Das führte zu e<strong>in</strong>em Grenzkampf ohne strittige politische <strong>Grenzen</strong>, weil<br />

es sich schon um e<strong>in</strong>en Volkstumskampf handelte, dessen <strong>Grenzen</strong> ganz woanders<br />

verliefen. Aus ihm jedoch entwickelte sich <strong>in</strong> falscher historischer Analogiebildung<br />

die Vorstellung von e<strong>in</strong>em erneut offenen <strong>und</strong> umkämpften Grenzraum <strong>im</strong> Osten, <strong>in</strong><br />

dem man die deutsche Vormacht <strong>und</strong> überlegene Kultur durchsetzen müsse. Neben<br />

anderen politischen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Interessen, die sich diese Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />

zunutze zu machen suchten, s<strong>in</strong>d die der ostelbischen Großgr<strong>und</strong>besitzer zu<br />

nennen, die den gesellschaftlichen Wert von landwirtschaftlicher Siedlungsausdehnung<br />

<strong>und</strong> Ertragssteigerung <strong>in</strong> dezidierter, anti-moderner Wendung gegen Industriewirtschaft<br />

<strong>und</strong> Großstadtentwicklung hervorhoben. Ihren Propagandisten fiel die Umdeutung<br />

der Ostsiedlung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Agrarmythos leicht; e<strong>in</strong> Pendant dazu ist „the agrarian<br />

myth“ <strong>im</strong> amerikanischen Westen. 21 In Anlehnung an die Festigung der Grenzräume<br />

mit Hilfe der Markgrafschaften oder Marken war nun wieder von der Ostmark<br />

die Rede, die vom Slawentum bedroht sei. Ke<strong>in</strong> Ger<strong>in</strong>gerer als Fritz Hartung hat <strong>in</strong><br />

Lexikonartikeln von 1923 dieses historisierende Aufgreifen alter Formen anschaulich<br />

gemacht: „Ostmark [...] heißen seit dem <strong>19.</strong> Jahrh. die nord-östlichen, durch die Polen<br />

gefährdeten Grenzgebiete Deutschlands [...].“ Und Ostmarkenpolitik war der Kampf<br />

für das Deutschtum <strong>in</strong> bedrohter Grenzregion (aber mit Gehaltszulage): Im Herbst<br />

1894 wurde der Ostmarkenvere<strong>in</strong> zur Stärkung des nationalen Bewußtse<strong>in</strong>s <strong>und</strong> zur<br />

kulturellen <strong>und</strong> wirtschaftlichen Kräftigung des Deutschtums <strong>in</strong> den preußischen Ostprov<strong>in</strong>zen<br />

gegründet; e<strong>in</strong> zeittypischer Agitationsvere<strong>in</strong>, der <strong>in</strong> prononcierter Gegnerschaft<br />

zur angeblich zu polenfre<strong>und</strong>lichen Regierungspolitik entstand – diese Schwächung<br />

der Regierungspolitik verschärfte sich nach 1918 noch <strong>im</strong> antirepublikanischen<br />

S<strong>in</strong>ne. Der Vere<strong>in</strong> hatte beträchtlichen Erfolg <strong>in</strong> der lobbyistischen Mobilisierung von<br />

kostspieligen staatlichen Unterstützungsprogrammen <strong>im</strong> Namen von Deutschtum <strong>und</strong><br />

Nation – e<strong>in</strong>schließlich Ostmarkzulage für Beamte, „um dem Streben nach Versetzung<br />

<strong>in</strong> die bequemeren re<strong>in</strong> deutschen Bezirke entgegenzutreten“. 22<br />

Dabei s<strong>in</strong>d zwei D<strong>in</strong>ge vor allem – außer dem Revisionismus <strong>und</strong> dem Wirtschaftsgefälle<br />

– von gr<strong>und</strong>legender Bedeutung für die außergewöhnlichen Schwierigkeiten<br />

des <strong>in</strong>ternationalen Systems mit den <strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong> <strong>Ostmitteleuropa</strong> seit 1918 gewesen:<br />

Zum e<strong>in</strong>en die Entwertung, das Verblassen der tatsächlichen völkerrechtlichpolitischen<br />

<strong>Grenzen</strong> <strong>und</strong> ihrer stabilisierenden Funktion angesichts der seit den<br />

21 DONALD WORSTER: Beyond the Agrarian Myth, <strong>in</strong>: DERS.: Under Western Skies. Nature<br />

and History <strong>in</strong> the American West, New York, Oxford 1992, S. 3-18.<br />

22 Politisches Handwörterbuch, hrsg. von PAUL HERRE, Bd. 2, Leipzig 1923, S. 263.<br />

50


1890er Jahren allmählich das Bewußtse<strong>in</strong> beherrschenden, aus völkischnationalhistorischer<br />

Sicht alle<strong>in</strong> wirklichen Grenze des deutschen Volkstums <strong>und</strong> angesichts<br />

des Kampfes für se<strong>in</strong>e Sicherung, Ausdehnung <strong>und</strong> überlegene Stellung; zum<br />

anderen die bedrohliche Tatsache, daß sich damit – unterstützt von verzerrenden historischen<br />

Analogien – die Überzeugung von e<strong>in</strong>em wieder offenen Grenzraum <strong>im</strong><br />

Osten durchsetzte, der nicht nur verteidigt, sondern unter erneuter ostkolonisatorischer<br />

Anstrengung wieder offensiv von Deutschen durchdrungen, besiedelt, beherrscht<br />

werden müsse: Der Mythos von der wahren nationalen Aufgabe der Ostkolonisation.<br />

Beide Auffassungen wurden durch den Ersten Weltkrieg <strong>in</strong> jeder H<strong>in</strong>sicht<br />

<strong>und</strong> besonders unter dem E<strong>in</strong>druck großer militärischer Erfolge des Reiches, die ganz<br />

neue Expansionschancen <strong>im</strong> Osten versprachen, enorm verstärkt, noch mehr sogar<br />

durch den plötzlichen Umschlag von großen Zukunftsaussichten <strong>in</strong> die Niederlage<br />

<strong>und</strong> das Ende des Kaiserreichs <strong>und</strong> <strong>in</strong> den verhaßten Versailler Vertrag mit se<strong>in</strong>en<br />

Gebietsverlusten <strong>im</strong> Osten. Sie schufen deutsche M<strong>in</strong>derheiten unter polnischer Herrschaft<br />

– e<strong>in</strong> als unerträglich empf<strong>und</strong>ener Zustand, der den Volkstumskampf erst<br />

recht geboten <strong>und</strong> die <strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong>diskutabel ersche<strong>in</strong>en ließ. Nun erst recht konnten<br />

nicht nur für die radikalen nationalistischen Kreise Volkstums-, Grenz- <strong>und</strong> Expansionskampf<br />

um freien Raum <strong>im</strong> Osten verschmelzen, legit<strong>im</strong>iert durch die pseudohistorische<br />

Anknüpfung an den „Zug nach dem Osten. Die kolonisatorische Großtat<br />

des deutschen Volkes <strong>im</strong> Mittelalter“ 23 <strong>und</strong> die Überlegenheit des Deutschtums als<br />

Kulturträger. Ohne diese Doktr<strong>in</strong> hätte man schwerlich von freiem Raum <strong>im</strong> Osten<br />

sprechen können.<br />

Wie sehr sich diese Auffassung von e<strong>in</strong>er jahrh<strong>und</strong>ertealten deutschen Best<strong>im</strong>mung<br />

zur Expansion, Durchdr<strong>in</strong>gung <strong>und</strong> kulturellen Führung <strong>im</strong> Osten unter hohen<br />

Diplomaten zum<strong>in</strong>dest als Argumentationsmittel durchgesetzt hatte, zeigen die e<strong>in</strong>leitenden<br />

Sätze e<strong>in</strong>er Denkschrift des Botschafters <strong>in</strong> Moskau Nadolny von Anfang<br />

1934: „Die deutsche Politik ist <strong>in</strong> ihrer Auswirkung nach Westen <strong>und</strong> Osten seit jeher<br />

auf den Leitsatz e<strong>in</strong>gestellt: Im Westen Statik, <strong>im</strong> Osten Dynamik. Im Westen Beschränkung<br />

auf die Erreichung unserer nationalen E<strong>in</strong>igung <strong>und</strong> Herbeiführung stabiler<br />

Verhältnisse gegenüber den europäischen Altstaaten, nach Osten dagegen Dynamik<br />

<strong>im</strong> S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er Ausdehnung unseres E<strong>in</strong>flusses <strong>in</strong> die Weiten des osteuropäischen<br />

<strong>und</strong> asiatischen Territoriums.“ 24<br />

Die Vorstellungswelt von dem noch nicht gefestigten, Expansion erlaubenden<br />

Grenzraum <strong>und</strong> der überlegenen Stellung des Reiches <strong>im</strong> Osten – der übrigens führende<br />

Diplomaten <strong>und</strong> Außenpolitiker der We<strong>im</strong>arer Republik skeptisch gegenüberstanden<br />

– war selbstverständlich für die Unterm<strong>in</strong>ierung des Staatensystems <strong>in</strong> <strong>Ostmitteleuropa</strong><br />

<strong>und</strong> se<strong>in</strong> Scheitern an den Grenzfragen dort nicht alle<strong>in</strong> verantwortlich.<br />

Grenzstreitigkeiten <strong>und</strong> teilweise erbitterte nationalistische Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />

darüber waren <strong>in</strong> ganz Osteuropa verbreitet, <strong>und</strong> schwere Spannungen wurden <strong>im</strong>mer<br />

23<br />

KARL HAMPE: Der Zug nach dem Osten. Die kolonisatorische Großtat des deutschen Volkes<br />

<strong>im</strong> Mittelalter, Leipzig, Berl<strong>in</strong> 1921.<br />

24<br />

Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918-1945 (= ADAP), Serie C (1933-1937), Bd.<br />

II/1, Gött<strong>in</strong>gen 1973, S. 316.<br />

51


wieder auch von außen <strong>in</strong> diesen Raum h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>getragen. Aber Deutschland nahm dort<br />

e<strong>in</strong>e überragende Stellung e<strong>in</strong>, von se<strong>in</strong>em Verhalten h<strong>in</strong>g weitgehend ab, ob die Region<br />

sich beruhigen würde oder nicht, <strong>und</strong> <strong>in</strong> dieser Situation wirkte der <strong>in</strong>nenpolitische<br />

Druck, der von solchen, den tatsächlichen Verhältnissen gar nicht angemessenen<br />

Ost-Mythen <strong>und</strong> Ideologien ausg<strong>in</strong>g, ungeme<strong>in</strong> belastend auf die deutsche Außenpolitik<br />

<strong>und</strong> die Behandlung der Grenzfragen. Selbst wenn man die dah<strong>in</strong>ter wirksamen<br />

Interessen analysiert, von den <strong>in</strong> ihrer Form überholten, unmodernen Großmachtvorstellungen,<br />

die schließlich auf e<strong>in</strong>en möglichst weiten, unangreifbaren, autarken Lebensraum<br />

unter Vorherrschaft der germanisch-deutschen Rasse h<strong>in</strong>ausliefen, bis zur<br />

Bekämpfung der modernen, pluralistischen Industriegesellschaft, Verfassung <strong>und</strong><br />

Wirtschaftsformen, so bleibt doch die expansionistische, auf e<strong>in</strong>gängigen historischen<br />

Deutungen aufbauende Vorstellung vom Vorrecht der Deutschen als Kulturträger <strong>im</strong><br />

Osten e<strong>in</strong> eigenständiges Phänomen nationalistisch-historischer Bewußtse<strong>in</strong>sbildung.<br />

Zu se<strong>in</strong>er weiten Verbreitung <strong>und</strong> politischen Wirksamkeit trug sowohl der Mythos<br />

vom Reich der Deutschen <strong>in</strong> Mitteleuropa <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er <strong>Grenzen</strong> überschreitenden, gegenüber<br />

bloßen Staaten höheren Qualität als auch die nicht verw<strong>und</strong>ene Niederlage,<br />

die – wie es hieß – Entreißung deutschen Kulturbodens, erheblich bei.<br />

Betrachtet man diese Problematik <strong>und</strong> die Funktion der <strong>Grenzen</strong> abschließend<br />

vom Staatensystem her, so enthüllt sich das ganze Ausmaß e<strong>in</strong>es gr<strong>und</strong>legenden Konflikts<br />

zwischen e<strong>in</strong>er Politik der Staatsraison <strong>und</strong> des notwendigen Interessenausgleichs<br />

<strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es anerkannten, die Handlungsmöglichkeiten l<strong>im</strong>itierenden Rahmens<br />

von Rechten <strong>und</strong> Pflichten der Staaten <strong>im</strong> <strong>in</strong>ternationalen System e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong><br />

dem Anspruch auf e<strong>in</strong>seitige Durchsetzung weitgehender Konzeptionen, die auf best<strong>im</strong>mten<br />

– <strong>und</strong> zwar nicht verallgeme<strong>in</strong>erungsfähigen – Pr<strong>in</strong>zipien, Ideologien, Traditionen<br />

beruhen, <strong>und</strong> auf Geltendmachung der Vorstellungen, die e<strong>in</strong> Staat von se<strong>in</strong>er<br />

Stellung <strong>in</strong> der Welt hat, andererseits. <strong>Grenzen</strong> spielen unter den modernen Staaten<br />

als Ausdruck der Machtverhältnisse <strong>und</strong> präzise Markierung ihrer Souveränitätsbereiche<br />

e<strong>in</strong>e wesentliche Rolle; deshalb genießen sie auch als <strong>in</strong>ternationale Ordnungsstruktur<br />

besondere Beachtung <strong>und</strong> Sicherung <strong>im</strong> Völkerrecht <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d Unterpfand<br />

der formalen Gleichheit der Staaten. Treten nun politische Strömungen oder gar<br />

Staaten auf, die nicht nur präzise umrissene Forderungen auf ganz best<strong>im</strong>mte Grenzänderungen<br />

verwirklichen – was gefährlich genug für das <strong>in</strong>ternationale System se<strong>in</strong><br />

mag -, sondern <strong>Grenzen</strong>, wenigstens <strong>in</strong> gewissen Regionen, aufweichen, labiler gestalten<br />

<strong>und</strong> zur eigenen, e<strong>in</strong>em Vormachtanspruch unterworfenen Disposition stellen<br />

wollen, so stürzen sie jene geregelte <strong>und</strong> austarierte Ordnung <strong>und</strong> schaffen e<strong>in</strong>en Zustand<br />

der Labilität <strong>und</strong> Unsicherheit – denn wo könnten Forderungen <strong>im</strong> Namen e<strong>in</strong>es<br />

Pr<strong>in</strong>zips wie etwa des ethnisch-nationalen begrenzt werden?<br />

Der Wiener Kongreß bietet wohl das e<strong>in</strong>drucksvollste moderne Beispiel e<strong>in</strong>er<br />

Neuordnung des Staatensystems durch Befriedigung von als legit<strong>im</strong> anerkannten Interessen,<br />

durch geme<strong>in</strong>same Normen, durch e<strong>in</strong>e auf Zusammenarbeit angelegte Verschränkung<br />

der Verträge, Territorialregelungen <strong>und</strong> E<strong>in</strong>flußverteilung <strong>und</strong> nicht zuletzt<br />

durch das Instrument der akzeptierten, auf Beruhigung <strong>und</strong> Dauer zielenden<br />

Grenzregelungen. Für <strong>Ostmitteleuropa</strong> war damit die Grenzfrage zwischen Rußland,<br />

52


Österreich <strong>und</strong> Preußen bzw. Deutschland für e<strong>in</strong> Jahrh<strong>und</strong>ert geregelt. Ohnmächtig<br />

<strong>in</strong> Frage gestellt wurden sie nur von den Nationalbewegungen. Es bedurfte der gr<strong>und</strong>stürzenden<br />

Katastrophe des Ersten Weltkriegs, um den Nationalitäten <strong>in</strong> den drei zusammenbrechenden<br />

Kaiserreichen e<strong>in</strong>e Chance zur eigenen Staatsbildung zu geben.<br />

Das ist allerd<strong>in</strong>gs nur die e<strong>in</strong>e Seite der historischen Entwicklung. Die Problematik<br />

hatte sich schon lange vorher auf die B<strong>in</strong>nengrenzen <strong>und</strong> das Feld der <strong>in</strong>neren<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzungen <strong>in</strong> den drei östlichen Großmächten verschoben. So entstanden<br />

unterhalb der Ebene des Staatensystems <strong>und</strong> der geordneten <strong>Grenzen</strong> neue Fronten<br />

<strong>und</strong> neuralgische Grenzräume, <strong>in</strong> denen sich die Nationalitäten mischten <strong>und</strong> überlagerten,<br />

als Grenzräume des Volkstumskampfes vor allem <strong>in</strong> Deutschland. Die Friedensverträge<br />

nach dem Ersten Weltkrieg 25 machten praktisch das nationale Selbstbest<strong>im</strong>mungsrecht<br />

zur Basis der Neuordnung. Europa war zum erstenmal nationalstaatlich<br />

durchorganisiert – e<strong>in</strong> ungeheurer Wandel zu Lasten der Hauptverlierer des Krieges,<br />

der drei östlichen Großmächte, von denen die Habsburger Monarchie völlig verschwand,<br />

während das Schicksal des revolutionären, zunächst isolierten Sowjetrußland<br />

ungewiß war <strong>und</strong> nur Deutschland als bloß vorübergehend geschwächt gelten<br />

konnte, trotz aller schweren Verluste. Se<strong>in</strong>e Stellung <strong>in</strong> <strong>Ostmitteleuropa</strong> hatte sich<br />

e<strong>in</strong>deutig verstärkt. Denn es gab ke<strong>in</strong>e weitere Großmacht mehr <strong>in</strong> diesem Raum, solange<br />

Sowjetrußland um das Überleben <strong>und</strong> den machtpolitischen Wiederaufstieg<br />

rang. Zwischen beiden war <strong>in</strong> <strong>Ostmitteleuropa</strong> e<strong>in</strong>e große Zahl neuer Staaten vom<br />

Baltikum bis nach Österreich <strong>und</strong> Ungarn entstanden. Aus B<strong>in</strong>nengrenzen waren Außengrenzen<br />

geworden, was die Nationalitätenprobleme nur verschärfte <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Fülle<br />

von Grenzkonflikten auslöste –, nicht nur mit den besiegten, zu – nie verw<strong>und</strong>enen –<br />

Gebietsabtretungen verpflichteten Großmächten, sondern auch der neuen Nationalstaaten<br />

untere<strong>in</strong>ander.<br />

Demgegenüber waren die <strong>in</strong>tegrierenden Momente der neuen Ordnung sehr<br />

schwach ausgebildet. Für e<strong>in</strong>en großen politischen Verb<strong>und</strong> saßen die Interessengegensätze<br />

zu tief, für e<strong>in</strong>en wirtschaftlichen ebenfalls, wobei man bisher übersehen hat,<br />

daß die dafür erforderlichen wirtschaftlichen Anreize <strong>und</strong> auf anderen Wegen unerreichbaren<br />

großen Vorteile fehlten. Sie hätten von den Großmächten kommen müssen<br />

(<strong>in</strong> dieser Erwägung liegt übrigens e<strong>in</strong> neuer Ansatz zur wirtschaftlichen Integrationstheorie).<br />

Die <strong>Grenzen</strong> konnten also nicht durch <strong>in</strong>ternationale Zusammenschlüsse gesichert<br />

werden. Der Völkerb<strong>und</strong> als neue, der zunehmenden <strong>in</strong>ternationalen Verflechtung<br />

angemessene Staatenorganisation war global ausgerichtet, stellte ke<strong>in</strong>e Ersatzlösung<br />

für e<strong>in</strong>e neue europäische Ordnung dar <strong>und</strong> blieb ohne se<strong>in</strong>e Ergänzung durch<br />

e<strong>in</strong> kooperatives, auf friedlichen Interessenausgleich <strong>und</strong> geme<strong>in</strong>same Behandlung<br />

europäischer Probleme konzentriertes europäisches Konzert der Großmächte unvollständig<br />

<strong>und</strong> nur sehr begrenzt aktionsfähig. Der e<strong>in</strong>zige ernsthafte <strong>und</strong> <strong>in</strong>geniöse Versuch<br />

<strong>in</strong> der Zwischenkriegszeit, diesem Übelstand abzuhelfen, waren die Locarno-<br />

Verträge <strong>und</strong> ihre enge Verflechtung von Völkerb<strong>und</strong> <strong>und</strong> erneuertem europäischem<br />

Konzert. Sie brachten, entgegen aller zeitgenössischen <strong>und</strong> späteren Rhetorik, vorü-<br />

25 Knapp, aber umfassend <strong>und</strong> auf der Höhe der Forschung ALAN SHARP: The Versailles Settlement.<br />

Peacemak<strong>in</strong>g <strong>in</strong> Paris, 1919, Ho<strong>und</strong>mills, London 1991.<br />

53


ergehend nicht nur e<strong>in</strong>e bessere Sicherung <strong>und</strong> Entspannung <strong>im</strong> Westen, sondern –<br />

gegründet auf Kriegsverzicht <strong>und</strong> E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung Deutschlands <strong>in</strong> e<strong>in</strong> System der Großmachtkooperation<br />

– auch für die Ostgrenze. 26 Diese Verlagerung der Problematik auf<br />

die von viel weitergehenden wirtschaftlichen, politischen <strong>und</strong> Sicherheits<strong>in</strong>teressen<br />

bee<strong>in</strong>flußte Ebene der Großmachtbeziehungen, bei denen auch, wie stets seit ihrem<br />

entscheidenden E<strong>in</strong>greifen <strong>in</strong> den Ersten Weltkrieg, die Vere<strong>in</strong>igten Staaten von großem<br />

E<strong>in</strong>fluß waren, sorgte für e<strong>in</strong>e zeitweise Entspannung <strong>und</strong> Dämpfung der völkisch-nationalistischen<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzung mit den deutschen <strong>Grenzen</strong>.<br />

Aber dieser Geist von Locarno blieb Episode. Die Diskrepanzen <strong>in</strong> den außenpolitischen<br />

Interessen <strong>und</strong> der Druck der Weltwirtschaftskrise hatten daran ihren Anteil,<br />

wichtiger war der Verfall der ungefestigten We<strong>im</strong>arer Republik, hervorgerufen durch<br />

die <strong>in</strong>neren Zerwürfnisse e<strong>in</strong>er zutiefst gespaltenen Gesellschaft. Der <strong>in</strong>nenpolitische<br />

Wandel h<strong>in</strong> zu autoritären staatlichen Lösungen <strong>und</strong> der Versuch, autoritäre Strukturen<br />

<strong>und</strong> e<strong>in</strong>en völkischen Nationalismus als Integrations<strong>in</strong>strumente zu benutzen, ließ<br />

die Forderung nach Beseitigung „unserer Verstümmelung <strong>im</strong> Osten“ 27 <strong>und</strong> nach Err<strong>in</strong>gung<br />

der Vorherrschaft <strong>in</strong> <strong>Ostmitteleuropa</strong> wieder laut werden. Das best<strong>im</strong>mte zunehmend<br />

die Außenpolitik – man denke an die viel weiterreichenden Ziele h<strong>in</strong>ter dem<br />

Versuch, 1931 e<strong>in</strong>e deutsch-österreichische Zollunion durchzusetzen. 28 Trotzdem<br />

blieb Locarno auch <strong>in</strong> der Anfangsphase des Dritten Reichs die e<strong>in</strong>zige Sicherheitsvere<strong>in</strong>barung<br />

<strong>in</strong> Europa, selbst für die deutschen Nachbarn <strong>im</strong> Osten. Die stereotyp<br />

wiederholte, analytisch wertlose Floskel von den zwei Klassen von <strong>Grenzen</strong> oder den<br />

<strong>Grenzen</strong> unterschiedlicher Heiligkeit, die <strong>in</strong> Locarno durch die Garantie der deutschen<br />

Westgrenze <strong>und</strong> die Verweigerung der Garantie für die Ostgrenze geschaffen<br />

worden seien, verkennt völlig die politische B<strong>in</strong>dungswirkung e<strong>in</strong>er europäischen Regelung<br />

<strong>in</strong> der traditionellen Form des europäischen Konzerts. Vor dem 7. März 1936,<br />

an dem Hitler den Locarno-Pakt kündigte <strong>und</strong> Truppen <strong>in</strong> das entmilitarisierte Rhe<strong>in</strong>land<br />

e<strong>in</strong>maschieren ließ, hätte ke<strong>in</strong>e noch so revisionistische Reichsregierung es gewagt,<br />

gegen diese Verträge zu verstoßen <strong>und</strong> – durch welche Maßnahmen auch <strong>im</strong>mer<br />

– die Änderung der Ostgrenze zu erzw<strong>in</strong>gen. Außerdem sollte man sich klarmachen,<br />

daß es nicht die für so labil <strong>und</strong> gefährdet erklärten Ostgrenzen, sondern die mit<br />

ihren Großmachtgarantien als vorbildlich <strong>und</strong> erstrebenswert betrachteten Regelungen<br />

des Rhe<strong>in</strong>paktes von Locarno waren, die als erste zerbrachen. Und Ende August<br />

26 PETER KRÜGER: Locarno <strong>und</strong> die Frage e<strong>in</strong>es europäischen Sicherheitssystems unter besonderer<br />

Berücksichtigung <strong>Ostmitteleuropa</strong>s, <strong>in</strong>: Locarno <strong>und</strong> Osteuropa. Fragen e<strong>in</strong>es europäischen<br />

Sicherheitssystems <strong>in</strong> den <strong>20</strong>er Jahren, hrsg. von RALPH SCHATTKOWSKY, Marburg<br />

1994, S. 9-27.<br />

27 ADAP, Serie C, Bd. I/2, S. 826 (Aufz. v. Hassells, 24.9.1933).<br />

28 ADAP, Serie B (1925-1933), Bd. XVII, S. 219f. (Instruktion v. Bülows, 15.4.1931). – Zusammenfassend<br />

PETER KRÜGER: Der Funktionswandel von <strong>Grenzen</strong> <strong>im</strong> europäischen Staatensystem<br />

des <strong>19.</strong> <strong>und</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>erts, <strong>in</strong>: Deutschland <strong>und</strong> Europa. Historische, politische<br />

<strong>und</strong> geographische Aspekte. Festschrift zum 51. Deutschen Geographentag, hrsg. von<br />

ECKART EHLERS, Bonn 1997, S. 73-84; für die Moderne WILFRIED VON BREDOW: The<br />

Chang<strong>in</strong>g Character of National Borders, <strong>in</strong>: Citizenship Studies 2 (1998), S. 365-376.<br />

54


1939, als die, gemessen an den tatsächlichen Möglichkeiten, günstigsten Voraussetzungen<br />

zum Schlag gegen Polen gegeben waren, da waren es gerade jene traditionellen<br />

Führungseliten, vor allem <strong>im</strong> auswärtigen Dienst, die Stresemanns Locarno-<br />

Politik kritisiert hatten <strong>und</strong> nichts sehnlicher erwarteten als e<strong>in</strong>e Gelegenheit zur Revision<br />

der Ostgrenzen, die vor dem Risiko des großen Krieges zurückschreckten. Hitler<br />

g<strong>in</strong>g das Risiko e<strong>in</strong>.<br />

Sich Grenzgarantien zu verschaffen, hat für sich alle<strong>in</strong> noch nie e<strong>in</strong>e Grenze gesichert.<br />

E<strong>in</strong>e Analyse des <strong>in</strong>ternationalen Systems seit 1815 <strong>in</strong> diesem Zusammenhang<br />

ergibt, daß Garantien als politische Ordnungselemente <strong>und</strong> Handlungsrestriktionen<br />

wertvoll s<strong>in</strong>d, aber nur, wenn dies <strong>im</strong> Rahmen e<strong>in</strong>es von allen Beteiligten akzeptierten<br />

Regelungssystems geschieht. Das existierte für Stresemann, aber nicht für Hitler. Und<br />

Hitler war es, der die <strong>in</strong> Deutschland von der nationalistisch verzerrten Er<strong>in</strong>nerung an<br />

die Ostkolonisation geprägte Vorstellung von der offenen Grenze als Expansionsraum<br />

<strong>in</strong>s Extrem steigerte <strong>und</strong> zu verwirklichen trachtete: Für ihn gab es gr<strong>und</strong>sätzlich ke<strong>in</strong>e<br />

dauerhafte Grenze, sondern höchstens vorübergehende Abgrenzungen oder vorzugsweise<br />

e<strong>in</strong>e völlig labile, <strong>in</strong> der Schwebe der Unentschiedenheit gehaltene Situation.<br />

<strong>Grenzen</strong> waren Verfügungsmasse ebenso wie die Bevölkerung – von der Umsiedlung<br />

bis zur Vernichtung.<br />

E<strong>in</strong>e andere Variante der Bedeutungsreduzierung von <strong>Grenzen</strong> führte die Sowjetunion<br />

als beherrschende Führungsmacht des Ostblocks <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> <strong>Ostmitteleuropa</strong><br />

vor. <strong>Grenzen</strong> wurden nicht obsolet, sondern neu <strong>und</strong> dauerhaft festgelegt <strong>und</strong><br />

teilweise durch Vertreibungs- <strong>und</strong> Umsiedlungsaktionen großen Ausmaßes vor den<br />

belastenden Ansprüchen der M<strong>in</strong>derheiten gesichert. Aber diese <strong>Grenzen</strong> waren nun<br />

tatsächlich <strong>Grenzen</strong> zweiter Klasse, ke<strong>in</strong>e <strong>Grenzen</strong> zwischen gleichberechtigten Partnern,<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong> ihrer Wirksamkeit zugunsten der Sowjetunion so e<strong>in</strong>geschränkt, daß sie<br />

jederzeit von ihr durchbrochen werden konnten (von Militär, Partei, RGW etc.). Neben<br />

diesen zu B<strong>in</strong>nengrenzen des Ostblocks degradierten <strong>Grenzen</strong> gab es nur e<strong>in</strong>e<br />

wirkliche Grenze <strong>in</strong> <strong>Ostmitteleuropa</strong>, die zwischen Ost <strong>und</strong> West. Sie teilte Deutschland<br />

<strong>und</strong> Europa. Allerd<strong>in</strong>gs übte sie <strong>in</strong> bezug auf durchaus mögliche spätere Grenzkonflikte,<br />

<strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie mit Deutschland, aber auch sonst <strong>in</strong> <strong>Ostmitteleuropa</strong>, die<br />

heilsame Wirkung e<strong>in</strong>er jahrzehntelangen Abkühlungsperiode aus, <strong>in</strong> der die betroffenen<br />

Staaten sich mit dem status quo abf<strong>in</strong>den mußten, sich konsolidieren <strong>und</strong> ihre<br />

anfangs schwer zu überw<strong>in</strong>denden bitteren Gegensätze – zwischen Deutschland <strong>und</strong><br />

Polen besonders – allmählich <strong>in</strong> Verständigungsbereitschaft verwandeln konnten.<br />

Nach dem Zusammenbruch des Sowjet<strong>im</strong>periums s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>ige der alten Schwierigkeiten<br />

<strong>in</strong> <strong>Ostmitteleuropa</strong> (Fragen nationaler Zugehörigkeit, M<strong>in</strong>derheitenprobleme,<br />

wirtschaftliche Abschottung u.ä.) wieder aufgetaucht <strong>und</strong> geben den <strong>Grenzen</strong> wieder<br />

e<strong>in</strong> übertriebenes Gewicht. Überw<strong>und</strong>en werden können diese Schwierigkeiten nur<br />

unter zwei Bed<strong>in</strong>gungen: Wenn sich dort e<strong>in</strong> Sicherheit gewährleistendes <strong>und</strong> <strong>in</strong>tensive<br />

Kooperation oder gar Integration ermöglichendes <strong>in</strong>ternationales System etabliert<br />

<strong>und</strong> wenn die Staaten ihre <strong>in</strong>neren Spannungen <strong>und</strong> Gegensätze <strong>im</strong> Aufbau e<strong>in</strong>er allgeme<strong>in</strong><br />

bejahten pluralistischen Zivilgesellschaft <strong>und</strong> Verfassung aufzuheben vermögen,<br />

also durch die Festigung e<strong>in</strong>er Gesellschaft, die nicht mehr auf <strong>in</strong>nere Integration<br />

55


durch Zusammenschluß gegen die Außenwelt angewiesen ist. Alles andere ist unzulänglich.<br />

Und das wäre auch das Fazit am Ende me<strong>in</strong>er Überlegungen: Selbst wenn die<br />

Notwendigkeit <strong>und</strong> Fähigkeit, <strong>Grenzen</strong> verteidigen zu können, außer Zweifel steht, so<br />

läßt sich die Sicherheit von <strong>Grenzen</strong> nicht mit Hilfe der Anhäufung <strong>im</strong>mer umfangreicherer<br />

Machtmittel <strong>und</strong> Garantien gewährleisten, sondern nur durch e<strong>in</strong>e gute, allseits<br />

akzeptierte, Geme<strong>in</strong>samkeit ermöglichende Verfassung <strong>und</strong> durch e<strong>in</strong> Kooperation<br />

förderndes, funktionsfähiges <strong>und</strong> ebenfalls von allen akzeptiertes <strong>in</strong>ternationales<br />

System.<br />

56


Funktionspr<strong>in</strong>zip Staatsgrenze – Aspekte se<strong>in</strong>er<br />

Anwendbarkeit <strong>im</strong> Bereich der Osteuropaforschung 1<br />

von<br />

Peter Hasl<strong>in</strong>ger<br />

Zu Beg<strong>in</strong>n der 1990er Jahre konnte Hans Medick noch feststellen, daß das Thema<br />

„Grenze“ <strong>im</strong> Deutschland der Nachkriegszeit <strong>im</strong> Unterschied zur französischen <strong>und</strong><br />

amerikanischen Geschichtsschreibung wenig Forschungstradition besitzt. 2 Diese Aussage<br />

fiel <strong>in</strong> die erste Phase e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>tensiveren Beschäftigung der deutschsprachigen<br />

Historiographie mit allen Facetten von „<strong>Grenzen</strong>“, e<strong>in</strong>e Entwicklung, die durch den<br />

Fall des Eisernen Vorhangs <strong>und</strong> den Wandel der <strong>in</strong>nerdeutschen Staats- zu e<strong>in</strong>er B<strong>in</strong>nengrenze<br />

ihren letzten Anstoß erhielt. Das Forschungs<strong>in</strong>teresse verbreiterte sich unter<br />

Anwendung neuer Methoden (etwa der oral history) um die Analyse von Entwick-<br />

1 Dieser Beitrag entstand <strong>im</strong> Rahmen des Projektes „Staatsgrenze <strong>und</strong> Identität <strong>in</strong> <strong>Ostmitteleuropa</strong><br />

1918-1938“, das als Teilprojekt <strong>im</strong> Sonderforschungsbereich 541 „Identitäten <strong>und</strong><br />

Alteritäten. Die Funktion von Alterität für die Konstitution <strong>und</strong> Konstruktion von Identität“<br />

der Universität Freiburg verankert ist. An dieser Stelle möchte ich auch der Projektleiter<strong>in</strong><br />

Monika Glettler sowie den Mitarbeiter<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Mitarbeitern, Éva Kovács, Elena Mannová,<br />

Joach<strong>im</strong> von Puttkamer <strong>und</strong> Éva Varga, herzlich für die Zusammenarbeit <strong>und</strong> zahlreiche<br />

Anregungen danken.<br />

2 HANS MEDICK: Grenzziehungen <strong>und</strong> die Herstellung des politisch-sozialen Raumes. Zur<br />

Begriffsgeschichte <strong>und</strong> politischen Sozialgeschichte der <strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong> der frühen Neuzeit, <strong>in</strong>:<br />

Grenzland. Beiträge zur Geschichte der deutsch-deutschen Grenze, hrsg. von BERND<br />

WEISBROD, Hannover 1993, S. 195-<strong>20</strong>7, hier S. 196-197. Herausgehoben werden können<br />

für den Bereich der französischen <strong>und</strong> anglosächsischen Forschung zum Thema „Grenze“<br />

unter anderem folgende Werke: JOHN W. COLE, ERIC R. WOLF: The hidden frontier. Ecology<br />

and ethnicity <strong>in</strong> an Alp<strong>in</strong>e valley, New York, London 1974; LUCIEN FEBVRE: La terre<br />

et l’evolution huma<strong>in</strong>e. Introduction géographique a l´histoire, 3. Aufl. Paris 1938; MICHEL<br />

FOUCHER: Fronts et frontières. Un tour du monde géopolitique, Paris 1988; PAUL GUI-<br />

CHONNET, CLAUDE RAFFESTIN: Géographie des frontières, Paris 1974; OWEN D. LATTIMO-<br />

RE: The Frontier <strong>in</strong> History, <strong>in</strong>: Theory <strong>in</strong> Anthropology. A Sourcebook, hrsg. von ROBERT<br />

A. MANNERS <strong>und</strong> DAVID KAPLAW, Chicago 1968; D. H. MILLER: The frontier. Comparative<br />

studies, Oklahoma 1977; DIETER NORDMANN: Des l<strong>im</strong>ites d´état aux frontières nationale,<br />

<strong>in</strong>: Les lieux de memoire 2. La nation, hrsg. von PIERRE NORA, Paris 1986, S. 35-61;<br />

PETER SAHLINS: Bo<strong>und</strong>aries: The Mak<strong>in</strong>g of France and Spa<strong>in</strong> <strong>in</strong> the Pyrenees, Berkeley<br />

1989; FREDERIK JACKSON TURNER: The frontier <strong>in</strong> American history, New York 19<strong>20</strong>;<br />

Border identities. Nation and state at <strong>in</strong>ternational frontiers, hrsg. von THOMAS M. WILSON<br />

<strong>und</strong> JACQUES ANCEL: Géographie des frontières, Paris 1938.<br />

57


lungsprozessen auf der Mikroebene, <strong>im</strong> Bereich der politischen Geschichte wurde der<br />

bislang dom<strong>in</strong>ierende diplomatiegeschichtliche Zugang um rezeptionsgeschichtliche<br />

Elemente ergänzt. 3 Demnach br<strong>in</strong>gen es frühere Jahrzehnte fast gespenstischer Ruhe<br />

um das Thema „<strong>Grenzen</strong>“ <strong>in</strong> der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft mit sich,<br />

daß e<strong>in</strong>e Synthese, die e<strong>in</strong>e zusammenfassende Aspektschau bieten könnte, wohl noch<br />

auf Jahre nicht zu erwarten se<strong>in</strong> wird.<br />

Soweit dies bereits beurteilt werden kann, blieb überdies e<strong>in</strong>e ganze Reihe methodischer<br />

Ansätze aus dem Bereich von Nachbarwissenschaften (vor allem der Human-<br />

<strong>und</strong> Sozialgeographie, der politischen Geographie, der Kulturanthropologie, den<br />

Kommunikationswissenschaften <strong>und</strong> der Migrationsforschung) bisher weitgehend unberücksichtigt.<br />

Aus der Sicht der Geschichtswissenschaften ist demgegenüber jedoch<br />

auch festzuhalten, daß den <strong>in</strong> anderen Diszipl<strong>in</strong>en entworfenen Funktionsmodellen<br />

von <strong>Grenzen</strong> <strong>und</strong> entsprechenden theoretischen Überlegungen, die sich vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><br />

der Globalisierungsdebatte e<strong>in</strong>er ausgesprochenen Konjunktur erfreuen, der<br />

3 Folgende Zusammenstellung bietet e<strong>in</strong>en Überblick zu e<strong>in</strong>igen jüngst erschienenen Werken,<br />

die hierzu neue Aspekte entwickeln: INGE BENNEWITZ, RAINER POTRATZ: Zwangsaussiedlungen<br />

an der <strong>in</strong>nerdeutschen Grenze. Analysen <strong>und</strong> Dokumente, Berl<strong>in</strong> 1994; KATHA-<br />

RINA EISCH: Grenze. E<strong>in</strong>e Ethnographie des bayrisch-böhmischen Grenzraumes, München<br />

1996; Literaturen der Grenze – Theorie der Grenze, hrsg. von RICHARD FABER <strong>und</strong> B.<br />

NAUMANN, Würzburg 1995; Literatur an der Grenze. Der Raum Saarland-Lothr<strong>in</strong>gen-<br />

Luxemburg-Elsaß als Problem der Literaturgeschichtsschreibung, hrsg. von UWE GRUND<br />

<strong>und</strong> GÜNTHER SCHOLDT, Saarbrücken 1992; HANNS HAAS: Die Zerstörung der Lebense<strong>in</strong>heit<br />

„Grenze“ <strong>im</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert, <strong>in</strong>: Kontakte <strong>und</strong> Konflikte. Böhmen, Mähren <strong>und</strong> Österreich.<br />

Aspekte e<strong>in</strong>es Jahrtausends geme<strong>in</strong>samer Geschichte, hrsg. von THOMAS WINKEL-<br />

BAUER, Waidhofen an der Thaya 1993; ANDREAS HARTMANN, SABINE KÜNSTING: Grenzgeschichten.<br />

Berichte aus dem deutschen Niemandsland, 2. Aufl. Frankfurt am Ma<strong>in</strong> 1990;<br />

Die Grenze als Ort der Annäherung. 750 Jahre deutsch-litauische Beziehungen, hrsg. von<br />

ARTHUR HERMANN, Köln 1992; Hart an der Grenze. Burgenland <strong>und</strong> Westungarn, hrsg.<br />

von TRAUDE HORVATH <strong>und</strong> EVA MÜLLNER, Wien 1992; Grenz-Fall. Das Saarland zwischen<br />

Frankreich <strong>und</strong> Deutschland 1945-1960, hrsg. von RAINER HUDEMANN, St. Ingbert<br />

1997; Stadt an der Grenze, hrsg. von BERNHARD KIRCHGÄSSNER <strong>und</strong> WILHELM OTTO KEL-<br />

LER, Sigmar<strong>in</strong>gen 1990; Kulturen an der Grenze. Waldviertel, We<strong>in</strong>viertel, Südböhmen,<br />

Südmähren, hrsg. von ANDREA KOMLOSY, VÁCLAV BŮŽEK <strong>und</strong> FRANTIŠEK SVÁTEK, Waidhofen<br />

an der Thaya 1995; HANS MEDICK: Zur politischen Sozialgeschichte der Grenze <strong>in</strong><br />

der Neuzeit Europas, <strong>in</strong>: Sozialwissenschaftliche Informationen <strong>20</strong> (1991), S. 157-163;<br />

EDITH SAURER: Zwischen dichter <strong>und</strong> grüner Grenze. Grenzkontrolle <strong>in</strong> der vormärzlichen<br />

Habsburgermonarchie, <strong>in</strong>: Grenzöffnung, Migration, Kr<strong>im</strong><strong>in</strong>alität, hrsg. von ARNO PIL-<br />

GRAM, Baden-Baden 1993, S. 169-177; Grenze der Hoffnung. Geschichte <strong>und</strong> Perspektiven<br />

der Grenzregion an der Oder, hrsg. von H. SCHULTZ <strong>und</strong> A. NOTHNAGLE, Potsdam 1996;<br />

HANS-DIETRICH SCHULTZ: Deutschlands „natürliche“ <strong>Grenzen</strong>, <strong>in</strong>: Deutschlands <strong>Grenzen</strong><br />

<strong>in</strong> der Geschichte, hrsg. von ALEXANDER DEMANDT, München 1989, S. 33-93; Grenzland<br />

(wie Anm. 2); FRANZISKA WEIN: Deutschlands Strom – Frankreichs Grenze. Geschichte<br />

<strong>und</strong> Propaganda am Rhe<strong>in</strong> 1919-1930, Essen 1992; Grenze <strong>im</strong> Kopf. Beiträge zur Geschichte<br />

der Grenze <strong>in</strong> <strong>Ostmitteleuropa</strong>, hrsg. von PETER HASLINGER, Frankfurt am Ma<strong>in</strong><br />

1999.<br />

58


Vorwurf mangelnder historischer Tiefe <strong>und</strong> entsprechender Kurzatmigkeit der Diagnose<br />

nicht erspart werden kann. E<strong>in</strong> <strong>im</strong> wesentlichen auf dem Grenzverständnis des<br />

<strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>erts beruhendes Funktionsmodell von Staatsgrenze wird weitgehend unh<strong>in</strong>terfragt<br />

übernommen, entsprechend der Gesichtspunkt ihrer Genese nahezu völlig<br />

ausgeblendet. Hier liegt es nun an der historischen Forschung, Korrekturen am jeweiligen<br />

Grenzverständnis anzubr<strong>in</strong>gen, sich jedoch <strong>im</strong> Gegenzug auch methodischen<br />

Zugängen zu öffnen, die das Forschungs<strong>in</strong>teresse bislang nur wenig geleitet haben.<br />

Entsprechend setzt sich dieser Beitrag zum Ziel, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ersten Schritt kurz auf<br />

e<strong>in</strong>ige Aspekte der Entstehung europäischer Staatsgrenzen e<strong>in</strong>zugehen, um anschließend<br />

anhand der Bündelung von Theorieansätzen aus benachbarten Diszipl<strong>in</strong>en Funktionsmodelle<br />

von Staatsgrenzen <strong>und</strong> Grenzregionen zu entwerfen. Anknüpfend an<br />

e<strong>in</strong>zelne Hypothesen sollen Forschungsfelder aufgezeigt <strong>und</strong> Fragestellungen entworfen<br />

werden, die speziell für den osteuropäischen Bereich (<strong>Ostmitteleuropa</strong>, Südosteuropa<br />

<strong>und</strong> das Gebiet der Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion) relevant ersche<strong>in</strong>en.<br />

Staatsgrenzen können erst seit der zweiten Hälfte des <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts als de jure<br />

Ausdruck der räumlichen Begrenzung von Staatsmacht gewertet werden. Demgegenüber<br />

überwiegt <strong>in</strong> der ersten Phase des Entstehungsprozesses von Staatsgrenzen e<strong>in</strong>e<br />

schrittweise verlaufende Umwertung der rechtlich-feudalem Denken entspr<strong>in</strong>genden<br />

Abgrenzungsl<strong>in</strong>ien bzw. Grenzzonen zu e<strong>in</strong>er <strong>im</strong> Gelände sichtbar gemachten, für alle<br />

Bevölkerungsgruppen gleichermaßen relevanten L<strong>in</strong>ie. 4 Entsprechend bildete das<br />

Problem der Def<strong>in</strong>ition der <strong>Grenzen</strong> vor dem <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>ert für die europäischen<br />

Staaten des Ancien rég<strong>im</strong>e e<strong>in</strong>e der Hauptursachen für die Entstehung bewaffneter<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzungen. Erst Verbesserungen <strong>in</strong> Vermessungsmethoden <strong>und</strong> kartographischer<br />

Technik sowie die vermehrte Wahrnehmung von Territorium aus spatial/militärischer<br />

Perspektive zogen die zunehmende Verwendung von Kartenmaterial<br />

<strong>in</strong> der <strong>in</strong>ternationalen Diplomatie nach sich. Die Praxis, Friedensverträge durch Karten<br />

zu ergänzen, diese mit zu unterzeichnen <strong>und</strong> zu siegeln, setzte sich <strong>im</strong> Lauf des<br />

18. Jahrh<strong>und</strong>erts durch, wobei e<strong>in</strong>e zunehmende Genauigkeit der Grenzl<strong>in</strong>ien mit der<br />

Erstellung detaillierter Katastral- <strong>und</strong> Militärkarten seit dem Beg<strong>in</strong>n des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

e<strong>in</strong>herg<strong>in</strong>g. 5<br />

Für den osteuropäischen Bereich würde sich zum Aspekt der Veränderung des<br />

Verständnisses von Staatsgrenze <strong>und</strong> Grenzregion demnach noch e<strong>in</strong> reiches Betätigungsfeld<br />

erschließen, waren gerade das ausgehende 17. <strong>und</strong> das gesamte 18. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

durch e<strong>in</strong>schneidende Grenzveränderungen gekennzeichnet (<strong>in</strong>folge der Rükkeroberung<br />

Ungarns, der kriegerischen Ause<strong>in</strong>andersetzungen zwischen dem Russischen<br />

<strong>und</strong> dem Osmanischen Reich <strong>und</strong> der Teilungen Polens). Inwiefern es sich be-<br />

4 Für das Mittelalter vgl. zum osteuropäischen Bereich vor allem: HANS-JÜRGEN KARP:<br />

<strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong> <strong>Ostmitteleuropa</strong> während des Mittelalters. E<strong>in</strong> Beitrag zur Entstehungsgeschichte<br />

der Grenzl<strong>in</strong>ie aus dem Grenzraum, Köln 1972.<br />

5 JOHN BLACK: Bo<strong>und</strong>aries and conflict. International relations <strong>in</strong> ancien rég<strong>im</strong>e Europe, <strong>in</strong>:<br />

Eurasia. World Bo<strong>und</strong>aries volume 3, hrsg. von CARL GRUNDY-WARR, London, New York<br />

1994, S. 19-55, hier S. 28-31.<br />

59


sich bereits um nach „modernen“ Pr<strong>in</strong>zipien gezogene Staatsgrenzen handelte, müßte<br />

für die Außengrenzen vor allem des Osmanischen Reiches noch e<strong>in</strong>gehender <strong>und</strong> aus<br />

vergleichender Perspektive untersucht werden; zum<strong>in</strong>dest <strong>im</strong> nordöstlichen Bereich<br />

Europas f<strong>in</strong>den sich z. B. bis <strong>in</strong> das frühe <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>ert noch Überlappungsgebiete<br />

von Staatssouveränität, die entweder als Niemandsland oder als Kondom<strong>in</strong>ium örtlich<br />

bzw. geme<strong>in</strong>sam verwaltet wurden. 6<br />

Mit der Herausbildung von Nationalstaaten mit Gewaltmonopol, e<strong>in</strong>er Zentralbürokratie<br />

<strong>und</strong> der Sistierung sozioökonomisch wirksamer B<strong>in</strong>nengrenzen (wie etwa<br />

von Zwischenzoll<strong>in</strong>ien) erhielt die Staatsgrenze auch <strong>in</strong> der östlichen Hälfte Europas<br />

jene Konnotation, die wir heute mit ihr verb<strong>in</strong>den: die e<strong>in</strong>er Begrenzung der legislativen,<br />

exekutiven <strong>und</strong> judikativen Zuständigkeit des jeweiligen Staates. Diese L<strong>in</strong>ie<br />

muß, dem Exklusivitätsanspruch des modernen Staates wegen, e<strong>in</strong>deutig def<strong>in</strong>iert<br />

se<strong>in</strong>; die Summe aller <strong>Grenzen</strong> darf daher <strong>in</strong> letzter Konsequenz ke<strong>in</strong> Territorium unberücksichtigt<br />

lassen. 7 Entsprechend läßt sich aus nationalstaatlicher Perspektive die<br />

Grenze als L<strong>in</strong>ie letzter Begrenzung staatlichen E<strong>in</strong>flusses def<strong>in</strong>ieren. Staatsgrenze<br />

fungiert als territoriale Manifestation von Machtverhältnissen, sie ist das Objekt politischen<br />

Handelns auf oberster Ebene, <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Änderung ihres Verlaufs bedarf der<br />

Sanktionierung nationaler bzw. transnationaler Akteure. Diese Perspektive des Zentrums<br />

betont den Konstrukt- <strong>und</strong> Funktionscharakter von Staatsgrenzen, welche aus<br />

dieser Sicht als Außenhaut des eigenen Staatskörpers wahrgenommen werden. 8<br />

Entsprechend wäre auch die Grenzregion als adm<strong>in</strong>istrative E<strong>in</strong>heit auf e<strong>in</strong>er Seite<br />

der Staatsgrenze zu def<strong>in</strong>ieren, <strong>in</strong> welcher sich e<strong>in</strong>erseits die staatliche Infrastruktur<br />

gegen die Staatsgrenze h<strong>in</strong> ausdünnt, die sich jedoch andererseits zur Ausübung e<strong>in</strong>er<br />

Reihe spezifischer Tätigkeiten gleichsam anbietet – diese s<strong>in</strong>d vor allem meist mit<br />

Kontroll- (Migration <strong>und</strong> Güterverkehr) <strong>und</strong> Verteidigungsbedürfnissen (militärischer<br />

Grenzschutz) verb<strong>und</strong>en. Aus dieser Perspektive bilden Zentrum <strong>und</strong> Grenze gleich-<br />

6 So wurden etwa „geme<strong>in</strong>same Bezirke“ entlang der Grenze zwischen dem zaristischen<br />

Rußland <strong>und</strong> dem Königreich Dänemark-Norwegen, die sich auch durch e<strong>in</strong>e Mischbesteuerung<br />

auszeichneten, erst <strong>im</strong> Jahr 1826 geteilt. BLACK (wie Anm. 5), S. 22. Vgl. zu diesem<br />

Aspekt für den französisch-spanischen Grenzbereich: FRANÇOIS BEGUIN: Strategies<br />

frontalières dans les Pyrénées la f<strong>in</strong> de l´ancien rég<strong>im</strong>e, <strong>in</strong>: Frontières et l<strong>im</strong>ites, Paris 1991,<br />

S. 69-80; PETER SAHLINS: Natural Frontiers Revisited: France´s Bo<strong>und</strong>aries s<strong>in</strong>ce the Seventeenth<br />

Century, <strong>in</strong>: American Historical Review 95 (1990), S. 1423-1451; DERS. (wie<br />

Anm. 2).<br />

7 CLAUDE BLUMANN: Frontières et l<strong>im</strong>ites, <strong>in</strong>: Societé Francaise pour le Droit International,<br />

Colloques de Poitiers, La Frontière, Paris 1980, S. 5. Zitiert nach: ANTHONY CARTY: Für<br />

e<strong>in</strong>en neuen Grenzbegriff <strong>im</strong> Völkerrecht, <strong>in</strong>: Literaturen der Grenze (wie Anm. 3), S. 253-<br />

272, hier S. 253.<br />

8 DENNIS RUMLEY, JULIAN V. MINGHI: Introduction, <strong>in</strong>: The geography of border landscape,<br />

hrsg. von DENS., London, New York 1991, 1-14, hier S. 2. WALTER LEIMGRUBER: Segregation<br />

oder Integration. Innen- <strong>und</strong> Außengrenzen als Maßstäbe des Denkens <strong>und</strong> Handelns<br />

<strong>in</strong> der Schweiz, <strong>in</strong>: Geographische R<strong>und</strong>schau 43 (1991), S. 488-493, hier S. 488-489. Siehe<br />

auch folgende Studie: ANSSI PAASI: Territories, bo<strong>und</strong>aries and consciousness. The<br />

chang<strong>in</strong>g geographies of the F<strong>in</strong>nish-Russian border, Chichester, New York 1996.<br />

60


sam e<strong>in</strong>e funktionale E<strong>in</strong>heit: 9 Vorgänge <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Grenzregion haben direkte Auswirkungen<br />

<strong>im</strong> Zentrum <strong>und</strong> umgekehrt, wobei sich dies meist <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Veränderung des<br />

Transparenzgrades der Staatsgrenze ausdrückt.<br />

Diese Sicht unterschätzt jedoch die Eigendynamik lokaler <strong>und</strong> regionaler Faktoren<br />

entlang von Staatsgrenzen, vor allem h<strong>in</strong>sichtlich der M<strong>in</strong>derheitenfrage. 10 Die Gefahr<br />

e<strong>in</strong>es zu zentrumsbezogenen Verständnisses von Staatsgrenze liegt entsprechend<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Wahrnehmung von Grenzregionen als per def<strong>in</strong>itionem periphere Gebiete –<br />

vor allem <strong>im</strong> westeuropäischen Bereich gibt es durchwegs Grenzregionen, die sich<br />

dynamisch entwickeln <strong>und</strong> grenzüberschreitende zentralräumliche Funktionen übernehmen<br />

können. Der Umkehrschluß, daß Grenzregionen nicht zw<strong>in</strong>gend bzw. auf<br />

Dauer benachteiligte Räume darstellen müssen, verweist e<strong>in</strong>erseits auf die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

für die Entwicklung e<strong>in</strong>er Grenzregion, andererseits auf den Transparenzgrad<br />

der Staatsgrenze. 11 Dieser Gesichtspunkt führt uns zu e<strong>in</strong>em zweiten Def<strong>in</strong>itionsansatz<br />

von Grenze: Der regionalen bzw. lokalen Sicht entspräche die Auffassung<br />

von Staatsgrenze als Bereich des Aufe<strong>in</strong>andertreffens unterschiedlicher politischer<br />

<strong>und</strong> sozioökonomischer Parameter <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em territorialen Kont<strong>in</strong>uum. Diesem Grenzmodell<br />

entspräche die Wahrnehmung von Grenzregion als Gebietsstreifen auf beiden<br />

Seiten e<strong>in</strong>er Staatsgrenze, <strong>in</strong> deren Zentrum die Grenze als Sondersituation e<strong>in</strong>e Ausdifferenzierung<br />

grenzüberschreitender Austauschbeziehungen <strong>und</strong> Interaktionen bed<strong>in</strong>gt.<br />

In der Regel kommt es zwar über die Staatsgrenze h<strong>in</strong>weg <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Bereichen zu<br />

e<strong>in</strong>er Steigerung des Güteraustausches, der <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Zusammensetzung stark selektiv<br />

ist <strong>und</strong> über den lokalen Bedarf h<strong>in</strong>ausgeht. 12 In den meisten Aspekten wird jedoch –<br />

selbst bei größtmöglicher Bereitschaft von staatlicher Seite, die Transparenz e<strong>in</strong>er<br />

Grenze durch Abkommen (wie z. B. über den kle<strong>in</strong>en Grenzverkehr) zu gewährleisten<br />

– e<strong>in</strong>e Barriere- <strong>und</strong> Verzerrungswirkung der Staatsgrenze festzustellen se<strong>in</strong>; dies um-<br />

9<br />

SIGRUN ANSELM: <strong>Grenzen</strong> trennen, <strong>Grenzen</strong> verb<strong>in</strong>den, <strong>in</strong>: Literaturen der Grenze (wie<br />

Anm. 3), S. 197-<strong>20</strong>9, hier S. <strong>20</strong>2-<strong>20</strong>3.<br />

10<br />

Studien hierzu bieten u. a. folgende Werke: Deutsche <strong>und</strong> Polen zwischen den Kriegen.<br />

M<strong>in</strong>derheitenstatus <strong>und</strong> „Volkstumskampf“ <strong>im</strong> Grenzgebiet. Amtliche Berichterstattung<br />

aus beiden Ländern 19<strong>20</strong>-1939, hrsg. von RUDOLF JAWORSKI <strong>und</strong> MARIAN WOJ-<br />

CIECHOWSKI, 2 Bde., München u.a. 1997; MATHIAS NIENDORF: M<strong>in</strong>derheiten an der Grenze.<br />

Deutsche <strong>und</strong> Polen <strong>in</strong> den Kreisen Flatow (Złotów) <strong>und</strong> Zempelburg (Sępólno Krajeńskie)<br />

1900-1939, Wiesbaden 1997; PETER HASLINGER: Der ungarische Revisionismus<br />

<strong>und</strong> das Burgenland 1922-1932, Frankfurt am Ma<strong>in</strong> 1994.<br />

11<br />

Vgl. hierzu: NILES M. HANSEN: Border region development and cooperation. Western Europe<br />

and the U.S.-Mexico borderlands <strong>in</strong> comparative perspective, <strong>in</strong>: Across bo<strong>und</strong>aries,<br />

hrsg. von ORLANDO MARTINEZ, El Paso 1986.<br />

12<br />

H. BREUNER: „Grenzgefälle“ – Hemmungs- oder Anregungsfaktoren für räumliche Entwicklung,<br />

<strong>in</strong>: Aachener Geographische Arbeiten 14 (1981), S. 425-437.<br />

61


so mehr, als sich die beiden benachbarten Staaten h<strong>in</strong>sichtlich ihrer sozialökonomischen<br />

<strong>und</strong> politischen Systeme unterscheiden. 13<br />

Es stellt <strong>im</strong> Bereich der Sozialgeographie e<strong>in</strong>e anerkannte These dar, daß entlang<br />

<strong>in</strong>ternationaler <strong>Grenzen</strong> Aktionsräume verschoben oder e<strong>in</strong>geschränkt werden.<br />

Grenzüberschreitungen wohnt daher per se e<strong>in</strong> restriktives Moment <strong>in</strong>ne, da die<br />

Staatsgrenze <strong>in</strong> der Regel e<strong>in</strong>en Übergangsbereich zwischen „eigenbest<strong>im</strong>mtem“ <strong>und</strong><br />

„fremdbest<strong>im</strong>mtem“ Bereich festsetzt. Dieser Aspekt müßte aus mikrohistorischer<br />

bzw. anthropologischer Perspektive um die Beobachtung ergänzt werden, daß e<strong>in</strong><br />

Preis- <strong>und</strong> Rechtsgefälle für die Lokalbevölkerung durchaus auch e<strong>in</strong>e Reihe von<br />

Möglichkeiten eröffnet. 14 Bei E<strong>in</strong>schreiten des Staates tendieren diese Grenzüberschreitungen<br />

<strong>in</strong> Richtung Illegalität (Schmuggel). Erreichen legistische <strong>und</strong> logistische<br />

Gegenmaßnahmen (Verschärfung der E<strong>in</strong>fuhr- <strong>und</strong> Ausfuhrbest<strong>im</strong>mungen, verschärfte<br />

Zoll- <strong>und</strong> Grenzkontrollen) e<strong>in</strong> best<strong>im</strong>mtes Ausmaß, führt dies zwangsläufig<br />

zu e<strong>in</strong>er Ausdünnung grenzüberschreitender Interaktionen. E<strong>in</strong>er Staatsgrenze kommt<br />

aus der Sicht der Lokalbevölkerung hierbei e<strong>in</strong>e Subjektrolle zu, die ihre personelle<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong>frastrukturelle Verkörperung <strong>in</strong> der Grenzadm<strong>in</strong>istration f<strong>in</strong>det. Das Gefühl der<br />

Marg<strong>in</strong>alisierung, des unverschuldet an den Rand gedrängt Se<strong>in</strong>s, mündet nicht selten<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en verstärkten Bezug auf den Schutz <strong>und</strong> Vertrautheit vermittelnden Kle<strong>in</strong>raum.<br />

Gerade für den osteuropäischen Bereich wäre <strong>in</strong> diesem Zusammenhang aus identitätspolitischer<br />

Perspektive die Frage nach der Entstehung <strong>und</strong> Tradierung e<strong>in</strong>es<br />

„Grenzbewußtse<strong>in</strong>“ zu stellen. Für Grenzsäume kann <strong>in</strong> diesem Zusammenhang von<br />

der Forschungshypothese ausgegangen werden, daß diese bereits vor der Etablierung<br />

l<strong>in</strong>earer <strong>Grenzen</strong> durch e<strong>in</strong>en niederen Grad <strong>in</strong>frastruktureller Durchdr<strong>in</strong>gung <strong>und</strong> die<br />

Entwicklung charakteristischer Wirtschaftsstrategien gekennzeichnet waren, welche<br />

der Lokalbevölkerung <strong>im</strong> Falle e<strong>in</strong>er Eskalation von Konfliktlagen e<strong>in</strong>e unverzügliche<br />

Migration <strong>in</strong> schwerer zugängliche Bereiche ermöglichten. Vor allem für Regionen<br />

mit e<strong>in</strong>er weit zurückreichenden Konflikttradition bliebe daher zu erforschen, auf<br />

welche Lebensbereiche <strong>und</strong> Gruppen (z. B. Diasporam<strong>in</strong>oritäten) soziale Interaktionen<br />

über die Grenze bzw. den Grenzsaum h<strong>in</strong>weg beschränkt blieben. Zudem wird<br />

die Frage aufzuwerfen se<strong>in</strong>, ob die Schließung lokaler Kle<strong>in</strong>gesellschaften mit e<strong>in</strong>er<br />

e<strong>in</strong>seitigen Selbstabgrenzung gegenüber dem „Fe<strong>in</strong>dland“, dem Territorum jenseits<br />

des Grenzraumes, <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Bezugssystem gesetzt werden kann. Nicht zuletzt f<strong>in</strong>den sich<br />

gerade für Südosteuropa zahlreiche Beispiele für e<strong>in</strong>en extrem konfrontativ ausgestalteten<br />

Grenzbegriff, der meist <strong>in</strong> Identitätstopoi e<strong>in</strong>er exponierten Randlage, e<strong>in</strong>es<br />

„Grenzlandes“ 15 ihren Ausdruck f<strong>in</strong>det.<br />

13 GERT RITTER, JOSEPH HAJDU: Die deutsch-deutsche Grenze. Analyse ihrer räumlichen<br />

Auswirkungen <strong>und</strong> der raumwirksamen Staatstätigkeit <strong>in</strong> den Grenzgebieten, Köln 1982,<br />

S. 18.<br />

14 STEFAN KRÄTKE: Probleme <strong>und</strong> Perspektiven der deutsch-polnischen Grenzregion, <strong>in</strong>:<br />

Grenze der Hoffnung (wie Anm. 3), S. 162-<strong>20</strong>3, hier S. 169.<br />

15 Der Ausdruck „borderland“ wurde <strong>in</strong> der anglosächsischen Literatur erstmals 1937 für die<br />

Region entlang der Grenze zwischen den USA <strong>und</strong> Kanada verwendet, <strong>in</strong> dem, so der Autor,<br />

e<strong>in</strong> auf die Präsenz der Staatsgrenze zurückzuführender kultureller Unterschied festzu-<br />

62


Die parallel zu der Herausbildung von Staatsgrenzen verlaufenden Prozesse der<br />

Exklusion <strong>und</strong> Inklusion von Territorium würden, so könnte e<strong>in</strong>e Schlußfolgerung<br />

lauten, durch soziale Exklusions- <strong>und</strong> Inklusionsmechanismen ergänzt. Entwickelt<br />

diese Verschränkung <strong>in</strong> Identitätsdiskursen e<strong>in</strong>e politisch relevante Eigendynamik,<br />

werden entlang sprachlicher oder konfessioneller <strong>Grenzen</strong> Grenzbildungsprozesse zur<br />

Ausbildung neuer staatlicher oder quasistaatlicher E<strong>in</strong>heiten e<strong>in</strong>geleitet, was forcierte<br />

Migrationen bis h<strong>in</strong> zu ethnischen Säuberungen zur Folge haben kann. Gerade <strong>im</strong><br />

H<strong>in</strong>blick auf die zahlreichen Grenzverschiebungen <strong>in</strong> der ersten Hälfte unseres Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

(Balkankriege, Pariser Vorortverträge, die Grenzrevisionen zwischen Münchener<br />

Abkommen <strong>und</strong> den Pariser Friedensverträgen von 1947) ersche<strong>in</strong>t es <strong>in</strong> diesem<br />

Zusammenhang hilfreich, analog der frühen Klassifizierung von Grenzl<strong>in</strong>ien <strong>in</strong><br />

„antezedente“ <strong>und</strong> „subsequente“ <strong>Grenzen</strong> 16 zusätzlich zwischen zwei Gr<strong>und</strong>typen<br />

von Staatsgrenzen zu unterscheiden: zwischen jenen <strong>Grenzen</strong>, die bei ihrer Konstitution<br />

als <strong>in</strong>ternationale Grenze direkt an adm<strong>in</strong>istrative Traditionen anknüpften <strong>und</strong><br />

daher seitens der Lokalbevölkerung über e<strong>in</strong> Rechts- <strong>und</strong> Identifikationsgefälle entsprechend<br />

ver<strong>in</strong>nerlicht s<strong>in</strong>d, <strong>und</strong> jenen Staatsgrenzen, die mit ke<strong>in</strong>er zuvor existierenden<br />

adm<strong>in</strong>istrativen L<strong>in</strong>ie höherer Ordnung deckungsgleich wären. 17 Bei letzterem<br />

Grenztypus kann von e<strong>in</strong>em Fehlen ver<strong>in</strong>nerlichter Vorprägungen ausgegangen werden,<br />

so daß aus dieser Perspektive die neu festgesetzte Staatsgrenze e<strong>in</strong> als kulturelles<br />

<strong>und</strong> sozioökonomisches Kont<strong>in</strong>uum zu begreifendes Territorium durchschnitten hätte.<br />

Die E<strong>in</strong>beziehung dieser Grenzregionen <strong>in</strong> die jeweiligen Rechts- <strong>und</strong> Verwaltungssysteme<br />

sowie Maßnahmen zur Sicherung der neuen Außengrenze (etwa durch die<br />

E<strong>in</strong>richtung von ausgewiesenen Stellen zum Zweck des Grenzübertritts) stünden aus<br />

dieser Perspektive am Beg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>er Ause<strong>in</strong>anderentwicklung von die Grenzl<strong>in</strong>ie bislang<br />

überlappenden Merkmalsräumen. Weitgehend abgekoppelt von der Ausgestaltung<br />

der bilateralen Beziehungen entwickelt sich e<strong>in</strong>e derartige Staatsgrenze zu e<strong>in</strong>er<br />

alle Bereiche des Alltagslebens umfassenden Trennl<strong>in</strong>ie. 18<br />

stellen sei; die Gründe hierfür seien zum Teil lokaler Natur, lägen zudem <strong>im</strong> „nationalen<br />

Unterschied“ (national contrast) <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er unterschiedlichen E<strong>in</strong>wanderungspolitik. S. B.<br />

JONES: The Cordilleran section oc the Canadian-United States boderland, <strong>in</strong>: Geographical<br />

Journal 89 (1987), S. 439-450. Zur aktuellen borderland-Forschung siehe u.a.: ANTONY<br />

IJAOLA ASIWAJU: Borderland Research. A Comparative Perspective, El Paso 1983; JULIAN<br />

V. MINGHI: European Borderlands. International Harmony, Landscape Change and New<br />

Conflict, <strong>in</strong>: Eurasia (wie Anm. 5), S. 89-98; hervorzuheben ist zudem: JOHN ROBERT VIC-<br />

TOR PRESCOTT: Political Frontiers and Bo<strong>und</strong>aries, London 1987; MARZIO STRASSOLDO:<br />

Regional development and national defence. A conflict of values and power <strong>in</strong> a frontier,<br />

<strong>in</strong>: Bo<strong>und</strong>aries and regions. Explorations <strong>in</strong> the values and power <strong>in</strong> a frontier, Trieste<br />

1973, S. 387-416.<br />

16 RICHARD HARTSHORE: Suggestions as to the term<strong>in</strong>ology of political bo<strong>und</strong>aries, <strong>in</strong>: Annals<br />

of the Association of American Geographers 26 (1936), S. 56-57.<br />

17 Dies träfe <strong>in</strong> der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg beispielsweise auf nahezu alle <strong>Grenzen</strong><br />

Ungarns, die Ostgrenze Polens oder die Mehrzahl der <strong>in</strong>nerbaltischen <strong>Grenzen</strong> zu.<br />

18 Bruchl<strong>in</strong>ie Eiserner Vorhang. Regionalentwicklung <strong>im</strong> österreichisch-ungarischen Grenzraum,<br />

hrsg. von MARTIN SEGER <strong>und</strong> PAL BELUSZKY, Wien 1993, S. 14.<br />

63


Der an e<strong>in</strong>er Staatsgrenze <strong>in</strong> der Regel latent vorhandene Spannungszustand – e<strong>in</strong><br />

Indifferenzzustand von Defensive <strong>und</strong> Offensive 19 – muß, so kann als Forschungshypothese<br />

formuliert werden, <strong>in</strong> <strong>in</strong>dividuelles <strong>und</strong> kollektives Denken <strong>und</strong> Handeln<br />

e<strong>in</strong>fließen <strong>und</strong> beispielsweise zur Politisierung vieler Aktivitäten führen, die <strong>in</strong><br />

B<strong>in</strong>nengebieten ke<strong>in</strong>e entsprechende Relevanz besitzen. Vor allem für jene<br />

Generationen, die ihre <strong>in</strong>dividuellen territorialen Bezugsnetze vor dem Entstehen der<br />

Staatsgrenze entwickelten, bedeutete die neue Situation durchweg e<strong>in</strong>e<br />

e<strong>in</strong>schneidende Veränderung der „Bewegungsnormalität“. Die Staatsgrenze wurde <strong>in</strong><br />

der Regel als logistisches Problem betrachtet <strong>und</strong> entsprechend versucht, bisherige<br />

grenzüberschreitende Praktiken (<strong>im</strong> ländlichen Bereich etwa Jahrmarktbesuche,<br />

E<strong>in</strong>kaufs- oder Wallfahrten) entgegen den neuen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen möglichst<br />

beizubehalten. Dies machte es jedoch nötig, den Amtsorganen der<br />

Grenzadm<strong>in</strong>istration gegenüber e<strong>in</strong>en neuartigen Habitus zu entwickeln, der eigenen<br />

Interessen <strong>und</strong> dem Kontrollbedürfnis des Staates be<strong>im</strong> Grenzübertritt <strong>in</strong> gleicher<br />

Weise Rechnung trug – <strong>in</strong> vielen Fällen führte dies zu lokalen Kompromissen, so daß<br />

die Grenze auch ohne die nötigen Papiere überschritten werden konnte. Aus dieser<br />

Perspektive kann Schmuggeltätigkeit <strong>im</strong> übrigen abseits ökonomischer Aspekte auch<br />

als <strong>in</strong>dividuelle Wiederherstellung e<strong>in</strong>er durch die Grenzziehung<br />

„verlorengegangenen“ bzw. „beschnittenen“ Lebenswelt gedeutet werden.<br />

Dieses Beispiel ließe die generalisierende Annahme zu, daß e<strong>in</strong> wesentliches<br />

Funktionspr<strong>in</strong>zip von Staatsgrenze <strong>im</strong> Bereich ihrer Wahrnehmung seitens der Akteure<br />

auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelt werden kann, stellt sie doch für e<strong>in</strong> best<strong>im</strong>mtes<br />

Bevölkerungssegment jeweils e<strong>in</strong> positiv besetztes Innen <strong>und</strong> e<strong>in</strong> neutral,<br />

exotisch oder – <strong>und</strong> dies vor allem <strong>in</strong> Osteuropa – negativ konnotiertes Außen her.<br />

Aus nationalstaatlicher Perspektive muß <strong>in</strong> diesem Zusammenhang auf e<strong>in</strong>e Besonderheit<br />

vor allem Ostmittel- <strong>und</strong> Südosteuropas h<strong>in</strong>gewiesen werden: Spätestens seit<br />

der Zwischenkriegszeit dom<strong>in</strong>ieren hier Staaten, die sich als von e<strong>in</strong>er oder mehreren<br />

ethnischen Gruppen geprägt oder zum<strong>in</strong>dest getragen verstanden. Die Abgrenzung<br />

der Staatengebilde zue<strong>in</strong>ander erfolgte <strong>im</strong> wesentlichen nach dem Postulat, e<strong>in</strong>e<br />

Sprachgrenze sei identisch mit der Kulturgrenze e<strong>in</strong>er best<strong>im</strong>mten Bevölkerung <strong>und</strong><br />

stelle daher die Scheidel<strong>in</strong>ie zweier (aus dieser Perspektive unvere<strong>in</strong>barer) nationaler<br />

politischer Kulturen dar. Sprachgrenzen seien daher die natürliche Gr<strong>und</strong>lage zur<br />

Ziehung e<strong>in</strong>er idealen Staatsgrenze.<br />

Wie schon mehrfach festgehalten wurde, führten die sprachlich-ethnische Gemengelage<br />

sowie staatsrechtliche, wirtschaftliche, verkehrstechnische <strong>und</strong> militärstrategische<br />

Argumente <strong>und</strong> Rücksichten nach der Grenzziehung durchwegs zu e<strong>in</strong>er Inkohärenz<br />

von Sprach- <strong>und</strong> Staatsgrenzen. Vor allem Grenzregionen mit ethnischer M<strong>in</strong>derheitsbevölkerung<br />

mußten aus dem Blickw<strong>in</strong>kel des Zentrums Behauptungs- <strong>und</strong><br />

Profilierungsgebiete darstellen, dem „andersnationalen“ Nachbarstaat gegenüber<br />

ebenso wie regionalen Eliten, die dem vormaligen Staat gegenüber oft Restloyalitäten<br />

bewahrten. Es mußte <strong>im</strong> Interesse des Staates gelegen se<strong>in</strong>, <strong>in</strong> neu übernommenen<br />

19 GEORG SIMMEL: Soziologie des Raumes, <strong>in</strong>: DERS.: Schriften zur Soziologie, Frankfurt<br />

1983, S. 227. Zitiert nach: ANSELM (wie Anm. 9), S. 197.<br />

64


Gebieten den eng begrenzten bzw. auf andere Zentren ausgerichteten Interessens- <strong>und</strong><br />

Wahrnehmungshorizont der lokalen Bevölkerung aufzubrechen. In der lokalen Bevölkerung<br />

nach wie vor präsente, auf die vormalige Staatsdoktr<strong>in</strong> gerichtete Identifikationsmuster<br />

bargen aus dieser Perspektive die Gefahr e<strong>in</strong>er Mobilisierung regionaler<br />

Bewußtse<strong>in</strong>s<strong>in</strong>halte <strong>in</strong> sich; entsprechend ist <strong>in</strong> der Zwischenkriegszeit <strong>in</strong> Ostmittel-<br />

<strong>und</strong> Südosteuropa <strong>in</strong> der Regel e<strong>in</strong> Zentralisationsreflex der Staatsadm<strong>in</strong>istration<br />

vor allem peripher gelegenen Gebieten gegenüber festzustellen. Die e<strong>in</strong>em Souveränitätswechsel<br />

zwangsläufig nachfolgende Rechts- <strong>und</strong> Verwaltungsangleichung wurde<br />

<strong>in</strong> den meisten Staaten unter der Zielsetzung von Anb<strong>in</strong>dung, Erwerbssicherung <strong>und</strong><br />

staatsbürgerlicher „Sozialisierung“ durchgeführt; die neuen Staatsgrenzen sollten sich<br />

zu Außengrenzen staatsbürgerlichen Wohlverhaltens entwickeln.<br />

Der rezeptionsgeschichtliche Zugang auf das Thema „Staatsgrenze“ würde für die<br />

kommunistische Periode den Prozeß der Umwertung früherer, dem nationalen bzw.<br />

nationalistisch-faschistischen Diskursen entstammenden Topoi von Grenze als<br />

Schutzwall oder Bastion <strong>in</strong>s Zentrum des Interesses rücken – <strong>und</strong> dies sowohl h<strong>in</strong>sichtlich<br />

der Außengrenze (gegenüber dem kapitalistischen System) als auch der<br />

ehemaligen Konfliktl<strong>in</strong>ien zwischen den Bündnisstaaten des späteren Warschauer<br />

Paktes. Dies ersche<strong>in</strong>t nicht zuletzt aufgr<strong>und</strong> der tatsächlichen <strong>und</strong> potentiellen Brisanz<br />

des Themas „<strong>Grenzen</strong>“ für den osteuropäischen Bereich als besonders dr<strong>in</strong>glich.<br />

E<strong>in</strong>e noch vor dem Zerfall der Sowjetunion <strong>und</strong> Jugoslawiens, <strong>im</strong> Jahr 1987, erstellte<br />

Übersicht weist von den 13 verzeichneten europäischen Grenzkonflikten alle<strong>in</strong> neun<br />

diesem Teil Europas zu. <strong>20</strong> Für die aktualitätsbezogene Osteuropaforschung gälte es<br />

auch die These zu überprüfen, daß der Siegeleffekt <strong>in</strong>ternationaler <strong>Grenzen</strong> durch e<strong>in</strong>e<br />

weltweite Globalisierung zunehmend aufgehoben werden würde; 21 denn wie <strong>im</strong> Falle<br />

Jugoslawiens besitzt auch die „Vergrenzung“ ehemaliger B<strong>in</strong>nen- zu vollfunktionalen<br />

Staatsgrenzen <strong>im</strong> postsowjetischen Bereich, vor allem <strong>in</strong> der Kaukasusregion <strong>und</strong> <strong>in</strong><br />

Zentralasien, potentiellen Konfliktcharakter.<br />

Insgesamt wären solche vergleichenden Untersuchungen über das Management<br />

der Topoi „Grenze“ bzw. „Grenzland“ bei Prozessen der Ausbildung von Gruppenidentität<br />

notwendig, die auch die Ergebnisse der westeuropäischen Regionalismusdebatte,<br />

vor allem für den südosteuropäischen Bereich verstärkt berücksichtigen würde.<br />

22 Zusätzlich müßten weitere lokale <strong>und</strong> regionale Fallstudien helfen, das bisher<br />

<strong>20</strong> ALAN J. DAY: Border and territorial disputes, Harlow 1987.<br />

21 DAVID NEWMAN: The functional presence of an „erased“ bo<strong>und</strong>ary. The re-emergence of<br />

the Green L<strong>in</strong>e, <strong>in</strong>: The middle east and north Africa. World bo<strong>und</strong>aries series 2, hrsg. von<br />

CLIVE H. SCHOFIELD <strong>und</strong> RICHARD N. SCHOFIELD, London, New York 1994, S. 71-98, hier<br />

S. 71.<br />

22 Zur Rezeption möglicher Ansätze siehe vor allem: JOCHEN BLASCHKE: Volk, Nation, <strong>in</strong>terner<br />

Kolonialismus, Ethnizität. Konzepte zur politischen Soziologie regionalistischer Bewegungen<br />

<strong>in</strong> Westeuropa, Berl<strong>in</strong> 1985; RICHARD PIEPER: Region <strong>und</strong> Regionalismus. Zur<br />

Wiederentdeckung e<strong>in</strong>er räumlichen Kategorie <strong>in</strong> der soziologischen Theorie, <strong>in</strong>: Geographische<br />

R<strong>und</strong>schau 89 (1987), S. 534-538; STEIN ROKKAN, DEREK W. URWIN: Economy,<br />

Territory, Identity, London 1983; PETER WEICHHART: Die Region – Ch<strong>im</strong>äre, Artefakt oder<br />

65


nur schemenhafte Bild der „<strong>Grenzen</strong>“ Osteuropas zu konkretisieren. Hierbei wird das<br />

räumliche Umfeld auf beiden Seiten des e<strong>in</strong>zelnen Grenzsegements vorerst als spezifische<br />

Situation zu begreifen <strong>und</strong> die Kle<strong>in</strong>räumigkeit der Entwicklung zu berücksichtigen<br />

se<strong>in</strong>. E<strong>in</strong>e Verknüpfung e<strong>in</strong>es lokal-regionalen Bezuges mit anderen Ebenen<br />

könnte vermehrt angestrebt werden. Geht man nämlich von der Beobachtung aus, daß<br />

adm<strong>in</strong>istrative B<strong>in</strong>nengrenzen, die unterschiedliche ethnische Regionen trennen, bei<br />

e<strong>in</strong>er Veränderung des Kräfteverhältnisses dazu tendieren, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>ternationale<br />

Grenze übergeführt zu werden 23 , stellt das Thema „Grenze“ auch <strong>in</strong> Zukunft e<strong>in</strong>es der<br />

großen Potentiale e<strong>in</strong>er Osteuropaforschung <strong>im</strong> gesamteuropäischen Rahmen dar;<br />

denn ohne deren Expertise bezüglich regionaler Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> historischer Traditionen<br />

werden tragfähige Analysen zu Konfliktmanagement <strong>und</strong> Konfliktprävention<br />

<strong>in</strong> weiteren Eskalationsfällen kaum zu erwarten se<strong>in</strong>.<br />

Strukturpr<strong>in</strong>zip sozialer Systeme?, <strong>in</strong>: Region <strong>und</strong> Regionsbildung <strong>in</strong> Europa. Konzepte der<br />

Forschung <strong>und</strong> empirische Bef<strong>und</strong>e, hrsg. von GERHARD BRUNN, Baden-Baden 1996, S.<br />

25-43.<br />

23 NEWMAN (wie Anm. 21), S. 73.<br />

66


Wirtschaftliche Großräume<br />

oder nationalstaatliche Parzellierung?<br />

Die ökonomischen Funktionen von <strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong> <strong>Ostmitteleuropa</strong><br />

<strong>in</strong> den Jahrzehnten um die Mitte des <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

von<br />

Karl von D e l h a e s<br />

I. E<strong>in</strong>führung: Ökonomische Interpretationen von Staatsgrenzen<br />

Da se<strong>in</strong>e <strong>Grenzen</strong> die Zuständigkeit e<strong>in</strong>es Staates <strong>in</strong> räumlicher H<strong>in</strong>sicht def<strong>in</strong>ieren,<br />

ist ihre potentielle ökonomische Funktion abhängig von Art <strong>und</strong> Ausmaß wirtschaftsrelevanter<br />

Zuständigkeiten, die der Staat beansprucht. Wie schon die zeitliche <strong>und</strong><br />

örtliche Begrenzung <strong>im</strong> Untertitel des Themas vermuten läßt, ist dieser Anspruch <strong>im</strong><br />

Verlauf der Entwicklung nicht <strong>im</strong>mer <strong>und</strong> nicht überall e<strong>in</strong>er gleichbleibenden Norm<br />

gefolgt.<br />

Es ist unter anderen von Ernst Heuß darauf h<strong>in</strong>gewiesen worden, daß der <strong>in</strong>ternationale<br />

Handel, d.h. der Staatsgrenzen überschreitende Wirtschaftsverkehr zwischen<br />

relativ <strong>in</strong>terventionsfreien, gleichermaßen marktwirtschaftlich orientierten Ländern<br />

eigentlich ke<strong>in</strong>en eigenständigen, von der allgeme<strong>in</strong>en Raumwirtschaftstheorie abgegrenzten<br />

Untersuchungsgegenstand darstellt. In se<strong>in</strong>er Schrift „Wirtschaftssysteme<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong>ternationaler Handel“ legt er dar, daß die natürliche Raumgeb<strong>und</strong>enheit von<br />

Gütern <strong>und</strong> Produktionsfaktoren – darunter die des arbeitenden Menschen – erst mit<br />

dem besonders nach dem Ersten Weltkrieg zunehmenden staatlichen Engagement <strong>in</strong><br />

allen Lebensbereichen durch e<strong>in</strong>e nationale Geb<strong>und</strong>enheit überlagert wurde. 1 Zum e<strong>in</strong>en<br />

bestand dieses Engagement <strong>im</strong> Versuch der E<strong>in</strong>flußnahme des Staates auf die<br />

Entscheidungen der privaten Anbieter <strong>und</strong> Nachfrager am Markt, <strong>in</strong>sbesondere auch<br />

dort, wo sie grenzüberschreitende Transaktionen betrafen. Zum anderen war es die –<br />

freilich <strong>in</strong> enger Wechselwirkung mit dem erstgenannten Aspekt stehende – Bereitstellung<br />

öffentlicher Güter. Erst hierdurch wurden nationale <strong>Grenzen</strong> wirtschaftlich<br />

bedeutsam als Zollgrenzen, Währungsgrenzen <strong>und</strong> <strong>Grenzen</strong> der Besteuerung, aber<br />

beispielsweise auch als <strong>Grenzen</strong> zwischen Betriebsverfassungs-, Sozialversicherungs-<br />

oder Bildungssystemen. 2<br />

Im weiteren werde ich mich etwas ausführlicher mit der Entwicklung der direkten<br />

staatlichen E<strong>in</strong>flußnahme auf den grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr unserer<br />

1<br />

Vgl. ERNST HEUSS: Wirtschaftssysteme <strong>und</strong> <strong>in</strong>ternationaler Handel, Zürich, Sankt Gallen<br />

1955, S. 14-<strong>19.</strong><br />

2<br />

Ebenda, S. 18.<br />

67


Region befassen, um dann abschließend e<strong>in</strong>ige Bemerkungen zur Relevanz nationaler<br />

<strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em erweiterten Kontext zu machen, wie ihn etwa die neue politische<br />

Ökonomie als Ausgangspunkt n<strong>im</strong>mt.<br />

II. Staatliche Interventionen <strong>in</strong> grenzüberschreitende Markttransaktionen:<br />

der Individualgüterbereich<br />

1. Zollpolitik<br />

Traditionell dienten Zölle der staatlichen E<strong>in</strong>nahmeerzielung. <strong>Grenzen</strong> boten sich bei<br />

schwach entwickelter F<strong>in</strong>anzwirtschaft als zweckmäßigster Erhebungsort an. Noch<br />

1925 bestanden etwa <strong>in</strong> Rumänien fast die Hälfte, <strong>in</strong> Polen <strong>im</strong>merh<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Viertel, <strong>in</strong><br />

der Tschechoslowakei dagegen nur e<strong>in</strong> Sechstel der Staatse<strong>in</strong>nahmen aus Zöllen. 3<br />

Beg<strong>in</strong>nend mit dem Kameralismus <strong>und</strong> zunehmend seit der Industrialisierung wurden<br />

sie aber auch zur Ermutigung oder zum Schutz e<strong>in</strong>he<strong>im</strong>ischer Produktion e<strong>in</strong>gesetzt.<br />

In Gegenrichtung zur Ausbreitung der Industrialisierung von England aus ergab sich<br />

<strong>in</strong> unserer Region e<strong>in</strong> ausgeprägtes Schutzzollgefälle. So waren die russischen <strong>und</strong><br />

selbst noch die österreichischen Sätze von den deutschen derart verschieden, daß <strong>im</strong><br />

neu entstandenen Polen bis Mitte 1921 zwischen dem ehemals preußischen <strong>und</strong> den<br />

übrigen Teilungsgebieten e<strong>in</strong>e Wirtschaftsgrenze aufrecht erhalten werden mußte. 4<br />

Die Slowakei kam zwar nicht aus e<strong>in</strong>em anderen Zollgebiet <strong>in</strong> den neuen Staatsverband.<br />

Der Wegfall des <strong>im</strong> Königreich Ungarn mittels Subventionen geübten Protektionismus<br />

führte aber auch hier zu Anpassungsproblemen, die die Industrie veröden<br />

ließen. 5 Die folgende Tabelle zeigt Umfang <strong>und</strong> ansteigende Tendenz des Zollprotektionismus<br />

der Länder unserer Region <strong>in</strong> der Zwischenkriegszeit. Er bezieht sich auf<br />

Landwirtschaft <strong>und</strong> Industrie, wobei die Sonderrolle der Tschechoslowakei als e<strong>in</strong>ziges<br />

Land mit hochentwickelter Industrie bemerkenswerterweise kaum sichtbar wird.<br />

3 Vgl. ZDENEK DRABEK: Foreign Trade Performance and Policy, <strong>in</strong>: The Economic History<br />

of Eastern Europe 1919-1975, vol. I: Econonic Structure and Performance Between the<br />

Two Wars, hrsg. von MICHAEL C. KASER <strong>und</strong> EDWARD A. RADICE, Oxford 1985, S. 379-<br />

531, hier S. 412.<br />

4 Vgl. GYÖRGY RÁNKI <strong>und</strong> JERZY TOMASZEWSKI: The Role of the State <strong>in</strong> Industry, Bank<strong>in</strong>g<br />

and Trade, <strong>in</strong>: The Economic History of Europe 1919-1985, vol. II: Interwar Policy, the<br />

War and Reconstruction, hrsg. von MICHAEL C. KASER <strong>und</strong> EDWARD A. RADICE, Oxford<br />

1986, S. 3-48, hier S. 12 f.<br />

5 Ebenda, S. <strong>20</strong>.<br />

68


Tabelle 1: Höchstzölle <strong>in</strong> <strong>Ostmitteleuropa</strong> 1913, 1927 <strong>und</strong> 1931<br />

(als Prozentsatz vom Preis [cif], ungewichtete Mittelwerte)<br />

Warengruppe Jahr LAND<br />

Tschechoslowakei<br />

Ungarn Polen Rumänien<br />

1913 31,2 c 31,2 c 69,5 d 35,3<br />

Nahrungsmittel a 1927 37,7 34,5 75,5 47,6<br />

1931 89,0 64,4 118,0 90,0<br />

1913 21,8 c 21,8 c 71,0 d 33,6<br />

Halbfabrikate b 1927 23,5 32,0 38,3 44,5<br />

1931 32,2 40,6 46,2 56,4<br />

1913 24,0 c 24,0 c 90,0 d 28,5<br />

Fertigwaren 1927 46,0 41,0 69,5 60,3<br />

1931 44,0 55,5 61,4 69,5<br />

1913 25,7 c 25,7 c 77,0 d 33,0<br />

Durchschnitt 1927 35,8 35,8 61,0 51,0<br />

1931 55,0 53,5 75,0 72,0<br />

a: ohne Alkoholika b: ohne Erdölprodukte c: Österreich-Ungarn d: Rußland<br />

Quelle: HEINRICH LIEPMANN: Tariff Levels and the Economic Unity of Europe,<br />

London 1938, S. 392, 395, 397-399.<br />

2. Währungspolitik<br />

Es waren jedoch nicht ausschließlich <strong>und</strong> nicht e<strong>in</strong>mal vornehmlich die Zölle, die die<br />

<strong>Grenzen</strong> zu protektionistischen Schutzwällen machten. In dieser Funktion wurden sie<br />

durch nationale Währungsmanipulationen ergänzt <strong>und</strong> zeitweise sogar verdrängt. 6<br />

Zwar hatte es nationale Währungen auch vor dem Ersten Weltkrieg gegeben, aber die<br />

allgeme<strong>in</strong>e Akzeptanz <strong>und</strong> Verb<strong>in</strong>dlichkeit des Goldstandards ließen kaum Spielraum<br />

für nationale Währungspolitik. Nach den großen Inflationen – <strong>in</strong> unserem Raum <strong>in</strong><br />

Deutschland, Polen <strong>und</strong> Ungarn – war, trotz zeitweiliger Rückkehr zu e<strong>in</strong>em nom<strong>in</strong>ellen<br />

Goldstandard, das Vertrauen allgeme<strong>in</strong> gebrochen <strong>und</strong> Außen- <strong>und</strong> Innenwert der<br />

Währungen wurden zu Parametern staatlicher Politik. Die folgende Tabelle vermittelt<br />

hiervon, abgesehen von den großen Inflationen <strong>in</strong> Polen <strong>und</strong> Ungarn, auf den ersten<br />

Blick ke<strong>in</strong> dramatisches Bild. Die Vorgänge werden erst deutlicher, wenn man sich<br />

dazu <strong>in</strong>s Gedächtnis ruft, daß die beiden Leitwährungen der damaligen Zeit, Pf<strong>und</strong><br />

6 Ebenda S. 12 f.<br />

69


<strong>und</strong> Dollar 1931 bzw. 1933 den Goldstandard verließen <strong>und</strong> effektiv der Abwertung<br />

unterworfen waren. Zu dieser Zeit hatte <strong>in</strong> unserer Region der allgeme<strong>in</strong>e amtliche<br />

Wechselkurs bereits fast jegliche Funktion als Preiskomponente zur Steigerung des<br />

Außenhandels verloren. Vielfach wurden Geschäfte <strong>in</strong> den 30er Jahren je nach Warenart,<br />

Herkunfts- oder Best<strong>im</strong>mungsland zu speziellen Kursen abgerechnet.<br />

Tabelle 2: Wechselkurse <strong>und</strong> Inlandspreisniveau 1913 -1937<br />

Land<br />

Tschechoslowakei Ungarn Polen Rumänien<br />

Jahr WechselInlandsWechsel- Inlands-preise Wechsel-kurs InlandsWechselInlandskurspreisekurspreisekurspreise 1913 0,<strong>20</strong> 13 0,<strong>20</strong> 84 0,24 81 0,19 2<br />

1919 0,04 - - <strong>20</strong>46 0,01 - 0,02 -<br />

1921 0,01 260 0,001 5126 0,0003 37957 0,01 31<br />

1923 0,03 128 0,00005 422101 0,000002 97281870 0,005 57<br />

1925 0,03 98 0,00001 1437563 0,18 119 0,005 75<br />

1927 0,03 99 0,17 92 0,11 162 0,006 92<br />

1929 0,03 100 0,17 100 0,11 100 0,006 100<br />

1931 0,03 93 0,17 86 0,11 82 0,006 73<br />

1933 0,04 91 0,21 77 0,14 67 0,007 57<br />

1935 0,04<br />

1937 0,03 94 0,29 87 0,19 62 0,007 66<br />

(Wechselkurse: E<strong>in</strong>heit der Landeswährung <strong>in</strong> US $; Preisniveau: Lebenshaltungs<strong>in</strong>dex<br />

1929 = 100)<br />

Quelle: Völkerb<strong>und</strong>statistik nach RÁNKI <strong>und</strong> TOMASZEWSKI (wie Anm. 4), S. 178, 182,<br />

230.<br />

3. Adm<strong>in</strong>istrative E<strong>in</strong>griffe: Devisenbewirtschaftung, Kapitalverkehrskontrollen, Güterkont<strong>in</strong>gentierung,<br />

Außenhandelsmonopole<br />

Es ist e<strong>in</strong> ökonomischer Geme<strong>in</strong>platz, daß, wenn die Preise – wie hier durch Zölle<br />

<strong>und</strong> Währungsmanipulation – außer Funktion gesetzt werden, die Mengenregulierung<br />

nicht mehr vom Markt bewältigt werden kann. Es oblag nun also den Staaten, die<br />

Geld- <strong>und</strong> Warenströme über ihre <strong>Grenzen</strong> zum Ausgleich zu br<strong>in</strong>gen. Sicherlich<br />

standen die <strong>in</strong> folgender Zusammenstellung aufgelisteten Maßnahmen <strong>in</strong> Zusammenhang<br />

mit den Anpassungsproblemen nach dem Ersten Weltkrieg <strong>und</strong> <strong>in</strong>sbesondere mit<br />

den Folgen der Weltwirtschaftskrise. Zugleich waren sie aber auch das Ergebnis von<br />

Aktionszwängen, <strong>in</strong> die sich die ostmitteleuropäischen Staaten Schritt um Schritt<br />

selbst begeben hatten.<br />

70


Tabelle 3: Adm<strong>in</strong>istrative E<strong>in</strong>griffe <strong>in</strong> den <strong>in</strong>ternationalen Geld- <strong>und</strong> Warenverkehr<br />

Land<br />

E<strong>in</strong>griff<br />

Tschechoslowakei<br />

Ungarn<br />

Polen<br />

Rumänien<br />

Devisenbewirtschaftung<br />

ab 1931<br />

ab 1931<br />

ab 1936<br />

ab 1932<br />

Kapitalverkehrskontrolle<br />

ab 1932<br />

(Erleichterungen<br />

ab 1937)<br />

-<br />

ab 1936<br />

ab 1933<br />

Warenlenkung<br />

bis 1921 Zwangskartelle als Exportmonopole,<br />

Lizensierung<br />

durch Außenhandelsamt<br />

ab 1932 Importkont<strong>in</strong>gente <strong>und</strong><br />

-lizenzen<br />

ab 1933 Zwangskartelle als<br />

Außenhandelsmonopole<br />

bis 1924 Importembargoliste<br />

ab 1931 differenzierte Exportprämien<br />

ab 1932 Importkont<strong>in</strong>gente <strong>und</strong><br />

-lizenzen<br />

bis 1921 Lizenzierung durch Außenhandelsamt<br />

ab 1932 Importkont<strong>in</strong>gente <strong>und</strong><br />

-lizenzen<br />

Förderung von Exportkartellen<br />

bis 1922 Exportverbote<br />

ab 1932 Importkont<strong>in</strong>gente <strong>und</strong><br />

-lizenzen<br />

Präferentielle Exportförderung<br />

Sie standen damit freilich nicht alle<strong>in</strong> <strong>und</strong> waren <strong>in</strong> ihren Entscheidungen nicht<br />

<strong>im</strong>mer von den größeren Handelspartnern <strong>und</strong> Kreditgebern unabhängig. Insbesondere<br />

ihr nach Tradition <strong>und</strong> räumlicher Lage wichtigster Handelspartner, das Deutsche<br />

Reich, hatte e<strong>in</strong>en Teil der beschriebenen E<strong>in</strong>griffe <strong>in</strong> der e<strong>in</strong>en oder anderen Form<br />

vorexerziert <strong>und</strong> damit auch zu entsprechenden Reaktionen Anlaß gegeben. Obwohl<br />

es mit den Volkswirtschaften der USA, Großbritanniens <strong>und</strong> Frankreichs noch e<strong>in</strong><br />

weites Feld für den Handel auf der Basis konvertibler Währungen gab, traf ganz allgeme<strong>in</strong><br />

die Beobachtung J. M. Keynes zu, der 1926 <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Schrift „The End of<br />

Laissez-Faire“ konstatierte: „We do not dance even yet to a new tune. But change is<br />

<strong>in</strong> the air.“ 7<br />

7 Siehe JOHN MAYNARD KEYNES: The End of Laissez-Faire, London 1926, S. 3.<br />

71


4. Ostmitteleuropäischer Interventionismus der Zwischenkriegszeit: Anspruch <strong>und</strong><br />

Folgen für die Qualität der neuen <strong>Grenzen</strong><br />

In unserer Region hatte der Erste Weltkrieg die meisten Grenzveränderungen gebracht,<br />

<strong>und</strong> somit war hier die Besorgnis um ihren Bestand am stärksten ausgeprägt.<br />

Die großen Inflationen <strong>und</strong> später die Weltwirtschaftskrise erschütterten nachhaltig<br />

das Vertrauen <strong>in</strong> die Koord<strong>in</strong>ationsleistungen des Marktes. Was lag näher, als sich <strong>in</strong><br />

der Hoffnung auf Konsolidierung <strong>im</strong> Bereich der Währung wie dem der Wirtschaftsentwicklung<br />

den <strong>Institut</strong>ionen der neugef<strong>und</strong>enen Staatlichkeit zuzuwenden? Die Regierenden<br />

antworteten mit e<strong>in</strong>er Fülle zunächst punktueller wirtschaftspolitischer<br />

Maßnahmen 8 , deren geme<strong>in</strong>same Gr<strong>und</strong>lage anfangs allenfalls Erfahrungen aus der<br />

Kriegswirtschaft waren. Als Zielbündel lassen sich noch am ehesten Autarkie – <strong>in</strong>sbesondere<br />

auch für den Verteidigungsfall –, Freiheit von E<strong>in</strong>flüssen <strong>und</strong> verme<strong>in</strong>tlicher<br />

Ausbeutung von jenseits der Grenze 9 sowie – naturgemäß – Wachstum <strong>und</strong> hohe Beschäftigung<br />

erkennen.<br />

Ke<strong>in</strong>es dieser Ziele, mit Ausnahme vielleicht der Zurückdrängung des E<strong>in</strong>flusses<br />

ausländischer Privatfirmen <strong>und</strong> zeitweise der Belebung der Beschäftigung, ist rückschauend<br />

durch die staatlichen Interventionen nachhaltig gefördert oder gar erreicht<br />

worden. Indem die Staaten an ihren jeweiligen <strong>Grenzen</strong> den wirtschaftlich tätigen<br />

Bürgern <strong>im</strong>mer weitere Kompetenzen entzogen, koppelten sie sich mehr <strong>und</strong> mehr<br />

von e<strong>in</strong>er multilateralen <strong>in</strong>ternationalen Arbeitsteilung mit dem dazugehörigen Wohlstands-<br />

<strong>und</strong> Entwicklungspotential ab. Das Inlandspreisniveau lag aufgr<strong>und</strong> der zahlreichen<br />

Kartelle <strong>und</strong> Monopole <strong>in</strong> der Regel über dem der Weltmarktpreise. In den<br />

Verträgen zwischen <strong>in</strong>dividuellen Anbietern <strong>und</strong> Nachfragern, deren Gew<strong>in</strong>n<strong>in</strong>teresse<br />

e<strong>in</strong>e unparteiische Instanz gegenüber nationalistischem Eifer hätte se<strong>in</strong> können, wur-<br />

8 WALTER EUCKEN schildert <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Gr<strong>und</strong>lagen der Wirtschaftspolitik (Tüb<strong>in</strong>gen 1952,<br />

hier zitiert nach 4. Aufl. Tüb<strong>in</strong>gen 1968) diese Vorgehensweise knapp, aber klarsichtig <strong>im</strong><br />

Kapitel V: Die Wirtschaftspolitik der Exper<strong>im</strong>ente (S. 55-58) wie auch ihre Folgen <strong>im</strong> Kapitel<br />

X: Die Wirtschaftspolitik der Exper<strong>im</strong>ente – Ergebnis (S. 149-154). Obgleich er sich<br />

überwiegend auf deutsche Erfahrungen bezieht, stellt er fest: „Der Druck der Tagesprobleme<br />

ist es, der auch <strong>in</strong> anderen Ländern den Anstoß zu Exper<strong>im</strong>enten gab <strong>und</strong> gibt. S<strong>in</strong>ken<br />

der Agrarpreise, Arbeitslosigkeit, Rückgang des Exports <strong>und</strong> andere Schäden. Am<br />

stärksten war der Anstoß, der von der großen Krisis 1929/32 ausg<strong>in</strong>g. Die Verh<strong>in</strong>derung<br />

der Wiederkehr e<strong>in</strong>er solchen Katastrophe wird nunmehr e<strong>in</strong> Gr<strong>und</strong>gedanke aller wirtschaftspolitischen<br />

Exper<strong>im</strong>ente. (...) An irgende<strong>in</strong>er Stelle wird e<strong>in</strong> Exper<strong>im</strong>ent begonnen:<br />

Manipulierung von Preisen, Abwertung oder Politik des billigen Geldes.“ (S. 57) Den für<br />

die hier <strong>in</strong>teressierenden Länder spezifisch ausgeprägten Beweggr<strong>und</strong>, die Abwehr ausländischer<br />

E<strong>in</strong>flüsse, erwähnt er allerd<strong>in</strong>gs nicht.<br />

9 Da e<strong>in</strong>e Aufzählung der Publikationen, <strong>in</strong> denen dieser Zeitgeist Niederschlag fand, hier<br />

nicht zu leisten wäre, sei nur auf e<strong>in</strong>e der äußerst seltenen Ausnahmen h<strong>in</strong>gewiesen. LEO-<br />

POLD WELLISZ, e<strong>in</strong> liberaler polnischer Unternehmer <strong>und</strong> hoher Wirtschaftsfunktionär der<br />

Zwischenkriegszeit, warb <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Buch: Foreign Capital <strong>in</strong> Poland (London 1938) für<br />

das Engagement ausländischen Kapitals <strong>in</strong> Polen <strong>und</strong> war damit se<strong>in</strong>er Zeit, bezogen auf<br />

die uns <strong>in</strong>teressierende Region, um m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong> halbes Jahrh<strong>und</strong>ert voraus.<br />

72


nen, wurden die Staaten zunehmend gleichsam Seniorpartner. Wegen der mangelnden<br />

Konvertibilität der e<strong>in</strong>genommenen Währungen konnten Erträge aus e<strong>in</strong>em Geschäft<br />

auch wieder nur be<strong>im</strong> selben staatlichen Partner ausgegeben werden. Dieser Bilateralismus,<br />

der <strong>in</strong> unserer Region während der 30er Jahre vorherrschend wurde – obgleich<br />

ursprünglich dem Streben nach mehr Eigenständigkeit entsprungen –, schuf letztlich<br />

neue <strong>und</strong> größere Abhängigkeiten <strong>in</strong> von vornhere<strong>in</strong> nationalen Kategorien.<br />

5. Die Zeit der Zentralverwaltungswirtschaften<br />

Mit der E<strong>in</strong>führung des sowjetischen Modells e<strong>in</strong>er Zentralverwaltungswirtschaft Ende<br />

der 40er Jahre machten sich die Staaten schließlich für Produktion, Angebot <strong>und</strong><br />

Nachfrage auch der Güter des <strong>in</strong>dividuellen Konsums <strong>in</strong>nerhalb ihrer <strong>Grenzen</strong> nahezu<br />

alle<strong>in</strong> zuständig. Die oben für die Zwischenkriegszeit angedeuteten Tendenzen wurden<br />

damit auf die Spitze getrieben.<br />

Was dies für die trennende Potenz der <strong>Grenzen</strong> gegenüber der restlichen Welt<br />

ausmachte, braucht hier nicht betont zu werden. Aber auch entlang der sogenannten<br />

„Fre<strong>und</strong>schaftsgrenzen“ zwischen den sozialistischen Staaten war die Isolation vom<br />

Nachbarn für jeden Reisenden augenfällig.<br />

In der Festschrift für Wilhelm Wöhlke 10 habe ich mich ausführlicher mit dem Dilemma<br />

des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe befaßt, e<strong>in</strong>en wirtschaftlichen<br />

Großraum wenigstens für die sogenannte „sozialistische Arbeitsteilung“ zu schaffen.<br />

Die hartnäckige Verteidigung der nationalen Planautonomie der kle<strong>in</strong>eren Staaten gegene<strong>in</strong>ander<br />

<strong>und</strong> vor allem gegenüber der Sowjetunion 11 wie auch der systemspezifische<br />

Mangel zum<strong>in</strong>dest kompatibler Preissysteme als Koord<strong>in</strong>ationsbasis haben diese<br />

weitgesteckten Pläne <strong>im</strong>mer wieder frustriert. Bilateraler <strong>und</strong> naturaler Tausch mit<br />

se<strong>in</strong>en zahlreichen retardierenden Folgen blieb dom<strong>in</strong>ierend. Die Logik der zentralen<br />

Planung hätte nämlich als Alternative nur e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same, das heißt letztlich sowjetisch<br />

beherrschte Wirtschaftsadm<strong>in</strong>istration des ganzen Raumes unter Fortfall nationaler<br />

<strong>Grenzen</strong> m<strong>in</strong>destens <strong>in</strong> ihrer wirtschaftlichen Funktion zugelassen.<br />

10 Vgl. KARL VON DELHAES: Autarkietendenzen versus „sozialistische Arbeitsteilung“, <strong>in</strong>:<br />

Berl<strong>in</strong>er Geographische Abhandlungen, Heft 53 (Festschrift für Wilhelm Wöhlke), Berl<strong>in</strong><br />

1990, S. 71-80.<br />

11 Bezeichnend für diese Haltung war der ZK-Beschluß der rumänischen KP vom 22. April<br />

1964: „Die planmäßige Leitung der Volkswirtschaft ist e<strong>in</strong>e der gr<strong>und</strong>legenden, unveräußerlichen<br />

<strong>und</strong> wesentlichen Attribute der Souveränität der sozialistischen Staaten, da der<br />

Staatsplan das Haupt<strong>in</strong>strument ist, durch das dieser se<strong>in</strong>e politischen <strong>und</strong> sozialwirtschaftlichen<br />

Ziele verwirklicht.“ Zitiert nach: JENS HACKER <strong>und</strong> ALEXANDER USCHAKOW: Die<br />

Integration <strong>Ostmitteleuropa</strong>s 1961-1965, Köln 1966, S. 230.<br />

73


III. Die räumliche Begrenzung des Angebotes öffentlicher Güter: E<strong>in</strong> Plädoyer für<br />

staatliche Parzellierung<br />

Bei den bisherigen Ausführungen sollte e<strong>in</strong>e gewisse Skepsis gegenüber e<strong>in</strong>er positiven<br />

Funktion nationaler <strong>Grenzen</strong> <strong>im</strong> Individualgüterbereich deutlich geworden se<strong>in</strong>.<br />

Sie beruht auf der Gr<strong>und</strong>annahme, daß dort, wo Angebot <strong>und</strong> Nachfrage überhaupt<br />

vom Markt koord<strong>in</strong>iert werden können, er diese Aufgabe ohne Fremde<strong>in</strong>flüsse am besten<br />

bewältigt. Dies muß jedoch nicht heißen, daß Großräume ohne <strong>Grenzen</strong> das e<strong>in</strong>zige<br />

s<strong>in</strong>d, was den Ökonomen zu unserem Thema e<strong>in</strong>fällt. Obgleich die Grenzziehung<br />

zwischen den Kategorien je nach politischer Gr<strong>und</strong>e<strong>in</strong>stellung verschieden vorgenommen<br />

wird, räumen auch die liberalen Exponenten dieser Diszipl<strong>in</strong> e<strong>in</strong>, daß es Güter<br />

gibt, deren Bereitstellung <strong>und</strong> Verteilung nicht oder nicht <strong>in</strong> befriedigendem Umfang<br />

über den Markt zu bewerkstelligen ist. Es s<strong>in</strong>d dies die sogenannten Kollektivgüter<br />

wie beispielsweise die Rechtsordnung, <strong>in</strong>nere <strong>und</strong> äußere Sicherheit, eventuell soziale<br />

Fürsorge <strong>und</strong> vieles andere mehr. Ihre Bereitstellung wird geme<strong>in</strong>sam beschlossen,<br />

sie stehen pr<strong>in</strong>zipiell allen Mitgliedern zur Verfügung <strong>und</strong> sollen deshalb auch<br />

geme<strong>in</strong>sam f<strong>in</strong>anziert werden. 12<br />

Unter anderem aber weil für Kollektive noch ke<strong>in</strong> besseres Beschlußverfahren als<br />

das Mehrheitspr<strong>in</strong>zip gef<strong>und</strong>en wurde, ergeben sich <strong>im</strong> Zusammenhang mit der Bereitstellung<br />

von Kollektivgütern <strong>im</strong>mer wieder M<strong>in</strong>derheitenprobleme für Menschen,<br />

die etwa e<strong>in</strong> kollektives Gut, das sie f<strong>in</strong>anzieren müssen, nicht wünschen oder e<strong>in</strong>es<br />

wünschen, das nicht angeboten wird. Diese Probleme werden <strong>in</strong> aller Regel umso<br />

größer, je größer das anbietende Kollektiv ist, das heißt, desto mehr Menschen <strong>in</strong>nerhalb<br />

se<strong>in</strong>er <strong>Grenzen</strong> zusammengefaßt werden.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus aber n<strong>im</strong>mt die Zahl der Alternativen, die e<strong>in</strong>em widerwilligen<br />

Mitglied geboten werden, wie auch se<strong>in</strong>e <strong>in</strong>terkollektive Mobilität mit der Ausdehnung<br />

oder Zusammenlegung von Kollektiven ab. Es wird dem E<strong>in</strong>zelnen <strong>im</strong>mer<br />

schwerer, sich oder se<strong>in</strong> steuerfähiges Besitztum dem staatlichen Erhebungsmonopol<br />

durch Abwanderung zu entziehen <strong>und</strong> so e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>ternationalen Wettbewerb um e<strong>in</strong><br />

angemessenes Kollektivgüterangebot bei entsprechender f<strong>in</strong>anzieller Belastung anzuregen.<br />

Auch aus liberaler ökonomischer Sicht s<strong>in</strong>d Staatsgrenzen also dann angemessen<br />

• wenn sie die Mobilität von Menschen, Kapital <strong>und</strong> Individualgütern nicht zusätzlich<br />

beschränken <strong>und</strong><br />

• wenn, soweit die kollektive Bereitstellung von Gütern nicht zu umgehen ist, dafür<br />

das kle<strong>in</strong>ste mögliche Kollektiv gewählt wird.<br />

12 Für e<strong>in</strong>e etwas ausführlichere Darstellung vgl. hierzu etwa: KARL VON DELHAES: Förderation,<br />

Konförderation <strong>und</strong> Regionalismus <strong>in</strong> ökonomischer Sicht, <strong>in</strong>: Volksgruppen <strong>in</strong> Ostmittel-<br />

<strong>und</strong> Südosteuropa = Südosteuropastudien, Bd. 52, hrsg. von GEORG BRUNNER <strong>und</strong><br />

HANS LEMBERG, Baden-Baden 1994, S. 295-309.<br />

74


Dieses freilich wird <strong>im</strong>mer seltener ausschließlich <strong>in</strong> den nationalstaatlichen <strong>Grenzen</strong>,<br />

sondern ebenso <strong>in</strong> föderativen Gliederungen oberhalb oder unterhalb dieser Ebene<br />

gef<strong>und</strong>en werden können. 13<br />

13 Siehe hierzu auch KARL VON DELHAES: Organiz<strong>in</strong>g the Supply of Public Goods <strong>in</strong> the<br />

Transition Process, <strong>in</strong>: Communist Economies and Economic Transformation, vol. 5, no 1,<br />

1993, pp. 87-101.<br />

75


Staaten <strong>in</strong> <strong>Ostmitteleuropa</strong> <strong>und</strong> ihre <strong>Grenzen</strong>


Die „Balkanisierung“ –<br />

Vor- <strong>und</strong> Schreckbilder der Entstehung neuer Nationalstaaten<br />

von<br />

Edgar H ö s c h<br />

Die gegenwärtigen schrecklichen Ereignisse <strong>in</strong> Bosnien haben dem alten Vorurteil<br />

vom Balkan als e<strong>in</strong>em Pulverfaß, als e<strong>in</strong>em Störfaktor <strong>im</strong> zivilisierten Europa, neue<br />

Nahrung gegeben. Sie führen <strong>in</strong> drastischer Weise die destruktiven Auswirkungen e<strong>in</strong>es<br />

fanatischen Nationalismus vor Augen. In e<strong>in</strong>em multiethnischen Umfeld mit e<strong>in</strong>er<br />

ausgeprägten Gemengelage unterschiedlicher sprachlich-ethnischer Gruppen <strong>und</strong><br />

Konfessionen mußten sich verheerende Auswirkungen für das Zusammenleben der<br />

Menschen ergeben. Durch die Sprengwirkung der nationalen Idee waren zu Beg<strong>in</strong>n<br />

dieses Jahrh<strong>und</strong>erts die großen ostmitteleuropäischen <strong>und</strong> südosteuropäischen Länderkonglomerate<br />

endgültig zerschlagen worden. Sie waren <strong>in</strong> den Jahrh<strong>und</strong>erten zuvor<br />

während des monarchischen Zeitalters <strong>in</strong> der europäischen Geschichte ohne<br />

Rücksicht auf Herkunft <strong>und</strong> Sprache der Bevölkerung aus eher zufälligen dynastischen<br />

Verb<strong>in</strong>dungen <strong>und</strong> wahllosen territorialen Umschichtungen zusammengewachsen.<br />

Die Zukunft sollte nach dem Willen der Friedensmacher am Ausgang des großen<br />

Völkerr<strong>in</strong>gens 1918 <strong>in</strong> der europäischen Staatenordnung dem nationalstaatlichen<br />

Pr<strong>in</strong>zip gehören. Heute sehen wir, daß die territorialen Abgrenzungsversuche zwischen<br />

den e<strong>in</strong>zelnen Balkanstaaten, die <strong>in</strong> mühevollen Verhandlungen am Ausgang<br />

des Ersten Weltkrieges <strong>in</strong> den Pariser Vorortsverträgen von den Großmächten zudiktiert<br />

worden waren, trotz leidvoller Erfahrungen <strong>in</strong> der Vergangenheit <strong>im</strong>mer noch<br />

nicht konsensfähig s<strong>in</strong>d. Die Gr<strong>und</strong>lagen des sog. Versailler Systems stehen erneut<br />

zur Disposition. Daß es sich nicht mehr nur um e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nere Angelegenheit der Balkanstaaten<br />

handelt, haben die Ereignisse der vergangenen Monate deutlich gemacht.<br />

Auf der anstehenden Suche nach e<strong>in</strong>er dauerhafteren Friedenslösung <strong>in</strong> Südosteuropa<br />

werden sich vor allem die e<strong>in</strong>stigen allmächtigen Friedensmacher ihrer Verantwortung<br />

nicht entziehen können. Es besteht Anlaß genug, e<strong>in</strong>e historische Bilanz zu ziehen<br />

<strong>und</strong> über die Fehler der Vergangenheit nachzudenken.<br />

„We are strongly of the op<strong>in</strong>ion that <strong>in</strong> the last analysis economic considerations<br />

will outweigh nationalistic affiliations <strong>in</strong> the Balkans, and that a settlement which <strong>in</strong>sures<br />

economic prosperity is most likely to be a last<strong>in</strong>g one“ 1 , heißt es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Memorandum<br />

vom Dezember 1917, das <strong>im</strong> Beratungsgremium des amerikanischen<br />

1<br />

The Papers of Woodrow Wilson, Vol. 45, hrsg. von ARTHUR S. LINK Pr<strong>in</strong>ceton, New Jersey<br />

1984, S. 538.<br />

79


Präsidenten, dem sog. Inquiry, erarbeitet worden war. 2 Diese abschließende<br />

prospektivische Zukunftserwartung enthüllt <strong>in</strong> geradezu entwaffnender Offenheit den<br />

naiven Glauben der amerikanischen Führung am Ende des Ersten Weltkrieges an die<br />

Geltung der Vernunft <strong>in</strong> den zwischenstaatlichen Beziehungen <strong>und</strong> mehr noch an die<br />

heilenden Kräfte der Wirtschaft.<br />

Der amerikanische Präsident Woodrow Wilson hat <strong>in</strong> den berühmten 14 Punkten,<br />

die er am 8.1.1918 als Adresse an die beiden Häuser des Kongresses richtete, <strong>in</strong> zwei<br />

Punkten mit sehr viel vorsichtigeren Umschreibungen speziell auf die anstehenden<br />

territorialen Neuregelungen <strong>in</strong> Südosteuropa Bezug genommen. Punkt 12 garantiert<br />

den territorialen Restbestand des Osmanischen Reiches auf dem europäischen Festland<br />

<strong>und</strong> sichert den Balkanvölkern unter türkischer Hoheit e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nere Autonomie<br />

zu. In Punkt 11 war der Rückzug der Mittelmächte aus Rumänien, Serbien <strong>und</strong> Montenegro<br />

verlangt, Serbien e<strong>in</strong> Zugang zur See <strong>in</strong> Aussicht gestellt, die Hoffnung auf<br />

e<strong>in</strong>e Lösung der nachbarschaftlichen Beziehungen nach den historisch gewordenen<br />

Loyalitäten <strong>und</strong> dem Nationalitätspr<strong>in</strong>zip – „along historically established l<strong>in</strong>es of allegiance<br />

and nationality“ – zum Ausdruck gebracht <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>ternationale Garantie<br />

der politischen <strong>und</strong> wirtschaftlichen Unabhängigkeit <strong>und</strong> der territorialen Integrität<br />

versprochen worden. 3 Im übrigen hielt der amerikanische Präsident zu diesem Zeitpunkt<br />

noch ohne Vorbehalt an dem Weiterbestehen des Habsburgerreiches als Ordnungsfaktor<br />

<strong>im</strong> Donauraum fest. Er wollte nur den Völkern der Donaumonarchie e<strong>in</strong>e<br />

freie autonome Entwicklung zugestanden wissen. „The peoples of Austria-Hungary“,<br />

heißt es <strong>in</strong> Punkt 10, „whose place among the nations we wish to see safeguarded and<br />

assured, should be accorded the freest opportunity of autonomous development“.<br />

Im Verlauf der Friedensverhandlungen <strong>in</strong> Paris kehrte sehr rasch bei allen Beteiligten<br />

Ernüchterung e<strong>in</strong> <strong>und</strong> <strong>in</strong>sbesondere der puritanische Moralist Wilson sah sich<br />

bald hilflos den Rankünen europäischer Gehe<strong>im</strong>diplomatie <strong>und</strong> den Zwängen europäischer<br />

Sicherheits- <strong>und</strong> Machtpolitik ausgeliefert. 4 Nationale Egoismen, Rücksichtnahmen<br />

auf die Verbündeten <strong>und</strong> die handfesten Eigen<strong>in</strong>teressen der Großmächte 5 ,<br />

die nicht selten den Erwartungen <strong>und</strong> Wünschen der betroffenen Völker widersprachen,<br />

waren auf ke<strong>in</strong>en geme<strong>in</strong>samen Nenner zu br<strong>in</strong>gen. Vertragliche Zugeständnisse,<br />

die vorab schon noch während der Kriegshandlungen <strong>in</strong> <strong>in</strong>teralliierten Gehe<strong>im</strong>absprachen<br />

Rumänien <strong>und</strong> Italien gewährt worden waren, blockierten umfassende Neuregelungen.<br />

Italien waren für die Kündigung des Dreib<strong>und</strong>es <strong>und</strong> die Kriegsbeteili-<br />

2<br />

LAWRENCE E. GALFAND: The Inquiry. American Preparations for Peace, 1917-1919, New<br />

Haven/Conn., London 1963.<br />

3<br />

The Papers of Woodrow Wilson (wie Anm. 1).<br />

4<br />

HANS-JÜRGEN SCHRÖDER: Deutschland <strong>und</strong> Amerika <strong>in</strong> der Epoche des Ersten Weltkrieges<br />

1900-1924, Stuttgart 1993=EKrefelder Hefte zur deutsch-amerikanischen Geschichte, Bd.<br />

1), S. 39 f.<br />

5<br />

Zu den britischen Zielen <strong>im</strong> Donauraum MARIE-LUISE RECKER: England <strong>und</strong> der Donauraum<br />

1919-1929. Probleme e<strong>in</strong>er europäischen Nachkriegsordnung, Stuttgart 1976, <strong>und</strong> zu<br />

den britischen Friedensplanern jetzt ERIK GOLDSTEIN: W<strong>in</strong>n<strong>in</strong>g the Peace. British Diplomatic<br />

Strategy, Peace Plann<strong>in</strong>g, and the Paris Peace Conference 1916-19<strong>20</strong>, Oxford 1991.<br />

80


gung an der Seite der Alliierten <strong>in</strong> Artikel 4 des Londoner Vertrages vom 26. April<br />

1915 das Trent<strong>in</strong>o, das Cisalp<strong>in</strong>e Tirol bis zur Brennergrenze, Triest, die Markgrafschaften<br />

Görz <strong>und</strong> Gradisca <strong>und</strong> ganz Istrien bis zum Quarnero unter E<strong>in</strong>schluß der<br />

Inseln <strong>in</strong> Aussicht gestellt worden. Nach Artikel 5 sollte Italien die Prov<strong>in</strong>z Dalmatien<br />

<strong>in</strong> den gegenwärtigen Verwaltungsgrenzen <strong>und</strong> nach Artikel 6 die volle Souvernänität<br />

über Valona <strong>und</strong> die Insel Sasseno erhalten. Mit der Besetzung Fiumes <strong>im</strong> September<br />

1919 durch die Freischaren Gabriele D'Annunzios erhöhte Italien se<strong>in</strong>e Territorialforderungen<br />

nach Kriegsende noch weiter über den Londoner Vertrag h<strong>in</strong>aus.<br />

Der rumänische Premier Ioan I. C. Brătianu hatte sich die Neutralitätszusage für<br />

se<strong>in</strong> Land <strong>im</strong> Petersburger Vertrag am 1. Oktober 1915 von dem russischen Außenm<strong>in</strong>ister<br />

Sazonov mit weitgehenden territorialen Zusagen <strong>in</strong> Siebenbürgen <strong>und</strong> <strong>in</strong> den<br />

rumänisch besiedelten Teilen der Bukow<strong>in</strong>a honorieren lassen <strong>und</strong> <strong>im</strong> Pokerspiel mit<br />

den Ententemächten um den Kriegse<strong>in</strong>tritt Rumäniens <strong>im</strong> Bukarester Vertrag vom 17.<br />

August 1916 den Besitzanspruch auf die Süddobrudscha, die Bukow<strong>in</strong>a bis zum Pruth<br />

unter E<strong>in</strong>schluß von Czernowitz <strong>und</strong> auf Siebenbürgen mit dem Banat durchzusetzen<br />

verstanden. 6 Großrumänien war so auf Kosten der Nachbarn selbst wieder zu e<strong>in</strong>em<br />

kle<strong>in</strong>en Vielvölkerstaat geworden.<br />

Auch ohne diese territorialen Vorabsprachen der Alliierten, deren Verb<strong>in</strong>dlichkeit<br />

von dem amerikanischen Präsidenten bestritten wurde, hätten sich die hehren Pr<strong>in</strong>zipien,<br />

unter denen die Friedensmacher <strong>in</strong> Paris angetreten waren, nicht ohne Abstriche<br />

<strong>in</strong> der Praxis umsetzen lassen. In den Pariser Vorortsverträgen spiegelt sich e<strong>in</strong> Kompromiß,<br />

der e<strong>in</strong>e stillschweigende Begünstigung der Verbündeten <strong>und</strong> die zwangsläufige<br />

Benachteiligung der Kriegsverlierer e<strong>in</strong>schloß. Und mit den beiden Neuschöpfungen<br />

der Tschechoslowakei <strong>und</strong> Jugoslawiens waren teilweise überhastet Bevölkerungsgruppen<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en geme<strong>in</strong>samen Staat zusammengeführt worden, die bisher nur<br />

wenige historische Geme<strong>in</strong>samkeiten verbanden <strong>und</strong> deren anfänglich euphorischer<br />

Vere<strong>in</strong>igungswille sehr bald erheblichen Belastungen ausgesetzt war. Charles Seymour,<br />

amerikanisches Mitglied der Territorialkommission, die konkrete Vorschläge<br />

zu den Grenzziehungen zu erarbeiten hatte, stellte <strong>in</strong> der Rückschau auf das Pariser<br />

Vertragswerk resignierend fest: „No honest student of European conditions, however,<br />

can be bl<strong>in</strong>d to the new dangers which have been created. It is <strong>und</strong>eniable that a considerable<br />

stretch of territory has been Balkanized.“ 7 Dieser Begriff der „Balkanisierung“<br />

ist <strong>im</strong> Zusammenhang mit den Nationalstaatsgründungen am Ende des Ersten<br />

Weltkrieges als term<strong>in</strong>us technicus <strong>in</strong> das politische Vokabular e<strong>in</strong>gegangen. Er weist<br />

auf die offenk<strong>und</strong>igen Unst<strong>im</strong>migkeiten <strong>und</strong> Fragwürdigkeiten der neuen Grenzregelungen<br />

<strong>in</strong> Südosteuropa h<strong>in</strong>, <strong>und</strong> er hebt die unübersehbaren destruktiven Auswirkungen<br />

nationalstaatlicher Organisationsmodelle überhaupt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em politischen Umfeld<br />

hervor, dessen multiethnische Siedlungsstrukturen nur e<strong>in</strong>e sehr unzulängliche Um-<br />

6 SHERMAN DAVID SPECTOR: Rumania at the Paris Peace Conference. A Study of the Diplomacy<br />

of Ioan I. C. Brătianu, New York 1962, S. 18ff.<br />

7 What Really Happened at Paris: The Story of the Peace Conference, 1918-1919, by American<br />

Delegates, hrsg. von EDWARD M. HOUSE <strong>und</strong> CHARLES SEYMOUR, New York 1921,<br />

S.106-107, zitiert nach SPECTOR, S. 130.<br />

81


setzung des Selbstbest<strong>im</strong>mungsrechtes zuließen. 8 Gerade dieses bunte Völkergemisch,<br />

das oft auf engstem Raume zusammenlebte, hatte <strong>in</strong> der Vergangenheit <strong>im</strong>mer<br />

wieder die Balkanreisenden fasz<strong>in</strong>iert. Als der berühmte Reiseschriftsteller des <strong>19.</strong><br />

Jahrh<strong>und</strong>erts Ludwig He<strong>in</strong>rich Fürst von Pückler-Muskau 1836 das ottonische Athen<br />

besuchte, fand er e<strong>in</strong> „Viertel antik, e<strong>in</strong> anderes türkisch, e<strong>in</strong>s neugriechisch <strong>und</strong> das<br />

letzte baierisch; tausendjährige <strong>und</strong> heutige Ru<strong>in</strong>en durche<strong>in</strong>ander gemengt, daneben<br />

nagelneue, grüne, gelbe <strong>und</strong> weiße Häuser, <strong>im</strong> Geschmack der Nürnberger Spielsachen<br />

aufgeführt; alte abgebrochene Straßen <strong>im</strong> gräßlichsten Chaos; breite, abgew<strong>in</strong>kkelte<br />

neue...“. 9 Und daran schließt sich das E<strong>in</strong>geständnis: „In Athen erst werde ich<br />

wieder gewahr, daß ich mich <strong>in</strong> Europa bef<strong>in</strong>de.“ Die für nationalstaatliche Regelungen<br />

schier unlösbaren Probleme aus diesen ethnographischen Gegebenheiten läßt die<br />

anschauliche Schilderung der kle<strong>in</strong>räumigen Verteilung der „Rassen“ <strong>in</strong> Mazedonien<br />

erahnen, die der gelehrte Reiseschriftsteller Emil von Laveleye <strong>im</strong> zweiten Band se<strong>in</strong>es<br />

Buches über die „Balkanländer“ von 1888 e<strong>in</strong>fügte: „Den Weststreifen Macedoniens,<br />

von jenseits des Dr<strong>in</strong>s bis Prizrend, bewohnen die Albanesen, <strong>und</strong> weiter <strong>im</strong><br />

Osten, jenseits Ochridas bis zur Eisenbahnl<strong>in</strong>ie Saloniki-Mitrowitza, stösst man bereits<br />

auf die anfangs noch mit Arnauten <strong>und</strong> walachischen Z<strong>in</strong>zaren vermischten Bulgaren.<br />

Der Norden wird hauptsächlich durch Serben, theilweise aber auch durch Arnauten<br />

bevölkert, <strong>und</strong> der Osten, wie der ganze mittlere Bereich, gehört den Bulgaren,<br />

die fast bis nach Seres <strong>und</strong> Soloniki (sic!) h<strong>in</strong> sich ausdehnen. Die Griechen sitzen <strong>in</strong><br />

den Küstenbezirken <strong>und</strong> spielen durch ihre höhere Bildungsstufe <strong>und</strong> ihre umfangreicheren<br />

Beziehungen zum Auslande <strong>in</strong> den meisten Städten e<strong>in</strong>e wichtige Rolle. Saloniki<br />

ist be<strong>in</strong>ahe e<strong>in</strong>e jüdische Stadt, <strong>und</strong> die dort ansässigen Griechen stammen grösstentheils<br />

von den Z<strong>in</strong>zaren ab. Walachen <strong>in</strong> zusammenhängenden Gruppen s<strong>in</strong>d <strong>im</strong><br />

Bereiche des P<strong>in</strong>dus <strong>und</strong> <strong>im</strong> Viljaet Monastir anzutreffen.“ 10<br />

In ke<strong>in</strong>er Region des östlichen Europas waren die Friedensmacher nach 1918 bei<br />

den anstehenden Grenzregelungen mit vergleichbar schwierigen Problemen konfrontiert<br />

gewesen wie gerade auf der Balkanhalb<strong>in</strong>sel. Nirgendwo sonst divergierten die<br />

Kriegsziele <strong>und</strong> längerfristigen Planungen der Großmächte <strong>in</strong> vergleichbarer Weise<br />

<strong>und</strong> nirgendwo sonst waren die Bemühungen um e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>vernehmliche Friedensregelung<br />

zudem so sehr vorbelastet durch e<strong>in</strong>e längere leidvolle Vorgeschichte e<strong>in</strong>es unerbittlichen<br />

Volkstumskampfes, <strong>in</strong> dem alle Exzesse e<strong>in</strong>es übersteigerten Nationalismus<br />

– Bandenterror, gewaltsame ethnische Säuberungen, Bevölkerungstransfers <strong>und</strong><br />

Zwangsass<strong>im</strong>ilierungen, Mord <strong>und</strong> Totschlag – schon bis zum bitteren Ende durchexerziert<br />

worden waren <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e unheilvolle Verb<strong>in</strong>dung von Konfession <strong>und</strong> Nation<br />

8 Zur Entstehungsgeschichte der Nationalstaaten Südosteuropas zusammenfassend CHARLES<br />

<strong>und</strong> BARBARA JELAVICH: The Establishment of the Balkan National-States, 1804-19<strong>20</strong>, Seattle,<br />

London 1977 EA History of East Central Europe, Bd. 8).<br />

9 Zitiert nach GUNNAR HERING: Der Hof Ottos von Griechenland, <strong>in</strong>: Höfische Kultur <strong>in</strong><br />

Südosteuropa. Bericht der Kolloquien der Südosteuropa-Kommission 1988 bis 1990, hrsg.<br />

von REINHARD LAUER <strong>und</strong> HANS GEORG MAJER, Gött<strong>in</strong>gen 1994, S. 253-281, hier S. 259-<br />

260.<br />

10 EMIL VON LAVELEYE: Die Balkanländer, 2. Bd., Leipzig 1888, S. <strong>20</strong>3.<br />

82


die Voraussetzungen für e<strong>in</strong> gutnachbarliches Zusammenleben bis <strong>in</strong> die Dorfgeme<strong>in</strong>schaften<br />

h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> zerstört hatten.<br />

Der Begriff des „Balkans“ hat unter dem E<strong>in</strong>druck dieser schrecklichen Ereignisse,<br />

die sich <strong>in</strong> der Endphase des Türkenkampfes vor den Augen der europäischen Öffentlichkeit<br />

abspielten, e<strong>in</strong>en pejorativen Beigeschmack erhalten. Er hat ihn bis heute<br />

nicht mehr verloren. Der Balkan bezeichnet <strong>im</strong> populären Geschichtsverständnis e<strong>in</strong>e<br />

periphere Randzone des europäischen Kulturkreises „h<strong>in</strong>ten, weit, <strong>in</strong> der Türkei“<br />

(J.W. von Goethe) an der Grenze zu „Asien“, wo die Völker aufe<strong>in</strong>anderschlagen <strong>und</strong><br />

sich – so die verbreitete Me<strong>in</strong>ung der Mitteleuropäer – die rauheren Umgangsformen<br />

e<strong>in</strong>er atavistischen Lebensweise erhalten haben <strong>und</strong> die Relikte e<strong>in</strong>er rückständigen<br />

Stammesgesellschaft mit erstaunlicher Widerstandskraft dem zivilisatorischen Fortschritt<br />

trotzen. 11<br />

Die Wurzeln dieses Klischees reichen weit <strong>in</strong> die Vergangenheit zurück. Es reproduziert<br />

e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>geschränkte historische Erfahrung der Mitteleuropäer, die auf die Türkengefahr<br />

<strong>und</strong> die Türkenfurcht der frühen Neuzeit zurückverweist. Südosteuropa<br />

wurde seit dem E<strong>in</strong>bruch der Osmanen <strong>im</strong> 14. Jahrh<strong>und</strong>ert vornehmlich als gefährdetes<br />

Grenzland des Abendlandes erfahren. Auf den frühneuzeitlichen Reichstagen<br />

wurde die Türkenfrage zeitweilig zu e<strong>in</strong>em beherrschenden Thema <strong>in</strong> den Verhandlungen<br />

des Kaisers mit den Reichsständen. 12 Es wurde zusätzlich belastet durch die<br />

Konfessionsfrage <strong>im</strong> Reich. Die protestantischen Reichsstände haben sich ihre Hilfe<br />

durch Zugeständnisse <strong>in</strong> der reichsrechtlichen Anerkennung der neuen Lehre honorieren<br />

lassen. „Der Türke ist der Lutherischen Glück“, hieß e<strong>in</strong> geflügeltes Wort zu dieser<br />

Zeit. An der Türkenfront selbst s<strong>in</strong>d zur militärischen Abwehr <strong>und</strong> E<strong>in</strong>dämmung<br />

der äußeren Bedrohung seit der Mitte des 16. Jahrh<strong>und</strong>erts <strong>in</strong>nerhalb der habsburgischen<br />

Militärgrenze geeignete Organisationsformen der Landesverteidigung entwikkelt<br />

worden, <strong>in</strong> die systematisch Balkanflüchtl<strong>in</strong>ge als grenznahe Wehrbauern e<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>en<br />

wurden. Die heutige Kraj<strong>in</strong>a <strong>in</strong> Kroatien ist e<strong>in</strong> Ergebnis dieser Konstellation.<br />

E<strong>in</strong>e trutzige Grenzermentalität machte sich <strong>in</strong> den gefährdeten Grenzregionen breit,<br />

die auf Abgrenzung <strong>und</strong> Ausgrenzung des islamischen Balkans angelegt war. Die<br />

Vorstellung, als antemurale christianitatis das Abendland vor den asiatischen Horden<br />

verteidigen zu müssen, ist <strong>im</strong> Geschichtsbild der Ungarn, Rumänen, Slowenen <strong>und</strong><br />

Kroaten tief verwurzelt. In der nationalen Geschichtsschreibung n<strong>im</strong>mt seither der<br />

11 TRAIAN STOIANOVICH: A Study <strong>in</strong> Balkan Civilization, New York 1967. – Zu den Klischees<br />

<strong>im</strong> Balkanbild des Abendlandes vgl. KIRIL PETKOV: Infidels, Turks, and Women:<br />

The South Slavs <strong>in</strong> the German M<strong>in</strong>d, ca. 1400-1600, Frankfurt u.a. 1997, sowie <strong>in</strong>sbesondere<br />

MARIA TODOROVA: Imag<strong>in</strong><strong>in</strong>g the Balkans, New York, Oxford 1997, vgl. auch die<br />

Vorstudien von DERS.: The Balkans: From Discovery to Invention, <strong>in</strong>: Slavic Review 53, 2<br />

(1994), S. 453-482, <strong>und</strong> DIES.: Hierarchies of Eastern Europe: East Central Europe versus<br />

the Balkans. Occasional Papers. The Woodrow Wilson Center, Wash<strong>in</strong>gton Number 40<br />

(1995).<br />

12 WINFRIED SCHULZE: Reich <strong>und</strong> Türkengefahr <strong>im</strong> späten 16. Jahrh<strong>und</strong>ert. Studien zu den<br />

politischen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Auswirkungen e<strong>in</strong>er äußeren Bedrohung, München<br />

1978.<br />

83


Türkenkampf e<strong>in</strong>e zentrale Rolle e<strong>in</strong> 13 <strong>und</strong> Horrorberichte verzeichnen das Bild der<br />

Türkenherrschaft bis zur Unkenntlichkeit (beispielsweise die übertriebenen Vorstellungen<br />

über die Auswirkungen der sog. Knabenlese).<br />

Als seit dem Ausgang des 17. Jahrh<strong>und</strong>erts – beg<strong>in</strong>nend mit der Rückeroberung<br />

Ungarns durch die kaiserlichen Truppen – radikale Lösungsversuche der sog. „Orientalischen<br />

Frage“ anstanden, hatten sich die Freiheitshoffnungen der Balkanchristen<br />

weiterh<strong>in</strong> äußeren Zwängen unterzuordnen. Die europäische Diplomatie folgte anderen<br />

Prioritäten. Sie scheute <strong>im</strong>mer mehr den großen Umbruch <strong>und</strong> sah zur Sicherung<br />

des monarchischen Systems <strong>in</strong> vorsichtigen Del<strong>im</strong>itationsbemühungen ihre vordr<strong>in</strong>glichere<br />

Aufgabe. Die Furcht vor der europäischen Revolutionspartei nährte bei Metternich<br />

e<strong>in</strong> pr<strong>in</strong>zipielles Mißtrauen gegenüber allen Volksbewegungen, <strong>und</strong> für die<br />

nationalen Ambitionen der kle<strong>in</strong>en Völker brachte er ke<strong>in</strong>erlei Verständnis auf.<br />

Die <strong>Grenzen</strong> der modernen Balkanstaaten, die unter diesen Voraussetzungen <strong>im</strong><br />

<strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>ert auf ehemaligem osmanischen Reichsterritorium entstanden waren,<br />

orientierten sich noch nicht an den ethnographischen Gegebenheiten. Es waren<br />

fremdbest<strong>im</strong>mte vorläufige Demarkationsl<strong>in</strong>ien <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er globalen Ause<strong>in</strong>andersetzung.<br />

Dabei trat die ursprüngliche Frontstellung des christlichen Abendlandes mit<br />

dem Islam <strong>im</strong>mer mehr <strong>in</strong> den H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> <strong>und</strong> konkurrierende machtpolitische Überlegungen<br />

der europäischen Pentarchie <strong>und</strong> handfeste wirtschaftliche Interessen best<strong>im</strong>mten<br />

den Handlungsablauf. Entgegen den nachträglichen Mythenbildungen waren<br />

es <strong>in</strong> dieser Phase noch nicht die e<strong>in</strong>zelnen Völker selbst, die sich als best<strong>im</strong>mende<br />

Akteure <strong>in</strong> das Geschehen e<strong>in</strong>schalteten <strong>und</strong> dann <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Akt kollektiver Anstrengung<br />

e<strong>in</strong>e Staatsgründung <strong>in</strong> den <strong>Grenzen</strong> ihrer jeweiligen Siedlungsgebiete erzwungen<br />

haben. 14 Die Staatsterritorien der <strong>im</strong> <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>ert entstehenden modernen<br />

Balkanstaaten bei den Griechen, Serben, Montenegr<strong>in</strong>ern <strong>und</strong> Rumänen s<strong>in</strong>d von den<br />

Mächten ohne Rücksicht auf nationale Ziele <strong>und</strong> Wünsche zudiktiert worden. Nach<br />

dem Willen der Signatarstaaten fanden so beispielsweise <strong>in</strong> dem neugegründeten Hellenenstaat<br />

1828 nur etwa 58% der am Freiheitskampf beteiligten griechischen Gebiete<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong>sgesamt weniger als die Hälfte aller Griechen Südosteuropas, Kle<strong>in</strong>asiens <strong>und</strong><br />

13 GUNNAR HERING: Die Osmanenzeit <strong>im</strong> Selbstverständnis der Völker Südosteuropas, <strong>in</strong>:<br />

Die Staaten Südosteuropas <strong>und</strong> die Osmanen, hrsg. von HANS GEORG MAIER, München<br />

1989 ESüdosteuropa-Jahrbuch, <strong>19.</strong> Bd.), S. 355-380.<br />

14 Vgl. die kritischen Bemerkungen zum Begriff der sog. „nationalen Revolutionen“ <strong>in</strong> Südosteuropa<br />

von HARALD HEPPNER: Theorie <strong>und</strong> Realität der „Nationalen Revolution“ <strong>in</strong><br />

Bulgarien <strong>in</strong> den siebziger Jahren des <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts, <strong>in</strong>: Nationalrevolutionäre Bewegungen<br />

<strong>in</strong> Südosteuropa <strong>im</strong> <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>ert, hrsg. von CHRISTO CHOLOLCEV, KARLHEINZ<br />

MACK <strong>und</strong> ARNOLD SUPPAN, Wien, München 1992, S. 60-67.= =Zu den Nationalbewegungen<br />

auf dem Balkan u.a. die Überblicksdarstellungen von WESLEY M.GEWEHR: The Rise of<br />

Nationalism <strong>in</strong> the Balkans, 1800-1930, o.O. 1931 (Repr<strong>in</strong>t Hambden/Conn. 1967); DIMI-<br />

TRIJE DJORDJEVIC: Révolutions nationales des peuples balkaniques 1804-1914, Belgrad<br />

1965; EMIL NIEDERHAUSER: The Rise of Nationality <strong>in</strong> Eastern Europe. Budapest 1981;<br />

Nationalbewegungen auf dem Balkan, hrsg. von NORBERT REITER, Berl<strong>in</strong> 1983 EBalkanologische<br />

Veröffentlichungen 5).<br />

84


des Inselarchipels Aufnahme. 15 Der horror vacui ließ die europäischen Diplomaten,<br />

die mit der Lösung der Orientalischen Frage befaßt waren, vor e<strong>in</strong>em großen Waffengang<br />

zurückschrecken. Um e<strong>in</strong>en vorschnellen Zusammenbruch des Osmanischen<br />

Reiches mit unabsehbaren Konsequenzen zu vermeiden, setzten sie auf die Reformfähigkeit<br />

des Sultanreg<strong>im</strong>es. Großzügige Autonomieregelungen sollten dem Sultan die<br />

Loyalität der christlichen Untertanen erhalten. Die Wiener Politik hatte schon mit<br />

Rücksicht auf die eigenen slawischen Völker <strong>in</strong>nerhalb der Donaumonarchie ke<strong>in</strong><br />

sonderliches Interesse, größere eigenständige Staatsgebilde der Slawen auf der Balkanhalb<strong>in</strong>sel<br />

zuzulassen. Mit der Okkupation (1878) <strong>und</strong> der späteren Annexion Bosniens<br />

<strong>und</strong> der Herzegow<strong>in</strong>a (1908) riskierte sie lieber den Konflikt mit dem erwachenden<br />

Nationalismus der Südslawen.<br />

<strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong> Südosteuropa hatten <strong>in</strong> der Zeit des Türkenkampfes stets e<strong>in</strong>en Kompromißcharakter<br />

<strong>und</strong> sie beanspruchten mit dem fortschreitenden Verfall des Osmanischen<br />

Reiches <strong>im</strong> Laufe des <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts nur e<strong>in</strong>e vorläufige Geltung <strong>in</strong> der Abgrenzung<br />

der befreiten christlichen Gebiete vom verbliebenen Herrschaftsbereich des<br />

Sultans. Sie waren <strong>in</strong> ihren aktuellen Festlegungen zudem weitgehend von sachfremden<br />

machtpolitischen oder ökonomischen Interessen best<strong>im</strong>mt. 16 E<strong>in</strong> erwachendes<br />

Selbstbewußtse<strong>in</strong> unter den Balkanvölkern mußte diese willkürlichen Beschneidungen<br />

der nationalen Ambitionen als e<strong>in</strong>e unerträgliche E<strong>in</strong>schränkung des Selbstbest<strong>im</strong>mungsrechts<br />

empf<strong>in</strong>den. Sie waren zudem <strong>in</strong> der Regel ohne Anhörung der Betroffenen<br />

verfügt worden. Die Entscheidungen spezieller Grenzbegehungskommissionen,<br />

die vor Ort zur Umsetzung der jeweiligen Konferenzbeschlüsse notwendig<br />

waren, s<strong>in</strong>d deshalb auch nie als dauerhafte Lösungen empf<strong>und</strong>en worden. Sie wurden<br />

allenfalls als zeitweilige Markierungen der Interessensphären h<strong>in</strong>genommen.<br />

Grenzüberschreitungen <strong>und</strong> gezielte Grenzverletzungen zählten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er betont antiislamischen<br />

christlichen Umwelt zu den männlichen Tugenden <strong>im</strong> Türkenkampf. Sie<br />

wurden vom Mythos des Heroischen verklärt, wie sich u.a. an der Bedeutungswandlung<br />

des griechischen „Klephten“ vom Räuber – so die eigentliche Wortbedeutung –<br />

zum Volkshelden ablesen läßt. 17 E<strong>in</strong> latenter Risorg<strong>im</strong>ento-Nationalismus stellte die<br />

Verb<strong>in</strong>dlichkeit der Grenzregelungen generell <strong>in</strong> Frage. Er ist von den Großmächten<br />

bewußt <strong>in</strong>s Kalkül e<strong>in</strong>bezogen worden. Selbst die Amerikaner vermerkten 1917 nicht<br />

ohne Zynismus den Widerspruch zwischen den ordnungspolitischen Vorstellungen<br />

der Großmächte <strong>und</strong> den konkreten Zukunftserwartungen der Balkanvölker, die auf<br />

e<strong>in</strong>e rasche Befreiung vom islamischen Joch hofften: „Our policy must therefore con-<br />

15<br />

GUNNAR HERING: Die politischen Parteien <strong>in</strong> Griechenland 1821-1936, Teil 1, München<br />

1992, S. 54.<br />

16<br />

CASPAR HEER: Territorialentwicklung <strong>und</strong> Grenzfragen von Montenegro <strong>in</strong> der Zeit se<strong>in</strong>er<br />

Staatswerdung (1830-1887), Bern u.a. 1981 EGeist <strong>und</strong> Wirken der Zeiten, Nr. 61).<br />

17<br />

Vgl. GABRIELLA SCHUBERT: „Heldentum“ auf dem Balkan – Mythos <strong>und</strong> Wirklichkeit, <strong>in</strong>:<br />

Zeitschrift für Balkanologie 29 (1993), S. 16-33; zusätzliche Aspekte bei FIKRET ADANIR:<br />

Heiduckentum <strong>und</strong> osmanische Herrschaft. Sozialgeschichtliche Aspekte der Diskussion<br />

um das frühneuzeitliche Räuberwesen <strong>in</strong> Südosteuropa, <strong>in</strong>: Südost-Forschungen 41 (1982),<br />

S. 43-116.<br />

85


sist first <strong>in</strong> a stirr<strong>in</strong>g up of nationalist discontent, and then <strong>in</strong> refus<strong>in</strong>g to accept the extreme<br />

logic of this discontent, which would be the dismemberment of Austria-<br />

Hungary.“ 18<br />

Umso eifriger waren die Balkanvölker bei den schwierigen <strong>in</strong>ternen Abgrenzungsversuchen<br />

<strong>in</strong> den befreiten Gebieten darum bemüht, Argumente für e<strong>in</strong>e Ausweitung<br />

des eigenen Territoriums zu sammeln oder mit militärischen Mitteln vollendete<br />

Tatsachen zu schaffen. Die oft beschworene <strong>in</strong>nerbalkanische Solidarität, die bei<br />

vielen regionalen Aufstandsversuchen <strong>im</strong>mer wieder Freiwillige aus den Nachbarvölkern<br />

zu den Waffen eilen ließ, zerbrach sehr schnell, wenn es um den eigenen Vorteil<br />

g<strong>in</strong>g oder die Aufteilung der Beute anstand. Der pure nationale Egoismus zeigte sich<br />

<strong>im</strong> serbisch-bulgarischen Krieg von 1886 <strong>und</strong> während der beiden Balkankriege von<br />

1912/13. Die Folge dieser Gr<strong>und</strong>e<strong>in</strong>stellung war e<strong>in</strong>e verhängnisvolle Involvierung<br />

der nationalen Geschichtsschreibung <strong>in</strong> das schmutzige tagespolitische Geschäft. 19<br />

Sie erschwert bis heute – wie die Behandlung der Mazedonien-, der Bosnien- oder der<br />

Kosovo-Frage zeigt – e<strong>in</strong>e sachliche Diskussion der komplexen historischen Zusammenhänge.<br />

Die Vorkämpfer e<strong>in</strong>es derartigen Risorg<strong>im</strong>ento-Nationalismus ignorierten bewußt<br />

die erheblichen Wandlungen, die seit den mittelalterlichen Herrschaftsbildungen die<br />

ethnographischen Gegebenheiten gr<strong>und</strong>legend verändert haben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Areal, das<br />

jahrh<strong>und</strong>ertelang durch Migrationen <strong>und</strong> Siedlungsverlagerungen geprägt war. In ihren<br />

Leitideen knüpften sie an die nur noch fiktiven Legit<strong>im</strong>ationen mittelalterlicher<br />

Reichsbildungen an. Sie wurden ungeachtet nachweislicher Kont<strong>in</strong>uitätsbrüche <strong>und</strong><br />

weitreichender <strong>in</strong>terethnischer Verschiebungen dennoch ohne E<strong>in</strong>schränkungen für<br />

die eigene Sache <strong>in</strong> der Gegenwart <strong>in</strong> Anspruch genommen. <strong>20</strong> Das geschichtliche Argument,<br />

das dem Geme<strong>in</strong>schaftswerk der nationalen Erweckung dienen sollte, wurde<br />

so zur Waffe gegen den Nachbarn <strong>und</strong> Konkurrenten geschmiedet. Im Jahre 1843 äußerte<br />

sich Ioannis Kolettis vor der griechischen Nationalversammlung zu den territorialen<br />

Umrissen e<strong>in</strong>es künftigen griechischen Nationalstaates mit folgenden Worten:<br />

„Das Königreich Griechenland ist nicht Griechenland; es macht nur e<strong>in</strong>en Teil, <strong>und</strong><br />

zwar den kle<strong>in</strong>sten <strong>und</strong> ärmsten, Griechenlands aus. Grieche ist nicht nur, wer <strong>im</strong> Königreich<br />

wohnt, sondern auch der E<strong>in</strong>wohner von Ioann<strong>in</strong>a, Thessaloniki, Serres,<br />

Konstant<strong>in</strong>opel, Trapezunt, Kreta, Samos oder irgende<strong>in</strong>es Landes der griechischen<br />

Geschichte oder des Stammes... Es gibt zwei große Zentren des Griechentums. Athen<br />

ist die Hauptstadt des Königreiches. Konstant<strong>in</strong>opel ist die große Hauptstadt, der<br />

Traum <strong>und</strong> die Hoffnung der Griechen.“ 21 Der E<strong>in</strong>wand des streitbaren Gelehrten Ja-<br />

18 The Papers of Woodrow Wilson (wie Anm. 1), S. 459-474, hier S. 463.<br />

19 Kritisch zu den Voraussetzungen <strong>und</strong> Auswirkungen des Nationalismus <strong>in</strong> Südosteuropa<br />

HOLM SUNDHAUSSEN: Nationsbildung <strong>und</strong> Nationalismus <strong>im</strong> Donau-Balkan-Raum, <strong>in</strong>:<br />

Forschungen zur osteuropäischen Geschichte 48 (1993), S. 233-258, mit weiterführenden<br />

Literaturverweisen.<br />

<strong>20</strong> PASCHALIS M. KITROMILIDES: „Imag<strong>in</strong>ed Communities“ and the Orig<strong>in</strong>s of the National<br />

Question <strong>in</strong> the Balkans, <strong>in</strong>: European History Quarterly 19 (1989), S. 149-192.<br />

21 HERING (wie Anm. 15), S. 190.<br />

86


kob Philipp Fallmerayer – erhoben schon <strong>im</strong> Jahre 1830 auf dem Höhepunkt der europaweiten<br />

philhellenischen Bewegung –, daß <strong>in</strong> den Adern der modernen Griechen<br />

ke<strong>in</strong> Tropfen antiken Blutes mehr zu f<strong>in</strong>den sei, die slawische Landnahme auf der<br />

Balkanhalb<strong>in</strong>sel <strong>und</strong> die Siedlungsausbreitung der Albaner ihre Spuren h<strong>in</strong>terlassen<br />

hätten, focht die nationalen Ideologen nur wenig an. Die Serben standen den Griechen<br />

<strong>in</strong> der Mystifizierung der glorreichen Vergangenheit <strong>und</strong> der handlichen Aufbereitung<br />

verme<strong>in</strong>tlicher historischer Argumente für die aktuellen politischen Ziele nicht nach.<br />

Ilija d~ê~◊~åáå beanspruchte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em politischen Programm, das er <strong>in</strong> dem berühmten<br />

„k~¦Éêí~åáàÉ“ von 1844 entwickelte 22 , für se<strong>in</strong> Volk die <strong>Grenzen</strong> des Duschan-<br />

Reiches <strong>im</strong> 14. Jahrh<strong>und</strong>ert. „Serbien muß ständig danach trachten“, notierte er, „aus<br />

dem Gebäude des türkischen Staates nur Ste<strong>in</strong> um Ste<strong>in</strong> herauszureißen <strong>und</strong> <strong>in</strong> sich<br />

aufzunehmen, so daß es aus diesem guten Material auf der guten alten Gr<strong>und</strong>lage des<br />

serbischen Kaiserreiches wieder e<strong>in</strong>en neuen großen serbischen Staat aufbauen <strong>und</strong><br />

errichten kann“. 23 Zur Erläuterung muß man allerd<strong>in</strong>gs h<strong>in</strong>zufügen, daß ihm der Gedanke<br />

von der rußlandfe<strong>in</strong>dlichen polnischen Emigration um Fürst Adam Czartoryski<br />

<strong>und</strong> dessen Balkanbeauftragten, Franti◊ek Zach, nahelegt worden ist <strong>und</strong> er noch ke<strong>in</strong>e<br />

territorialen Ambitionen gegenüber den Südslawen <strong>in</strong> der Habsburgermonarchie<br />

be<strong>in</strong>haltete. Die Kroaten standen den Griechen <strong>und</strong> Serben nicht nach. Der irredentistische<br />

Großkroatismus e<strong>in</strong>es Ante pí~ê¦ÉîᎠ(1823-1896) vere<strong>in</strong>nahmte ohne Bedenken<br />

Slowenen wie Serben für e<strong>in</strong>en künftigen kroatischen Nationalstaat, wenn er erklärte,<br />

daß „die gesamte Bevölkerung zwischen Makedonien <strong>und</strong> Deutschland, zwischen<br />

der Donau <strong>und</strong> dem Adriatischen Meer nur e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige Nationalität, nur e<strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>ziges Leben, das kroatische Leben, hat“. 24<br />

E<strong>in</strong>e Aufteilung des verfügbaren Raumes nach der „Großen Idee“ (Megale Idea)<br />

der Griechen oder nach diesen großserbischen <strong>und</strong> großkroatischen Plänen hätte den<br />

Anra<strong>in</strong>ern kaum mehr Entfaltungsmöglichkeiten gelassen. Erbittert wurde – <strong>und</strong> wird<br />

bis heute – unter den Historikern um den Nachweis von Siedlungskont<strong>in</strong>uitäten gestritten,<br />

um daraus Territorialforderungen für die Gegenwart abzuleiten (vgl. den ungarisch-rumänischen<br />

Streit um Siebenbürgen oder den griechisch-mazedonischen<br />

Streit um Makedonien).<br />

Nicht übersehen sollte man, daß Protagonisten des nationalen Gedankens <strong>und</strong> die<br />

sog. „nationalen Erwecker“ unter den Balkanvölkern <strong>im</strong> <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>ert erhebliche<br />

Schwierigkeiten hatten, ihren Landsleuten <strong>in</strong> mühseliger Kle<strong>in</strong>arbeit zunächst das Gefühl<br />

der geme<strong>in</strong>samen ethnischen Herkunft <strong>und</strong> Geschichte, der geme<strong>in</strong>samen Sprache<br />

<strong>und</strong> Kultur, der volkstümlichen Traditionen <strong>und</strong> Gebräuche zu vermitteln. Bei der<br />

E<strong>in</strong>führung der Sprache als objektivem ethnischen Unterscheidungskriterium übersahen<br />

sie geflissentlich die Unsicherheiten sprachlicher <strong>und</strong> ethnischer Zuordnungen. In<br />

traditionellen Mischgebieten, <strong>in</strong> denen e<strong>in</strong>e funktionelle Mehrsprachigkeit die Regel<br />

22 PAUL N. HEHN: The Orig<strong>in</strong>s of Modern Pan-Serbish=–=The 1844 Nacertanija of Ilija Garasan<strong>in</strong>:<br />

An Analysis and Translation, <strong>in</strong>: East European Quarterly 9 (1975), S. 153-171.<br />

23 WOLF DIETRICH BEHSCHNITT: Nationalismus bei Serben <strong>und</strong> Kroaten 1830-1914. Analyse<br />

<strong>und</strong> Typologie der nationalen Ideologie, München 1980, S. 56.<br />

24 Zitiert nach BEHSCHNITT (wie Anm. 23), S. 181.<br />

87


war, waren Zufälligkeiten der <strong>in</strong>dividuellen Entscheidungen nicht ausgeschlossen,<br />

zumal die Behörden alle Manipulationsmöglichkeiten zu nutzen verstanden, die e<strong>in</strong>e<br />

unterschiedliche Gewichtung des Sprachkriteriums bei den Volkszählungen bot, um<br />

bei Erhebungen e<strong>in</strong> der Regierung genehmes Ergebnis zu erreichen. 25 Die Sprache<br />

eignete sich nur bed<strong>in</strong>gt als objektives Unterscheidungskriterium 26 , weil sie erst über<br />

durchaus fragwürdige <strong>und</strong> zum<strong>in</strong>dest diskussionsfähige Sprachnormierungsversuche<br />

zu e<strong>in</strong>em Abgrenzungs<strong>in</strong>strument geschmiedet wurde. Die Sprachreformer Ljudevit<br />

Gaj bei den Kroaten <strong>und</strong> Vuk StefanoviŽ h~ê~NjᎠbei den Serben haben beide ihre<br />

Normierungsvorschläge für e<strong>in</strong>e Schriftsprache auf der gleichen Gr<strong>und</strong>lage, dem Štokavischen,<br />

entwickelt <strong>und</strong> eher noch zur Verwirrung beigetragen 27 <strong>und</strong> der Phantasie<br />

der nationalen Ideologen freien Lauf gelassen. Vuk h~ê~NjᎠselbst vertrat <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

berühmten Schrift „Srbi svi i svuda“ (1849) e<strong>in</strong>en sprachlich-kulturellen Großserbismus,<br />

der die štokavisch-sprechenden Teile der Kroaten den Serben zuschlug. „Karad‹áŽ<br />

entwarf damit für das Serbentum e<strong>in</strong> Raumbild, das ungefähr dem heutigen Jugoslawien<br />

entsprach.“ 28 Das Religionsbekenntnis spielte als ethnisches Unterscheidungskriterium<br />

bei Karadžić noch ke<strong>in</strong>e entscheidende Rolle. Noch 1861 me<strong>in</strong>te er <strong>in</strong><br />

Reaktion auf Kritiker: „Serben können sich gerechterweise alle Štokavci nennen,<br />

welchen Glauben sie auch haben, <strong>und</strong> wo auch <strong>im</strong>mer sie wohnen.“ Bei den Kroaten<br />

war es e<strong>in</strong> etatistischer oder e<strong>in</strong> ausgeweiteter kultureller Nationsbegriff, der <strong>in</strong> ähnlicher<br />

Weise <strong>in</strong> extensive Territorialforderungen e<strong>in</strong>mündete.<br />

Die nationalen Ideologen unter den Balkanvölkern zogen es notfalls vor, unpassende<br />

ethnographische Erhebungen durch gefälschtes Beweismaterial <strong>in</strong> ihrem S<strong>in</strong>ne<br />

zu korrigieren. Kartographen <strong>und</strong> Ethnographen ließen sich <strong>im</strong> Vorfeld anstehender<br />

oder angestrebter Grenzveränderungen bei allen Anra<strong>in</strong>ern als willige Handlanger<br />

mißbrauchen. 29 Das Diktat e<strong>in</strong>es engstirnigen Sprachnationalismus nahm der E<strong>in</strong>zelperson<br />

die Entscheidungsfreiheit, sich e<strong>in</strong>er best<strong>im</strong>mten ethnischen Gruppe zugehörig<br />

fühlen zu wollen. Dies hatte teilweise absurde Folgen für e<strong>in</strong>e staatliche Nationalitätenpolitik,<br />

wie unlängst Rolf Wörsdöfer sehr anschaulich für die julisch-dalmat<strong>in</strong>ische<br />

Grenzregion vor Augen geführt hat. Von dem e<strong>in</strong>zigartigen Völkermosaik, das nach<br />

25<br />

Vgl. EMIL BRIX: Die Umgangssprachen <strong>in</strong> Altösterreich zwischen Agitation <strong>und</strong> Ass<strong>im</strong>ilation.<br />

Die Sprachenstatistik <strong>in</strong> den zisleithanischen Volkszählungen 1880-1910, Wien 1982.<br />

26<br />

NORBERT REITER: Sprache <strong>in</strong> nationaler Funktion, <strong>in</strong>: Ethnogenese <strong>und</strong> Staatsbildung <strong>in</strong><br />

Südosteuropa, hrsg. von KLAUS-DETLEV GROTHUSEN, Gött<strong>in</strong>gen 1974, S. 104-115, <strong>und</strong><br />

DERS.: Gruppe, Sprache, Nation, Berl<strong>in</strong> 1984 EBalkanologische Veröffentlichungen 9).<br />

27<br />

Zum Gesamtproblem der Sprachnormierungen: Sprachen <strong>und</strong> Nationen <strong>im</strong> Balkanraum.<br />

Die historischen Bed<strong>in</strong>gungen der Entstehung der heutigen Nationalsprachen, hrsg. von<br />

CHRISTIAN HANNICK, Köln, Wien 1987 ESlavistische Forschungen, Bd. 56).<br />

28<br />

BEHSCHNITT (wie Anm. 23), S. 72. Zur Problematik der Programmschrift „Srbi svi i svuda“<br />

a.a.O., S. 72-82.<br />

29<br />

Dazu die klassische Darstellung von HENRY ROBERT WILKINSON: Maps and Politics. A<br />

Review of the Ethnographic Cartography of Macedonia, Liverpool 1951.<br />

88


den ethnographischen Erhebungen des <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts noch e<strong>in</strong> Dutzend „nationaler<br />

Varietäten“ aufwies 30 , blieben nur noch Slawen <strong>und</strong> Italiener.<br />

Vuk Karadžić wollte 1861 eher wiederwillig neben der Sprache allenfalls die Konfessionszugehörigkeit<br />

noch als zusätzliches Kriterium zur Unterscheidung zwischen<br />

Kroaten <strong>und</strong> Serben gelten lassen. E<strong>in</strong> Katholik möge sagen, „er sei Kroate, wenn<br />

auch <strong>im</strong>mer er es will“. 31 Wir wissen heute, daß selbst dem Glaubensbekenntnis <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er geschlossenen bäuerlichen Gesellschaft, aus der es für den E<strong>in</strong>zelnen kaum e<strong>in</strong><br />

Entr<strong>in</strong>nen gab, nur e<strong>in</strong>e beschränkte Aussagekraft beizumessen ist. 32 Dies lehren zahlreiche<br />

Beispiele gerade <strong>in</strong> Südosteuropa. Unter den Bed<strong>in</strong>gungen der islamischen<br />

Fremdherrschaft zählten die vielfältigen Ersche<strong>in</strong>ungsformen e<strong>in</strong>es Kryptochristentums<br />

33 ebenso zur Alltagsrealität wie Zwangsbekehrungen oder auch freiwilliger<br />

Glaubenswechsel. Über die Herkunft <strong>und</strong> die ethnische Zuordnung beispielsweise der<br />

musl<strong>im</strong>ischen Pomaken <strong>in</strong> Bulgarien, der Gagausen oder der bosnischen Musl<strong>im</strong>e 34<br />

gehen daher bis heute die Me<strong>in</strong>ungen erheblich ause<strong>in</strong>ander. Im erbitterten Kirchenkampf<br />

der Jahrh<strong>und</strong>ertwende <strong>in</strong> Mazedonien 35 ermöglichte die Trennungsl<strong>in</strong>ie zwischen<br />

den Anhängern des Ökumenischen Patriarchen <strong>und</strong> den sog. Exarchisten noch<br />

längere Zeit nach der von den Türken geförderten Errichtung des bulgarischen Exarchates<br />

(1870) noch ke<strong>in</strong>eswegs e<strong>in</strong>e unzweifelhafte Unterscheidung von Griechen<br />

<strong>und</strong> Bulgaren. Für e<strong>in</strong>e allmähliche Klärung der Fronten sorgten erst die <strong>in</strong>tensive<br />

30 ROLF WÖRSDÖRFER: „Ethnizität“ <strong>und</strong> Entnationalisierung. Umsiedlung <strong>und</strong> Vertreibung <strong>in</strong><br />

Dalmatien, Istrien <strong>und</strong> Julisch-Venetien (1927-1954), <strong>in</strong>: Österreichische Zeitschrift für<br />

Geschichtswissenschaften 5 (1994), 2, S. <strong>20</strong>1-232.<br />

31 BEHSCHNITT (wie Anm. 23), S. 81.<br />

32 WOLFGANG KESSLER: Politik, Kultur <strong>und</strong> Gesellschaft <strong>in</strong> Kroatien <strong>und</strong> Slawonien <strong>in</strong> der<br />

ersten Hälfte des <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts. Historiographie <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>lagen, München 1981 (Südosteuropäische<br />

Arbeiten 77), S. 58 ff., <strong>und</strong> DERS.: Programm <strong>und</strong> Politik der nationalen Integration<br />

<strong>in</strong> den kroatischen Ländern <strong>in</strong> der zweiten Hälfte des <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts, <strong>in</strong>: Jugoslawien.<br />

Integrationsprobleme <strong>in</strong> Geschichte <strong>und</strong> Gegenwart, hrsg. von KLAUS DETLEV<br />

GROTHUSEN, Gött<strong>in</strong>gen 1984, S. 151-163.<br />

33 PETER BARTL: Kryptochristentum <strong>und</strong> Formen des religiösen Synkretismus <strong>in</strong> Albanien, <strong>in</strong>:<br />

Grazer <strong>und</strong> Münchener balkanologische Studien, München 1967 EBeiträge zur Kenntnis<br />

Südosteuropas <strong>und</strong> des Nahen Orients, Bd. 2), S. 117-127.<br />

34 H.-MICHAEL MIEDLIG: Wer s<strong>in</strong>d die Musl<strong>im</strong>e <strong>in</strong> Bosnien-Herzegow<strong>in</strong>a?, <strong>in</strong>: Südosteuropa<br />

Mitteilungen 34 (1994), 4, S. 279-293.=–=Zur Entwicklung des Nationalitätenproblems bei<br />

den bosnischen Musl<strong>im</strong>en SREČKO M. DŽAJA: Konfessionalität <strong>und</strong> Nationalität Bosniens<br />

<strong>und</strong> der Herzegow<strong>in</strong>a, München 1984; MUHAMED HADZIJAHIC: Die Anfänge der nationalen<br />

Entwicklung <strong>in</strong> Bosnien <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Herzegow<strong>in</strong>a, <strong>in</strong>: Südost-Forschungen 21 (1962), S.<br />

168-193, <strong>und</strong> WOLFGANG HÖPKEN: Konfession, territoriale Identität <strong>und</strong> nationales Bewußtse<strong>in</strong>:<br />

Die Musl<strong>im</strong>e <strong>in</strong> Bosnien zwischen österreichisch-ungarischer Herrschaft <strong>und</strong><br />

Zweitem Weltkrieg (1878-1941), <strong>in</strong>: Formen des nationalen Bewußtse<strong>in</strong>s <strong>im</strong> Lichte zeitgenössischer<br />

Nationalismustheorien, hrsg. von EVA SCHMIDT-HARTMANN, München 1994, S.<br />

233-253.<br />

35 Zur Gründung des Exarchats <strong>und</strong> se<strong>in</strong>er nationalbulgarischen Bedeutung ZINA MARKOVA:<br />

Balgarskata ekzarchija 1870-1879, Sofija 1989.<br />

89


Aufklärungsarbeit unter der weith<strong>in</strong> analphabetischen bäuerlichen Bevölkerung. 36 Sie<br />

wurde über staatlich geförderte Bildungs<strong>in</strong>itiativen <strong>und</strong> konkurrierende Schulgründungen<br />

der Griechen, Bulgaren <strong>und</strong> Serben betrieben. 37 Und nicht zuletzt war es e<strong>in</strong><br />

systematischer Bandenterror, der mit Zwangsmitteln für e<strong>in</strong>e Bere<strong>in</strong>igung der Fronten<br />

sorgte. Der gnadenlose Volkstumskampf hat an der Jahrh<strong>und</strong>ertwende <strong>in</strong> Mazedonien<br />

e<strong>in</strong>e breite Blutspur h<strong>in</strong>terlassen. 38 Die Untaten christlicher Banden, die wehrlose<br />

Dörfer überfielen, die Bewohner drangsalierten <strong>und</strong> zu nationalen Bekenntnissen<br />

zwangen, drohten Ausmaße anzunehmen, die selbst die vielbeschworenen „Bulgarischen<br />

Greuel“ der Türken 39 <strong>in</strong> den Schatten stellten. 40<br />

Man war am Ausgang des Ersten Weltkrieges <strong>in</strong> amerikanischen Kreisen noch opt<strong>im</strong>istisch<br />

genug, die Krise <strong>im</strong> Zusammenleben der Balkanvölker mit den klassischen<br />

Mitteln der Diplomatie <strong>und</strong> auf der Gr<strong>und</strong>lage exakter wissenschaftlicher Erkenntnisse<br />

beilegen zu können. 41 „The ult<strong>im</strong>ate relationship of the different Balkan nations<br />

must be based upon a fair balance of nationalistic and economic considerations, applied<br />

<strong>in</strong> a generous and <strong>in</strong>ventive spirit after <strong>im</strong>partial and scientific <strong>in</strong>quiry.“ 42 Und<br />

obwohl man Konkretisierungen e<strong>in</strong>es möglichen Grenzverlaufes noch tunlichst vermeiden<br />

wollte, wagte man es doch schon, sich <strong>in</strong> Teilbereichen auf e<strong>in</strong>ige allgeme<strong>in</strong>e<br />

Gr<strong>und</strong>sätze festzulegen. „It would obviously be unwise“, heißt es vorsichtig <strong>in</strong> dem<br />

unmittelbar anschließenden Passus, „to attempt at this t<strong>im</strong>e to draw frontiers for the<br />

36 Zur Rolle des Geschichtsunterrichts vgl. für Serbien <strong>und</strong> die Südslawen CHARLES JELA-<br />

VICH: Serbian Textbooks: Toward Greater Serbia or Yugoslavia?, <strong>in</strong>: Slavic Review 42<br />

(1983), S. 601-619, <strong>und</strong> DERS.: Nationalism as Reflected <strong>in</strong> the Textbooks of the South<br />

Slavs <strong>in</strong> the N<strong>in</strong>eteenth Century, <strong>in</strong>: Canadian Review of Studies <strong>in</strong> Nationalism 16 (1989)<br />

1-2, S. 15-34, sowie jetzt die zusammenfassende Studie DERS.: South Slav Nationalisms.<br />

Textbooks and Yugoslav Union before 1914, Columbia 1990.<br />

37 Vgl. die Belege zu den bulgarischen Bildungsbemühungen <strong>in</strong>: Makedonien. E<strong>in</strong>e Dokumentensammlung,<br />

Sofia 1982, <strong>und</strong> zu den griechischen E<strong>in</strong>richtungen ST. PAPADOPOULOS:<br />

Écoles et associations grecques dans la Macédonie du nord durant le dernier siècle de la<br />

dom<strong>in</strong>ation Turque, <strong>in</strong>: Balkan Studies 2 (1962), S. 397-442; vgl. auch BERTOLD SPULER:<br />

Die M<strong>in</strong>derheitenschulen der europäischen Türkei von der Reformzeit bis zum Weltkrieg<br />

(mit e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>leitung über das türkische Schulwesen), Breslau 1936.<br />

38 DOUGLAS DAKIN: The Greek Struggle <strong>in</strong> Macedonia 1897-1913, Thessaloniki 1966, Neudruck<br />

1993, <strong>und</strong> zu den H<strong>in</strong>tergründen der Makedonischen Frage aus osmanischer Sicht<br />

FIKRET ADANIR: Die Makedonische Frage. Ihre Entstehung <strong>und</strong> Entwicklung bis 1908,<br />

Wiesbaden 1979 EFrankfurter Historische Abhandlungen, Bd. <strong>20</strong>).<br />

39 Mythos <strong>und</strong> Wahrheit dieser Vorfälle untersucht ANDREAS KÖRBER: William Ewart Gladstones<br />

„Bulgarian Horrors and the Question of the East“=–=e<strong>in</strong>e unbrauchbare Quelle? E<strong>in</strong><br />

Beitrag zur Glaubwürdigkeit von H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><strong>in</strong>formationen, <strong>in</strong>: 110 Jahre Wiedererrichtung<br />

des bulgarischen Staats 1878-1988, hrsg. von KLAUS-DETLEV GROTHUSEN, München<br />

1990 ESüdosteuropa-Studien, Bd. 44), S. 87-118.<br />

40 Vgl. ADANIR (wie Anm. 38), S. 217 ff.<br />

41 Zu den Beratungsgremien während der Verhandlungen DIMITRI KITSIKIS: Le rôle des experts<br />

… la conférence de la paix de 19<strong>19.</strong> Gestation d'une technocratie en politique <strong>in</strong>ternationale,<br />

Ottawa 1972.<br />

42 The Papers of Woodrow Wilson (wie Anm. 1), S. 470.<br />

90


Balkan states. Certa<strong>in</strong> broad considerations, however, may tentatively be kept <strong>in</strong><br />

m<strong>in</strong>d. They are <strong>in</strong> brief these: 1) that the area annexed by Rumania <strong>in</strong> the Dobrudga is<br />

almost surely Bulgarian <strong>in</strong> character and should be returned; 2) that the bo<strong>und</strong>ary between<br />

Bulgaria and Turkey should be restored to the Enos-Midia l<strong>in</strong>e, as agreed upon<br />

at the conference of London; 3) that the south bo<strong>und</strong>ary of Bulgaria should be the<br />

Aegean Sea coast from Enos to the gulf of Orfano, and should leave the mouth of the<br />

Struma river <strong>in</strong> Bulgarian territory; 4) that the best access to the sea for Serbia is<br />

through Saloniki; 5) that the f<strong>in</strong>al disposition of Macedonia cannot be determ<strong>in</strong>ed<br />

without further <strong>in</strong>quiry; 6) that an <strong>in</strong>dependent Albania is almost certa<strong>in</strong>ly an <strong>und</strong>esirable<br />

political entity.“<br />

Nicht nur die Amerikaner unterschätzten die unlösbaren Probleme, die vor Ort auf<br />

die Friedensmacher warteten, <strong>und</strong> gegen die grausame Logik e<strong>in</strong>es Sprachnationalismus<br />

<strong>in</strong> den Balkanländern waren sie gänzlich hilflos. E<strong>in</strong>sichtigen Beobachtern vor<br />

Ort wie dem Sachverständigen für M<strong>in</strong>derheitenfragen <strong>in</strong> der amerikanischen Delegation,<br />

Archibald Cary Coolidge 43 , blieben der Konflikt zwischen den unterschiedlichen<br />

Pr<strong>in</strong>zipien, die bei den Grenzregelungen angelegt wurden – Geschichte, Geographie<br />

<strong>und</strong> die Rechte der Nationalitäten –, ke<strong>in</strong>eswegs verborgen. 44 Die unvermeidlichen<br />

Grenzstreitigkeiten, die durch die Konferenzbeschlüsse ausgelöst wurden, haben nicht<br />

unwesentlich zu e<strong>in</strong>er Verschärfung der Gegensätze beigetragen. Balkanisierung<br />

me<strong>in</strong>t auch <strong>und</strong> gerade die negativen praktisch-politischen Schlußfolgerungen, die<br />

schon vor den Pariser Friedensbemühungen aus der verworrenen Sachlage <strong>in</strong> den<br />

Mischgebieten gezogen worden waren. Deportation, Flucht <strong>und</strong> Vertreibung waren<br />

längst vor dem Ende des Ersten Weltkrieges bittere Realität für die Völker <strong>in</strong> Südosteuropa<br />

geworden. 45 Teilweise wurde schon nach den Balkankriegen versucht, den als<br />

unumgänglich erachteten Bevölkerungstransfer wenigstens durch bilaterale Vere<strong>in</strong>barungen<br />

<strong>in</strong> geordnetere Bahnen zu lenken. Die Wirren des russischen Bürgerkrieges,<br />

die nach dem Zusammenbruch des Zarismus e<strong>in</strong>en Großteil der ca. 600 000 Pontusgriechen<br />

zum Exodus bewogen, <strong>und</strong> die nachfolgende kle<strong>in</strong>asiatische Katastrophe<br />

von 1922/23 haben Griechenland mit e<strong>in</strong>em Flüchtl<strong>in</strong>gsproblem belastet, das <strong>in</strong> Relation<br />

zur Bevölkerung des Mutterlandes alle bis dah<strong>in</strong> denkbaren Vorstellungen<br />

sprengte. Dem Blutbad, das türkische Truppen am 13. September 1922 bei der Erobe-<br />

43 GEORG E. SCHMID: Die Coolidge-Mission <strong>in</strong> Österreich 1919: Zur Österreichpolitik der<br />

USA während der Pariser Friedenskonferenz, <strong>in</strong>: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs<br />

24 (1971), S. 433-467.<br />

44 ERWIN VIEFHAUS: Die M<strong>in</strong>derheitenfrage <strong>und</strong> die Entstehung der M<strong>in</strong>derheitenschutzverträge<br />

auf der Pariser Friedenskonferenz 19<strong>19.</strong> E<strong>in</strong>e Studie zur Geschichte des Nationalitätenproblems<br />

<strong>im</strong> <strong>19.</strong> <strong>und</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert, Würzburg 1960 EMarburger Ostforschungen, Bd.<br />

11), S. 123 ff.<br />

45 P. LADAS STEPHEN: The Exchange of M<strong>in</strong>orities. Bulgaria, Greece and Turkey, New York<br />

1932. – Zum Gesamtproblem vgl. HANS LEMBERG: Nationale „Entmischung“ <strong>und</strong><br />

Zwangswanderungen <strong>in</strong> Mittel- <strong>und</strong> Osteuropa 1938-1948, <strong>in</strong>: Westfälische Forschungen<br />

39 (1989), S. 383-392, <strong>und</strong> DERS.: „Ethnische Säuberung“: E<strong>in</strong> Mittel zur Lösung von Nationalitätenproblemen?,<br />

<strong>in</strong>: Aus Politik <strong>und</strong> Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung<br />

„Das Parlament“ B 46/92 (6. November 1992), S. 27-38.<br />

91


ung Smyrnas angerichtet hatten, waren annähernd 30 000 Christen zum Opfer gefallen.<br />

Im Zuge des Bevölkerungsaustausches, der <strong>im</strong> Januar 1923 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Separatprotokoll<br />

zwischen Venizelos <strong>und</strong> Inönü vere<strong>in</strong>bart worden war, verloren etwa 300 000<br />

Musl<strong>im</strong>e <strong>und</strong> ca. 1,1 Millionen Christen ihre angestammte He<strong>im</strong>at. Der Kreis der Betroffenen<br />

wurde nach der Religionszugehörigkeit best<strong>im</strong>mt. Dieses willkürliche Auswahlkriterium<br />

zwang selbst die türkischsprechenden orthodoxen Karamanlis <strong>in</strong><br />

Kle<strong>in</strong>asien <strong>und</strong> die griechischsprechenden Musl<strong>im</strong>e auf Kreta zur Abwanderung. 46<br />

<strong>Grenzen</strong> zwischen den Staaten <strong>in</strong> Südosteuropa bedeuteten <strong>im</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

<strong>im</strong>mer blutige E<strong>in</strong>schnitte <strong>und</strong> gewaltsame Zäsuren. Sie zertrennten Siedlungsgeme<strong>in</strong>schaften<br />

ethnischer Gruppen, die sich auf lokaler Basis <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>räumigen arbeitsteiligen<br />

Nachbarschaften arrangiert hatten, <strong>und</strong> nötigten die Sprecher des gleichen<br />

Idioms zu staatlichen Zusammenschlüssen, die ihrer Organisationsstruktur nach auf<br />

ethnische Exklusivität angelegt waren. Der Streit um Revisionen der Grenzregelungen<br />

<strong>und</strong> um die E<strong>in</strong>haltung der M<strong>in</strong>derheitenrechte war mit den Entscheidungen der Pariser<br />

Friedenskonferenz schon vorprogrammiert. Die am meisten betroffenen Ungarn,<br />

die <strong>im</strong> Trianon-Vertrag vom 4. Juni 19<strong>20</strong> auf zwei Drittel des ehemaligen Staatsterritoriums<br />

<strong>und</strong> der Staatsbevölkerung verzichten mußten, waren nicht bereit, e<strong>in</strong>e Grenzregelung<br />

widerspruchslos h<strong>in</strong>zunehmen, die mehr als e<strong>in</strong> Drittel der Magyaren, über 3<br />

Millionen, zwang, als M<strong>in</strong>derheit <strong>in</strong> den Nachbarstaaten (1,7 Mill. <strong>in</strong> Rumänien, über<br />

1 Mill. <strong>in</strong> der Tschechoslowakei <strong>und</strong> 558 000 <strong>in</strong> Jugoslawien) zu leben. Bulgarien<br />

verlor mit der Abtretung des südlichen Mazedonien nicht nur e<strong>in</strong>en Teil der von Bulgaren<br />

besiedelten Regionen, sondern wurde von dem wichtigen Zugang zur Ägäis abgeschnitten.<br />

Die M<strong>in</strong>derheitenschutzverträge <strong>und</strong> die ausgleichende Kompetenz des<br />

Völkerb<strong>und</strong>es, die als tragende Stützpfeiler des Versailler Systems <strong>in</strong> das Pariser Vertragswerk<br />

e<strong>in</strong>gezogen worden waren, hielten den wachsenden Belastungen nicht<br />

stand. Sie boten vor e<strong>in</strong>er adm<strong>in</strong>istrativen Majorisierung durch die Titularnationen<br />

ke<strong>in</strong>en h<strong>in</strong>reichenden Schutz. Der Völkerb<strong>und</strong> versagte <strong>in</strong> der ihm zugedachten Rolle<br />

als Schlichtungs<strong>in</strong>stanz, weil bei den Beteiligten <strong>und</strong> Betroffenen der Wille zum<br />

Kompromiß fehlte. Die Menschen mußten <strong>in</strong> den sog. Nachfolgestaaten des Versailler<br />

Systems <strong>in</strong> unsicheren <strong>Grenzen</strong> leben. Unzulänglichkeiten der Grenzziehungen <strong>in</strong> den<br />

ethnischen Mischgebieten waren nicht zu übersehen. Nahezu alle Balkanstaaten waren<br />

während der Zwischenkriegszeit <strong>in</strong> ihrem territorialen Bestand von Revisionsforderungen<br />

der Nachbarn bedroht <strong>und</strong> nur der Druck von außen verh<strong>in</strong>derte gewaltsame<br />

Lösungsversuche auf eigene Faust. Nach Joseph Rothschild bed<strong>in</strong>gten <strong>im</strong> Ost- <strong>und</strong><br />

Südosteuropa der Zwischenkriegszeit geme<strong>in</strong>same <strong>Grenzen</strong> nahezu zwangsläufig<br />

fe<strong>in</strong>dliche Beziehungen. 47 Der gleiche Autor ist aber <strong>im</strong> Abstand e<strong>in</strong>er Generation<br />

<strong>und</strong> nach den Erfahrungen der nationalsozialistischen <strong>und</strong> kommunistischen Exper<strong>im</strong>ente<br />

heute eher geneigt, den an der Friedensregelung nach 1918 beteiligten Staatsmännern<br />

<strong>und</strong> Diplomaten größeres Verständnis entgegenbr<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> ihnen auch bei<br />

der Regelung der strittigen Grenzfragen wieder mehr Gerechtigkeit widerfahren zu<br />

46<br />

RICHARD CLOGG: A Short History of Modern Greece, Cambridge u.a. 1979, S. 1<strong>20</strong>-121.<br />

47<br />

JOSEPH ROTHSCHILD: East Central Europe between the Two World Wars, 3. Aufl. Seattle,<br />

London 1979, S. 8.<br />

92


lassen. Er n<strong>im</strong>mt sie gegen den Vorwurf <strong>in</strong> Schutz, die M<strong>in</strong>derheiten schnöde verraten<br />

zu haben. Immerh<strong>in</strong> hätten die Grenzregelungen bei allen Ungere<strong>im</strong>theiten dre<strong>im</strong>al<br />

mehr Menschen <strong>in</strong> der Zwischenkriegszeit von fremder Herrschaft befreit als umgekehrt<br />

zu e<strong>in</strong>em M<strong>in</strong>derheitenstatus unter e<strong>in</strong>em fremden Mehrheitsvolk gezwungen.<br />

Außerdem seien die durchaus bedauerlichen Zuordnungen von M<strong>in</strong>derheiten zu e<strong>in</strong>em<br />

andersnationalen Staat nicht willkürlich geschehen, sondern anderen, ökonomischen<br />

oder strategischen Prioritäten gefolgt – <strong>und</strong> diese Prioritäten seien eben unvere<strong>in</strong>bar<br />

gewesen mit den nationalen.<br />

Volksabst<strong>im</strong>mungen <strong>in</strong> umstrittenen Grenzregionen waren wegen der ungleichen<br />

regionalen Verteilung der ethnischen Gruppen <strong>und</strong> der unterschiedlichen Zuordnung<br />

der Stadtbevölkerung <strong>und</strong> des bäuerlichen Umlandes ke<strong>in</strong> geeigneter Weg, um e<strong>in</strong>e<br />

gerechtere Lösung zu f<strong>in</strong>den. Die Operationen von Freischaren <strong>und</strong> die nachfolgenden<br />

Agitationskampagnen, die die Befragung der Bevölkerung begleiteten, heizten<br />

die aufgewühlten Leidenschaften nur noch zusätzlich an <strong>und</strong> vergifteten die nachbarschaftlichen<br />

Beziehungen. Dies zeigte sich <strong>im</strong> südlichen Kärnten am 10.10.19<strong>20</strong> <strong>und</strong><br />

bei der fragwürdigen Abst<strong>im</strong>mung <strong>in</strong> Ödenburg <strong>im</strong> Burgenland am 14.12.1921. Die<br />

Ergebnisse blieben umstritten <strong>und</strong> belasteten das Verhältnis Österreichs zu Ungarn<br />

<strong>und</strong> Jugoslawien <strong>in</strong> der Zwischenkriegszeit noch mehr.<br />

Diese depr<strong>im</strong>ierende Sachlage hat sich trotz Teilerfolge, wie bei der Lösung der<br />

Triest-Frage zwischen Italien <strong>und</strong> Jugoslawien, bis zur Gegenwart kaum geändert.<br />

Der Zypern-Konflikt, die Zwangsbulgarisierungen der Živkov-Ära 48 , die Diskr<strong>im</strong><strong>in</strong>ierungen<br />

der Kosovo-Albaner <strong>und</strong> die andauernden rumänisch-ungarischen Konfrontationen<br />

<strong>in</strong> Siebenbürgen, der bulgarisch-griechische Streit um das mazedonische Erbe<br />

oder die neuerlichen griechisch-albanischen Differenzen <strong>in</strong> Nordepirus s<strong>in</strong>d unverkennbare<br />

Anzeichen e<strong>in</strong>es fortschwelenden Dauerkonfliktes. 49 In dem leidgeprüften<br />

Bosnien versagten bisher alle Lösungsversuche. 50<br />

Zum Neuaufbau e<strong>in</strong>er stabilen Staatenordnung reichten die Kräfte des „Neuen Europa“<br />

nicht mehr aus, für das der künftige tschechoslowakische Präsident Thomas G.<br />

Masaryk während des Ersten Weltkrieges die Werbetrommel gerührt hatte. Masaryk<br />

selbst war mit der missionarischen Vision angetreten, den bisher unterdrückten kle<strong>in</strong>en<br />

Völkern zu ihrem Recht zu verhelfen. Er war noch opt<strong>im</strong>istisch genug, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

freiheitlichen <strong>und</strong> demokratischen Europa die negativen Folgen e<strong>in</strong>er „Balkanisie-<br />

48<br />

WOLFGANG HÖPKEN: Zwischen Kulturkonflikt <strong>und</strong> Repression. Die türkische M<strong>in</strong>derheit<br />

<strong>in</strong> Bulgarien 1944-1991, <strong>in</strong>: Nationen Nationalitäten M<strong>in</strong>derheiten. Probleme des Nationalismus<br />

<strong>in</strong> Jugoslawien, Ungarn, Rumänien, der Tschechoslowakei, Bulgarien, Polen, der<br />

Ukra<strong>in</strong>e, Italien <strong>und</strong> Österreich 1945-1990, hrsg. von VALERIA HEUBERGER, OTHMAR KO-<br />

LAR, ARNOLD SUPPAN <strong>und</strong> ELISABETH VYSLONZIL, Wien, München 1994, S. 179-<strong>20</strong>2.<br />

49<br />

Zur M<strong>in</strong>derheitenfrage <strong>in</strong> Südosteuropa heute HUGH POULTON: The Balkans. M<strong>in</strong>orities<br />

and States <strong>in</strong> Conflict, London 1991; Nationalitätenprobleme <strong>in</strong> Südosteuropa, hrsg. von<br />

ROLAND SCHÖNFELD, München 1987 EUntersuchungen zur Gegenwartsk<strong>und</strong>e Südosteuropas,<br />

Bd. 25).<br />

50<br />

HENRIK BIRNBAUM: The Ethno-L<strong>in</strong>guistic Mosaic of Bosnia and Hercegov<strong>in</strong>a, <strong>in</strong>: Die Welt<br />

der Slaven 32 (1977), S. 1-31.<br />

93


ung“ überw<strong>in</strong>den zu können. In se<strong>in</strong>en späteren Er<strong>in</strong>nerungen rechtfertigte er den<br />

notwendigen Bruch mit der Vergangenheit. „Den großen Nationen“, schreibt er, „namentlich<br />

den Engländern <strong>und</strong> Amerikanern, die geradezu an kont<strong>in</strong>entale Maßstäbe<br />

gewöhnt s<strong>in</strong>d, bei denen Sprachenfragen ke<strong>in</strong>e Rolle spielen, ersche<strong>in</strong>t die Befreiung<br />

der zahlreichen kle<strong>in</strong>en Nationen <strong>und</strong> die Entstehung kle<strong>in</strong>erer Staaten politisch <strong>und</strong><br />

sprachlich als e<strong>in</strong>e beschwerliche <strong>und</strong> unangenehme ‚Balkanisierung‘. Aber die Verhältnisse<br />

s<strong>in</strong>d, wie sie eben s<strong>in</strong>d, durch Natur <strong>und</strong> Geschichte gegeben: durch h<strong>und</strong>ertjährige<br />

Gewalt vere<strong>in</strong>fachten die Türkei, Österreich-Ungarn, Deutschland <strong>und</strong> Rußland<br />

halb Europa, aber eben durch Gewalt <strong>und</strong> mechanisch, also nur auf e<strong>in</strong>ige Zeit;<br />

durch Freiheit <strong>und</strong> Demokratie läßt sich die Balkanisierung abschaffen, <strong>und</strong> zwar<br />

noch besser.“ 51<br />

Hehre Worte des Staatsmannes, der wie ke<strong>in</strong> anderer mitgeholfen hat, das Zeitalter<br />

der kle<strong>in</strong>en Völker <strong>und</strong> der nationalstaatlichen Ordnung <strong>in</strong> Europa <strong>in</strong> die Praxis umzusetzen.<br />

In der Rückschau ist am Ende des Jahrh<strong>und</strong>erts der kle<strong>in</strong>en Nationalstaaten<br />

Ernüchterung e<strong>in</strong>gekehrt. Masaryks Zukunftsvision e<strong>in</strong>er neuen stabilen Staatenordnung<br />

<strong>in</strong> Ostmittel- <strong>und</strong> Südosteuropa harrt <strong>im</strong>mer noch der Verwirklichung. Ob der<br />

neue Mitteleuropa-Gedanke, der seit den 80er Jahren <strong>in</strong> den betroffenen Ländern favorisiert<br />

wird, e<strong>in</strong>e tragfähigere Alternative bieten wird, muß sich noch erweisen. Die<br />

gegenwärtigen Vorgänge <strong>in</strong> Südosteuropa st<strong>im</strong>men wenig hoffnungsvoll. Sie lassen<br />

noch ke<strong>in</strong>e Abkehr vom Irrweg e<strong>in</strong>es überzogenen Sprachnationalismus <strong>und</strong> den destruktiven<br />

Folgerungen des ethnischen Pr<strong>in</strong>zips erkennen, ganz zu schweigen von e<strong>in</strong>em<br />

Neubeg<strong>in</strong>n <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em gesamteuropäischen Geist der Versöhnung <strong>und</strong> des Völkerfriedens,<br />

den wir alle wünschen <strong>und</strong> erhoffen.<br />

Nur e<strong>in</strong> gr<strong>und</strong>legender Bewußtse<strong>in</strong>swandel verspricht e<strong>in</strong>en Ausweg. Leider droht<br />

<strong>im</strong> gegenwärtigen Kriegsgeschehen <strong>im</strong>mer mehr <strong>in</strong> Vergessenheit zu geraten, daß<br />

sich gerade <strong>in</strong> der Geschichte Südosteuropas durch die Jahrh<strong>und</strong>erte e<strong>in</strong> reicher<br />

Schatz an fruchtbaren <strong>in</strong>terethnischen Erfahrungen angesammelt hat. Sie müßten <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er Zeit aufgewühlter Leidenschaften <strong>und</strong> nationalistischer Exzesse den betroffenen<br />

Menschen erneut bewußt gemacht werden. Dazu wird es <strong>in</strong> Zukunft noch e<strong>in</strong>er mühsamen<br />

Aufklärungsarbeit bedürfen.<br />

51<br />

T.G. MASARYK: Die Weltrevolution. Er<strong>in</strong>nerungen <strong>und</strong> Betrachtungen 1914-1918, Berl<strong>in</strong><br />

1927, S. 439-444.<br />

94


„Alte <strong>Grenzen</strong>“ <strong>und</strong> Kulturgeographie<br />

Zur historischen Konstanz der <strong>Grenzen</strong> Böhmens<br />

<strong>und</strong> der böhmischen Länder<br />

von<br />

Robert L u f t<br />

Der Verlauf von Böhmens Außengrenzen, häufig als Raute, als Fünfeck oder <strong>in</strong> Herzform<br />

vere<strong>in</strong>fachend skizziert, ist aus ungezählten Kartenwerken seit langem <strong>und</strong> allgeme<strong>in</strong><br />

gut bekannt. 1 Zu dieser Bekanntheit mag beigetragen haben, daß die böhmischen<br />

ebenso wie die mährischen <strong>Grenzen</strong> für Jahrh<strong>und</strong>erte weitgehend unverändert<br />

blieben. Die geographische Ausdehnung Böhmens <strong>und</strong> Mährens war <strong>in</strong> ihrer Gr<strong>und</strong>form<br />

bereits um das Jahr 1000 ausgebildet. 2 Seit dem Ende des 14. Jahrh<strong>und</strong>erts festigte<br />

sich <strong>in</strong> fast allen Abschnitten auch <strong>im</strong> kle<strong>in</strong>räumigen Bereich der Grenzverlauf.<br />

Die böhmischen <strong>und</strong> mährischen <strong>Grenzen</strong> weisen somit als Trennl<strong>in</strong>ien von Verwaltungsbereichen<br />

e<strong>in</strong>e ungewöhnliche Konstanz auf. Sie gehören – unabhängig davon,<br />

ob sie als Staats- oder B<strong>in</strong>nengrenze fungierten – zu den ältesten <strong>und</strong> dauerhaftesten,<br />

<strong>im</strong> Gr<strong>und</strong>e durchgängig <strong>und</strong> bis heute bestehenden Abgrenzungen von Herrschafts-<br />

oder Verwaltungsgebieten <strong>in</strong> Europa. 3<br />

1 Im folgenden wird – abweichend vom Sektionsthema „Staaten <strong>in</strong> <strong>Ostmitteleuropa</strong> <strong>und</strong> ihre<br />

<strong>Grenzen</strong>“ – nur die Situation Böhmens bzw. der böhmischen Länder Böhmen, Mähren <strong>und</strong><br />

Österreichisch bzw. Tschechisch Schlesien behandelt, nicht jedoch die <strong>Grenzen</strong> der Slowakei<br />

bzw. der gesamten Tschechoslowakei. Der reizvolle <strong>und</strong> kontrastreiche Vergleich der<br />

Geschichte der böhmischen mit den slowakischen <strong>Grenzen</strong> muß an dieser Stelle leider unterbleiben.<br />

– Mit Böhmen ist hier <strong>und</strong> <strong>im</strong> folgenden die territorial geschlossene Verwaltungse<strong>in</strong>heit<br />

Böhmen <strong>im</strong> engeren S<strong>in</strong>ne geme<strong>in</strong>t, wie sie bis <strong>in</strong> die Mitte des <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

bestand, <strong>und</strong> nicht das gesamte Herrschaftsgebiet der böhmischen Krone mit Mähren,<br />

Schlesien, den Lausitzen oder gar dem mittelalterlichen böhmischen Lehensbesitz <strong>in</strong> sächsischen,<br />

thür<strong>in</strong>gischen oder oberpfälzischen Gebieten.<br />

2 Am genauesten <strong>in</strong>formiert die Grenzbeschreibung der Prager Diözese von 1086 über damalige<br />

Gebietszugehörigkeiten. Zahlreiche Grenzangaben stammen dann aus der Zeit Přemysl<br />

Otakars II.<br />

3 Die Qualität der Verwaltungsgrenzen bzw. der Wandel e<strong>in</strong>er Außengrenze zu e<strong>in</strong>er B<strong>in</strong>nengrenze,<br />

von e<strong>in</strong>er Territorial- oder Staatsgrenze zur <strong>in</strong>neren Verwaltungsgrenze braucht<br />

<strong>in</strong> diesem Zusammenhang nicht zu <strong>in</strong>teressieren, wird aber oft von Arbeiten der politischen<br />

Geographie ignoriert, die nur souveräne Staaten zum Objekt wählt. Aus dieser Sichtweise<br />

heraus ersche<strong>in</strong>en die böhmischen <strong>Grenzen</strong> nicht als „alt“ <strong>und</strong> als wenig dauerhaft. Sie<br />

wiesen angeblich nur e<strong>in</strong>en Bestand von 100 bis <strong>20</strong>0 Jahren auf. Vgl. die Karte von Colum<br />

Gilfillan, <strong>in</strong> NORMAN J.G. POUNDS: Political Geography, New York 1963, S. 29; zitiert<br />

nach ALEXANDER DEMANDT: Die <strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong> der Geschichte Deutschlands, <strong>in</strong>: Deutsch-<br />

95


Diese Besonderheit <strong>in</strong> der territorialen Entwicklung tritt noch schärfer <strong>im</strong> Vergleich<br />

mit den wichtigsten Nachbarländern – wie Sachsen, Bayern oder Schlesien –<br />

hervor, die zwar <strong>in</strong> der Regel e<strong>in</strong> vergleichbares Alter, nicht jedoch e<strong>in</strong>e auch nur annähernd<br />

ähnliche Konstanz <strong>im</strong> Gebietsumfang vom Mittelalter bis <strong>in</strong>s <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

aufweisen können. Wenn der Begriff der „alten“ oder „historischen“ Grenze überhaupt<br />

e<strong>in</strong>e Berechtigung hat, dann <strong>im</strong> Fall Böhmens <strong>und</strong> Mährens bzw. der Tschechischen<br />

Republik. 4 Diese bloße Feststellung sollte aber weder zu e<strong>in</strong>er Mythologisierung<br />

führen, noch als naturgesetzlicher Determ<strong>in</strong>ismus zur Rechtfertigung oder Infragestellung<br />

des e<strong>in</strong>en oder anderen „historischen“ oder „unhistorischen“ Grenzverlaufs<br />

verstanden werden. 5 Es kann bei e<strong>in</strong>er derartigen Untersuchung nur darum gehen,<br />

E<strong>in</strong>flußfaktoren, Ursachen <strong>und</strong> strukturelle Zusammenhänge e<strong>in</strong>es historischen Phänomens<br />

<strong>in</strong> ihrem Bed<strong>in</strong>gungsrahmen herauszuarbeiten <strong>und</strong> zu erklären. 6<br />

S<strong>in</strong>d Böhmens „historische“ <strong>Grenzen</strong> „natürlich“?<br />

Große Relevanz hat das Argument von „historischen <strong>Grenzen</strong>“ – geme<strong>in</strong>t waren „bestehende“,<br />

„alte“, „bewährte“ – oder von „natürlichen <strong>Grenzen</strong>“ mit dem Ende des<br />

Ersten Weltkriegs gewonnen, 7 als e<strong>in</strong>e Fülle neuer <strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong> Europa gezogen wurde<br />

lands <strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong> der Geschichte, hrsg. von DEMS., 3. Aufl. München 1993, S. 9-31, hier S.<br />

26.<br />

4 Selbst der nationalsozialistischen Propaganda fiel es schwer, diese „Historizität“ <strong>in</strong> Frage<br />

zu stellen. So blieb dem Autor e<strong>in</strong>es <strong>im</strong> Vorfeld des Münchener Abkommens verfaßten<br />

programmatischen Fachaufsatzes zur „Beweglichkeit der politischen Grenze Böhmens“<br />

nichts anderes übrig, als auf den Sonderfall Egerland <strong>und</strong> auf Grenzveränderungen von vor<br />

1400 zu verweisen <strong>und</strong> für die folgenden Jahrh<strong>und</strong>erte festzustellen, es habe sich „während<br />

der letzten 1000 Jahre bis 1918 nur [um] e<strong>in</strong>e B<strong>in</strong>nengrenze“ gehandelt. Vgl. RUDOLF<br />

KÄUBLER: Die Unbeständigkeit der „historischen“ <strong>Grenzen</strong> Böhmens aufgezeigt am Beispiel<br />

Westböhmens, <strong>in</strong>: Geographische Zeitschrift 44 (1938), S. 361-371, Zitate S. 365.<br />

5 Zum Mißverständnis, daß aus e<strong>in</strong>em hohen Alter e<strong>in</strong>er Grenze gerne universaler Ewigkeitsanspruch,<br />

ja mythologische Sakralität abgeleitet wird, vgl. KATHARINA EISCH: Grenze.<br />

E<strong>in</strong>e Ethnographie des bayerisch-böhmischen Grenzraums, München 1996 (Bayerische<br />

Schriften zur Volksk<strong>und</strong>e, Bd. 5), S. 41.<br />

6 In diesem Beitrag werden aus diesem Gr<strong>und</strong>e alle Ortsbezeichnungen, so weit sie existieren,<br />

auch für Teile Deutschlands bei der ersten Nennung konsequent zweisprachig bzw.<br />

mehrsprachig angegeben, gleichgültig ob es sich um heutige oder ehemals amtliche oder<br />

nur kulturelle <strong>und</strong> umgangssprachliche Formen handelt. Da aus Namensformen Gebiets-<br />

<strong>und</strong> Herrschaftsansprüche abgeleitet wurden <strong>und</strong> werden, kann nur e<strong>in</strong>e völlig unvore<strong>in</strong>genommene<br />

Verwendung aller Namensformen (<strong>in</strong> diesem Fall aus dem Tschechischen, Deutschen<br />

<strong>und</strong> Polnischen) verh<strong>in</strong>dern, daß durch e<strong>in</strong>seitige Namensverwendung oder die alle<strong>in</strong>ige<br />

Angabe amtlicher Bezeichnungen unterschwellig e<strong>in</strong> <strong>im</strong>plizites Vorverständnis für e<strong>in</strong>e<br />

„berechtigte“ oder „gerechte“ Grenzziehung entsteht.<br />

7 Zu den geforderten Arrondierungen heißt es z.B. <strong>im</strong> tschechischen Mémoire No. 10: Problèmes<br />

des rectifications des frontières Tchècoslovaques et Germano-Autrichiennes: „Elles<br />

font naturellement partie du corps de la Bohême“. Die tschechoslowakischen Denkschrif-<br />

96


<strong>und</strong> als die Tschechoslowakische Republik entstand bzw. deren territoriale Abgrenzung<br />

auf den Pariser Friedenskonferenzen vere<strong>in</strong>bart wurde. 8 Im Gegensatz zum slowakischen<br />

Bereich, zu Ungarn, Polen, Litauen, Rumänien oder der Türkei wurde der<br />

böhmische <strong>und</strong> mährische Grenzverlauf während dieser umwälzenden territorialen<br />

Neuordnung Ostmittel- <strong>und</strong> Südosteuropas von der <strong>in</strong>ternationalen Politik nicht<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich zur Disposition gestellt. Die „historischen Länder“ wurden als E<strong>in</strong>heit<br />

<strong>in</strong> ihren „historischen <strong>Grenzen</strong>“ anerkannt. E<strong>in</strong>e Rolle könnte dabei gespielt haben,<br />

daß Böhmen <strong>und</strong> Mähren <strong>im</strong> politischen Erlebens- <strong>und</strong> Bezugszeitraum der damaligen<br />

Akteure, ja <strong>im</strong> ganzen langen <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>ert (d.h. <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zeit, <strong>in</strong> der es seit der<br />

Französischen Revolution <strong>und</strong> den Napoleonischen Kriegen <strong>im</strong> gesamten Gebiet des<br />

Heiligen Römischen Reichs <strong>und</strong> nochmals zwischen 1859 <strong>und</strong> 1871 flächendeckend<br />

zu unzähligen neuen Grenzl<strong>in</strong>ien kam), von Grenzaufhebungen oder e<strong>in</strong>schneidenden<br />

Grenzänderungen nicht betroffen waren. 9 Die neuen mittel-, ost- <strong>und</strong> südosteuropäischen<br />

Grenzziehungen von 1918/21 lösten ihrerseits e<strong>in</strong>e – <strong>in</strong> der zweiten Hälfte der<br />

dreißiger Jahre den Scheitelpunkt erreichende – Welle propagandistischer <strong>und</strong> wissenschaftlicher<br />

Publikationen aus, häufig aus politischer <strong>und</strong> nationaler Intention verfaßt.<br />

In diesem Rahmen wurden auch die <strong>Grenzen</strong> Böhmens, Aspekte der deutschen<br />

<strong>und</strong> böhmischen Grenzgebiete <strong>und</strong> vor allem das Thema „Grenzkampf“ publizistisch<br />

ten für die Friedenskonferenz von Paris 1919/19<strong>20</strong>, übersetzt <strong>und</strong> mit e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>leitung hrsg.<br />

von HERMANN RASCHHOFER, Berl<strong>in</strong> 1937, S. 276-297, hier S. 283/284 bzw. auch S. 90/91;<br />

vgl. auch die der Edition angefügten Karten. – Zitate auch <strong>in</strong> [ANONYMUS]: Alliierte<br />

Kriegspolitik <strong>und</strong> tschechische <strong>Grenzen</strong> 1914-19<strong>19.</strong> E<strong>in</strong>e Antwort an André Tardieu, <strong>in</strong>:<br />

Berl<strong>in</strong>er Monatshefte 16 (1938), S. 1017-1044. – Vgl. auch FERDINAND PEROUTKA: Budování<br />

státu [Das Aufbauen des Staates], Bd. 2: 1919, Nachdruck, Praha 1991, S. 702 f.<br />

8 Die <strong>Grenzen</strong> der Tschechoslowakei wurden gegenüber Deutschland <strong>in</strong> Versailles (28. Juni<br />

1919), gegenüber Österreich <strong>in</strong> Sa<strong>in</strong>t-Germa<strong>in</strong>-en-Laye (10. September 1919), gegenüber<br />

Ungarn <strong>in</strong> Trianon (4. Juni 19<strong>20</strong>), gegenüber Rumänien <strong>in</strong> Sèvres (10. August 19<strong>20</strong>) vertraglich<br />

festgelegt <strong>und</strong> anerkannt. Die <strong>in</strong> Sèvres <strong>und</strong> auf Botschafterkonferenzen <strong>in</strong> Spa <strong>und</strong><br />

Paris 19<strong>20</strong> getroffenen Grenzregelungen mit Polen wurden nicht ratifiziert. – Allgeme<strong>in</strong><br />

dazu u.a. DAGMAR PERMAN: The Shap<strong>in</strong>g of the Czechoslovak State. Diplomatic History<br />

of the Bo<strong>und</strong>aries of Czechoslovakia, 1914-19<strong>20</strong>, Leiden 1962; JOZEF KLIMKO: Politické a<br />

právne dej<strong>in</strong>y hraníc predmníchovskej republiky (1918-1938) [Politische <strong>und</strong> rechtliche<br />

Geschichte der <strong>Grenzen</strong> der Vormünchner Republik (1918-1938)], Bratislava 1986, mit<br />

Karten S. 146-152; ANTONÍN KLIMEK: Jak se dělal mír roku 19<strong>19.</strong> Československo na konferenci<br />

ve Versailles [Wie Friede <strong>im</strong> Jahr 1919 gemacht wurde. Die Tschechoslowakei auf<br />

der Konferenz von Versailles], Praha 1989 (Slovo k historii 19); FRANK HADLER: Peacemak<strong>in</strong>g<br />

1919 <strong>im</strong> Spiegel der Briefe Edvard Benešs von der Pariser Friedenskonferenz, Teil<br />

I: Januar bis April 1919; Teil II: Mai bis August 1919, <strong>in</strong>: Berl<strong>in</strong>er Jahrbuch für osteuropäische<br />

Geschichte 1 (1994), Heft 1, S. 213-255; Heft 2, S. 225-257.<br />

9 Allgeme<strong>in</strong> dazu PETER KRÜGER: Der Funktionswandel von <strong>Grenzen</strong> <strong>im</strong> europäischen Staatensystem<br />

des <strong>19.</strong> <strong>und</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>erts, <strong>in</strong>: Deutschland <strong>und</strong> Europa. Historische, politische<br />

<strong>und</strong> geographische Aspekte. Festschrift zum 51. Geographentag, Bonn 1997: „Europa<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Welt <strong>im</strong> Wandel“, hrsg. von ECKART EHLERS, Bonn 1997, S. 73-84.<br />

97


<strong>in</strong>tensiv behandelt. 10 In diesen Jahren erlebte gleichzeitig die böhmisch-mährische<br />

Kartographieforschung mit dem Nachdruck historischer Karten <strong>und</strong> zahlreichen Veröffentlichungen<br />

e<strong>in</strong>en Höhepunkt. 11 Erst die politischen Veränderungen der späten<br />

achtziger <strong>und</strong> neunziger Jahre des <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>erts sollten die Forschungen zur Geschichte<br />

von <strong>Grenzen</strong> erneut stärker beleben. 12<br />

E<strong>in</strong>e Betrachtung der <strong>Grenzen</strong> Böhmens <strong>in</strong> den letzten zweih<strong>und</strong>ert Jahren führt<br />

zwangsläufig dazu, bei der Untersuchung über diese beiden Jahrh<strong>und</strong>erte – <strong>und</strong> damit<br />

über den zeitlichen Schwerpunkt dieser auf das <strong>19.</strong> <strong>und</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert ausgerichteten<br />

Tagung – h<strong>in</strong>auszugehen <strong>und</strong> die Entwicklung seit dem Mittelalter <strong>in</strong> den Blick zu<br />

nehmen. Konstanz <strong>und</strong> Stabilität der Grenze kann dabei nicht das Detail <strong>im</strong> Gelände<br />

me<strong>in</strong>en <strong>und</strong> nicht alle lokalen Grenzstreitigkeiten um Äcker, Wiesen, Wälder oder<br />

e<strong>in</strong>zelne Gehöfte berücksichtigen, so aufschlußreich diese se<strong>in</strong> mögen. Es kann nur<br />

um Grenzänderungen mittlerer Größe gehen, die die Gr<strong>und</strong>struktur des betreffenden<br />

Territoriums nicht entscheidend veränderten. Auch die Geschichte der bilateralen<br />

Grenzkommissionen, die seit dem 16. Jahrh<strong>und</strong>ert <strong>in</strong> größeren Zeitabständen <strong>im</strong>mer<br />

wieder e<strong>in</strong>gerichtet wurden, um die Grenze neu zu begehen, den Grenzverlauf an Ort<br />

<strong>und</strong> Stelle genau zu vermessen, festzulegen <strong>und</strong> zu markieren, ist für Böhmen wie für<br />

andere Territorien noch nicht zusammenfassend beschrieben worden. 13 Es kann daher<br />

10 Exemplarisch seien genannt HERMANN AUBIN: Von Raum <strong>und</strong> <strong>Grenzen</strong> des deutschen<br />

Volkes. Studien zur Volksgeschichte, Breslau 1938; ALOIS WEISSTHANNER: Der Kampf<br />

um die bayerisch-böhmische Grenze von Furth bis Eisenste<strong>in</strong> von den Hussitenkriegen bis<br />

zum Dreißigjährigen Kriege mit besonderer Berücksichtigung siedlungsgeschichtlicher<br />

Verhältnisse, Diss. München 1938; <strong>in</strong> Auszügen auch <strong>in</strong>: Verhandlungen des Historischen<br />

Vere<strong>in</strong>es von Oberpfalz <strong>und</strong> Regensburg 89 (1939), S. 187-358. – Vgl. dazu auch das Literaturverzeichnis<br />

am Ende dieses Bandes.<br />

11 Z.B. Kartographische Denkmäler der Sudetenländer, hrsg. von BERNHARD BRANDT, 10<br />

Hefte, Prag 1930-1936 (Geographisches <strong>Institut</strong> der Deutschen Universität <strong>in</strong> Prag); Monumenta<br />

cartographica Bohemiae (1518-17<strong>20</strong>), hrsg. von VÁCLAV ŠVAMBERA <strong>und</strong> B. ŠA-<br />

LAMON, e<strong>in</strong>gel. von K. KUCHAŘ, Praha 1938; KARL A. SEDLMEYER: Historische Kartenwerke<br />

Böhmens, <strong>in</strong>: Petermanns Geographische Mitteilungen 88 (1942), S. 469-471.<br />

12 Vgl. dazu das Literaturverzeichnis am Ende dieses Bandes.<br />

13 E<strong>in</strong>e der ältesten dokumentierten Grenzbegehungen fand <strong>im</strong> frühen 16. Jahrh<strong>und</strong>ert <strong>im</strong><br />

Erzgebirge <strong>und</strong> ähnlich <strong>im</strong> Riesengebirge bezeichnenderweise zwischen Herrschaftsbesitzern<br />

<strong>und</strong> nicht den Landesherren statt. CONRAD MÜLLER: E<strong>in</strong>e Schönburgisch-Hartenste<strong>in</strong>ische<br />

Grenzra<strong>in</strong>ung am Fichtelberg 1529, <strong>in</strong>: Neues Archiv für Sächsische Geschichte 55<br />

(1934), S. 161-177. – Für den deutsch-tschechisch/tschechoslowakischen Bereich kam es<br />

1926 bis 1929 zu e<strong>in</strong>er Begehung der ca. <strong>20</strong>00 km langen Grenze, deren Resultat e<strong>in</strong>e Revision<br />

<strong>und</strong> Neuaufnahme sowie dann das bilaterale Grenzurk<strong>und</strong>enwerk von 1937 war.<br />

1983 wurde an der bayerisch-tschechischen Grenze erneut e<strong>in</strong>e Vermessungsaktion des<br />

Grenzverlaufs begonnen. Dazu EISCH (wie Anm. 5), S. 28-39. – Nach 1990 wurde wiederum<br />

e<strong>in</strong>e mehrjährige Grenzrevision vere<strong>in</strong>bart. Das neue Grenzurk<strong>und</strong>enwerk mit e<strong>in</strong>er<br />

Dokumentation der 811 km langen geme<strong>in</strong>samen Grenze von Tschechischer Republik <strong>und</strong><br />

B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland soll 1999 veröffentlicht werden.<br />

98


<strong>im</strong> folgenden nur um markantere, verwaltungspolitisch <strong>und</strong> sozioökonomisch relevante<br />

Grenzänderungen gehen. 14<br />

Zu der bemerkenswerten, Epochen übergreifenden, generellen Stabilität der böhmischen<br />

<strong>Grenzen</strong> kommt die Größe des böhmischen Territoriums h<strong>in</strong>zu. Im mitteleuropäischen<br />

Bereich f<strong>in</strong>det sich ke<strong>in</strong> zweites Beispiel, das für beides gleichermaßen<br />

gilt. 15 So drängt sich die Frage auf, warum gerade die böhmischen <strong>Grenzen</strong> dieses hohe<br />

Alter erreichen konnten, warum sie durch historische Konstanz <strong>und</strong> Stabilität gekennzeichnet<br />

s<strong>in</strong>d, warum Böhmen territorial e<strong>in</strong>e derartige Kont<strong>in</strong>uität aufweist. E<strong>in</strong>e<br />

Antwort sche<strong>in</strong>t mir äußerst schwierig zu se<strong>in</strong>, da weder die Historizität selbst zu<br />

e<strong>in</strong>em Gr<strong>und</strong> für die Konstanz geworden se<strong>in</strong> kann, noch die so e<strong>in</strong>gängige Erklärung,<br />

es seien mit umgrenzenden Gebirgen „natürliche“ <strong>Grenzen</strong> gegeben 16 , zutreffend<br />

ist. Auch das unter Bezug auf den mittelalterlichen Chronisten Cosmas von Prag<br />

von František Palacký <strong>und</strong> anderen gerne kolportierte Bild e<strong>in</strong>es von unüberw<strong>in</strong>dbaren<br />

Gebirgen begrenzten „böhmischen Kessels“ ist schlichtweg falsch <strong>und</strong> wird alle<strong>in</strong><br />

schon durch den grenzüberschreitenden Vorgang des hochmittelalterlichen Landesausbaus<br />

widerlegt. 17<br />

14 Auf Grenzstreitigkeiten <strong>und</strong> kle<strong>in</strong>ere Grenzbere<strong>in</strong>igungen <strong>im</strong> Rahmen der Arbeit der verschiedenen<br />

bilateralen Grenzkommissionen mit Bayern, Sachsen <strong>und</strong> Preußen wird <strong>im</strong> E<strong>in</strong>zelfall<br />

noch e<strong>in</strong>zugehen se<strong>in</strong>.<br />

15 Auch die österreichischen Länder, <strong>in</strong>sbesondere Niederösterreich, weisen ähnlich alte <strong>und</strong><br />

konstante <strong>Grenzen</strong> auf, wobei die <strong>Grenzen</strong> zwischen den e<strong>in</strong>zelnen österreichischen Ländern<br />

e<strong>in</strong>e höhere Konstanz auszeichnet als die <strong>Grenzen</strong> zu anderen Territorien. Zu berücksichtigen<br />

ist für die österreichischen Länder zudem, daß kirchliche Eigenterritorien bis<br />

1800 – anders als <strong>in</strong> Böhmen <strong>und</strong> Mähren – die Ausbildung e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>neren territorialen Geschlossenheit<br />

verh<strong>in</strong>derten.<br />

16 Propagandistisch <strong>im</strong> Zusammenhang mit der Staatsgründung VIKTOR DVORSKÝ: Území<br />

československého národa [Das Territorium der tschechoslowakischen Nation], Praha 1918,<br />

S. 67: „České národní území má z 91 % znamenité hranice přirozené“ (Das tschechische<br />

nationale Gebiet hat zu 91 % erstklassige natürliche <strong>Grenzen</strong>). – Unter den Militärstrategen<br />

hatte dagegen 1809 der sächsische Obrist-Lieutenant <strong>und</strong> königliche Flügeladjutant Friedrich<br />

Carl von Langenau erklärt, e<strong>in</strong> Grenzverlauf entlang von Eger, Elbe <strong>und</strong> Iser sei „la<br />

l<strong>im</strong>ite la plus naturelle pour la Saxe“. Nach ROLF VIEWEG: Die böhmische Enklave Schirgiswalde<br />

zwischen Österreich <strong>und</strong> Sachsen von 1809 bis 1845, (Diss. Hamburg) Hamburg<br />

1999, S. 39 f.<br />

17 Z.B. „Mächtig <strong>und</strong> aus hartem Geste<strong>in</strong> gefügt ragt <strong>im</strong> Herzen Europas das böhmische Massiv<br />

empor, gleichsam e<strong>in</strong>e von der Natur aufgetürmte Zitadelle gegen die weiten Ebenen<br />

des europäischen Ostens. Die Gebirge an den <strong>Grenzen</strong>, der Böhmerwald <strong>und</strong> das Erzgebirge<br />

<strong>im</strong> Südwesten, Westen <strong>und</strong> Nordwesten, das Elbsandste<strong>in</strong>-, Lausitzer- <strong>und</strong> Isergebirge<br />

<strong>im</strong> Norden, das Riesen-, Adler- <strong>und</strong> Altvatergebirge <strong>im</strong> Nordosten <strong>und</strong> Osten bilden die<br />

Wälle dieser Festung Böhmen <strong>und</strong> der Länder Mähren <strong>und</strong> Sudetenschlesien.“ HANSGEORG<br />

LOEBEL: Geschichte der Deutschen <strong>in</strong> den Sudetenländern – e<strong>in</strong> Überblick, <strong>in</strong>: Erbe <strong>und</strong><br />

Leistung. Sudetendeutschtum <strong>in</strong> Bildern. Landschaft – Menschen – Kultur – Geschichte.<br />

Böhmen – Mähren – Schlesien, bearb. vom Sudetendeutschen Archiv, München 1970, unpag<strong>in</strong>ierter<br />

E<strong>in</strong>leitungsteil, zweite Textseite. – Die widerspruchsvolle pathetische Stilisierung<br />

Böhmens <strong>und</strong> Mährens als Bollwerk gegen den Osten <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit der nicht<br />

99


Walter Sperl<strong>in</strong>g hat – <strong>in</strong> Anlehnung an Karl Sedlmeyer 18 <strong>und</strong> andere – dem <strong>in</strong><br />

Schulatlanten noch <strong>im</strong>mer zu f<strong>in</strong>denden <strong>und</strong> <strong>in</strong>sgesamt sehr geschichtsträchtigen Mythos<br />

e<strong>in</strong>es „böhmischen Kessels“, e<strong>in</strong>er „Festung Böhmen“, e<strong>in</strong>er „Bastion“ oder „Zitadelle<br />

Böhmen“ schon 1981 die nüchterne geographische Beschreibung gegenübergestellt.<br />

„In Wirklichkeit ist es, wie es <strong>in</strong> den topographischen Karten besser zum<br />

Ausdruck kommt, ganz anders: Die Höhen steigen sanft <strong>und</strong> <strong>in</strong> gestuften Flächen auf,<br />

das Kammgebirge ist ke<strong>in</strong>eswegs geschlossen, <strong>und</strong> <strong>im</strong> Innern liegt ke<strong>in</strong> großer 'Kessel',<br />

sondern e<strong>in</strong> System von vielfach verstellten Hochflächen <strong>und</strong> Hügelländern.“ 19<br />

Auch geologisch <strong>und</strong> geomorphologisch bilden die Höhenzüge ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>heitliches <strong>und</strong><br />

zusammenhängendes oder geschlossenes System. Vor allem ist nicht ersichtlich, wie<br />

aus e<strong>in</strong>em „natürlich“ geographischen Argument oder gar aus der Metapher des Siedetopfs<br />

oder des Abgr<strong>und</strong>s e<strong>in</strong>e historisch-politische Kausalität für die hohe Stabilität<br />

von <strong>Grenzen</strong> abgeleitet werden könnte; es gibt zu viele Gegenbeispiele.<br />

weniger pathetischen Aufzählung der Gebirge, die Böhmen nach Westen <strong>und</strong> Norden <strong>und</strong><br />

damit nach Deutschland h<strong>in</strong> (nicht aber nach Osten) abgrenzen, erfreut sich seit Jahrzehnten<br />

e<strong>in</strong>er gewissen Popularität <strong>und</strong> ist bis <strong>in</strong> die jüngste Zeit häufig anzutreffen, übersieht<br />

aber, daß alle großen Schlachten <strong>im</strong> Inneren Böhmens <strong>und</strong> nicht an se<strong>in</strong>en <strong>Grenzen</strong> geschlagen<br />

wurden. – KARL HAUSHOFER: <strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong> ihrer geographischen <strong>und</strong> politischen<br />

Bedeutung, Berl<strong>in</strong>-Grunewald 1927, spricht <strong>in</strong> dieser wissenschaftlich-geopolitischen<br />

Kampfschrift, mit der er „e<strong>in</strong>en Grenz<strong>in</strong>st<strong>in</strong>kt“ <strong>und</strong> e<strong>in</strong> „<strong>im</strong>mer waches Grenzbewußtse<strong>in</strong>“<br />

schaffen wollte (S. 6), heroisierend von den „Schanzen der Waldfestung Böhmen“ (S. 180)<br />

<strong>und</strong> von „der leider großenteils geräumten Waldfestung“ (S. 111).<br />

18 KARL A. SEDLMEYER: Die Festung Böhmen, e<strong>in</strong> Phantom <strong>und</strong> ihre Beziehungen zu den<br />

Sudetenländern, <strong>in</strong>: Bohemia 2 (1961), S. 287-296. — Schon vor dem Ersten Weltkrieg<br />

stellte E. HERNECK: Böhmen als geographischer E<strong>in</strong>heitsbegriff, <strong>in</strong>: Deutsche Arbeit 4<br />

(1904/05), S. 335-345 <strong>und</strong> 398-407 fest, daß der Böhmerwald „ohne e<strong>in</strong>heitliche Geschlossenheit“<br />

sei (S. 336), daß für das Erzgebirge gelte: „Vierzehn Hauptübergänge machen,<br />

nicht weit von e<strong>in</strong>ander entfernt, den Gebirgswall wegsam“ (S. 337), <strong>und</strong> daß das Lausitzergebirge<br />

„wegen bequemer Übergänge“ e<strong>in</strong> „günstig entwickeltes Durchgangsland“ sei<br />

(S. 338).<br />

19 WALTER SPERLING: Tschechoslowakei. Beiträge zur Landesk<strong>und</strong>e <strong>Ostmitteleuropa</strong>s, Stuttgart<br />

1981, S. 21-22, Zitat S. 22. Ähnlich für die böhmische Nordgrenze WALTER SPERLING:<br />

Schlesische Landschaftsnamen. Bemerkungen zu e<strong>in</strong>em Forschungsvorhaben, <strong>in</strong>: Jahrbuch<br />

der schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 36/37 (1995/1996), S. 385-<br />

421, hier S. 388: „Schlesien besitzt überwiegend ke<strong>in</strong>e 'natürlichen', also der Landesnatur<br />

entlehnten <strong>Grenzen</strong>. Selbst die Gebirgsgrenze gegen Mähren <strong>und</strong> Böhmen verläuft ke<strong>in</strong>eswegs<br />

auf der Wasserscheide, wechselt <strong>im</strong> Osten mehrmals ihre Richtung.“ – Gegen die <strong>im</strong><br />

<strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>ert aufblühende Vorstellung der festungsartigen natürlichen Grenzberge Böhmens<br />

polemisiert unter H<strong>in</strong>weisen auf die politische Geschichte <strong>und</strong> auf militärische Strategien<br />

PAVEL BĚLINA: Čechy – mýtus přírodní pevnosti [Böhmen – der Mythos der natürlichen<br />

Festung], <strong>in</strong>: Střední Evropa 10 (1994), Nr. 38-39, S. 77-82. – Dies erkannte, wenn<br />

auch aus anderen Gründen <strong>und</strong> mit politisch-expansiven Absichten bereits KÄUBLER (wie<br />

Anm. 4), S. 371: „Das Relief ist nirgends so steil, daß es dem verb<strong>in</strong>denden Verkehr e<strong>in</strong>e<br />

unübersteigbare Schranke geboten hätte“.<br />

100


Nicht nur geographisch, sondern auch politisch <strong>und</strong> kulturell bilden Gebirge oder<br />

Bergketten – ebenso übrigens wie Flußlandschaften – häufig e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>heit, e<strong>in</strong>en eigenständigen,<br />

strukturell homogenen Raum. Die Notwendigkeit der „natürlichen<br />

Grenze“ (frontière naturelle bzw. l<strong>im</strong>ite naturelle, přirozená hranice) wurde besonders<br />

von Militärstrategen des 18. <strong>und</strong> <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts <strong>in</strong> Frankreich, dann <strong>im</strong> Rahmen des<br />

geopolitischen Nationalismus seit <strong>Herder</strong>, speziell von vielen Fachgelehrten der Geographie,<br />

Staatswissenschaften <strong>und</strong> Geschichte <strong>in</strong> Deutschland <strong>im</strong> <strong>19.</strong> <strong>und</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

<strong>und</strong> schließlich von der auf Friedrich Ratzel zurückgehenden Geopolitik propagiert.<br />

<strong>20</strong> Sie läßt sich historisch kaum bestätigen. Weder markierten die Kämme der<br />

Alpen, des Schwarzwalds, von Taunus <strong>und</strong> Balkan-Gebirge oder anderer Bergketten<br />

für längere Zeiten politische <strong>Grenzen</strong>, noch waren sie die Orte entscheidender militärischer<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzungen oder wirksamer Verteidigungsl<strong>in</strong>ien. Vielmehr bilden<br />

Gebirge häufig als spezifische Transfer-Landschaft e<strong>in</strong>en eigenen Wirtschafts-, Sozial-<br />

<strong>und</strong> Kulturraum, der sich von den umgebenden Gebieten unterscheidet <strong>und</strong> durch<br />

se<strong>in</strong>e <strong>in</strong>neren Bezüge deutlich von diesen abgrenzt. E<strong>in</strong>e Berglandschaft politischadm<strong>in</strong>istrativ<br />

durch e<strong>in</strong>e Grenzl<strong>in</strong>ie zu teilen, zu zerschneiden, ist aus vielen Gründen<br />

wenig s<strong>in</strong>nvoll, auch wenn es <strong>im</strong>mer wieder propagiert wurde. Der Rand e<strong>in</strong>es Gebirges<br />

könnte daher – den geographischen Konzepten naturräumlicher Gliederungen folgend<br />

– eher <strong>und</strong> besser begründbar als „natürliche Grenze“ def<strong>in</strong>iert werden als e<strong>in</strong><br />

Gebirgskamm oder e<strong>in</strong>e Wasserscheide. Die Beständigkeit von Grenzverläufen kann<br />

somit nicht alle<strong>in</strong> formalistisch aus der Oberflächenstruktur bzw. aus der geomorphologischen<br />

oder physischen Geographie abgeleitet werden. Vielmehr beweist das Beispiel<br />

der mährisch-niederösterreichischen Grenze, daß e<strong>in</strong> Grenzverlauf, der ke<strong>in</strong>esfalls<br />

als „natürlich“ beschrieben werden kann, ebenfalls über Jahrh<strong>und</strong>erte weitgehend<br />

unverändert bleiben kann. 21<br />

Im konkreten Fall der Böhmen <strong>in</strong> weiten Teilen umrahmenden Berglandschaften<br />

kommt h<strong>in</strong>zu, daß weder Kämme noch Wasserscheiden den genauen Grenzverlauf<br />

erklären können. 22 Seit dem Mittelalter wurde zudem bei Grenzbeschreibungen <strong>und</strong><br />

<strong>20</strong> Vgl. allgeme<strong>in</strong> dazu für die Diskurse <strong>im</strong> <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>ert <strong>in</strong> Deutschland HANS-DIETRICH<br />

SCHULTZ: Deutschlands „natürliche“ <strong>Grenzen</strong>. „Mittellage“ <strong>und</strong> „Mitteleuropa“ <strong>in</strong> der Diskussion<br />

der Geographen seit dem Beg<strong>in</strong>n des <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts, <strong>in</strong>: Geschichte <strong>und</strong> Gesellschaft<br />

15 (1989), S. 248-281; DERS.: Deutschlands „natürliche“ <strong>Grenzen</strong>, <strong>in</strong>: Deutschlands<br />

<strong>Grenzen</strong> (wie Anm. 3), S. 32-93; DERS.: „Deutschland? aber wo liegt es?“ Zum Naturalismus<br />

<strong>im</strong> Weltbild der deutschen Nationalbewegung <strong>und</strong> der klassischen deutschen Geographie,<br />

<strong>in</strong>: Deutschland <strong>und</strong> Europa (wie Anm. 9), S. 85-104.<br />

21 Zu dieser Grenzl<strong>in</strong>ie vgl. HANS HIRSCH: Die Entstehung der Grenze zwischen Niederösterreich<br />

<strong>und</strong> Mähren, <strong>in</strong>: Deutsches Archiv für Landes- <strong>und</strong> Volksforschung 1 (1937), S. 856-<br />

866; FRANZ HIERONYMUS RIEDL: Die Entwicklung der Grenze zwischen Niederösterreich<br />

<strong>und</strong> Mähren, Masch. Diss. Innsbruck 1951.<br />

22 Alle<strong>in</strong> die Quellgebiete von Eger <strong>und</strong> Lausitzer Neiße widersprechen der Vorstellung von<br />

der böhmischen Grenze als durchgängiger Wasserscheide. – Karten zu Grenzverlauf <strong>und</strong><br />

Wasserscheiden z.B. bei JOSEF DOBIÁŠ: Seit wann bilden die natürlichen <strong>Grenzen</strong> von<br />

Böhmen auch se<strong>in</strong>e politische Landesgrenze?, <strong>in</strong>: Historica 6 (1963), S. 5-44, zwischen S.<br />

32 <strong>und</strong> 33, oder <strong>in</strong>: Atlas Republiky československé / Atlas der Tschechoslovakischen Re-<br />

101


kartographischen Darstellungen die Betonung nicht auf den Höhenunterschied, sondern<br />

auf die Vegetation, auf die umfangreichen Waldlandschaften gelegt. So heißt es<br />

beispielsweise <strong>in</strong> der Maiestas Carol<strong>in</strong>a Karls IV. 1355: „<strong>in</strong> unserem erhabenen Wald,<br />

h<strong>in</strong>ter dem bekanntlich die <strong>Grenzen</strong> unseres Königreiches liegen“. 23 Erst <strong>in</strong> Karten<br />

des 17. Jahrh<strong>und</strong>erts treten an die Stelle des Waldgürtels auf allen Seiten Hügel- oder<br />

Gebirgsketten. Von den frühesten Quellen bis <strong>in</strong>s <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>ert wurde von trennenden<br />

Grenzwäldern <strong>und</strong> von e<strong>in</strong>em geschlossenen, breiten Wald (silva l<strong>im</strong><strong>in</strong>aris, media<br />

silva) gesprochen <strong>und</strong> nicht von Grenzgebirgen. 24 Georg Agricola stellte z.B. ohne<br />

H<strong>in</strong>weis auf die Topographie fest: „Circum Bohemia <strong>in</strong>gens est sylva“. 25 Und noch<br />

<strong>im</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert hieß es <strong>im</strong> bayerisch-böhmischen Grenzgebiet „h<strong>in</strong>term Wald“<br />

(nicht: h<strong>in</strong>term Berg, Gebirge, Kamm etc.) oder „draußen“ bzw. „<strong>im</strong> Böhm' dr<strong>in</strong>“,<br />

wenn jenseits der Grenze geme<strong>in</strong>t war. 26<br />

Instabile Bereiche der historisch konstanten böhmischen <strong>Grenzen</strong> (15. bis <strong>20</strong>.<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert)<br />

E<strong>in</strong>e Antwort auf die Frage, warum <strong>in</strong>sbesondere die <strong>Grenzen</strong> Böhmens über Jahrh<strong>und</strong>erte<br />

weitgehend konstant blieben, kann möglicherweise die Betrachtung der<br />

kle<strong>in</strong>räumigen Grenzänderungen geben, die zwischen dem 15. <strong>und</strong> der Mitte des <strong>20</strong>.<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts erfolgten. E<strong>in</strong>e detaillierte Gegenüberstellung des böhmischen Grenzverlaufs<br />

des 14./15. Jahrh<strong>und</strong>ert mit dem tschechoslowakischen des <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

publik, Red. JAROMÍR PANTOFLÍČEK, Praha/Prag 1936, Karte 5 (Mapa hydrografická);<br />

SPERLING: Tschechoslowakei (wie Anm. 19), S. 71.<br />

23 Maiestas Carol<strong>in</strong>a. Der Kodifikationsentwurf Karls IV. für das Königreich Böhmen von<br />

1355, hrsg. <strong>und</strong> übers. von BERND-ULRICH HERGEMÖLLER, München 1995 (Veröffentlichungen<br />

des Collegium Carol<strong>in</strong>um, Bd. 74), hier S. 154/155: Kap. 63. – Weitere Beispiele<br />

bei JOHANN LOSERTH: Der Grenzwald Böhmens, <strong>in</strong>: Mittheilungen des Vere<strong>in</strong>es für Geschichte<br />

der Deutschen <strong>in</strong> Böhmen 21 (1883/84), S. 177-<strong>20</strong>1.<br />

24 Quellenbelege u.a. bei DOBIÁŠ (wie Anm. 22), u.a. S. 24 f., 27, 36, 41. — JOSEF LINZ: Die<br />

Grenze zwischen Böhmen <strong>und</strong> dem historischen Egerland, o.O. o.J. (Masch. Manuskript,<br />

Bibliothek des Collegium Carol<strong>in</strong>um), S. 1. Für das 14. Jahrh<strong>und</strong>ert berechnet L<strong>in</strong>z den<br />

böhmisch-egrischen Grenzwald auf e<strong>in</strong>e Tiefe von 4 bis 25 km, ebenda, S. 56 f. <strong>und</strong> S. 69.<br />

– Zur Veränderung <strong>in</strong> den Karten KARL SCHNEIDER: Über die Entwicklung des Kartenbildes<br />

von Böhmen. E<strong>in</strong> Beitrag zur Geschichte der Geographie dieses Landes, <strong>in</strong>: Mitteilungen<br />

des Vere<strong>in</strong>es für Geschichte der Deutschen <strong>in</strong> Böhmen 45 (1907), S. 321-367, hier S.<br />

322.<br />

25 GEORG AGRICOLA: Ausgewählte Werke. Gedenkausgabe, Bd. 6, Berl<strong>in</strong> (DDR) 1961, S. 36.<br />

Zitiert nach ROLAND J. HOFFMANN: Zur Rezeption des Begriffs der Sudeti montes <strong>im</strong> Zeitalter<br />

des Humanismus <strong>und</strong> der Reformation, <strong>in</strong>: Jahrbuch für sudetendeutsche Museen <strong>und</strong><br />

Archive (1993-1994), S. 73-184, hier S. 101, ähnlich auch S. 106.<br />

26 Zum Grenzverständnis auch EISCH (wie Anm. 5), u.a. S. 177 <strong>und</strong> S. 199.<br />

102


zw. Tschechiens nach 1989 27 zeigt nur m<strong>in</strong><strong>im</strong>ale, aber doch e<strong>in</strong>ige kle<strong>in</strong>ere bemerkenswerte<br />

Abweichungen. 28 Da sich <strong>im</strong> Fall Böhmens die politischen <strong>und</strong> die kirchlich-adm<strong>in</strong>istrativen<br />

<strong>Grenzen</strong> seit dem Mittelalter weitgehend deckten, s<strong>in</strong>d außerdem<br />

die Gebiete untersuchenswert, <strong>in</strong> denen dies gerade nicht der Fall war. Infolge e<strong>in</strong>es<br />

Herrschaftswechsels fielen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen Kle<strong>in</strong>regionen an der Grenze für Jahrzehnte,<br />

wenn nicht Jahrh<strong>und</strong>erte die politischen <strong>und</strong> kirchlichen Zugehörigkeiten ause<strong>in</strong>ander,<br />

so daß auch <strong>in</strong> diesen Fällen von abweichenden, nicht konstanten Herrschafts-<br />

<strong>und</strong> Verwaltungsgrenzen gesprochen werden kann. Am besten verdeutlicht dies die<br />

Situation vor 1800, als die Diözesangrenzen noch nicht überall den modifizierten politischen<br />

<strong>Grenzen</strong> angepaßt worden waren. Auffällig ist zudem die Tatsache, daß vor<br />

allem die Bereiche, <strong>in</strong> denen vom Mittelalter bis <strong>in</strong> die europäische Sattelzeit um<br />

1800 kle<strong>in</strong>ere Grenzverschiebungen erfolgt waren, zwischen 1914 <strong>und</strong> 1945 erneut<br />

<strong>und</strong> verstärkt zur Disposition gestellt wurden. Die erste Hälfte des <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

erweist sich dabei als die Periode der böhmischen Geschichte, <strong>in</strong> der die meisten <strong>und</strong><br />

variantenreichsten Pläne für Grenzänderungen vorgelegt <strong>und</strong> am <strong>in</strong>tensivsten Grenzdiskussionen<br />

geführt wurden. Zu gr<strong>und</strong>sätzlichen Veränderungen kam es jedoch e<strong>in</strong>zig<br />

für sieben Jahre <strong>in</strong>folge des Münchener Abkommens, das aber gerade nicht <strong>in</strong> der<br />

jahrh<strong>und</strong>ertealten Traditionsl<strong>in</strong>ie von konzipierten <strong>und</strong> praktizierten kle<strong>in</strong>räumigen<br />

Modifikationen des Grenzverlaufs steht.<br />

Betrachtet man die böhmischen Grenzabschnitte, <strong>in</strong> denen es <strong>in</strong> den vergangenen<br />

fünf Jahrh<strong>und</strong>erten zu beachtenswerteren territorialen Veränderungen kam 29 , so zeigt<br />

27 Für die spätmittelalterlichen <strong>Grenzen</strong> vgl. verschiedene Karten z.B. JAN JANÁK, ZDEŇKA<br />

HLEDÍKOVÁ: Děj<strong>in</strong>y správy v českých zemích do roku 1945 [Geschichte der Verwaltung <strong>in</strong><br />

den böhmischen Ländern bis zum Jahr 1945], Praha 1989, příloha 1, 4 <strong>und</strong> 5. – Im folgenden<br />

werden sowohl für Orte <strong>in</strong> den bömischen Ländern wie <strong>in</strong> Deutschland, Österreich <strong>und</strong><br />

Polen, soweit vorhanden, sowohl die deutschen wie die tschechischen Namensformen angegeben.<br />

Zu den tschechischen Formen für Orte außerhalb der böhmischen Länder vgl. Ottův<br />

slovník naučný [Ottos Konversationslexikon], 40 Bde., Praha 1888-1943; Ottův zeměpisný<br />

atlas [Ottos geographischer Atlas], hrsg. von FRANTIŠEK MACHÁT, Redaktion JIN-<br />

DŘICH METELKA, Praha 1924.<br />

28 Unberücksichtigt bleibt <strong>in</strong> diesem Zusammenhang, daß sich <strong>in</strong> der Frühneuzeit <strong>Grenzen</strong><br />

generell auf e<strong>in</strong>e L<strong>in</strong>ie reduzierten, e<strong>in</strong> Prozeß, der <strong>in</strong> weniger stark erschlossenen Gebieten<br />

häufig später e<strong>in</strong>setzte <strong>und</strong> länger dauerte als <strong>in</strong> dichtbesiedelten Regionen. In Mitteleuropa<br />

lassen sich bis <strong>in</strong>s 18. Jahrh<strong>und</strong>ert sowohl Grenzzonen <strong>und</strong> Grenzsäume als auch scharf gezogene<br />

Grenzl<strong>in</strong>ien nachweisen. Die Grenz- <strong>und</strong> Zollstationen lagen <strong>in</strong> früheren Jahrh<strong>und</strong>erten<br />

oft nicht dicht beie<strong>in</strong>ander oder e<strong>in</strong>ander gegenüber, sondern waren durch e<strong>in</strong>en<br />

breiten Grenzstreifen, <strong>im</strong> böhmischen Fall meist vom Grenzwald getrennt. Vgl. u.a. dazu<br />

das Schwerpunktheft von Siedlungsforschung 9 (1991), <strong>in</strong>sbesondere JOHANN-BERNHARD<br />

HAVERSATH: Historisch-geographische Aspekte politischer <strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong> Mitteleuropa mit<br />

besonderer Berücksichtigung der heutigen deutsch-tschechischen Grenze, ebenda, S. 173-<br />

198, sowie die Beiträge von Hans-Jürgen Karp <strong>und</strong> Horst Förster <strong>in</strong> diesem Band.<br />

29 Für Detail<strong>in</strong>formationen <strong>und</strong> weiterführende Literatur zu e<strong>in</strong>zelnen Orten, <strong>im</strong> folgenden<br />

nicht e<strong>in</strong>zelnen angemerkt, vgl. Handbuch der Historischen Stätten Deutschlands, Bd. 7:<br />

Bayern, hrsg. von KARL BOSL, Stuttgart 1961; Bd. 8: Sachsen, hrsg. von WALTER SCHLE-<br />

SINGER, Stuttgart 1965; Ndr. Stuttgart 1990; Handbuch der Historischen Stätten. Schlesien,<br />

103


sich bereits <strong>im</strong> Norden mit der Grafschaft Glatz (Kłodzko, Kladsko) die erste Besonderheit.<br />

Die zu Böhmen gehörige Landschaft wurde seit dem 13. Jahrh<strong>und</strong>ert mehrfach<br />

<strong>in</strong> Gänze – <strong>und</strong> zum Teil zusammen mit dem Braunauer Stiftsland – an niederschlesische<br />

Piastenherzöge verlehnt bzw. verpfändet <strong>und</strong> war seit 1459 als Grafschaft<br />

böhmisches Lehen <strong>im</strong> Verband der schlesischen Fürstentümer. Die besondere rechtliche<br />

B<strong>in</strong>dung an Böhmen blieb nach dem Übergang des Herrschaftsbesitzes an das<br />

Haus Habsburg bestehen. 1742/43 g<strong>in</strong>g die Grafschaft <strong>in</strong> preußische Oberhoheit über,<br />

wurde aber erst 1815 endgültig <strong>in</strong> die Prov<strong>in</strong>z Schlesien e<strong>in</strong>gegliedert. 30 Kirchenrechtlich<br />

blieb dieses Gebiet bis weit nach dem Zweiten Weltkrieg als e<strong>in</strong>ziges niederschlesisches<br />

Territorium Teil der Erzdiözese Prag, obwohl schon vor 1972 traditionell<br />

enge B<strong>in</strong>dungen an das Bistum Breslau (Wrocław) bestanden hatten. Mit ca.<br />

1.600 qkm gehörte dieses Gebiet zu den größten, deren Anschluß tschechische Politiker<br />

<strong>im</strong> Zusammenhang mit der Staatsgründung der ČSR energisch forderten. 31 Die<br />

vollständige Angliederung oder zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong>e Teilung der Region Glatz – e<strong>in</strong>schließlich<br />

von Grenzänderungen <strong>in</strong> den Bereichen von Nachod (Náchod), Braunau<br />

(Broumov) <strong>und</strong> dem schlesischen Neurod (Nowa Ruda) – wurden auf den Pariser<br />

Friedenskonferenzen aufgr<strong>und</strong> von strategischen <strong>und</strong> politischen Überlegungen mehrfach<br />

ernsthaft, letztlich aber ohne Konsequenz erwogen. 32 Zwischen 1942 <strong>und</strong> 1945<br />

war das Glatzer Gebiet nochmals Objekt tschechoslowakischer Ambitionen <strong>und</strong> <strong>in</strong>ternationaler<br />

Verhandlungen, ohne daß es zu e<strong>in</strong>er neuen Grenzl<strong>in</strong>ie gekommen wäre. 33<br />

hrsg. von HUGO WECZERKA, Stuttgart 1977; Handbuch der Historischen Stätten – Österreich,<br />

Bd. 1: Donauländer <strong>und</strong> Burgenland, hrsg. von KARL LECHNER, Stuttgart 1985;<br />

Handbuch der Historischen Stätten. Böhmen <strong>und</strong> Mähren, hrsg. von JOACHIM BAHLCKE,<br />

WINFRIED EBERHARD <strong>und</strong> MILOSLAV POLÍVKA, Stuttgart 1998.<br />

30 WŁADYSŁAW DZIEWULSKI: Zarys rozwoju przestrzennego Kłodzka od czasów najdawniejszych<br />

do drugiej wojny światowej [Abriß der räumlichen Entwicklung von Glatz von<br />

den ältesten Zeiten bis zum Zweiten Weltkrieg], <strong>in</strong>: Rocznik ziemi kłodzkiej 3 (1958), S.<br />

11-48.<br />

31 Mémoire No. 9: Le problème de la région de Glatz, <strong>in</strong>: Die tschechoslowakischen Denkschriften<br />

(wie Anm. 7), S. 266-275 <strong>und</strong> Karten; vgl. auch PERMAN (wie Anm. 8), S. 125-<br />

129 <strong>und</strong> Anhang 2. Karte mit den tschechoslowakischen Gebietsvorstellungen vom 12.<br />

März 19<strong>19.</strong><br />

32 Conférence de la Paix 1919-<strong>20</strong>. Recueil des Actes de la Conférence, Partie IV: Commissions<br />

de la Conférence, C: Questions territoriales, Bd. 1: Commission des affaires tchécoslovaques,<br />

Paris 1923; hier <strong>und</strong> <strong>im</strong> folgenden zitiert nach der deutschen Übersetzung bei<br />

KURT RABL: Das R<strong>in</strong>gen um das sudetendeutsche Selbstbest<strong>im</strong>mungsrecht 1918/<strong>19.</strong> Materialien<br />

<strong>und</strong> Dokumente, München 1958 (Veröffentlichungen des Collegium Carol<strong>in</strong>um, Bd.<br />

3), S. 160-162, 173-175, 191. – PERMAN (wie Anm. 8), u.a. S. 127, 136, 153.<br />

33 MILIČ ČAPEK: A Key to Czechoslovakia, the Territory of Kladsko (Glatz). A Study of a<br />

Frontier Problem <strong>in</strong> Middle Europe, New York 1946; FRANTIŠEK KULHÁNEK: Boj o Kladsko<br />

[Das Kampf um das Glatzer Gebiet], Praha 1946; Naše Kladsko [Unser Glatzer Gebiet],<br />

Praha 1946. – Auch <strong>im</strong> Bereich des Riesengebirges, wo die Grenze über Jahrh<strong>und</strong>erte<br />

weitgehend stabil war, forderte die Tschechoslowakei 1918/19 den Anschluß e<strong>in</strong>es<br />

Grenzstreifens von ca. 5 km Tiefe; Mémoire No. 10, <strong>in</strong>: Die tschechoslowakischen Denkschriften<br />

(wie Anm. 7), S. 286/287.<br />

104


Das nächste geographische Zentrum mit e<strong>in</strong>er relativ stark oszillierenden Grenze<br />

ist der Abschnitt zwischen Isergebirge <strong>und</strong> Elbe mit dem Friedländer Bereich, dem<br />

Zittauer Becken <strong>und</strong> dem „Böhmischen Niederland“, auch „Rumburger Grenzw<strong>in</strong>kel“<br />

genannt. 34 Im 13. <strong>und</strong> 14. Jahrh<strong>und</strong>ert, als Böhmen zeitweise bis nach Pirna (Perno;<br />

1294 bis 1404 böhmisch) <strong>und</strong> auf dem anderen Elbeufer weiter nach Norden reichte,<br />

kam es <strong>in</strong> diesem Bereich noch zu e<strong>in</strong>em häufigen Wechsel der Zugehörigkeiten zu<br />

Böhmen, zu Meißen oder zur Oberlausitz bzw. zu den Diözesen Meißen <strong>und</strong> Prag,<br />

wobei sich politische <strong>und</strong> kirchliche Verwaltungsgebiete häufig nicht deckten. Während<br />

das alte böhmische Lehen Zittau (Žitava), d.h. Stadt <strong>und</strong> Weichbild, sich <strong>im</strong><br />

14./15. Jahrh<strong>und</strong>ert dem B<strong>und</strong> der königlichen lausitzischen Städte anschloß, verblieb<br />

es kirchenrechtlich als e<strong>in</strong>ziger Teil der Oberlausitz für Jahrh<strong>und</strong>erte bei der Erzdiözese<br />

Prag. Im Zittauer Becken verfestigte sich der Grenzverlauf zu Böhmen – mit<br />

der Ausnahme von Weigsdorf (Višňová) – <strong>im</strong> 17. Jahrh<strong>und</strong>ert, stand aber <strong>im</strong> <strong>20</strong>.<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert mehrfach auf der Tagesordnung der Grenzl<strong>in</strong>ien diskutierenden Diplomatie.<br />

35<br />

Stadt <strong>und</strong> Herrschaft Friedland (Frýdlant), die noch <strong>im</strong> 13. Jahrh<strong>und</strong>ert zu Meißen<br />

gehört hatten, gewannen mit der Herzogswürde Albrechts von Wallenste<strong>in</strong> kurzfristig<br />

e<strong>in</strong>e Sonderstellung <strong>und</strong> gehörten sowohl 1918/19 wie <strong>im</strong> Sommer 1938 zu den Gebieten,<br />

deren Anschluß an Sachsen denkbar schien. Zwei kle<strong>in</strong>ere Geme<strong>in</strong>den des<br />

Friedländer Gebietes hatte Österreich <strong>in</strong> der Schlußakte des Wiener Kongresses an<br />

Preußen bzw. Preußisch-Schlesien abgetreten. E<strong>in</strong>e weitergehende Grenzrevision<br />

durch Abtretung dieser überwiegend deutschbesiedelten Gebiete „h<strong>in</strong>ter den Bergen“<br />

an Deutschland schlug aufgr<strong>und</strong> von militärisch-strategischen, geographischen <strong>und</strong><br />

völkischen Überlegungen beispielsweise Ende der achtziger Jahren des <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

auch der tschechische Politiker Julius Grégr vor. 36 Bei den Pariser Friedensver-<br />

34 HELENE JAHN-LANGEN: Das Böhmische Niederland. Bevölkerungs- <strong>und</strong> Sozialstruktur e<strong>in</strong>er<br />

Industriedorflandschaft, München 1960 (Wissenschaftliche Materialien zur Landesk<strong>und</strong>e<br />

der böhmischen Länder, Bd. 4), S. 5-6. – Nicht nachweisbar war für mich die Studie<br />

von R. NAUMANN: Werden <strong>und</strong> Wandlungen der sächsisch-böhmischen Grenze, <strong>in</strong>: Die<br />

höhere Schule 15 (1937).<br />

35 RUDOLF WENISCH: Die Grenze zwischen Böhmen <strong>und</strong> der Oberlausitz, <strong>in</strong>: Jahrbuch der<br />

Philosophischen Fakultät der Deutschen Universität Prag, Jg. 3: Dekanatsjahr 1925-26,<br />

Prag 1927, S. 18-21 [Kurzfassung der gleichnamigen ungedruckten Prager Dissertation]. –<br />

Aus nationaltschechischer Sicht ANTONÍN FRINTA, HUGO ROKYTA: Žitavsko v českých děj<strong>in</strong>ách<br />

[Das Zittauer Gebiet <strong>in</strong> der tschechischen Geschichte], Praha 1947 (Sborník prací<br />

členů výzkumného vědeckého sboru při Koord<strong>in</strong>ačním hraničním výboru v Praze). – Vgl.<br />

auch die Diözesankarten <strong>in</strong> JANÁK, HLEDÍKOVÁ (wie Anm. 27), příloha 5.<br />

36 Neben dem Friedländer <strong>und</strong> Warnsdorf-Rumburg-Schluckenauer Gebiet nannte Grégr das<br />

weitere Egerland <strong>und</strong> Gebiete <strong>im</strong> Erzgebirge. Vgl. JULIUS GRÉGR: Na obranu západního<br />

Slovanstva. VI. <strong>und</strong> VII. [Zur Verteidigung des Westslawentums. VI. <strong>und</strong> VII.], <strong>in</strong>: Národní<br />

listy vom 22. <strong>und</strong> 27. September 1888. Für den H<strong>in</strong>weis danke ich Herrn Dr. Roland J.<br />

Hoffmann, München, herzlich. Auszüge aus dem Text zusammen mit deutscher Übersetzung<br />

auch <strong>in</strong>: Odsun. Die Vertreibung der Sudetendeutschen. Dokumentation zu Ursachen,<br />

105


handlungen 1919 hatte die tschechoslowakische Delegation anfangs – <strong>und</strong> dabei an<br />

Grégr anknüpfend – den Verzicht auf Friedland bzw. e<strong>in</strong>e Volksabst<strong>im</strong>mung darüber<br />

angeboten, nahm jedoch rasch wieder von dieser Position Abstand. 37 Ähnliche Überlegungen<br />

gab es <strong>im</strong> tschechoslowakischen Exil zu Beg<strong>in</strong>n des Zweiten Weltkriegs. 38<br />

Dies galt <strong>in</strong> ähnlicher Weise auch für die Herrschaften Schluckenau (Šluknov) <strong>und</strong><br />

Rumburg (Rumburk) sowie das sie umgebende bergige Böhmische Niederland. E<strong>in</strong>st<br />

meißnisch, gehörte diese böhmische Herrschaft <strong>im</strong> 16. Jahrh<strong>und</strong>ert zum „Schle<strong>in</strong>itzer<br />

Ländchen“, dem geschlossenen, die böhmisch-sächsische bzw. -lausitzische Grenze<br />

übergreifenden Herrschaftsgebiet e<strong>in</strong>er meißnischen Adelsfamilie. Das 1572 als unmittelbares<br />

böhmisches Kronlehen verbriefte Schirgiswalde (Šerachov) war seit 1635<br />

als geistliche Herrschaft e<strong>in</strong>e böhmische Exklave <strong>im</strong> Sächsischen. Weder Karl VI.<br />

noch Maria Theresia oder die joseph<strong>in</strong>ischen Katasterregulierungen erreichten e<strong>in</strong>e<br />

Klärung der strittigen Zugehörigkeit mehrerer Geme<strong>in</strong>den <strong>in</strong> diesem Abschnitt. Über<br />

Jahrzehnte kam daher für diesen Bereich ke<strong>in</strong> böhmisch-sächsischer Grenzausgleich<br />

zustande. Im Frieden von Schönbrunn 1809 mußte Österreich dem auf seiten Napoleons<br />

kämpfenden Sachsen Schirgiswalde, Niederleutersdorf bei Warnsdorf (Varnsdorf)<br />

<strong>und</strong> weitere kle<strong>in</strong>ere Exklaven des Böhmischen Niederlands <strong>und</strong> des Friedländer Bereichs<br />

abtreten. Da die Übergabe nicht abgeschlossen wurde, blieb <strong>in</strong>sbesondere die<br />

Geme<strong>in</strong>de Schirgiswalde für Jahrzehnte e<strong>in</strong>e neutrale Zone <strong>im</strong> Grenzbereich zwischen<br />

beiden Staaten, die sich selbst verwaltete, Steuerfreiheit genoß, rechtlich Böhmen,<br />

wirtschaftlich h<strong>in</strong>gegen seit 1834 dem Zollvere<strong>in</strong> verb<strong>und</strong>en war. Erst 1845<br />

wurde Schirgiswalde vollständig <strong>in</strong> das sächsische Staatsgebiet e<strong>in</strong>gegliedert, während<br />

das österreichische Recht <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>de noch für e<strong>in</strong>ige Jahrzehnte Gültigkeit<br />

behielt. Am 5. März 1848 kam der umfangreiche „Haupt-Grenz- <strong>und</strong> Territorialrezeß“<br />

zwischen Österreich <strong>und</strong> Sachsen zustande, der wiederum nicht alle Gebietsstreitigkeiten<br />

löste. 39 1919 wurde die Verkle<strong>in</strong>erung oder völlige Abtretung des Rumburger<br />

Zipfels <strong>in</strong> den Verhandlungen der Alliierten <strong>in</strong>tensiv diskutiert bzw. e<strong>in</strong>e Entschei-<br />

Planung <strong>und</strong> Durchführung e<strong>in</strong>er „ethnischen Säuberung“ <strong>in</strong> der Mitte Europas, 1848-<br />

1945/46, Bd. 1, München <strong>20</strong>00, S. 165-169, hier S. 169 (<strong>im</strong> Druck).<br />

37 Mémoire No. 10, <strong>in</strong>: Die tschechoslowakischen Denkschriften (wie Anm. 7), S. 290/291-<br />

292/293; Conférence de la Paix, nach der deutschen Übersetzung bei RABL (wie Anm. 32),<br />

S. 159, 175; PERMAN (wie Anm. 8), S. 144, 153 f. <strong>und</strong> Anhang 2. Karte; ZDENĚK ŠOLLE:<br />

Masaryk a Beneš ve svých dopisech z doby pařížských mírových jednání v roce 1919 [Masaryk<br />

<strong>und</strong> Beneš <strong>in</strong> ihren Briefen aus der Zeit der Pariser Friedensverhandlungen <strong>im</strong> Jahr<br />

1919], 2 Bde., Praha 1993/94 (Práce z děj<strong>in</strong> České akademie věd B, Bd. 1 <strong>und</strong> 6), S. 349<br />

Anm. 3, S. 124, 215.<br />

38 TOMAN BROD: K reakčním plánům buržoasní emigrace za zneužití čs. zapadní vojenské<br />

jednotky (1940-1941) [Zu den reaktionären Plänen der bürgerlichen Emigration zum Mißbrauch<br />

der tschechoslowakischen militärischen E<strong>in</strong>heiten <strong>im</strong> Westen], <strong>in</strong>: Historie a vojenství<br />

(1956), Heft 3, S. 295-362, u.a. S. 306 f.<br />

39 WENISCH (wie Anm. 35), S. <strong>20</strong>-21; HELMUT RAHN: Die E<strong>in</strong>wirkungen der tschechoslowakischen<br />

Grenze auf das deutsche Grenzgebiet am Beispiel der Geme<strong>in</strong>den Schirgiswalde,<br />

Sohland <strong>und</strong> Wehrsdorf, (Diss. Leipzig 1938) Borna 1940. – Neuerd<strong>in</strong>gs VIEWEG: Die<br />

böhmische Enklave Schirgiswalde (wie Anm. 16).<br />

106


dung durch e<strong>in</strong>e Volksabst<strong>im</strong>mung angeregt. Zeitweise galt diese Gebietsabtretung<br />

auf amerikanischen Druck h<strong>in</strong> sogar als bereits vere<strong>in</strong>bart. 40<br />

Der weitere Verlauf der sächsisch-böhmischen Grenze das Erzgebirge nach Westen<br />

entlang war seit Mitte des 15. Jahrh<strong>und</strong>erts <strong>im</strong> Gr<strong>und</strong>e konstant, nachdem die an<br />

Meißen bzw. Sachsen verpfändeten Städte wie Brüx (Most) oder Dux (Duchcov)<br />

wieder an die böhmische Krone zurückgefallen waren. 41 Bereits zuvor war das expansivere<br />

Ausgreifen Böhmens über den heutigen Grenzverlauf h<strong>in</strong>aus nach Norden abgebrochen<br />

worden, es blieben nur noch formale lehensrechtliche B<strong>in</strong>dungen <strong>in</strong>s Sächsische<br />

<strong>und</strong> Vogtländische bestehen. Infolge des Schmalkaldischen Krieges kamen<br />

1547/56 Teile der Herrschaft Schwarzenberg mit der Silberstadt Gottesgab (Boží Dar)<br />

gegenüber der Grenzstadt Oberwiesenthal <strong>und</strong> mit der südwestlich davon gelegenen<br />

Bergstadt Platten (Horní Blatná) an Böhmen. 42 Die <strong>im</strong> Vergleich zur alten oberlausitzisch-böhmischen<br />

Grenze größere Kont<strong>in</strong>uität der Grenze <strong>im</strong> Erzgebirge zeigt sich<br />

auch <strong>in</strong> der Übere<strong>in</strong>st<strong>im</strong>mung von politisch <strong>und</strong> kirchlich adm<strong>in</strong>istrativer Zugehörigkeit<br />

<strong>und</strong> dar<strong>in</strong>, daß <strong>im</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert ke<strong>in</strong>e wesentlichen Grenzkorrekturen erwogen<br />

wurden. Der tschechoslowakische Außenm<strong>in</strong>ister Edvard Beneš schlug 1919 <strong>in</strong> Paris<br />

h<strong>in</strong>sichtlich des Grenzabschnitts <strong>im</strong> Erzgebirge e<strong>in</strong>zig e<strong>in</strong>e Begradigung mit e<strong>in</strong>em<br />

Gebietstausch vor, <strong>in</strong> den die ehemaligen Industriesiedlungen von Schmiedeberg<br />

(Šmídeberk/Kovářská) <strong>und</strong> Weipert (Vejprty) e<strong>in</strong>bezogen werden sollten. 43<br />

Das Egerland war 1256 bzw. 1322 als ständige Reichspfandschaft der Krone<br />

Böhmens übertragen <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Folgezeit mehrfach geteilt <strong>und</strong> neu abgegrenzt worden.<br />

44 Der bei Böhmen verbleibende östliche Teil um die Reichsstadt Eger (Cheb)<br />

40 Conférence de la Paix, nach der deutschen Übersetzung bei RABL (wie Anm. 32), S. 175 f.,<br />

180, 182-188, 192. Insbesondere das amerikanische Ausschußmitglied Allan W. Dulles<br />

forderte e<strong>in</strong>e Abtretung des Rumburger <strong>und</strong> Egerer Gebiets an Sachsen, ebenda <strong>und</strong> S. 84.<br />

41 KURT OBERDORFFER: Die Verpfändung Nordwestböhmens an Meissen-Sachsen <strong>im</strong> Jahr<br />

1425, <strong>in</strong>: He<strong>im</strong>at <strong>und</strong> Volk. Forschungsbeiträge zur sudetendeutschen Geschichte. Festschrift<br />

für Wilhelm Wostry, hrsg. von ANTON ERNSTBERGER, Brünn u.a. 1937, S. 195-218.<br />

42 PETR JANČÁREK: Česko-saská hranice v Krušných horách do třicetileté války [Die böhmisch-sächsische<br />

Grenze <strong>im</strong> Erzgebirge bis zum Dreißigjährigen Krieg], <strong>in</strong>: Čechy a Sasko<br />

v proměnách děj<strong>in</strong> / Böhmen <strong>und</strong> Sachsen <strong>im</strong> Wandel der Geschichte, bearb. von KRISTINA<br />

KAISEROVÁ, Ústí n.L. 1993 (Acta Universitatis Purkynianae. Phil. et Hist., Bd. 1, Slavogermanica<br />

II), S. 133-140; WALTER SCHLESINGER: Entstehung <strong>und</strong> Bedeutung der sächsisch-böhmischen<br />

Grenze, <strong>in</strong>: Neues Archiv für Sächsische Geschichte 59 (1938), S. 6-38,<br />

hier S. 29 <strong>und</strong> 35; ERICH BERLET: Die sächsisch-böhmische Grenze <strong>im</strong> Erzgebirge. E<strong>in</strong><br />

Beitrag zur politischen Geographie, Diss. Leipzig 1900, <strong>in</strong>sbesondere S. 51 f., auch als Beilage<br />

zum Jahresbericht 1898/99 der Städtischen Realschule mit Progymnasium <strong>in</strong> Oschatz,<br />

Oschatz 1900.<br />

43 Mémoire No. 10, <strong>in</strong>: Die tschechoslowakischen Denkschriften (wie Anm. 7), S. 288/289;<br />

Conférence de la Paix, nach der deutschen Übersetzung bei RABL (wie Anm. 32), S. 164<br />

<strong>und</strong> 175.<br />

44 Die zeitweise Integration der Oberpfalz <strong>in</strong> das Königreich Böhmen, 1355 formal bestätigt<br />

<strong>und</strong> daher manchmal auch „Neuböhmen“ genannt, kann <strong>in</strong> diesem Zusammenhang vernachlässigt<br />

werden, da dieses bedeutendste territoriale Ausgreifen Böhmens Episode blieb<br />

<strong>und</strong> nach wenigen Jahrzehnten bereits vor 1400 zu Ende g<strong>in</strong>g. Vgl. WILHELM VOLKERT:<br />

107


nahm bis zur Auflösung des Heiligen Römischen Reiches als eigenes Territorium<br />

staats- <strong>und</strong> verfassungsrechtlich e<strong>in</strong>e Sonderstellung <strong>im</strong> Kronverband Böhmens e<strong>in</strong>.<br />

Anläßlich der Pragmatischen Sanktion trat 1721 letztmalig der Egerer Landtag zusammen,<br />

1806 erfolgte die abschließende Inkorporierung <strong>in</strong> das böhmische Königreich,<br />

1810/17 g<strong>in</strong>g das Egerland auch kirchenrechtlich vom Regensburger Bistum an<br />

die Prager Erzdiözese über. Das Bewußtse<strong>in</strong> von der Tradition der Reichspfandschaft<br />

<strong>und</strong> der historischen Sonderstellung bewirkten, daß bis <strong>in</strong>s <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert die Zugehörigkeit<br />

des engeren wie des weiteren Egerlands zu Böhmen thematisiert wurde. Unabhängig<br />

davon führte die territoriale Zersplitterung <strong>in</strong> diesem Bereich kont<strong>in</strong>uierlich<br />

zu kle<strong>in</strong>eren Grenzänderungen, die mit e<strong>in</strong>er österreichisch-bayerischen Vere<strong>in</strong>barung<br />

von 1816 weitgehend zum Abschluß kamen, als die böhmisch-österreichische Exklave<br />

Redwitz (Marktredwitz, Ředvice) von Bayern e<strong>in</strong>getauscht wurde. Nach weiteren<br />

Grenzverträgen von 1846 <strong>und</strong> 1862, <strong>in</strong> denen unter anderem noch bestehende <strong>und</strong> seit<br />

Jahrh<strong>und</strong>erten umstrittene kle<strong>in</strong>ere En- <strong>und</strong> Exklaven aufgelöst <strong>und</strong> Dörfer getauscht<br />

wurden, darunter die vormals böhmischen Ortschaften Ottengrün <strong>und</strong> Ernestgrün gegen<br />

Schönl<strong>in</strong>d (Krásná Lípa) <strong>und</strong> Alt-Albenreuth (Starý Albenreuth/Mýt<strong>in</strong>a), bildete<br />

sich <strong>in</strong> diesem Bereich e<strong>in</strong>e geschlossene Grenzl<strong>in</strong>ie heraus. 45<br />

Geographisch noch exponierter, meist aber als Teil des Egerlands betrachtet, war<br />

das reichsunmittelbare Lehen Asch (Aš), dessen Sonderstellung dadurch unterstrichen<br />

wird, daß es als e<strong>in</strong>ziger Landstrich Böhmens nicht von der Rekatholisierung betroffen<br />

wurde <strong>und</strong> protestantisches Gebiet blieb. Das „Ascher Ländchen“, ursprünglich<br />

zum Egerland gehörend <strong>und</strong> von diesem um 1400 gelöst, hatte <strong>im</strong> böhmischen Kronverband<br />

– ebenso wie <strong>im</strong> Mittelalter das benachbarte Schönbacher Ländchen, das Gebiet<br />

von Elbogen (Loket) 46 oder das an die Grafschaft Glatz angrenzende Braunauer<br />

Ländchen – e<strong>in</strong>en gewissen Sonderstatus <strong>in</strong>ne, der rechtlich vergleichsweise spät erst<br />

1775 bzw. 1806 endgültig aufgehoben wurde. Alle<strong>in</strong> schon aufgr<strong>und</strong> se<strong>in</strong>er geographischen<br />

Situation wurde die Abtrennung des „Ascher Zipfels“ <strong>im</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

häufiger angeboten, gefordert oder empfohlen als die anderer Gebiete. Die Verwirklichung<br />

scheiterte meist daran, daß ke<strong>in</strong> Präzedenzfall für die Veränderbarkeit der „historischen“<br />

<strong>Grenzen</strong> geschaffen werden sollte oder daß e<strong>in</strong>e solche Gebietsveränderung<br />

aufgr<strong>und</strong> der ger<strong>in</strong>gen Größe <strong>und</strong> des Zusammenhangs mit dem Egerland nur <strong>im</strong><br />

Pfalz <strong>und</strong> Oberpfalz bis zum Tod König Ruprechts, <strong>in</strong>: Handbuch der bayerischen Geschichte,<br />

neu hrsg. von ANDREAS KRAUS, Bd. III/3, 3. Aufl. München 1995, S. 52-71.<br />

45 HERIBERT STURM: Die alte Reichspfandschaft Eger <strong>und</strong> ihre Stellung <strong>in</strong> der Geschichte der<br />

böhmischen Länder, <strong>in</strong>: Handbuch der Geschichte der böhmischen Länder, hrsg. von KARL<br />

BOSL, Bd. 2: Die böhmischen Länder von der Hochblüte der Ständeherrschaft bis zum Erwachen<br />

e<strong>in</strong>es modernen Nationalbewußtse<strong>in</strong>s, Stuttgart 1974, S. 1-95, <strong>in</strong>sbesondere S. 87-<br />

95; DERS.: Der Grenzvertrag von 1862, <strong>in</strong>: DERS.: Oberpfalz <strong>und</strong> Egerland, Geisl<strong>in</strong>gen/<br />

Steig 1964, S. 165-178, sowie mehrere Aufsätze der Festschrift HERIBERT STURM: Nordgau<br />

– Egerland – Oberpfalz. Studien zu e<strong>in</strong>er historischen Landschaft, München, Wien 1984<br />

(Veröffentlichungen des Collegium Carol<strong>in</strong>um, Bd. 43).<br />

46 RUDOLF SCHREIBER: Die Stellung des mittelalterlichen Elbogener Landes zu Böhmen, <strong>in</strong>:<br />

Mitteilungen des Vere<strong>in</strong>es für Geschichte der Deutschen <strong>in</strong> Böhmen 74 (1936), S. 1-28 <strong>und</strong><br />

81-94.<br />

108


Rahmen gr<strong>und</strong>sätzlicher Grenzkorrekturen denkbar schien. Bei den Pariser Friedensverhandlungen<br />

erklärte die Tschechoslowakei Anfang 1919 ihren Verzicht auf dieses<br />

Gebiet, was vom Unterausschuß der Kommission für tschecho-slowakische Angelegenheiten<br />

zust<strong>im</strong>mend zur Kenntnis genommen wurde. 47<br />

Mit eigenen Delegationen <strong>in</strong> Prag <strong>und</strong> Paris hatten Eger <strong>und</strong> Asch 1918/19 unter<br />

Berufung auf die historische Entwicklung wie auf das nationale Selbstbest<strong>im</strong>mungsrecht<br />

e<strong>in</strong>e Neuordnung ihrer staatlichen Zugehörigkeit zu erreichen versucht. Außenm<strong>in</strong>ister<br />

Beneš erwog mehrfach, das Egerland mit dem Ascher Bezirk abzutreten oder<br />

gegen oberschlesisches Gebiet um Ratibor (Racibórz, Ratiboř) zu tauschen. Die Alliierten<br />

waren 1919 – ebenso wie 1942/44 – geneigt, das Egerland <strong>und</strong> das Ascher<br />

Ländchen entlang e<strong>in</strong>er Nord-Süd-L<strong>in</strong>ie von Graslitz (Kraslice) nach Unter-Sandau<br />

(Dolní Žandov) von Böhmen zu lösen. 48 Im April 1919 beschloß jedoch der Oberste<br />

Rat der Pariser Konferenz – <strong>und</strong> entsprechend die Alliierten am Ende des Zweiten<br />

Weltkriegs –, überhaupt ke<strong>in</strong>e Korrektur des bestehenden deutsch-böhmischen<br />

Grenzverlaufs zu billigen, um zu verh<strong>in</strong>dern, daß durch ger<strong>in</strong>gfügige Grenzkorrekturen<br />

die Diskussion über das ethnographische oder sprachnationale Pr<strong>in</strong>zip angeheizt<br />

würde. 49 Es kam daher zu ke<strong>in</strong>erlei Gebietsabtretungen seitens der Tschechoslowakei.<br />

An der bayerisch-böhmischen Grenze gab es seit dem 16. Jahrh<strong>und</strong>ert von Waldmünchen<br />

(Mnichov nad Lesy) über Furth <strong>im</strong> Wald (Bavorský Brod/Brod nad Lesy)<br />

<strong>und</strong> das Eisenste<strong>in</strong>er Tal bis zum Rachel bei Frauenau fortwährende Grenzstreitigkeiten,<br />

die sich durch wechselseitige Okkupationen von Grenzstreifen während <strong>und</strong> nach<br />

dem Spanischen Erbfolgekrieg zu Beg<strong>in</strong>n des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts verschärften. Nach<br />

langen Verhandlungen wurde das strittige Gebiet 1764 <strong>in</strong> Prag mit der Unterzeichnung<br />

des bayerisch-böhmischen Hauptgrenzvertrages geteilt <strong>und</strong> die bis heute gültige<br />

Grenze festgelegt. Nach Abschluß der genauen Grenzvermessungen gehörten dann<br />

beispielsweise Vollmau (Folmava) oder Markt Eisenste<strong>in</strong> (Železná Ruda) def<strong>in</strong>itiv<br />

zum Königreich Böhmen. 50 E<strong>in</strong>ige böhmische Geme<strong>in</strong>den <strong>in</strong> der Nähe von Waldmünchen<br />

verblieben jedoch noch für Jahrzehnte bei der Diözese Regensburg (Řezno),<br />

während bayerische Geme<strong>in</strong>den bei Eisenste<strong>in</strong> weiterh<strong>in</strong> dem Bistum Budweis (České<br />

Budějovice) unterstanden. Vor allem der Abschnitt bei Furth <strong>im</strong> Wald sollte bei<br />

den Pariser Friedensverhandlungen 1919 wieder thematisiert werden, ohne daß jedoch<br />

<strong>in</strong> diesem Bereich oder weiter südlich bzw. <strong>im</strong> oberösterreichisch-böhmischen Be-<br />

47 Mémoire No. 10, <strong>in</strong>: Die tschechoslowakischen Denkschriften (wie Anm. 7), S. 294/295-<br />

296/297; Conférence de la Paix, nach der deutschen Übersetzung bei RABL (wie Anm. 32),<br />

S. 178 f., 192; PERMAN (wie Anm. 8), S. 144, 153 f. <strong>und</strong> Anhang Karte 2.<br />

48 Conférence de la Paix, nach der deutschen Übersetzung bei RABL (wie Anm. 32), S. 159,<br />

177-179, 182-188, 192; PERMAN (wie Anm. 8), S. 153 f.<br />

49 Allgeme<strong>in</strong> dazu PERMAN (wie Anm. 8).<br />

50 HANS-JOACHIM HÄUPLER: Der Bayerisch-böhmische Hauptgrenzvertrag von 1764, <strong>in</strong>: Bohemia<br />

33 (1992), S. 44-72; WALTER ZIEGLER: Die bayerisch-böhmische Grenze <strong>in</strong> der Frühen<br />

Neuzeit. E<strong>in</strong> Beitrag zur Grenzproblematik <strong>in</strong> Mitteleuropa, <strong>in</strong>: Menschen <strong>und</strong> <strong>Grenzen</strong><br />

<strong>in</strong> der Frühen Neuzeit, hrsg. von WOLFGANG SCHMALE <strong>und</strong> REINHARD STAUBER, Berl<strong>in</strong><br />

1998, S. 116-130; WEISSTHANNER (wie Anm. 10).<br />

109


Bereich nördlich von Freistadt (Cáhlav) die vorgeschlagenen Veränderungen ernsthaft<br />

<strong>in</strong> Betracht gezogen worden wären. 51<br />

Während der Versailler Vertrag Böhmens <strong>Grenzen</strong> unverändert ließ, wurden <strong>im</strong><br />

Friedensvertrag von Sa<strong>in</strong>t Germa<strong>in</strong> vom Herbst 1919 die <strong>Grenzen</strong> Böhmens an e<strong>in</strong>er<br />

e<strong>in</strong>zigen Stelle verändert. Dies betraf e<strong>in</strong>en Abschnitt, <strong>in</strong> dem – anders als <strong>in</strong> den bisher<br />

behandelten Bereichen – die Grenzl<strong>in</strong>ie seit dem Mittelalter für Jahrh<strong>und</strong>erte konstant<br />

<strong>und</strong> unstrittig war. Bei Gmünd (Cmunt) <strong>in</strong> der Nähe von Weitra (Vitoraz), das<br />

<strong>im</strong> Hochmittelalter böhmisches Lehen war, wurde Südböhmen e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>eres niederösterreichisches<br />

Gebiet mit České Velenice, hervorgegangen aus den Geme<strong>in</strong>den<br />

Böhmzeil <strong>und</strong> Unterwielands, sowie Rottschachen (Rapšach), Erdweis (Nová Ves nad<br />

Lužnicí) <strong>und</strong> weiteren kle<strong>in</strong>eren Ortschaften angeschlossen. 52<br />

Abr<strong>und</strong>end sei der Vollständigkeit halber noch die böhmisch-mährische Grenze<br />

erwähnt, die sich über Jahrh<strong>und</strong>erte durch e<strong>in</strong>e beachtliche Konstanz auszeichnete,<br />

heute aber nicht mehr existiert <strong>und</strong> selbst nachgeordnete Verwaltungsgebiete nicht<br />

mehr scheidet. Im Mittelalter entstanden, <strong>im</strong> nördlichen Teil sich nicht mit den Diözesangrenzen<br />

von Leitomischl (Litomyšl) <strong>und</strong> Olmütz (Olomouc) deckend, kam es <strong>in</strong><br />

den folgenden Jahrh<strong>und</strong>erten nur zu m<strong>in</strong><strong>im</strong>alen Modifikationen durch den Wechsel<br />

e<strong>in</strong>iger Herrschaften bzw. Liegenschaften von der böhmischen <strong>in</strong> die mährische<br />

Landtafel <strong>und</strong> umgekehrt. 53 Erst mit den Verwaltungsreformen von 1948 wurde diese<br />

traditionell als B<strong>in</strong>nengrenze verstandene Trennl<strong>in</strong>ie aufgehoben <strong>und</strong> bis heute nicht<br />

51 Conférence de la Paix, nach der deutschen Übersetzung bei RABL (wie Anm. 32), S. 164,<br />

181.<br />

52 HANNS HAAS: Die Pariser Friedenskonferenz 1919 <strong>und</strong> die Frage Gmünd, <strong>in</strong>: Kamptal-<br />

Studien 3 (1982/83), S. 213-247; DERS.: Zur Problematik der österreichisch-tschechoslowakischen<br />

Grenze 1918-1919, <strong>in</strong>: Jižní Morava – brána a most / Südmähren – Tor <strong>und</strong><br />

Brücke, Mikulov 1969, S. 131-140; WALTER HUMMELBERGER: Die niederösterreichischtschechoslowakische<br />

Grenzfrage 1918/19, <strong>in</strong>: Sa<strong>in</strong>t-Germa<strong>in</strong> 1919, hrsg. von ISABELLA<br />

ACKERL <strong>und</strong> RUDOLF NECK, Wien 1989, S. 78-111; PERMAN (wie Anm. 8), u.a. S. 210;<br />

ZDENĚK ŠÍPEK: Spory ČSR s Rakouskem o vedení státní hranice v jižních Čechách po<br />

první světové válce [Die Streitigkeiten zwischen der ČSR <strong>und</strong> Österreich um die Ziehung<br />

der Staatsgrenze <strong>in</strong> Südböhmen nach dem Ersten Weltkrieg], <strong>in</strong>: Jihočeský sborník historický<br />

35 (1966), S. 33-40; ANDREA KOMLOSY: Sozial- <strong>und</strong> wirtschaftshistorischer Abriß<br />

der Region Gmünd-České Velenice, <strong>in</strong>: Das Waldviertel 41 (1992), Nr. 1, S. 26-61. – Zur<br />

Frage e<strong>in</strong>es slawischen Fürstentums Weitra/Vitorazko, das <strong>im</strong> 13. Jahrh<strong>und</strong>ert unterg<strong>in</strong>g,<br />

<strong>und</strong> zu dessen Beziehungen zu Böhmen vgl. VINZENZ PRÖKL: Das böhmische Weitra-<br />

Gebiet, se<strong>in</strong>e Germanisierung <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e weiteren Geschicke, <strong>in</strong>: Mittheilungen des Vere<strong>in</strong>es<br />

für Geschichte der Deutschen <strong>in</strong> Böhmen 14 (1876), S. 77-94; neuerd<strong>in</strong>gs auch WOLF-<br />

GANG KATZENSCHLAGER: Vitorazsko – Weitraer Gebiet?, <strong>in</strong>: Das Waldviertel 46 (1997),<br />

Nr. 2, S. 124-166.<br />

53 JINDŘICH SCHULZ: Vývoj českomoravské hranice do 15. století [Die Entwicklung der böhmisch-mährischen<br />

Grenze bis zum 15. Jahrh<strong>und</strong>ert], <strong>in</strong>: Historická geografie 4 (1970), S.<br />

52-81; DERS.: Hraniční spory mezi Čechami a Moravou od konce 15. do 1. čtvrt<strong>in</strong>y 17. století<br />

[Grenzstreitigkeiten zwischen Böhmen <strong>und</strong> Mähren vom Ende des 15. bis <strong>in</strong>s 1. Viertel<br />

des 17. Jahrh<strong>und</strong>erts], <strong>in</strong>: Acta Universitatis Palackianae Olomucensis facultas philosophica<br />

55 – historica 15 (1971), S. 45-73.<br />

110


mehr restituiert. Trotz verschiedener Initiativen hat die Tschechische Republik nach<br />

1993 darauf verzichtet, zur alten Ländergliederung zurückzukehren. Für die Jahrzehnte<br />

nach dem Zweiten Weltkrieg waren Kreise<strong>in</strong>teilungen best<strong>im</strong>mend, welche die<br />

böhmisch-mährische Grenze ignorierten. So st<strong>im</strong>mten die Westgrenzen des Nord- <strong>und</strong><br />

des Südmährischen Kreises bzw. die Ostgrenzen des Ost- <strong>und</strong> des Südböhmischen<br />

Kreises nicht mit der alten Landesgrenze übere<strong>in</strong>. 54<br />

Faßt man die Grenzänderungen <strong>und</strong> die Debatten über Verlegungen der böhmischen<br />

<strong>Grenzen</strong> zusammen, wie sie vom ausgehenden Mittelalter bis <strong>in</strong> die Mitte des<br />

<strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>erts dokumentiert s<strong>in</strong>d, so zeigt sich, daß die <strong>Grenzen</strong> Böhmens über gut<br />

fünfh<strong>und</strong>ert Jahre <strong>im</strong> Detail zwar nicht ganz so konstant waren, wie man me<strong>in</strong>en<br />

könnte, daß aber <strong>in</strong>sgesamt cum grano salis doch von e<strong>in</strong>er großen territorialen Kont<strong>in</strong>uität<br />

<strong>und</strong> dauerhaften Stabilität der Grenze gesprochen werden muß. Die meisten<br />

Grenzänderungen erfolgten <strong>in</strong> vornationaler Zeit, also vor 1848. Im <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert,<br />

<strong>in</strong> dem <strong>im</strong> ostmitteleuropäischen Raum zahlreiche neue <strong>Grenzen</strong> entstanden, unzählige<br />

Grenzkorrekturen vorgeschlagen wurden <strong>und</strong> zum Teil heftig umstritten waren,<br />

kam es nur zu äußerst ger<strong>in</strong>gfügigen Verschiebungen der böhmischen Grenzl<strong>in</strong>ie,<br />

wenn man die gr<strong>und</strong>sätzlich anders begründeten Grenzziehungsversuche der deutschösterreichischen<br />

Prov<strong>in</strong>zen Ende 1918 <strong>und</strong> des Münchener Abkommens von 1938<br />

e<strong>in</strong>mal außer acht läßt.<br />

Fünf regionale Zonen oder Abschnitte s<strong>in</strong>d hervorzuheben, an denen die Grenze<br />

während mehrerer Jahrh<strong>und</strong>erte oszillierte oder häufiger zur Disposition stand: Glatz,<br />

Friedland bzw. Rumburg, das mittlere Erzgebirge, das Egerland mit Asch sowie der<br />

bayerisch-böhmische Bereich um Furth <strong>und</strong> Eisenste<strong>in</strong>. Als sechste Kle<strong>in</strong>region trat<br />

<strong>im</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert noch das Gmünder Gebiet h<strong>in</strong>zu.<br />

Ursachen für Unbeständigkeiten e<strong>in</strong>er historisch stabilen Grenze<br />

Betrachtet man die Anlässe, Gründe <strong>und</strong> Begründungen für die Grenzänderungen, so<br />

dom<strong>in</strong>ieren wirtschaftsgeographische <strong>und</strong> verkehrspolitische Faktoren gegenüber allen<br />

anderen, auch gegenüber staatsrechtlich-historischen. Besondere historische <strong>und</strong><br />

rechtliche Entwicklungen <strong>und</strong> Traditionen hatten e<strong>in</strong>zig für die Regionen Glatz <strong>und</strong><br />

Egerland mit Asch e<strong>in</strong>e Bedeutung. Militärisch-strategische sowie ethnische <strong>und</strong> nationale<br />

Argumente gewannen <strong>in</strong> diesem Zusammenhang erst <strong>im</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert an<br />

Relevanz. Bis dah<strong>in</strong>, d.h. sogar während des national orientierten <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts,<br />

waren <strong>in</strong>sbesondere letztere völlig wirkungslos <strong>und</strong> politisch irrelevant gewesen.<br />

Selbst noch bei den Pariser Friedensverhandlungen von 1919/<strong>20</strong> stellte die tschechoslowakische<br />

Delegation ökonomische Zusammenhänge <strong>in</strong> den Vordergr<strong>und</strong>, auch<br />

wenn sie versuchte, sprachnationale oder ethnographische Aspekte <strong>in</strong> die Diskussion<br />

54 HELMUT SLAPNICKA: Die neue Verwaltungsgliederung der Tschechoslowakei <strong>und</strong> ihre<br />

Vorläufer, <strong>in</strong>: Der Donauraum 5 (1960), S. 139-158.<br />

111


zu br<strong>in</strong>gen. 55 Für die <strong>in</strong>ternational anerkannte Festlegung des böhmischen Grenzverlaufs<br />

<strong>im</strong> Detail nach 1918/19 spielten schließlich ethnisch-nationale Überlegungen<br />

faktisch ke<strong>in</strong>e Rolle, wie die Forschung übere<strong>in</strong>st<strong>im</strong>mend feststellt. 56 „Die Vertreter<br />

der alliierten Mächte widmeten den ethnographischen Argumenten ke<strong>in</strong>erlei Aufmerksamkeit.“<br />

57 Die Akten der Ausschüsse für Gebietsfragen der Pariser Friedenskonferenz<br />

belegen anschaulich die vorrangige <strong>und</strong> gliedernde Bedeutung von wirtschaftsgeographischen<br />

Bezügen <strong>und</strong> ökonomischen Gravitationszentren bei den politischen<br />

Grenzdiskussionen. Ähnliches sollte dann für die alliierten Pläne über neue<br />

Grenzziehungen <strong>in</strong> den Jahren 1941 bis 1946 gelten, bei denen für die böhmischen<br />

Länder nur kle<strong>in</strong>e Rektifikationen erwogen wurden. 58<br />

Wirtschaftliche bzw. f<strong>in</strong>anzielle Interessen waren beispielsweise schon <strong>im</strong> Spätmittelalter<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong> der Frühneuzeit für den Wechsel der Landeszugehörigkeit von Gottesgab<br />

<strong>und</strong> Platten sowie des Egerlands ausschlaggebend <strong>und</strong> wirkten sich bis h<strong>in</strong> zu<br />

kle<strong>in</strong>räumigen Grenzänderungen zur Nutzung von Wäldern, Wiesen oder Wegen aus.<br />

Die Wirtschaftsbeziehungen <strong>und</strong> die wirtschaftsgeographisch überwiegende Ausrichtung<br />

auf Gebiete jenseits der Grenze wurden <strong>im</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert als Argumente für<br />

e<strong>in</strong>e Abtretung der Gebiete Friedland <strong>und</strong> Rumburg an Sachsen von verschiedensten<br />

Kräften <strong>im</strong>mer wieder <strong>in</strong>s Feld geführt. Daß es <strong>im</strong> Fall des Egerlands über Jahrh<strong>und</strong>erte<br />

nicht zu e<strong>in</strong>er Veränderung se<strong>in</strong>er prekären Zugehörigkeit kam, könnte möglicherweise<br />

auch daran gelegen haben, daß dieses Gebiet gleichermaßen enge wirtschaftliche<br />

B<strong>in</strong>dungen an die Oberpfalz bis nach Nürnberg (Nor<strong>im</strong>berk) wie an Westböhmen<br />

mit dem Handels- <strong>und</strong> Industriezentrum Pilsen (Plzeň) hatte, was sich die<br />

Waage hielt <strong>und</strong> somit jeweils grenzpolitisch egalisierte. Dagegen war die wirtschaftliche<br />

Integration des Ascher Ländchens <strong>in</strong> das Dreieck Selb, Hof <strong>und</strong> Plauen (Plavno)<br />

so markant, daß e<strong>in</strong>e Abtrennung dieses Gebietes vielfach unausweichlich erschien.<br />

Dom<strong>in</strong>ierendes Argument bei fast allen realisierten Grenzänderungen <strong>und</strong> für viele<br />

Grenzänderungsvorschläge war ganz konkret die verkehrsgeographische Situation.<br />

Bereits <strong>im</strong> 18., vor allem aber <strong>im</strong> <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>ert wurden die En- <strong>und</strong> Exklaven an<br />

der Grenze zu Sachsen <strong>und</strong> Bayern aufgelöst, um <strong>im</strong> beiderseitigen Interesse e<strong>in</strong> ver-<br />

55 „Les raisons économiques sont les plus <strong>im</strong>portantes“. Mémoire No. 8, <strong>in</strong>: Die tschechoslowakischen<br />

Denkschriften (wie Anm. 7), S. 264/265, ähnlich S. 124/125, 296/297 <strong>und</strong> öfter.<br />

56 Vgl. hierzu <strong>und</strong> zum folgenden neben den deutschsprachigen Editionen zu den Pariser<br />

Friedensverhandlungen von 1919: Die tschechoslowakischen Denkschriften (wie Anm. 7);<br />

RABL (wie Anm. 32); vor allem JOHANN WOLFGANG BRÜGEL: Tschechen <strong>und</strong> Deutsche<br />

1918-1938, München 1967, S. 95-98, <strong>und</strong> PERMAN (wie Anm. 8).<br />

57 HAAS: Pariser Friedenskonferenz (wie Anm. 52), S. 235.<br />

58 PETER KRÜGER: Die Tschechoslowakei <strong>in</strong> den Verhandlungen der Alliierten von der Altantik-Charta<br />

bis zur Potsdamer Konferenz, <strong>in</strong>: Das Jahr 1945 <strong>in</strong> der Tschechoslowakei. Internationale,<br />

nationale <strong>und</strong> wirtschaftlich-soziale Probleme, hrsg. von KARL BOSL, München,<br />

Wien 1971, S. 37-64, hier S. 50, 55, 59. – Zu den alliierten Diskussionen über Grenzverschiebungen<br />

vgl. auch DETLEF BRANDES: Großbritannien <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e osteuropäischen Alliierten<br />

1939–1943. Die Regierungen Polens, der Tschechoslowakei <strong>und</strong> Jugoslawiens <strong>im</strong><br />

Londoner Exil vom Kriegsausbruch bis zur Konferenz von Teheran, München 1988 (Veröffentlichungen<br />

des Collegium Carol<strong>in</strong>um, Bd. 59), u.a. S. 393, 396 oder 412.<br />

112


kehrs- <strong>und</strong> verwaltungstechnisch geschlossenes Territorium zu schaffen. Die besondere<br />

verkehrspolitische Situation des Egerlands als Transitregion wurde schon erwähnt,<br />

die des Ascher Ländchens zeigte sich zuletzt Anfang November 1989 bei der<br />

Ausreisewelle von DDR-Bürgern über das Gebiet der ČSSR. Auch die Stadt Glatz<br />

galt traditionell als zentraler Verkehrsknotenpunkt, der Prag <strong>und</strong> Böhmen mit der<br />

schlesischen Hauptstadt Breslau <strong>und</strong> weiter mit Oberschlesien, Krakau (Kraków,<br />

Krakov) oder Warschau (Warszawa, Varšava) verb<strong>in</strong>det, was 1914/19 <strong>und</strong> 1942/45<br />

wiederholt zur Untermauerung böhmischer bzw. tschechoslowakischer Gebietsansprüche<br />

angeführt wurde. 59<br />

Mit der wachsenden Bedeutung der Eisenbahnen wurden neben den alten Handelswegen<br />

<strong>und</strong> den ausgebauten Überlandstraßen sowie ihren Zollstationen vor allem<br />

die Bahnstrecken <strong>und</strong> die Bahnhöfe zu Auslösern von Grenzkorrekturen. Die das<br />

Rumburger Gebiet <strong>in</strong> West-Ost-Richtung durchschneidenden Bahnl<strong>in</strong>ien, die zum<br />

Teil dort ohne Verb<strong>in</strong>dung mit dem Inneren Böhmens endeten, waren 1918/19 ebenso<br />

e<strong>in</strong> Argument für den Anschluß an Sachsen wie die verkehrsmäßige Ausrichtung von<br />

Friedland auf Reichenberg (Liberec) für den Verbleib jenes Gebietes bei Böhmen<br />

sprach. Tschechoslowakische Ansprüche auf Furth <strong>im</strong> Wald wurden gleichermaßen,<br />

wenn auch ohne Erfolg, mit der verkehrspolitischen Bedeutung des Bahnhofs begründet<br />

wie die Gebietsforderungen bei Gmünd, die nicht nur den Bahnhof betrafen, sondern<br />

auch kle<strong>in</strong>ere Nebenl<strong>in</strong>ien unter tschechoslowakische Hoheit br<strong>in</strong>gen sollten. Alle<strong>in</strong><br />

die Rolle des Bahnhofs von Gmünd als Kreuzungspunkt zweier böhmischer<br />

Bahnl<strong>in</strong>ien <strong>im</strong> Rahmen des tschechoslowakischen Verkehrsnetzes <strong>und</strong> nicht die<br />

sprachlich-ethnische Situation <strong>in</strong> den umgebenden Dörfern war maßgeblich dafür, daß<br />

19<strong>20</strong> die Grenze dort neu gezogen wurde. Der zweiten 1919/<strong>20</strong> realisierten Gebietsänderung,<br />

die Feldsberg (Valtice), Unter- <strong>und</strong> Oberthemenau (Poštorná <strong>und</strong> Charvátská<br />

Nová Ves) <strong>und</strong> kle<strong>in</strong>ere umliegende Geme<strong>in</strong>den von Niederösterreich nach<br />

Mähren wechseln ließ, lag ebenfalls die Absicht zugr<strong>und</strong>e, e<strong>in</strong>e regionale Bahnl<strong>in</strong>ie,<br />

die Zna<strong>im</strong> (Znojmo) über Nikolsburg (Mikulov) mit dem mährisch-slowakischen Eisenbahnknoten<br />

L<strong>und</strong>enburg (Břeclav) verb<strong>in</strong>det, durchgehend auf dem Territorium<br />

des tschechoslowakischen Staates verlaufen zu lassen. Zudem g<strong>in</strong>g das nahezu unbesiedelte<br />

waldreiche Mündungsdreieck von March <strong>und</strong> Thaya von Niederösterreich<br />

nach Mähren über, um der ČSR die une<strong>in</strong>geschränkte Regulierung bzw. Kanalisierung<br />

von beiden Flüssen zu ermöglichen. 60<br />

59 Vgl. bereits die frühesten Entwürfe von Karten für e<strong>in</strong>en arrondierten böhmischen bzw.<br />

tschechoslowakischen Staat von Karel Kramář <strong>und</strong> T.G. Masaryk von 1914 <strong>und</strong> vom Frühjahr<br />

1915. KLIMEK: Jak se dělal mír (wie Anm. 8), Farbkarte S. 5; KLIMKO (wie Anm. 8),<br />

Karte 1, S. 146; PERMAN (wie Anm. 8), Anhang Karte 1.<br />

60 Dazu <strong>in</strong>sb. HAAS: Pariser Friedenskonferenz (wie Anm. 52); ZDENĚK ŠÍPEK: Spory Československa<br />

s Rakouskem o vedení státních hranic na Jižní Moravě v letech 1918-1923 [Die<br />

Streitigkeiten zwischen der Tschechoslowakei <strong>und</strong> Österreich um die Ziehung der Staatsgrenzen<br />

<strong>in</strong> Südmähren <strong>in</strong> den Jahren 1918-1923], Mikulov 1968, mit Karten; DERS.: Spory<br />

ČSR s Rakouskem (wie Anm. 52); vgl. auch RABL (wie Anm. 32), S. 193.<br />

113


Für das böhmische wie für das mährische Beispiel läßt sich daher die These aufstellen,<br />

daß Grenzänderungen nicht so sehr machtpolitische oder militärisch-strategische<br />

Ursachen hatten, sondern <strong>im</strong> Gr<strong>und</strong>e die Folge von allgeme<strong>in</strong>eren Modernisierungsprozessen<br />

waren. Parallel dazu bewirkten seit dem Mittelalter bzw. seit der<br />

Frühneuzeit mehrere Schübe erhöhter Ressourcenausnutzung <strong>und</strong> wachsender Verwaltungssystematisierungen<br />

<strong>in</strong> Abhängigkeit von den örtlichen Gegebenheiten e<strong>in</strong>e<br />

Verengung der Grenzzonen auf Grenzstreifen bzw. Grenzl<strong>in</strong>ien. Nahezu alle böhmischen<br />

Grenzverschiebungen waren Folge sozioökonomischer <strong>und</strong> technologischer<br />

Wandlungen. Dies gilt sowohl für die grenzverschiebende wirtschaftliche Erschließung<br />

von Randregionen <strong>in</strong> der Frühneuzeit wie für die aus verwaltungstechnischer<br />

Sicht angestrebte Arrondierung e<strong>in</strong>es von Enklaven zerklüfteten Grenzverlaufs <strong>im</strong> 18.<br />

<strong>und</strong> <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>ert als auch für die <strong>im</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert relevant werdende geschlossene<br />

Kontroll- <strong>und</strong> Verfügungsmacht über Verkehrswege oder Verkehrsknotenpunkte.<br />

Grenzkorrekturen waren daher stets um so leichter durchsetzbar, je mehr sie die<br />

wirtschaftlich-verkehrstechnische Praktikabilität des Grenzverlaufs erhöhten.<br />

Spielten vor allem ökonomische <strong>und</strong> verkehrspolitische Aspekte für konkrete<br />

kle<strong>in</strong>räumige Modifikationen der böhmischen <strong>Grenzen</strong> von der Frühneuzeit bis <strong>in</strong>s<br />

<strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert e<strong>in</strong>e entscheidende Rolle, so liegt die Vermutung nahe, daß diese<br />

Faktoren umgekehrt ebenso die Jahrh<strong>und</strong>erte dauernde generelle territoriale Konstanz<br />

Böhmens erklären können. Es läßt sich die These aufstellen, daß seit dem ausgehenden<br />

Mittelalter die kulturgeographischen Eigenheiten <strong>in</strong> der Grenzzone, daß <strong>in</strong>sbesondere<br />

Wirtschafts- <strong>und</strong> Siedlungsgeographie sowie die Struktur der Verkehrswege<br />

dafür verantwortlich waren, daß es während e<strong>in</strong>es halben Jahrtausends zu mehreren<br />

kle<strong>in</strong>eren, jedoch nicht zu markanteren <strong>und</strong> e<strong>in</strong>schneidenden Veränderungen der<br />

<strong>Grenzen</strong> Böhmens kam.<br />

Es waren nicht <strong>in</strong> erster H<strong>in</strong>sicht geomorphologische Bed<strong>in</strong>gungen oder die Vegetation,<br />

die e<strong>in</strong>e lang andauernde Kont<strong>in</strong>uität der <strong>Grenzen</strong> Böhmens verursachten, sondern<br />

<strong>in</strong>sbesondere der niedrige Grad der grenzregionalen ökonomischen <strong>und</strong> bevölkerungsmäßigen<br />

Entwicklung, der maßgeblich für die ungewöhnlich hohe zeitliche Stabilität<br />

dieser politischen Grenze <strong>in</strong> Mitteleuropa wurde. E<strong>in</strong>e genauere Betrachtung<br />

der böhmischen Grenzzonen h<strong>in</strong>sichtlich Wirtschaftsstruktur, Besiedlungsdichte oder<br />

Verlauf der Verkehrswege bestätigt dies. „E<strong>in</strong> siedlungsarmer Streifen umsäumt<br />

Böhmen“, stellte e<strong>in</strong> Fachaufsatz schon um 1900 fest. 61 Im Grenzbereich fehlten Verkehrsknotenpunkte<br />

<strong>und</strong> beachtlichere Handelsumschlagplätze. Verkehrswege verliefen<br />

nur <strong>in</strong> Ausnahmefällen parallel zur Grenze, ja vielfach ließ erst die Schaffung von<br />

abgeschlossenen politischen <strong>Grenzen</strong> <strong>im</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert Straßen auf beiden Seiten<br />

entlang der Grenzl<strong>in</strong>ie entstehen. Der direkte Grenzsaum von meist e<strong>in</strong>em Dutzend<br />

Kilometer Tiefe war <strong>und</strong> ist <strong>in</strong> der Regel kulturlandschaftlich „nicht verdichtet“, sondern<br />

eher ökonomisch <strong>und</strong> verkehrstechnisch schwach entwickelt <strong>und</strong> traditionell<br />

dünn besiedelt. Die ger<strong>in</strong>ge kulturlandschaftliche Dichte ist dabei nicht wie <strong>in</strong> anderen<br />

Regionen e<strong>in</strong>e Folge der Grenze, sondern umgekehrt bewirkte die über Jahrh<strong>und</strong>erte<br />

unverändert nichtverdichtete Struktur der direkten Grenzregionen die historische<br />

61 HERNECK (wie Anm. 18), S. 399.<br />

114


hohe Stabilität des Grenzverlaufs. In der historischen Entwicklung fehlten Anreize,<br />

welche die politisch entscheidenden Kräfte hätten dazu bewegen können, e<strong>in</strong>e Veränderung<br />

des Grenzverlaufs herbeizuführen.<br />

Die Landschaftszonen beiderseits der böhmischen <strong>Grenzen</strong> waren schon vor der<br />

Vertreibung <strong>und</strong> Aussiedlung der deutschen Bevölkerung ke<strong>in</strong>e Regionen wirtschafts-<br />

<strong>und</strong> kulturgeographischer Konzentration oder Verdichtung. 62 Es gibt ke<strong>in</strong>e größeren<br />

böhmischen Grenzzonen, die grenzüberschreitend von e<strong>in</strong>er außergewöhnlichen ökonomischen<br />

Dynamik geprägt waren oder s<strong>in</strong>d. Weder lassen sich größere zusammenhängende<br />

fruchtbare Landstriche f<strong>in</strong>den, noch entstanden kapital<strong>in</strong>tensive Spezialkulturen<br />

oder Industriezweige. Selbst <strong>im</strong> Erzgebirge blieben Bergbauorte wie Sankt Joach<strong>im</strong>sthal<br />

(Jáchymov), Gottesgab, Weipert oder Schmiedeberg punktuelle städtische<br />

bzw. talbezogene Wirtschaftszentren, deren Bodenschätze sich zudem meist relativ<br />

rasch erschöpften <strong>und</strong> die sich somit nicht zu größeren geschlossenen Wirtschaftsregionen<br />

erweitern konnten. 63 Sie entwickelten sich selbst <strong>im</strong> <strong>19.</strong> <strong>und</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

nicht zu offenen Agglomerationsräumen, nach 1945 geh<strong>in</strong>dert unter anderem durch<br />

den militärisch brisanten Uranabbau. Das nordböhmische Braunkohlenrevier von<br />

Komotau (Chomutov) über Brüx (Most) bis Dux (Duchcov) oder die nordböhmische<br />

Glasregion reichten dagegen nicht an die Grenze heran, sondern unterschieden sich<br />

sozioökonomisch deutlich von der direkten Grenzzone.<br />

Böhmen kennt zwar e<strong>in</strong>e Reihe paarweise an der Grenze liegender Zoll- <strong>und</strong><br />

Übergangsgeme<strong>in</strong>den – so Warnsdorf (Varnsdorf) / Seifhennersdorf, Georgswalde<br />

(Jiříkov) / Ebersbach, Gottesgab (Boží Dar) / Oberwiesenthal, Markt Eisenste<strong>in</strong> (Železná<br />

Ruda) / Bayerisch Eisenste<strong>in</strong> <strong>und</strong> České Velenice / Gmünd –, e<strong>in</strong>e wirkliche<br />

Grenzstadt ist jedoch nicht zu f<strong>in</strong>den. Es gibt ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges städtisches Zentrum, das<br />

an bzw. auf der Grenze liegt. Erst recht gibt es ke<strong>in</strong>e bedeutenderen grenzüberschrei-<br />

62 Exemplarisch hat die regionale Gliederung <strong>im</strong> Rahmen kulturlandschaftlicher Prozesse anhand<br />

verschiedener geographischer Kriterien für das an Sachsen angrenzende Nordböhmen<br />

dargestellt HORST FÖRSTER: Nordböhmen: Raumbewertung <strong>und</strong> Kulturlandschaftsprozesse<br />

1918-1970, Paderborn 1978 (Bochumer geographische Arbeiten, Bd. 11), <strong>in</strong>sb. S. 193 Abb.<br />

41: Kulturlandschaftliche Raumtypen Nordböhmens.<br />

63 Detailliert wird das Zusammenwirken von Wirtschaft, Verkehr <strong>und</strong> Besiedlung <strong>in</strong> den wenig<br />

beachteten tschechoslowakischen wirtschafts- <strong>und</strong> sozialhistorischen Forschungen über<br />

Modellbildungen, Klassifikationen <strong>und</strong> Theorien von Industrieregionen erschlossen. Vgl.<br />

dazu die Arbeiten des Schlesischen <strong>Institut</strong>s <strong>in</strong> Opava, <strong>in</strong>sbesondere die Reihe „Průmyslové<br />

oblasti“ 1 ff. (1967 ff.) bzw. die Unterreihe „Studie k vývoji průmyslových oblastí“ des<br />

„Sborník prací pedagogické fakulty v Ostravě“. Darüber h<strong>in</strong>aus: Vznik a vývoj průmyslová<br />

oblastí. Teorie a metody výzkumu [Entstehung <strong>und</strong> Entwicklung von Industriegebieten.<br />

Theorie <strong>und</strong> Methoden der Forschung], Opava 1967; Metodologické a metodické otázky<br />

výzkumu průmyslových oblastí za kapitalismu [Methodologische <strong>und</strong> methodische Fragen<br />

der Erforschung der Industriegebiete während des Kapitalismus], Opava 1981; JIŘÍ MATĚJ-<br />

ČEK: Pokus o klasifikaci a periodizaci vývoje uhelných a železářských oblastí v českých<br />

zemích do stabilizace jejich odvětvové struktury [Versuch e<strong>in</strong>er Klassifikation <strong>und</strong> Periodisierung<br />

der Entwicklung der Kohlen- <strong>und</strong> Erzreviere <strong>in</strong> den böhmischen Ländern bis zur<br />

Stabilisierung ihrer Branchenstruktur], <strong>in</strong>: Slezský sborník 77 (1979), S. 211-221.<br />

115


tenden Agglomerationen, wie sie sich andernorts <strong>im</strong> Gebiet von Aachen-Maastricht,<br />

<strong>im</strong> Saargebiet oder <strong>im</strong> Dreiländereck Basel-Weil-Lörrach herausgebildet haben.<br />

Wenn man die Bevölkerungsdichte beiderseits der Grenze betrachtet, was bedauerlicherweise<br />

die meisten tschechischen <strong>und</strong> deutschen thematischen Karten aufgr<strong>und</strong><br />

ihrer E<strong>in</strong>schränkung auf das jeweilige Staatsgebiet nicht erlauben, zeigt sich, daß der<br />

direkte böhmische Grenzsaum meist beiderseits bevölkerungsarm war <strong>und</strong> ist. 64 Die<br />

niedrige Siedlungsdichte <strong>in</strong> Grenznähe verh<strong>in</strong>derte zudem e<strong>in</strong> ausgeprägteres System<br />

von Arbeitsmigration <strong>und</strong> Pendlerwesen, was <strong>in</strong>sgesamt e<strong>in</strong>e vergleichsweise schwache<br />

grenzüberschreitende Dynamik bed<strong>in</strong>gte. Selbst <strong>in</strong> Fällen, wo ökonomisch <strong>und</strong><br />

siedlungsmäßig dynamischere Teilregionen bis an die böhmische Grenzl<strong>in</strong>ie heranreichen<br />

– <strong>im</strong> Bereich von Teplitz (Teplice) auf böhmischer Seite oder bei Annaberg-<br />

Buchholz auf sächsischer Seite –, greifen diese dann nicht <strong>in</strong> derselben Qualität über<br />

die Grenze h<strong>in</strong>aus. 65 Das Dichtegefälle an der Grenze ist genau <strong>in</strong> diesen Abschnitten<br />

besonders markant. Die Grenze trennte gerade dort Gebiete unterschiedlichen Verdichtungsgrades.<br />

E<strong>in</strong>e Ausnahme bildet das zeitweise hoch entwickelte Textilgebiet von Rumburg,<br />

Schluckenau <strong>und</strong> Warnsdorf sowie das Industriegebiet von Friedland, die <strong>im</strong> <strong>19.</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert mit den angrenzenden sächsischen Gebieten h<strong>in</strong>sichtlich Bevölkerungsdichte<br />

<strong>und</strong> Wirtschaftsstruktur vergleichbar waren <strong>und</strong> aufgr<strong>und</strong> der traditionell<br />

hohen Quote wechselseitiger Arbeitsmigration grenzüberschreitende E<strong>in</strong>zugsbereiche<br />

aufwiesen. 66 Vor allem „<strong>im</strong> Bereich zwischen Friedland <strong>und</strong> oberer Iser hatte sich auf<br />

der Gr<strong>und</strong>lage e<strong>in</strong>es alten Siedlungsnetzes mit ausgebildeten zentralen Funktionen<br />

seit der 2. Hälfte des <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts e<strong>in</strong> relativ dichtes System kle<strong>in</strong>erer <strong>und</strong> mittlerer<br />

Industriezentren herausgebildet, die <strong>im</strong> engeren Bereich von Neiße <strong>und</strong> oberer Iser<br />

zu e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>dustriellen Verdichtungszone zusammenwuchsen“, die sowohl mit der<br />

Lausitz als auch mit der Reichenberger Industrieregion <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung stand. 67 Diese<br />

grenzüberschreitende sozioökonomische Masse bed<strong>in</strong>gte gerade die grenzgeschichtlich<br />

labile Lage dieser Gebiete <strong>im</strong> frühen <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert. Für die beiden nordböhmischen<br />

grenznahen Verdichtungzonen kommt h<strong>in</strong>zu, daß sie von den nächst gelegenen<br />

böhmischen Siedlungs- <strong>und</strong> Wirtschaftszentren durch bevölkerungsarme <strong>und</strong> wirtschaftlich<br />

schwache Zwischenzonen getrennt waren. 68 Der Zusammenhang zwischen<br />

prekärer territorialer Zugehörigkeit e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong> grenzüberschreitend hoher Bevölkerungskonzentration<br />

<strong>und</strong> besonders entwickelter Wirtschaftsstrukturen sowie e<strong>in</strong>er<br />

Absonderung vom Landes<strong>in</strong>neren durch e<strong>in</strong>e dazwischen liegende schwächere kul-<br />

64 Dies gilt, wie gesagt, auch schon für die Zeit vor der Vertreibung <strong>und</strong> Aussiedlung der<br />

Deutschen, wodurch auf böhmischer Seite das Phänomen aber noch verstärkt wurde. Vgl.<br />

z.B. Atlas Republiky československé (wie Anm. 22), Karte 16 (Hustota obyvatelstva).<br />

65 FÖRSTER: Nordböhmen (wie Anm. 62), S. 179 Abb. 34: Verstädterungszonen Nordböhmens;<br />

S. 182 Abb. 36: Funktionale Siedlungszonen Nordböhmens.<br />

66 Ausführlicher für das Böhmische Niederland FÖRSTER: Nordböhmen (wie Anm. 62), S. 90-<br />

92; JAHN-LANGEN: Das Böhmische Niederland (wie Anm. 33).<br />

67 FÖRSTER: Nordböhmen (wie Anm. 62), S. 93.<br />

68 Ebenda, S. 96-98 mit Abb. 14: Sozioökonomische Raume<strong>in</strong>heiten Nordböhmens vor 1945.<br />

116


turgeographische Zone andererseits trifft gleichermaßen für das Ascher Ländchen, für<br />

das Glatz benachbarte Nachod oder für České Velenice, den ehemaligen Gmünder<br />

Vorort, zu. 69<br />

Es stellt sich daher die Frage, <strong>in</strong>wieweit e<strong>in</strong>e Konzentration von Wirtschaftsgütern,<br />

Bodenschätzen, Verkehrsknotenpunkten, Handels-, Siedlungs- <strong>und</strong> Migrationszentren<br />

an oder auf der Grenze die historische Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit erhöhen, daß e<strong>in</strong>e<br />

Grenze – über längere Zeiten betrachtet – eher zur Instabilität neigt. Auch wenn das<br />

angeführte Beispiel der über Jahrh<strong>und</strong>erte stabilen böhmischen <strong>Grenzen</strong> <strong>und</strong> die Fälle<br />

geplanter <strong>und</strong> realisierter kle<strong>in</strong>räumiger Grenzänderungen diese Überlegung bereits<br />

plausibel ersche<strong>in</strong>en lassen, soll aus dem tschechoslowakischen Bereich noch e<strong>in</strong> anderes<br />

Beispiel kurz vorgestellt werden.<br />

Grenzfluktuation <strong>und</strong> kulturgeographische Verdichtung: das Beispiel Teschen/<br />

Oberschlesien<br />

Das komplexeste Grenzproblem für die drei böhmischen Länder bzw. den westlichen<br />

Teil der Tschechoslowakei war <strong>im</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert die Teschen-Frage. Zwischen<br />

1918 <strong>und</strong> den fünfziger Jahren blieb die Grenzziehung <strong>im</strong> weiteren Oberschlesien mit<br />

den Eckpunkten Ratibor, Bielitz (Bílsko, Bielsko-Biała) <strong>und</strong> Ostrau (Ostrava) zwischen<br />

den Anra<strong>in</strong>erstaaten umstritten. Die Ause<strong>in</strong>andersetzungen um das Gebiet von<br />

Teschen (Těšín, Cieszyn) führte 1919 <strong>und</strong> 1938 zwischen der Tschechoslowakei <strong>und</strong><br />

Polen sogar zu mehreren militärischen Konflikten. Bis heute werden die Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />

um das Teschener Gebiet <strong>in</strong> beiden Staaten, aber auch <strong>in</strong> Deutschland häufig<br />

als vorwiegend nationaler Konflikt <strong>in</strong>terpretiert. Die Historiographie neigt noch<br />

<strong>im</strong>mer dazu, das ethnische, sprachnationale <strong>und</strong> nationalpolitische Bekenntnis der Bevölkerung<br />

<strong>in</strong> diesem mehrsprachigen, multiethnischen <strong>und</strong> mehrkonfessionellen Gebiet<br />

als Angelpunkt des Konflikts <strong>und</strong> als Maßstab für „richtige“ Grenzziehungen anzusehen.<br />

70<br />

Betrachtet man die politische Entwicklung <strong>in</strong> diesem Raum, so ist zu berücksichtigen,<br />

daß Schlesien anders als Böhmen niemals zu e<strong>in</strong>em homogenen Territorialstaat<br />

69 Vgl. u.a. die Karten zur Bevölkerungsdichte <strong>im</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert z.B. <strong>in</strong>: Diercke Weltatlas,<br />

2. Aufl. Braunschweig 1991, S. 71; Atlas Republiky československé (wie Anm. 22), Karte<br />

16 (Hustota obyvatelstva).<br />

70 JAROSLAV VALENTA: Die Teschener Frage <strong>in</strong> der Zwischenkriegszeit 1918-1939, <strong>in</strong>: Polen<br />

<strong>und</strong> die böhmischen Länder <strong>im</strong> <strong>19.</strong> <strong>und</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert, hrsg. von PETER HEUMOS, München<br />

1997 (Bad Wiesseer Tagungen des Collegium Carol<strong>in</strong>um, Bd. 17), S. 129-150, mit<br />

H<strong>in</strong>weisen auf die entsprechend argumentierende tschechische <strong>und</strong> polnische Literatur<br />

DERS.: Česko-Polské vztahy v letech 1918-19<strong>20</strong> a Těšínské Slezsko [Die tschechischpolnischen<br />

Beziehungen <strong>in</strong> den Jahren 1918-19<strong>20</strong> <strong>und</strong> das Teschener Schlesien], Ostrava<br />

1961. – Aus polnischem bzw. aus deutschnationalem Blickw<strong>in</strong>kel folgen dieser Sichtweise<br />

die materialreichen Bände von FRANCISZEK SZYMICZEK: Walka o Śląsk Cieszyński w latach<br />

1914-19<strong>20</strong> [Der Kampf um das Teschener Schlesien <strong>in</strong> den Jahren 1914-19<strong>20</strong>], Katowice<br />

1938, <strong>und</strong> von KURT WITT: Die Teschener Frage, Berl<strong>in</strong> 1935.<br />

117


wurde, sondern daß die Landesstruktur durch die sich behauptenden starken mediären<br />

Herrschaftsebenen von e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>neren gebietsmäßigen Zersplitterung <strong>in</strong> Fürstentümer<br />

<strong>und</strong> M<strong>in</strong>derstandesherrschaften mit zahlreichen Enklaven gekennzeichnet war. Im<br />

österreichischen Herzogtum Teschen, dessen Nordgrenze seit der preußisch-österreichischen<br />

Teilung von 1742 Staatsgrenze war, brach die Grenzfrage 1918 <strong>in</strong> dem<br />

Moment auf, als die Herrschaftskont<strong>in</strong>uität nach e<strong>in</strong>er Phase rasanten wirtschaftlichen<br />

<strong>und</strong> bevölkerungsmäßigen Wachstums <strong>und</strong> Strukturwandels mit der Absetzung der<br />

habsburgischen Seitenl<strong>in</strong>ie <strong>und</strong> dem Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen<br />

Doppelmonarchie endete. Anders als <strong>im</strong> Falle Böhmens wurde damit der ebenfalls<br />

sehr alte <strong>und</strong> über Jahrh<strong>und</strong>erte stabile Grenzverlauf des Herzogtums gr<strong>und</strong>sätzlich <strong>in</strong><br />

Frage gestellt. Direkt nach der Auflösung der Donaumonarchie resultierte aus der polnischen<br />

Besetzung e<strong>in</strong>es Großteils des Gebietes am 5. November 1918 e<strong>in</strong>e Demarkationsl<strong>in</strong>ie,<br />

die ungefähr <strong>in</strong> der Mitte zwischen der alten mährisch-schlesischen Grenze<br />

<strong>und</strong> der Olsa verlief <strong>und</strong> die etwa drei Viertel des alten Herzogtums mit Teschen,<br />

Karw<strong>in</strong> (Karv<strong>in</strong>á), Freistadt (Fryštát) <strong>und</strong> Oderberg ([Nový] Bohumín) unter polnische<br />

Kontrolle brachte. Infolge e<strong>in</strong>es wenige Tage dauernden Krieges <strong>in</strong> den letzten<br />

Januartagen des Jahres 1919, bei dem tschechoslowakische Truppen das Areal bis zur<br />

Weichsel besetzten, kam es am 3. Februar 1919 auf Druck der Alliierten zu e<strong>in</strong>er neuen<br />

Demarkationsl<strong>in</strong>ie, die meist dem Lauf der Olsa folgend das Teschener Herzogtum<br />

<strong>in</strong> ungefähr zwei gleich große Teile zerschnitt.<br />

Die Teschen-Frage galt auf den Pariser Friedensverhandlungen als besonders<br />

schwieriges Thema. Zusätzlich zu den zeitweise realisierten Demarkationsl<strong>in</strong>ien wurden<br />

zahlreiche weitere Grenzl<strong>in</strong>ien erörtert. 71 Zwischen Oktober 1919 <strong>und</strong> Sommer<br />

19<strong>20</strong> bestand e<strong>in</strong>e neutrale Zone, die ungefähr das Gebiet zwischen den beiden Demarkationsl<strong>in</strong>ien<br />

von 1918 <strong>und</strong> 1919 umschloß <strong>und</strong> <strong>im</strong> Süden noch weiter nach Osten<br />

reichte. In diesem Gebiet sollte die dort stationierte alliierte Kontroll- <strong>und</strong> Verwaltungskommission<br />

e<strong>in</strong>e Volksabst<strong>im</strong>mung vorbereiten, zu der es aber nicht kam. Mit<br />

dem Pariser Botschafterbeschluß vom 28. Juli 19<strong>20</strong> wurde e<strong>in</strong>e wiederum leicht modifizierte<br />

Grenzl<strong>in</strong>ie zwischen der Tschechoslowakei <strong>und</strong> Polen vere<strong>in</strong>bart, ohne daß<br />

der Grenzverlauf völkerrechtlich abschließend geregelt worden wäre. Damit fielen<br />

knapp 1300 qkm des ca. 2300 qkm großen böhmisch-schlesischen Herzogtums an die<br />

ČSR. Auch wenn der vere<strong>in</strong>barte Grenzverlauf bis 1938 unverändert blieb, wurde er<br />

von beiden Staaten formal nicht bestätigt. Die <strong>im</strong> Oktober 1938 von polnischer Seite<br />

erfolgte Okkupation führte wiederum zu e<strong>in</strong>er neuen Grenzl<strong>in</strong>ie, die Oderberg e<strong>in</strong>schließend<br />

zum Teil noch westlich der ersten Demarkationsl<strong>in</strong>ie vom November 1918<br />

verlief. 72 Während des Krieges gab es wiederholt Vorstöße zu e<strong>in</strong>er erneuten Neu-<br />

71 PERMAN (wie Anm. 8), S. 228-275: The Teschen Dispute; The Unf<strong>in</strong>ished Bus<strong>in</strong>ess. – JU-<br />

LES LAROCHE: La question de Teschen devant la conférence de la Paix 1919-19<strong>20</strong>, <strong>in</strong>: Revue<br />

d'histoire diplomatique 62 (1948), S. 8-27.<br />

72 Die zahlreichen Grenzl<strong>in</strong>ien zwischen 1918 <strong>und</strong> 1945 f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>er Karte vollständig<br />

verzeichnet. Am <strong>in</strong>formativsten ALFRED BOHMANN: Die tschechoslowakischen Gebietsabtretungen<br />

an Polen <strong>und</strong> Ungarn 1938/39, <strong>in</strong>: ZfO <strong>20</strong> (1971), S. 465-496, hier S. 474<br />

<strong>und</strong> Karte 2: „Das Olsa-Gebiet“ zwischen S. 474/475; KLIMKO (wie Anm. 8), S. 34-39,<br />

118


gliederung des Ostrau-Karw<strong>in</strong>er Reviers. 73 Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde<br />

der Grenzverlauf von 1921 <strong>in</strong> den polnisch-tschechoslowakischen Abkommen von<br />

1947 bzw. 1958 def<strong>in</strong>itiv anerkannt. 74<br />

Im Zusammenhang mit dem tschechischen Anspruch auf das Teschener Gebiet<br />

standen 1919 Forderungen nach dem Anschluß des oberschlesischen Gebietes um Ratibor<br />

an die ČSR. 75 Obwohl die Pariser Friedenskonferenzen diesen Anspruch <strong>in</strong>sgesamt<br />

verwarfen, wechselte aufgr<strong>und</strong> des Versailler Friedensvertrags mit dem Hultsch<strong>in</strong>er<br />

Ländchen (Hlučínsko), das <strong>in</strong> früheren Zeiten zum Fürstentum Troppau gehört<br />

hatte, e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Teil des geforderten Gebiets <strong>im</strong> Januar 19<strong>20</strong> von Deutschland<br />

an die Tschechoslowakei. 76 Mit mehr als 300 qkm war das Hultsch<strong>in</strong>er Ländchen, das<br />

von den Städten Troppau (Opava), Ostrau <strong>und</strong> Oderberg begrenzt wurde, etwa doppelt<br />

so groß wie die beiden anderen, zuvor nicht zu den böhmischen Ländern gehörenden<br />

Gebietsanschlüsse von 1919/<strong>20</strong> zusammen, die von Niederösterreich abgetrennten<br />

Gebiete um České Velenice <strong>und</strong> um Feldsberg. 1938 wurde das Hultsch<strong>in</strong>er<br />

Gebiet an Preußen zurückgegliedert, 1945 dann der Grenzverlauf von 19<strong>20</strong> wieder<br />

hergestellt.<br />

Karte S. 151; OTAKAR KÁŇA, RYSZARD PAVELKA: Těšínsko v polsko-československých<br />

vztazích 1918-1939 [Das Teschner Gebiet <strong>in</strong> den polnisch-tschechoslowakischen Beziehungen<br />

1918-1939], Ostrava 1970, <strong>in</strong>sb. Karte zwischen S. 240/241; JAROSLAV VALENTA:<br />

Vyvrcholení národně osvobozeneckého hnutí a utvoření samostatných států (1918-19<strong>20</strong>)<br />

[Der Höhepunkt der nationalen Befreiungsbewegung <strong>und</strong> die Bildung unabhängiger Staaten<br />

(1918-19<strong>20</strong>)], <strong>in</strong>: Češi a Poláci v m<strong>in</strong>ulosti [Tschechen <strong>und</strong> Polen <strong>in</strong> der Vergangenheit],<br />

Bd. 2, hrsg. von VÁCLAV ŽÁČEK, Praha 1967, S. 431-480, Karte zwischen S.<br />

432/433. – Vgl. auch Mémoire No. 4: Le problème de la Silésie de Teschen <strong>und</strong> No 4a:<br />

Memorandum sur la situation en Silésie, <strong>in</strong>: Die tschechoslowakischen Denkschriften (wie<br />

Anm. 7), S. 110-157; WITT (wie Anm. 70), pass<strong>im</strong> <strong>und</strong> Karte S. 174 [dort fehlerhaft „Demarkationsl<strong>in</strong>ie<br />

vom 5. Sept. 1918“ statt 5. Nov. 1918].<br />

73 Dazu auch neuerd<strong>in</strong>gs RALF GEBEL: „He<strong>im</strong> <strong>in</strong>s Reich“. Konrad Henle<strong>in</strong> <strong>und</strong> der Reichsgau<br />

Sudetenland 1938-1945, München 1999 (Veröffentlichungen des Collegium Carol<strong>in</strong>um,<br />

Bd. 83), S. 338 f.; VOLKER ZIMMERMANN: Die Sudetendeutschen <strong>im</strong> NS-Staat. Politik <strong>und</strong><br />

St<strong>im</strong>mung der Bevölkerung <strong>im</strong> Reichsgau Sudetenland (1938-1945), Essen 1999 (Veröffentlichungen<br />

der Deutsch-Tschechischen <strong>und</strong> Deutsch-Slowakischen Historikerkommission,<br />

Bd. 9), S. 285-287.<br />

74 VALENTA: Die Teschener Frage (wie Anm. 70), S. 150; DUŠAN JANÁK: Spor o slezské pohraničí<br />

v letech 1945-1947 [Der Streit um das schlesische Grenzgebiet <strong>in</strong> den Jahren 1945-<br />

1947], <strong>in</strong>: Střední Evropa 8 (1993), Nr. 27, S. 79-84.<br />

75 Vgl. auch Mémoire No. 8: La Haute Silesie Tchéque (Région de Ratibor), <strong>in</strong>: Die tschechoslowakischen<br />

Denkschriften (wie Anm. 7), S. 256-265.<br />

76 Aus deutscher <strong>und</strong> tschechischer Sicht mit Rechtfertigungscharakter: Das Hultsch<strong>in</strong>er<br />

Ländchen <strong>im</strong> Versailler Friedensvertrag, hrsg. von EBERHARD BOLLACHER, Stuttgart 1930;<br />

JAROSLAV VALENTA: Přípojení Hlučínska k Československé republice [Die Angliederung<br />

des Hultsch<strong>in</strong>er Ländchens an die Tschechoslowakei], <strong>in</strong>: Slezský sborník 58 (1960), S. 1-<br />

18.<br />

119


Sowohl <strong>im</strong> Teschener als auch <strong>im</strong> Hultsch<strong>in</strong>er Gebiet kam es zu völlig neuen<br />

Grenzziehungen. 77 In beiden Fällen hatten zudem für Jahrh<strong>und</strong>erte die politische <strong>und</strong><br />

die kirchliche Zugehörigkeit nicht übere<strong>in</strong>gest<strong>im</strong>mt. Das seit der Mitte des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

preußisch-schlesische Hultsch<strong>in</strong>er Ländchen hatte stets zur mährischen Diözese<br />

Olmütz gehört, während Teschen dem Bistum Breslau zugeordnet gewesen<br />

war. Erst 1972 sollte e<strong>in</strong>e kirchliche Gebietsreform Diözesan- <strong>und</strong> Staatsgrenzen <strong>in</strong><br />

Oberschlesien zur Deckung br<strong>in</strong>gen. Obwohl <strong>in</strong> den Ause<strong>in</strong>andersetzungen um die<br />

Gebiete von Teschen, Ostrau <strong>und</strong> Ratibor zwischen 1918 <strong>und</strong> 1947 von verschiedenen<br />

Seiten ethnographische <strong>und</strong> sprachlich-nationale Argumente <strong>in</strong>s Feld geführt <strong>und</strong><br />

mehrfach Volksabst<strong>im</strong>mungen vorgesehen wurden, läßt sich pr<strong>in</strong>zipiell ke<strong>in</strong>er der<br />

vorgeschlagenen oder realisierten Grenzverläufe mit den L<strong>in</strong>ien von Sprachen- <strong>und</strong><br />

Nationalitätenkarten <strong>in</strong> Übere<strong>in</strong>st<strong>im</strong>mung br<strong>in</strong>gen. 78 Kompliziert wurde die Angelegenheit<br />

dadurch, daß <strong>in</strong> dem mehrsprachigen Gebiet neben den drei Nationalsprachen<br />

Tschechisch, Deutsch <strong>und</strong> Polnisch mit dem „wasserpolakisch“ genannten Schlonsakischen<br />

<strong>und</strong> mit dem Hultsch<strong>in</strong>er Mährischen noch besondere Mischdialekte mit eigenständigen<br />

politischen Identitätsmustern verbreitet waren.<br />

Wesentlicher Streitpunkt <strong>in</strong> der Region um Ostrau, Teschen <strong>und</strong> Hultsch<strong>in</strong> waren<br />

seit 1918 die wirtschaftlichen <strong>und</strong> verkehrstechnischen Gegebenheiten. Vor allem das<br />

Gebiet zwischen Oderberg, Ostrau <strong>und</strong> der Olsa, das sogenannte Ostrau-Karw<strong>in</strong>er-<br />

Revier, war von Kohle <strong>und</strong> Stahl sowie dem Schnittpunkt europäischer Fernverkehrswege<br />

geprägt. Seit dem frühen <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>ert war es <strong>in</strong> dieser zuvor wirtschaftlich<br />

unterdurchschnittlich entwickelten Gegend zu e<strong>in</strong>em geradezu explodierenden<br />

Wirtschaftsaufschwung gekommen. Im Zusammenhang mit den ertragreichen Kohlengruben<br />

war <strong>in</strong> Mährisch Ostrau <strong>und</strong> östlich davon das bedeutendste Montan<strong>in</strong>dustriezentrum<br />

der Habsburgermonarchie entstanden. In Oderberg bestand e<strong>in</strong>er der<br />

größten Verschiebebahnhöfe Europas, <strong>in</strong> dem die Güterverkehrsstrecken von Prag,<br />

Wien bzw. Brünn (Brno), Budapest, Breslau bzw. Berl<strong>in</strong> <strong>und</strong> Krakau bzw. Lemberg<br />

77 Dies bedurfte auch politischer Rechtfertigungen. So nahm der tschechoslowakische Außenm<strong>in</strong>ister<br />

<strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Sammlung außenpolitischer Gr<strong>und</strong>satzerklärungen auch se<strong>in</strong>e parlamentarische<br />

Rede „Boj o Těšínsko: Jak a proč došlo k rozdělení Těšínska“ (Der Kampf ums Teschener<br />

Gebiet: Wie <strong>und</strong> warum es zur Teilung des Teschener Landes kam) vom 4. August<br />

19<strong>20</strong> auf; EDVARD BENEŠ: Problémy nové Evropy a zahraniční politika československá<br />

[Probleme des Neuen Europas <strong>und</strong> die tschechoslowakische Außenpolitik], Praha 1924, S.<br />

61-82. – Dazu u.a. auch KOLOMAN GAJAN: Masaryk, Beneš <strong>und</strong> Kramář <strong>und</strong> ihre E<strong>in</strong>flußnahme<br />

auf die Gestaltung der Friedensverträge, <strong>in</strong>: Versailles – St. Germa<strong>in</strong> – Trianon.<br />

Umbruch <strong>in</strong> Europa vor fünfzig Jahren, hrsg. von KARL BOSL, München, Wien 1971, S.<br />

25-36, hier S. 31 <strong>und</strong> 35.<br />

78 Z.B. auch nicht die auf den Pariser Konferenzen 1919 erörterte Tissi-L<strong>in</strong>ie westlich der Olsa;<br />

WITT (wie Anm. 70), S. 138 <strong>und</strong> Karte S. 174. – Nationale Ansprüche unterstreicht<br />

auch noch nach dem Zweiten Weltkrieg die Schrift von JAN RATIBOŘSKÝ: Češi na Ratibořsku<br />

a Hlubčicku. Hornoslezská Haná [Die Tschechen <strong>im</strong> Gebiet von Ratibor <strong>und</strong> Leobschütz.<br />

Die oberschlesische Hanna], Praha 1946.<br />

1<strong>20</strong>


(L’viv, Lwów) sich kreuzten. 79 Diese nordmährisch-ostschlesische Region entwickelte<br />

sich – nach Wien – zu e<strong>in</strong>em der wichtigsten Migrationszentren <strong>in</strong> der Donaumonarchie,<br />

das vor allem Menschen aus Galizien, aber auch aus Mähren <strong>und</strong> Ungarn anzog.<br />

Diese sozioökonomische <strong>und</strong> kulturlandschaftliche Dynamik <strong>und</strong> die daraus resultierende<br />

grenzüberschreitende Verdichtung – <strong>und</strong> nicht so sehr die Sprachen- oder<br />

Nationalitätenfrage – untergruben die Stabilität der <strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong> dieser Region. Das<br />

verdeutlicht besonders die Tatsache, daß die verschiedenen konzipierten <strong>und</strong> praktizierten<br />

Demarkations- <strong>und</strong> Grenzl<strong>in</strong>ien der Jahre 1918 bis 19<strong>20</strong> bzw. von 1938/39 nur<br />

den an Bodenschätzen, Bevölkerung, Industrie <strong>und</strong> Verkehrswegen stark verdichteten<br />

westlichen bzw. nordwestlichen Teil des alten Herzogtums Teschen <strong>und</strong> des angrenzenden<br />

Ostrauer Gebietes durchschnitten. Der von Landwirtschaft <strong>und</strong> Textil<strong>in</strong>dustrie<br />

geprägte östliche Teil Teschens stand bei Neugliederungsüberlegungen selten zur<br />

Diskussion. 80 Kurzzeitig wurde 1919 sogar erwogen, das Teschener Herzogtum zusammen<br />

mit dem Ostrauer Gebiet politisch zu verselbständigen. 81 Ähnlich der völkerrechtlichen<br />

Anerkennung der luxemburgischen Souveränität 1866, der Sonderstellung<br />

Danzigs nach 19<strong>20</strong> oder des <strong>in</strong>ternationalen Sonderstatuts von Triest 1947 wäre so<br />

e<strong>in</strong>e weitere h<strong>in</strong>sichtlich Bevölkerung <strong>und</strong> Wirtschaft hochverdichtete Region durch<br />

e<strong>in</strong>e völkerrechtliche Verselbständigung den Integrationsbestrebungen zweier bzw.<br />

dreier rivalisierender Anra<strong>in</strong>erstaaten entzogen worden.<br />

In den Ause<strong>in</strong>andersetzungen um die <strong>Grenzen</strong> <strong>im</strong> Teschener <strong>und</strong> <strong>im</strong> oberschlesischen<br />

Bereich g<strong>in</strong>g es letztendlich um die Nutzung <strong>und</strong> Kontrolle von Wirtschaftskraft,<br />

Bevölkerung <strong>und</strong> Verkehrswegen. Ethnographische oder sprachnationale<br />

Aspekte waren nachrangig, fast ohne Bedeutung waren ebenfalls militärisch-strategische,<br />

historische oder naturräumliche Gesichtspunkte. Entscheidend für den 19<strong>20</strong><br />

festgelegten Grenzverlauf war beispielsweise die Absicht, die auf dem l<strong>in</strong>ksseitigen<br />

Olsaufer verlaufende überregionale Bahnl<strong>in</strong>ie, die sogenannte Kaschau-Oderberg-<br />

Bahn, der Tschechoslowakei zuzusprechen, <strong>und</strong> nicht pr<strong>im</strong>är, den Fluß als Trennl<strong>in</strong>ie<br />

zu nutzen. Auch der Anschluß des Hultsch<strong>in</strong>er Ländchens an die ČSR muß <strong>in</strong> diesen<br />

Zusammenhang e<strong>in</strong>geordnet werden, da damit die damals noch nicht erschlossenen<br />

Ausläufer des Ostrau-Karw<strong>in</strong>er-Kohlenreviers westlich der Oder <strong>in</strong> die Industrieregion<br />

<strong>in</strong>tegriert wurden. Außerdem verschob sich damit die Situierung Ostraus von der<br />

79 Vgl. u.a. WITT (wie Anm. 70), S. 61 mit e<strong>in</strong>er Karte zur Schlüsselstellung des Dreiecks von<br />

Teschen-Ostrau-Oderberg <strong>im</strong> ostmitteleuropäischen Eisenbahnsystem.<br />

80 Vgl. Anm. 70. – Karten zur Verdichtung von Besiedlung <strong>und</strong> Bevölkerung zu Bodenschätzen<br />

<strong>und</strong> Industrie u.a. Atlas Republiky československé (wie Anm. 22), Karte 16 (Hustota<br />

obyvatelstva), Karte 7 (Nerostné bohatství) <strong>und</strong> die verschiedenen Industriekarten; SPER-<br />

LING: Tschechoslowakei (wie Anm. 19), S. 105 Abb. 24; S. 253 Abb. 56-58; WITT (wie<br />

Anm. 70), Karten S. 40 <strong>und</strong> 229. – Westschlesien (Tschechoslowakei). E<strong>in</strong>e anthropologische<br />

Studie mit e<strong>in</strong>em Atlas, Bd. 1: ROBERT SOBOTIK: Raum <strong>und</strong> Bevölkerung, Prag 1930.<br />

81 Das ostmährisch-schlesische Industriegebiet (M. Ostrau-Teschen-Bielitz) e<strong>in</strong>e selbständige,<br />

neutrale Republik!, Wien 1919; WITT (wie Anm. 70), S. 128-130; PERMAN (wie Anm.<br />

8), u.a. S. 230 f.<br />

121


alten Grenz- zu e<strong>in</strong>er zentraleren B<strong>in</strong>nenlage. Die dynamische, aber angesichts des<br />

Kohlenabbaus räumlich beengte Agglomeration konnte auf diese Weise ihr H<strong>in</strong>terland<br />

erweitern. Ethnisch-nationale Überlegungen spielten generell nur e<strong>in</strong>e nachgeordnete<br />

Rolle. So wurden mit den Grenzziehungen von Teschen <strong>und</strong> Hultsch<strong>in</strong> dom<strong>in</strong>ant<br />

polnisch- oder deutschsprachige Geme<strong>in</strong>den <strong>in</strong> Grenznähe ebenfalls <strong>in</strong> die<br />

Tschechoslowakei e<strong>in</strong>gegliedert, andererseits verblieben <strong>in</strong> der Gegend von Leobschütz<br />

(Głubczyce, Hlubčice) <strong>und</strong> Ratibor tschechischsprachige Ortschaften bei<br />

Deutschland, wie bei allen Unterschieden <strong>im</strong> Detail die unzähligen Nationalitäten-<br />

<strong>und</strong> Sprachenstatistiken oder entsprechende deutsche, polnische oder tschechische<br />

Karten für diese Region belegen. 82<br />

Das Beispiel der Industrieregion Teschen/Oberschlesien zeigt ebenso wie die gesamte<br />

Entwicklung der böhmischen <strong>Grenzen</strong>, daß allgeme<strong>in</strong>, vor allem aber nach dem<br />

Ersten Weltkrieg die konkreten Grenzfestlegungen allen nationalen <strong>und</strong> ethnischen<br />

Diskursen zum Trotz von ökonomischen <strong>und</strong> verkehrstechnischen Gesichtspunkten<br />

best<strong>im</strong>mt waren. Während die auf politischen <strong>und</strong> nationalen Vorgaben beruhende<br />

Gründung neuer Staaten <strong>und</strong> die Umwandlung von Verwaltungsgrenzen zu Staatsgrenzen<br />

nach 1918 unabhängig von ökonomischen <strong>und</strong> verkehrsgeographischen Kriterien<br />

erfolgte, überwogen bei der kle<strong>in</strong>räumigen Grenzziehung wirtschaftliche <strong>und</strong><br />

kulturgeographische Überlegungen <strong>und</strong> diese setzten sich, quasi kompensatorisch,<br />

gegenüber allen ethnischen <strong>und</strong> sprachnationalen Forderungen durch. Die Breite der<br />

Diskussionen über ethnographische, sprachlich-nationale <strong>und</strong> kulturell-politische Zugehörigkeit<br />

von Bevölkerungsgruppen <strong>und</strong> Landstrichen e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong> die ger<strong>in</strong>ge<br />

allgeme<strong>in</strong>e Aufmerksamkeit für wirtschaftlich-verkehrstechnische Kriterien andererseits<br />

stehen <strong>im</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert damit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em umgekehrten Verhältnis zu ihrer Wirkungskraft<br />

auf Grenzverläufe.<br />

Je schwächer die klassischen kulturgeographischen Faktoren (Siedlungsdichte,<br />

Verkehrsnetz, Bodenschätze <strong>und</strong> Industrie) kle<strong>in</strong>räumlich ausgeprägt waren, um so<br />

eher tendierten – zum<strong>in</strong>dest soweit es sich für die <strong>Grenzen</strong> der böhmischen Länder sagen<br />

läßt – die politisch entscheidenden Kräfte dazu, den bestehenden Grenzverlauf<br />

völlig unverändert zu lassen. 83 Gilt allgeme<strong>in</strong>, daß e<strong>in</strong> Grenzverlauf dann am besten<br />

ist, „wenn er den Lebensansprüchen der Bevölkerung auf beiden Seiten weitestgehend<br />

entspricht“, 84 so boten die <strong>in</strong>sgesamt nur wenig verdichteten Grenzzonen den<br />

82 U.a. RATIBOŘSKÝ (wie Anm. 78); Das Hultsch<strong>in</strong>er Ländchen (wie Anm. 76). – Weitere Literatur<br />

zu den e<strong>in</strong>zelnen Orten siehe: Handbuch der Historischen Stätten. Schlesien (wie<br />

Anm. 29).<br />

83 Auf die grenzformende Kraft von Wirtschaftsräumen wiesen, wenn auch <strong>im</strong> böhmischen<br />

Fall nicht gerade mit überzeugenden Argumenten, bereits OSKAR SCHWARZER / MARKUS<br />

A. DENZEL: Wirtschaftsräume <strong>und</strong> die Entstehung von <strong>Grenzen</strong>. Versuch e<strong>in</strong>es historischsystematischen<br />

Ansatzes, <strong>in</strong>: Sozialwissenschaftliche Informationen <strong>20</strong> (1991), Heft 3, S.<br />

172-178, h<strong>in</strong>.<br />

84 So die Forschung zusammenfassend WILFRIED HELLER: Politische <strong>Grenzen</strong> <strong>und</strong> Grenzräume<br />

aus anthropogeographischer Sicht, <strong>in</strong>: Grenzland. Beiträge zur Geschichte der<br />

deutsch-deutschen Grenze, hrsg. von BERND WEISBROD, Hannover 1993 (Veröffentlichun-<br />

122


eteiligten Akteuren kaum Anlaß, Grenzverschiebungen anzustreben. Andererseits<br />

ließ jede neue Grenzziehung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em hochverdichteten Gebiet Ungleichheiten entstehen,<br />

die zu e<strong>in</strong>em Faktor künftiger Instabilität der Grenze werden konnten. Nachgeordnete<br />

kulturgeographische Elemente wie Mehrheitssprache, nationales Bekenntnis<br />

<strong>und</strong> Konfession waren bei den Grenzziehungen nach dem Ersten Weltkrieg höchstens<br />

von sek<strong>und</strong>ärer Bedeutung. So wurden nach 1918 meist auch nur dort Volksabst<strong>im</strong>mungen<br />

erwogen, wo e<strong>in</strong>e Neugliederung angesichts der Wirtschaftsstruktur <strong>und</strong> der<br />

Verkehrsverb<strong>in</strong>dungen s<strong>in</strong>nvoll erschien. Aus diesem Gr<strong>und</strong>e wurden bei den Pariser<br />

Friedenskonferenzen beispielsweise nur für den Rumburger <strong>und</strong> Friedländer Grenzzipfel<br />

<strong>und</strong> für oberschlesische Gebiete, aber nicht für andere deutschsprachige Gebiete<br />

Böhmens Abst<strong>im</strong>mungen der Bevölkerung über e<strong>in</strong>en Gebietswechsel vorgeschlagen.<br />

Die Praktikabilität ethnischer <strong>Grenzen</strong> <strong>und</strong> ihre Problematik <strong>im</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

Im <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert ist zwe<strong>im</strong>al mit mehr oder weniger revolutionärem Anspruch der<br />

Versuch unternommen worden, Böhmen bzw. die böhmischen Länder durch völlig<br />

neue politische <strong>Grenzen</strong> aufzugliedern. Unter Berufung auf e<strong>in</strong>e angeblich unvermeidliche<br />

sprachliche <strong>und</strong> nationale Separierung der Bevölkerung <strong>und</strong> auf seit der<br />

Frühneuzeit verbreitete Vorstellungen von der notwendigen nationalen Homogenität<br />

e<strong>in</strong>es Staates wurde versucht, <strong>im</strong> Innern des alten böhmischen Herrschaftsgebiets<br />

neue Staats- bzw. Verwaltungsgrenzen zu errichten.<br />

In der Umbruchsituation am Kriegsende <strong>im</strong> Oktober <strong>und</strong> November 1918 ließ der<br />

Zerfall der Habsburgermonarchie e<strong>in</strong>e Teilung Böhmens, Mährens <strong>und</strong> Österreichisch<br />

Schlesiens zwischen den neuen Staaten Deutsch-Österreich <strong>und</strong> Tschechoslowakei<br />

kurzfristig möglich ersche<strong>in</strong>en. Doch vermochten die ad hoc gebildeten österreichischen<br />

bzw. deutschösterreichischen Landesregierungen von Deutschböhmen <strong>und</strong> Sudetenland<br />

<strong>und</strong> die neuen Regionalverwaltungen Böhmerwaldgau <strong>und</strong> Deutsch-<br />

Südmähren, die jeweils alle deutschsprachigen Geme<strong>in</strong>den zusammenfassen sollten,<br />

es nicht, zwischen Oktober <strong>und</strong> Dezember e<strong>in</strong>e geschlossene Territorialgewalt aufzubauen.<br />

Mehrere Anläufe Mitte November 1918, zwischen den sich zu Deutsch-<br />

Österreich bekennenden Geme<strong>in</strong>den <strong>und</strong> den von der tschechoslowakischen Regierung<br />

<strong>in</strong> Prag kontrollierten Gebieten e<strong>in</strong>e Demarkationsl<strong>in</strong>ie festzulegen, scheiterten.<br />

Ebenso wenig fand die Schaffung neuer deutschösterreichischer Prov<strong>in</strong>zen <strong>in</strong>ternationale<br />

Anerkennung, <strong>und</strong> selbst die Republik Österreich sollte bald die Unterstützung<br />

derartiger Bestrebungen e<strong>in</strong>stellen.<br />

Die territoriale Abgrenzung erfolgte dabei alle<strong>in</strong> durch die Entscheidung der Lokalverwaltungen<br />

bzw. auf der Ebene der Gerichtsbezirke. Zur Ausbildung e<strong>in</strong>er faktischen<br />

Grenzl<strong>in</strong>ie kam es daher nicht, zumal <strong>in</strong> manchen Geme<strong>in</strong>den neben <strong>und</strong> zu-<br />

gen der Historischen Kommission für Niedersachsen <strong>und</strong> Bremen, Bd. 38/9), S. 173-194,<br />

hier S. 174.<br />

123


sammen mit der deutschen Verwaltung e<strong>in</strong> tschechischer Nationalausschuß tätig war.<br />

Die sozialen, wirtschaftlichen <strong>und</strong> verkehrstechnischen Probleme (he<strong>im</strong>kehrende Soldaten,<br />

die zusammengebrochene Lebensmittel- <strong>und</strong> Brennstoffversorgung) ließen außerdem<br />

e<strong>in</strong>e überlokale Tätigkeit nach anderen als nationalen Kriterien vordr<strong>in</strong>glich<br />

werden, so daß auf den mittleren <strong>und</strong> unteren Verwaltungsebenen die Überschneidungen<br />

<strong>und</strong> Verknüpfungen, pragmatischen Verb<strong>in</strong>dungen <strong>und</strong> Verhandlungen gegenüber<br />

territorialen Separierungsbestrebungen überwogen. Bemerkenswert ist zudem,<br />

daß die nach Wien orientierten deutschen Landesregierungen die zwischen<br />

Deutschland <strong>und</strong> den böhmischen Ländern bestehenden <strong>Grenzen</strong> nicht <strong>in</strong> Frage stellten,<br />

sondern e<strong>in</strong>e Auflösung dieser Außengrenzen nur <strong>im</strong> Rahmen e<strong>in</strong>es Anschlusses<br />

Deutschösterreichs an das Deutsche Reich <strong>in</strong> Betracht kommen sollte. Das E<strong>in</strong>rücken<br />

tschechoslowakischer Verbände beendete das nicht e<strong>in</strong>mal zwei Monate dauernde Intermezzo<br />

<strong>und</strong> führte bereits <strong>im</strong> Dezember 1918 <strong>und</strong> Januar 1919 dazu, daß der Wirkungsbereich<br />

der zentralen Prager Verwaltungsstellen wieder bis zu den böhmischen<br />

<strong>und</strong> mährischen Landesgrenzen reichte. 85<br />

Ausgangspunkt für die seit Ende des <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts von deutschböhmischer Seite<br />

angestrebte Teilung Böhmens bzw. der böhmischen Länder war das nationale Paradigma.<br />

Dieses <strong>in</strong> verschiedenen Varianten e<strong>in</strong>es durch Sprache, Abstammung <strong>und</strong><br />

Tradition def<strong>in</strong>ierten Volksverständnisses hatte das politische Denken der bürgerlichen<br />

Eliten <strong>und</strong> dann der breiteren Öffentlichkeit während der Regierungszeit Kaiser<br />

Franz Josephs zunehmend best<strong>im</strong>mt. Bereits František Palacký <strong>und</strong> Adolf Fischhof<br />

hatten auf dem Kremsierer Reichstag 1848/49 die territoriale Aufteilung der Habsburgermonarchie<br />

– <strong>und</strong> damit auch der böhmischen Länder – nach Volksstämmen angeregt,<br />

ohne dabei genaue Grenzl<strong>in</strong>ien vorzuschlagen oder Kriterien für die konkrete<br />

Festlegung solcher Grenzl<strong>in</strong>ien anzugeben. Andere Theoretiker der Nationalitätenfrage<br />

folgten ihnen dar<strong>in</strong> bis zum Ende der Donaumonarchie. 86 In den neunziger Jahren<br />

begannen Politiker <strong>und</strong> Statistiker <strong>im</strong> Zusammenhang mit Plänen für e<strong>in</strong>en deutschtschechischen<br />

„böhmischen Ausgleich“ auf der Gr<strong>und</strong>lage der Volkszählungen für<br />

Böhmen konkrete Abgrenzungen auf der Ebene der Gerichtsbezirke bzw. e<strong>in</strong>zelner<br />

Geme<strong>in</strong>den auszuarbeiten. Diese kamen dann bei der nationalen Abgrenzung der<br />

böhmischen Reichsratswahlkreise von 1906 zur Anwendung. Diese Aufteilung schuf<br />

jedoch ke<strong>in</strong> durch e<strong>in</strong>e Grenzl<strong>in</strong>ie abgeschlossenes Territorium, sondern ordnete auch<br />

räumlich nicht ane<strong>in</strong>ander grenzende Geme<strong>in</strong>den demselben Wahlkreis zu, teilte Geme<strong>in</strong>den<br />

<strong>und</strong> Geme<strong>in</strong>deteile, wenn sich lokale M<strong>in</strong>derheiten <strong>in</strong> best<strong>im</strong>mten Stadtvierteln<br />

konzentrierten, <strong>und</strong> konnte aufgr<strong>und</strong> der Unterscheidung von städtischen <strong>und</strong><br />

85 HANNS HAAS: Die deutsch-böhmische Frage 1918–1919 <strong>und</strong> das österreichisch-tschechoslowakische<br />

Verhältnis, <strong>in</strong>: Bohemia 13 (1972), S. 336-383; DERS.: Österreich-Ungarn als<br />

Friedensproblem. Aspekte der Friedensregelung auf dem Gebiet der Habsburgermonarchie<br />

<strong>in</strong> den Jahren 1918-1918, 2 Bde., Masch. Diss. Salzburg 1968.<br />

86 Vgl. u.a. dazu das umfangreiche Material bei ROBERT A. KANN: Das Nationalitätenproblem<br />

der Habsburgermonarchie. Geschichte <strong>und</strong> Ideengehalt der nationalen Bestrebungen<br />

vom Vormärz bis zur Auflösung des Reiches <strong>im</strong> Jahre 1918, 2 Bde., 2. Aufl. Graz, Köln<br />

1964.<br />

124


ländlichen Wahlkreisen auch problemlos städtische oder dörfliche Sprach<strong>in</strong>seln <strong>in</strong> national<br />

e<strong>in</strong>heitliche Wahlkreise e<strong>in</strong>beziehen. 87<br />

Während die tschechische Politik <strong>im</strong> <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>ert durch die Verb<strong>in</strong>dung des<br />

Naturrechts mit der Konzeption des Böhmischen Staatsrechts e<strong>in</strong>en nationalen Anspruch<br />

auf das gesamte Territorium der böhmischen Länder entwickelt hatte, propagierten<br />

deutschböhmische Gruppierungen um 1900 den nationalen Gedanken radikaler.<br />

Sie strebten <strong>im</strong> Interesse e<strong>in</strong>es Gesamt- oder Alldeutschtums danach, die alten<br />

staatlich-adm<strong>in</strong>istrativen <strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong>nerhalb der Donaumonarchie, aber auch die<br />

<strong>Grenzen</strong> zwischen Österreich-Ungarn <strong>und</strong> Deutschland, durch Staatsgrenzen entlang<br />

der Sprachgrenze zu ersetzen, um e<strong>in</strong>en ungeteilten großen <strong>in</strong>tegralen Nationalstaat<br />

zu schaffen. 88 Hatte um 1848 die großdeutsche Konzeption die böhmischen Länder<br />

noch als Ganzes Deutschland zugeordnet, so dachten Deutschnationale um 1900 an<br />

e<strong>in</strong>e neue Grenze, die ethnisch-nationale <strong>und</strong> politische Territorien zur Deckung br<strong>in</strong>gen<br />

sollte. <strong>Grenzen</strong> <strong>und</strong> ihr Verlauf wurden mit diesen Vorstellungen von e<strong>in</strong>em ethnisch<br />

homogenen Nationalstaat zu e<strong>in</strong>er politisch-ideologischen Frage.<br />

Gr<strong>und</strong>lage für diese Positionen e<strong>in</strong>es <strong>in</strong>tegralen Nationalstaates war e<strong>in</strong> Wandel<br />

<strong>im</strong> politischen, nationalen <strong>und</strong> geographischen Denken seit der historischen Sattelzeit<br />

des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts. Bis <strong>in</strong>s späte <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>ert wurde e<strong>in</strong>e sprachlich oder ethnisch<br />

nationale Beschreibung stets nur auf Personen <strong>und</strong> <strong>Institut</strong>ionen bezogen. Erst<br />

seit der zweiten Hälfte des <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts wurden Sprache bzw. Volkszugehörigkeit<br />

<strong>und</strong> Territorium bzw. Fläche <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Zusammenhang zue<strong>in</strong>ander gesetzt. Die Vorstellung,<br />

daß zwischen e<strong>in</strong>er Sprache <strong>und</strong> e<strong>in</strong>em abgrenzbaren Gebiet e<strong>in</strong>e pr<strong>in</strong>zipielle<br />

Verknüpfung bestehen könnte, war dem Europa des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts noch fremd. Die<br />

Sprache bzw. Nationalität der Bevölkerung <strong>und</strong> ihre räumliche Verteilung wurden<br />

zwar seit der Mitte des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts <strong>im</strong> Rahmen der Kameralistik <strong>und</strong> der aufblühenden<br />

Statistik systematischer erfaßt, die räumliche Veranschaulichung durch entsprechende<br />

thematische Karten erfolgte aber erst gut e<strong>in</strong> Jahrh<strong>und</strong>ert später. Infolge<br />

der kulturellen <strong>und</strong> nationalpolitischen Romantik <strong>und</strong> der sich entwickelnden Sprachen-<br />

<strong>und</strong> Nationalitätenkartographie kamen seit den vierziger Jahren des <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

räumlich-flächige geographische Darstellungen von sprachlich def<strong>in</strong>ierten<br />

Gebieten zum Durchbruch. 89<br />

87 HEINRICH RAUCHBERG: Der nationale Besitzstand <strong>in</strong> Böhmen, 3 Bde., Leipzig 1905; DERS.:<br />

Die statistischen Unterlagen der österreichischen Wahlreform, <strong>in</strong>: Statistische Monatschrift<br />

N.F. 12 (1907), S. 229-269 <strong>und</strong> 296-319; auch als Separatum: Brünn 1907; OSKAR LENZ:<br />

E<strong>in</strong>e neue Sprachenkarte von Böhmen, <strong>in</strong>: Deutsche Arbeit 4 (1905), S. 407-409; SUZANNE<br />

G. KONIRSH: The Struggle for Power between Germans and Czechs, 1907-1911, Diss.<br />

Stanford 1952, S. 495-497.<br />

88 Z.B. die Arbeit des von Vertretern der deutschen Schutzvere<strong>in</strong>e getragenen „Zweiteilungsausschusses“<br />

für Böhmen; HARALD BACHMANN: Der deutsche Volksrat für Böhmen <strong>und</strong><br />

die deutschböhmische Parteipolitik, <strong>in</strong>: ZfO 14 (1965), S. 266-294, hier 284 f.<br />

89 In diesem S<strong>in</strong>ne auch für Westeuropa D. NORDMAN: Überlegungen zum Begriff der Grenze<br />

<strong>in</strong> Frankreich vom 16. bis zum Beg<strong>in</strong>n des <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts (Sektion „Grenzüberschreitungen<br />

<strong>und</strong> die Machbarkeit des Raums, 1500-1900“), <strong>in</strong>: Bericht über die 39. Versammlung<br />

deutscher Historiker <strong>in</strong> Hannover 23. bis 26. September 1992, Stuttgart 1994, S. 132-133. –<br />

125


Karten des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts zeigten <strong>im</strong> Pr<strong>in</strong>zip ke<strong>in</strong>e nationalen, ethnischen oder<br />

volksk<strong>und</strong>lichen Aspekte, sondern konzentrierten sich auf adm<strong>in</strong>istrative <strong>Grenzen</strong> der<br />

politischen oder kirchlichen Verwaltungse<strong>in</strong>heiten. Noch <strong>im</strong> Vormärz standen dem<br />

„gebildeten“ Durchschnittsbewohner der böhmischen Länder die verwaltungsmäßige<br />

Unterteilung <strong>und</strong> die Diözesangrenzen se<strong>in</strong>es Landes eher vor Augen als nationale<br />

Grenzl<strong>in</strong>ien. Erst <strong>in</strong> der Mitte des <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts tauchten Karten auf, welche die<br />

Verbreitung von Sprachen, von ethnischen oder nationalen Gruppen <strong>und</strong> von nationalem<br />

Bekenntnis der Bevölkerung flächig <strong>und</strong> mit e<strong>in</strong>deutigen Begrenzungsl<strong>in</strong>ien darstellten,<br />

zuerst <strong>in</strong> den dreißiger Jahren des <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts für Ungarn 90 <strong>und</strong> e<strong>in</strong> bis<br />

zwei Jahrzehnte später dann auch für Österreich bzw. Böhmen <strong>und</strong> Mähren. 91 Seit den<br />

sechziger Jahren des <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts wurden von Politikern <strong>in</strong> der Habsburgermonarchie<br />

territoriale Herrschaftsansprüche aufgr<strong>und</strong> der sprachlichen oder ethnischen<br />

Besiedlungsverhältnisse erhoben. E<strong>in</strong> derart def<strong>in</strong>iertes nationales Gebiet ließ sich am<br />

besten mit e<strong>in</strong>er Karte <strong>und</strong> flächiger Färbung veranschaulichen. Karten wurden so zu<br />

e<strong>in</strong>em zentralen Faktor <strong>in</strong> den politischen Ause<strong>in</strong>andersetzungen <strong>und</strong> zu e<strong>in</strong>em leicht<br />

e<strong>in</strong>gängigen <strong>und</strong> handhabbaren Element der nationalen Agitation. 92 Die Kartographie<br />

KLAUS FEHN: Territorialatlanten – raumbezogene <strong>und</strong> <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre Gr<strong>und</strong>lagenwerke<br />

der geschichtlichen Landesk<strong>und</strong>e, <strong>in</strong>: Blätter für deutsche Landesgeschichte 127 (1991), S.<br />

19-46, verweist auf Karten aus der Zeit vor 1800, die „Sprachgrenzen“ verzeichneten.<br />

90 JOHANNES DÖRFLINGER: Sprachen- <strong>und</strong> Völkerkarten des mitteleuropäischen Raumes vom<br />

18. Jahrh<strong>und</strong>ert bis <strong>in</strong> die 2. Hälfte des <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts, <strong>in</strong>: 4. Kartographiehistorisches<br />

Colloquium, Karlsruhe 1988, hrsg. von WOLFGANG SCHARFE, HEINZ MUSALL <strong>und</strong> JOA-<br />

CHIM NEUMANN, Berl<strong>in</strong> 1990, S. 183-195; HOLGER FISCHER: Karten zur räumlichen Verteilung<br />

der Nationalitäten <strong>in</strong> Ungarn. Darstellungsmöglichkeiten <strong>und</strong> <strong>Grenzen</strong> ihrer Interpretation<br />

am Beispiel von ungarischen Nationalitätenkarten des <strong>19.</strong> <strong>und</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>erts, <strong>in</strong>:<br />

Aspekte ethnischer Identität, hrsg. von EDGAR HÖSCH <strong>und</strong> GERHARD SEEWANN, München<br />

1991, S. 325-393.<br />

91 Eigenheiten e<strong>in</strong>zelner älterer Karten, die sprachliche Aspekte schematisch abbildeten, können<br />

an dieser Stelle nicht diskutiert werden. – Der französischen Diplomatie lag während<br />

der Revolution von 1848 e<strong>in</strong>e „Carte Ethnographique“ der Donaumonarchie vor; abgedruckt<br />

<strong>in</strong> ERNST BIRKE: Frankreich <strong>und</strong> <strong>Ostmitteleuropa</strong> <strong>im</strong> <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>ert, Köln, Graz<br />

1960, zwischen S. 160-161. – E<strong>in</strong>en kurzen Überblick über die ethnographischen Karten<br />

für Böhmen bis 1900 gibt RAUCHBERG: Der nationale Besitzstand (wie Anm. 87), Bd. 1, S.<br />

45-49. – Nach EVA SEMOTANOVÁ: Thematische Kartographie <strong>in</strong> den böhmischen Ländern<br />

<strong>im</strong> <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>ert, <strong>in</strong>: Prager wirtschafts- <strong>und</strong> sozialhistorische Mitteilungen 3 (1996), S.<br />

37-49, hier S. 37, erschien 1850 die erste Karte, die sich mit Nationalitäten- <strong>und</strong> Sprachenverhältnissen<br />

<strong>in</strong> Mähren beschäftigte. – Zu Karl von Czoernigs Ethnographischer Karte<br />

von 1856 vgl. neuerd<strong>in</strong>gs JOSEF VAŘECKA: A Contemporary Understand<strong>in</strong>g of the National<br />

Question Accord<strong>in</strong>g to the Ethnographische Karte der Oesterreichischen Monarchie Together<br />

with the Current Form of National Self-Identification <strong>in</strong> the Czech Lands, <strong>in</strong>: Samoidentyfikacja<br />

mniejszości narodowych i religijnych w Europie środkowo-wschodniej. Problematyka<br />

atlasowa, Lubl<strong>in</strong> 1998 (Materiały Instytutu Europy środkowo-wschodniej), S.<br />

156-159.<br />

92 FISCHER (wie Anm. 90), S. 333 f. – Auch <strong>in</strong> früheren Zeiten wurde die politische Bedeutung<br />

der Kartographie schon als bedrohlich empf<strong>und</strong>en. So untersagten die egrischen Stän-<br />

126


schuf, wie es e<strong>in</strong> führender Wissenschaftler der Zwischenkriegszeit formulierte, „Belege<br />

für Rechtsansprüche <strong>im</strong> volkspolitischen Kampf“. 93<br />

Den entscheidenden Wandel brachte dabei die rasche Verbreitung von stark vere<strong>in</strong>fachenden,<br />

aber optisch sehr plausiblen Nationalitäten- <strong>und</strong> Sprachenkarten, die<br />

e<strong>in</strong> Gebiet ungeteilt <strong>und</strong> ausdrucksstark e<strong>in</strong>farbig markierten, sobald e<strong>in</strong>e Bevölkerungsgruppe<br />

mehr als 50 Prozent <strong>in</strong> dem jeweiligen Bezirk ausmachte. 94 Die gr<strong>und</strong>sätzliche<br />

Problematik der deutschen wie tschechischen „Volkstumskarten“ liegt dar<strong>in</strong>,<br />

daß sie als thematische Karten je nach Aggregationsebene <strong>und</strong> kartographischer Präsentation<br />

der Ergebnisse der Volkszählungen nach der Umgangssprache zu unterschiedlichen<br />

Ergebnissen kamen. Bereits die zugr<strong>und</strong>eliegende Statistiken s<strong>in</strong>d aufgr<strong>und</strong><br />

der Subjektivität <strong>und</strong> Relativität von Erhebungen zu Mutter-, Umgangs- <strong>und</strong><br />

präferierter Sprache <strong>und</strong> dem problematischen Schluß auf e<strong>in</strong>e damit <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung<br />

stehende nationale oder ethnische Identität unscharf <strong>und</strong> problematisch. Bei der kartographischen<br />

Umsetzung spielt dann vor allem die Größe der räumlichen Gr<strong>und</strong>e<strong>in</strong>heit<br />

e<strong>in</strong>e maßgebliche Rolle. Die Grenzl<strong>in</strong>ie zwischen Sprachgruppen verläuft anders,<br />

je nachdem ob die Nationalitätenverhältnisse auf der Ebene des Politischen Bezirks,<br />

des Gerichtsbezirks, der Geme<strong>in</strong>de oder von Geme<strong>in</strong>deteilen aufgeschlüsselt <strong>und</strong> dargestellt<br />

wurden. H<strong>in</strong>zu kommt, daß die sprachlichen bzw. ethnographischen Verhältnisse<br />

oft nicht sehr differenziert <strong>und</strong> ohne Berücksichtigung der Bevölkerungsdichte<br />

wiedergegeben werden, häufig nationale M<strong>in</strong>derheiten ab e<strong>in</strong>er best<strong>im</strong>mten Größe (<strong>in</strong><br />

der Regel ab <strong>20</strong> Prozent, teilweise aber schon ab 49 Prozent) sogar überhaupt nicht<br />

mehr zur Darstellung kommen. Auf diese Weise wurden gemischtsprachige Gebiete<br />

gerne generalisierend als national homogene Räume der Mehrheitsbevölkerung veranschaulicht<br />

oder zum<strong>in</strong>dest von vielen Betrachtern als solche rezipiert. 95<br />

de Johann Chr. Müller 1714, auch das Egerland <strong>im</strong> Rahmen se<strong>in</strong>er Kartographie Böhmens<br />

zu vermessen <strong>und</strong> zu kartographieren. Erst als vere<strong>in</strong>bart worden war, daß die Karte des<br />

Egerlands <strong>im</strong> Auftrag der Stadt Eger erstellt werde <strong>und</strong> daß die Karte nicht mit den Karten<br />

Böhmens zusammengeb<strong>und</strong>en werden dürfe <strong>und</strong> die Kupferplatten <strong>in</strong> den Besitz der Stadt<br />

Eger übergehen würden, konnte dieses epochale kartographische Unternehmen auch <strong>im</strong><br />

Egerland durchgeführt werden. Vgl. VIKTOR KARELL: Das Egerland <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Weltbäder,<br />

Frankfurt/Ma<strong>in</strong> 1966, S. 55 f.<br />

93 HUGO HASSINGER: Bemerkungen über Entwicklung <strong>und</strong> Methode von Sprachen- <strong>und</strong><br />

Volkstumskarten, <strong>in</strong>: Wissenschaft <strong>im</strong> Volkstumskampf. Festschrift Erich Gierach, hrsg.<br />

von KURT OBERDORFFER, BRUNO SCHIER <strong>und</strong> WILHELM WOSTRY, Reichenberg 1941, S.<br />

47-62, hier S. 47.<br />

94 Das <strong>in</strong> der Fläche größer wirkende Rot oder Schwarz wurde dabei meist für die eigene Nationalität<br />

gewählt, während optisch hellere Farben wie grau, gelb oder grün für die konkurrierende<br />

nationale Gruppe Verwendung fanden.<br />

95 FISCHER (wie Anm. 90), S. 337. – Es wäre e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>teressante Aufgabe, gerade nicht die<br />

Sprachen <strong>und</strong> Nationalitäten, sondern das Element von Mehrsprachigkeit <strong>und</strong> multiethnischer<br />

Mischung <strong>in</strong> den Mittelpunkt e<strong>in</strong>er kartographischen Wiedergabe zu stellen.<br />

E<strong>in</strong>sprachige Gebiete würden dann peripher ersche<strong>in</strong>en, während je nach Vielfalt <strong>und</strong> Grad<br />

der Sprachen <strong>und</strong> Ethnien die gemischten Gebiete besonders betont würden.<br />

127


Nationale <strong>und</strong> sprachliche Trennl<strong>in</strong>ien gibt es nicht <strong>im</strong> Gelände, sondern sie s<strong>in</strong>d<br />

von kartographischen Vorlagen übertragene, <strong>im</strong>ag<strong>in</strong>ierte Territorialvorstellungen. Die<br />

Sprachgrenze ist somit e<strong>in</strong> geographisch relatives Element <strong>und</strong> e<strong>in</strong> räumlich nicht klar<br />

abgrenzbarer kulturgeographischer Faktor. Sprachen- <strong>und</strong> sogenannte Volkstums-<br />

Karten Böhmens trugen aber entscheidend dazu bei, daß sich <strong>im</strong> Bewußtse<strong>in</strong> sowohl<br />

der Politiker als auch der Bevölkerung e<strong>in</strong> vere<strong>in</strong>fachtes geographisches Bild von national<br />

gegliederten, weitgehend homogenen <strong>und</strong> relativ scharf getrennten Gebieten<br />

oder Räumen verbreitete. Die Kartographie wirkte daher nicht nur bei der Diskussion<br />

über Grenzänderungen mit, sondern förderte auch die Entstehung völlig neuer <strong>Grenzen</strong>.<br />

Sie unterstützte seit dem <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>ert vor allem <strong>im</strong> multiethnischen Mittel-<br />

<strong>und</strong> <strong>Ostmitteleuropa</strong> den tiefgreifenden Wandel der Grenzvorstellungen. Die Unzahl<br />

der zwischen 1860 <strong>und</strong> 1940 für den Bereich der böhmischen Länder hergestellten<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong> hoher Auflage verbreiteten Sprachen- <strong>und</strong> Nationalitätenkarten 96 führte zu e<strong>in</strong>er<br />

Marg<strong>in</strong>alisierung der harten Faktoren der Kulturgeographie wie Besiedlungsdichte,<br />

Wirtschafts- <strong>und</strong> Verkehrsstruktur. Unabhängig davon, daß die e<strong>in</strong>zelnen Sprachen-<br />

<strong>und</strong> Nationalitätenkarten unterschiedliche nationale oder ethnische Trennl<strong>in</strong>ien<br />

veranschaulichten, wurden aus ethnischen <strong>und</strong> „Volkstums“-<strong>Grenzen</strong> ideologische<br />

<strong>und</strong> politische Max<strong>im</strong>en.<br />

Erst mit den Diskussionen über Sprachen- <strong>und</strong> Nationalitätengrenzen erhielten<br />

diese Trennl<strong>in</strong>ien e<strong>in</strong>e neue „kulturgeographische“ Qualität <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d politisch relevant<br />

geworden. Auch wenn der <strong>in</strong> der Logik des ethnisch-nationalen Pr<strong>in</strong>zips <strong>und</strong> des<br />

gerade erst se<strong>in</strong>en Siegeszug antretenden „Selbstbest<strong>im</strong>mungsrechts der Nationen“<br />

stehende kurzlebige Versuch, <strong>in</strong> den böhmischen Ländern eigene deutschösterreichische<br />

Prov<strong>in</strong>zen zu schaffen, scheiterte, wirkten die Ideen fort. Daß es „gelang, die öffentlich-rechtlichen<br />

<strong>Grenzen</strong> zu überw<strong>in</strong>den oder doch wenigstens die Sprachgrenze<br />

gleichberechtigt neben den staatlich-territorialen <strong>Grenzen</strong> zur Geltung zu br<strong>in</strong>gen“,<br />

war, wie selbst der sudetendeutsche Historiker Josef Pfitzner 1937 bekannte, nicht nur<br />

e<strong>in</strong> Verdienst des nationalen Strebens, sondern vor allem e<strong>in</strong> Ergebnis der jüngsten<br />

Entwicklungen se<strong>in</strong>er Zeit. 97 Erst seit Mitte der dreißiger Jahre des <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

hatte die Sudetendeutsche Partei unter Konrad Henle<strong>in</strong> den Gedanken e<strong>in</strong>er verwaltungsmäßigen<br />

Trennung der Sprachgruppen <strong>in</strong> den böhmischen Ländern forciert. 98 Sie<br />

konnte sich dabei auf nationale Positionen <strong>in</strong> den böhmischen Ländern <strong>und</strong> auf den<br />

Nationalsozialismus <strong>im</strong> Deutschen Reich stützten. Im Zusammenhang mit der Angliederung<br />

Österreichs an das Deutsche Reich propagierte Henle<strong>in</strong> <strong>im</strong> ersten Halbjahr<br />

96 Vgl. <strong>in</strong>sbesondere den Überblick von HASSINGER (wie Anm. 93) <strong>und</strong>: Volks- <strong>und</strong> Sprachenkarten<br />

Mitteleuropas, Teil III: Sudeten- <strong>und</strong> Karpatenländer. Die Tschechoslowakei <strong>in</strong><br />

ihren <strong>Grenzen</strong> von 1918, bearb. von F. A. DOUBEK, H. HASSINGER, O. A. ISBERT, M.<br />

KLANTE <strong>und</strong> H. ULBRICHT, <strong>in</strong>: Deutsches Archiv für Landes- <strong>und</strong> Volksforschung 2<br />

(1938), S. 963-983.<br />

97 JOSEF PFITZNER: Nationales Erwachen <strong>und</strong> Reifen der Sudetendeutschen, <strong>in</strong>: Das Sudetendeutschtum.<br />

Se<strong>in</strong> Wesen <strong>und</strong> Werden <strong>im</strong> Wandel der Jahrh<strong>und</strong>erte, hrsg. von GUSTAV PIR-<br />

CHAN, WILHELM WEIZSÄCKER <strong>und</strong> HEINZ ZATSCHEK, Brünn 1937, S. 419-447, hier S. 433.<br />

98 GEBEL (wie Anm. 73), S. 83, pass<strong>im</strong>.<br />

128


1938 dann <strong>im</strong> Gleichklang mit Hitler den Anschluß der Gebiete mit sudetendeutscher<br />

Bevölkerung an das Deutsche Reich, wobei umstritten war, welches Mehrheitskriterium<br />

geme<strong>in</strong>t war, auf welche Verwaltungse<strong>in</strong>heit <strong>und</strong> auf welche Volkszählung sich<br />

die statistischen Angaben beziehen sollten. 99<br />

Mit dem Münchener Abkommen, dem deutsch–tschecho-slowakischen Protokoll<br />

über die Demarkation vom <strong>20</strong>. November 1938, dem darauf folgenden Beschluß der<br />

<strong>in</strong> München e<strong>in</strong>gesetzten <strong>in</strong>ternationalen Grenzkommission <strong>und</strong> dem abschließenden<br />

detaillierten Dresdner Grenzziehungsprotokoll vom Januar 1939 entstand schrittweise<br />

die neue Grenzl<strong>in</strong>ie, die nicht mehr als Rektifikation der bis dah<strong>in</strong> bestehenden<br />

Grenzverläufe verstanden werden kann. 100 Diese Grenzfestlegung griff nicht e<strong>in</strong>mal<br />

auf den unteren Ebenen auf bestehende Verwaltungsgrenzen zurück, sondern war <strong>in</strong><br />

jeder H<strong>in</strong>sicht e<strong>in</strong> Novum. H<strong>in</strong>sichtlich der <strong>Grenzen</strong> zu anderen Ländern <strong>und</strong> Gauen<br />

des Großdeutschen Reiches blieben dagegen für den neu geschaffenen Reichsgau Sudetenland<br />

die alten böhmischen <strong>und</strong> österreichisch-schlesischen <strong>Grenzen</strong> als Verwaltungsl<strong>in</strong>ien<br />

unverändert bestehen. Nur <strong>im</strong> südwestlichen Böhmen <strong>und</strong> <strong>in</strong> Südmähren<br />

wurde 1938 die alte Landesgrenze durch den Anschluß der abgetretenen Gebiete an<br />

die Länder Bayerische Ostmark sowie Ober- <strong>und</strong> Niederdonau aufgehoben.<br />

Wenn das nationale Pr<strong>in</strong>zip partiell die Kont<strong>in</strong>uität der historischen Außengrenzen<br />

<strong>und</strong> der territorialen E<strong>in</strong>heit Böhmens durch die Absicht <strong>in</strong> Frage stellte, <strong>im</strong> Inneren<br />

übergeordnete neue, nun nationale <strong>Grenzen</strong> zu ziehen, so läßt sich auch das theoretische<br />

Gegenstück f<strong>in</strong>den. Im Zusammenhang mit der Staatsentstehung der Tschechoslowakei<br />

trat erstmals seit Jahrh<strong>und</strong>erten wieder e<strong>in</strong>e <strong>im</strong>periale böhmische bzw.<br />

tschechoslowakische Komponente auf, die e<strong>in</strong>e Verschiebung der <strong>Grenzen</strong> Böhmens<br />

nach außen propagierte <strong>und</strong> so die bisherige historische Geschlossenheit aufzulösen<br />

beabsichtigte. Von tschechischer Seite wurden seit Beg<strong>in</strong>n des Ersten Weltkrieges als<br />

Reaktion auf großdeutsche Pläne vere<strong>in</strong>zelt Gegenentwürfe e<strong>in</strong>er tschechisch-böh-<br />

99 Hitler forderte z.B. <strong>im</strong> September 1938 das Pr<strong>in</strong>zip der e<strong>in</strong>fachen Mehrheit aufgr<strong>und</strong> des<br />

Bevölkerungsstandes vor 1918. HELMUTH K.G. RÖNNEFARTH: Die Sudetenkrise <strong>in</strong> der <strong>in</strong>ternationalen<br />

Politik. Entstehung, Verlauf, Auswirkung, 2 Bde., Wiesbaden 1961 (Veröffentlichungen<br />

des <strong>Institut</strong>s für Europäische Geschichte Ma<strong>in</strong>z, Bd. 21), Bd. 1, S. 583.<br />

100 THEODORE PROCHÁZKA: The Del<strong>im</strong>itation of Czechoslovak-German Frontiers after Munich,<br />

<strong>in</strong>: Journal of Central European Affairs 21 (1961), S. <strong>20</strong>0-218; ZDENĚK ŠÍPEK: Mnichovská<br />

dohoda a „spory“ o československo-rakouské státní hranici [Das Münchener Abkommen<br />

<strong>und</strong> die Streitigkeiten über die tschechoslowakisch-österreichische Staatsgrenze],<br />

<strong>in</strong>: Sborník pedagogické fakulty Univerzity Karolovy – Historie 1 (1996), S. 113-171 (mit<br />

zahlreichen Detailkarten); VOJTĚCH LAŠTOVKA: Vytyčení západočeské státní hranice pomnichovské<br />

republiky [Das Festlegen der westböhmischen Staatsgrenze der nachmünchner<br />

Republik], <strong>in</strong>: M<strong>in</strong>ulostí západočeského kraje 7 (1970), S. 33-48; HARTMUT SINGBARTL:<br />

Die Durchführung der deutsch-tschechoslowakischen Grenzregelungen von 1938 <strong>in</strong> völkerrechtlicher<br />

<strong>und</strong> staatsrechtlicher Sicht, München 1971 (Veröffentlichungen des Sudetendeutschen<br />

Archivs, Bd. 5), S. 42-44, 57-66, ohne Inhalte <strong>und</strong> Art der Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />

näher zu erläutern. – Die Grenzziehungsarbeiten <strong>im</strong> Gelände wurden von deutscher<br />

Seite bereits seit Ende Januar 1939 verschleppt; RÖNNEFARTH (wie Anm. 99), Bd. I, S.<br />

724.<br />

129


misch nationalen Großraumbildung entwickelt. Politiker wie Karel Kramář <strong>und</strong> Tomáš<br />

Garrigue Masaryk entwarfen schon <strong>in</strong> den ersten Kriegsjahren Karten, nach denen<br />

e<strong>in</strong> tschechischer, tschechoslowakischer bzw. slawischer Staat vor allem das<br />

Glatzer Becken <strong>und</strong> die Gegend von Ratibor, das Gebiet der Lausitzer Sorben, die<br />

Slowakei <strong>und</strong> aufgr<strong>und</strong> dort wohnender Kroaten <strong>und</strong> anderer Slawen e<strong>in</strong>en Teil<br />

Westungarns e<strong>in</strong>beziehen sollte. 101 In reduzierter <strong>und</strong> modifizierter Form flossen diese<br />

Vorstellungen <strong>in</strong> Propagandakarten des Tschechoslowakischen Nationalrates <strong>in</strong> Paris<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong> Karten des tschechoslowakischen Außenm<strong>in</strong>isteriums e<strong>in</strong>, die 1919 bei den<br />

Pariser Friedensverhandlungen vorgelegt wurden. 102<br />

Weit radikalere Pläne propagierten e<strong>in</strong>zelne Publizisten bei Kriegsende. Am bekanntesten<br />

ist die Karte des ehemaligen Militärs Hanuš Kuffner mit e<strong>in</strong>em tschechischen<br />

Max<strong>im</strong>alprogramm, die aber <strong>in</strong> ihrer Bedeutung vielfach überschätzt bzw. von<br />

der Gegenseite mißbraucht <strong>und</strong> hochgespielt wurde. Neben der „Wiedervere<strong>in</strong>igung“<br />

mit Schlesien sah diese Konzeption für die böhmischen Länder e<strong>in</strong> Glacis gegenüber<br />

Deutschland <strong>und</strong> Österreich vor. Kuffner forderte für den neuen Staat e<strong>in</strong>en Grenzverlauf<br />

vom Fuß des Fichtelgebirges über Regensburg (Řezno) <strong>und</strong> der Donau folgend<br />

über Passau (Pasov) <strong>und</strong> L<strong>in</strong>z (L<strong>in</strong>ec), dann teilweise über die Donau nach Süden h<strong>in</strong>ausgreifend<br />

bis Wien (Vídeň) e<strong>in</strong>. 103 Während des Zweiten Weltkrieges wurden <strong>im</strong><br />

tschechischen Widerstand <strong>und</strong> <strong>im</strong> Exil partiell ähnlich ausgreifende territoriale Überlegungen<br />

ventiliert, um künftig e<strong>in</strong>er deutschen Bedrohung besser standhalten zu<br />

können. 104 Andere expansive Nationalisten träumten <strong>im</strong> frühen <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert von<br />

drei tschechoslowakischen „Korridoren“ zu den Südslawen <strong>und</strong> an die Adria unter<br />

E<strong>in</strong>schluß von Wien, zweitens zu den Sorben <strong>und</strong> an der Elbe entlang bis zur Mündung<br />

<strong>in</strong> die Nordsee sowie drittens über die Slowakei nach Rußland. 105<br />

Mit den territorialen Abgrenzungsversuchen Ende 1918 <strong>und</strong> mit der Grenzziehung<br />

von München 1938 e<strong>in</strong>erseits sowie mit den eher vagen tschechischen Großraumuto-<br />

101 Vgl. Anm. 56. – JAN GALANDAUER: Vznik Československé republiky 1918. Programy,<br />

projekty, předpoklady [Die Entstehung der Tschechoslowakischen Republik. Programme,<br />

Projekte, Voraussetzungen], Praha 1988, u.a. S. 146 f. <strong>und</strong> 243.<br />

102 Vgl. KLIMKO (wie Anm. 8), Karte 2, S. 147; PERMAN (wie Anm. 8), Anhang Karte 2 mit<br />

den tschechoslowakischen Gebietsvorstellungen vom 12. März 1919; sowie die Karten <strong>im</strong><br />

Anhang <strong>in</strong>: Die tschechoslowakischen Denkschriften (wie Anm. 7).<br />

103 HANUŠ KUFFNER: Náš stát a světový mír, Praha 1917; dt.: Unser Staat <strong>und</strong> der Weltfrieden,<br />

Warnsdorf 1922; die Karte auch z.B. bei WITT (wie Anm. 70), S. 170. – Zur om<strong>in</strong>ösen Geschichte<br />

dieser Karte <strong>und</strong> ihres Autors RICHARD A. HOFFMANN: Wer war Hanuš Kuffner?<br />

Versuch e<strong>in</strong>er Klärung se<strong>in</strong>es politischen Werdeganges, <strong>in</strong>: Informationsbrief für sudetendeutsche<br />

He<strong>im</strong>atarchive <strong>und</strong> He<strong>im</strong>atmuseen 16 (1978), S. 38-54; HANS LEMBERG: Die<br />

Tschechoslowakei <strong>im</strong> Jahr 1. Der Staatsaufbau, die Liquidierung der Revolution <strong>und</strong> die<br />

Alternativen 1919, <strong>in</strong>: Das Jahr 1919 <strong>in</strong> der Tschechoslowakei <strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong>Ostmitteleuropa</strong>,<br />

hrsg. von DEMS. <strong>und</strong> PETER HEUMOS, München 1993, S. 225-248, hier S. 228 f.<br />

104 BROD (wie Anm. 38), S. 308 Anm. 42.<br />

105 Zu den offiziellen tschechischen politischen Kriegszielen, zu Kuffner <strong>und</strong> anderen obskuren<br />

tschechischen Publizisten vgl. auch HUMMELBERGER (wie Anm. 52), S. 80-87 (<strong>und</strong><br />

dessen Diskussionsbeitrag ebenda, S. 394).<br />

130


pien andererseits standen sich seit dem Ersten Weltkrieg zwei Konzeptionen gegenüber,<br />

die beide nationale Max<strong>im</strong>alprogramme waren <strong>und</strong> die beide mit dem bisherigen<br />

Grenzverständnis brachen. Beide strebten nicht nach Grenzkorrekturen, sondern<br />

trachteten danach, durch e<strong>in</strong>e ethnisch-national oder strategisch begründete <strong>im</strong>periale<br />

Geopolitik die historischen <strong>Grenzen</strong> Böhmens gr<strong>und</strong>sätzlich aufzuheben.<br />

Bemerkenswert ist dabei nicht, daß solche Konzeptionen aufgr<strong>und</strong> historischpolitischer<br />

Konstellationen ke<strong>in</strong>e Chancen auf e<strong>in</strong>e dauerhafte Realisierung hatten,<br />

sondern daß sie alle <strong>im</strong> Detail gar nicht konsequent durchführbar <strong>und</strong> praktikabel waren.<br />

Im Münchener Abkommen fand die Sprachgrenze zwar 1938 ihre politischsymbolische<br />

Verwirklichung. Die dah<strong>in</strong>ter stehende These, die Nationalitätenfrage<br />

lasse sich beispielsweise <strong>im</strong> Bereich der böhmischen Länder territorial abschließend<br />

regeln <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Grenzl<strong>in</strong>ie könne nach rational feststellbaren nationalen, ethnischen<br />

oder sprachlichen Kriterien gezogen werden, wurde jedoch widerlegt. Das Pr<strong>in</strong>zip der<br />

nationalen Selbstbest<strong>im</strong>mung konnte nicht gelöst <strong>und</strong> auch formal nicht vollständig<br />

verwirklicht werden, wie die lokalen Verhältnisse zeigten. Die Grenzziehung <strong>in</strong>folge<br />

des Münchener Abkommens machte gerade nicht e<strong>in</strong>e Sprach- oder Nationalitätengrenze<br />

zur Staatsgrenze. Es blieben nicht nur Sprach<strong>in</strong>seln wie Iglau (Jihlava) <strong>und</strong> die<br />

städtischen M<strong>in</strong>derheiten unberücksichtigt. Vielmehr wurden mehrere h<strong>und</strong>erttausend<br />

Tschechen, die <strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>den ohne deutschsprachige Mehrheit lebten, dem Großdeutschen<br />

Reich e<strong>in</strong>verleibt, <strong>in</strong> besonderer Zahl <strong>im</strong> nordmährisch-westschlesischen Bereich.<br />

106 Selbst entlang der neuen Grenzl<strong>in</strong>ie kamen tschechische Dörfer auf die deutsche<br />

Seite <strong>und</strong> seltener deutsche auf die tschechische.<br />

E<strong>in</strong> Vergleich von Sprachen- <strong>und</strong> Nationalitätenkarten mit den Karten der <strong>Grenzen</strong><br />

der Tschecho-Slowakischen Republik von 1938/39 bzw. des Protektorats „Böhmen<br />

<strong>und</strong> Mähren“ zeigt, daß die Grenze des Münchener Abkommens <strong>im</strong> Detail nicht<br />

der sprachlich-nationalen Siedlungslage folgte, sondern jeweils ökonomisch-verkehrstechnische<br />

Argumente oder e<strong>in</strong>deutige wirtschaftliche Interessen bei den von<br />

deutscher Seite beherrschten Del<strong>im</strong>itationsverhandlungen den Ausschlag gaben. 107<br />

E<strong>in</strong> markantes Beispiel, bei dem die nationalen oder sprachlichen Bevölkerungsverhältnisse<br />

<strong>in</strong> den Geme<strong>in</strong>den völlig ignoriert wurden, ist der nordwestmährisch-ostböhmische<br />

Schönhengstgau <strong>im</strong> Bereich von Zwittau (Svitavy), wo zwei kle<strong>in</strong>ere deutsche<br />

Sprach<strong>in</strong>seln mite<strong>in</strong>ander verb<strong>und</strong>en wurden, <strong>in</strong>dem größere re<strong>in</strong> tschechischsprachige<br />

Gebiete an Deutschland angeschlossen wurden. Auffälligerweise gerade<br />

dort, wo sich die zentralen Bahnl<strong>in</strong>ien von Prag nach Brünn <strong>und</strong> Ostrau verzweigten.<br />

108 Nationale Bed<strong>in</strong>gungen spielten auch ke<strong>in</strong>e Rolle, als das an der Sprachgrenze<br />

106 PROCHÁZKA (wie Anm. 100), S. 211, Anm. 58, mit H<strong>in</strong>weisen auf tschechoslowakische<br />

Quellen. Mit weiterführenden H<strong>in</strong>weisen neuerd<strong>in</strong>gs GEBEL (wie Anm. 73), S. 275-278,<br />

<strong>und</strong> auch die Karte S. 425; ZIMMERMANN (wie Anm. 73), S. 279-281.<br />

107 Pläne für e<strong>in</strong>en mit der neuen Grenzziehung verb<strong>und</strong>enen Bevölkerungsaustausch wurden<br />

nicht verwirklicht. Vgl. BRANDES (wie Anm. 58); HANS LEMBERG: „Ethnische Säuberung“:<br />

E<strong>in</strong> Mittel zur Lösung von Nationalitätenproblemen?, <strong>in</strong>: Aus Politik <strong>und</strong> Zeitgeschichte.<br />

Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament B 46/92 (6. November 1992), S. 27-38.<br />

108 PROCHÁZKA (wie Anm. 100), S. <strong>20</strong>2 f., 211.<br />

131


liegende tschechischsprachige nordmährische Nesselsdorf (Kopřivnice) mit dem<br />

Stammwerk der Automobil-, Waggon- <strong>und</strong> Panzerwerke Tatra <strong>in</strong> das Großdeutsche<br />

Reich <strong>in</strong>tegriert wurde. Zahlreiche weitere Fälle, die Bahnl<strong>in</strong>ien, Kohlengruben <strong>und</strong><br />

Elektrizitätswerke, Masch<strong>in</strong>enfabriken, Ste<strong>in</strong>brüche etc. betrafen, s<strong>in</strong>d für die Gegenden<br />

von Budweis, Taus (Domažlice), Pilsen, Hohenelbe (Vrchlabí) <strong>und</strong> Ostrau belegt.<br />

109 Das Pr<strong>in</strong>zip der nationalen Grenze wurde <strong>im</strong> kle<strong>in</strong>räumlichen Zusammenhang<br />

stets <strong>und</strong> systematisch durch verkehrstechnische, ökonomische oder siedlungsmäßige<br />

Bed<strong>in</strong>gungen gebrochen. 110<br />

Die „Münchner“ Grenze verlief durch nahezu alle bedeutenderen <strong>in</strong>dustriellen Agglomerationsräume<br />

Böhmens. Mit Nordböhmen, aber auch mit den Wirtschaftszentren<br />

von Pilsen, Ostrau oder Brünn waren kulturgeographisch hochverdichtete Regionen<br />

betroffen. Die latente Instabilität e<strong>in</strong>er derartigen Grenzziehung ist durch die sozioökonomische<br />

Natur von Sprachgrenzen bed<strong>in</strong>gt. Auch wenn sich die deutschtschechische<br />

Sprachgrenze <strong>in</strong> weiten Teilen Böhmens vermutlich über Jahrh<strong>und</strong>erte<br />

h<strong>in</strong>weg nur wenig bewegte, so entwickelten die Migrationen gerade <strong>in</strong> <strong>in</strong>dustriell <strong>und</strong><br />

sozioökonomisch aufsteigenden Regionen e<strong>in</strong>e besondere nationale Dynamik. Neuere<br />

Forschungen bestätigen, daß nicht der „Sprachenkampf“ <strong>in</strong> Politik, Publizistik <strong>und</strong><br />

Gesellschaft, sondern vor allem die Wanderungsbewegungen <strong>in</strong> bevölkerungsreichen<br />

Kle<strong>in</strong>regionen an der Sprachgrenze diese L<strong>in</strong>ie veränderten. 111 Wirtschafts- <strong>und</strong> Verkehrszentren<br />

an e<strong>in</strong>er politischen Grenze s<strong>in</strong>d aber, wie bereits ausgeführt, gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

durch die Interessen der beteiligten Herrschaftsgebiete von Rektifikationen bedroht.<br />

Die Probleme der aus zwei unverb<strong>und</strong>enen Teilen bestehenden „künstlichen Region<br />

Sudetenland“ 112 wie auch die engen Verb<strong>in</strong>dungen, die während des Krieges zwi-<br />

109 Ebenda, S. <strong>20</strong>3 <strong>und</strong> 210-214; LAŠŤOVKA (wie Anm. 100), S. 42 f.; JOSEF BARTOŠ: Okupované<br />

pohraničí a české obyvatelstvo 1938-1945 [Die okkupierten Grenzgebiete <strong>und</strong> die<br />

tschechische Bevölkerung 1938-1945], Praha 1978; GEBEL (wie Anm. 74), S. 62 f.<br />

110 Dies widerlegt Bohmanns Behauptung: „Die Sprachengrenze wurde zur Staatsgrenze. Sie<br />

wurde besonders <strong>in</strong> Böhmen mit großer Korrektheit gezogen, ohne Rücksicht auf wirtschaftliche<br />

B<strong>in</strong>dungen <strong>und</strong> Verkehrswege.“ ALFRED BOHMANN: Bevölkerungsbewegungen<br />

<strong>in</strong> Böhmen 1847-1947 mit besonderer Berücksichtigung der Entwicklung der nationalen<br />

Verhältnisse, München 1958 (Wissenschaftliche Materialien zur Landesk<strong>und</strong>e der böhmischen<br />

Länder, Bd. 3), S. 219 f. – Daladier hatte bereits während der Konferenz von München<br />

am 29./30. September 1938 weitreichende Ausnahmen von dem nationalen Pr<strong>in</strong>zip <strong>im</strong><br />

schlesischen Bereich gefordert; RÖNNEFARTH (wie Anm. 99), Bd. 1, S. 661.<br />

111 Material <strong>und</strong> weitere H<strong>in</strong>weise zum Aspekt der Sprachgrenze ausführlich bei VLASTISLAV<br />

HÄUFLER: The Ethnographic Map of the Czech Lands, 1880-1970, Praha 1973 (Rozpravy<br />

čsl. akademie věd - řada matematických a přírodních věd, Heft 83/6); MARK CORNWALL:<br />

The Struggle on the Czech-German Language Border, 1880-1940, <strong>in</strong>: The English Historical<br />

Review 109 (1994), S. 914-951.<br />

112 GEORG R. SCHROUBEK: Die künstliche Region: Beispiel „Sudetenland“, <strong>in</strong>: Regionale Kulturanalyse.<br />

Protokollmanuskript e<strong>in</strong>er wissenschaftlichen Arbeitstagung der Deutschen Gesellschaft<br />

für Volksk<strong>und</strong>e vom 8.-11. Okt. 1978 <strong>in</strong> München, hrsg. von DEMS. <strong>und</strong> HELGE<br />

BERNDT, München 1979, S. 25-29, hier S. 25.<br />

132


schen dem Reichsgau Sudetenland <strong>und</strong> dem Protektorat Böhmen <strong>und</strong> Mähren bestanden,<br />

s<strong>in</strong>d weitere Belege für die absehbare Episodenhaftigkeit der 1938 gezogenen<br />

<strong>Grenzen</strong>. Bereits <strong>im</strong> Sommer 1940 stellten deutsche nationalsozialistische Stellen<br />

fest, daß sich die Festlegungen von 1938 trotz der zahlreichen Ausnahmen aus ökonomischen<br />

<strong>und</strong> verkehrstechnischen Gründen nicht bewährt hätten, da „die deutschtschechische<br />

Volkstumsgrenze <strong>in</strong> den meisten Abschnitten landschaftlich, raumpolitisch,<br />

verkehrsmäßig <strong>und</strong> wirtschaftlich e<strong>in</strong>heitliche Gebiete durchschneidet“. 113 Die<br />

NSDAP <strong>und</strong> e<strong>in</strong>ige Verwaltungsbehörden <strong>und</strong> Dienststellen g<strong>in</strong>gen frühzeitig davon<br />

aus, daß die Zweiteilung der böhmischen Länder von 1938/39 nur e<strong>in</strong>e Übergangsersche<strong>in</strong>ung<br />

se<strong>in</strong> werde. 114 Sowohl die Parteigaue der NSDAP als auch die Wehrersatzbezirke<br />

oder die Zuständigkeitsbereiche der Reichsbahndirektionen ignorierten die<br />

1938/39 geschaffene Verwaltungsgliederung. 115 Allgeme<strong>in</strong> wurde erwartet, daß nach<br />

Kriegsende e<strong>in</strong>e Neugliederung der böhmischen Länder erfolgen werde. Die „Münchner“<br />

Grenze blieb unabhängig davon e<strong>in</strong>e kurze Episode. 1945 erlangten die historischen<br />

Landesgrenzen als <strong>Grenzen</strong> der erneuerten Tschechoslowakei wieder Gültigkeit.<br />

Zusammenfassung<br />

Böhmen wird nicht nur von Geographen aufgr<strong>und</strong> se<strong>in</strong>er Zentralität durchgängig als<br />

„natürliche“ E<strong>in</strong>heit, als kont<strong>in</strong>uierliche historisch-politische Individualität gesehen,<br />

die es geschlossen zu verwalten, zu beherrschen <strong>und</strong> gegebenenfalls als Ganzes zu<br />

erobern <strong>und</strong> zu besetzen gelte. 116 Trotz des Münchener Abkommens zweifelten selbst<br />

NSDAP-Institionen nicht gr<strong>und</strong>sätzlich daran, daß die räumliche E<strong>in</strong>heit Böhmens,<br />

113 Zitiert nach GEBEL (wie Anm. 73), S. 337; ähnlich S. 343; auch bei ZIMMERMANN (wie<br />

Anm. 73), S. 285.<br />

114 DETLEF BRANDES: Die Tschechen unter deutschem Protektorat, Teil 1: Besatzungspolitik,<br />

Kollaboration <strong>und</strong> Widerstand <strong>im</strong> Protektorat Böhmen <strong>und</strong> Mähren bis Heydrichs Tod<br />

(1939-1942), München 1969, S. 32-37, 133 f. <strong>und</strong> 222; ZIMMERMANN (wie Anm. 73), S.<br />

159 f.; GEBEL (wie Anm. 73), S. 330 f.<br />

115 Dazu auch EDGAR PSCHEIDT: Der „Sudetenatlas“ – e<strong>in</strong>e weitgehend unbekannte Quelle zur<br />

Geschichte des Reichsgaues Sudetenland, <strong>in</strong>: Region – Territorium – Nationalstaat – Europa.<br />

Beiträge zu e<strong>in</strong>er europäischen Geschichtslandschaft. Festschrift für Ludwig Hammermayer,<br />

hrsg. von WOLF D. GRUNER <strong>und</strong> MARKUS VÖLKEL, Rostock 1998 (Rostocker Beiträge<br />

zur Deutschen <strong>und</strong> Europäischen Geschichte 4), S. 377-421, hier S. 414, 416, 418.<br />

116 Beispiele bei SCHULTZ (wie Anm. <strong>20</strong>), S. 274. – So auch <strong>in</strong> [ANONYMUS]: Alliierte Kriegspolitik<br />

(wie Anm. 7), S. 1042. – Diskutiert werden kann hier nicht die fragwürdige, aber oft<br />

genannte kulturhistorische Aussage: „Böhmen bildete <strong>im</strong>mer e<strong>in</strong>e politische E<strong>in</strong>heit, d.h.<br />

e<strong>in</strong> Staatsganzes <strong>und</strong> auch e<strong>in</strong>e Kulture<strong>in</strong>heit“, so z.B. E. HERNECK: Böhmen als geographischer<br />

E<strong>in</strong>heitsbegriff, <strong>in</strong>: Deutsche Arbeit 4 (1904/05), Heft 5, S. 335-345; Heft 6, S.<br />

398-407, hier S. 400.<br />

133


zum<strong>in</strong>dest h<strong>in</strong>sichtlich Wirtschaft <strong>und</strong> Verkehrsnetz, ke<strong>in</strong>e Teilungen <strong>und</strong> wesentliche<br />

Grenzveränderungen zulasse. 117<br />

Als Herrschaftsgebiet war Böhmen bereits <strong>im</strong> Spätmittelalter, <strong>und</strong> damit lange vor<br />

dem allgeme<strong>in</strong>en Territorialisierungsprozeß der Frühneuzeit, geographisch konsolidiert.<br />

Zudem war das politische Verwaltungsgebiet <strong>in</strong> weiten Teilen mit dem kirchenrechtlichen<br />

identisch. Die für die böhmischen Herrscher – wie für viele andere Dynastien<br />

– seit dem Spätmittelalter verpflichtenden Pr<strong>in</strong>zipien der territorialen Unveränderbarkeit<br />

<strong>und</strong> Unteilbarkeit 118 konnten <strong>in</strong>sbesondere deshalb für Jahrh<strong>und</strong>erte wirksam<br />

werden, weil Grenzänderungen mittlerer D<strong>im</strong>ension aufgr<strong>und</strong> der Zentralität des<br />

Landes <strong>und</strong> der ökonomisch <strong>und</strong> besiedlungsmäßig <strong>in</strong>sgesamt wenig dichten Grenzzonen<br />

kaum gew<strong>in</strong>nversprechend waren.<br />

Diese geographische Integrität wurde weder von Schweden oder Bayern <strong>in</strong> den<br />

Kriegen des 17. Jahrh<strong>und</strong>erts noch von Bayern <strong>und</strong> Preußen <strong>im</strong> 18. <strong>und</strong> <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

oder von Sachsen oder Napoleon 1809 angetastet, obwohl auch damals <strong>im</strong>mer<br />

wieder neue Pläne für Arrondierungen <strong>und</strong> Gebietsabtretungen oder gar für e<strong>in</strong>e völlige<br />

Neugliederung Böhmens kursierten. 119 Ebenso verzichtete Friedrich II. von Preußen<br />

1742 <strong>im</strong> Berl<strong>in</strong>er Friedensschluß mit Österreich auf se<strong>in</strong>e ursprüngliche, wohl<br />

eher aus taktischen Gründen aufgestellte Forderung, neben Glatz den daran angrenzenden<br />

Teil Nordostböhmens um Königgrätz (Hradec Králové) Preußen bzw. Preußisch-Schlesien<br />

anzuschließen. Napoleon gab 1809 <strong>im</strong> Frieden von Schönbrunn se<strong>in</strong>e<br />

vage geäußerte Absicht rasch wieder auf, Sachsen um nordwestböhmische Gebiete<br />

bis zu Eger <strong>und</strong> Iser zu erweitern. Auch Bismarcks Politik sah <strong>im</strong> Zusammenhang mit<br />

dem Krieg gegen Österreich 1866 ke<strong>in</strong>erlei territoriale Veränderungen für die böhmischen<br />

Länder vor.<br />

Böhmen ist somit e<strong>in</strong> Territorium, das nicht nur seit dem 15. Jahrh<strong>und</strong>ert ke<strong>in</strong>e<br />

expansiven Tendenzen mehr aufwies, sondern bis <strong>in</strong>s <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert nicht mehr ernst<br />

zu nehmenderen Bestrebungen ausgesetzt war, die auf „irgende<strong>in</strong>e Teilung oder Abtrennung,<br />

irgende<strong>in</strong>e Verr<strong>in</strong>gerung oder Verkürzung der <strong>Grenzen</strong> <strong>und</strong> Gebiete“ – so<br />

e<strong>in</strong>e Eidesformel böhmischer Könige aus dem 14. Jahrh<strong>und</strong>ert – zielten. 1<strong>20</strong><br />

Die ungewöhnliche Konstanz der alten Landesgrenzen Böhmens bzw. die Jahrh<strong>und</strong>erte<br />

alte Integrität des Territoriums s<strong>in</strong>d strukturell begründet. Wirtschafts-, verkehrs-<br />

<strong>und</strong> siedlungsgeographische Gegebenheiten <strong>und</strong> weniger die re<strong>in</strong>e Topographie<br />

waren für diese historische Stabilität ursächlich. Insbesondere die <strong>im</strong> engeren<br />

Grenzbereich meist schwach ausgeprägten kulturlandschaftlichen Faktoren <strong>und</strong> Ressourcen<br />

bed<strong>in</strong>gten die Historizität der Grenzl<strong>in</strong>ien. Im böhmischen Fall wurde der direkte<br />

Grenzraum nicht peripher, weil er Grenzgebiet war, sondern, weil die Grenzregionen<br />

bedeutungsarm <strong>und</strong> kulturgeographisch wenig verdichtet waren, blieb der Ver-<br />

117 GEBEL (wie Anm. 73), S. 258 <strong>und</strong> 337-351.<br />

118 Vgl. z.B. die von Karl IV. <strong>in</strong> der Maiestas Carol<strong>in</strong>a 1355 <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Goldenen Bulle 1356<br />

verbotene Teilung oder Verkle<strong>in</strong>erung des Königreiches Böhmen; Maiestas Carol<strong>in</strong>a (wie<br />

Anm. 23), S. 69 <strong>und</strong> 71.<br />

119 So auch ZIEGLER (wie Anm. 50), S. 129.<br />

1<strong>20</strong> Maiestas Carol<strong>in</strong>a (wie Anm. 23), S. 71.<br />

134


lauf der böhmischen Außengrenzen weitgehend unstrittig <strong>und</strong> unverändert. Nur dort,<br />

wo dies nicht der Fall war, kam es während e<strong>in</strong>es halben Jahrtausends zu kle<strong>in</strong>regionalen<br />

Grenzänderungen oder zum<strong>in</strong>dest zu Diskussionen darüber. Das markanteste<br />

Beispiel für e<strong>in</strong>e prekäre Grenzsituation ist das nordmährisch-oberschlesische Gebiet<br />

von Teschen, Ostrau <strong>und</strong> Ratibor, <strong>in</strong> dem aus der Entstehung des Industriereviers e<strong>in</strong>e<br />

Grenzfrage resultierte.<br />

Nationalitäten-, Sprach-, M<strong>und</strong>arten- oder Religions- <strong>und</strong> Konfessionsgrenzen<br />

stehen nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em direkten Zusammenhang mit der Topographie oder mit den<br />

klassischen kulturgeographischen Gegebenheiten wie Besiedlung, Bodenschätze,<br />

Verkehrswege <strong>und</strong> Wirtschaftsstruktur. Der Gedanke, daß diejenigen politischen<br />

<strong>Grenzen</strong> „am stabilsten s<strong>in</strong>d, die sich entweder an ethnische, an kulturelle oder an religiöse<br />

Scheidel<strong>in</strong>ien anlehnen“ 121 , bestätigt sich zum<strong>in</strong>dest für den Fall Böhmens<br />

nicht <strong>und</strong> ist generell eher fragwürdig. Bis zum Ende des <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts spielten<br />

nationale <strong>und</strong> kulturelle Aspekte <strong>in</strong> den Ause<strong>in</strong>andersetzungen über die Veränderung<br />

von <strong>Grenzen</strong> <strong>im</strong> Bereich der böhmischen Länder ke<strong>in</strong>e Rolle, doch auch <strong>im</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

gaben andere als ethnisch- oder sprachnationale Gründe den Ausschlag für<br />

die meisten Rektifikationen.<br />

Auch wenn die „nationalen <strong>und</strong> sprachlichen“ Mischungsverhältnisse der Bevölkerung<br />

<strong>in</strong> Böhmen vielen Beobachtern als vergleichsweise territorial e<strong>in</strong>fach zu lösende<br />

Frage erschienen (<strong>im</strong> Gegensatz etwa zu den als so unentwirrbar angesehenen<br />

Verhältnissen auf dem Balkan), mußten alle Versuche, <strong>in</strong> Böhmen e<strong>in</strong>e nationale<br />

Grenze oder die Sprachgrenze zur Aufteilung von politischen Verwaltungsgebieten zu<br />

nutzen, pr<strong>in</strong>zipiell scheitern. Da die Grenzziehung, wie sie 1938 von Deutschland erzwungen<br />

wurde, unter Berufung, aber nicht auf der Gr<strong>und</strong>lage nationaler Kriterien<br />

erfolgte, wurde die neue Trennl<strong>in</strong>ie <strong>in</strong> letzter Konsequenz aufgr<strong>und</strong> „praktischer“ Erwägungen<br />

<strong>und</strong> der kulturgeographischen Bed<strong>in</strong>gungen festgelegt. Die völlig neue politische<br />

Gliederung hatte jedoch, da sie meist ökonomisch <strong>und</strong> siedlungsmäßig hoch<br />

verdichtete Regionen durchschnitt, kaum Aussicht auf Bestand.<br />

Die ethnische Homogenisierung des Staates, <strong>im</strong> Laufe des vorangegangenen Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

allgeme<strong>in</strong> zum Paradigma erhoben <strong>und</strong> für den Bereich der böhmischen<br />

Länder bis 1945 mehrfach mittels „neuer“ <strong>Grenzen</strong> geplant, wurde nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg <strong>in</strong> umgekehrter Weise durch das Radikalmittel des Bevölkerungstransfers<br />

der Verwirklichung näher gebracht. Am Ende des <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>erts sche<strong>in</strong>t bedauerlicherweise<br />

der Schluß, daß, wenn e<strong>in</strong>e staatliche oder politische Verwaltungse<strong>in</strong>heit<br />

nicht durch Grenzänderungen den sprachnationalen oder ethnischen Bevölkerungsstrukturen<br />

anzupassen ist, die Bevölkerung durch Austausch, Aussiedlung oder Ausweisung<br />

e<strong>in</strong>em national def<strong>in</strong>ierten Territorium anzugleichen sei, noch <strong>im</strong>mer logisch<br />

<strong>und</strong> unausweichlich zu se<strong>in</strong>.<br />

121 E. W. BORNTRÄGER: <strong>Grenzen</strong> <strong>und</strong> Selbstbest<strong>im</strong>mungsrecht. Gedanken zu F<strong>in</strong>alität <strong>und</strong> Relativität<br />

von Grenzziehungen, <strong>in</strong>: Zeitschrift für Politik 39 (1992), Heft 1, S. 49-71, hier S.<br />

68. Bornträger ignoriert zudem das Teschener Problem sowie die Grenzfragen <strong>in</strong> der Nordslowakei,<br />

wenn er die Konstanz der tschechoslowakisch-polnischen Grenze hervorhebt.<br />

135


136


Die polnische Grenzdiskussion <strong>im</strong> Lande <strong>und</strong> <strong>im</strong> Exil<br />

(1939 – 1945)<br />

von<br />

W—odz<strong>im</strong>ierz B o r o d z i e j<br />

Bekanntlich bef<strong>in</strong>det sich Polen seit sechs Jahren <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Phase des Umbruchs, <strong>in</strong> der<br />

alles anders wird: das politische <strong>und</strong> ökonomische System, alltägliche Verhaltensweisen<br />

<strong>und</strong> Überlebensmuster, soziale Schichtung <strong>und</strong> Öffentlichkeit. Stabil sche<strong>in</strong>t <strong>in</strong><br />

diesem Augenblick paradoxerweise nur das, was jahrzehntelang Anlaß deutschpolnischer<br />

Streitereien <strong>und</strong> polnisch-sowjetischer Verdächtigungen gewesen ist: die<br />

Staatsgrenzen. Nach fünfzig Jahren s<strong>in</strong>d sie das vielleicht e<strong>in</strong>zige Ergebnis des Zweiten<br />

Weltkriegs, das von ke<strong>in</strong>er Seite <strong>im</strong> In- <strong>und</strong> Ausland <strong>in</strong> Frage gestellt wird, das<br />

weder revidiert noch aufgelöst werden soll – e<strong>in</strong>e Selbstverständlichkeit <strong>und</strong> gerade<br />

deshalb e<strong>in</strong>e Rarität <strong>in</strong> bewegten Zeiten.<br />

Die gesellschaftliche Akzeptanz für den 1945 zustande gekommenen Grenzverlauf<br />

hat mit den erbitterten publizistischen, juristischen <strong>und</strong> geschichtswissenschaftlichen<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzungen der letzten Jahrzehnte wenig zu tun. Bekanntermaßen haben<br />

Historiker, Journalisten <strong>und</strong> Politiker nach 1945 kont<strong>in</strong>uierlich versucht, ihrer eigenen<br />

Partei das Hauptverdienst für die Gew<strong>in</strong>ne <strong>im</strong> Osten <strong>und</strong> die Schuldlosigkeit für die<br />

Verluste <strong>im</strong> Osten anzudichten. Die Effektivität dieser Bemühungen sche<strong>in</strong>t <strong>im</strong> Lichte<br />

des heutigen kollektiven Bewußtse<strong>in</strong>s ger<strong>in</strong>g: Je stärker das Stichwort „Jalta“ die<br />

Diskussion um die Volksrepublik Polen prägt, desto weniger glaubhaft wirken alle<br />

Versicherungen, denen zufolge die „Rückkehr“ der „Wiedergewonnenen Gebiete“<br />

polnischen Politikern, e<strong>in</strong>erlei welcher couleur, zu verdanken sei. Auf den Punkt<br />

br<strong>in</strong>gt diese E<strong>in</strong>sicht der Satiriker Micha— Ogórek, der <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em „Polenführer“ von<br />

1991 die „geographische Lage“ des Landes folgendermaßen def<strong>in</strong>iert:<br />

„Je nach historischer Epoche sollte man Polen weiter östlich oder weiter westlich<br />

suchen. Allgeme<strong>in</strong> könnte man sagen, daß Polen <strong>im</strong> Pr<strong>in</strong>zip zwischen dem 24. <strong>und</strong><br />

dem 38. Breitengrad <strong>im</strong> Osten <strong>und</strong> zwischen dem 14. <strong>und</strong> 16. Breitengrad <strong>im</strong> Westen<br />

liegt; irgendwo <strong>in</strong> dieser Gegend müßte man es f<strong>in</strong>den. Wenn nicht, so ist gerade Teilungszeit<br />

(...) Die heutige Ostgrenze Polens ist die Grenze des russischen Teilungsgebiets<br />

nach der Dritten Teilung <strong>und</strong> verläuft wie 1795. Sie wurde von der Zar<strong>in</strong> Kathar<strong>in</strong>a<br />

best<strong>im</strong>mt. Die Westgrenze knüpft direkt an das Jahr 1138 an, als sie zum letzten<br />

Mal auf diese Art verlief. Der Ideenspender war Boleslaus Schiefm<strong>und</strong> (...) Die kürzeste<br />

Grenze hat Polen mit Rußland. Rußland bewacht jedoch die <strong>Grenzen</strong> auf dem<br />

längsten Abschnitt, auch auf dem deutsch-polnischen, <strong>und</strong> das auf beiden Seiten (...)<br />

Seitdem es diese <strong>Grenzen</strong> gibt, haben ihren Platz gewechselt: Ustrzyki Dolne – von<br />

137


der UdSSR nach Polen; Glatz wechselte auf die böhmische Seite <strong>und</strong> zurück, Sw<strong>in</strong>emünde<br />

– von Deutschland via UdSSR nach Polen. Elb<strong>in</strong>g änderte se<strong>in</strong>e Lage von e<strong>in</strong>er<br />

Meeresstadt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e B<strong>in</strong>nenstadt nach dem Verlust des Zugangs zum Meer. Polen<br />

hält se<strong>in</strong>e <strong>Grenzen</strong> für unverrückbar.“ 1<br />

Damit ist e<strong>in</strong>e gr<strong>und</strong>sätzliche Vorbemerkung zum Thema Grenzdiskussion <strong>im</strong><br />

Lande <strong>und</strong> <strong>im</strong> Exil 1939-1945 po<strong>in</strong>tiert: Die Fragestellung erfordert seit dem Ende der<br />

80er Jahre ke<strong>in</strong>e Zensurenverteilung mehr, sei es für prophetische Gaben oder für<br />

Kurzsichtigkeit. Der Beweis, daß sowohl die Ost- als auch die Westgrenze wenig mit<br />

geschichtlicher Logik oder Gerechtigkeit zu tun haben, ist längst erbracht, ebenso wie<br />

der Nachweis, daß der Verlust Lembergs oder der Gew<strong>in</strong>n Breslaus <strong>in</strong> unvergleichbar<br />

größerem Maße dem Kräftespiel der Großen Drei zuzuschreiben s<strong>in</strong>d als der <strong>in</strong>nerpolnischen<br />

Diskussion.<br />

Dennoch s<strong>in</strong>d die Gr<strong>und</strong>züge dieser Diskussion nicht ohne Interesse. In Exil <strong>und</strong><br />

<strong>im</strong> Untergr<strong>und</strong> wurden während des Zweiten Weltkriegs vielerlei Pläne entworfen,<br />

die nach 1945 direkt <strong>in</strong> die Archive wanderten. Die harte Prüfung durch die Realität<br />

überstanden nur die wenigsten. Aber gerade die Mitarbeiter des Westbüros des regierungstreuen<br />

Widerstands fanden als nahezu e<strong>in</strong>zige größere, geschlossene Personengruppe<br />

des alten Establishments sofort Verwendung <strong>im</strong> neuen Beamtenapparat. E<strong>in</strong>ige<br />

kommunistische Spitzenpolitiker wie W—adys—aw Gomu—ka oder Zygmunt Modzelewski<br />

scheuten offensichtlich ke<strong>in</strong>e Mühe, um die e<strong>in</strong>zigen „Westspezialisten“, die<br />

es damals <strong>im</strong> Lande gab, <strong>im</strong> M<strong>in</strong>isterium für die Wiedergewonnenen Gebiete bzw. <strong>im</strong><br />

Außenm<strong>in</strong>isterium unterzubr<strong>in</strong>gen. In ihren Memoiren vermittelten diese den E<strong>in</strong>druck,<br />

der perfekt mit den Thesen der kommunistischen Propaganda übere<strong>in</strong>st<strong>im</strong>mte:<br />

Es habe e<strong>in</strong> konsequentes Streben des aufgeklärten <strong>und</strong> staatsbewußten Teils der alten<br />

Elite gegeben, den Schwerpunkt Polens nach Westen zu verlegen. 2 Daß dabei ausgerechnet<br />

Roman Dmowski als Urvater dieser Idee <strong>im</strong> H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> auftauchte, erschwerte<br />

die Beweisführung nicht unbed<strong>in</strong>gt; je deutlicher sich <strong>in</strong> den 60er Jahren die<br />

Legit<strong>im</strong>ation des Systems von e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>ternationalistisch-ideologischen zu e<strong>in</strong>er national-staatsmännischen<br />

wandelte, desto größer wurde der Wert geschichtlich f<strong>und</strong>ierter<br />

Tradition; <strong>in</strong> diesem Zusammenhang gewährte gerade die Verb<strong>in</strong>dung zu Dmowski<br />

<strong>und</strong> Jan Pop—awski den begehrten Anstrich von nationaler Kont<strong>in</strong>uität <strong>und</strong> Orig<strong>in</strong>alität.<br />

3 Damit ist die erste, <strong>in</strong> der Literatur der 60er <strong>und</strong> 70er Jahre vertretene These umrissen:<br />

Die kle<strong>in</strong>e Gruppe der „Westexperten“ habe sich gegen die Mehrheit der auf<br />

1 MICHA¡ OGÓREK: Przewodnik po Polsce [Führer durch Polen], Warszawa 1991, S. 5 f.<br />

2 Als Beispiel für den Untergr<strong>und</strong> LEOPOLD GLUCK: Od ziem postulowanych do ziem odzyskanych<br />

[Von beanspruchten zu wiedergewonnenen Gebieten], Warszawa 1971; für das<br />

Londoner Exil JÓZEF WINIEWICZ: Co pamiętam z dlugiej drogi życia [Was mir auf e<strong>in</strong>em<br />

langen Lebensweg <strong>im</strong> Gedächtnis geblieben ist], Pozna¹ 1985.<br />

3 Zur Entwicklung der sog. myśl zachodnia siehe BERNARD PIOTROWSKI: O Polskę nad Odrą<br />

i Baltykiem. Myśl zachodnia i badania niemcoznawcze Uniwersytetu Pozna¹skiego (1919-<br />

1939) [Polen an der Oder <strong>und</strong> an der Ostsee. Der Westgedanke <strong>und</strong> die deutschlandk<strong>und</strong>lichen<br />

Forschungen der Universität Posen (1919-1939)], Pozna¹ 1987; MARIAN MROCZKO:<br />

Polska myśl zachodnia 1918-1939 [Der polnische Westgedanke 1918-1939], Pozna¹ 1986.<br />

138


den Osten fixierten alten Elite durchgesetzt, die Unterstützung der Gesellschaft für die<br />

Oder-Neiße-L<strong>in</strong>ie gewonnen <strong>und</strong> damit den Boden für die Rückkehr Polens <strong>in</strong> die alte<br />

piastische He<strong>im</strong>at vorbereitet.<br />

In e<strong>in</strong>e ähnliche Richtung geht die These von der entscheidenen Rolle der Kommunisten<br />

bei der Westverschiebung Polens. Im Schrifttum des kommunistischen Exils<br />

<strong>und</strong> Untergr<strong>und</strong>s gibt es bekanntlich kaum Belege für e<strong>in</strong>e konsequente Orientierung<br />

auf die Zielpunkte Breslau <strong>und</strong> Stett<strong>in</strong>; diese tauchen erst <strong>in</strong> den letzten Monaten des<br />

Krieges nach Unterzeichnung des polnisch-sowjetischen Abkommens vom 26. Juli<br />

1944 auf. Das historische Verdienst liegt daher nach Marian Orzechowski 4 <strong>und</strong> anderen<br />

Parteihistorikern <strong>in</strong> der Absage an die Ostgrenze von 1939, <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong> die<br />

Zwangsläufigkeit historischer Prozesse, deren Krönung die „Rückkehr“ zur Oder-<br />

Neiße-L<strong>in</strong>ie darstellt. Auch diese Argumentation hat jedoch ihre Tücken: Die kommunistische<br />

Propaganda der Kriegs- <strong>und</strong> Nachkriegszeit sperrte sich lange Zeit gegen<br />

die E<strong>in</strong>sicht von e<strong>in</strong>em direkten Zusammenhang zwischen den Verlusten <strong>im</strong> Osten<br />

<strong>und</strong> dem Gew<strong>in</strong>n <strong>im</strong> Westen. Noch 1969 schaffte Orzechowski <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er bereits erwähnten,<br />

bis heute gr<strong>und</strong>legenden Arbeit über die Westverschiebung Polens den<br />

Sprung über diese Latte nicht. Das Kompensationspr<strong>in</strong>zip, das ja <strong>im</strong> diplomatischen<br />

Kräftespiel von 1943-1945 e<strong>in</strong>e zentrale Rolle gespielt hatte, kommt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Buch<br />

nur am Rande vor. 5<br />

Die dritte These wird von e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>zelperson, nämlich von Sarah Meiklejohn Terry<br />

vertreten. In ihrem Buch über Władysław Sikorski 6 versuchte sie, den ersten M<strong>in</strong>isterpräsidenten<br />

der Exilregierung als e<strong>in</strong>samen Vorreiter des polnisch-sowjetischen<br />

Ausgleichs auf der Basis e<strong>in</strong>er partiellen Westverschiebung Polens zu präsentieren.<br />

1939-1943 sei er an se<strong>in</strong>en <strong>in</strong>nenpolitischen Gegnern <strong>und</strong> an den Angelsachsen gescheitert,<br />

nach 1945 sei niemand daran <strong>in</strong>teressiert gewesen, se<strong>in</strong>e Rolle bei der neuen<br />

Grenzziehung der Vergessenheit zu entreißen. Die Argumentation von Frau Terry hat<br />

durchaus ihre Vorzüge, sie revidiert das von beiden erstgenannten Richtungen vertretene<br />

Bild der „Ostfixierung“ des polnischen Exils <strong>in</strong> London erheblich. Gegen sie<br />

spricht h<strong>in</strong>gegen die e<strong>in</strong>hellige Ablehnung ihrer Kernthese durch polnische Autoren 7 ,<br />

die auf ihre Arbeit e<strong>in</strong>gegangen s<strong>in</strong>d: Zu zahlreich s<strong>in</strong>d die Gegenbeweise, zu dürftig<br />

sche<strong>in</strong>t die Quellenbasis für ihre Behauptung, derzufolge der M<strong>in</strong>isterpräsident <strong>im</strong><br />

4 MARIAN ORZECHOWSKI: Odra-Nysa Łużycka-Bałtyk w polskiej myśli politycznej okresu II<br />

wojny światowej [Oder – Lausitzer Neiße – Ostsee <strong>im</strong> polnischen politischen Denken der<br />

Ära des Zweiten Weltkriegs], Wroc—aw etc. 1969.<br />

5 Nur wenn das Kompensationspr<strong>in</strong>zip ausnahmsweise von den Kommunisten <strong>in</strong>s Spiel gebracht<br />

wurde, bewertete es der Autor als e<strong>in</strong> „nützliches <strong>und</strong> unersetzliches Argument“<br />

(ebenda, S. 235 f.); die gesamte Argumentation der Gegenseite unterzog er e<strong>in</strong>er erbarmungslosen<br />

Kritik.<br />

6 SARAH MEIKLEJOHN TERRY: Poland´s Place <strong>in</strong> Europe. General Sikorski and the Orig<strong>in</strong> of<br />

the Oder-Neisse L<strong>in</strong>e, 1939-1943, Pr<strong>in</strong>ceton 1983.<br />

7 Vgl. die skeptischen Bemerkungen von WINIEWICZ (wie Anm. 2), S. 291 ff., <strong>und</strong> WALEN-<br />

TYNA KORPALSKA: Władysław Eugeniusz Sikorski. Biografia polityczna [E<strong>in</strong>e politische<br />

Biographie], Wrocław etc. 1981, S. 235.<br />

139


Exil seit 1940 auf e<strong>in</strong>e Neuordnung der mitteleuropäischen Landkarte unter Berücksichtigung<br />

russischer Territorialansprüche h<strong>in</strong>gearbeitet habe.<br />

Das Problem aller drei Interpretationsmuster liegt nun dar<strong>in</strong>, daß sie – explizit wie<br />

die beiden ersten, <strong>im</strong>plizit <strong>im</strong> Fall des dritten – den Maßstab für ihr Urteil aus dem<br />

heutigen Verlauf der polnisch – deutschen Grenze ableiten. Möglichkeiten für e<strong>in</strong> anderes<br />

Endergebnis gab es aber bekanntlich genug: Hätten sich die Amerikaner <strong>in</strong><br />

Potsdam auf die Glatzer Neiße versteift, hätten die Sowjets ihr Deutschlandspiel<br />

schon 1944 begonnen <strong>und</strong> Breslau bzw. Stett<strong>in</strong> <strong>in</strong> ihrer Besatzungszone belassen – der<br />

Bezugspunkt der Nachkriegsliteratur wäre e<strong>in</strong> anderer gewesen. Nun kann man ihre<br />

Tendenz <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em engeren S<strong>in</strong>n auslegen, als es offensichtlich die Absicht der Autoren<br />

gewesen ist. Es g<strong>in</strong>ge dann nicht mehr um Belege, welches politische Lager frühzeitig<br />

die künftigen Entscheidungen vorausgesehen <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e propagandistischen Bestrebungen<br />

auf die Oder-Neiße-L<strong>in</strong>ie fixiert hat. Statt dessen müßte es sich dann um<br />

den Nachweis handeln, welche Gruppierungen die Lösung der Grenzfrage <strong>im</strong> S<strong>in</strong>ne<br />

der polnischen Staatsraison den eigentlichen Entscheidungsträgern <strong>und</strong> der Gesellschaft<br />

unter Besatzungsherrschaft derart nachhaltig suggeriert haben, daß die Chancen<br />

für e<strong>in</strong>en derartigen Kriegsschluß erheblich gestiegen s<strong>in</strong>d?<br />

Die Frage <strong>im</strong>pliziert natürlich, daß wir genau wissen, was die polnische Staatsraison<br />

1939-1945 gewesen ist. Die Literatur über die Westverschiebung geht ja davon<br />

aus, daß der Tausch von 180 000 km 2 <strong>im</strong> Osten gegen 103 000 km 2 <strong>im</strong> Westen diesen<br />

Begriff trifft. Genau umgekehrt verstand ihn aber die Mehrheit des Londoner Establishments;<br />

so schildert z.B. W—adys—aw Pobóg-Mal<strong>in</strong>owski, der Historiker des Exils,<br />

ausführlich den Kampf der Regierung um die Ostgrenze <strong>und</strong> vermag die Westverschiebung<br />

ausschließlich <strong>in</strong> diesem Zusammenhang zu sehen – ohne sie auf mehreren<br />

h<strong>und</strong>ert Seiten se<strong>in</strong>es Handbuchs zu thematisieren. 8 Wir stoßen an dieser Stelle auf<br />

e<strong>in</strong> Problem, dessen Existenz nur angedeutet werden kann. Würde nämlich jemand<br />

versuchen, Orzechowski <strong>und</strong> Pobóg-Mal<strong>in</strong>owski parallel zu lesen, könnte er leicht<br />

den E<strong>in</strong>druck davontragen, Untersuchungen über zwei unterschiedliche Realitäten vor<br />

Augen zu haben: Gr<strong>und</strong>verschieden s<strong>in</strong>d Auswahl <strong>und</strong> Gewichtung der Tatsachen, oft<br />

direkt entgegengesetzt die Wertmuster, ebenso verschieden fällt zwangsläufig das<br />

Endurteil aus.<br />

In bezug auf unser Thema kann man sich die Erklärung leicht machen mit dem<br />

H<strong>in</strong>weis, daß die Westexperten <strong>in</strong> der Regel mehr oder m<strong>in</strong>der eng mit der Nationaldemokratie<br />

verb<strong>und</strong>en waren <strong>und</strong> daß sie <strong>in</strong> ihrer überwiegenden Mehrheit aus westpolnischen<br />

Gebieten stammten. In der Tat klagten sie übere<strong>in</strong>st<strong>im</strong>mend über die Verständnislosigkeit<br />

ihrer ost- bzw. zentralpolnischen Gesprächspartner 9 ; Józef W<strong>in</strong>iewicz,<br />

<strong>im</strong> Londoner Exil Beamter <strong>im</strong> M<strong>in</strong>isterium Seyda, malt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Er<strong>in</strong>nerungen<br />

e<strong>in</strong> Bild des permanenten Mißverständnisses zwischen „West“- <strong>und</strong> „anderen“ Polen:<br />

1939 waren beileibe nicht alle Spuren der Teilungszeit verwischt. Dennoch greift diese<br />

Erklärung zu kurz. Denn: Die Ause<strong>in</strong>andersetzung um die Priorität von West- oder<br />

8 WŁADYSŁAW POBÓG-MALINOWSKI: Najnowsza historia polityczna Polski 1864-1945 [Die<br />

neueste politische Geschichte Polens 1864-1945], Bd. II/2, Londyn 1960.<br />

9 Vgl. GLUCK (wie Anm. 2), S. 62 f.; WINIEWICZ (wie Anm. 2), pass<strong>im</strong>.<br />

140


Ostgrenze war nicht nur e<strong>in</strong>e Fortsetzung des alten Streits zwischen Dmowski <strong>und</strong><br />

Pi—sudski, sie war es nicht e<strong>in</strong>mal pr<strong>im</strong>är. Vielmehr war sie an erster Stelle e<strong>in</strong>e Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />

um die Souveränität Polens, um se<strong>in</strong>e gesellschaftspolitische Verfassung<br />

<strong>und</strong> um die Rolle der Sowjetunion <strong>in</strong>nerhalb des künftigen polnischen Staates.<br />

Die Westverschiebung bzw. der Verlust von Wilna <strong>und</strong> Lemberg bedeuteten mehr als<br />

die Beschneidung der territorialen Integrität, derentwegen Polen den Kampf gegen<br />

das Dritte Reich aufgenommen hatte; daß e<strong>in</strong> nach Westen verschobenes Polen „logischerweise<br />

militärisch, ökonomisch <strong>und</strong> politisch <strong>in</strong> die Verantwortlichkeit der Sowjetunion<br />

fallen muß“ 10 hatte nicht nur George F. Kennan erkannt. Polnische Diplomaten<br />

<strong>und</strong> Politiker haben es ihren angelsächsischen Gesprächspartnern oft vorgehalten,<br />

<strong>und</strong> der damalige M<strong>in</strong>isterpräsident Tomasz Arciszewski beg<strong>in</strong>g <strong>im</strong> Dezember<br />

1944 den Fehler, das Dilemma öffentlich anzusprechen: Die Verschiebung Polens an<br />

Oder <strong>und</strong> Lausitzer Neiße war ohne die Aufgabe des bisherigen Souveränitätsbegriffs,<br />

ohne die Preisgabe der Zweiten Republik <strong>und</strong>enkbar. In der Ause<strong>in</strong>andersetzung um<br />

die <strong>Grenzen</strong> g<strong>in</strong>g es also um mehr als um materielle oder strategische Gew<strong>in</strong>n- <strong>und</strong><br />

Verlustrechnungen; es g<strong>in</strong>g darum, ob e<strong>in</strong> souveränes, <strong>im</strong> Westen leicht vergrößertes<br />

Polen zu den Siegern des Zweiten Weltkriegs zählen werde – oder ob es die Opferung<br />

se<strong>in</strong>er Ostgebiete zum Zwecke der Saturierung e<strong>in</strong>er Großmacht zuläßt, ähnlich große<br />

Gebietsverluste wie das Dritte Reich h<strong>in</strong>n<strong>im</strong>mt <strong>und</strong> die Wiederbegründung se<strong>in</strong>er Unabhängigkeit<br />

an e<strong>in</strong>e Schutzmachtrolle Rußlands b<strong>in</strong>den läßt. Nur aus dieser Alternative<br />

heraus wird die eigentliche Bedeutung der Grenzdiskussion verständlich: Wer für<br />

„Riga“ (d.h. die Unantastbarkeit der polnischen Ostgrenze von 1921) optierte, setzte<br />

sich für die Fortsetzung der Zweiten Republik e<strong>in</strong>; wer für „Jalta“, d.h. den def<strong>in</strong>itiven<br />

Verzicht auf die Ostgebiete durch die Westverschiebung wiedergutmachen wollte,<br />

wollte nur retten, was noch zu retten war. 11<br />

Diesen H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> gilt es zu beachten, wenn man die Grenzdiskussion referiert.<br />

Andererseits – <strong>und</strong> das macht das Thema derart schwierig – gab es <strong>in</strong> den Plänen <strong>und</strong><br />

Programmen e<strong>in</strong>e Reihe von Elementen, die mit dem oben skizzierten Dilemma<br />

nichts oder nur wenig zu tun hatten. Wenn etwa die radikale Rechte die Wiederherstellung<br />

des „alten slawischen Siedlungsgebiets“ zwischen Elbe <strong>und</strong> Oder forderte,<br />

wenn sie die „m<strong>in</strong><strong>im</strong>ale Sicherheitssphäre“ Polens <strong>im</strong> „Städteviereck Stett<strong>in</strong> – Triest –<br />

Odessa – Pskov mit der Mündung der Narva“ ortete, so entwickelte sie das Erbe<br />

Dmowskis <strong>und</strong> Pop—awskis, ohne auch nur ansatzweise auf die realen Verhältnisse der<br />

vierziger Jahre e<strong>in</strong>zugehen. In diesen Zusammenhang gehören die oft bemühten Pläne<br />

von e<strong>in</strong>em „Imperium der Polnischen Nation“, das dem angeborenen polnischen<br />

„Herrschafts<strong>in</strong>st<strong>in</strong>kt“ Rechnung tragen, „Elemente unserer Zivilisation“ den mitteleuropäischen<br />

Verbündeten beibr<strong>in</strong>gen sollte u.a. mehr. Das realpolitische Problem wurde<br />

<strong>in</strong> diesen <strong>und</strong> ähnlichen Denkfiguren dadurch gelöst, daß man Rußland zum<br />

Trümmerhaufen erklärte. Der westliche Fe<strong>in</strong>d sollte durch Begradigung <strong>und</strong> Verkürzung<br />

der deutsch-polnischen Grenze auf die Oder-Neiße-L<strong>in</strong>ie <strong>im</strong> Schach gehalten<br />

10 GEORGE F. KENNAN: Memoiren e<strong>in</strong>es Diplomaten, 4. Aufl. München 1983, S. 222.<br />

11 Exemplarisch diese Haltung bei Jakub Berman <strong>im</strong> Interview mit TERESA TORAÔSKA, dt.<br />

Übersetzung: Die da oben. Polnische Stal<strong>in</strong>isten zum Sprechen gebracht, Köln 1987.<br />

141


werden 12 ; e<strong>in</strong>e Vorstellung, die 1941 genauso real oder irreal se<strong>in</strong> mochte wie das<br />

Programm der Ostexpansion.<br />

Die Massenpartei der Rechten, die Nationaldemokratie, hatte die Oder-Neiße-<br />

L<strong>in</strong>ie als mögliches Friedensziel bereits vor Kriegsbeg<strong>in</strong>n <strong>in</strong>s Auge gefaßt. 13 Im<br />

Sommer 1941 fand sich dieser Plan ebenfalls <strong>im</strong> Mittelpunkt des Grenzprogramms<br />

der Bauernpartei. 14 Zurückhaltender zeigten sich <strong>in</strong> diesem Punkt die christlichdemokratischen<br />

Parteien <strong>und</strong> die Sozialisten – die e<strong>in</strong>zigen, die sich vom Programm<br />

der Vere<strong>in</strong>igten Staaten Europas angesprochen fühlten <strong>und</strong> bis 1944 an der Unmöglichkeit<br />

von millionenhaften Massenaussiedlungen festhielten. Diese relativ kle<strong>in</strong>en<br />

Gruppierungen des Zentrums <strong>und</strong> der nichtkommunistischen L<strong>in</strong>ken gaben sich auch<br />

h<strong>in</strong>sichtlich der europäischen Nachkriegsordnung wesentlich moderater. Das antideutsche<br />

Sicherheitssytem wollte man eher e<strong>in</strong>em gesamteuropäischen Bündnis als<br />

e<strong>in</strong>em von Polen geführten Imperium anvertrauen.<br />

Die Exilregierung blieb h<strong>in</strong>ter den Erwartungen der größten Parteien des Untergr<strong>und</strong>s<br />

weit zurück. Zwar sondierte der neue Außenm<strong>in</strong>ister August Zaleski bereits<br />

<strong>im</strong> Oktober 1939 die westlichen Verbündeten h<strong>in</strong>sichtlich der polnischen Kontrolle<br />

über Ostpreußen, <strong>und</strong> <strong>in</strong> der ersten Nummer des Informationsbullet<strong>in</strong>s des Außenm<strong>in</strong>isteriums<br />

vom November diesen Jahres f<strong>in</strong>den wir den H<strong>in</strong>weis, daß die künftige Sicherheit<br />

Polens die Übernahme Ostpreußens erfordert. 15 Das außenpolitische Programm<br />

der Regierung mußte jedoch nach Lage der D<strong>in</strong>ge auf die Verteidigung der<br />

Ostgrenze fixiert se<strong>in</strong>; offensichtlich brauchte man ke<strong>in</strong>e Hellseherkünste, um die hier<br />

drohende Gefahr frühzeitig zu erkennen. Jan Szembek, bis 1939 Stellvertreter Becks<br />

<strong>im</strong> polnischen Außenm<strong>in</strong>isterium, war gewiß ke<strong>in</strong> Vordenker se<strong>in</strong>es Amtes, sah aber<br />

schon zu Beg<strong>in</strong>n des Krieges mit aller Deutlichkeit den Zusammenhang zwischen der<br />

Neuziehung der Ost- <strong>und</strong> der Westgrenze. Die Entscheidungen h<strong>in</strong>sichtlich der Westgrenzen<br />

bereiteten ihm weniger Bauchschmerzen, äußerte er <strong>in</strong> drei Gesprächen mit<br />

12<br />

Vgl. dazu neben ORZECHOWSKI (wie Anm. 4), S. 14-28, ANDRZEJ FRISZKE: Myśl polityczna<br />

Polski Podziemnej 1939-1945 [Das politische Denken Polens <strong>im</strong> Untergr<strong>und</strong> 1939-<br />

1945], <strong>in</strong>: DERS. u.a: Polska Podziemna 1939-1945 [Polen <strong>im</strong> Untergr<strong>und</strong> 1939-1945],<br />

Warszawa 1991, S. 143-229.<br />

13<br />

Vgl. dazu JERZY JANUSZ TEREJ: Rzeczywistość i polityka [Wirklichkeit <strong>und</strong> Politik], Warszawa<br />

1979, S. 102, 376.<br />

14<br />

Dazu ausführlich STANISŁAW DĄBROWSKI: Koncepcje powojennych granic Polski w programach<br />

i działalności polskiego ruchu ludowego w latach 1935-1945[Die Konzeptionen<br />

der Nachkriegsgrenzen Polens <strong>in</strong> den Programmen <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Tätigkeit der polnischen<br />

Volks(Bauern-)bewegung <strong>in</strong> den Jahren 1939-1945], Wrocław etc. 1971, hier: S. 15 f.<br />

15<br />

Dazu <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em weiteren historischen Kontext WOJCIECH WRZESIÔSKI: Warmia i Mazury w<br />

polskiej myśli politycznej 1864-1945 [Ermland <strong>und</strong> Masuren <strong>im</strong> polnischen politischen<br />

Denken 1864-1945], Warszawa 1984, S. 348 ff.; die ursprüngliche britische Kritik an diesen<br />

Plänen („I am sorry to see that General Sikorski is toy<strong>in</strong>g with the East Prussian ambition<br />

which always struck me as rather silly when advanced by the wilder Polish <strong>im</strong>perialists<br />

before the war (...) the Poles are <strong>in</strong>curably romantic <strong>in</strong> their ideas“) zit. bei TERRY (wie<br />

Anm. 6), S. 151 f. Zur weiteren Entwicklung vgl. DETLEF BRANDES: Großbritannien <strong>und</strong><br />

se<strong>in</strong>e osteuropäischen Alliierten 1939-1943, München 1988, S. 106 ff.<br />

142


führenden Diplomaten <strong>und</strong> Politikern der neuen Regierung <strong>im</strong> Oktober 1939: „Ich<br />

kann mich aber mit dem Gedanken der Abtretung Lembergs nicht abf<strong>in</strong>den. (...) Was<br />

die Ostgebiete betrifft, so fürchte ich, daß die Alliierten wegen Rußland unsere Interessen<br />

mit leichter Hand opfern könnten.“ 16<br />

In den ersten drei Kriegsjahren konzentrierte sich die Regierung daher auf die<br />

Wiederholung der Forderung nach Wiederherstellung der Ostgrenze von 1921; der<br />

Wunsch nach „gerechter Wiedergutmachung“ <strong>im</strong> Westen wurde bewußt unpräzise<br />

gehalten. 17 Stal<strong>in</strong>s Angebot vom Dezember 1941, die polnischen Ansprüche auf Ostpreußen<br />

<strong>und</strong> die Oderl<strong>in</strong>ie zu unterstützen, wurde zwar nicht direkt ausgeschlagen,<br />

aber auch nicht konsequent <strong>in</strong> den Grenzverhandlungen mit den Alliierten e<strong>in</strong>gesetzt.<br />

Im Gegenzug wolle er die polnisch-sowjetische Grenze „e<strong>in</strong> bißchen“ revidieren, soll<br />

Stal<strong>in</strong> damals zu Sikorski gesagt haben; dieses „čut’-čut’“ rief bei den Polen tiefes<br />

Mißtrauen hervor 18 , das mit der „russischen Karte“ verb<strong>und</strong>ene Risiko war offenk<strong>und</strong>ig:<br />

„Wir müssen uns e<strong>in</strong>er Verb<strong>in</strong>dung zwischen unseren Westforderungen mit der<br />

Frage der Ostgrenze widersetzen“ – heißt es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em regierungs<strong>in</strong>ternen Thesenpapier<br />

vom Dezember 1943 –, „weil dies der Weg zum Verlust der Ostgebiete wäre, auf<br />

jeden Fall zu dem Verlust e<strong>in</strong>es beachtlichen Teils davon mit Wilna <strong>und</strong> zur E<strong>in</strong>kreisung<br />

Polens durch die Sowjets“. 19<br />

Freilich war der umgekehrte Gedankengang, daß nämlich Polen unabhängig von<br />

der Frage der Ostgrenze Anspruch auf Entschädigungen <strong>im</strong> Westen habe, nach Lage<br />

der D<strong>in</strong>ge schon 1941 e<strong>in</strong>germaßen theoretisch; trotzdem wurde er bis 1944 – zuletzt<br />

nur noch mit größter Mühe – aufrechterhalten. Parallel dazu versuchte der damalige<br />

M<strong>in</strong>isterpräsident Stanisław Mikołajczyk, die sowjetischen Ansprüche zu se<strong>in</strong>en<br />

Gunsten zu wenden. In Gesprächen mit den Angelsachsen, schrieb er Anfang 1944 an<br />

die Führung des Untergr<strong>und</strong>s, „wirkt das Argument am besten, daß sie, je mehr sie<br />

uns <strong>im</strong> Osten beschneiden, desto mehr <strong>im</strong> Westen geben <strong>und</strong> desto mehr Deutsche<br />

vertrieben werden müssen. (...) Jeder größere Schaden Polens <strong>im</strong> Osten steigert se<strong>in</strong>e<br />

Ansprüche <strong>im</strong> Westen, <strong>in</strong>klusive der Entfernung e<strong>in</strong>er größeren Zahl der Deutschen“.<br />

<strong>20</strong><br />

16<br />

JAN SZEMBEK: Diariusz. Wrzesie¹-grudzie¹ 1939 [Tagebuch September bis Dezember<br />

1939], hrsg. von BOGDAN GRZELOÔSKI, Warszawa 1989, S. 97, 109, 125.<br />

17<br />

„(...) die künftigen <strong>Grenzen</strong> Polens müssen die Sicherheit des Landes als e<strong>in</strong>es Bestandteiles<br />

der europäischen Ordnung gewährleisten; sie müssen Polen die vitale Notwendigkeit<br />

des breiten Zugangs zum Meer sichern, der entsprechend vor fremden E<strong>in</strong>griffen geschützt<br />

wäre“; den Text der polnischen Beitrittserklärung zur Atlantik-Charta zit. nach ORZE-<br />

CHOWSKI (wie Anm. 4), S. 57. Ebenda, S. 52-71, <strong>und</strong> WRZESIÔSKI (wie Anm. 15), S. 348-<br />

357, zahlreiche H<strong>in</strong>weise auf die Äußerungen des Exilkab<strong>in</strong>etts. E<strong>in</strong> knapper Überblick<br />

auch bei WIES¡AW DOBRZYCKI: Granica zachodnia w polityce polskiej 1944-1947 [Die<br />

Westgrenze <strong>in</strong> der polnischen Politik 1944-1947], Warszawa 1974, S. 19-30.<br />

18<br />

Dazu ausführlich, wenngleich nicht ganz überzeugend, TERRY (wie Anm. 6), S. 245-256.<br />

19<br />

ORZECHOWSKI (wie Anm. 4), S. 68.<br />

<strong>20</strong><br />

Ebenda, S. 70. Ebenda, auch bei t owbpfÔphf= <strong>und</strong> DOBRZYCKI zahlreiche H<strong>in</strong>weise auf<br />

dieses Motiv <strong>in</strong> Regierungspapieren.<br />

143


Die Exilregierung zeigte sich <strong>in</strong> der Frage der Westgrenzen nicht nur wegen<br />

ostpolitischer Erwägungen <strong>und</strong> wegen des angelsächsischen Widerstands sehr<br />

bedächtig. Das von Miko—ajczyk erwähnte Problem der deutschen Bevölkerung war<br />

selbst 1944 ke<strong>in</strong>eswegs def<strong>in</strong>itiv entschieden. In se<strong>in</strong>er Studie über Masuren <strong>und</strong> das<br />

Ermland zeigt Wojciech Wrzesiński, daß gerade diese Frage für alle polnischen<br />

Gruppen „das größte Problem“ darstellte, das sich <strong>im</strong> H<strong>in</strong>blick auf die künftige<br />

E<strong>in</strong>verleibung Ostpreußens stellte. 21 Die Lösungsvorschläge variierten zwischen<br />

gänzlicher Aussiedlung <strong>und</strong> allmählicher Ass<strong>im</strong>ilierung möglichst großer<br />

Personengruppen mit e<strong>in</strong>er Reihe von Zwischenstufen; das nach Kriegsende<br />

tatsächlich realisierte Konzept kam den Planungen der Rechten wohl am nächsten.<br />

Die zahlreichen Schwierigkeiten, die mit der Formulierung e<strong>in</strong>es regierungsamtlichen<br />

„Westprogramms“ zusammenh<strong>in</strong>gen, wurden erst 1942 überw<strong>und</strong>en. In se<strong>in</strong>em<br />

Beschluß vom 7. Oktober legte sich das Kab<strong>in</strong>ett Sikorski auf die „E<strong>in</strong>verleibung<br />

Danzigs, Ostpreußens <strong>und</strong> des Oppelner Schlesien“ fest. E<strong>in</strong>e Ausdehnung des<br />

Staatsgebiets weiter westlich hielt man <strong>in</strong> London für unrealistisch; offensichtlich unter<br />

dem Druck des Untergr<strong>und</strong>s gelang es aber dem für Nachkriegsplanungen zuständigen<br />

M<strong>in</strong>ister Marian Seyda, die Idee e<strong>in</strong>er Zone der „engeren polnischen Besatzung“<br />

westlich der neuen Staatsgrenze <strong>im</strong> Kab<strong>in</strong>ett durchzusetzen; sie sollte bis zur<br />

Oder <strong>und</strong> zur Lausitzer Neiße (<strong>in</strong>klusive Rügens <strong>und</strong> e<strong>in</strong>iger Brückenköpfe auf dem<br />

l<strong>in</strong>ken Oderufer) reichen. Das Konzept wurde den Briten <strong>und</strong> Amerikanern vorgelegt;<br />

<strong>in</strong> der Arbeit von Frau Terry spielt es e<strong>in</strong>e zentrale Rolle. 22<br />

Das Regierungsprogramm erlitt e<strong>in</strong> ähnliches Schicksal wie viele Aktivitäten des<br />

Exilkab<strong>in</strong>etts: Zu wenig für das Land, zu viel für das westliche Ausland, wurde es<br />

ähnlich rasch wie die Pläne für e<strong>in</strong>e polnisch-tschechoslowakische Konföderation zu<br />

e<strong>in</strong>em Dokument von ausschließlich historischer Bedeutung. Die eigentliche<br />

Entwicklung des Grenzprogramms vollzog sich weiterh<strong>in</strong> <strong>im</strong> Untergr<strong>und</strong>. Nachdem<br />

die Bauernpartei vorübergehend von der Oder-Neiße-L<strong>in</strong>ie abgerückt war, setzte sich<br />

<strong>im</strong> obersten Organ des regierungstreuen Untergr<strong>und</strong>s (1943: Politische Vertretung des<br />

Landes, Krajowa Reprezentacja Polityczna; 1944: Rat der Nationalen E<strong>in</strong>heit, Rada<br />

Jedności Narodowej) zunächst die eher gemäßigte Richtung durch. In den Beschlüssen<br />

vom Juli 1943 <strong>und</strong> vom März 1944 visierte man den Anschluß Ostpreußens, Danzigs,<br />

Oberschlesiens sowie von Teilen Pommerns <strong>und</strong> Niederschlesiens an, wobei<br />

Stett<strong>in</strong> <strong>und</strong> Breslau auf der deutschen Seite belassen wurden. Im Süden – so der Programmentwurf<br />

von 1943 – sollte die Grenze entlang der Glatzer Neiße verlaufen 23 ;<br />

die Idee e<strong>in</strong>er Großmacht Polen wich def<strong>in</strong>itiv dem Konzept der engen Anb<strong>in</strong>dung an<br />

21 WRZESIÔSKI (wie Anm. 15), S. 392, 396-412.<br />

22 ORZECHOWSKI (wie Anm. 4), S. 61-65 ; BRANDES (wie Anm. 15), S. 405 ff. TERRY (wie<br />

Anm. 6), pass<strong>im</strong>, unterstreicht wohl zu Recht den Zusammenhang zwischen „Westprogramm“<br />

<strong>und</strong> polnisch-tschechoslowakischen Konföderationsplänen.<br />

23 ORZECHOWSKI (wie Anm. 4), S. 38 f. Die Annexionspläne <strong>im</strong> Kontext weiterer deutschlandpolitischer<br />

Überlegungen präsentiert BRONISŁAW PASIERB: Polska myśl polityczna<br />

okresu II wojny światowej wobec Niemiec [Das polnische politische Denken <strong>in</strong> der Zeit<br />

des Zweiten Weltkriegs <strong>in</strong> bezug auf Deutschland], Wroc—aw 1986.<br />

144


die Westmächte. Im Frühjahr 1944 zogen die Nationaldemokraten ihre Unterschrift<br />

unter dem Programm des Rates der Nationalen E<strong>in</strong>heit zurück – u.a. deshalb, weil sie<br />

die Absenz der Lausitzer Neiße <strong>im</strong> Dokument für untragbar hielten. 24 Paradoxerweise<br />

kam der Rat gerade dieser Forderung der Rechten <strong>im</strong> Februar 1945 entgegen: Angesichts<br />

des Verlustes der Ostgebiete, wie er sich nach Jalta endgültig abzeichnete, legten<br />

sich alle Parteien des regierungstreuen Untergr<strong>und</strong>s auf das Oder-Neiße-<br />

Programm fest.<br />

Der Beschluß des RJN vom 22. Februar 1945 ist freilich nur sehr schwer als Krönung<br />

des Westprogramms Dmowskis <strong>und</strong> se<strong>in</strong>er Nachfolger <strong>in</strong>terpretierbar. Angemessener<br />

sche<strong>in</strong>t se<strong>in</strong>e Genese beleuchtet <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Artikel des Biuletyn Informacyjny<br />

(des Hauptorgans der künftigen Armia Krajowa) vom Sommer 1941. Im Kommentar<br />

zum zweideutigen Text des soeben abgeschlossenen polnisch-sowjetischen Vertrages<br />

hieß es damals, daß „die künftige Best<strong>im</strong>mung unserer <strong>Grenzen</strong> ohneh<strong>in</strong> vom weiteren<br />

Lauf der Ereignisse abhängen wird – <strong>und</strong> von der realen Kraft, die Polen am Ende<br />

des Krieges verkörpern wird“. 25 Im Februar 1945 war nun klar, daß diese „reale<br />

Kraft“ weit weniger <strong>in</strong>s Gewicht fiel, als 1941 die größten Skeptiker vermutet hatten.<br />

Miko—ajczyk trug dieser Lage seit dem Warschauer Aufstand Rechnung, konnte sich<br />

aber letztlich gegen das von den Nationaldemokraten bis zu den Sozialisten vere<strong>in</strong>igte<br />

Londoner Exil nicht durchsetzen. Übrig blieb e<strong>in</strong>e letzte Verteidigungsl<strong>in</strong>ie: der E<strong>in</strong>tritt<br />

<strong>in</strong> die Provisorische Regierung der Nationalen E<strong>in</strong>heit. Miko—ajczyk hoffte noch<br />

<strong>im</strong>mer, daß die Preisgabe der Ostgebiete e<strong>in</strong> tragfähiges F<strong>und</strong>ament für e<strong>in</strong>e polnischrussische<br />

Zusammenarbeit abgeben, daß Moskau die Souveränität der Republik nicht<br />

entscheidend bee<strong>in</strong>trächtigen werde. Das geme<strong>in</strong>same Auftreten von Bierut <strong>und</strong> Miko—ajczyk<br />

<strong>in</strong> Potsdam ist vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> kaum als symbolträchtige Krönung<br />

e<strong>in</strong>er genu<strong>in</strong> polnischen „Westidee“ <strong>in</strong>terpretierbar. Wenn aber die Koalition von<br />

1945 je e<strong>in</strong>e Überlebenschance gehabt haben soll, so bot die Westverschiebung e<strong>in</strong>es<br />

der wenigen F<strong>und</strong>amente dafür.<br />

H<strong>in</strong>sichtlich der Ostgrenze waren die Trennl<strong>in</strong>ien zwischen den e<strong>in</strong>zelnen Programmen<br />

stabiler. Im zweiten Halbjahr 1941, <strong>in</strong> dem die Hoffnungen auf e<strong>in</strong>e Neuordnung<br />

der osteuropäischen Landkarte <strong>in</strong>folge der Auflösung der Sowjetunion ihren<br />

Höhepunkt erreichten, f<strong>in</strong>den wir zwar e<strong>in</strong>e Reihe von phantastischen Plänen, die Polen<br />

e<strong>in</strong>e dom<strong>in</strong>ierende Rolle <strong>in</strong> Osteuropa zusprachen. Daß es derartige Pläne aber nur<br />

24 ORZECHOWSKI (wie Anm. 4), S. 39, Anm. 137, 140. Die Begründung lautete: „(...) derartige<br />

Pläne konnten nur <strong>in</strong> irrealen Hirnen von Berufspolitikern h<strong>in</strong>term grünen Schreibtisch<br />

entstehen, die sich sorgen, daß wir die Gebiete bis zur Oder <strong>und</strong> Neiße nach Aussiedlung<br />

der Deutschen nicht besiedeln <strong>und</strong> bewirtschaften können. (...) Polen kann ohne Wilna <strong>und</strong><br />

Lemberg nicht existieren, aber auch ohne Stett<strong>in</strong> <strong>und</strong> Breslau kann es den kle<strong>in</strong>sten Sturm<br />

der Geschichte nicht überstehen“.<br />

25 Zit. nach WŁODZIMIERZ BORODZIEJ, ANDRZEJ CHMIELARZ, ANDRZEJ FRISZKE, ANDRZEJ<br />

KUNERT: Polska Podziemna 1939-1945 [Polen <strong>im</strong> Untergr<strong>und</strong> 1939-1945], Warszawa<br />

1991, S. 175.<br />

145


auf der Rechten gegeben hätte, st<strong>im</strong>mt nicht ganz. 26 Richtig ist jedoch e<strong>in</strong>e andere<br />

Feststellung: Zwischen 1939 <strong>und</strong> 1944 gab es außer den Kommunisten ke<strong>in</strong>e Partei,<br />

die e<strong>in</strong>e Revision der Ostgrenze zu Ungunsten Polens <strong>in</strong> Betracht gezogen hätte. Die<br />

polnisch-sowjetische Grenze von 1921 galt allen Parteien des regierungstreuen Untergr<strong>und</strong>s,<br />

aber auch den etwas abseits stehenden l<strong>in</strong>kssozialistischen Gruppierungen<br />

als unantastbar; dasselbe gilt für das Londoner Exilkab<strong>in</strong>ett. H<strong>in</strong>gegen g<strong>in</strong>g die Polnische<br />

Arbeiterpartei seit ihrem Entstehen von der Preisgabe der Ostgebiete aus, ohne<br />

<strong>in</strong> diesem Punkt e<strong>in</strong>e überzeugende Argumentation zu entwickeln. Bis 1944 sollte die<br />

Losung vom Selbstbest<strong>im</strong>mungsrecht der Ukra<strong>in</strong>er, Weißrussen <strong>und</strong> Litauer die faktisch<br />

längst vollzogene Aufgabe von 47% des alten Staatsgebiets verschleiern. Für das<br />

Prestige der polnischen Kommunisten war diese Absage selbstmörderisch; dennoch<br />

ließ Moskau nicht locker. 27<br />

Fragen wir weiter nach dem E<strong>in</strong>fluß der Kriegszielprogramme <strong>in</strong> Exil <strong>und</strong> Untergr<strong>und</strong><br />

auf die Gesellschaft <strong>und</strong> die eigentlichen Entscheidungsträger, so sche<strong>in</strong>en drei<br />

Hypothesen wichtig.<br />

Erstens kennen wir e<strong>in</strong>e Reihe von Zeugnissen, die auf e<strong>in</strong>e gewisse Popularisierung<br />

des „Westprogramms“ h<strong>in</strong>weisen. Anders formuliert: Die polnische Gesellschaft<br />

sche<strong>in</strong>t – vor allem <strong>im</strong> westlichen Teil des Landes – von dem sicheren Erwerb Danzigs,<br />

Ostpreußens <strong>und</strong> Ostoberschlesiens überzeugt gewesen zu se<strong>in</strong>. Wir werden nie<br />

wissen, was der durchschnittliche Pole 1944 mit Wroc—aw oder Szczec<strong>in</strong> assoziierte;<br />

auf dem heutigen Stand der Forschung muß die Antwort reichen, daß er damit wohl<br />

mehr anzufangen wußte als 1939.<br />

Noch weniger bekannt ist der E<strong>in</strong>fluß der Exil- <strong>und</strong> Untergr<strong>und</strong>propaganda h<strong>in</strong>sichtlich<br />

der Ostgrenze. Waren die Polen 1944 auf den Verlust von Wilna <strong>und</strong> Lemberg<br />

vorbereitet oder waren sie vielmehr fest davon überzeugt, daß ihnen, den ersten<br />

Opfern Hitlers, derartiges Unrecht nicht geschehen könnte? Auch hier wissen wir<br />

noch <strong>im</strong>mer wenig. Vorsichtig könnte man sagen, daß die Bewohner der ostpolnischen<br />

Gebiete ihre Zukunft weit pess<strong>im</strong>istischer sahen als ihre Landsleute <strong>in</strong> Zentral-<br />

26 1942 warnte z.B. das Hauptorgan der Bauernpartei vor der Ostexpansion – dafür sei Polen<br />

<strong>im</strong> Augenblick zu schwach; sobald sich aber der Staat <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en neuen Westgrenzen gefestigt<br />

haben werde, „kommt der zweite Teil unserer historischen Aufgabe – die Ostexpansion<br />

(...) die Rückkehr auf die Gebiete der Piasten wird uns die Kraft zum Marsch nach<br />

Osten geben“. Zit. nach DĄBROWSKI (wie Anm. 14), S. 23. Zu ähnlichen Überlegungen bei<br />

den Christdemokraten vgl. ORZECHOWSKI (wie Anm. 4), S. 31, Anm. 102.<br />

27 Im Frühjahr 1943 bemängelte Georgij D<strong>im</strong>itrow die offensichtlich als nicht ganz e<strong>in</strong>deutig<br />

empf<strong>und</strong>ene Losung vom Selbstbest<strong>im</strong>mungsrecht; <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Depesche vom 2. April 1943<br />

bedrängte er die Führung der PPR, dem „1939 geäußerten Willen der ukra<strong>in</strong>ischen, weißrussischen<br />

<strong>und</strong> litauischen Bevölkerung (...) präziser“ Rechnung zu tragen; zit. nach MA-<br />

RIA EWA OZÓG: Władysław Gomulka. Biografia polityczna [E<strong>in</strong>e politische Biographie],<br />

Bd. I, Warszawa 1989, S. 86; Auszüge aus der Korrespondenz mit den polnischen Kommunisten,<br />

besonders aber der <strong>in</strong>terne Schriftverkehr der sowjetischen Behörden über die<br />

PPR, s<strong>in</strong>d veröffentlicht <strong>in</strong>: Polska-ZSRR. Struktury podleg—o‘ci. Dokumenty WKP(b) [Polen-UdSSR.<br />

Strukturen der Abhängigkeit. Dokumente der Allunions-KP(b)] 1944-1949,<br />

Warszawa 1995.<br />

146


oder Westpolen, wobei die Erlebnisse aus den Jahren 1939-1941 e<strong>in</strong>e erheblich größere<br />

Rolle gespielt haben dürften als jegliche Propaganda. Das Bild ist jedoch, wie<br />

bereits gesagt, sehr verschwommen; sogar die Rolle des Grenzrevisionismus <strong>in</strong> der<br />

Untergr<strong>und</strong>presse von 1944-1948 ist kaum erforscht, <strong>und</strong> über die „schweigende<br />

Mehrheit“ <strong>in</strong> diesen Jahren wissen wir noch weniger. Daß der Widerstand gegen die<br />

„Sowjetisierung“ Polens <strong>in</strong> der zweiten Hälfte der 40er Jahre e<strong>in</strong>e se<strong>in</strong>er Legit<strong>im</strong>ationsquellen<br />

aus dem Verlust Ostpolens bezogen hat, ist e<strong>in</strong>erseits e<strong>in</strong>e B<strong>in</strong>senwahrheit,<br />

andererseits e<strong>in</strong>e problematische E<strong>in</strong>schätzung: Den Bürgerkrieg von 1944-1948 kann<br />

man sich sehr wohl auch ohne die Abtrennung der ostpolnischen Gebiete vorstellen.<br />

Schließlich bleibt noch der E<strong>in</strong>fluß der polnischen Grenzdiskussion auf die eigentlichen<br />

Entscheidungsträger von 1945 zu beurteilen. Bei der Rekonstruktion dieses<br />

Bildes dürfen wir von der Voraussetzung ausgehen, daß die St<strong>im</strong>mung <strong>im</strong> Lande<br />

selbst auf Churchill/Attlee, Roosevelt/Truman <strong>und</strong> Stal<strong>in</strong> so gut wie ke<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluß<br />

gehabt hat. Wenn überhaupt, so hätten sie nur mit der Interpretation dieser St<strong>im</strong>mung<br />

als e<strong>in</strong>em Argument ihrer Gesprächspartner rechnen müssen, die die Verhältnisse <strong>in</strong><br />

der He<strong>im</strong>at auf recht willkürliche <strong>und</strong> <strong>im</strong> Gr<strong>und</strong>e unkontrollierbare Weise präparieren<br />

konnten. Das Urteil der seriösen Historiographie über die Rolle von Sikorski, Miko—ajczyk<br />

<strong>und</strong> Wanda Wasilewska ist freilich recht e<strong>in</strong>deutig: ke<strong>in</strong>er von ihnen dürfte<br />

<strong>im</strong> Prozeß des decision-mak<strong>in</strong>g <strong>in</strong> London, Wash<strong>in</strong>gton oder Moskau e<strong>in</strong>e größere<br />

Rolle gespielt haben. Sikorski hatte noch e<strong>in</strong> gewisses Gewicht; dennoch s<strong>in</strong>d sich<br />

alle se<strong>in</strong>e Biographen, von Marian Kukiel bis Meiklejohn Terry dah<strong>in</strong>gehend e<strong>in</strong>ig,<br />

daß se<strong>in</strong> E<strong>in</strong>fluß <strong>in</strong> den letzten Monaten vor se<strong>in</strong>em Tod zurückgegangen ist – <strong>und</strong><br />

selbst 1940/41 konnte er ja <strong>in</strong> der Grenzfrage ke<strong>in</strong>e substantiellen Festlegungen der<br />

Angelsachsen erreichen. Se<strong>in</strong>e Nachfolger wurden von den Westmächten systematisch<br />

übergangen. Der E<strong>in</strong>fluß der kommunistischen Spitzenpolitiker <strong>im</strong> Moskauer<br />

Exil bei der Festlegung der Ostgrenze beschränkte sich auf die Grenzkorrektur bei<br />

Bia—ystok, h<strong>in</strong>sichtlich der Westgrenze s<strong>in</strong>d wir ohne die Kenntnis der sowjetischen<br />

Akten auf Mutmaßungen angewiesen. Erst das geme<strong>in</strong>same Auftreten der Provisorischen<br />

Regierung der Nationalen E<strong>in</strong>heit <strong>in</strong> Potsdam verlieh der polnischen St<strong>im</strong>me<br />

e<strong>in</strong> gewisses Gewicht, das trotzdem – wie wir wissen – bei der Entscheidung für die<br />

Lausitzer Neiße ke<strong>in</strong>eswegs entscheidende Bedeutung besessen hat.<br />

E<strong>in</strong>e kurze Zusammenfassung: Die Grenzdiskussion <strong>in</strong> Exil <strong>und</strong> Untergr<strong>und</strong> verlief<br />

auf zwei Ebenen. Zum e<strong>in</strong>en stellte sie die Fortsetzung tradierter ideengeschichtlicher<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzungen um die Ost- bzw. Westorientierung Polens dar. Im<br />

Schatten von Krieg <strong>und</strong> Besatzung dachte die Rechte zu Ende, wovon sie schon <strong>im</strong>mer<br />

geträumt hatte: die Vorstellung von e<strong>in</strong>er Großmacht Polen. Die kommunistische<br />

L<strong>in</strong>ke griff diese Idee auf, amputierte den dazugehörigen Gr<strong>und</strong>gedanken e<strong>in</strong>er polnischen<br />

Mission <strong>im</strong> Osten <strong>und</strong> versuchte, die gesamte gesellschaftliche Energie auf den<br />

Westen zu lenken. Die übrigen politischen Gruppen <strong>und</strong> Lager brachten zwar eigene<br />

Variationen zum Thema Großmacht Polen vor, bewegten sich aber <strong>im</strong>mer zwischen<br />

den von rechts <strong>und</strong> von l<strong>in</strong>ks vorgegebenen Denkfiguren; e<strong>in</strong>zig bei den Sozialisten<br />

f<strong>in</strong>den wir e<strong>in</strong>e Aff<strong>in</strong>ität zur Idee der europäischen Integration, wie sie die westeuropäische<br />

Entwicklung nach 1945 dom<strong>in</strong>ieren sollte.<br />

147


Die polnische Grenzdiskussion war aber zugleich – <strong>und</strong> wohl doch <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie<br />

– e<strong>in</strong>e Diskussion darüber, ob das erste Opfer Hitlers se<strong>in</strong>en <strong>im</strong> September 1939 zerschlagenen<br />

Staat auch als quasi-Sieger aufgeben könne bzw. solle. Die große Mehrheit<br />

der politischen Elite antwortete mit e<strong>in</strong>em klaren Ne<strong>in</strong>, das vordergründig e<strong>in</strong><br />

Ne<strong>in</strong> zum Verlust der Ostgebiete war. Über die gesellschaftlichen Reaktionen wissen<br />

wir wesentlich weniger; die Tatsache, daß die Westverschiebung als orig<strong>in</strong>är polnische<br />

Idee präsentierbar war, dürfte aber die Akzeptanz von Jalta <strong>und</strong> Potsdam ebenso<br />

gefördert haben, wie es die 1944/45 offensichtliche Machtlosigkeit tat.<br />

Auf den letzten Seiten ihrer Arbeit über Polen <strong>in</strong> den vierziger Jahren schrieb Krystyna<br />

Kersten den <strong>in</strong>zwischen klassischen Satz, man könne die Geschichte Polens<br />

1943-1948 <strong>in</strong> der These zusammenfassen, daß „alle e<strong>in</strong>e Niederlage erlitten <strong>und</strong> zugleich<br />

alle gewonnen haben“. 28 Kaum anders verhält es sich mit den Teilnehmern der<br />

Grenzdiskussion <strong>in</strong> Exil <strong>und</strong> Untergr<strong>und</strong>. Sowohl die territorialen Verluste als auch<br />

die Gew<strong>in</strong>ne erreichten das größte Ausmaß, das <strong>in</strong> den Programmen der Kriegszeit<br />

vorgedacht worden war. In der offiziellen landespolnischen Presse wurde diese Ambivalenz<br />

schon 1945 sorgfältig ausgeblendet, angesagt waren triumphale Loblieder;<br />

<strong>im</strong> Exil dom<strong>in</strong>ierte die Trauer um den Verlust. Alle wollten Recht behalten – nachdem<br />

offenk<strong>und</strong>ig geworden war, daß sich alle geirrt hatten.<br />

28 KRYSTYNA KERSTEN: Narodz<strong>in</strong>y systemu w—adzy. Polska 1943-1948 [Die Geburt des Herrschaftssystems],<br />

Warszawa 1985, S. 328.<br />

148


Historische <strong>und</strong> ethnische <strong>Grenzen</strong> <strong>im</strong> baltischen Raum<br />

von<br />

Gert von P i s t o h l k o r s<br />

Nach der Wiedergabe der „Süddeutschen Zeitung“ vom <strong>20</strong>. März 1995 sei wenige<br />

Tage zuvor <strong>in</strong> der lettischen Tageszeitung „Diena“ (der Tag) darüber reflektiert worden,<br />

wo denn Vertreter der 1991 wiedererstandenen baltischen Staaten Estland, Lettland<br />

<strong>und</strong> Litauen die Fünfzig-Jahr-Feiern zum Ende des Zweiten Weltkrieges begehen<br />

sollten: <strong>in</strong> London, Paris, Moskau oder auch nur geme<strong>in</strong>sam <strong>in</strong> Riga? E<strong>in</strong>igkeit herrsche<br />

<strong>in</strong> den drei baltischen Hauptstädten Tall<strong>in</strong>n/Reval, Riga <strong>und</strong> Vilnius darüber, daß<br />

die Entscheidung für den e<strong>in</strong>en oder anderen Ort <strong>in</strong> jedem Fall <strong>in</strong> der Wirkung em<strong>in</strong>ent<br />

politisch sei. Letztlich werde man wohl entweder nach Moskau fahren oder zu<br />

Hause bleiben. „Für Moskau spricht, daß dort der Zweite Weltkrieg für alle drei baltischen<br />

Staaten beendet wurde. Gegen Moskau sprechen mehrere Gründe. Bis heute<br />

will Moskau se<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluß auf das Baltikum nicht aufgeben, mit allen drei Republiken<br />

gibt es Grenzstreitigkeiten ...“<br />

Politische Streitigkeiten an der Grenze <strong>und</strong> über den Grenzverlauf bleiben <strong>in</strong> den<br />

1990er Jahren <strong>im</strong> Zentrum der Aufmerksamkeit <strong>in</strong> den baltischen Staaten <strong>und</strong> auch <strong>in</strong><br />

Rußland. Über <strong>Grenzen</strong> <strong>im</strong> baltischen Raum wird jedoch unter den verschiedensten<br />

Fragestellungen nachgedacht. Die neueste Arbeit über „Die Sozialgeschichte der Ostgrenze<br />

Estlands <strong>im</strong> Mittelalter“ untersucht vor allem die Bedeutung des Grenzsaumes<br />

<strong>und</strong> Grenzraumes für das Alltagsleben <strong>im</strong> unmittelbaren Grenzbereich vor mehr als<br />

sechsh<strong>und</strong>ert Jahren. 1 Ältere Arbeiten haben sich mit der Ostgrenze Livlands stärker<br />

unter ideologischen Gesichtspunkten beschäftigen wollen <strong>und</strong> behauptet, daß zwischen<br />

Ost <strong>und</strong> West oder gar zwischen Sarmatentum <strong>und</strong> Zivilisation e<strong>in</strong>e Wasserscheide<br />

entstanden sei. Über <strong>Grenzen</strong> zwischen dem late<strong>in</strong>ischen <strong>und</strong> dem russischorthodox<br />

geprägten Europa hat <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er posthum veröffentlichten gr<strong>und</strong>legenden Arbeit<br />

noch Werner Conze nachgedacht <strong>und</strong> damit viel Aufmerksamkeit erregt. 2 In diesem<br />

kurzen Beitrag soll hier <strong>im</strong> Anschluß an das e<strong>in</strong>leitende Zitat aus der „Diena“ nur<br />

nach historischen <strong>und</strong> ethnischen Argumentationen gefragt werden, die <strong>in</strong> der aktuellen<br />

politischen Diskussion über <strong>Grenzen</strong> e<strong>in</strong>e Rolle spielen <strong>und</strong> gespielt haben. Über<br />

1 Vgl. ANTI SELART: Zur Sozialgeschichte der Ostgrenze Estlands <strong>im</strong> Mittelalter, <strong>in</strong>: Zeitschrift<br />

für <strong>Ostmitteleuropa</strong>-Forschung 47 (1998), S. 5<strong>20</strong>-543.<br />

2 Vgl. WERNER CONZE: <strong>Ostmitteleuropa</strong>. Von der Spätantike bis zum 18. Jahrh<strong>und</strong>ert, hrsg.<br />

<strong>und</strong> mit e<strong>in</strong>em Nachwort von KLAUS ZERNACK, München 1992.<br />

149


die Sozialgeschichte der <strong>Grenzen</strong> <strong>im</strong> baltischen Raum ist für die Neuzeit noch zu wenig<br />

geforscht worden, so daß die besonders wichtige Frage nach der Sozialgeschichte<br />

der <strong>Grenzen</strong> zwischen den baltischen Staaten untere<strong>in</strong>ander sowie nach Osten gegenüber<br />

Rußland <strong>im</strong> e<strong>in</strong>zelnen gar nicht beantwortet werden kann. An der Konstellation<br />

jedoch, wie sie die „Diena“ politisch <strong>in</strong> der Hoffnung auf den Beg<strong>in</strong>n der endgültigen<br />

Nachkriegszeit nach den Jahren der Wende von 1989 <strong>und</strong> 1991 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ironischen<br />

Vorüberlegung über geme<strong>in</strong>same Gedenkveranstaltungen zugr<strong>und</strong>e legt, hat sich bis<br />

heute, drei Jahre nach den Fünfzig-Jahr-Feiern, die <strong>im</strong> übrigen getrennt <strong>in</strong> den jeweiligen<br />

Hauptstädten begangen wurden, nicht viel geändert.<br />

In den Beziehungen zwischen Rußland <strong>und</strong> den baltischen Staaten geht es allerd<strong>in</strong>gs<br />

nicht alle<strong>in</strong> um „Grenzstreitigkeiten“, sondern um mehr: Moskau behält es sich<br />

jederzeit vor, mit ethnischen Argumentationen, zum Schutz der russischen M<strong>in</strong>derheit,<br />

<strong>in</strong> die <strong>in</strong>neren Angelegenheiten der baltischen Staaten e<strong>in</strong>zugreifen. Die große<br />

russische M<strong>in</strong>derheit an den Grenzsäumen Estlands <strong>und</strong> Lettlands, aber auch <strong>in</strong> den<br />

Hauptstädten der drei baltischen Staaten gibt ständig Anlaß zu entsprechenden E<strong>in</strong>mischungen,<br />

die <strong>in</strong> der Tat <strong>im</strong>mer wieder öffentlich beklagt werden. 3 Dazu e<strong>in</strong>ige Zahlen:<br />

<strong>in</strong> Estland leben nach e<strong>in</strong>er Zählung von 1989 61,5 Prozent Esten, neben kle<strong>in</strong>eren<br />

M<strong>in</strong>derheiten von Ukra<strong>in</strong>ern, Weißrussen <strong>und</strong> Polen <strong>im</strong> übrigen 30,3 Prozent<br />

Russen, die <strong>im</strong> Zuge der sowjetischen Industrialisierung <strong>und</strong> Militarisierung Estlands<br />

bewußt angesiedelt worden s<strong>in</strong>d. Noch vor wenigen Jahren wurde der östliche Teil<br />

der Landschaft Virumaa – deutsch Wierland – <strong>im</strong> Volksm<strong>und</strong> auch „Interfront-Land“<br />

genannt, <strong>in</strong> Anspielung auf die russische politische Gruppierung, die sich als Gegenpol<br />

zur estnischen Volksfrontbewegung „rahvar<strong>in</strong>ne“ zur Verteidigung der alten Sowjetmacht<br />

gebildet hatte. Die wichtigsten Industriestädte Ostwierlands, Kohtla-Järve,<br />

Sillamäe <strong>und</strong> Kiviöli, s<strong>in</strong>d ganz russisch dom<strong>in</strong>iert. In der größten Industriestadt dieser<br />

Region Estlands, der Grenzstadt Narva, leben nur noch ca. drei Prozent Esten. Der<br />

<strong>im</strong> Frieden von Tartu/Dorpat am 2. Februar 19<strong>20</strong> ausgehandelte Grenzverlauf zwischen<br />

Rußland <strong>und</strong> Estland soll nicht mehr <strong>in</strong> allen Best<strong>im</strong>mungen gelten. Nunmehr<br />

bildet der Narvafluß die Grenze. Der Grenzstreifen von ca. 10 km östlich des Narvaflusses<br />

bis zur Nordspitze des Peipussees ist auf Beschluß Stal<strong>in</strong>s bereits 1944 – nach<br />

der Erneuerung der Sowjetmacht <strong>in</strong> Estland – an die RSFSR gefallen <strong>und</strong> wird wohl<br />

ebensowenig jemals wieder zu Estland gehören wie das südlichere Petschurgebiet östlich<br />

von Werro, <strong>in</strong> dem vor allem Setukesen wohnen, die ihrerseits nicht gefragt worden<br />

s<strong>in</strong>d, ob sie bei Rußland bleiben oder wie zwischen 19<strong>20</strong> <strong>und</strong> 1944 wieder zu Estland<br />

gehören wollen. Völkerrechtlich betrachtet gibt es nach wie vor offene Fragen<br />

zwischen Estland <strong>und</strong> Rußland, auch wenn an der faktischen Anerkennung des<br />

Grenzverlaufes wohl niemand mehr rütteln wird. 4<br />

3 Leser der <strong>in</strong> Riga ersche<strong>in</strong>enden „Baltic T<strong>im</strong>es“ f<strong>in</strong>den H<strong>in</strong>weise auf entsprechende Streitigkeiten<br />

<strong>und</strong> Ängste <strong>in</strong> jeder Nummer dieser Wochenzeitung.<br />

4 Gr<strong>und</strong>sätzliche Überlegungen zum Thema „<strong>Grenzen</strong>“ bei HANS MEDICK: Zur politischen<br />

Sozialgeschichte der <strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong> der Neuzeit Europas, <strong>in</strong>: Sozialwissenschaftliche Informationen<br />

(SOWI), <strong>20</strong> (1991), 3, S. 157-163. Neueste Publikation zum engeren Thema: WAY-<br />

NE C. THOMPSON: Citizenship and Borders: Legacies of Soviet Empire <strong>in</strong> Estonia, <strong>in</strong>: Jour-<br />

150


Auch <strong>in</strong> Lettland beziehen sich die „Grenzstreitigkeiten“ weniger auf den tatsächlichen<br />

Grenzverlauf als auf die ständige Gefahr der E<strong>in</strong>mischung unter ethnischen<br />

Vorzeichen. 5 Zwar ist <strong>im</strong> Frieden von Riga vom 11. August 19<strong>20</strong> das Gebiet um den<br />

östlichen Eisenbahnknotenpunkt Abrene – russisch Pytalovo – zwischen Lettgallen<br />

<strong>und</strong> dem Nordostzipfel Livlands lettisch geworden <strong>und</strong> erst 1944 ähnlich wie der<br />

Streifen östlich von Narva der RSFSR zugeschlagen worden. Es gibt deshalb <strong>in</strong> Lettland<br />

Kräfte, die aus wirtschaftlichen wie aus völkerrechtlichen Gründen dr<strong>in</strong>gend für<br />

e<strong>in</strong>e Rückgabe des Abrenegebietes an Lettland öffentlich e<strong>in</strong>treten. Stillschweigend<br />

wird jedoch anerkannt, daß r<strong>und</strong> um Abrene fast nur Russen wohnen, die mit Lettland<br />

kaum mehr etwas verb<strong>in</strong>den dürfte. Schwerwiegender ist allerd<strong>in</strong>gs die Tatsache, daß<br />

<strong>in</strong> der Hauptstadt Riga mit ihren über 880 000 E<strong>in</strong>wohnern – etwa e<strong>in</strong>em Drittel der<br />

Gesamte<strong>in</strong>wohnerschaft Lettlands – nur etwa 30 Prozent Letten wohnen. Die Russen<br />

überwiegen stark <strong>im</strong> Straßenbild. Auch die zweitgrößte Stadt Lettlands Daugavpils/<br />

Dünaburg <strong>im</strong> südöstlichen Grenzbereich zu Weißrußland <strong>und</strong> zu Litauen ist russisch<br />

geprägt. Dort leben nur ca. 13 Prozent Letten bzw. Lettgaller. Ähnlich wie <strong>in</strong> Estland<br />

existiert <strong>im</strong> östlichen Bereich der Republik Lettland e<strong>in</strong> Grenzsaum, <strong>in</strong> dem überwiegend<br />

russisch gesprochen <strong>und</strong> mit gemischten Gefühlen an die neue Republik gedacht<br />

wird.<br />

Litauen schließlich wäre e<strong>in</strong> Staat ohne geme<strong>in</strong>same Grenze mit Rußland, wenn<br />

man von der „Kal<strong>in</strong><strong>in</strong>gradskaja oblast’“, dem ehemaligen nördlichen Ostpreußen um<br />

Königsberg, absehen wollte, was aber natürlich nicht möglich ist. Durch Litauen verläuft<br />

vielmehr e<strong>in</strong>e Eisenbahnl<strong>in</strong>ie, mit der dieses Randgebiet an den eigentlichen russischen<br />

Staat angeb<strong>und</strong>en ist. E<strong>in</strong> derartiger „Korridor“ könnte gewiß ähnlich wie se<strong>in</strong><br />

historisches Vorbild zu Irritationen führen, doch s<strong>in</strong>d die getroffenen Regelungen <strong>in</strong><br />

der gegenwärtigen Praxis offenbar völlig stabil. Im Frieden von Moskau vom 12. Juli<br />

19<strong>20</strong> sollte nach dem Willen der damaligen Sowjetmacht das „Wilnagebiet“ an Litauen<br />

fallen, <strong>und</strong> es sollte um etwa zwei Drittel größer se<strong>in</strong> als es 1940, nach dem Diktat<br />

Stal<strong>in</strong>s <strong>und</strong> der Übergabe an die Litauische SSR, schließlich wurde. Im übrigen ist <strong>in</strong><br />

Litauen sicher unvergessen, daß Michail dçêÄ~¦Éî 1990 die territoriale Integrität Litauens<br />

<strong>im</strong> H<strong>in</strong>blick auf das Gebiet um Vilnius <strong>und</strong> um Klaipeda/Memel angezweifelt<br />

<strong>und</strong> laut darüber nachgedacht hat, ob Litauen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er alten Gestalt von vor 1940<br />

nicht groß genug gewesen sei. In Litauen stellt sich jedoch <strong>in</strong>zwischen die Grenzfrage<br />

nicht mehr ernsthaft, weder mit Polen noch mit Rußland. Vielmehr haben beide Staaten<br />

Litauen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er jetzigen Gestalt ausdrücklich anerkannt. Damit ist e<strong>in</strong> Grenzkonflikt<br />

beendet worden, der die Staatsbeziehungen <strong>im</strong> östlichen Europa der Zwischenkriegszeit<br />

nachhaltig vergiftet hat. Im übrigen leben <strong>in</strong> Litauen wegen der schwachen<br />

Industrialisierung <strong>und</strong> Urbanisierung nur ca. neun Prozent Russen. Es ist naheliegend<br />

davon auszugehen, daß <strong>in</strong> der besonderen Lage Litauens als Durchgangsland zwi-<br />

nal of Baltic Studies (JBS) XXIX (1998), S. 109-134. Gr<strong>und</strong>legend zur Geschichte Estlands<br />

TOIVO U. RAUN: Estonia and the Estonians. Hoover <strong>Institut</strong>ion Press, 2. Aufl. Stanford<br />

1992, pass<strong>im</strong>.<br />

5 Gr<strong>und</strong>legend zur lettischen Geschichte ANDREJS PLAKANS: The Latvians. A Short History.<br />

Hoover <strong>Institut</strong>ion Press, Stanford 1995 (Studies of Nationalities), pass<strong>im</strong>.<br />

151


schen zwei weit ause<strong>in</strong>anderliegenden Teilen Rußlands mehr Konfliktstoff liegen<br />

könnte als <strong>in</strong> ethnischen Irredentafragen <strong>in</strong> bezug auf die russisch sprechende Bevölkerung<br />

<strong>in</strong> der Republik. 6<br />

Für die baltischen Staaten, die ohne lange Vorplanung am Ende des Ersten Weltkrieges<br />

zwar <strong>im</strong> wesentlichen aus eigenem Antrieb, aber doch auch <strong>im</strong> Zeichen e<strong>in</strong>es<br />

„Patts der Mächte“ (Stop<strong>in</strong>ski) <strong>und</strong> e<strong>in</strong>es Schwächeanfalls des Russischen Reiches<br />

entstanden s<strong>in</strong>d, für kle<strong>in</strong>e Staaten also, die nicht auf e<strong>in</strong>e respekterheischend lange<br />

Unabhängigkeit zurückblicken können, liegt <strong>in</strong> der Abweichung vom Völkerrecht e<strong>in</strong><br />

Moment der Unsicherheit. 7 Daß Rußland die Friedensschlüsse von 19<strong>20</strong> e<strong>in</strong>seitig für<br />

obsolet erklärt hat <strong>und</strong> davon ausgeht, daß Stal<strong>in</strong> 1944 Fakten geschaffen habe, nach<br />

denen sich jeder richten müsse, schließt gute Nachbarschaft zwischen Rußland <strong>und</strong><br />

den baltischen Staaten zwar nicht aus, macht sie aber auch nicht stabiler. Vielleicht<br />

kann F<strong>in</strong>nland e<strong>in</strong> gutes Beispiel se<strong>in</strong>, das ja auch erst 1917 zu e<strong>in</strong>em selbständigen<br />

Staat wurde 8 . Es hatte aber seit der Zugehörigkeit zum Russischen Reich zwischen<br />

1809 <strong>und</strong> 1917 <strong>im</strong> Verlauf des <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts <strong>im</strong> Unterschied zu den Ostseeprov<strong>in</strong>zen<br />

<strong>und</strong> zu den litauischen Gouvernements nach <strong>in</strong>nen Staat machen können <strong>und</strong> war<br />

gegen E<strong>in</strong>flüsse aus St. Petersburg weitgehend abgeschirmt worden, nicht zuletzt<br />

durch wohlwollende Generalgouverneure, die die Vertretung f<strong>in</strong>nländischer Interessen<br />

<strong>in</strong> der Metropole zu ihrem eigentlichen Beruf zu machen suchten. 9 F<strong>in</strong>nland<br />

konnte 1863 e<strong>in</strong>en eigenen Landtag eröffnen, <strong>in</strong> dem zu jeweils 25 Prozent Adel,<br />

6 Neueste Publikation zur Geschichte Litauens: Deutschland <strong>und</strong> Litauen. Bestandsaufnahmen<br />

<strong>und</strong> Aufgaben der historischen Forschung, hrsg. von NORBERT ANGERMANN <strong>und</strong> JOA-<br />

CHIM TAUBER, Lüneburg 1995. Den neuesten Stand der politischen Problematik <strong>in</strong> den baltischen<br />

Staaten spiegelt das Beiheft zur Wochenzeitung „Das Parlament“ Nr. 37/98 vom 4.<br />

September 1998 recht gut wider. Vgl. vor allem die Beiträge von Konrad Maier (Estland),<br />

Detlef Henn<strong>in</strong>g (Lettland) sowie Joach<strong>im</strong> Tauber (Litauen).<br />

7 Nach wie vor gr<strong>und</strong>legend GEORG VON RAUCH: Geschichte der baltischen Staaten, 3. Aufl.<br />

München 1990. Wichtig auch: JOHN HIDEN, PATRICK SALMON: The Baltic Nations and Europe.<br />

Estonia, Latvia & Lithuania <strong>in</strong> the Twentieth Century, London, New York 1991. Zum<br />

Thema „Patt“ vgl. die kürzlich erschienene Dissertation von SIEGMAR STOPINSKI: Das Baltikum<br />

<strong>im</strong> Patt der Mächte. Zur Entstehung Estlands, Lettlands <strong>und</strong> Litauens <strong>im</strong> Gefolge des<br />

Ersten Weltkriegs, Berl<strong>in</strong> 1997 (Nordeuropäische Studien, Bd. 11). Diese Doktorarbeit<br />

enthält allerd<strong>in</strong>gs faktisch ke<strong>in</strong>e eigenen Archivstudien <strong>und</strong> fußt auf der m. E. e<strong>in</strong>seitigen<br />

These, daß die baltischen Staaten nahezu alles dem historischen Zufall zu verdanken gehabt<br />

hätten. Wichtiger: The Independence of the Baltic States: Orig<strong>in</strong>s, Causes, and Consequences.<br />

A Comparison of the Crucial Years 1918-1919 and 1990-1991, hrsg. von EBER-<br />

HARD DEMM u.a., Chicago 1996 (zahlreiche wichtige Aufsätze).<br />

8 Zur Staatlichkeit <strong>in</strong> F<strong>in</strong>nland gr<strong>und</strong>legend RISTO ALAPURO: State and Revolution <strong>in</strong> F<strong>in</strong>land,<br />

Berkeley, Los Angeles 1988 (mit umfangreichen Literaturverweisen).<br />

9 Dazu gr<strong>und</strong>legend ROBERT SCHWEITZER: Autonomie <strong>und</strong> Autokratie. Die Stellung des<br />

Großfürstentums F<strong>in</strong>nland <strong>im</strong> russischen Reich <strong>in</strong> der zweiten Hälfte des <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

(1863-1899), Giessen 1978 (Marburger Abhandlungen zur Geschichte <strong>und</strong> Kultur Osteuropas,<br />

Bd. 19), sowie OSMO JUSSILA: Nationalismi ja vallankumous venäläis-suomalaisissa<br />

suhteissa 1899-1914 [Nationalismus <strong>und</strong> Revolution <strong>in</strong> den russisch-f<strong>in</strong>nischen Beziehungen<br />

1899-1914], Hels<strong>in</strong>ki 1979 (Historiallisia Tutk<strong>im</strong>uksia 110).<br />

152


Geistlichkeit, Bürger <strong>und</strong> Bauern vertreten waren. Eigene Posthoheit, e<strong>in</strong>e eigene<br />

Währung <strong>im</strong> Großfürstentum sowie eigenes Militär waren Ausdruck der <strong>im</strong> Verlauf<br />

des <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts erworbenen <strong>in</strong>neren Selbständigkeit. Als die Zeit der Unterdrükkung<br />

mit der sogenannten Russifizierung unter dem Generalgouverneur Nikolaj Bobrikov<br />

<strong>im</strong> Jahr 1899 begann, war F<strong>in</strong>nland bereits e<strong>in</strong> nach <strong>in</strong>nen konsolidiertes Großfürstentum<br />

mit e<strong>in</strong>er klaren Abgrenzung gegenüber Rußland <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er f<strong>in</strong>nischen<br />

Dom<strong>in</strong>anz <strong>im</strong> Innern.<br />

In den Ostseeprov<strong>in</strong>zen h<strong>in</strong>gegen schien die Besonderheit der Region nur ständisch<br />

legit<strong>im</strong>iert. Die Privilegien Peters des Großen von 1710 bzw. 1721 waren den<br />

Ständen <strong>in</strong> Stadt <strong>und</strong> Land – Reval, Riga sowie der Estländischen <strong>und</strong> der Livländischen<br />

Ritterschaft – zwar für alle Zeiten zugesichert <strong>und</strong> bis zum Regierungsantritt<br />

Alexanders III. <strong>im</strong> Jahr 1881 auch <strong>in</strong> voller Gültigkeit, blieben aber nach <strong>in</strong>nen stets<br />

umkämpft <strong>und</strong> wurden durch e<strong>in</strong> staatliches militärisches, ökonomisches <strong>und</strong> fiskalisches<br />

Interesse laufend politisch neu <strong>in</strong>terpretiert <strong>und</strong> konterkarriert. 10<br />

In F<strong>in</strong>nland stützte sich die Russische Reichsregierung auf das Mehrheitsvolk der<br />

F<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> die Fennomanenbewegung, die als konservativ <strong>und</strong> reichsfre<strong>und</strong>lich galt.<br />

In den Ostseeprov<strong>in</strong>zen h<strong>in</strong>gegen stützte sich St. Petersburg zunächst ausschließlich<br />

auf die führenden Deutschen <strong>in</strong> Stadt <strong>und</strong> Land <strong>und</strong> behandelte die Esten <strong>und</strong> Letten<br />

als Angehörige e<strong>in</strong>es Bauernstandes, dem allenfalls <strong>in</strong> Zeiten der Not die Fürsorge der<br />

Reichsbehörden zuteil werden mußte, wenn die Ritterschaften ihrer ständischen Tutelpflicht<br />

nicht gerecht zu werden schienen. Immer wieder ist von St. Petersburg aus<br />

<strong>in</strong> die <strong>in</strong>neren Verhältnisse e<strong>in</strong>gegriffen worden, besonders drastisch zu Zeiten der<br />

Statthalterschaftsverfassung unter Kathar<strong>in</strong>a II., <strong>in</strong> Zeiten der Agrarreformen <strong>in</strong> der<br />

ersten Hälfte des <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts <strong>und</strong> aus Anlaß der sogenannten Konversionsbewegung<br />

der 1840er Jahre, als über 106 000 Esten <strong>und</strong> Letten vom lutherischen Glauben<br />

ihrer Väter zur russisch-orthodoxen Staatskirche übertraten <strong>in</strong> der Hoffnung, dadurch<br />

ihre soziale Lage zu verbessern.<br />

Erst 1882 – mit der Manase<strong>in</strong>schen Senatorenrevision <strong>in</strong> den Gouvernements Livland<br />

<strong>und</strong> Kurland – drangen Vertreter estnischer <strong>und</strong> lettischer Vere<strong>in</strong>e mit ihren Anliegen<br />

nachhaltig vor den kaiserlichen Thron. Charakteristisch ist dabei die Argumentation<br />

<strong>in</strong> Grenzfragen: die estnischen <strong>und</strong> lettischen Petitionisten – versehen mit Zehntausenden<br />

von Unterschriften – wollten die historischen <strong>Grenzen</strong> zwischen den Gouvernements<br />

Estland, Livland <strong>und</strong> Kurland durch ethnische ersetzt wissen. Den Mehrheitsvölkern<br />

sollte durch Aufhebung der Prov<strong>in</strong>z Livland zu ihrem Recht verholfen<br />

<strong>und</strong> damit der stärksten Bastion der ständischen Ordnung, der Livländischen Ritterschaft<br />

<strong>und</strong> ihrem Landtag, der Garaus gemacht werden. Entlang der Sprachengrenze<br />

zwischen dem estnischen <strong>und</strong> lettischen Siedlungsgebiet sollte durch e<strong>in</strong>en adm<strong>in</strong>istrativen<br />

Akt aus St. Petersburg e<strong>in</strong>e neue Gliederung der Ostseegouvernements e<strong>in</strong>geleitet<br />

werden. Im übrigen sollte die russische Landschaftsordnung – die Zemstvo-<br />

10 Vgl. zusammenfassend das Kapitel des Autors dieses Beitrages GERT VON PISTOHLKORS:<br />

„Die Ostseeprov<strong>in</strong>zen unter russischer Herrschaft (1710/95-1914), <strong>in</strong>: Baltische Länder,<br />

hrsg. von DEMS., Berl<strong>in</strong> 1994 (Deutsche Geschichte <strong>im</strong> Osten Europas), S. 266-450, bes. S.<br />

266-278.<br />

153


Organisation – auf die neuen Gouvernements übertragen werden, damit Esten <strong>und</strong><br />

Letten zum<strong>in</strong>dest die Gleichberechtigung mit der deutschen Oberschicht <strong>in</strong> der<br />

Selbstverwaltung erreichen konnten. Wie bekannt, hat erst die Provisorische Regierung<br />

unter dem Fürsten L’vov <strong>im</strong> Jahre 1917 nach der Februarrevolution unter dem<br />

E<strong>in</strong>druck von Demonstrationen estnischer Soldaten <strong>in</strong> Petrograd diesem alten Wunsch<br />

Rechnung getragen <strong>und</strong> die Zweiteilung verfügt. Von Estland <strong>und</strong> Lettland <strong>im</strong> modernen<br />

S<strong>in</strong>n sprach freilich <strong>in</strong> Rußland vor 1917 noch kaum jemand. 11<br />

Im H<strong>in</strong>blick auf historische <strong>Grenzen</strong> haben Esten <strong>und</strong> Letten die schmerzliche Erfahrung<br />

machen müssen, daß sich die 1710/21 vertraglich verfügten Privilegierungen<br />

von Deutschen <strong>in</strong> Stadt <strong>und</strong> Land <strong>im</strong> Russischen Reich bis zum Ende des <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

als erstaunlich stabil erwiesen haben. Die nationalen Bewegungen der Esten<br />

<strong>und</strong> Letten seit den 1860er Jahren fanden h<strong>in</strong>gegen mehr Gegner als Befürworter <strong>in</strong><br />

St. Petersburg. In se<strong>in</strong>er „Geschichte der baltischen Staaten“ von 1970 hat Georg von<br />

Rauch den Beg<strong>in</strong>n der „Epoche der Eigenstaatlichkeit“ für Estland, Lettland <strong>und</strong> Litauen<br />

dennoch nachdrücklich mit e<strong>in</strong>er positiven Wertung versehen: „Sie hatten sie –<br />

die Unabhängigkeit (GvP) – nicht so sehr fremder Hilfe als den eigenen militärischen<br />

Kräften <strong>und</strong> ihrem festen politischen Willen zu verdanken.“ 12 Diese großzügige Ermutigung<br />

zu eigenem historischem Selbstbewußtse<strong>in</strong> <strong>im</strong> Zeitalter Bre‹nevs bedarf<br />

unter dem leitenden Gesichtspunkt historischer <strong>und</strong> ethnischer Argumentationen h<strong>in</strong>sichtlich<br />

der <strong>Grenzen</strong> zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong>er knappen Überprüfung. Die Vorgänge an den<br />

<strong>Grenzen</strong> Estlands <strong>im</strong> Jahre 1919 mögen dafür als Beispiel dienen.<br />

Von Karsten Brüggemann ist <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em quellennahen <strong>und</strong> argumentativ überzeugenden<br />

Aufsatz herausgearbeitet worden, wie zielstrebig der estnische militärische<br />

Führer Oberst Johan Laidoner (1884-1953) auf die Unabhängigkeit e<strong>in</strong>er Republik<br />

Estland h<strong>in</strong>gearbeitet hat. 13 Während Laidoner auf der e<strong>in</strong>en Seite die Nordwest-<br />

Armee unter gìÇÉåᦠunterstützte, gewann er mit der Annahme des sowjetischen Verhandlungsangebots<br />

Ende September 1919 den notwendigen Handlungsspielraum zur<br />

Verfolgung se<strong>in</strong>es wichtigsten politischen Zieles, der staatlichen Unabhängigkeit. Die<br />

estnische Seite hatte nunmehr zwei Eisen <strong>im</strong> Feuer – e<strong>in</strong> rotes <strong>und</strong> e<strong>in</strong> weißes. Sie<br />

konnte ruhig abwarten, was aus dem Vormarsch von gìÇÉåᦠauf Petrograd wurde.<br />

Als gìÇÉåᦠschließlich vorübergehend hoffen durfte, erfolgreich zu se<strong>in</strong>, ließ er alle<br />

Masken fallen <strong>und</strong> brüstete sich mit der Feststellung, daß es für ihn nur das e<strong>in</strong>e, unteilbare<br />

Rußland gebe, selbstverständlich auch unter E<strong>in</strong>schluß Estlands. Insgesamt<br />

nahm er mit se<strong>in</strong>em weißen Offizierskorps gegenüber der „Kartoffelrepublik“ Estland<br />

e<strong>in</strong>e durchgängig kaum verschleierte fe<strong>in</strong>dliche Haltung e<strong>in</strong>.<br />

Die Esten wurden <strong>im</strong> übrigen zu Sündenböcken für alle Fehler der russischen Führung<br />

gemacht. Zwar war die estnische Seite <strong>im</strong> eigenen Interesse lange Zeit bereit<br />

11 Nach wie vor gr<strong>und</strong>legend ist die von deutschen, estnischen <strong>und</strong> lettischen Autoren verfaßte<br />

Aufsatzsammlung <strong>in</strong> zwei Bänden: Von den baltischen Prov<strong>in</strong>zen zu den baltischen<br />

Staaten 1917-19<strong>20</strong>, hrsg. von JÜRGEN VON HEHN u.a., Marburg/Lahn 1971 <strong>und</strong> 1977.<br />

12 Vgl. GEORG VON RAUCH (wie Anm. 7), S. 80.<br />

13 Vgl. KARSTEN BRÜGGEMANN: Kooperation <strong>und</strong> Konfrontation: Estland <strong>im</strong> Kalkül der weißen<br />

Russen 1919, <strong>in</strong>: Zeitschrift für Ostforschung 43 (1994), S. 534-552.<br />

154


gewesen, an e<strong>in</strong>em Zusammengehen mit der Nordwest-Armee festzuhalten, doch war<br />

auch klar, daß nationalpolitische Ziele auf beiden Seiten dom<strong>in</strong>ierten <strong>und</strong> daß der Antibolschewismus<br />

alle<strong>in</strong> nicht genügend Kitt bot, um beide Parteien auf Dauer beie<strong>in</strong>anderzuhalten.<br />

Es war deshalb nur konsequent, daß die Esten schließlich die Initiative<br />

zu Verhandlungen mit der Sowjetmacht übernahmen, um ihren eigenen Interessen<br />

zu dienen, die bereits e<strong>in</strong>deutig auf die Unabhängigkeit von Rußland gerichtet waren.<br />

Im e<strong>in</strong>zelnen ist allerd<strong>in</strong>gs von He<strong>in</strong>z von zur Mühlen nachgewiesen worden, wie<br />

schwierig sich die Verhandlungen um e<strong>in</strong>e verteidigungsfähige Grenze zwischen Estland<br />

<strong>und</strong> Rußland gestalteten. 14 Die Grenzziehung ca. 10 km östlich der Stadt Narva,<br />

die auch erst 1917 von Ingermanland zum Territorium des Gouvernements Estland<br />

zurückgekehrt war, konnte weder historisch noch ethnisch ausreichend begründet<br />

werden. Im Grenzstreifen lebten vor allem Russen. Narva selbst h<strong>in</strong>gegen war e<strong>in</strong>e<br />

vor allem von Esten bewohnte Stadt mit e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en kaufmännischen deutschen<br />

Oberschicht <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er nach der Volkszählung von 1897 bemessenen Gesamtzahl von<br />

16 577 E<strong>in</strong>wohnern, davon 14,6 Prozent Russen. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges<br />

wuchs die Industriestadt mit fünf großen Fabriken <strong>in</strong>nerhalb der Krenholmer<br />

Manufaktur auf 45 000 Menschen an, zumeist Arbeiter, die sich <strong>im</strong> neugeschaffenen<br />

Arbeiter- <strong>und</strong> Soldatenrat nach dem Februar 1917 politisch stark engagierten. Nach<br />

dem Abzug der deutschen Truppen Ende November 1918 wurde sogar e<strong>in</strong>e estnische<br />

Arbeiterkommune <strong>in</strong> Narva ausgerufen. Im Januar 1919 obsiegte jedoch bereits die<br />

estnische Armee <strong>in</strong> Narva, die die Stadt nicht mehr herausgab. Der Anspruch auf<br />

Narva wurde zwar historisch <strong>und</strong> ethnisch begründet, wobei es ke<strong>in</strong>e Rolle spielte,<br />

daß die Stadt <strong>in</strong> schwedischer <strong>und</strong> russischer Zeit zwischen dem 17. Jahrh<strong>und</strong>ert <strong>und</strong><br />

1917 die Hauptstadt Ingermanlands gewesen war. Durchgesetzt wurde der Anspruch<br />

auf Narva jedoch durch e<strong>in</strong>en völkerrechtlich verb<strong>in</strong>dlichen Vertrag <strong>und</strong> durch militärische<br />

Präsenz.<br />

Mitten <strong>im</strong> H<strong>in</strong> <strong>und</strong> Her <strong>und</strong> <strong>im</strong> Zeichen militärischer Ause<strong>in</strong>andersetzungen <strong>im</strong><br />

erweiterten Gebiet um Narva begannen <strong>in</strong> Tartu/Dorpat am 5. Dezember 1919 die<br />

Verhandlungen zwischen den Sowjets <strong>und</strong> dem estnischen Vertreter Jaan Poska<br />

(1866-19<strong>20</strong>) ohne Teilnahme von Letten <strong>und</strong> Litauern. Den Esten g<strong>in</strong>g es vornehmlich<br />

um die Grenzfrage. Die Sowjets h<strong>in</strong>gegen wollten <strong>im</strong> Ergebnis vor allem e<strong>in</strong>e<br />

Garantie, daß sich auf estnischem Boden ke<strong>in</strong>e Kräfte zur Intervention mehr sammeln<br />

konnten. Die Esten verlangten zunächst e<strong>in</strong>e Grenzl<strong>in</strong>ienführung ca. 15 bis <strong>20</strong> km östlich<br />

von Narva <strong>und</strong> g<strong>in</strong>gen dabei von e<strong>in</strong>er Position der militärischen Stärke aus. Die<br />

Sowjets setzten dem e<strong>in</strong>en eigenen, völlig <strong>in</strong>diskutablen Vorschlag entgegen, der ihnen<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er L<strong>in</strong>ie von K<strong>und</strong>a bis zum Peipussee e<strong>in</strong>en gewichtigen Teil des östlichen<br />

Wierland samt Narva zugeschlagen hätte. Sie räumten allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>, daß sie ethnische<br />

Gesichtspunkte berücksichtigen wollten, sobald die estnische Seite garantieren<br />

würde, daß Rußland vor e<strong>in</strong>er Intervention aus Estland durch weiße Truppen geschützt<br />

wäre. Auf die h<strong>in</strong>haltende Taktik der Sowjets ließ sich Poska jedoch nicht e<strong>in</strong>.<br />

Die Verhandlungen wurden von durchgängigen militärischen Scharmützeln beider<br />

14 Vgl. HEINZ VON ZUR MÜHLEN: Die Narva-Frage <strong>und</strong> die Grenze <strong>im</strong> Nordosten Estlands, <strong>in</strong>:<br />

Zeitschrift für Ostforschung 41 (1992), S. 248-257.<br />

155


Seiten begleitet. Das für die Republik Estland überaus befriedigende Ergebnis mit<br />

dem Grenzstreifen mehr als zehn km östlich von Narva <strong>und</strong> dem ganzen Petschurgebiet<br />

<strong>im</strong> Süden des Staates verdankten die Esten nach dem Urteil Mühlens ihrem „militärischen<br />

Widerstand“ <strong>und</strong> ihrem Mißtrauen gegenüber allen Zusicherungen der sowjetischen<br />

Verhandlungsführer. Strategische Gesichtspunkte waren alle<strong>in</strong> ausschlaggebend<br />

für das Insistieren auf dem Grenzstreifen. Narva wäre, nur durch den Fluß von<br />

der russischen Seite getrennt, angesichts der militärischen Kräfteverhältnisse nicht zu<br />

verteidigen gewesen.<br />

Aus dem Beispiel der Verhandlungen zwischen der Sowjetmacht <strong>und</strong> Estland <strong>in</strong><br />

den Jahren 1919/<strong>20</strong> kann gelernt werden, daß es wichtig ist, völkerrechtlich gesicherte<br />

Ergebnisse anzustreben, an die sich alle halten müssen. Ethnische <strong>und</strong> historische<br />

Argumentationen s<strong>in</strong>d h<strong>in</strong>gegen nur Hilfsgrößen. Das heutige Estland würde aus wirtschaftlichen<br />

wie auch aus strategischen Gründen angesichts völlig ungleichgewichtiger<br />

militärischer Verhältnisse <strong>im</strong> Grenzraum zu Rußland auf den Grenzstreifen bei<br />

Narva gewiß verzichten können, wie auch Lettland auf das Abrenegebiet. Schwierig<br />

ist allerd<strong>in</strong>gs das völkerrechtliche Problem <strong>im</strong> H<strong>in</strong>blick auf die Anerkennung der<br />

Friedensverträge von 19<strong>20</strong>. E<strong>in</strong> stillschweigender Verzicht auf diese wichtigen Best<strong>im</strong>mungen<br />

der Friedensverträge von 19<strong>20</strong>, die Rußland unter Jelz<strong>in</strong> 1991 pauschal<br />

ja <strong>im</strong>merh<strong>in</strong> anerkannt hat, könnte als Schwäche ausgelegt werden <strong>und</strong> zur Fortsetzung<br />

e<strong>in</strong>seitiger Pressionen führen, wie Estland sie freilich unter völlig anderen Bed<strong>in</strong>gungen<br />

bereits um die Mitte der 1930er Jahre erlebt hat. Er<strong>in</strong>nerungen daran lassen<br />

sich nicht ohne weiteres verdrängen. Nach der Ermordung des führenden Parteifunktionärs<br />

Kirov <strong>in</strong> Len<strong>in</strong>grad <strong>im</strong> Dezember 1934 wurden aus Gründen der Ablenkung<br />

von <strong>in</strong>neren Schwierigkeiten plötzlich Stichbahnen an die sowjetisch-estnische<br />

Grenze gebaut. Drohungen wurden ausgestoßen. Die e<strong>in</strong>seitigen Erklärungen <strong>und</strong> Unterscheidungen<br />

des russischen Außenm<strong>in</strong>isters Kosyrev aus dem Jahr 1991 über „nahe“<br />

<strong>und</strong> über „unabhängige“ Nachbarn, die niemals dementiert worden s<strong>in</strong>d, tragen<br />

heutzutage nicht dazu bei, daß völlig spannungsfrei über Grenzprobleme zwischen<br />

Rußland <strong>und</strong> den baltischen Staaten nachgedacht werden kann. Es wird durch Verhandlungen<br />

<strong>in</strong> naher Zukunft entschieden werden müssen, ob fünfzig Jahre nach dem<br />

Ende des Zweiten Weltkrieges historische <strong>und</strong> ethnische Argumentationen <strong>im</strong> Nordosten<br />

Europas <strong>in</strong> Zukunft vor allem der Entfaltung von historischen Geme<strong>in</strong>samkeiten<br />

über ethnische Unterschiede h<strong>in</strong>weg dienen können oder nicht.<br />

156


<strong>Grenzen</strong> <strong>und</strong> Menschen <strong>im</strong> östlichen Mitteleuropa


<strong>Grenzen</strong> <strong>und</strong> M<strong>in</strong>derheiten <strong>im</strong> östlichen Mitteleuropa –<br />

Genese <strong>und</strong> Wechselwirkungen<br />

von<br />

Hans L e m b e r g<br />

<strong>Grenzen</strong> – Gesellschaften – vormoderne Staaten<br />

Wenn wir uns <strong>im</strong> folgenden mit der Genese <strong>und</strong> den Wechselwirkungen von <strong>Grenzen</strong><br />

<strong>und</strong> M<strong>in</strong>derheiten <strong>im</strong> östlichen Europa beschäftigen 1 , dann wird es angebracht se<strong>in</strong>,<br />

e<strong>in</strong>en langen, wenn auch raschen Anlauf zu machen <strong>und</strong> damit <strong>im</strong> Mittelalter anzufangen.<br />

Grob gesagt: <strong>Grenzen</strong> gab es schon vor den Staaten, <strong>und</strong> zwar zunächst als Marken,<br />

mehr oder weniger breite Gebietsstreifen, Wildnisse zwischen den Herrschaftskernen<br />

der sogenannten mittelalterlichen Personenverbandsstaaten, die noch nicht als<br />

Staaten <strong>im</strong> modernen S<strong>in</strong>ne angesehen werden können. Mit dem mittelalterlichen<br />

Landesausbau <strong>im</strong> östlichen Mitteleuropa hat das slawische Wort granica aus dem<br />

Vorfeld der Germania Slavica, des späteren Ostdeutschland (also aus dem preußischen<br />

Ordensland, aus Pommern <strong>und</strong> Schlesien), geme<strong>in</strong>sam mit der von ihm bezeichneten<br />

Sache den Siegeszug nach Westen angetreten, „granica“ nämlich <strong>im</strong> S<strong>in</strong>ne<br />

e<strong>in</strong>er l<strong>in</strong>ear verstandenen, abgesteckten Grenze zwischen zunächst privaten, dann aber<br />

<strong>im</strong>mer mehr auch öffentlichen Rechtsbereichen. 2<br />

Bis zum Zeitalter der Reformation hatte sich das Lehnwort „Grenze“ auch <strong>in</strong> der<br />

deutschen Sprachform längst durchgesetzt. Als sich jetzt, <strong>im</strong> 16./17. Jahrh<strong>und</strong>ert, der<br />

moderne Territorialstaat herausbildete, bemächtigten sich die Staatstheoretiker der<br />

1 Der Beitrag zur Tagung von 1995 ist <strong>in</strong>zwischen weiterentwickelt <strong>und</strong> <strong>in</strong> verschiedenen<br />

Versionen <strong>in</strong> Nidden/Litauen 1996, Tüb<strong>in</strong>gen 1997 <strong>und</strong> Kiel 1998 vorgetragen worden. Die<br />

vorliegende Fassung ist <strong>im</strong> wesentlichen die der Abschiedsvorlesung des Verf. an der Philipps-Universität<br />

Marburg am 23. Juli 1998.<br />

2 Vgl. dazu den Beitrag von Hans-Jürgen Karp <strong>im</strong> vorliegenden Band; vgl. auch DERS.:<br />

<strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong> <strong>Ostmitteleuropa</strong> während des Mittelalters. E<strong>in</strong> Beitrag zur Entstehungsgeschichte<br />

der Grenzl<strong>in</strong>ie aus dem Grenzsaum, Köln, Wien 1972 (Forschungen <strong>und</strong> Quellen<br />

zur Kirchen- <strong>und</strong> Kulturgeschichte Ostdeutschlands, 9); HERBERT KOLB: Zur Frühgeschichte<br />

des Wortes „Grenze“, <strong>in</strong>: Archiv für das Studium der neueren Sprachen <strong>und</strong> Literaturen<br />

226, Jg. 141 (1989), 2. Halbbd., S. 344–356; HANS-WERNER NICKLIS: Von der<br />

„Grenitze“ zur Grenze. Die Grenzidee des late<strong>in</strong>ischen Mittelalters (6.–15. Jh.), <strong>in</strong>: Blätter<br />

für deutsche Landesgeschichte 123 (1992), S. 1–30; WINFRIED SCHICH: Die „Grenze“ <strong>im</strong><br />

östlichen Mitteleuropa <strong>im</strong> hohen Mittelalter, <strong>in</strong>: Siedlungsforschung 9 (1991), S. 135–146.<br />

159


Grenze <strong>und</strong> ihrer Zeichen als e<strong>in</strong>es wesentlichen Elements, das für die Konstituierung<br />

der Territorialherrschaft, der superioritas territorialis notwendig ist. 3 Seither gelten<br />

als Def<strong>in</strong>ition, was eigentlich den Staat ausmache, die noch uns geläufigen drei Kriterien:<br />

1. die Staatsgewalt, 2. das Staatsvolk <strong>und</strong> 3. das Staatsgebiet. Dieses Staatsgebiet<br />

aber, das Territorium, darüber gibt es ke<strong>in</strong>en Streit, ist durch e<strong>in</strong>e mit Grenzzeichen<br />

abgesteckte Grenze de-f<strong>in</strong>iert. 4<br />

E<strong>in</strong>en anderen Anlauf bietet die nächste Frage: Wie war die menschliche Gesellschaft<br />

<strong>in</strong> der frühen Neuzeit gegliedert, also vor den Umwälzungen der Französischen<br />

Revolution, <strong>in</strong> deren Folge die Gesellschaft egalitär strukturiert worden ist? Wenn<br />

man möglichst weit zu abstrahieren versucht, fällt auf, daß es vor der Französischen<br />

Revolution e<strong>in</strong>e Teilung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e privilegierte <strong>und</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e (viel größere) nichtprivilegierte<br />

Großgruppe gab; wer nicht privilegiert war, auf den kam es überhaupt nicht an,<br />

der zählte <strong>in</strong> politischer H<strong>in</strong>sicht nicht mit. Der populus, die politische Nation, bestand<br />

nur aus den Privilegierten, man kann auch sagen: aus den Standespersonen, den<br />

Ständen. 5<br />

Änderten sich <strong>in</strong> dieser Epoche <strong>Grenzen</strong> durch Kriege oder durch dynastische Ereignisse,<br />

dann blieb unterhalb der Ebene des Souveräns das soziale Gefüge von Privilegierten<br />

<strong>und</strong> Nichtprivilegierten erhalten; ja mehr noch: die Privilegien wurden <strong>in</strong> der<br />

Regel vom neuen Souverän bestätigt; <strong>und</strong> so blieb h<strong>in</strong>sichtlich der <strong>in</strong>neren sozialen,<br />

rechtlichen <strong>und</strong> kulturellen Verhältnisse wie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em verschnürten Paket alles be<strong>im</strong><br />

alten 6 , auch wenn die Reichsgrenzen nun ganz anderswo verliefen <strong>und</strong> der Landesherr<br />

gewechselt hatte. Das Weiterleben des Privilegium Sigism<strong>und</strong>i Augusti <strong>im</strong> Baltikum 7<br />

oder des Andreanum <strong>in</strong> Siebenbürgen 8 s<strong>in</strong>d hierfür e<strong>in</strong>drucksvolle Beispiele.<br />

3 Dazu vgl. DIETMAR WILLOWEIT: Rechtsgr<strong>und</strong>lagen der Territorialgewalt. Landesobrigkeit,<br />

Herrschaftsrechte <strong>und</strong> Territorium <strong>in</strong> der Rechtswissenschaft der Neuzeit, Köln, Wien 1975<br />

(Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte, 11), bes. S. 274 ff.; s. auch HANS MEDICK:<br />

Grenzziehung <strong>und</strong> die Herstellung des politisch-sozialen Raumes. Zur Begriffsgeschichte<br />

<strong>und</strong> politischen Sozialgeschichte der <strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong> der Frühen Neuzeit, <strong>in</strong>: Grenzland. Beiträge<br />

zur Geschichte der deutsch-deutschen Grenze, hrsg. von B. WEISBROD, Hannover 1993,<br />

S. 195-211.<br />

4 Zur Drei-Elementenlehre <strong>im</strong> Völkerrecht vgl.: KNUT IPSEN u.a.: Völkerrecht, 4. Aufl. München<br />

1999, S. 55-59; GEORG DAHM, JOST DELBRÜCK <strong>und</strong> RÜDIGER WOLFRUM: Völkerrecht,<br />

Bd. I/1, 2. Aufl. Berl<strong>in</strong>, New York 1989, S. 125-131.<br />

5 Vgl. HANS LEMBERG: Der Weg zur Entstehung der Nationalstaaten <strong>in</strong> <strong>Ostmitteleuropa</strong>, <strong>in</strong>:<br />

Osteuropa zwischen Nationalstaat <strong>und</strong> Integration, hrsg. von GEORG BRUNNER, Berl<strong>in</strong> 1995<br />

(Osteuropaforschung. Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Osteuropak<strong>und</strong>e, 33),<br />

S. 45-71 (mit e<strong>in</strong>er schematischen Skizze).<br />

6 Ulrich Scheuner mündlich <strong>in</strong> der Diskussion zu se<strong>in</strong>em Vortrag. Vgl. ULRICH SCHEUNER:<br />

Nationalstaatspr<strong>in</strong>zip <strong>und</strong> Staatenordnung seit dem Beg<strong>in</strong>n des <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts, <strong>in</strong>: Staatsgründung<br />

<strong>und</strong> Nationalitätspr<strong>in</strong>zip. Unter Mitwirkung von PETER ALTER hrsg. von THEO-<br />

DOR SCHIEDER, München, Wien 1974 (Studien zur Geschichte des <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts, 7), S.<br />

9–37.<br />

7 KLAUS-DIETRICH STAEMMLER: Preußen <strong>und</strong> Livland <strong>in</strong> ihrem Verhältnis zur Krone Polen<br />

1561–1586, Marburg/Lahn 1953 (Wissenschaftliche Beiträge zur Geschichte <strong>und</strong> Landes-<br />

160


In e<strong>in</strong>em solchen System konnte es also nicht, wie <strong>im</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert, so etwas<br />

geben wie ethnische M<strong>in</strong>derheiten. Der Begriff von Mehrheit <strong>und</strong> M<strong>in</strong>derheit verlangt<br />

ja, daß Menschen, deren Gleichheit vorausgesetzt wird, gezählt, nicht aber nach dem<br />

Grad ihrer Privilegierung gewogen werden. Zudem spielte es <strong>in</strong> der vormodernen Zeit<br />

ke<strong>in</strong>e Rolle, welcher Sprache sich die Menschen zur Kommunikation bedienten, also<br />

welches ihre Muttersprache war. Die Kultsprache, die Rechts- <strong>und</strong> Wissenschaftssprache<br />

waren meist ohneh<strong>in</strong> anders: Late<strong>in</strong>isch, Westrussisch-Kirchenslawisch,<br />

Französisch, möglicherweise Neuhochdeutsch, Osmanisch oder was auch <strong>im</strong>mer.<br />

Freilich - es gab religiöse Gruppen, die man aus heutiger Sicht mit M<strong>in</strong>derheiten<br />

vergleichen könnte: sie waren konfessionell oder religiös anders e<strong>in</strong>gestellt als die <strong>im</strong><br />

Lande herrschende Religion <strong>und</strong> konnten dessentwegen entsprechenden Verfolgungen<br />

ausgesetzt werden. Dennoch ist das Begriffspaar „Mehrheit“ <strong>und</strong> „M<strong>in</strong>derheit“<br />

auch hier abwegig: Auch bei den Konfessionen g<strong>in</strong>g es um Gruppen, die eher nach<br />

dem ständischen Pr<strong>in</strong>zip konstituiert waren; selbst die Toleranz zwischen diesen<br />

Gruppen ähnelte – vor dem Zeitalter der Aufklärung – eher ständischen Bündnissen. 9<br />

Historisches Recht, Naturrecht <strong>und</strong> <strong>Grenzen</strong><br />

Frühneuzeitliche <strong>Grenzen</strong> zwischen Territorialstaaten waren meist <strong>in</strong> irgende<strong>in</strong>er<br />

Weise historisch-juristisch legit<strong>im</strong>iert, zu Recht oder nur dem Anspruch nach. Die<br />

Durchsetzung des modernen, zentral organisierten Flächenstaates <strong>und</strong> die Verdrängung<br />

älterer, traditioneller, eher ständisch geprägter Herrschaften sollte die Landkarte<br />

des europäischen Staatensystems der frühen Neuzeit <strong>im</strong>mer wieder verändern. Es ist<br />

überflüssig, <strong>in</strong>s Gedächtnis zu rufen, wie oft Territorien mittlerer Größe wie etwa Livland<br />

von e<strong>in</strong>er Hand <strong>in</strong> die andere g<strong>in</strong>gen; oder wie mit den verschiedenen Komb<strong>in</strong>ationen<br />

von Unionen seit dem späten Mittelalter auch große Territorien <strong>im</strong>mer wieder<br />

die Zugehörigkeit zu Dynastien oder Staatsverbänden wechselten. Wenn aber <strong>Grenzen</strong><br />

verändert wurden, dann meist mit historisch-rechtlicher Argumentation <strong>und</strong> oft<br />

genug entlang alter L<strong>in</strong>ien.<br />

Im Zeitalter der Aufklärung schien diese historisch-legit<strong>im</strong>istische Argumentation<br />

durch rationale Vorwände für Grenzziehungen <strong>in</strong> den H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> gedrängt zu werden.<br />

Montesquieu lehrte, jeder Staat habe se<strong>in</strong>e „l<strong>im</strong>ites naturelles“. Die Natur selbst<br />

also, nicht die Festlegung <strong>in</strong> verstaubten, überkommenen Privilegien solle künftig den<br />

k<strong>und</strong>e Ost-Mitteleuropas, 8). – Zum Weiterleben: Die Capitulationen der livländischen Ritter-<br />

<strong>und</strong> Landschaft <strong>und</strong> der Stadt Riga vom 4. Juli 1710 nebst deren Confirmationen. Nach<br />

den Orig<strong>in</strong>aldocumenten mit Vorausstellung des Privilegium Sigism<strong>und</strong>i Augusti <strong>und</strong> e<strong>in</strong>igen<br />

Beilagen hrsg. von C[ARL] SCHIRREN, Dorpat 1865.<br />

8 Quellen zur Geschichte der Siebenbürger Sachsen 1191–1975, hrsg. von ERNST WAGNER,<br />

Köln, Wien 1976 (Schriften zur Landesk<strong>und</strong>e Siebenbürgens, 1), S. 15–<strong>20</strong>.<br />

9 Vgl. WALTER DAUGSCH: Toleranz <strong>im</strong> Fürstentum Siebenbürgen. Politische <strong>und</strong> gesellschaftliche<br />

Voraussetzungen der Religionsgesetzgebung <strong>im</strong> 16. <strong>und</strong> 17. Jahrh<strong>und</strong>ert, <strong>in</strong>:<br />

Kirche <strong>im</strong> Osten 26 (1983), S. 35–72.<br />

161


Maßstab für die Begrenzung des Territorialstaates geben. Bis zu se<strong>in</strong>en natürlichen<br />

<strong>Grenzen</strong> sei der Staat kraft Naturgesetzes berechtigt vorzudr<strong>in</strong>gen; sie zu überschreiten<br />

freilich bedeute dessen Übertretung. 10 Gerade <strong>in</strong> Frankreich, zumal <strong>im</strong> Zeitalter<br />

der Revolution, verlagerte sich <strong>im</strong> Zeichen der Aufklärung das Gewicht der Argumentation<br />

von den früher auch dort gebräuchlichen historischen Begründungsmustern<br />

gänzlich auf die der quasi natürlichen Best<strong>im</strong>mung. Nun freilich, <strong>in</strong> den Revolutionskriegen,<br />

schien sich diese Vision mit der Erreichung der sogenannten natürlichen<br />

<strong>Grenzen</strong> von Ozean <strong>und</strong> Pyrenäen, Alpen <strong>und</strong> Rhe<strong>in</strong>-Maas zu erfüllen.<br />

Derart spektakuläre „natürliche“ <strong>Grenzen</strong> wird man allerd<strong>in</strong>gs <strong>im</strong> b<strong>in</strong>nenländischen<br />

<strong>Ostmitteleuropa</strong> kaum oder gar nicht f<strong>in</strong>den 11 , sieht man e<strong>in</strong>mal von Ausnahmen<br />

ab, wie etwa der Düna <strong>im</strong> 18., der Oder-Neiße-L<strong>in</strong>ie <strong>im</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert oder den<br />

allerd<strong>in</strong>gs über Jahrh<strong>und</strong>erte h<strong>in</strong>weg „natürliche“ <strong>Grenzen</strong> bildenden Bergkämmen<br />

vom Erzgebirge über die Sudeten bis zu den Karpathen; 12 eher dann schon <strong>in</strong> Südosteuropa,<br />

wie gewisse Teile der Save oder der Donau, das Balkangebirge oder die Dr<strong>in</strong>a.<br />

Gerade <strong>im</strong> flacheren <strong>und</strong> weniger geographisch akzentuierten <strong>Ostmitteleuropa</strong><br />

spielte das Argument der natürlichen Grenze e<strong>in</strong>e recht ger<strong>in</strong>ge Rolle.<br />

Doch auch <strong>in</strong> solchen Gegenden Europas konnte man der Natur <strong>und</strong> ihrer grenzbildenden<br />

Kraft argumentativ zum Durchbruch verhelfen: War denn nicht, wie man<br />

<strong>im</strong> Zeitalter der Romantik zu wissen glaubte, das neu entdeckte Volkstum e<strong>in</strong> ganz<br />

ursprüngliches, natürliches Element? Konnten da nicht auch Volkstümer, Völker, Nationen<br />

ihren eigenen Platz auf der Landkarte beanspruchen, viel gültiger <strong>im</strong> S<strong>in</strong>ne des<br />

natürlichen Rechts als die historisch gewachsenen <strong>Grenzen</strong> der Länder <strong>und</strong> Staaten? 13<br />

10 N.J.G. POUNDS: The orig<strong>in</strong> of the idea of natural frontiers <strong>in</strong> France, <strong>in</strong>: Annals. Association<br />

of American Geographers 41 (1951), S. 146-157; DERS.: France and „Les l<strong>im</strong>ites naturelles“<br />

from the seventeenth to twentieth centuries, ebenda 44 (1954), S. 51-62; JOHANN<br />

SÖLCH: Die Auffassung der „natürlichen <strong>Grenzen</strong>“ <strong>in</strong> der wissenschaftlichen Geographie,<br />

Innsbruck 1924.<br />

11 HANS-DIETRICH SCHULTZ: Deutschlands „natürliche“ <strong>Grenzen</strong>. „Mittellage“ <strong>und</strong> „Mitteleuropa“<br />

<strong>in</strong> der Diskussion der Geographen seit dem Beg<strong>in</strong>n des <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts, <strong>in</strong>: Geschichte<br />

<strong>und</strong> Gesellschaft 15 (1989), S. 248-281.<br />

12 Zur ideologisierenden Überhöhung der „natürlichen“ Grenze der böhmischen Länder siehe<br />

allerd<strong>in</strong>gs den Beitrag von Robert Luft <strong>im</strong> vorliegenden Band.<br />

13 Über natürliche Gränzen, <strong>in</strong>: Deutsche Blätter, Nr. 57 (Bd. 2, Stück 3) v. 29.12.1813, S. 33-<br />

42. Dort: Politiker verstehen „seit e<strong>in</strong>igen Jahrzehenden“ unter natürlichen <strong>Grenzen</strong>: Gebirge,<br />

Seen, „am liebsten aber Flüsse“. „Es tut uns leid, diese Herren <strong>in</strong> solch e<strong>in</strong>er bequemen<br />

E<strong>in</strong>richtung stören zu müssen. Die Natur, die bei Best<strong>im</strong>mung dieser [d.h. der natürlichen<br />

<strong>Grenzen</strong>, H.L.] leiten muß, ist doch wohl nicht die todte des Bodens, sondern die lebendige<br />

der Völker, denn um dieser willen ist jener da, nicht sie für ihn.“ (S. 33); die Sprache<br />

sei das unterscheidende Merkmal (S. 34). Ströme seien „die Puls- <strong>und</strong> Blutadern der<br />

Länder“; die Sprache sei die „e<strong>in</strong>zig gültigste Naturgränze“: ERNST MORITZ ARNDT: Der<br />

Rhe<strong>in</strong>, Teutschlands Strom, aber nicht Teutschlands Gränze, Leipzig 1813, <strong>in</strong>: Arndts<br />

Werke, hrsg. von AUGUST LEFFSON u. W. STEFFENS, 1912, XI, S. 41; zit. bei ALEXANDER<br />

DEMANDT: Die <strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong> der Geschichte Deutschlands, <strong>in</strong>: Deutschlands <strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong> der<br />

Geschichte, hrsg. von ALEXANDER DEMANDT, 3. Aufl. München 1993, S. 9–31, hier: S. 15;<br />

162


Tatsächlich hat der E<strong>in</strong>bruch des ethnisch-nationalen Gedankens für das <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

zu e<strong>in</strong>em ganz neuen Nachdenken über <strong>Grenzen</strong>, ja zu neuen Konstitutionspr<strong>in</strong>zipien<br />

der Staaten selbst <strong>und</strong> der menschlichen Gesellschaft dar<strong>in</strong> geführt. Allerd<strong>in</strong>gs<br />

konnten be<strong>im</strong> Ausbau <strong>und</strong> be<strong>im</strong> Nacheifern der nationalen Idee dann doch wieder<br />

natürliche <strong>Grenzen</strong> <strong>im</strong> geographischen S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>e Rolle spielen, wenn sie sich nur<br />

annäherungsweise mit der Volksgrenze zur Deckung br<strong>in</strong>gen ließen, wie der Rhe<strong>in</strong>,<br />

an dem man die Wacht zu halten gelobte 14 oder auch die Memel, bis zu der, wie eben<br />

bis zur Maas am anderen Ende, die deutsche Sprache reichte <strong>und</strong> folglich auch e<strong>in</strong> zu<br />

erstrebendes e<strong>in</strong>iges Deutschland sich ausdehnen sollte. 15<br />

Entsprechend dieser Gewichtsverlagerung – von der geographischen Topographie<br />

zur Ethnie oder zur ethnisch (nicht historisch-rechtlich) geprägten Nation – entstanden<br />

auch seit der Mitte des <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts e<strong>in</strong>e Vielzahl von teils empirischen, teils<br />

dem Anspruchsdenken verpflichteten, eher utopischen Nationalitätenkarten, die wichtige<br />

Mittel der Politik bis <strong>in</strong> unsere Tage bilden sollten. 16 Von da aus war es zur Idee<br />

<strong>und</strong> schließlich auch zur Verwirklichung des Nationalstaats unter der Devise „E<strong>in</strong><br />

Volk, e<strong>in</strong> Reich“ nicht mehr weit.<br />

Freilich stießen sich hier - <strong>und</strong> das über e<strong>in</strong>en großen Zeitraum das lange <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

h<strong>in</strong>durch - die Pr<strong>in</strong>zipien <strong>im</strong> Raume: Noch war das historische Recht der Legit<strong>im</strong>ität<br />

übermächtig, <strong>und</strong> gerade erst war es ja nach den napoleonischen Turbulenzen<br />

<strong>im</strong> Friedenswerk von Wien 1815 noch e<strong>in</strong>mal gefestigt worden – wenn man auch<br />

nicht übersehen darf, daß sich hier vor allem für die mittleren <strong>und</strong> westlichen Teile<br />

des Reiches bzw. se<strong>in</strong>er Nachfolgegebilde allerhand geändert hatte. Ob es aber nun<br />

die alte Legit<strong>im</strong>ität war, die etwa <strong>in</strong> den baltischen Prov<strong>in</strong>zen des Russischen Reiches<br />

s. auch: S<strong>in</strong>d Flüsse schickliche Gränzen der Staaten?, <strong>in</strong>: Schlesische Prov<strong>in</strong>zialblätter 60<br />

(1814), 121-127.<br />

14<br />

MAX SCHNECKENBURGER: Die Wacht am Rhe<strong>in</strong> (1840), <strong>in</strong>: Schauenburgs allgeme<strong>in</strong>es<br />

Deutsches Kommersbuch, 44. Aufl. Lahr o.J. [nach 1886], S. 31 f.; entstanden <strong>in</strong> der<br />

„Rhe<strong>in</strong>krise“ von 1840. Vgl. UTZ JAEGGLE: Trennen <strong>und</strong> Verb<strong>in</strong>den. Warum ist es am<br />

Gr<strong>und</strong>e des Rhe<strong>in</strong>es so schön?, <strong>in</strong>: SOWI. Sozialwissenschaftliche Informationen, Stuttgart<br />

<strong>20</strong> (1991), Nr. 3, S. 179–185, hier: S. 182; „Rhe<strong>in</strong>“ wird hier metaphorisch auch für die<br />

bedroht ersche<strong>in</strong>enden Gebiete jenseits, also westlich des Rhe<strong>in</strong>es verstanden.<br />

15<br />

HOFFMANN VON FALLERSLEBEN: Das Lied der Deutschen, [Erstausgabe] Hamburg, Stuttgart<br />

1841.<br />

16<br />

JOHANNES DÖRFLINGER: Sprachen <strong>und</strong> Völkerkarten des mitteleuropäischen Raumes vom<br />

18. Jahrh<strong>und</strong>ert bis <strong>in</strong> die 2. Hälfte des <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts, <strong>in</strong>: 4. Kartographiehistorisches<br />

Colloquium, Karlsruhe 1988. Vorträge <strong>und</strong> Berichte, hrsg. von WOLFGANG SCHARFE,<br />

HEINZ MUSALL <strong>und</strong> JOACHIM NEUMANN, Berl<strong>in</strong> 1990, S. 183–195; HOLGER FISCHER: Karten<br />

zur räumlichen Verteilung der Nationalitäten <strong>in</strong> Ungarn. Darstellungsmöglichkeiten<br />

<strong>und</strong> <strong>Grenzen</strong> ihrer Interpretation am Beispiel von ungarischen Nationalitätenkarten des <strong>19.</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>erts, <strong>in</strong>: Aspekte ethnischer Identität. Ergebnisse des Forschungsprojekts<br />

„Deutsche <strong>und</strong> Magyaren als nationale M<strong>in</strong>derheit <strong>im</strong> Donauraum“, hrsg. von EDGAR<br />

HÖSCH <strong>und</strong> GERHARD SEEWANN, München 1991, S. 325–393. Zur Rolle von Karten als<br />

Propaganda<strong>in</strong>strument: GUNTRAM HENRIK HERB: Under the map of Germany. Nationalism<br />

and Propaganda 1918–1945, London, New York 1997, hier bes. S. 8–12.<br />

163


zunächst lange gewahrt blieb, oder e<strong>in</strong>e neue der preußischen, österreichischen <strong>und</strong><br />

selbst russischen Teilungsgebiete Polens samt dem eigenartigen Kongreß-Königreich,<br />

noch lange vermochte zum<strong>in</strong>dest die Idee der historischen Legit<strong>im</strong>ität die politisch<br />

Denkenden <strong>in</strong> ihrem Bann zu halten.<br />

Das Festhalten an der herkömmlichen Begründung von Staaten <strong>und</strong> damit der historischen<br />

Begrenzung von Territorialstaaten war selbst dort zu beobachten, wo das<br />

ethnisch-nationale Pr<strong>in</strong>zip sich <strong>im</strong>mer stärker vordrängte. Die deutschen Diskussionen<br />

des Jahres 1848 ließen diese Kreuzung der Argumentationen deutlich erkennen,<br />

deutlicher noch die Ause<strong>in</strong>andersetzung der sechziger Jahre <strong>in</strong> den baltischen Prov<strong>in</strong>zen<br />

Rußlands, die mit den Namen Samar<strong>in</strong> <strong>und</strong> Schirren verb<strong>und</strong>en war. Wenn irgendwo,<br />

dann prallten hier das historische Recht <strong>und</strong> das natürliche Pr<strong>in</strong>zip der Nationalität<br />

hart aufe<strong>in</strong>ander. 17<br />

Es ist aber bemerkenswert, wie die Figur des „historischen Staatsrechts“, also der<br />

alten, gewachsenen <strong>und</strong> vielleicht sogar zwischenzeitlich gestörten oder zerstörten<br />

Legit<strong>im</strong>ität der frühen Neuzeit, bis <strong>in</strong>s späte <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>ert <strong>im</strong>mer noch lebenskräftig<br />

war. Das konnte sich so auswirken, daß – wie <strong>im</strong> Fall der deutschbaltischen Legit<strong>im</strong>isten<br />

– der Kampf um dieses Pr<strong>in</strong>zip von se<strong>in</strong>en alten Trägern bis zum Untergang<br />

weitergefochten wurde, das heißt: bis zur Herabstufung zur nationalen M<strong>in</strong>derheit <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em egalitär organisierten Nationalstaat 18 , oder aber daß sich ganz neue Trägerschichten<br />

dieses Pr<strong>in</strong>zips annahmen. 19<br />

Gerade dies läßt sich anhand der tschechischen <strong>und</strong> ähnlich auch der kroatischen<br />

Nationalbewegung exemplifizieren. Im Habsburgerreich hatte man ja 1848 <strong>und</strong> dann<br />

endgültig 1867 erlebt, wie es den Ungarn gelungen war, durch das Pochen auf das historische<br />

Staatsrecht des Regnum Hungariae die Dualisierung des Staates zu erreichen<br />

<strong>und</strong> damit e<strong>in</strong> großes Maß ungarischer Autonomie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er der beiden Reichshälften.<br />

In e<strong>in</strong>er Art Nachahmungsaktion <strong>20</strong> , wenn auch mit anderem Akzent, haben<br />

nun tschechische Politiker sich des traditionellen Arguments des Adels der böhmischen<br />

Länder bedient <strong>und</strong> ebenfalls die Historischen Rechte der Länder der Sankt-<br />

Wenzelskrone e<strong>in</strong>gefordert, dieses Argument aber sozusagen auf das Interesse der<br />

modernen tschechischen Nation umgewidmet. Die böhmischen Länder (<strong>in</strong> ihren alten<br />

historischen <strong>Grenzen</strong>, versteht sich) sollten somit künftig der Gliedstaat der Habsburgermonarchie<br />

se<strong>in</strong>, <strong>in</strong> dem die Tschechen die Mehrheit bildeten. 21 Wenn die Deut-<br />

17 CARL SCHIRREN: Livländische Antwort an Herrn Juri Samar<strong>in</strong>, Leipzig 1869.<br />

18 Über die Schwierigkeiten dieses Wandels vgl. MICHAEL GARLEFF: Die Deutschbalten als<br />

nationale M<strong>in</strong>derheit <strong>in</strong> den unabhängigen Staaten Estland <strong>und</strong> Lettland, <strong>in</strong>: Deutsche Geschichte<br />

<strong>im</strong> Osten Europas. Baltische Länder, hrsg. von GERT VON PISTOHLKORS, Berl<strong>in</strong><br />

1994, S. 452–550, bes.: S. 482–488.<br />

19 Hierzu beispielsweise: TADEUSZ ÒEPKOWSKI: Polska – Narodz<strong>in</strong>y nowoczesnego narodu.<br />

1764–1870 [Polen – Geburt e<strong>in</strong>er modernen Nation], Warszawa 1967.<br />

<strong>20</strong> Vgl. JAN KR=EN: Die Konfliktgeme<strong>in</strong>schaft. Tschechen <strong>und</strong> Deutsche 1780–1918, München<br />

1996 (Veröffentlichungen des Collegium Carol<strong>in</strong>um, 71), S. 77.<br />

21 OTTO URBAN: Die tschechische Gesellschaft 1848–1918, Bd. 1, Wien, Köln, We<strong>im</strong>ar 1994<br />

(Anton G<strong>in</strong>dely Reihe zur Geschichte der Donaumonarchie <strong>und</strong> Mitteleuropas, 2), S. 278<br />

164


schen zur Vermeidung dieser neuen M<strong>in</strong>derheitenrolle <strong>im</strong> Gegenzug die Unterscheidung<br />

von tschechisch <strong>und</strong> deutsch besiedelten Gebieten <strong>im</strong> Lande mit nationalitätenrechtlichen<br />

Folgen forderten – <strong>und</strong> damit eigentlich die Verwirklichung der damals<br />

schon auf vielen Nationalitätenkarten zu sehenden ethnischen Grenze <strong>in</strong>nerhalb der<br />

böhmischen Länder 22 -, wurde ihnen von der tschechischen Seite das Anstreben e<strong>in</strong>er<br />

„Landeszerreißung“ vorgeworfen. 23<br />

Wandel zur modernen Nation<br />

Dieses Wetteifern der unterschiedlichen Pr<strong>in</strong>zipien ist weniger e<strong>in</strong> Ausdruck besonderer<br />

taktischer Gerissenheit auf der e<strong>in</strong>en oder der anderen Seite, sondern <strong>in</strong> ihm verkörpert<br />

sich der langsame Wandel von der vormodernen, ständisch geprägten Nation,<br />

bei der die verwendete Sprache e<strong>in</strong>er privilegierten oder e<strong>in</strong>er nichtprivilegierten<br />

Schicht eher nebensächlich <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e private Angelegenheit war, h<strong>in</strong> zu modernen<br />

ff. pass<strong>im</strong>; JIR=Í KOR=ALKA, R.J. CRAMPTON: Die Tschechen, <strong>in</strong>: Die Habsburgermonarchie<br />

1848–1918, Bd. 3, hrsg. von ADAM WANDRUSZKA u. PETER URBANITSCH, 1. Teilband,<br />

Wien 1980, S. 489–521; Zur „Wandelbarkeit“ des „Mehrheits-M<strong>in</strong>derheits-Verhältnisses“<br />

vgl.: JIR=Í KOR=ALKA: Tschechen <strong>im</strong> Habsburgerreich <strong>und</strong> <strong>in</strong> Europa 1815–1914. Sozialgeschichtliche<br />

Zusammenhänge der neuzeitlichen Nationsbildung <strong>und</strong> der Nationalitätenfrage<br />

<strong>in</strong> den böhmischen Ländern, Wien, München 1991 (Schriftenreihe des Österreichischen<br />

Ost- <strong>und</strong> Südosteuropa-<strong>Institut</strong>s, 18), S. 133–139.<br />

22 Vgl. dazu MARK CORNWALL: The Struggle on the Czech-German Language Border, 1880–<br />

1940, <strong>in</strong>: The English Historical Review 109 (1994), S. 914–951. E<strong>in</strong> Beispiel: C. GRÄF:<br />

Das Königreich Böhmen. Kartenbeilage zu: Böhmen. Land <strong>und</strong> Volk. Geschildert von<br />

mehreren Fachgelehrten. Mit e<strong>in</strong>er, die Sprachgränzen bezeichnenden, Karte von Böhmen.<br />

Prag 1864. Vgl. auch die kartographischen Arbeiten des Sohnes des letzten hessischen<br />

Kurfürsten, He<strong>in</strong>rich [von] Hanau, der <strong>in</strong> der kartographischen Anstalt Freytag & Berndt<br />

aufwendige Karten mit von ihm vorgesehenen autonomen nationalen Kronländern der<br />

Habsburgermonarchie veröffentlicht hat, z.B. HEINRICH HANAU: Triaskarte der Habsburger<br />

Monarchie, Wien 1909; DERS.: Neue Triaskarte [...], Wien o.J.; DERS.: Deutschböhmen,<br />

Tschechischböhmen, Mähren, Schlesien. [Anlage zur Neuen Triaskarte], Wien o.J. Siehe<br />

dazu demnächst MARGRET LEMBERG: E<strong>in</strong> fürstlicher Dilettant. He<strong>in</strong>rich Hanau – E<strong>in</strong> Sohn<br />

des letzten Kurfürsten. (Vorauss. <strong>20</strong>00.)<br />

23 HELMUT SLAPNICKA: Die Stellungnahme des Deutschtums der Sudetenländer zum „Historischen<br />

Staatsrecht“, <strong>in</strong>: Das böhmische Staatsrecht <strong>in</strong> den deutsch-tschechischen Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />

des <strong>19.</strong> <strong>und</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>erts, hrsg. von ERNST BIRKE <strong>und</strong> KURT OBER-<br />

DORFFER, Marburg/ Lahn 1960, S. 15–41. E<strong>in</strong>e Karikatur zur „Landeszerreißung“: „Necháme<br />

si ten nás= drahý starý gobelín naposled tím buldoggem rozsápat?“ [„Lassen wir uns<br />

diesen unseren teuren Gobel<strong>in</strong> zu guter Letzt durch diese Bulldogge zerreißen?“ Der böhmische<br />

Löwe bewacht e<strong>in</strong>en Teppich mit den Umrissen des Königreichs Böhmen gegen<br />

e<strong>in</strong>e Bulldogge mit Pickelhaube <strong>und</strong> der Aufschrift „Liberecký trhan“ (Reichenberger<br />

Reißteufel)], aus: S+ípy vom 6.10.1906; Nachdruck der Karikatur <strong>in</strong>: Gleiche Bilder, gleiche<br />

Worte. Deutsche, Österreicher <strong>und</strong> Tschechen <strong>in</strong> der Karikatur 1848-1948, Ausstellungskatalog,<br />

München 1997, S. 248; siehe dort auch S. 230.<br />

165


demokratischen Nationen, die auf der nachrevolutionären Gleichheit aller Menschen<br />

beruhen <strong>und</strong> bei denen das sprachlich-ethnische Pr<strong>in</strong>zip e<strong>in</strong>en ganz hohen, ja entscheidenden<br />

Stellenwert bekommen hat. 24<br />

Dies wurde besonders dort mit Händen greifbar, wo sich e<strong>in</strong>e bisher privilegierte<br />

„natio“ <strong>im</strong> alten S<strong>in</strong>ne, etwa die Deutschbalten oder die Siebenbürger Sachsen, nun –<br />

<strong>im</strong> nationalen Zeitalter, also <strong>im</strong> späten <strong>19.</strong> <strong>und</strong> <strong>im</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert, zunehmend auf ihr<br />

ethnisches Element reduziert <strong>und</strong> damit <strong>in</strong> die Rolle von „Auslandsdeutschen“ gedrängt,<br />

jetzt auf e<strong>in</strong>mal sich <strong>in</strong> ihren alten Siedlungsgebieten als nationale M<strong>in</strong>derheit<br />

<strong>in</strong> andersnationalen Staaten wiederfanden. 25 Die für solche Gruppen dramatischen<br />

Entwicklungen, die aus diesem jähen Wandel resultierten, nämlich die weitgehenden<br />

erzwungenen oder freiwilligen Umsiedlungen „he<strong>im</strong> <strong>in</strong>s Reich“, wie die oft zynisch<br />

verwendete Formel e<strong>in</strong>st lautete, haben <strong>in</strong> den dreißiger Jahren begonnen <strong>und</strong> sich auf<br />

<strong>in</strong>dividueller Basis bis <strong>in</strong> die Gegenwart fortgesetzt. 26<br />

Erst spät <strong>im</strong> <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>ert, <strong>in</strong> aller Konsequenz aber erst <strong>im</strong> <strong>20</strong>., s<strong>in</strong>d nationale<br />

bzw. ethnische M<strong>in</strong>derheiten wirklich als solche wahrgenommen worden. Im Habsburgerreich<br />

kann man diesem Wandel gut nachspüren. Der Theorie nach galt die stolze<br />

Def<strong>in</strong>ition des Staatsgr<strong>und</strong>gesetzes von 1867 <strong>in</strong> Cisleithanien, wo es lapidar hieß:<br />

„Die Volksstämme s<strong>in</strong>d gleichberechtigt.“ Man hat diese bew<strong>und</strong>ernswerte Formulierung<br />

als e<strong>in</strong> „Verheißungsgesetz“ bezeichnet – denn der Weg zur Verwirklichung dieser<br />

Gleichberechtigung ist – während der restlichen Jahrzehnte der Existenz der Monarchie<br />

– <strong>im</strong>mer wieder versucht <strong>und</strong> nie zu Ende gegangen worden – es ist die leidvolle<br />

Geschichte etwa der böhmischen Ausgleichsversuche oder all der stets umkämpften<br />

Sprachengesetze. 27<br />

E<strong>in</strong> Gr<strong>und</strong> hierfür dürfte das aus dem Westen übernommene parlamentarische<br />

Mehrheitspr<strong>in</strong>zip gewesen se<strong>in</strong>, das mit der Demokratisierung der Gesellschaft untrennbar<br />

verb<strong>und</strong>en ist. Der Jurist Georg Jell<strong>in</strong>ek hat vor genau 100 Jahren, 1898, <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em Vortrag <strong>in</strong> Wien das Recht der M<strong>in</strong>oritäten untersucht. 28 Dar<strong>in</strong> stellte er fest,<br />

daß die Annahme des Pr<strong>in</strong>zips von Mehrheitsentscheidungen gehe pr<strong>in</strong>zipiell von der<br />

Möglichkeit des Wechsels von Majoritäten <strong>und</strong> M<strong>in</strong>oritäten aus. Dieses Pr<strong>in</strong>zip gerate<br />

dort an se<strong>in</strong>e Grenze, wo Festlegungen diesem Wechsel gr<strong>und</strong>sätzlich entgegenste-<br />

24<br />

Hier <strong>und</strong> <strong>im</strong> folgenden vgl. LEMBERG: Der Weg (wie Anm. 5).<br />

25<br />

WOLFGANG KESSLER: Universitas Saxonum. Personenverband – Gruppenautonomie –<br />

Volksgruppe, <strong>in</strong>: Gruppenautonomie <strong>in</strong> Siebenbürgen. 500 Jahre siebenbürgisch-sächsische<br />

Nationsuniversität, hrsg. von DEMS., Köln [u.a.] 1990 (Siebenbürgisches Archiv. Folge 3,<br />

Bd. 24), S. 3–27.<br />

26<br />

Für die Deutschbalten vgl.: DIETRICH A. LOEBER: Diktierte Option. Die Umsiedlung der<br />

Deutsch-Balten aus Estland <strong>und</strong> Lettland 1939–1941. Dokumentation, Neumünster 1972;<br />

JÜRGEN VON HEHN: Die Umsiedlung der baltischen Deutschen – das letzte Kapitel baltischdeutscher<br />

Geschichte, Marburg/Lahn 1982 (Marburger Ostforschungen, 40).<br />

27<br />

GERALD STOURZH: Die Gleichberechtigung der Nationalitäten <strong>in</strong> der Verfassung <strong>und</strong> Verwaltung<br />

Österreichs 1848-1918, Wien 1985.<br />

28<br />

GEORG JELLINEK: Das Recht der M<strong>in</strong>oritäten. Vortrag, gehalten <strong>in</strong> der juristischen Gesellschaft<br />

zu Wien, Wien 1898.<br />

166


hen, dann nämlich, wenn es sich um religiöse oder nationale Gruppen handelt, deren<br />

Mehrheitsverhältnis <strong>im</strong> wesentlichen konstant, also nicht austauschbar ist.<br />

So hat es nationale M<strong>in</strong>derheiten <strong>im</strong> parlamentarisch-verfassungsmäßigen S<strong>in</strong>ne <strong>in</strong><br />

den übernationalen Staaten vor dem Ersten Weltkrieg eigentlich nicht gegeben, was<br />

es aber gab, war die Furcht davor, zur M<strong>in</strong>derheit – <strong>und</strong> damit sozusagen dauerhaft<br />

m<strong>in</strong>derberechtigt – zu werden. Der Begriff der M<strong>in</strong>derheit <strong>im</strong> ethnisch-nationalen<br />

S<strong>in</strong>ne wurde folglich, soweit zu sehen, damals <strong>im</strong>mer nur <strong>in</strong> der Abwehrfunktion gegen<br />

e<strong>in</strong>e Übervorteilung durch irgendwelche – meist nationalen – Mehrheiten gebraucht,<br />

man denke an die „M<strong>in</strong>derheitenvere<strong>in</strong>e“ oder „M<strong>in</strong>derheitenschulen“, etwa<br />

der Tschechen <strong>im</strong> deutschsprachigen böhmischen Grenzgebiet. 29 Natürlich waren Rivalitäten<br />

dieser Art <strong>in</strong> den letzten Jahrzehnten der Habsburgermonarchie an der Tagesordnung,<br />

<strong>im</strong> Schulwesen, <strong>in</strong> der Wirtschaft, ja <strong>in</strong> allen Lebensbereichen. Meist<br />

aber, vor allem eben <strong>im</strong> öffentlichen Bewußtse<strong>in</strong>, waren das – zumal <strong>in</strong> Cisleithanien<br />

– ke<strong>in</strong>e Ause<strong>in</strong>andersetzungen zwischen M<strong>in</strong>derheiten <strong>und</strong> Mehrheiten, sondern<br />

Rivalitäten pr<strong>in</strong>zipiell gleichberechtigter Nationalitäten.<br />

Nationalstaatsgrenzen <strong>und</strong> nationale M<strong>in</strong>derheiten<br />

Das änderte sich erst mit dem Ersten Weltkrieg. Der Nationalstaatsgedanke erlebte<br />

jetzt, <strong>im</strong> Weltkrieg <strong>und</strong> an dessen Ende, e<strong>in</strong>en ungeheuren Aufschwung, vor allem<br />

durch das von Wilson wie auch von Len<strong>in</strong> geforderte Pr<strong>in</strong>zip der „self determ<strong>in</strong>ation<br />

of nations“. 1915, mitten <strong>im</strong> Ersten Weltkrieg, schrieb vorausschauend der schweizerische<br />

Anthropologe Georges Montandon: Um e<strong>in</strong>en dauerhaften Frieden zu erlangen,<br />

müsse man <strong>im</strong> anbrechenden Zeitalter der Nationalität den zu erwartenden neuen Nationalstaaten<br />

natürliche <strong>Grenzen</strong> geben, die gut zu verteidigen seien. Sodann aber<br />

müsse man diejenigen Menschen, die nicht zur jeweiligen Staatsnation gehören,<br />

„massenhaft verpflanzen“, also aus dem Staat ausweisen – ohne Eigentums- oder<br />

auch nur Besuchsrecht <strong>im</strong> bisherigen He<strong>im</strong>atstaat. 30<br />

29 E<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> die zeitgenössische Argumentation vermittelt F. BE=LEHRÁDEK: S+kolství<br />

mens=<strong>in</strong>ové a Ústr=ední matice s=kolská [M<strong>in</strong>derheitenschulwesen <strong>und</strong> der Zentrale Schulvere<strong>in</strong><br />

(Matice)], <strong>in</strong>: C+eská politika, hrsg. von ZDENE=K TOBOLKA, Teil 5, Praha 1913 (Lajchteru`v<br />

výbor nejleps=ích spisu` pouc=ných, 39), S. 335–433.<br />

30 GEORGES MONTANDON: Frontières nationales: Déterm<strong>in</strong>ation objective de la condition<br />

pr<strong>im</strong>ordiale nécessaire à l'obtention d'une paix durable, Lausanne 1915 (mit e<strong>in</strong>er Karte der<br />

vermuteten zukünftigen <strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong> Europa). Den H<strong>in</strong>weis auf Montandon als den wohl ersten<br />

Vertreter dieser Auffassung verdanke ich JOSEPH B. SCHECHTMANN: Postwar Population<br />

Transfers <strong>in</strong> Europe. 1945-1955, Philadelphia 1962, Annex: „Pro and Contra Population<br />

Transfer“, S. 389-396. – Die folgenden Abschnitte stützen sich u.a. auf HANS LEMBERG:<br />

„Ethnische Säuberung“: E<strong>in</strong> Mittel zur Lösung von Nationalitätenproblemen?, <strong>in</strong>: Aus Politik<br />

<strong>und</strong> Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament. B 46/92, 6. November<br />

1992, S. 27-38; Wiederabdruck <strong>in</strong>: Mit unbestechlichem Blick... Studien von Hans Lemberg<br />

zur Geschichte der böhmischen Länder <strong>und</strong> der Tschechoslowakei. Festgabe zu sei-<br />

167


Diese erschreckende Vision verriet e<strong>in</strong>e beachtliche Voraussicht der künftigen<br />

unmenschlichen Brutalität des <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>erts. Das, was Montandon „transplantation<br />

massive“, „massenhafte Verpflanzung“, nannte, wurde später Wirklichkeit, <strong>und</strong> es<br />

erhielt die verschiedenartigsten Namen: population exchange oder Bevölkerungstransfer,<br />

Umsiedlung, He<strong>im</strong>holung <strong>in</strong>s Reich, Ausweisung, Vertreibung, odsun oder<br />

wysiedlenie przymusowe. Der erst vor wenigen Jahren <strong>in</strong> Südosteuropa geprägte Ausdruck<br />

„etnic=ko c=is=c;enje“, „ethnische Säuberung“, hat sich mit unglaublicher Schnelligkeit<br />

<strong>und</strong> Effizienz über die ganze Welt verbreitet – vielleicht wegen se<strong>in</strong>er unübertroffen<br />

schönrednerischen Formulierung, die etwas Positives, also Re<strong>in</strong>es, Sauberes,<br />

suggeriert, sicher aber auch weil der schreckliche Vorgang, den er bezeichnet, unerwartet<br />

nach langer Pause abermals Wirklichkeit geworden ist, <strong>und</strong> das nicht nur irgendwo<br />

<strong>in</strong> der Dritten Welt – sondern bei uns <strong>in</strong> Europa. 31<br />

Die Neuordnung des östlichen Europa auf der Friedenskonferenz von Paris 1919<br />

sollte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er H<strong>in</strong>sicht dem von Montandon vorgeahnten Pr<strong>in</strong>zip nahekommen, d.h.<br />

die neu geschaffenen Nationalstaaten sollten <strong>Grenzen</strong> erhalten, die möglichst alle Angehörigen<br />

der jeweiligen ethnisch verstandenen Staatsnation umfassen sollten. Das<br />

Problem dabei war freilich das unbequeme Faktum der weith<strong>in</strong> ethnisch gemischten<br />

Bevölkerung der jeweiligen Staaten, mit anderen Worten: Jetzt gab es wirklich <strong>im</strong> eigentlichen<br />

S<strong>in</strong>ne Staatsnationen, <strong>und</strong> es gab nationale M<strong>in</strong>derheiten.<br />

Die „staatstragenden“ Nationen (Titularnationen), also <strong>in</strong> Lettland die Letten, <strong>in</strong><br />

Polen die Polen usw., bildeten nicht nur die Mehrheit, sie best<strong>im</strong>mten auch die Politik;<br />

die Angehörigen anderer Nationalitäten befanden sich h<strong>in</strong>gegen <strong>in</strong> der M<strong>in</strong>derzahl,<br />

wurden also als „M<strong>in</strong>derheiten“ klassifiziert. Bei e<strong>in</strong>igen von ihnen hatte sich –<br />

so etwa bei den Deutschbalten <strong>in</strong> Estland <strong>und</strong> Lettland – durch diese Veränderung der<br />

Urteilskriterien förmlich e<strong>in</strong> Wandel von der sozialen Führungsschicht zur kle<strong>in</strong>en<br />

M<strong>in</strong>derheit vollzogen: Nun wurde <strong>in</strong> der Tat nicht mehr „gewogen“, sondern „gezählt“.<br />

Daß <strong>in</strong> zweien der neugegründeten Staaten selbst die Titularnation nicht e<strong>in</strong>mal<br />

von vornhere<strong>in</strong> vorhanden war <strong>und</strong> erst mühsam durch Synthese konstituiert werden<br />

mußte, treibt dieses Problem sozusagen auf die Spitze: Es gab ja zunächst weder<br />

„Tschechoslowaken“, noch „Jugoslawen“, sondern Tschechen <strong>und</strong> Slowaken <strong>im</strong> e<strong>in</strong>en,<br />

Serben, Kroaten <strong>und</strong> Slowenen <strong>im</strong> anderen Falle. Der mit großer Mühe unternommene<br />

Versuch, synthetische Staatsnationen zusammenzuschweißen, ist, wie man<br />

weiß, nicht gelungen; dennoch wurde selbst <strong>in</strong> der Tschechoslowakei <strong>und</strong> <strong>in</strong> Jugosla-<br />

nem 65. Geburtstag, hrsg. von FERDINAND SEIBT, JÖRG K. HOENSCH, HORST FÖRSTER,<br />

FRANZ MACHILEK <strong>und</strong> MICHAELA MAREK, München 1998 (Veröffentlichungen des Collegium<br />

Carol<strong>in</strong>um, 90), S. 377–396.<br />

31 Versuch e<strong>in</strong>er knappen Gesamtschau der ethnischen Säuberungen <strong>im</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert bei<br />

NORMAN NAIMARK: Das Problem der ethnischen Säuberung <strong>im</strong> modernen Europa, <strong>in</strong>: Zeitschrift<br />

für <strong>Ostmitteleuropa</strong>forschung 48 (1999), S. 317–349.<br />

168


wien e<strong>in</strong>e deutliche Unterscheidung von „Staatsnationen“ <strong>und</strong> „M<strong>in</strong>derheiten“ durchgehalten.<br />

32<br />

Das von Montandon geforderte Pr<strong>in</strong>zip des ethnisch homogenen Nationalstaats,<br />

der durch Umsiedlungen hergestellt werden sollte, wurde freilich zunächst nicht angewendet.<br />

Wahrsche<strong>in</strong>lich kannten die Peacemakers se<strong>in</strong>e Broschüre gar nicht. Ohneh<strong>in</strong><br />

war der Gedanke e<strong>in</strong>es Bevölkerungstransfers damals schon nicht mehr neu;<br />

kurz vor dem Ersten Weltkrieg war er sogar – auf freiwilliger Basis – <strong>im</strong> Bereich des<br />

Balkankriegsschauplatzes praktiziert worden.<br />

Den neuen Staaten des Systems der Pariser Vororteverträge waren aber, was die<br />

Behandlung der nationalen M<strong>in</strong>derheiten anlangte, <strong>in</strong> H<strong>in</strong>sicht auf ethnische Säuberungen<br />

durch Bevölkerungstransfers die Hände geb<strong>und</strong>en: In den die Pariser Friedensverhandlungen<br />

von 1919 abschließenden Verträgen, die die Existenz der neuen<br />

Staaten sicherten, war e<strong>in</strong>e Klausel e<strong>in</strong>gebaut, die diese Staaten zum Schutz „rassischer,<br />

ethnischer <strong>und</strong> religiöser M<strong>in</strong>derheiten“ verpflichtete: Nur wenn dieser als Bestandteil<br />

<strong>in</strong> die Verfassungen aufgenommen wurde, wurden die neuen Staaten von der<br />

Völkergeme<strong>in</strong>schaft anerkannt. 33<br />

Es durften also, mit anderen Worten, M<strong>in</strong>derheiten weder gewaltsam an die<br />

Staatsnationen ass<strong>im</strong>iliert, noch durften sie aus dem Lande ausgesiedelt werden. Die<br />

Verpflichtung zum M<strong>in</strong>derheitenschutz wurde von e<strong>in</strong>igen der Staaten als E<strong>in</strong>schränkung<br />

ihrer Souveränität kritisiert <strong>und</strong> eher widerwillig gehandhabt; an der Praxis des<br />

M<strong>in</strong>derheitenschutzes gab es viel auszusetzen; als Pr<strong>in</strong>zip <strong>und</strong> als Regulierungs<strong>in</strong>strument<br />

bedeutete es e<strong>in</strong>en ausbaufähigen Ansatz <strong>in</strong> der richtigen Richtung. 34<br />

Wenigstens <strong>in</strong> der Südostecke Europas allerd<strong>in</strong>gs, wo der Weltkrieg <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

griechisch-türkischen Krieg fortgesetzt wurde <strong>und</strong> e<strong>in</strong> unerträgliches Flüchtl<strong>in</strong>gselend<br />

herrschte, wurde der Gedanke e<strong>in</strong>es sogar erzwungenen ethnischen Bevölkerungsaustausches<br />

zwischen Griechenland <strong>und</strong> der Türkei auf <strong>in</strong>ternationalen Druck <strong>im</strong> Vertrag<br />

von Lausanne verwirklicht. Beteiligt an dieser Regelung war nicht zuletzt der Friedensnobelpreisträger<br />

<strong>und</strong> Völkerb<strong>und</strong>s-Flüchtl<strong>in</strong>gskommissar Fridtjof Nansen.<br />

Dies ist e<strong>in</strong> Indiz dafür, daß das Konzept der „Entmischung“ (unmix<strong>in</strong>g of populations<br />

<strong>in</strong> der Formulierung von Lord Curzon) nicht pr<strong>im</strong>är als Gewaltakt des <strong>in</strong>tegralen<br />

32 Dazu HANS LEMBERG: Unvollendete Versuche nationaler Identitätsbildung <strong>im</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

<strong>im</strong> östlichen Europa: die „Tschechoslowaken“, die „Jugoslawen“, das „Sowjetvolk“,<br />

<strong>in</strong>: Nationales Bewußtse<strong>in</strong> <strong>und</strong> kollektive Identität. Studien zur Entwicklung des kollektiven<br />

Bewußtse<strong>in</strong>s, hrsg. von HELMUT BERDING, Frankfurt am Ma<strong>in</strong> 1994 (suhrkamp taschenbuch<br />

wissenschaft, 1154), S. 581-607.<br />

33 ERWIN VIEFHAUS: Die M<strong>in</strong>derheitenfrage <strong>und</strong> die Entstehung der M<strong>in</strong>derheitenschutzverträge<br />

auf der Pariser Friedenskonferenz. E<strong>in</strong>e Studie zur Geschichte des Nationalitätenproblems<br />

<strong>im</strong> <strong>19.</strong> <strong>und</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert, Würzburg 1960 (Marburger Ostforschungen, 4).<br />

34 Dazu s. die Beiträge <strong>im</strong> zweiten Teil von: <strong>Ostmitteleuropa</strong> zwischen den beiden Weltkriegen<br />

(1918-1939). Stärke <strong>und</strong> Schwäche der neuen Staaten, nationale M<strong>in</strong>derheiten, hrsg.<br />

von HANS LEMBERG, Marburg 1997 (Tagungen zur <strong>Ostmitteleuropa</strong>-Forschung, 3); ferner<br />

MARTIN SCHEUERMANN: Die M<strong>in</strong>derheitenpolitik des Völkerb<strong>und</strong>es <strong>in</strong> Ostmittel- <strong>und</strong> Südosteuropa<br />

<strong>in</strong> den zwanziger Jahren, Phil. Diss. Marburg 1999 (<strong>im</strong> Druck).<br />

169


Nationalismus zu verstehen war, sondern zunächst <strong>und</strong> weith<strong>in</strong> als e<strong>in</strong>e humanitäre<br />

Konfliktlösungsstrategie <strong>im</strong> <strong>in</strong>ternationalen Rahmen, als e<strong>in</strong>e ult<strong>im</strong>a ratio zur Herstellung<br />

des Friedens, wenn denn e<strong>in</strong> solcher nicht durch e<strong>in</strong>e adäquate Grenzziehung<br />

herzustellen war. 35<br />

Das Ergebnis von Lausanne, e<strong>in</strong>e recht weitreichende, wenn auch bei weitem nicht<br />

völlige ethnische Homogenisierung beider beteiligter Staaten Griechenland <strong>und</strong> Türkei,<br />

wirkte fortan als e<strong>in</strong>e Art Idealtypus für e<strong>in</strong>e solche Lösung, die allerd<strong>in</strong>gs wegen<br />

ihrer Härte eher als orientalisch <strong>und</strong> als für Mitteleuropa nicht recht praktikabel galt. 36<br />

Realistisch erschienen <strong>in</strong> der Tat <strong>in</strong> den zwanziger Jahren <strong>und</strong> bis <strong>in</strong> die Mitte der<br />

dreißiger Jahre für die Lösung von M<strong>in</strong>derheitenproblemen nicht die Grenz-Veränderung<br />

<strong>und</strong> nicht die Umsiedlung, sondern der M<strong>in</strong>derheitenschutz oder allenfalls<br />

e<strong>in</strong>e mehr oder weniger verdeckte Ass<strong>im</strong>ilation.<br />

„Entmischung“ durch Umsiedlung <strong>im</strong> NS-Herrschaftsbereich<br />

Erst die bewußte Zerstörung des sogenannten Versailler Systems durch Hitlers Politik<br />

brachte wieder das bisher pe<strong>in</strong>lich vermiedene Instrument der Grenzveränderung zum<br />

Zwecke der Herstellung wenigstens e<strong>in</strong>es, des deutschen Nationalstaates zur Anwendung.<br />

Diese Grenzveränderungen (Saarland, Anschluß Österreichs, ja auch noch das<br />

Münchener Abkommen) standen unter der Devise, die <strong>Grenzen</strong> des Staates so zu verlegen,<br />

daß sie möglichst mit den <strong>Grenzen</strong> des deutschen Volkes übere<strong>in</strong>st<strong>im</strong>mten:<br />

„E<strong>in</strong> Volk, e<strong>in</strong> Reich...“.<br />

Das Muster des Münchener Abkommens (E<strong>in</strong>verleibung von Deutschen <strong>in</strong>s Reich<br />

durch Grenzverschiebung 37 ) schien <strong>in</strong> bezug auf den Bündnispartner Italien nicht anwendbar.<br />

So wurde der schon 1923 <strong>im</strong> deutschen Auswärtigen Amt erörterte Gedanke<br />

aufgegriffen, die Südtiroler <strong>in</strong>s Reich umzusiedeln. Diese Umsiedlung hat, so wenig<br />

Dauerhaftes dabei herausgekommen ist, doch e<strong>in</strong>e Signalfunktion als e<strong>in</strong>e Art von<br />

35 Vgl. hierzu das Standardwerk von STEPHEN P. LADAS: The Exchange of M<strong>in</strong>orities. Bulgaria,<br />

Greece and Turkey, New York 1932; Das Verhandlungsprotokoll: Lausanne Conference<br />

on Near Eastern Affairs 1922-1923. Records of Proceed<strong>in</strong>gs and Draft Terms of Peace.<br />

Presented to Parliament by Command of His Majesty, London 1923.<br />

36 So noch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Vortrag am 17. März 1939 ROBERT WILLIAM SETON-WATSON: The Problem<br />

of Small Nations and the European Anarchy, Nott<strong>in</strong>gham 1939 (Montague Burton International<br />

Relations Lecture 1939). Ähnlich JOHN S. STEPHENS: Danger Zones of Europe.<br />

A Study of National M<strong>in</strong>orities London 1929 (Merttens Lecture on War and Peace, 3), S.<br />

31 f.; CARLYLE AYLMER MACARTNEY: National States and national M<strong>in</strong>orities, London<br />

1934, S. 448 f.<br />

37 Allerd<strong>in</strong>gs s<strong>in</strong>d schon <strong>im</strong> Münchener Abkommen Regelungen für e<strong>in</strong>en „Austausch der<br />

Bevölkerungen“ (deutsche <strong>und</strong> tschechische Rest-M<strong>in</strong>derheiten nach der neuen Grenzziehung)<br />

vere<strong>in</strong>bart worden: Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik 1915-1938 (ADAP),<br />

Serie D, Band 2, Baden-Baden 1950, Dokument Nr. 675.<br />

170


Prototyp e<strong>in</strong>er solchen Umsiedlung für Mitteleuropa gehabt. Jetzt hatte sich ja offensichtlich<br />

gezeigt, daß diese Methode nicht nur <strong>im</strong> Orient anwendbar war. 38<br />

Fortan schienen sich offensichtlich die Alternative von Grenzänderungen oder Bevölkerungsaustausch<br />

oder die Komb<strong>in</strong>ation von beiden Methoden durchaus zur Konfliktlösung<br />

für M<strong>in</strong>oritätenprobleme anzubieten. Das zeigte sich, als unmittelbar nach<br />

der Sudetenkrise <strong>im</strong> britischen Foreign Office erwogen wurde, ob man für die ungarisch-rumänische<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzung eher das e<strong>in</strong>e oder das andere empfehlen sollte.<br />

39<br />

Der größte mögliche Krisenfall, der drohende Kriegsausbruch zwischen Deutschland<br />

<strong>und</strong> Polen, erwies <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em unmittelbaren Vorfeld recht deutlich, daß dieser<br />

Gedanke nun schon <strong>in</strong> der Luft lag, endemisch geworden war: In der zweiten Augusthälfte<br />

unternahm die britische Diplomatie erhebliche Anstrengungen, <strong>in</strong> den von Hitler<br />

hochgespielten Krisengebieten (Korridor, Oberschlesien) die M<strong>in</strong>derheitenprobleme<br />

ke<strong>in</strong>eswegs durch Grenzveränderungen, sondern durch e<strong>in</strong>en exchange of populations<br />

etwa nach Südtiroler Muster zu beseitigen. E<strong>in</strong> solcher Austausch ist, wie<br />

bekannt, vor dem Kriegsausbruch nicht mehr zustandegekommen. 40<br />

Es spricht für die allgeme<strong>in</strong>e Akzeptanz des „Entmischungs“-Gedankens, daß<br />

auch noch während des Zweiten Weltkriegs die Argumentation für e<strong>in</strong>en Bevölkerungsaustausch<br />

erstaunlich unisono auf beiden kriegführenden Seiten ausfiel. So f<strong>in</strong>det<br />

sich <strong>in</strong> der Rede Hitlers vor dem Reichstag vom 6. Oktober 1939, die die Umsiedlungen<br />

<strong>im</strong> Osten ankündigte, neben der Rassen-Ideologie die vertraute Motivation<br />

wieder: Die Umsiedlung solle die <strong>in</strong> ganz Osteuropa vertretenen „Splitter deutschen<br />

Volkstums“ <strong>und</strong> damit Konfliktstoffe beseitigen; am Ende sollten sich „bessere Trennungsl<strong>in</strong>ien“<br />

als bisher ergeben 41 , d.h. mit anderen Worten: Staatsgrenzen sollten<br />

möglichst homogene Nationalstaaten umschließen. Diese Rede Hitlers bildete ganz<br />

bewußt das propagandistische Vorspiel zu e<strong>in</strong>er neuen Law<strong>in</strong>e von Umsiedlungen<br />

38 Dazu vgl. LEOPOLD STEURER: Südtirol zwischen Rom <strong>und</strong> Berl<strong>in</strong> 1919-1939, Wien, München,<br />

Zürich 1980 (zugleich Phil. Diss. Wien 1975/76); Option – He<strong>im</strong>at – Opzioni. E<strong>in</strong>e<br />

Geschichte Südtirols. Una storia dell' Alto Adige, Katalog zur Ausstellung des Tiroler Geschichtsvere<strong>in</strong>s,<br />

Bozen 1989.<br />

39 Sir Reg<strong>in</strong>ald Hoare am 30.09.1938: „If we emerge safely out of the Czech forest we shall, I<br />

suppose, presently f<strong>in</strong>d ourselves <strong>in</strong> the Hungarian wood...“ Public Record Office, London:<br />

(Foreign Office) FO [künftig nur: FO] 371/22454 R7970/153/37. Der britische Botschafter<br />

<strong>in</strong> Bukarest, Sir Michael Palairet, schrieb dazu am 3.11.1938: „I am <strong>in</strong>cl<strong>in</strong>ed to believe that<br />

an exchange of population, rather than a revision of frontiers, might solve some of Romania’s<br />

troubles“... Das „schreckliche Beispiel“ der C+SR müsse Rumänien für Ratschläge zugänglicher<br />

machen. Antwort von E.M.B. Ingram vom 18.11.1938: Er sei unentschieden, ob<br />

das e<strong>in</strong>e oder das andere; man solle beide Möglichkeiten König Carol vortragen, wenn er<br />

nach London komme. FO 371/22455 R 8959/135/37.<br />

40 Belege dafür bei LEMBERG: „Ethnische Säuberung“ (wie Anm. 30), S. 30 f.<br />

41 Der großdeutsche Freiheitskampf. Reden Adolf Hitlers vom 1. September 1939 bis 10.<br />

März 1940. München 1942, S. 67-100, hier: S. 82 f.<br />

171


deutscher Bevölkerungsgruppen aus osteuropäischen Nachbarstaaten aufgr<strong>und</strong> von<br />

Umsiedlungsverträgen unter der Devise „he<strong>im</strong> <strong>in</strong>s Reich“. 42<br />

Dies ist aber wohl e<strong>in</strong>er der letzten Schritte der NS-Führung <strong>in</strong> Richtung auf e<strong>in</strong>e<br />

ethnische Homogenisierung des Großdeutschen Reiches gewesen. So mutet es symptomatisch<br />

an, daß die am 7. Oktober 1939 abgeschlossene Polen-Denkschrift des<br />

jungen Theodor Schieder, der versuchte, die Festlegung der <strong>Grenzen</strong> mit der nationalen<br />

Homogenität der Bevölkerung <strong>in</strong> E<strong>in</strong>klang zu br<strong>in</strong>gen, <strong>und</strong> dabei ausgiebig mit<br />

dem Instrument des Bevölkerungstransfers operierte, ohne jede Folge blieb, da sie<br />

schon Mitte des gleichen Monats als obsolet galt <strong>und</strong> daher „den entscheidenden Stellen<br />

überhaupt nicht mehr zugeleitet“ wurde, „weil die Lage der D<strong>in</strong>ge sich allzu sehr<br />

verändert hat[te]“. 43<br />

Inzwischen hatte nämlich, schon e<strong>in</strong>en Tag nach der zitierten Hitler-Rede, die SS<br />

die Regie des Umsiedlungswesens unter dem Etikett „Festigung des deutschen Volkstums“<br />

übernommen. 44 <strong>Grenzen</strong> spielten fortan <strong>und</strong> für den Rest der NS-Herrschaft<br />

fast nur noch e<strong>in</strong>e utopische oder gar ke<strong>in</strong>e Rolle mehr – ihre Festlegung war für die<br />

Zeit nach dem Krieg verschoben; sie waren mehr <strong>und</strong> mehr auf die Funktion von B<strong>in</strong>nengrenzen<br />

e<strong>in</strong>es vor allem nach Osten h<strong>in</strong> potentiell unbegrenzten großdeutschen,<br />

großgermanischen Herrschaftsraums abgesunken, dem freilich größte Probleme bevorzustehen<br />

schienen, wie die zu weit gewordene Jacke des Reichs mit dem nicht<br />

schnell genug wachsen wollenden deutschen „Volkskörper“ angefüllt werden könne;<br />

es gab <strong>in</strong> dieser H<strong>in</strong>sicht jetzt eher e<strong>in</strong>en „Raum ohne Volk“ als e<strong>in</strong> „Volk ohne<br />

Raum“. So hat es beispielsweise <strong>in</strong> deutschen Schulatlanten seit dem Jahre 1943 ke<strong>in</strong>e<br />

Nationalitätenkarte Mitteleuropas mehr gegeben – <strong>in</strong> früheren Auflagen des gleichen<br />

Atlas waren solche Karten durchaus <strong>und</strong> mit hochrangigem Bildungsanspruch<br />

vorhanden. 45 Den Schülern des Jahres 1943 aber sollte nicht mehr vor Augen geführt<br />

42 HELLMUTH HECKER: Die Umsiedlungsverträge des Deutschen Reiches während des Zweiten<br />

Weltkrieges, Hamburg 1971 (Werkhefte der Forschungsstelle für Völkerrecht <strong>und</strong> ausländisches<br />

öffentliches Recht der Universität Hamburg, 17). S. dazu auch die deutsche<br />

Propaganda-Karte des „Volksb<strong>und</strong>es für das Deutschtum <strong>im</strong> Ausland“, Berl<strong>in</strong> 1940, unter<br />

dem Titel: „Die Umsiedlungen des Führers“, abgedruckt <strong>in</strong>: Föhn. Heft 6/7, Innsbruck<br />

1980, S. 167.<br />

43 Vorläufer des „Generalplans Ost“. E<strong>in</strong>e Dokumentation über Theodor Schieders Polendenkschrift<br />

vom 7. Oktober 1939. E<strong>in</strong>geleitet <strong>und</strong> kommentiert von ANGELIKA EBBING-<br />

HAUS <strong>und</strong> KARL HEINZ ROTH, <strong>in</strong>: Zeitschrift für Sozialgeschichte des <strong>20</strong>. <strong>und</strong> 21. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

1 (1992), S. 62–94. Das Zitat ist e<strong>in</strong>em Brief von Albert Brackmann <strong>und</strong> Wolfgang<br />

Kohte an Hermann Aub<strong>in</strong> vom 16.10.1939 entnommen. Ebenda, S. 93 f.<br />

44 R. L. KOEHL: RKFDV. German Resettlement and Population Policy 1939-1945. A history<br />

of the Reich Commission for the Strengthen<strong>in</strong>g of Germandom, Cambridge 1957.<br />

45 Sydow-Wagners methodischer Schul-Atlas, bearb. von HERMANN HAACK u. HERMANN<br />

LAUTENSACH, 22. Aufl. Gotha, Reichenberg 1943. In dem mit September 1943 datierten<br />

Vorwort wird darauf h<strong>in</strong>gewiesen, auf „Völker-, Rassen- <strong>und</strong> Sprachenkarten“ sei „entsprechend<br />

den amtlichen Richtl<strong>in</strong>ien <strong>in</strong> der Neuauflage verzichtet“ worden; ebenda, S. IX.<br />

Diese Karten f<strong>in</strong>den sich zuletzt noch <strong>in</strong> der Auflage von 1942 des gleichen Atlas (fre<strong>und</strong>liche<br />

Auskunft von Dr. Robert Maier, Georg-Eckert-<strong>Institut</strong>, Braunschweig).<br />

172


werden, daß ke<strong>in</strong>eswegs überall <strong>im</strong> so gerühmten Großdeutschen Reich Deutsche<br />

wohnten.<br />

Kurze Zeit nach Kriegsbeg<strong>in</strong>n war also offensichtlich e<strong>in</strong>e neue Qualität <strong>in</strong> das<br />

von uns beobachtete Spannungsfeld: hie territoriale <strong>Grenzen</strong> – da ethnische Zugehörigkeit<br />

der Bevölkerung gekommen: Es wirkten <strong>in</strong> den mite<strong>in</strong>ander konkurrierenden<br />

„bevölkerungswissenschaftlichen“, kriegswirtschaftlichen, bürokratischen, Partei-<br />

<strong>und</strong> SS-Planungsstäben des Umsiedlungswesens die verschiedensten Ansätze von<br />

Rassepolitik, agrarökonomischer Umstrukturierung, Raumordnung, „Germanisierung<br />

des Bodens“, Ausweisung (<strong>und</strong> Vernichtung) „unerwünschter Elemente“, zusammen<br />

<strong>und</strong> gegene<strong>in</strong>ander; die Vorarbeiten zum „Generalplan Ost“ bzw. „Generalsiedlungsplan“<br />

zeigen dies <strong>in</strong> aller Deutlichkeit. 46 Die nationalstaatliche Homogenisierung des<br />

Großdeutschen Reiches wurde dabei weitgehend aus den Augen verloren; „Raum“-,<br />

Umsiedlungs- <strong>und</strong> Vernichtungspolitik g<strong>in</strong>gen Hand <strong>in</strong> Hand. 47<br />

<strong>Grenzen</strong> <strong>und</strong> population transfer <strong>in</strong> der Anti-Hitler-Koalition<br />

Demgegenüber nahm sich die alliierte Planung für die Nachkriegszeit <strong>in</strong> H<strong>in</strong>sicht auf<br />

die geforderte Homogenisierung von Nationalstaaten eher traditionell aus, wenn auch<br />

hier neue Modifikationen zu bemerken waren. Sie resultierten<br />

1. aus den Erfahrungen aus dem Vorgehen der deutschen Okkupationsmacht nicht<br />

nur <strong>im</strong> Osten Europas,<br />

2. aus dem Versuch, die Planung e<strong>in</strong>er künftigen Kriegsverhütung <strong>in</strong> Übere<strong>in</strong>st<strong>im</strong>mung<br />

zu br<strong>in</strong>gen mit dem sich verfestigenden Gedanken, Deutschland künftig am<br />

Wiedererstarken zu h<strong>in</strong>dern <strong>und</strong> schließlich die Deutschen für die Kriegsverbrechen<br />

der NS-Führung kollektiv zu bestrafen.<br />

In H<strong>in</strong>sicht auf unser Problem (<strong>Grenzen</strong> <strong>und</strong> M<strong>in</strong>derheiten) bedeutete das: Von Anfang<br />

an, noch <strong>in</strong> der Zeit, als Großbritannien die ganze Last des Krieges gegen Hitler<br />

alle<strong>in</strong> trug, bezogen sich die Planungsstudien <strong>und</strong> dann die festen Pläne für die Nachkriegszeit<br />

auf Grenzveränderungen (zum<strong>in</strong>dest Zurücknahme der Änderungen nach<br />

1938 oder 1937, dann sehr bald auch e<strong>in</strong>e Beschneidung des Reichsgebiets <strong>im</strong> Osten,<br />

vor allem nachdem man ab Mitte 1941 auf den sowjetischen Bündnispartner Rücksicht<br />

nehmen mußte) <strong>und</strong>, <strong>im</strong> gleichen Atemzug mit den Grenzveränderungen, auf ex-<br />

46<br />

Vom Generalplan Ost zum Generalsiedlungsplan, hrsg. von CZESŁAW MADAJCZYK u.a.,<br />

München u.a. 1994.<br />

47<br />

ROLF-DIETER MÜLLER: Hitlers Ostkrieg <strong>und</strong> die deutsche Siedlungspolitik. Die Zusammenarbeit<br />

von Wehrmacht, Wirtschaft <strong>und</strong> SS, Frankfurt am Ma<strong>in</strong> 1991 (Fischer Taschenbuch<br />

10573); MICHAEL G. ESCH: „Ges<strong>und</strong>e Verhältnisse“. Deutsche <strong>und</strong> polnische Bevölkerungspolitik<br />

<strong>in</strong> <strong>Ostmitteleuropa</strong> 1939–1950, Marburg 1998 (Materialien <strong>und</strong> Studien zur<br />

<strong>Ostmitteleuropa</strong>-Forschung, 2). Zum Zusammenhang von Umsiedlungswesen <strong>und</strong> Holocaust<br />

vgl. GÖTZ ALY: „Endlösung“. Völkerverschiebung <strong>und</strong> der Mord an den europäischen<br />

Juden, Frankfurt am Ma<strong>in</strong> 1995.<br />

173


changes of populations: Zugr<strong>und</strong>e lag diesem Junkt<strong>im</strong> die fest verwurzelte Überzeugung,<br />

daß die Existenz nationaler M<strong>in</strong>derheiten nach dem Kriege unbed<strong>in</strong>gt vermieden<br />

werden müsse, da sie der <strong>in</strong>neren Stabilität der Staaten <strong>und</strong> dem Frieden zwischen<br />

ihnen notwendig <strong>im</strong> Wege stünden.<br />

Der Auftrag, den das britische Foreign Office dem „Foreign Research and Press<br />

Service“ erteilte (daraufh<strong>in</strong> wurde e<strong>in</strong> entsprechendes Dokument <strong>im</strong> Februar 1942<br />

vorgelegt), zeigt dies <strong>in</strong> aller Deutlichkeit. Dort wurde zunächst die Frage nach den<br />

künftigen <strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong> Ostmittel- <strong>und</strong> Südosteuropa gestellt, also der deutschpolnischen,<br />

der deutsch-tschechischen <strong>und</strong> der italienisch-deutsch-jugoslawischen<br />

<strong>Grenzen</strong>. Dabei solle man zwar nicht allzu viel Rücksicht auf ethnologische Erwägungen<br />

nehmen, „but, <strong>in</strong> so far as this leads to advocat<strong>in</strong>g exchange of populations, it<br />

will be well to prepare a second paper on [...] Lessons to be learnt from past exchanges<br />

of populations....“ 48<br />

In diesem heute schon fast klassisch zu nennenden Memorandum wurden trotz der<br />

Mahnung, ethnologische Erwägungen zu vernachlässigen, die „ethnographischen“<br />

Probleme schon <strong>im</strong> Hauptteil <strong>im</strong>mer wieder erwogen <strong>und</strong> damit der Transfer deutscher<br />

(<strong>und</strong> nicht nur deutscher) M<strong>in</strong>derheiten, der mit Grenzveränderungen nahezu <strong>im</strong><br />

Normalfall verb<strong>und</strong>en se<strong>in</strong> würde, <strong>in</strong> aller Ausführlichkeit diskutiert; <strong>im</strong> Anhang zur<br />

zweiten Frage werden dann vor allem die aus Präzedenzfällen zu ziehenden Lehren<br />

erörtert.<br />

Schon zuvor, <strong>im</strong> Mai 1940, war e<strong>in</strong> ähnliches Memorandum vom gleichen Gremium<br />

erarbeitet worden. Dabei standen <strong>in</strong> der Reihenfolge der Erörterung die Transfers<br />

sogar <strong>im</strong> Vordergr<strong>und</strong>, <strong>und</strong> zwar mit ausdrücklichen Anknüpfungen an die erwähnte<br />

Hitlerrede <strong>und</strong> die „transfers“ vor <strong>und</strong> nach Lausanne, <strong>in</strong> Südtirol <strong>und</strong> <strong>im</strong> Baltikum<br />

bzw. <strong>in</strong> den von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebieten; ferner wurde Bezug<br />

genommen auf e<strong>in</strong> bisher von der Forschung zu wenig <strong>in</strong> diesen Zusammenhang gestelltes<br />

Moment: Die Umsiedlungspläne der Zionisten für die paläst<strong>in</strong>ensischen Araber.<br />

49 Die <strong>Grenzen</strong>frage folgte <strong>in</strong> dem Memorandum von 1940 erst danach – <strong>in</strong> großer<br />

Ausführlichkeit. 50<br />

Die L<strong>in</strong>ie ließe sich von diesen Memoranden aus weiterzeichnen bis zur zunehmenden<br />

Konkretisierung der Grenzänderungspläne, mit denen die sozusagen nachziehende<br />

ethnische Homogenisierung der veränderten Staatsgebiete durch Umsiedlungen<br />

48 F.R.P.S.: Memoranda on Frontiers of European Confederations and the Transfer of German<br />

Populations (<strong>20</strong>.02.1942). FO 371/30930 - C 2167/241/18.<br />

49 Dazu NUR MASALHA: Expulsion of the Palest<strong>in</strong>ians: The Concept of ‚Transfer‘ <strong>in</strong> Zionist<br />

Political Thought, 1882-1948, Wash<strong>in</strong>gton D.C. 1992 (<strong>Institut</strong>e for Palest<strong>in</strong>e Studies);<br />

CHAIM SIMONS: International Proposals to transfer Arabs from Palest<strong>in</strong>e 1895–1947, Hoboken,<br />

N.J. 1988; ISRAEL SHAHAK: A History of the Concept of Transfer <strong>in</strong> Zionism, <strong>in</strong>:<br />

Journal of Palest<strong>in</strong>e Studies 17 (1989), S. 22–37.<br />

50 JAN RYCHLÍK: Memorandum Britského královského <strong>in</strong>stitutu mez<strong>in</strong>árodních vztahu` o<br />

transferu národnostních mens=<strong>in</strong> z r. 1940 [E<strong>in</strong> Memorandum des Royal <strong>Institut</strong>e for International<br />

Relations über den Transfer nationaler M<strong>in</strong>derheiten aus d. J. 1940], <strong>in</strong>: C+eský<br />

c=asopis historický 91 (1993), S. 612–631.<br />

174


– <strong>im</strong> deutsch-polnischen Bereich <strong>im</strong>mer bis zum jeweils aktuellen Planungsstand der<br />

polnischen Westgrenze – angestrebt wurde. 51 Die Abtrennung Ostpreußens vom<br />

Reich <strong>und</strong> die Aussiedlung der dortigen deutschen Bevölkerung bildete den Anfang<br />

der sich mit zunehmendem Kriegsverlauf ausweitenden Grenzverschiebungspläne <strong>im</strong><br />

Osten Deutschlands, bei denen die Kompensation für das sowjetisch annektierte Ostpolen<br />

e<strong>in</strong>e gewichtige Rolle spielte. Bei all diesen Grenzplanungs-Varianten wurde<br />

stets geradezu automatisch die Konsequenz des sich sche<strong>in</strong>bar notwendig daraus ergebenden<br />

Bevölkerungstransfers mitberechnet.<br />

Für die wiederzuerrichtende Tschechoslowakei sollte zunächst e<strong>in</strong> Abschneiden<br />

der re<strong>in</strong> deutsch besiedelten Grenzvorsprünge <strong>in</strong> Böhmen mit dem Austausch verbleibender<br />

M<strong>in</strong>derheiten komb<strong>in</strong>iert werden, erst später lief es auf e<strong>in</strong>e völlige Restaurierung<br />

der alten C+SR-Grenze <strong>und</strong> die vollständige Austreibung der Deutschen h<strong>in</strong>aus. 52<br />

Bei der <strong>in</strong> relativ kurzer Zeit entwickelten Konzeption des „displacement“, des<br />

„transfer“ der deutschen Bevölkerung aus den wiederherzustellenden Territorium vor<br />

allem der Tschechoslowakei <strong>und</strong> des <strong>in</strong> der <strong>Grenzen</strong>-Planung von Mal zu Mal mehr<br />

nach Westen <strong>und</strong> Norden vorgeschobenen polnischen Staatsgebiets hat es e<strong>in</strong>en mühsam<br />

überdeckten Dissens beispielsweise zwischen der tschechoslowakischen Exilregierung<br />

<strong>und</strong> der britischen Regierung um die Begründung gegeben: Die Benes=-<br />

Exilregierung stellte – je länger, je mehr – das Motiv der Bestrafung zunächst der sudetendeutschen<br />

Nazis <strong>und</strong> aller Mitläufer <strong>in</strong> den Vordergr<strong>und</strong>; dagegen wandte die<br />

britische Regierung e<strong>in</strong>, von der die kle<strong>in</strong>en Exilregierungen abhängig waren, das Bestrafungsmotiv<br />

sei ungeeignet, denn es ermögliche den Verbleib e<strong>in</strong>er „anti-nazi“<br />

deutschen Restm<strong>in</strong>derheit – <strong>und</strong> damit bliebe das M<strong>in</strong>derheitenproblem weiter beste-<br />

51 Karte mit alternativen Grenzplanungs-E<strong>in</strong>tragungen als Anhalt für Nachberechnungen der<br />

zu transferierenden Deutschen: FO 371/39139 C 9093/2750/18. Die Karte ist <strong>in</strong> Schwarz-<br />

Weiß-Druck veröffentlicht <strong>in</strong> DETLEF BRANDES: Die britische Regierung kommt zu e<strong>in</strong>em<br />

Zwischenergebnis. Die Empfehlungen des britischen Interdepartmental Committee on the<br />

Transfer of German Population vom Mai 1944, <strong>in</strong>: Occursus - Setkání - Begegnung.<br />

Sborník ku pocte= 65. narozen<strong>in</strong> prof. dr. Jana Kr=ena [Sammelband zu Ehren des 65. Geburtstages<br />

von Prof. Dr. Jan Kr=en], hrsg. von ZDENE=K POUSTA, PAVEL SEIFTER, JIR=Í PES=EK,<br />

Praha 1996, S. 45-68, hier S. 47.<br />

52 TOMÁS= STANE=K: Odsun Ne=mcu` z C+eskoslovenska [Die Ausweisung der Deutschen aus der<br />

Tschechoslowakei] 1945–1947, Praha 1991; HANS LEMBERG: Die Entwicklung der Pläne<br />

für die Aussiedlung der Deutschen aus der Tschechoslowakei, <strong>in</strong>: Der Weg <strong>in</strong> die Katastrophe.<br />

Deutsch-tschechoslowakische Beziehungen 1938-1947, hrsg. von DETLEF BRAN-<br />

DES u. VÁCLAV KURAL, Essen 1994 (Veröfftl. des <strong>Institut</strong>s für Kultur <strong>und</strong> Geschichte der<br />

Deutschen <strong>im</strong> östlichen Europa, 3), S. 77-92; Wiederabdruck <strong>in</strong>: Mit unbestechlichem<br />

Blick... (s. o., Anm. 30), S. 343–360; DETLEF BRANDES: Großbritannien <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e osteuropäischen<br />

Alliierten 1939–1943. Die Regierungen Polens, der Tschechoslowakei <strong>und</strong> Jugoslawiens<br />

<strong>im</strong> Londoner Exil vom Kriegsausbruch bis zur Konferenz von Teheran, München<br />

1988 (Veröffentlichungen des Collegium Carol<strong>in</strong>um, 59). S. demnächst von DEMS.: „Transfer“:<br />

Pläne <strong>und</strong> Entscheidungen zur Vertreibung der Deutschen (<strong>und</strong> Magyaren) aus der<br />

Tschechoslowakei, Polen <strong>und</strong> Ostdeutschland 1939–1945 (Monographie).<br />

175


hen. Die britische Regierung verfolgte aber an erster Stelle das Pr<strong>in</strong>zip der ethnischen<br />

Homogenisierung zur künftigen Konfliktvermeidung. 53<br />

Ne<strong>in</strong>, die Staaten der Nachkriegszeit <strong>in</strong> <strong>Ostmitteleuropa</strong> durften <strong>in</strong> ihren <strong>Grenzen</strong><br />

ke<strong>in</strong>e ethnischen M<strong>in</strong>derheiten mehr behalten. Außenm<strong>in</strong>ister Eden hat <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

knappen Vermerk zum Abschlußbericht des Interdepartmental Committee on the<br />

Transfer of German Populations vom Mai 1944 54 die Sache auf den Punkt gebracht:<br />

„My own policy w[oul]d be such: [...] there sh[oul]d be no national m<strong>in</strong>orities <strong>in</strong> Europe;<br />

anyone who disliked the idea of stay<strong>in</strong>g <strong>in</strong> his own home on such conditions<br />

[d.h. ohne M<strong>in</strong>derheitenschutz <strong>und</strong> unter stärkstem Ass<strong>im</strong>ilierungsdruck, H.L.],<br />

w[oul]d have to clear out.“ 55<br />

Seit 1944 aber, angesichts der sich verfestigenden Pläne für e<strong>in</strong>en großen Gebietszuwachs<br />

Polens auf bisher deutschem Gebiet bis zu Oder <strong>und</strong> Neiße <strong>und</strong> für die Totalaussiedlung<br />

der Deutschen aus diesen Gebieten <strong>und</strong> aus der C+SR, wuchsen die vorher<br />

hier <strong>und</strong> da <strong>in</strong> den Planungsgremien vorhandenen britisch-alliierten Bedenken 56 –<br />

53 Vgl. Richtl<strong>in</strong>ienentwurf des Foreign Office, Central Department, für Besuch des Secretary<br />

of State <strong>in</strong> USA vom 3.4.1943: Benes= habe vorgeschlagen, den Transfer mit Kriegsverbrechen<br />

zu motivieren. Die britische Regierung „do not at present consider it desirable to accept<br />

any such l<strong>im</strong>ited criterion“. FO 371/34396 C 3655/416/62. Die Hochrangigkeit des<br />

Pr<strong>in</strong>zips gegen alle Bedenken <strong>und</strong> Varianten der Ausführung charakterisiert der Satz: „We<br />

are [...] committed to a pr<strong>in</strong>ciple, but not to a method.“ O’Neill an Troutbeck: „Transfer of<br />

German Populations“ (13.11.1943): FO 371/64221 C 11913/279/18; vgl. auch BRANDES:<br />

Die britische Regierung (wie Anm. 51), S. 51).<br />

54 Diesen Bericht analysiert ausführlich BRANDES: Die britische Regierung (wie Anm. 51).<br />

55 Ebenda, S. 67. – Da durch Nachlässigkeit des Verlages <strong>in</strong> dem genannten Band ke<strong>in</strong>e der<br />

85 Fußnoten des genannten Beitrags abgedruckt worden ist, hier die F<strong>und</strong>stelle (fre<strong>und</strong>licher<br />

H<strong>in</strong>weis des Verfassers): Vermerk Eden v. 9.6.1944, FO 371/39092, C6391/2<strong>20</strong>/18. –<br />

Zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong> Exemplar des gr<strong>und</strong>sätzlich wichtigen 51-seitigen Reports des Interdepartmental<br />

Comittee on the transfer of German Population ist – Ironie der Geschichte – nach<br />

e<strong>in</strong>em ersten Durchgang (dazu auch der Vermerk Edens) am 23. Juni 1944 vorläufig mit<br />

dem Vermerk „the problem with which this report deals is one that does not exist at the<br />

moment, but is capable of becom<strong>in</strong>g exceed<strong>in</strong>gly acute after the war“ weitergeleitet worden<br />

<strong>und</strong> offensichtlich irgendwo <strong>im</strong> Dienstgang steckengeblieben, dann aber sieben Jahre später<br />

„amongst some cab<strong>in</strong>et papers“ <strong>im</strong> German Political Department wiedergef<strong>und</strong>en <strong>und</strong><br />

der C-division am 7.8.1951 mit dem bedauernden Bemerken zurückgegeben worden: „No<br />

further action can be taken at this late date.“ Dazwischen lag die gesamte Vertreibung <strong>und</strong><br />

Aussiedlung der Deutschen aus <strong>Ostmitteleuropa</strong>.<br />

56 E<strong>in</strong>e relativ frühe Abwägung des Für <strong>und</strong> Wider des Transfer: J.D. Mabbott am 1.09.1942<br />

unter Bezug auf das F.R.P.S.-Memorandum vom Februar 1942 (s.o., Anm. 48), FO<br />

371/31500 U 4<strong>20</strong>/61/72; s. auch <strong>im</strong> Abschlußbericht des <strong>in</strong> Anm. 55 genannten Komitees,<br />

S. 8, Abs. 8 <strong>und</strong> pass<strong>im</strong>; es spricht für die Offenheit <strong>in</strong> den britischen Planungsgremien,<br />

daß selbst e<strong>in</strong> gegenüber den Grenzänderungs- <strong>und</strong> Transferplänen <strong>im</strong> deutsch-polnischen<br />

Bereich außerordentlich skeptischer Zeitungsartikel (Germany’s Eastern Frontiers. By a<br />

Student of Europe, <strong>in</strong>: S<strong>und</strong>ay Observer v. 27.02.1944) von G.W. Harrison kommentiert<br />

wurde mit: „A well balanced article. Sensible public discussion of this thorny matter will<br />

do no harm“ (2.03.1944). FO 371/39091 C 2869/2<strong>20</strong>/18, C 2864/2<strong>20</strong>/18.<br />

176


nicht so sehr gegen das Pr<strong>in</strong>zip des auf die Grenzverschiebung folgenden Bevölkerungstransfers<br />

oder wegen der vom Beg<strong>in</strong>n der Verwirklichung an <strong>und</strong> zunehmend<br />

1945 <strong>und</strong> 46 erkennbaren <strong>und</strong> scharf kritisierten Inhumanität der Maßnahme, sondern<br />

wegen ihrer zu erwartenden negativen Folgen für die soziale, ökonomische <strong>und</strong> politische<br />

Stabilität <strong>in</strong> dem von den Alliierten zu besetzenden bzw. schon besetzten<br />

Deutschland.<br />

Nach dem Zweiten Weltkrieg – alte oder neue Pr<strong>in</strong>zipien?<br />

Er<strong>in</strong>nern wir uns an die These Montandons. Er hatte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er H<strong>in</strong>sicht Unrecht: Was<br />

1919, 1938 oder 1945 entstand, waren ke<strong>in</strong>e „natürlichen“ <strong>Grenzen</strong>, sie waren meist<br />

auch nicht <strong>in</strong> besonderem Maße zu verteidigen. Öfter schon waren sie sogar – horribile<br />

dictu – historisch. 57 Recht sollte Montandon allerd<strong>in</strong>gs dar<strong>in</strong> behalten, daß – von<br />

e<strong>in</strong>em best<strong>im</strong>mten Augenblick an – zuerst <strong>Grenzen</strong> gezogen wurden <strong>und</strong> dann die<br />

Staatsvölker an das Prokrustesbett der <strong>Grenzen</strong> angepaßt wurden; ethnisch-nationale<br />

M<strong>in</strong>derheiten wurden tatsächlich ausgetauscht, öfter jedoch (weil es nichts auszutauschen<br />

gab) e<strong>in</strong>seitig transferiert.<br />

Der Gedanke, daß von e<strong>in</strong>em Bevölkerungsaustausch e<strong>in</strong>e Befriedung zu erwarten<br />

sei, war selbst nach dem Paroxysmus der Bevölkerungsverschiebungen <strong>im</strong> <strong>und</strong> nach<br />

dem Zweiten Weltkrieg noch nicht ad acta gelegt; dafür sprechen Episoden noch aus<br />

den Jahren 1948 <strong>und</strong> 1949, als <strong>im</strong> Triester Gebiet <strong>und</strong> <strong>in</strong> Mazedonien Diplomaten (es<br />

waren wieder britische) als Lösung für drängende Probleme die Vorzüge <strong>und</strong><br />

Nachteile e<strong>in</strong>es Bevölkerungsaustausches diskutierten. 58<br />

Insgesamt war aber <strong>in</strong> H<strong>in</strong>sicht auf dieses Handlungsmuster <strong>in</strong>zwischen Skepsis<br />

e<strong>in</strong>gekehrt. Es war mittlerweile nur allzu deutlich geworden, daß die betroffenen Bevölkerungen<br />

selbst alles andere als begeistert waren über ihre Verschiebungen <strong>und</strong><br />

Umsiedlungen, auch dann, wenn es „he<strong>im</strong> <strong>in</strong>s Reich“ gehen sollte.<br />

E<strong>in</strong> Zeugnis dafür ist der Bericht des britischen M<strong>in</strong>derheitenexperten Macartney,<br />

der <strong>im</strong> April 1940 dem Foreign Office über Möglichkeiten des ungarisch-rumänischen<br />

Bevölkerungsaustauschs berichtete <strong>und</strong> am Rande darauf h<strong>in</strong>wies, welchen<br />

völligen St<strong>im</strong>mungsumschwung die erwähnte Hitlerrede vom Oktober 1939 mit der<br />

Ankündigung von Umsiedlungen „he<strong>im</strong> <strong>in</strong>s Reich“ bei den Deutschen <strong>in</strong> Ungarn hervorgerufen<br />

habe, die noch 1938 weitgehend pro Hitler e<strong>in</strong>gestellt gewesen seien. B<strong>in</strong>nen<br />

weniger Tage seien <strong>20</strong> 000 Anträge auf Magyarisierung von deutschen Namen<br />

e<strong>in</strong>gegangen, Familien hätten nach jüdischen Vorfahren zu suchen begonnen, selbst <strong>in</strong><br />

Ödenburg/Sopron hätten Deutsche auf e<strong>in</strong>mal magyarisch zu sprechen begonnen, <strong>und</strong><br />

57 Die bekannte Karte von COLUM GILFILLAN: European political bo<strong>und</strong>aries, <strong>in</strong>: Political<br />

Science Quarterly 39 (1924), 458–484, wiederabgedruckt u.a. von ALEXANDER DEMANDT<br />

<strong>in</strong>: Deutschlands <strong>Grenzen</strong> (wie Anm. 13), S. 26, ist <strong>in</strong>sofern irreführend, als sie bei der<br />

„Dauerhaftigkeit“ von <strong>Grenzen</strong> nur ihre Funktion als Staatsgrenzen berücksichtigt, nicht<br />

aber alte B<strong>in</strong>nengrenzen, die Staatsgrenzen wurden oder umgekehrt.<br />

58 LEMBERG: „Ethnische Säuberung“ (wie Anm. 30), S. 36.<br />

177


<strong>in</strong> deutsche höhere Schulen habe es fast ke<strong>in</strong>e Aufnahmeanträge mehr gegeben. Dies<br />

alles, um auf ke<strong>in</strong>en Fall <strong>in</strong> die Gruppe derjenigen zu kommen, die „he<strong>im</strong> <strong>in</strong>s Reich“<br />

umgesiedelt werden sollten. 59 – Selbst wenn diese Nachrichten übertrieben gewesen<br />

se<strong>in</strong> sollten, e<strong>in</strong> Kern davon ist doch wahrsche<strong>in</strong>lich.<br />

In der Diskussion, die <strong>in</strong> der britischen <strong>und</strong> amerikanischen Öffentlichkeit vor <strong>und</strong><br />

nach Kriegsende über S<strong>in</strong>n <strong>und</strong> Uns<strong>in</strong>n von Umsiedlungen zum Zwecke der ethnischen<br />

Homogenisierung von Staaten stattfand 60 , waren Argumente Pro <strong>und</strong> Contra zu<br />

hören:<br />

Es fanden sich entschiedene Befürworter, so der wohl<strong>in</strong>formierte Bernard Newman,<br />

der 1943 recht vehement die Idee des Bevölkerungsaustausches vertrat. Der<br />

Hauptbeweggr<strong>und</strong>: „The <strong>in</strong>convenience of the few cannot be allowed to prejudice the<br />

safety of the many.“ Die Härten müßten eben <strong>in</strong> Kauf genommen werden für den<br />

wichtigen Zweck der Befriedung. Ähnlich befürwortete Ex-US-Präsident Herbert<br />

Hoover den Bevölkerungstransfer als „Heroisches Heilmittel“; „die Härte des Wegbewegens“<br />

sei zwar groß, aber sie sei „ger<strong>in</strong>ger als das dauernde Leid der M<strong>in</strong>derheiten<br />

<strong>und</strong> die dauernde Wiederkehr von Kriegen“. 61<br />

Freilich gab es auch zahlreiche Kritiker der Bevölkerungstransfers, <strong>und</strong> es hatte<br />

sie schon <strong>in</strong> den Planungsorganen der Kriegszeit gegeben. So wies Eugene Kulischer,<br />

e<strong>in</strong> Experte für Migrationsgeschichte, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em längeren Artikel 1946 darauf h<strong>in</strong>,<br />

Massenumsiedlungen könnten <strong>in</strong> ihrem negativen Charakter nicht rational vernebelt<br />

werden. Überhaupt: „No artificial ethnic segregation can be durable“; ke<strong>in</strong> Staat lasse<br />

sich ethnisch re<strong>in</strong>, d.h. homogen erhalten. 62<br />

Aus dem Abstand e<strong>in</strong>es halben Jahrh<strong>und</strong>erts gesehen, ersche<strong>in</strong>t diese Skepsis<br />

durchaus berechtigt. Mehr noch: es hat sich erwiesen, daß zwar <strong>in</strong> der Tat durch die<br />

Massenumsiedlungen, Menschenvernichtungen <strong>und</strong> Vertreibungen die Staaten <strong>Ostmitteleuropa</strong>s<br />

<strong>und</strong> Südosteuropas ethnisch weit homogener geworden s<strong>in</strong>d. 63 Damit ist<br />

59<br />

FO 371/24429 - C 4668/1967/21.<br />

60<br />

Hier auch <strong>in</strong> bezug auf die befürchtete Umsiedlung von Juden <strong>und</strong> auf Jiddisch MARK VE-<br />

NIANOVICH VISHNYAK: Dos transferirn bafelkerungen vi a mitl tsu farentfern [beantworten]<br />

di problem fun m<strong>in</strong>oritetn, New York 1942.<br />

61<br />

LEMBERG: „Ethnische Säuberung“ (wie Anm. 30), S. 35. – Zusätzlich: Hans Holstad (früherer<br />

Präsident der türkisch-griechischen Austauschkommission) an Malk<strong>in</strong>: Exchange of<br />

populations as a means of prevent<strong>in</strong>g war (21.04.1943): Es genüge nicht, zur Vermeidung<br />

von M<strong>in</strong>derheitenproblemen nach dem Krieg <strong>Grenzen</strong> neu zu ziehen; wo M<strong>in</strong>derheiten<br />

verbleiben, müssen sie ausgetauscht werden; Schwierigkeiten dabei werden benannt. FO<br />

371/35318 U 1985/25/70.<br />

62<br />

EUGENE MICHEL KULISCHER: Population Transfer, <strong>in</strong>: South Atlantic Quarterly 45 (1946),<br />

S. 403–414; <strong>im</strong> gleichen Jahr wurde auch das Verhältnis von <strong>Grenzen</strong> <strong>und</strong> Massenmigrationen<br />

thematisiert von HANS ROTHFELS: Frontiers and Mass Migration <strong>in</strong> Eastern-Central<br />

Europe, <strong>in</strong>: Review of Politics (Notre Dame, Ind.) 8 (1946), S. 37-67. – Scharfe Kritik an<br />

den „expulsions“ bei R.H.M. WORSLEY: Mass Expulsions, <strong>in</strong>: N<strong>in</strong>eteenth Century and after<br />

138 (1945), S. 270–274; 139 (1946), S. 90–96.<br />

63<br />

Eastern European national m<strong>in</strong>orities 1919/1980. A Handbook, hrsg. von STEPHAN M. HO-<br />

RAK, Littleton, Colorado 1985, S. 2.<br />

178


aber auch e<strong>in</strong>e erhebliche kulturelle Verarmung gegenüber dem Mischzustand der<br />

Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg e<strong>in</strong>getreten.<br />

Man wird ferner feststellen müssen, daß die Idee des ethnisch re<strong>in</strong>en Nationalstaats<br />

so wirksam gewesen ist, daß der noch <strong>im</strong> Völkerb<strong>und</strong> verankerte M<strong>in</strong>derheitenschutz<br />

von der Nachfolgeorganisation, den Vere<strong>in</strong>ten Nationen, nach dem Krieg nicht<br />

wieder aufgenommen worden ist. Ethnische M<strong>in</strong>derheiten galten bei den Führenden<br />

auch nach Kriegsende als e<strong>in</strong>e Konfliktursache per se, die es nicht nur – etwa durch<br />

„Integration“ <strong>in</strong> die Staatsnationen – zu beseitigen, sondern auch künftig zu vermeiden<br />

<strong>und</strong> jedenfalls nicht mehr zu schützen galt.<br />

Immerh<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der UNO an die Stelle des alten M<strong>in</strong>derheitenschutzes Regelungen<br />

für den Schutz der allgeme<strong>in</strong>en Menschenrechte getreten, der <strong>in</strong>zwischen auch<br />

auf anderen Ebenen – <strong>in</strong> der EU, <strong>in</strong> der OSZE – nachdrückliche Unterstützung gef<strong>und</strong>en<br />

hat. Man hat also das Thema als <strong>in</strong>sgesamt erledigt <strong>und</strong> als historisiert betrachten<br />

können, vor allem da <strong>in</strong> den vierzig Jahren der paradoxen Stabilität des Ost-West-<br />

Dualismus ethnische Konflikte eigentlich nur noch aus Randgebieten Europas bekannt<br />

waren, aus Nordirland, dem Baskenland oder aus der Dritten Welt. Hat also<br />

Georges Montandon recht behalten? Lange Zeit mochte es fast so sche<strong>in</strong>en, wenn<br />

auch Untersuchungen <strong>im</strong> globalen Horizont gezeigt haben, daß nach 1945 die meisten<br />

<strong>in</strong>ternationalen Konflikte zu Bevölkerungsbewegungen geführt haben. 64<br />

Erst der Zusammenbruch der Pax Sovietica hat – gleichzeitig mit der Befreiung<br />

der betroffenen Länder – e<strong>in</strong>e neue Phase der Unruhe <strong>im</strong> <strong>in</strong>ternationalen System herbeigeführt,<br />

mit zahlreichen Staatsuntergängen <strong>und</strong> Staatsentstehungen. 65 Und wieder<br />

handelte es sich durchweg um Nationalstaaten, <strong>und</strong> erneut trat <strong>im</strong> Zusammenhang von<br />

(meist traditionellen) Grenzziehungen das Problem nationaler M<strong>in</strong>derheiten auf: Im<br />

Kaukasus, <strong>in</strong> Zentralasien, <strong>im</strong> Baltikum <strong>und</strong> – auf besonders bestürzende Weise, weil<br />

ganz nahe am mittleren Europa – <strong>im</strong> ehemaligen Jugoslawien.<br />

Das, was heute <strong>in</strong> den kroatisch-serbischen Mischgebieten Kroatiens oder Serbiens,<br />

vor allem aber <strong>in</strong> Bosnien-Herzegow<strong>in</strong>a oder <strong>im</strong> Kosovo geschieht, ist <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

Willkür <strong>und</strong> Gewalttätigkeit eher mit dem Chaos vor der Konferenz von Lausanne zu<br />

vergleichen als mit dem „geregelten“ Bevölkerungsaustausch danach. Immerh<strong>in</strong> aber<br />

er<strong>in</strong>nern die Bemühungen der verschiedenen Beauftragten der UNO oder der Europäischen<br />

Geme<strong>in</strong>schaft, die sich um e<strong>in</strong>e Konfliktlösung bemühen, oder die Ansätze<br />

zu Jugoslawien-Konferenzen verzweifelt an die Situation von 1923 <strong>und</strong> ihre Akteure<br />

64 HARTO HAKOVIRTA: International Politics and Migration. A prel<strong>im</strong><strong>in</strong>ary Survey of the Migration.<br />

Aspects of fifty <strong>in</strong>ternational Disputes, Tampere 1978 (University of Tampere.<br />

Dept. of Political Science. Occasional Papers), S. 17.<br />

65 Vgl. dazu: Transformationen des <strong>in</strong>ternationalen Systems als Folge krisenhafter Veränderungen<br />

<strong>im</strong> östlichen Europa <strong>im</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert, <strong>in</strong>: Das europäische Staatensystem <strong>im</strong><br />

Wandel, hrsg. von PETER KRÜGER, München, Wien 1996 (Schriften des Historischen Kollegs,<br />

35), S. 227-238; HANS LEMBERG: Alternativen zum <strong>in</strong>ternationalen System <strong>in</strong> der<br />

neuzeitlichen Geschichte Osteuropas, <strong>in</strong>: Kont<strong>in</strong>uität <strong>und</strong> Wandel <strong>in</strong> der Staatenordnung<br />

der Neuzeit. Beiträge zur Geschichte des <strong>in</strong>ternationalen Systems, hrsg. von PETER KRÜ-<br />

GER, Marburg 1991 (Marburger Studien zur Neueren Geschichte, 1), S. 91-114.<br />

179


um Curzon <strong>und</strong> Nansen. Die heutige Lage mutet freilich fast noch schwieriger an:<br />

Was tun <strong>in</strong> dieser Situation? Die Abgrenzung geschlossener nationaler Siedlungsgebiete<br />

oder wenigstens nationaler Kantone, <strong>in</strong> der es ke<strong>in</strong>e M<strong>in</strong>derheiten gibt, seien sie<br />

auch noch so ausgeklügelt, ersche<strong>in</strong>t angesichts der kle<strong>in</strong>räumigen Vermischung von<br />

meist mehr als zwei Nationalitäten als nahezu unmöglich.<br />

Seit Jahren wird von den verschiedenen nationalen Bürgerkriegsparteien (zunächst<br />

Serben, Musl<strong>im</strong>en <strong>und</strong> Kroaten, dann aber auch Serben <strong>und</strong> Albanern <strong>im</strong> Kosovo) der<br />

Versuch unternommen, durch die wilde Vertreibung von jeweils andersnationalen<br />

Bevölkerungsgruppen vollendete Tatsachen <strong>und</strong> damit Regionen von „gere<strong>in</strong>igtem“<br />

nationalem Charakter zu schaffen. Vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> ist auch ganz ehrenwerten<br />

Historikerkollegen hierzulande der Gedanke e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>vernehmlichen Grenzänderung<br />

<strong>und</strong> des Zusammenschlusses national „relativ kompakter Geme<strong>in</strong>schaften – eventuell<br />

durch freiwillige <strong>und</strong> geregelte Umsiedlung von M<strong>in</strong>derheiten“ – als verlockend erschienen.<br />

66<br />

<strong>Grenzen</strong> <strong>und</strong> nationale M<strong>in</strong>derheiten stehen so auch am Ende des <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

<strong>in</strong> engster Beziehung. Gerade die bosnische Lösung, die <strong>in</strong> Dayton gef<strong>und</strong>en wurde,<br />

ersche<strong>in</strong>t hier als signifikant: Es handelt sich um den abermaligen – wiederum unerfüllbaren<br />

– Versuch (fast sechs Jahrzehnte nach dem Münchner Abkommen), M<strong>in</strong>derheitenprobleme<br />

durch e<strong>in</strong>e ethnische Grenzziehung zu lösen. Deren komplizierte<br />

L<strong>in</strong>ienführung <strong>und</strong> die dennoch <strong>in</strong> beiden Landesteilen, der „Serbischen Republik“<br />

<strong>und</strong> dem kroatisch-musl<strong>im</strong>ischen Territorium, verbleibenden M<strong>in</strong>derheiten lassen es<br />

als fraglich ersche<strong>in</strong>en, ob die <strong>im</strong> Dayton-Vertrag erzielte Grenzregelung weitere<br />

Probleme des Zusammenlebens <strong>und</strong> der Verdrängung der jeweils anderen Ethnie auf<br />

Dauer wird vermeiden können. Genau das gegenteilige Konzept versuchte die Staatengeme<strong>in</strong>schaft<br />

<strong>im</strong> Krieg von 1999 <strong>und</strong> danach <strong>im</strong> Kosovo durchzusetzen. Die Bevölkerung<br />

sollte hier gezwungen werden, ohne ethnische Separation friedlich mite<strong>in</strong>ander<br />

auszukommen, bzw. die schon begonnene ethnische Säuberung durch die serbische<br />

Staatsgewalt oder umgekehrt durch die UCçK sollte gestoppt werden. Welche der<br />

beiden Lösungen der mangelnden Kongruenz von Staatsgrenzen <strong>und</strong> M<strong>in</strong>derheiten<br />

zum Ziel führt oder ob überhaupt e<strong>in</strong>e davon das Problem zu lösen vermag, muß dah<strong>in</strong>gestellt<br />

bleiben, solange <strong>im</strong> Kosovo <strong>und</strong> <strong>in</strong> Bosnien <strong>und</strong> der Herzegow<strong>in</strong>a die potentiellen<br />

ethnischen Konflikte nur durch <strong>in</strong>ternationale Friedensschutztruppen h<strong>in</strong>tan<br />

gehalten werden können. 67<br />

So ist die Hoffnung auf e<strong>in</strong> „Europa ohne <strong>Grenzen</strong>“, die die Generation der jungen<br />

Europäer nach dem Zweiten Weltkrieg begeistert hat, nur <strong>in</strong> Teilen des Kont<strong>in</strong>ents<br />

schon weitgehend verwirklicht worden. An anderen Stellen haben <strong>Grenzen</strong> nach wie<br />

vor – oder sogar mehr als ehedem – nationalstaatlichen Charakter, <strong>und</strong> Nichtangehörige<br />

der jeweiligen Staatsnation f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> problematischer oder bedrohter Lage<br />

von diesen <strong>Grenzen</strong> betroffen. Soll auch hier die „ethnische Säuberung“ wiederum<br />

66 LEMBERG: „Ethnische Säuberung“ (wie Anm. 30), S. 38.<br />

67 Vgl. MARIE-JANINE CALIC: Die Jugoslawienpolitik des Westens seit Dayton, <strong>in</strong>: Aus Politik<br />

<strong>und</strong> Zeitgeschichte B 34/99 v. <strong>20</strong>.08.1999, S. 22–32. – Der Jugoslawien-Krieg. Handbuch<br />

zu Vorgeschichte, Verlauf <strong>und</strong> Konsequenz, Opladen/Wiesbaden 1999.<br />

180


das verme<strong>in</strong>tliche Allheilmittel bilden? S<strong>in</strong>d nicht h<strong>in</strong>gegen Regelungen des M<strong>in</strong>derheitenschutzes,<br />

etwa wie <strong>in</strong> der Völkerb<strong>und</strong>-Ära, besser als es ihr Ruf war <strong>und</strong> ist?<br />

Bietet ihre Fortentwicklung <strong>im</strong> Rahmen von UNO <strong>und</strong> OSZE, wenn sie denn nur konsequent<br />

vorangetrieben werden, nicht eher Aussicht auf e<strong>in</strong>e Befriedung? 68 Können<br />

nicht tatsächlich Autonomiemodelle <strong>in</strong> der Art des heutigen Südtirol, regionale Kooperationen<br />

oder föderative bzw. konföderative Modelle weit bessere Alternativen<br />

bilden als die Wahnvorstellung, von Nationalstaaten, wenn sie denn nur genug homogen,<br />

von ethnischen M<strong>in</strong>derheiten „gere<strong>in</strong>igt“ s<strong>in</strong>d, sei der allgeme<strong>in</strong>e Friede zu erhoffen?<br />

68 Vgl. RAINER HOFMANN: M<strong>in</strong>derheitenschutz <strong>in</strong> Europa. Überblick über die völker- <strong>und</strong><br />

staatsrechtliche Lage, <strong>in</strong>: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht <strong>und</strong> Völkerrecht<br />

52 (1992), Heft 1, S. 1-65; DIETER BLUMENWITZ: Internationale Schutzmechanismen zur<br />

Durchsetzung von M<strong>in</strong>derheiten- <strong>und</strong> Volksgruppenrechten, Köln 1997 (Kulturstiftung der<br />

Deutschen Vertriebenen. Studiengruppe für Politik <strong>und</strong> Völkerrecht. Forschungsergebnisse<br />

der Studiengruppe für Politik <strong>und</strong> Völkerrecht, 24); GEORG BRUNNER: Nationalitätenprobleme<br />

<strong>und</strong> M<strong>in</strong>derheitenkonflikte <strong>in</strong> Osteuropa. Aktualisierte <strong>und</strong> vollst. überarb. Fassung<br />

Gütersloh 1996 (Strategien für Europa).<br />

181


Die Grenze als Grauzone.<br />

Zum Problem der Perspektive <strong>in</strong> den deutsch-polnischen<br />

Beziehungen der Zwischenkriegszeit<br />

von<br />

Mathias N i e n d o r f<br />

Die deutsch-polnischen Beziehungen <strong>in</strong> der Zwischenkriegszeit stellten e<strong>in</strong> äußerst<br />

vielschichtiges Problem dar. Sie erstreckten sich von der Ebene der <strong>in</strong>ternationalen<br />

Diplomatie bis zum unmittelbar zwischenmenschlichen Bereich. Das Verhältnis zwischen<br />

Berl<strong>in</strong> <strong>und</strong> Warschau war <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie durch den außenpolitischen Gegensatz<br />

<strong>in</strong> der Grenzfrage best<strong>im</strong>mt, wurde jedoch zusätzlich belastet durch die M<strong>in</strong>derheitenproblematik.<br />

Das Pr<strong>in</strong>zip des Nationalstaates, dem die Versailler Friedensordnung<br />

zum Durchbruch verhelfen sollte, erwies sich <strong>in</strong> jenem Teil Europas als nicht durchführbar.<br />

Auch nach dem Verlust von großen Teilen se<strong>in</strong>er Ostgebiete waren <strong>in</strong><br />

Deutschland polnischsprachige Bevölkerungsgruppen verblieben, die ihrer zahlenmäßigen<br />

Stärke nach der deutschen M<strong>in</strong>derheit <strong>in</strong> Polen nicht nachstanden. Teilweise<br />

beträchtliche Unterschiede bestanden allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> puncto Nationalbewußtse<strong>in</strong>, sozioökonomischem<br />

Status <strong>und</strong> rechtlicher Lage.<br />

Die politische Bedeutung jener Thematik spiegelt sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Vielzahl von Veröffentlichungen<br />

wider, bei denen die <strong>Grenzen</strong> zwischen Wissenschaft <strong>und</strong> Publizistik<br />

nicht <strong>im</strong>mer e<strong>in</strong>deutig auszumachen s<strong>in</strong>d. Das Bemühen, territoriale Besitzansprüche<br />

zu legit<strong>im</strong>ieren beziehungsweise zu desavouieren, prägte bis weit nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg die Publikationen auf beiden Seiten. Deutsche wie polnische Darstellungen<br />

der Grenz- <strong>und</strong> Nationalitätenproblematik setzten dabei e<strong>in</strong> permanentes Konfliktverhältnis<br />

als gegeben voraus. Nicht nur Berl<strong>in</strong> <strong>und</strong> Warschau, sondern auch die Staatsnationen<br />

<strong>und</strong> M<strong>in</strong>derheiten standen sich <strong>in</strong> dieser Sichtweise frontal gegenüber. Der<br />

Alltag <strong>im</strong> Grenzgebiet, das Leben an der Nahtstelle zweier Länder <strong>und</strong> zweier Ethnien,<br />

konnte aus diesem Blickw<strong>in</strong>kel nur am Rande wahrgenommen werden.<br />

Demgegenüber soll <strong>im</strong> folgenden e<strong>in</strong> Ansatz vorgestellt werden, der die Zentralperspektive<br />

traditioneller Nationalgeschichtsschreibung mit e<strong>in</strong>em Blick auf die Peripherie<br />

kontrastiert. Gr<strong>und</strong>lage bildet e<strong>in</strong>e Fallstudie deutsch-polnischer Alltagsbeziehungen<br />

<strong>in</strong> der Prov<strong>in</strong>z. 1<br />

1 Inzwischen <strong>im</strong> Druck vorliegend: MATHIAS NIENDORF: M<strong>in</strong>derheiten an der Grenze. Deutsche<br />

<strong>und</strong> Polen <strong>in</strong> den Kreisen Flatow (Złotów) <strong>und</strong> Zempelburg (Sępólno Krajeńskie)<br />

1900-1939, Wiesbaden 1997 (Deutsches Historisches <strong>Institut</strong> Warschau. Quellen <strong>und</strong> Studien,<br />

Bd. 6). Die folgenden Anmerkungen beschränken sich auf dort nicht zu f<strong>in</strong>dende<br />

Nachweise. Weiteres Anschauungsmaterial bietet die Aktenedition: Deutsche <strong>und</strong> Polen<br />

183


Im Mittelpunkt der Darstellung steht der ehemalige westpreußische Kreis Flatow,<br />

der nach dem Ersten Weltkrieg zwischen Deutschland <strong>und</strong> Polen geteilt wurde, wobei<br />

zu beiden Seiten der Grenze starke M<strong>in</strong>derheiten zurückblieben. Wie fast überall <strong>im</strong><br />

deutsch-polnischen Grenzgebiet war auch hier e<strong>in</strong>e ethnische Mischsiedlung vorherrschend;<br />

als etwas ungewöhnlich kann der hohe Anteil von Deutschsprachigen unter<br />

den Katholiken (vor dem Ersten Weltkrieg r<strong>und</strong> e<strong>in</strong> Drittel) gelten. Der Restkreis Flatow<br />

wurde der neugeschaffenen Grenzmark Posen-Westpreußen mit der Hauptstadt<br />

Schneidemühl (Pi¬a) angegliedert. Die Geschichte der aus drei unzusammenhängenden<br />

Teilstücken bestehenden Prov<strong>in</strong>z, die sich schlauchartig über e<strong>in</strong>e Länge von 400<br />

km entlang der deutsch-polnischen Grenze erstreckte, ist auf das engste mit der Revisionspolitik<br />

des Reiches verb<strong>und</strong>en. 2 Das Festhalten am Namen der größtenteils an<br />

Polen abgetretenen Prov<strong>in</strong>zen signalisierte die Nichtanerkennung des Status quo <strong>und</strong><br />

damit zugleich den Anspruch, als sogenannte Traditionsprov<strong>in</strong>z e<strong>in</strong>e besondere nationale<br />

Aufgabe wahrzunehmen. Die östliche Hälfte des Kreises Flatow bildete seit<br />

19<strong>20</strong> e<strong>in</strong>en eigenständigen Kreis Zempelburg <strong>in</strong>nerhalb der polnischen Wojewodschaft<br />

Pommerellen, die <strong>in</strong> Deutschland meist nur als „Korridor“ bekannt war <strong>und</strong> das<br />

bevorzugte Objekt der Revisionspropaganda darstellte. Als „kle<strong>in</strong>ster, aber deutschester<br />

Kreis“ wies Zempelburg den höchsten Prozentsatz deutscher M<strong>in</strong>derheit <strong>im</strong> westlichen<br />

Polen auf (1931: 40,4 %). Umgekehrt gehörte der Restkreis Flatow zu den<br />

Hochburgen der polnischsprachigen Bevölkerung <strong>im</strong> Reich (1925: 16,9 %). Besondere<br />

Beachtung hat <strong>in</strong> Wissenschaft <strong>und</strong> Publizistik der Umstand gef<strong>und</strong>en, daß sich<br />

von den polnischen M<strong>in</strong>derheitsschulen <strong>in</strong> Deutschland jede dritte <strong>im</strong> Kreis Flatow<br />

befand.<br />

Der Zusammenhang von Grenz- <strong>und</strong> ethnischen Konflikten beschäftigt die sozialwissenschaftlich<br />

ausgerichtete Forschung seit geraumer Zeit. 3 Anders als deren<br />

meist stark theorieorientierte Beiträge bewegt sich vorliegende Skizze vor allem auf<br />

der Ebene von Oberflächenphänomenen, auf jener Ebene also, auf der die zeitgenös-<br />

zwischen den Kriegen. M<strong>in</strong>derheitenstatus <strong>und</strong> „Volkstumskampf“ <strong>im</strong> Grenzgebiet. Amtliche<br />

Berichterstattung aus beiden Ländern 19<strong>20</strong>-1939, hrsg. von RUDOLF JAWORSKI <strong>und</strong><br />

MARIAN WOJCIECHOWSKI, München usw. 1997 (Texte <strong>und</strong> Materialien zur Zeitgeschichte,<br />

Bd. 9/1,2).<br />

2 Vgl. EDMUND SPEVACK: Borderland Nationalism, Westward Migration, and Anti-Polish<br />

Aggression: The Case of the Grenzmark Posen-Westpreussen, 1919-1939, <strong>in</strong>: East European<br />

Quarterly 30 (1996), S. 301-330.<br />

3 E<strong>in</strong>flußreich noch <strong>im</strong>mer: Ethnic Groups and Bo<strong>und</strong>aries. The Social Organization of Cultural<br />

Difference, hrsg. von FREDRIK BARTH, Bergen u.a. 1969; zu Forschungstrends <strong>und</strong> -<br />

desideraten <strong>in</strong> der Geschichtswissenschaft vgl. HANS MEDICK: Zur politischen Sozialgeschichte<br />

der <strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong> der Neuzeit Europas, <strong>in</strong>: Sozialwissenschaftliche Informationen <strong>20</strong><br />

(1991), S.157-163; speziell zur deutsch-polnischen Grenze: GERARD LABUDA: Dzieje granicy<br />

polsko-niemieckiej jako zagadnienie badawcze [Die Geschichte der deutschpolnischen<br />

Grenze als Forschungsproblem], <strong>in</strong>: Problem granic i obszaru odrodzonego<br />

państwa polskiego (1918-1990), hrsg. von ANTONI CZUBIŃSKI, Poznań 1992 (Uniwersytet<br />

<strong>im</strong>. Adama Mickiewicza. Seria Historia, Bd. 174), S. 11-47.<br />

184


sischen Ause<strong>in</strong>andersetzungen geführt wurden. Diese s<strong>in</strong>d maßgeblich von der deutschen<br />

Seite best<strong>im</strong>mt worden, die <strong>im</strong> folgenden daher auch den Gang der Darstellung<br />

vorgeben.<br />

Die „blutende Grenze“ gehörte zu den Topoi der antipolnischen Propaganda von<br />

We<strong>im</strong>arer Republik <strong>und</strong> Drittem Reich. Beschworen wurde damit die Unhaltbarkeit<br />

der territorialen Regelung von Versailles. Nicht e<strong>in</strong> Staatsgebiet, sondern e<strong>in</strong> lebendiger<br />

Volkskörper sei durch die Grenze zerschnitten worden, suggerierte das Bild. 4<br />

Zur Illustration wurden e<strong>in</strong>ige <strong>im</strong>mer wiederkehrende Beispiele bemüht: Deutschlands<br />

e<strong>in</strong>ziger, wenige Meter schmale Weichselzugang bei Kurzebrack (Korzeniewo),<br />

gesperrte bzw. abgerissene Brücken oder durch Stacheldraht verbarrikadierte Bergwerksschächte<br />

<strong>in</strong> Oberschlesien. Gerade die Suggestivkraft solcher Bilder barg allerd<strong>in</strong>gs<br />

die Gefahr <strong>in</strong> sich, daß sie e<strong>in</strong>e Eigendynamik entwickelten <strong>und</strong> nicht mehr als<br />

symbolische Veranschaulichung e<strong>in</strong>es politischen Problems, sondern als das Problem<br />

selbst wahrgenommen wurden, das sich mit guten Willen <strong>und</strong> etwas Phantasie leicht<br />

lösen ließe. Mit der propagandistischen Konzentration auf e<strong>in</strong>ige Problempunkte der<br />

deutsch-polnischen Grenze gerieten zugleich jene Gebiete <strong>in</strong>s H<strong>in</strong>tertreffen, die wie<br />

der Kreis Flatow nicht mit entsprechend spektakulären Stellen aufwarten konnten.<br />

Dessen ungeachtet fand der Begriff der „blutenden Grenze“ auch hier Anwendung.<br />

E<strong>in</strong>e Denkschrift von Spitzenvertretern der Grenzmark aus Politik, Kirche <strong>und</strong><br />

Wirtschaft trieb die Körpermetaphorik auf die Spitze, <strong>in</strong>dem e<strong>in</strong>e Unterscheidung<br />

zwischen „blutigen <strong>Grenzen</strong> ger<strong>in</strong>geren“ <strong>und</strong> solchen „ernsteren Grades“ e<strong>in</strong>geführt<br />

wurde. Unterscheidungsmerkmal sollte se<strong>in</strong>, ob „Kopf oder Schwanz abgeschnitten“<br />

sei. Von den <strong>in</strong>sgesamt 79 km Landesgrenze des Kreises Flatow entfielen dieser Def<strong>in</strong>ition<br />

zufolge die Hälfte (40 km) auf „blutige Grenze ersten Grades“. 5 Die sprachliche<br />

Artistik besaß e<strong>in</strong>en sehr konkreten H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong>: Im Konkurrenzkampf um die<br />

Zuteilung von Subventionen versuchte sich die Grenzmark als die nach Ostpreußen<br />

(<strong>und</strong> neben Oberschlesien) am härtesten von Versailles betroffene Prov<strong>in</strong>z darzustellen,<br />

wobei zugleich auf den hohen Anteil nationaler M<strong>in</strong>derheiten verwiesen wurde.<br />

In der Anlage jener Denkschrift befand sich e<strong>in</strong>e umfangreiche Aufstellung von Subventionsanträgen.<br />

Die Hilferufe aus der Prov<strong>in</strong>z verfehlten nicht ihre Wirkung auf die<br />

maßgeblichen Instanzen der Hauptstadt. In der deutschen Öffentlichkeit allerd<strong>in</strong>gs<br />

hatten sie e<strong>in</strong> negatives Image der betroffenen Region zur Folge. Bedrohungszenarien<br />

waren nicht geeignet, privates Kapital <strong>und</strong> Investitionen anzuziehen, was wiederum<br />

die Abhängigkeit vom Staatshaushalt erhöhte. Die Subventionen aus Berl<strong>in</strong> (teilweise<br />

<strong>im</strong> Rahmen der sogenannten Osthilfe) trugen allmählich zur Behebung der gravie-<br />

4 Der obsessive Gebrauch jener Verstümmelungsmetaphorik legt tiefenpsychologische Interpretationen<br />

nahe; vgl. KLAUS THEWELEIT: Männerphantasien, Bd.1: Frauen, Körper, Fluten,<br />

Geschichte, Frankfurt am Ma<strong>in</strong> 1977; INGE BAXMANN: Der Körper der Nation, <strong>in</strong>: Nation<br />

<strong>und</strong> Emotion. Deutschland <strong>und</strong> Frankreich <strong>im</strong> Vergleich. <strong>19.</strong> <strong>und</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert,<br />

hrsg. von ETIENNE FRANÇOIS, HANNES SIEGRIST <strong>und</strong> JAKOB VOGEL, Gött<strong>in</strong>gen 1995 (Kritische<br />

Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 110), S. 353-365.<br />

5 Die Grenzmark Posen-Westpreußen <strong>im</strong> Vergleich mit den anderen an neuen Reichsgrenzen<br />

gelegenen preußischen Landesteilen, Schneidemühl 1927 (unpag.).<br />

185


endsten Mängel <strong>in</strong> der Infrastruktur bei <strong>und</strong> untergruben so letztlich die ökonomische<br />

Gr<strong>und</strong>lage der Grenzrevisionspropaganda.<br />

Ähnliche Versuche, Modernisierungsmaßnahmen mit Hilfe nationaler Rhetorik<br />

e<strong>in</strong>zufordern, lassen sich <strong>im</strong> Kreis Zempelburg wie auch <strong>im</strong> übrigen Westpolen nicht<br />

beobachten. Hierfür ist nicht alle<strong>in</strong> der chronische F<strong>in</strong>anzmangel Warschaus oder das<br />

Fehlen e<strong>in</strong>es der Osthilfe vergleichbaren Antragssystems verantwortlich. Die eigentliche<br />

strukturpolitische Herausforderung der Zweiten Republik stellten die sogenannten<br />

kresy <strong>im</strong> Osten dar, während die ehemals deutschen Gebiete <strong>im</strong> Verhältnis zu den<br />

übrigen Landesteilen nun e<strong>in</strong>en überdurchschnittlichen Entwicklungsstand verkörperten.<br />

Das demonstrative Herausstellen von Unzulänglichkeiten <strong>und</strong> Nachteilen der<br />

Grenzziehung hätte zudem <strong>im</strong> Widerspruch zur offiziellen Politik des Status quo gestanden.<br />

Deutschen Revisionsforderungen wurde zwar <strong>im</strong>mer wieder entgegengehalten,<br />

daß nicht dem Reich, sondern Polen <strong>in</strong> Versailles Unrecht geschehen sei, doch<br />

wurden aus dieser Argumentation <strong>in</strong> der Regel ke<strong>in</strong>e aktuellen Gebietsansprüche abgeleitet.<br />

Soweit es den Unterhalt der politisch umstrittenen Grenze betraf, funktionierte die<br />

Zusammenarbeit des Starosten von Zempelburg mit se<strong>in</strong>em Kollegen <strong>in</strong> Flatow weitgehend<br />

reibungslos. Wie es e<strong>in</strong>er modernen, „l<strong>in</strong>earen“ Staatsgrenze entsprach, war<br />

die <strong>in</strong> Versailles am grünen Tisch gezogene Grenze nicht nur auf Karten e<strong>in</strong>gezeichnet,<br />

sondern auch <strong>im</strong> Gelände durch e<strong>in</strong> System von Grenzste<strong>in</strong>en <strong>und</strong> -pfählen präzise<br />

markiert. Die Kosten, die hierdurch entstanden, bedeuteten für die Bevölkerung<br />

vor Ort e<strong>in</strong>en, wenn auch bescheidenen, Zuwachs an Kaufkraft. 19<strong>20</strong> waren auf dem<br />

Gebiet des Restkreises Flatow bereits 32 Zollbedienstete tätig; 6 für die Aufstellung<br />

von Warntafeln wurden über <strong>20</strong>00 Mark an sieben E<strong>in</strong>he<strong>im</strong>ische gezahlt. 7 Mit diesen<br />

Schildern, die <strong>in</strong> 100 Metern Entfernung von der Grenze aufgestellt wurden, gab der<br />

Staat bereits zu erkennen, daß er zu e<strong>in</strong>er lückenlosen Überwachung se<strong>in</strong>es Hoheitsgebietes<br />

nicht <strong>in</strong> der Lage war.<br />

Pr<strong>in</strong>zipiell ignoriert wurde die Staatsgrenze von R<strong>in</strong>dern, Schafen <strong>und</strong> Ziegen.<br />

Immer wieder f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> der Prov<strong>in</strong>zpresse Meldungen, wonach verlaufenes Vieh<br />

unbürokratisch von der anderen Seite zurückgegeben wurde. Auch e<strong>in</strong>ige deutsche<br />

Bauern konnten ungestört ihre <strong>im</strong> Nachbarland gelegenen Wiesen bewirtschaften. E<strong>in</strong>e<br />

Änderung des Grenzverlaufs schien dem Landrat von Flatow daher auch nicht<br />

zw<strong>in</strong>gend notwendig, als ihn 1929 e<strong>in</strong>e Anfrage des Auswärtigen Amts erreichte, ob<br />

mit Warschau über e<strong>in</strong>en Gebietsaustausch an jener Stelle verhandelt werden solle.<br />

In se<strong>in</strong>er Bedeutung kaum zu überschätzen, obwohl bisher noch wenig erforscht,<br />

ist die E<strong>in</strong>richtung des kle<strong>in</strong>en Grenzverkehrs, die sich zunächst auf e<strong>in</strong>en Streifen<br />

von 5 km, später 10 km beiderseits der Grenze erstreckte. E<strong>in</strong>e Kontrolle der B<strong>in</strong>nengrenzen<br />

dieser Zone ließ sich noch sehr viel weniger durchführen als e<strong>in</strong>e systemati-<br />

6 Der Oberzollkontrollör <strong>in</strong> Flatow am 18.1.19<strong>20</strong> an das Landratsamt ebenda: Archiwum<br />

Państwowe w Koszal<strong>in</strong>ie, Landratsamt Flatow, Nr. 337.<br />

7 Der Kreisbaumeister des Kreises Flatow am 13.12.19<strong>20</strong> an das Landratsamt ebenda: Archiwum<br />

Państwowe w Poznaniu, Rejencja w Pile, Nr. 242.<br />

186


sche Überwachung der Staatsgrenze. E<strong>in</strong> Berechtigungsausweis für den kle<strong>in</strong>en<br />

Grenzverkehr ermöglichte de facto auch Fahrten <strong>in</strong>s Landes<strong>in</strong>nere. Dies war nicht zuletzt<br />

für Angehörige der deutschen M<strong>in</strong>derheit von Bedeutung, die die hohen Kosten<br />

e<strong>in</strong>es polnischen Reisepasses nicht aufzubr<strong>in</strong>gen vermochten. Die Nähe des Nachbarlandes<br />

bot darüber h<strong>in</strong>aus e<strong>in</strong>e Reihe materieller Vorteile. Während der gesamten<br />

Zwischenkriegszeit blühte der Schmuggel. Das soziale Spektrum der <strong>im</strong> Kreis Zempelburg<br />

wegen Zollvergehen belangten Personen reichte von der Gänsehirt<strong>in</strong> bis zum<br />

Pfarrer. Neben Waren aller Art passierten auch Menschen illegal die Grenze, teilweise<br />

mit Hilfe gewerbsmäßiger Schleuser. Ihnen allen kam die Unübersichtlichkeit des<br />

Geländes zugute. E<strong>in</strong> polnischer Landwirt konnte dem Amtsgericht <strong>in</strong> Zempelburg<br />

glaubhaft machen, daß er überhaupt nicht wahrgenommen hatte, daß er be<strong>im</strong> Beerenpflücken<br />

auf deutsches Gebiet geraten war. Er wurde auf Kosten der Staatskasse freigesprochen.<br />

8 Den Alltag an der Nahtstelle zweier Länder brachte e<strong>in</strong> Zeitzeuge auf<br />

die Formel: „Die ’grüne‘ Grenze ... E<strong>in</strong> Augenblick des Risikos, etwas Herzklopfen –<br />

<strong>und</strong> das war’s.“ 9<br />

Inwieweit der Kreis Flatow <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Entwicklung tatsächlich von der Grenzziehung<br />

bee<strong>in</strong>trächtigt wurde, läßt sich aufgr<strong>und</strong> der Quellenlage schwer beurteilen. Bereits<br />

der zeitgenössischen deutschen Forschung war nicht entgangen, daß es <strong>im</strong> Reich<br />

neben den Verlierern auch Gew<strong>in</strong>ner der Versailler Friedensregelung gegeben hatte.<br />

E<strong>in</strong>e der markantesten Beispiele dafür, wie e<strong>in</strong>e Ortschaft von der Übernahme zentralörtlicher<br />

Funktionen profitieren konnte, stellt gerade die Prov<strong>in</strong>zhauptstadt<br />

Schneidemühl dar, die bis kurz vor dem Ersten Weltkrieg noch nicht e<strong>in</strong>mal den Status<br />

e<strong>in</strong>er Kreisstadt besessen hatte. 10<br />

Im Kreis Flatow verfügten Handel <strong>und</strong> Gewerbe von alters her über ke<strong>in</strong>en größeren<br />

E<strong>in</strong>zugsbereich, sondern waren überwiegend auf den lokalen Markt ausgerichtet.<br />

Schwer getroffen von der Grenzziehung war gerade e<strong>in</strong>er der wirtschaftlich erfolgreichsten<br />

Betriebe, die weit über die Kreisgrenzen h<strong>in</strong>aus verbreitete „Flatower Zeitung“,<br />

die 19<strong>20</strong> e<strong>in</strong> Drittel ihrer Abonnenten verlor. Sie änderte ihren Namen <strong>in</strong> „Die<br />

Grenzmark“ <strong>und</strong> schlug e<strong>in</strong>en scharf antipolnischen Kurs e<strong>in</strong>. Der Titelkopf zeigte<br />

„e<strong>in</strong>en Ordensritter mit gespreizten Be<strong>in</strong>en, rechts <strong>und</strong> l<strong>in</strong>ks über e<strong>in</strong>er gezeichneten<br />

Grenze stehend, das Gesicht nach Osten gerichtet. Diese Figur vers<strong>in</strong>nbildlichte von<br />

da an den Standpunkt der Zeitung.“ 11<br />

Auch auf lokaler Ebene lassen sich somit Elemente der Grenzrevisions-<br />

Propaganda nachweisen. Allerd<strong>in</strong>gs ist deren Wirksamkeit nicht überzubewerten, wie<br />

8 Gazeta Sępoleńska [Zempelburger Zeitung] Nr. 124/25.10.1930.<br />

9 LEON KOWALSKI: Czas próby. Wspomnienia nauczyciela z ziemi › łotowskiej [Probezeit.<br />

Er<strong>in</strong>nerungen e<strong>in</strong>es Lehrers aus dem Flatower Land], Poznań 1965, S. 35: „ Zielona granica...<br />

Moment ryzyka, trochę bicia serca – i już.“<br />

10 Vgl. KARL BOESE: Geschichte der Stadt Schneidemühl, 2. Aufl. Würzburg 1965 (Ostdeutsche<br />

Beiträge aus dem Gött<strong>in</strong>ger Arbeitskreis, Bd. 30).<br />

11 F. W. SCHÖLER: Randbemerkungen über die Ruderei <strong>in</strong> Flatow <strong>und</strong> andere Künste, <strong>in</strong>:<br />

Neues Schlochauer <strong>und</strong> Flatower Kreisblatt 9 (1961), S. 1524.<br />

187


gerade das Schicksal jenes Blattes zeigt. Neben der journalistischen Qualität nahmen<br />

auch Auflagenziffern <strong>und</strong> politische Bedeutung der „Grenzmark“ kont<strong>in</strong>uierlich ab.<br />

In der benachbarten Prov<strong>in</strong>zhauptstadt etablierte sich das Zentrumsblatt „Grenzwacht“;<br />

die Flatower Brauerei produzierte nach der Fusion mit e<strong>in</strong>em Schneidemühler<br />

Konkurrenzbetrieb unter dem Namen „Grenzmarkbräu“. Diese Trivialisierung wie<br />

Kommerzialisierung e<strong>in</strong>er am „Grenz“-Begriff aufgezogenen Vorposten-Ideologie<br />

forderte ironische Kommentare von polnischer Seite heraus. Aber auch die deutsche<br />

Bevölkerung war mit der ihr zugedachten Rolle offenbar überfordert.<br />

Für die Prov<strong>in</strong>z mit ihrem umständlichen Doppelnamen begann sich <strong>in</strong>nerhalb wie<br />

außerhalb die tautologische Kurzform „Grenzmark“ e<strong>in</strong>zubürgern (<strong>in</strong> der sie auch <strong>in</strong><br />

vorliegendem Beitrag ersche<strong>in</strong>t). Der Oberpräsident beobachtete diese Entwicklung<br />

mit Sorge <strong>und</strong> stellte bedauernd fest, daß damit das Ziel, die Er<strong>in</strong>nerung an die abgetretenen<br />

Gebiete Posens <strong>und</strong> Westpreußens wachzuhalten, gefährdet sei. Dabei ließ es<br />

der höchste Beamte der Prov<strong>in</strong>z nicht an markigen Worten fehlen, wenn er bei anderer<br />

Gelegenheit e<strong>in</strong> besonderes Grenzlandbewußtse<strong>in</strong> der Bewohner beschwor, das<br />

die Unterstützung der Zentralbehörden verdiene.<br />

Um e<strong>in</strong>e größere Öffentlichkeit für die <strong>im</strong> Schatten Ostpreußens <strong>und</strong> Oberschlesiens<br />

stehende Grenzmark zu <strong>in</strong>teressieren, organisierten ihre Behörden <strong>im</strong> Oktober<br />

1928 e<strong>in</strong>e mehrtägige Pressefahrt. E<strong>in</strong>geladen waren neben Vertretern der Prov<strong>in</strong>zblätter<br />

Redakteure der führenden Tageszeitungen West- <strong>und</strong> Mitteldeutschlands. Die<br />

meist mehrteiligen Reportagen wurden später auch gesammelt als Monographie herausgegeben.<br />

12 Sie s<strong>in</strong>d aufschlußreich als Zeugnis e<strong>in</strong>er – wenn auch gelenkten –<br />

Außenwahrnehmung der Peripherie. Die Artikel vermitteln des Gefühl, als habe den<br />

stärksten E<strong>in</strong>druck e<strong>in</strong> Katastrophengebiet h<strong>in</strong>terlassen, für das nicht Versailles, sondern<br />

Panolis flammea verantwortlich war: der auch unter dem Namen Forleule bekannten<br />

Raupe waren <strong>im</strong> Kreis Schwer<strong>in</strong> an der Warthe über 10 000 ha Wald zum<br />

Opfer gefallen.<br />

Vergleichsweise blaß nehmen sich dagegen die Schilderungen von der Landesgrenze<br />

aus, die an mehreren Stellen, darunter auch <strong>im</strong> Kreis Flatow, besichtigt wurde.<br />

E<strong>in</strong>e gewisse Beachtung fand „Albert Konopkas Weiden-Handlung“ <strong>in</strong> Tirschtiegel<br />

(Trzciel, Kreis Meseritz), e<strong>in</strong> Kuriosum <strong>in</strong>sofern, als die Landesgrenze quer durch das<br />

Gebäude verlief. 13 Ansonsten er<strong>in</strong>nern die Reportagen ihrem Stil nach eher an Leitartikel.<br />

Was an Anschaulichkeit vor Ort fehlte, mußten Räsonnements vom Schreibtisch<br />

ersetzen. Der Vertreter e<strong>in</strong>es deutschnationalen Blattes bemühte se<strong>in</strong>e Phantasie<br />

<strong>und</strong> die se<strong>in</strong>er Leser, wenn er e<strong>in</strong> Bild wie dieses entwarf: „Höhnisch schaut der Pole<br />

von den 40 Meter hohen Türmen, die er unmittelbar an se<strong>in</strong>er Grenze errichtet, nach<br />

12<br />

Aufsätze aus der deutschen Presse. Die Prov<strong>in</strong>z Grenzmark Posen-Westpreußen, Schneidemühl<br />

1927.<br />

13<br />

Vgl. das Foto <strong>in</strong> WILLY SCHMIDT: Grenzland <strong>im</strong> Bilde, 2. Aufl. Neudamm o. J., S. 16. Ungeachtet<br />

se<strong>in</strong>es illustrativen Wertes fand das Bild ke<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>gang <strong>in</strong> den überregionalen<br />

Kanon deutscher Grenzrevisionspropaganda.<br />

188


se<strong>in</strong>em nächsten Ziele, der Oder aus.“ 14 In ähnlicher Manier wurde von der Rechtspresse<br />

die Gefahr durch die polnische M<strong>in</strong>derheit <strong>im</strong> Innern beschworen.<br />

Nahm e<strong>in</strong> Berichterstatter aus dem Westen aber die Gelegenheit wahr, e<strong>in</strong>mal mit<br />

e<strong>in</strong>em Polen <strong>in</strong>s Gespräch zu kommen, konnten vorgefaßte Me<strong>in</strong>ungen <strong>in</strong>s Wanken<br />

geraten: „Unterhält man sich mit solch polnischer Landarbeiterfamilie, dann bekommt<br />

man wirklich nicht den E<strong>in</strong>druck nationalistischer Aktivisten“, stellte der Korrespondent<br />

der „Kölnischen Zeitung“ mit leicht erstauntem Unterton fest, um<br />

sogleich relativierend h<strong>in</strong>zuzufügen: „Gefährlich werden solche Leute erst durch die<br />

<strong>in</strong>tellektuellen Aufhetzer“. 15 Weniger das seit Bismarck geläufige Stereotyp des e<strong>in</strong>fachen<br />

Polen als des besseren Untertanen verdient hier Beachtung. Weit aufschlußreicher<br />

ersche<strong>in</strong>t die Tatsache, daß der Journalist aus dem Rhe<strong>in</strong>land neben e<strong>in</strong>em<br />

Leipziger Kollegen der e<strong>in</strong>zige war, der bei der Schilderung zweier Domänen <strong>im</strong><br />

Kreis Flatow überhaupt e<strong>in</strong> Wort über die Nationalität der Arbeiter verlor. Die Aufmerksamkeit<br />

der übrigen Pressevertreter wurde gänzlich von den Unterkünften gefangen<br />

genommen <strong>und</strong> dem menschlichen Elend, das ihnen dort entgegenschlug. In<br />

dieser Akzentsetzung vermitteln die Reportagen letztlich doch e<strong>in</strong> zutreffendes Bild<br />

e<strong>in</strong>er Region, die weniger von nationalen Ause<strong>in</strong>andersetzungen als von den Strukturproblemen<br />

e<strong>in</strong>er Peripherie geprägt war.<br />

Jahre später stellte e<strong>in</strong> Bewohner fest: „Wer heute noch mit offenen Augen die<br />

Dörfer [...] des Kreises Flatow anschaut, wird sofort erkennen können, wo die Gutsbezirke<br />

am längsten bestanden haben <strong>und</strong> die schöpferischen Kräfte der Selbstverwaltung<br />

gelähmt waren [...].“ 16 Dort, wo die Wege besonders schlecht <strong>und</strong> die Schulgebäude<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em „erbärmlichen Zustande“ seien, mußte es sich um e<strong>in</strong>en ehemaligen<br />

Gutsbezirk handeln. Siedlungsgeographische Unterschiede zwischen deutschen <strong>und</strong><br />

polnischen Dörfern waren dagegen nicht auszumachen, bemerkte ebenfalls Mitte der<br />

30er Jahre e<strong>in</strong> weiterer Beobachter <strong>im</strong> Kreis Flatow <strong>und</strong> fügte h<strong>in</strong>zu: „Auch die Bewohner<br />

der Dörfer geben <strong>in</strong> ihrer äußeren Ersche<strong>in</strong>ung kaum Anhaltspunkte für ihre<br />

Volkszugehörigkeit, gleichgültig, ob wir auf Erwachsene oder K<strong>in</strong>der unser besonderes<br />

Augenmerk richten; selbst wenn wir sie ansprechen, f<strong>in</strong>den wir schwerlich die<br />

Unterscheidung, sie werden alle <strong>in</strong> deutscher Sprache erwidern.“ 17 Die Zugehörigkeit<br />

zu e<strong>in</strong>er der beiden Nationen sei daher <strong>im</strong> wesentlichen e<strong>in</strong>e Frage des subjektiven<br />

Willens. Diese Def<strong>in</strong>ition stand <strong>im</strong> Widerspruch zur offiziellen Rassenlehre des Dritten<br />

Reichs, der zufolge die Zugehörigkeit zu e<strong>in</strong>em Volkstum erbbiologisch vorgegeben<br />

war. In der Praxis vor Ort ließ sich der dogmatische Ansatz allerd<strong>in</strong>gs nicht<br />

14 W. S[CHEUERMANN]: Grenzmarknöte. Die blutenden <strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong> Posen-Westpreußen, <strong>in</strong>:<br />

Deutsche Tageszeitung Nr.498/21.10.1928, auch <strong>in</strong>: Aufsätze (wie Anm. 12), S. 45-47, hier<br />

S. 45.<br />

15 [DRESBACH]: Reisee<strong>in</strong>drücke aus Posen-Westpreußen (2), <strong>in</strong>: Kölnische Zeitung Nr.<br />

585a/23.10.1928, auch <strong>in</strong>: Aufsätze (wie Anm. 12), S. 95-99, hier S. 98.<br />

16 Fragment e<strong>in</strong>er masch<strong>in</strong>enschriftlichen Ausarbeitung über den Kreis Flatow um 1935 von<br />

EWALD STOBER, S. 190: Bestand des Muzeum Ziemi Złotowskiej w Złotowie.<br />

17 LOTHAR DÖRING: E<strong>in</strong> M<strong>in</strong>derheitendorf <strong>im</strong> Osten, <strong>in</strong>: Zeitschrift für Erdk<strong>und</strong>e. Neue Folge<br />

der Geographischen Wochenschrift, 4 (1936), S. 1033-1037, hier S. 1033.<br />

189


durchhalten. Die Vorgaben parteiamtlicher Ideologie spielten der M<strong>in</strong>derheitenführung<br />

schließlich das Argument <strong>in</strong> die Hand, wer als Pole se<strong>in</strong>er Herkunft untreu werde,<br />

bleibe <strong>in</strong> den Augen der Deutschen doch e<strong>in</strong> rassisch m<strong>in</strong>derwertiges Subjekt.<br />

Dem Revisionismus Berl<strong>in</strong>s <strong>in</strong> außenpolitischer H<strong>in</strong>sicht entsprach auch unter Hitler<br />

e<strong>in</strong>e expansive, auf Ass<strong>im</strong>ilation ausgerichtete M<strong>in</strong>derheitenpolitik <strong>im</strong> Innern. Ihr<br />

Objekt war dabei vor allem jene Bevölkerungsgruppe ohne stark ausgeprägtes Nationalbewußtse<strong>in</strong>,<br />

die als Zwischenschicht bezeichnet wurde. E<strong>in</strong>e direkte Entsprechung<br />

dieses Begriffes fehlte <strong>im</strong> Polnischen bezeichnenderweise, da sowohl <strong>in</strong> den Reihen<br />

der M<strong>in</strong>derheit wie von den Behörden jenseits der Grenze von e<strong>in</strong>er „objektiven“,<br />

durch Konfession <strong>und</strong> Sprache vorgegebenen Nationszugehörigkeit ausgegangen<br />

wurde. 18<br />

Während sich die polnische M<strong>in</strong>derheitenpolitik <strong>im</strong> wesentlichen auf behördliche<br />

Sanktionen stützte <strong>und</strong> auf die Verdrängung des deutschen Bevölkerungsanteils zielte,<br />

war das Vorgehen auf der Gegenseite – <strong>in</strong>sbesondere während der NS-Zeit – sehr<br />

viel subtiler auf e<strong>in</strong>em System von Zuckerbrot <strong>und</strong> Peitsche aufgebaut. Die mangelnde<br />

Schärfe der ethnischen <strong>Grenzen</strong> <strong>im</strong> Alltag stellte für den deutschen Staat e<strong>in</strong>e<br />

Chance, für die polnische M<strong>in</strong>derheit tendenziell e<strong>in</strong>e Bedrohung dar. Die überlegene<br />

deutsche F<strong>in</strong>anzkraft wirkte selbst über Staatsgrenzen h<strong>in</strong>aus. Auch <strong>im</strong> Kreis Zempelburg<br />

schlossen sich vere<strong>in</strong>zelt Polen besser ausgestatteten, da von Berl<strong>in</strong> subventionierten<br />

Wirtschaftsorganisationen der deutschen M<strong>in</strong>derheit an. Was <strong>in</strong> der deutschen<br />

Literatur als „Volkstumskampf“ bezeichnet wurde, trug auf polnischer Seite<br />

den Namen „Grenzkampf“ (walka graniczna). Dieser „Kampf“ wurde <strong>in</strong> beiden Ländern<br />

auch auf symbolischer Ebene ausgetragen. Klare nationale <strong>Grenzen</strong> zu ziehen<br />

<strong>und</strong> diese <strong>im</strong> Alltag sichtbar werden zu lassen, war vor allem <strong>in</strong> den 30er Jahren –<br />

ungeachtet unterschiedlicher Ausgangsvoraussetzungen – das Ziel des deutschen wie<br />

des polnischen Nationalismus.<br />

Im Kreis Flatow stand dem Hakenkreuz das sogenannte Rod¬o gegenüber, e<strong>in</strong>e stilisierte<br />

Nachbildung des Weichsellaufs <strong>in</strong> weißer Farbe auf rotem Gr<strong>und</strong>. Das Emblem<br />

des Polenb<strong>und</strong>es (Zwiaçzek Polaków w Niemczech) sollte die Verb<strong>und</strong>enheit der<br />

M<strong>in</strong>derheit mit dem Mutterland zum Ausdruck br<strong>in</strong>gen. Im Kreis Zempelburg war die<br />

Zeit Mitte der 30er Jahre auch optisch weniger von e<strong>in</strong>em deutsch-polnischen Gegensatz<br />

als von Ause<strong>in</strong>andersetzungen <strong>in</strong>nerhalb der M<strong>in</strong>derheit geprägt. Die Parteiflagge<br />

der „Deutschen Vere<strong>in</strong>igung“ geriet des öfteren zum Ziel wütender Attacken der<br />

rivalisierenden „Jungdeutschen Partei“ (JDP). Nach dem Willen der Eliten sollte die<br />

nationale Mobilisierung nicht auf den Rahmen politischer Organisationen beschränkt<br />

bleiben, sondern möglichst sämtliche Lebensbereiche umfassen. Das Bemühen um<br />

symbolische Abgrenzung läßt sich besonders <strong>im</strong> Bereich des Brauchtums beobachten.<br />

18 Schon HANS ROTHFELS: Nationalität <strong>und</strong> Grenze <strong>im</strong> späten <strong>19.</strong> <strong>und</strong> frühen <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert,<br />

<strong>in</strong>: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 9 (1961), S. 225-233, wies darauf h<strong>in</strong>, „daß <strong>in</strong> dem<br />

Anspruch, Grenze vom Pr<strong>in</strong>zip der Nationalität her zu reklamieren oder zu verteidigen, jedes<br />

Volk dazu neigt, die politisch-subjektive Theorie da anzurufen, wo es selbst ass<strong>im</strong>ilierend<br />

gewirkt hat, die kulturell-objektive aber da, wo es <strong>im</strong> eigenen Bestand [...] der Ass<strong>im</strong>ilation<br />

ausgesetzt gewesen ist“ (S. 229).<br />

190


Nach alter patriarchalischer Sitte beg<strong>in</strong>gen deutsche Gutsbesitzer <strong>im</strong> Kreis Zempelburg<br />

noch Ende der <strong>20</strong>er Jahre das Erntedankfest alle<strong>in</strong> <strong>im</strong> Kreis ihrer Arbeiter<br />

<strong>und</strong> Familienangehörigen. Berichte <strong>in</strong> der polnischen Presse hoben meist den gelungenen<br />

Verlauf derartiger Veranstaltungen hervor, ohne auf die Nationalität der Teilnehmer<br />

e<strong>in</strong>zugehen. Lediglich e<strong>in</strong>ige bei solchen Anlässen offenbar unvermeidliche<br />

Schlägereien trübten zuweilen das Bild. 19 1938 trat an die Seite der lokalen Festveranstaltungen<br />

e<strong>in</strong>e zentrale Erntedankfeier der JDP <strong>in</strong> Zempelburg, die der Festredner<br />

als e<strong>in</strong>en „altdeutschen Brauch“ (zwyczaj staro-niemiecki) bezeichnete. <strong>20</strong> Zuvor hatte<br />

bereits auf dem Lande e<strong>in</strong>e Premiere stattgef<strong>und</strong>en – e<strong>in</strong>e katholische Jugendorganisation<br />

veranstaltete e<strong>in</strong>en Ernteumzug, der ausdrücklich mit dem Attribut „altpolnisch“<br />

(staropolski) versehen wurde. 21<br />

So reizvoll es ist, dem Phänomen des Nationalismus auf der Ebene dieser Symbolsprache<br />

nachzugehen, so problematisch ersche<strong>in</strong>t es, auf dieser Gr<strong>und</strong>lage alle<strong>in</strong> Aussagen<br />

über die Realität menschlichen Zusammenlebens treffen zu wollen. 22 Gerade<br />

e<strong>in</strong>e räumlich begrenzte Fallstudie bietet die Chance, Vorgaben e<strong>in</strong>er zentral propagierten<br />

Grenzlandideologie mit der Wirklichkeit vor Ort zu kontrastieren. Den zitierten<br />

St<strong>im</strong>men zeitgenössischer Beobachter ist das Ergebnis e<strong>in</strong>er Oral-History-Studie<br />

aus den Jahren 1991-1993 zur Seite zu stellen. Lediglich Personen, die <strong>im</strong> Erwachsenenalter<br />

<strong>in</strong> die Kreise Flatow <strong>und</strong> Zempelburg gezogen waren, bejahten die Frage, ob<br />

man stets hätte sicher se<strong>in</strong> können, es mit e<strong>in</strong>em Deutschen oder Polen zu tun zu haben.<br />

Altansässige Bewohner bezweifelten dies <strong>und</strong> verwiesen auf Phänomene nationaler<br />

Ambivalenz <strong>und</strong> Indifferenz. 23 Weitere Beispiele fördert e<strong>in</strong>e Durchsicht<br />

schriftlicher Quellen zutage.<br />

In manchen polnischen Dörfern war das standardsprachliche Wort für „Deutsche“<br />

(Niemcy) gänzlich unbekannt <strong>und</strong> statt dessen <strong>im</strong>mer nur von den „Lutherern“ (lutrzy)<br />

die Rede. Die traditionelle Gleichsetzung von Konfession <strong>und</strong> Nationalität führte<br />

zu kommunikativen Situationen, die von Zeitzeugen als amüsant empf<strong>und</strong>en wurden.<br />

So entschuldigte sich etwa e<strong>in</strong>e Deutsche bei ihrem Tanzpartner, e<strong>in</strong>em Lehrer der<br />

polnischen M<strong>in</strong>derheit, daß sie leider nicht „katholisch“ spräche. 24 Die politische<br />

B<strong>in</strong>dungskraft der Konfession trat <strong>in</strong> der Frage des Schulwesens zutage. Zum Leid-<br />

19 Vgl. Gazeta Sępoleńska Nr. 38/15.9.1927, Nr. 115/9.10.1928.<br />

<strong>20</strong> Kreiskommando der Staatspolizei <strong>in</strong> Zempelburg am 24.10.1938 an den Starosten ebenda,<br />

Archiwum Państwowe w Bydgoszczy, Starostwo Powiatowe w Sępólnie, Nr. 961.<br />

21 Gazeta Sępoleńska Nr. 74/14.9.1938.<br />

22 Vgl. HEINZ-GERHARD HAUPT <strong>und</strong> CHARLOTTE TACKE: Die Kultur des Nationalen. Sozial-<br />

<strong>und</strong> kulturgeschichtliche Ansätze bei der Erforschung des europäischen Nationalismus <strong>im</strong><br />

<strong>19.</strong> <strong>und</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert, <strong>in</strong>: Kulturgeschichte heute, hrsg. von WOLFGANG HARDTWIG <strong>und</strong><br />

HANS-ULRICH WEHLER, Gött<strong>in</strong>gen 1996 (Geschichte <strong>und</strong> Gesellschaft, Sonderheft 16), S.<br />

255-283, hier besonders S. 267-269.<br />

23 Vgl. MATHIAS NIENDORF: „So e<strong>in</strong> Haß war nicht“. Zeitzeugenbefragungen zum deutschpolnischen<br />

Grenzgebiet der Zwischenkriegszeit, <strong>in</strong>: BIOS 10 (1997), S. 17-33, hier S. 27<br />

mit Anm. 7.<br />

24 KOWALSKI (wie Anm. 9), S. 40.<br />

191


wesen der preußischen Behörden verständigten sich Mitte der <strong>20</strong>er Jahre deutsche<br />

<strong>und</strong> polnische Katholiken auf die Forderung nach Wiedere<strong>in</strong>führung von Konfessionsschulen,<br />

der <strong>in</strong> der Stadt Flatow auch nachgegeben wurde. Der große Zuspruch<br />

der seit 1929 errichteten M<strong>in</strong>derheitsschulen erklärt sich nicht nur durch ihren nationalen,<br />

sondern auch durch ihren dezidiert katholischen Charakter.<br />

Wie sehr die Konfession das Zusammenleben der Bewohner best<strong>im</strong>mte, macht<br />

nicht zuletzt e<strong>in</strong> Blick <strong>in</strong> Standesamtsakten <strong>und</strong> Kirchenbücher deutlich. Eheschließungen<br />

zwischen deutschen <strong>und</strong> polnischen Katholiken lassen sich verschiedentlich<br />

nachweisen; konfessionelle Mischehen besaßen dagegen Seltenheitswert. Heiraten<br />

zwischen Protestanten <strong>und</strong> Katholiken erfolgten fast nur <strong>in</strong> der Unterschicht. Die Bedeutung<br />

sozialer <strong>Grenzen</strong> gilt es auch bei den Versuchen nationaler Mobilisierung <strong>im</strong><br />

Auge zu behalten. Im Restkreis Flatow wie <strong>im</strong> Kreis Zempelburg standen deutsche<br />

<strong>und</strong> polnische Organisationen vor Schwierigkeiten, wenn das Vere<strong>in</strong>sleben traditionelle<br />

soziale Barrieren sprengen sollte, wie es der Ideologie e<strong>in</strong>es <strong>in</strong>tegralen Nationalismus<br />

entsprach. Es kam vor, daß sich die Bauern zurückzogen, wenn e<strong>in</strong>e Organisation<br />

von Arbeitern dom<strong>in</strong>iert wurde.<br />

Auch e<strong>in</strong>e der ältesten Formen von Wir-Gruppenbildung, die B<strong>in</strong>dung an den<br />

Wohnort, bewies <strong>in</strong> der Zwischenkriegszeit ihre Beharrungskraft. E<strong>in</strong> Lehrer der<br />

M<strong>in</strong>derheitsschule <strong>in</strong> Blankwitt (B¬eçkwit) w<strong>und</strong>erte sich, warum er auf so wenig Verständnis<br />

stieß, wenn er <strong>in</strong> Flatow be<strong>im</strong> Büro des Polenb<strong>und</strong>es vorsprach. Schließlich<br />

wurde ihm klar, daß dessen Leiter aus e<strong>in</strong>em Nachbardorf stammte, das sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Dauerfehde mit Blankwitt befand. E<strong>in</strong>e ähnlich ausgeprägte lokale Identität verrieten<br />

aber auch e<strong>in</strong>ige deutsche Bewohner des Ortes. Sie zitterten mit „ihrer“ polnischen<br />

Fußballmannschaft <strong>und</strong> waren stolz auf deren Siege: „Sieh e<strong>in</strong>er an, was unser<br />

Blankwitt nicht alles kann.“ 25<br />

E<strong>in</strong>e eigene Untersuchung verdiente die <strong>Institut</strong>ion der Gasthäuser, die zu beiden<br />

Seiten der Grenze als e<strong>in</strong>e Begegnungsstätte von Deutschen <strong>und</strong> Polen fungierten.<br />

Was für die Wirte zählte, war die Zahlungsfähigkeit <strong>und</strong> Konsumbereitschaft ihrer<br />

Gäste. Aus diesem Gr<strong>und</strong>e konnte auch e<strong>in</strong>e als „Polenfresser<strong>in</strong>“ (polakożerczyni)<br />

bekannte Gasthausbesitzer<strong>in</strong> ihren Saal kostenlos Organisationen der polnischen<br />

M<strong>in</strong>derheit zur Verfügung stellen. In e<strong>in</strong>em mehrheitlich deutsch-katholischen Dorf<br />

des Kreises Zempelburg wiederum hatte der staatstragende Aufständischen- <strong>und</strong><br />

Kriegervere<strong>in</strong> (Towarzystwo Powstańców i Wojaków) Schwierigkeiten bei der Suche<br />

nach e<strong>in</strong>em Versammlungsraum. Als schließlich e<strong>in</strong> Lokal gef<strong>und</strong>en war, mußten die<br />

Mitglieder auf das Anst<strong>im</strong>men der patriotischen „Rota“ verzichten, die ihrer dritten<br />

Strophe wegen von deutscher Seite als Provokation empf<strong>und</strong>en wurde. 26<br />

25 KOWALSKI (wie Anm. 9), S. 56: „Ho, ho – patrzcie, co nasz Błękwit potrafi!“<br />

26 Gazeta Sępoleńska Nr. 30/12.3.1929. Die umstrittene Stelle lautete „Nie będzie Niemiec<br />

plu— nam w twarz“ (Der Deutsche wird uns nicht <strong>in</strong>s Gesicht spucken); vgl. DIONIZA<br />

WAWRZYKOWSKA-WIERCIOCHOWA: Nie rzuc<strong>im</strong> ziemi, skąd nasz ród [Wir lassen nicht die<br />

Erde, von der wir stammen], Warszawa 1988.<br />

192


Wirtshausschlägereien waren der M<strong>in</strong>derheitenpresse wie den Behörden beider<br />

Länder stets e<strong>in</strong>e Meldung wert, sofern e<strong>in</strong> nationaler H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> vermutet werden<br />

konnte. Auch wenn von e<strong>in</strong>er Dunkelziffer auszugehen ist, ersche<strong>in</strong>en die überlieferten<br />

Fälle für e<strong>in</strong>en Zeitraum von zwei Jahrzehnten nicht allzu zahlreich. Besonderes<br />

Interesse verdienen gerade die Situationen, <strong>in</strong> denen es Akteuren vor Ort gelang,<br />

Streitigkeiten beizulegen beziehungsweise Konflikte nicht eskalieren zu lassen.<br />

Ernste Gefahr schien e<strong>in</strong>em deutschen Turnfest zu drohen, das <strong>in</strong> der zweiten<br />

Hälfte der 30er Jahre <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Zempelburger Hotel begangen wurde. Kurz vor Beg<strong>in</strong>n<br />

des abendlichen Höhepunkts, dem Tanz, näherte sich dem Saale<strong>in</strong>gang e<strong>in</strong> angetrunkener<br />

Vertreter des Turnvere<strong>in</strong>s „Sokó¬“ (Falke). Auf das Ersuchen des Ordners,<br />

e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>ladung zu präsentieren, reagierte er mit dem Satz „Ich b<strong>in</strong> e<strong>in</strong> echter Pole“<br />

<strong>und</strong> unterstrich dieses Bekenntnis mit e<strong>in</strong>er Ohrfeige. Er erhielt die nicht m<strong>in</strong>der<br />

schlagkräftige Antwort: „Und ich b<strong>in</strong> e<strong>in</strong> echter Deutscher“. Das ruhige, entschiedene<br />

Auftreten des Ordners, der sich nicht e<strong>in</strong>schüchtern, aber auch nicht provozieren ließ,<br />

bewegte den Polen schließlich zum E<strong>in</strong>lenken. Auf se<strong>in</strong>en Vorschlag ließen die beiden<br />

Turner ihren nicht nur verbalen Schlagabtausch friedlich bei e<strong>in</strong>em Glas Bier<br />

auskl<strong>in</strong>gen. 27<br />

Konfliktbeilegungen wie diese wurden dadurch erleichtert, daß sich Deutsche <strong>und</strong><br />

Polen nicht <strong>in</strong> geschlossenen Blöcken frontal gegenüberstanden, sondern sich ihre<br />

Lebenswelten vielfach berührten. Insofern kommt dem Vorfall <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Kle<strong>in</strong>stadthotel<br />

s<strong>in</strong>nbildhafter Charakter zu. Das Turnfest fand zwar (nicht zuletzt auf behördlichem<br />

Druck) als e<strong>in</strong>e geschlossene Veranstaltung <strong>im</strong> Saal statt, doch schloß dies<br />

nicht aus, daß sich e<strong>in</strong> Deutscher bei anderer Gelegenheit <strong>im</strong> selben Haus zu e<strong>in</strong>em<br />

Polen an die Theke setzte. Die lokalen Konfliktlösungsmechanismen erwiesen sich<br />

allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> dem Maße als überfordert, <strong>in</strong> dem vorhandene nationale Gegensätze<br />

beiderseits der Grenze von Berl<strong>in</strong> aus <strong>in</strong>strumentalisiert wurden. Sie dienten der Legit<strong>im</strong>ierung<br />

sehr viel weitreichenderer Ziele: zunächst des militärischen Angriffs auf<br />

Polen, dann der ideologisch motivierten Vernichtung se<strong>in</strong>er Eliten. Die Erfahrungen<br />

der Jahre 1939-1945 dürfen aber nicht unreflektiert auf e<strong>in</strong>en Zeitraum von zwei<br />

Jahrzehnten zurückprojiziert werden.<br />

So wie die <strong>Grenzen</strong> zweier Staaten besaßen auch die <strong>Grenzen</strong> zwischen zwei<br />

Ethnien lange Zeit nicht die Bedeutung, die ihnen von der deutschen wie der polnischen<br />

Historiographie zugeschrieben wurde. Lokale Identität, konfessionelle Solidarität,<br />

Gesichtspunkte des sozialen Prestiges <strong>und</strong> nicht zuletzt das ökonomische Eigen<strong>in</strong>teresse<br />

stellten gewichtige Größen <strong>im</strong> Alltag dar, die sich dem exklusiven Loyalitätsanspruch<br />

der Nation gegenüber behaupten konnten. Die an e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en Ausschnitt<br />

der deutsch-polnischen Grenze gewonnenen Erkenntnisse legen Skepsis gegenüber<br />

Forschungsansätzen nahe, die nicht alle<strong>in</strong> e<strong>in</strong> antagonistisches Verhältnis zwischen<br />

beiden Nationen, sondern auch diese Großgruppen selbst als „essentielle“ Gegebenheiten<br />

voraussetzen. Die Kritik an der Schwarz-Weiß-Malerei vergangener Jahrzehn-<br />

27 WILLI TRABANT: „Völkerverständigung“ <strong>in</strong> Zempelburg. Turnfest <strong>im</strong> Hotel Wachholz –<br />

Der außergewöhnliche „Höhepunkt“, <strong>in</strong>: Der Westpreuße 1965, Nr. <strong>20</strong>, S. 13.<br />

193


te besitzt ihrerseits bereits Tradition. Zwischentöne nicht nur wahrzunehmen, sondern<br />

auch darzustellen, war bisher vor allem aber e<strong>in</strong>e Domäne schöngeistiger Literatur. 28<br />

Für die Geschichtswissenschaft gibt es <strong>in</strong> der Grenzlandproblematik noch Themen zu<br />

entdecken.<br />

28 Als e<strong>in</strong> Bruch mit der stereotypenhaften Darstellung der polnischen Westgebiete gilt die<br />

1960 preisgekrönte Erzählung von LESZEK PROROK: Wyspiarze [Insulaner], die auf Recherchen<br />

<strong>im</strong> Kreis Flatow beruht; vgl. die kommentierte 3. Aufl. Wrocław 1974.<br />

194


<strong>Grenzen</strong> <strong>und</strong> Grenzüberschreitungen –<br />

Bericht über e<strong>in</strong> Projekt<br />

von<br />

Hannelore B u r g e r<br />

Das Thema Grenze ist derzeit von äußerster Aktualität. Der Fall des Eisernen Vorhangs<br />

– e<strong>in</strong>st hermetische Systemgrenze zwischen Ost <strong>und</strong> West –, die seither verstärkt<br />

vor sich gehende Integration Europas (verb<strong>und</strong>en mit e<strong>in</strong>em Verblassen der alten<br />

nationalstaatlichen <strong>Grenzen</strong> <strong>und</strong> dem Entstehen e<strong>in</strong>er neuen Außengrenze) sowie<br />

auch die vielbeschworene Globalisierung mit der ihr <strong>in</strong>newohnenden Tendenz zur<br />

Überschreitung jeglicher <strong>Grenzen</strong> haben nicht nur das Bewußtse<strong>in</strong> über die Bedeutung<br />

von <strong>Grenzen</strong> verschärft, sondern auch die wissenschaftliche Forschung zu diesem<br />

Thema stark verändert.<br />

Anders als <strong>in</strong> Frankreich, wo Lucien Febvre <strong>in</strong> der Schule der geographie huma<strong>in</strong>e<br />

stehend auf die Veränderlichkeit der Vorstellung von Grenze seit dem 16. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

– <strong>und</strong> ganz besonders seit der französischen Revolution – aufmerksam gemacht hat<br />

(FEBVRE 1988), hat sich die deutschsprachige Geschichtswissenschaft mit der Geschichte<br />

der Grenze bisher kaum befaßt. E<strong>in</strong>ige ältere Arbeiten (RATZEL 1892,<br />

HAUSHOFER 1927) beschwören vor allem geopolitisch-strategische Aspekte der Grenze<br />

oder schreiben ihr geradezu biologische Qualitäten zu. Erst <strong>in</strong> jüngster Zeit s<strong>in</strong>d<br />

Arbeiten erschienen, die sich auch mit den sozio-ökonomischen, sozialpsychologischen<br />

oder symbolisch-kulturellen Aspekten von <strong>Grenzen</strong> befassen (SAURER 1989,<br />

MEDICK 1991, ULBRICH 1991). Bewußt wird jetzt, daß es neben der sichtbaren Grenze,<br />

der Staatsgrenze, <strong>in</strong> jedem Land auch unsichtbare <strong>in</strong>nere <strong>Grenzen</strong> (E<strong>in</strong>he<strong>im</strong>ische/Fremde)<br />

gibt, daß jede Grenze sowohl Inklusion als auch Exklusion bedeutet.<br />

Mit der Existenz <strong>und</strong> dem Werden e<strong>in</strong>er Staatsgrenze engstens verb<strong>und</strong>en s<strong>in</strong>d Fragen<br />

der Grenzüberwachung, des Paß- <strong>und</strong> Meldewesens, der Staatsbürgerschaft, des<br />

Asylwesens, der E<strong>in</strong>- <strong>und</strong> Auswanderung sowie der Fremdengesetzgebung. Alle diese<br />

Themen wurden von der Geschichtswissenschaft bisher kaum bearbeitet, vor allem<br />

nicht auf die Habsburgermonarchie bezogen, deren Grenz-Landschaft nicht nur wegen<br />

der Wechselfälle der historischen Grenzziehungen, sondern auch wegen der Heterogenität<br />

der ihr zugehörigen Länder, Lebenswelten <strong>und</strong> Bewohner e<strong>in</strong>e äußerst komplexe<br />

war. Diese zu untersuchen war das Vorhaben des vom österreichischen B<strong>und</strong>esm<strong>in</strong>isterium<br />

für Wissenschaft <strong>und</strong> Verkehr <strong>im</strong> Rahmen des Forschungsprogramms<br />

„<strong>Grenzen</strong>loses Österreich“ <strong>in</strong> Auftrag gegebenen dreijährigen Forschungsprojektes:<br />

„<strong>Grenzen</strong> <strong>und</strong> Grenzüberschreitungen. Die Bedeutung der <strong>Grenzen</strong> für die staatliche<br />

195


<strong>und</strong> soziale Entwicklung des Habsburgerreiches von der Mitte des 18. bis zur Mitte<br />

des <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts“.<br />

Die wissenschaftliche Leitung dieses Forschungsprojekts lag <strong>in</strong> den Händen von<br />

Univ. Prof. Dr. Edith Saurer <strong>und</strong> Hofrat Univ. Doz. Dr. Waltraud He<strong>in</strong>dl, von denen<br />

auch die Gr<strong>und</strong>konzeption des Forschungsvorhabens stammte. Zur Mitarbeit am Projekt<br />

gewonnen wurden: Dr. Hannelore Burger (Wien), Dr. Pavel Cibulka (Brünn),<br />

Andrea Geselle (Mailand), Dr. Svjatoslav Pacholkiv (Lemberg), Dr. Zdenka<br />

Stoklásková (Brünn), Mag. Harald Wendel<strong>in</strong> (Wien). Mit ergänzenden Beiträgen vertreten<br />

s<strong>in</strong>d: Dr. Andrea Komlosy <strong>und</strong> Univ. Doz. Milan Hlavačka.<br />

Projektorganisation<br />

Die empirischen Untersuchungen wurden überwiegend <strong>in</strong> folgenden Archiven durchgeführt:<br />

Haus-, Hof- <strong>und</strong> Staatsarchiv (Wien), Österreichisches Staatsarchiv (Wien),<br />

Niederösterreichisches Landesarchiv (Wien), Archiv der Stadt Wien, Geme<strong>in</strong>dearchiv<br />

Perchtoldsdorf, Staatsarchiv Brünn, Zentralstaatsarchiv Prag, Mährisches Landesarchiv<br />

(Brünn), Zentrales Historisches Gebietsarchiv (Lemberg), Staatsarchiv Venedig,<br />

Staatsarchiv Mailand. Zum Austausch der aus den Archivalien gewonnenen Erkenntnisse,<br />

zu Literaturbesprechungen, zur Festsetzung von Forschungsschwerpunkten <strong>und</strong><br />

zur Formulierung e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen Forschungsperspektive sowie zur Vorstellung<br />

von Teilergebnissen trafen die Mitarbeiter <strong>und</strong> Mitarbeiter<strong>in</strong>nen des Projektes etwa<br />

dre<strong>im</strong>al jährlich zu e<strong>in</strong>em je zweitätigen workshop <strong>in</strong> Wien zusammen. Dazu wurden<br />

auch an anderen Grenzprojekten arbeitende Wissenschaftler <strong>und</strong> Wissenschaftler<strong>in</strong>nen<br />

zu Referaten <strong>und</strong> zum Gedankenaustausch e<strong>in</strong>geladen. Mehrfach wurde das Forschungsprojekt<br />

auf Tagungen <strong>und</strong> Symposien vorgestellt, darunter be<strong>im</strong> Symposium<br />

„Abgrenzung <strong>und</strong> Ausblick“ des Wissenschaftsm<strong>in</strong>isteriums <strong>in</strong> Wien <strong>im</strong> Oktober<br />

1996, am Collegium Budapest, <strong>Institut</strong>e for Advanced Study 1997 <strong>und</strong> be<strong>im</strong> 2. Bohemistentreffen<br />

des Collegium Carol<strong>in</strong>um <strong>in</strong> München 1998. E<strong>in</strong> dreibändiger Endbericht<br />

liegt seit April 1998 vor, dessen Drucklegung (<strong>im</strong> Böhlau Verlag, Wien) gegenwärtig<br />

vorbereitet wird. Die Ergebnisse des Forschungsprojektes sowie das fertiggestellte<br />

Buch sollen (<strong>im</strong> Frühjahr <strong>20</strong>00) bei e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>ternationalen Symposium <strong>in</strong> Wien<br />

zum Thema „<strong>Grenzen</strong>“ vorgestellt werden.<br />

Die oben angesprochene Vielschichtigkeit des Themas Grenze, das nicht nur historisch-politisch,<br />

sondern auch philosophisch, sozialpsychologisch, sozio-ökonomisch<br />

abgehandelt werden kann, machte von vornhere<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e zeitliche, räumliche <strong>und</strong><br />

<strong>in</strong>haltliche „Begrenzung“ sowie e<strong>in</strong>e Schwerpunktsetzung auf best<strong>im</strong>mte Aspekte –<br />

die nach Durchsicht des vorhandenen Archivmaterials erfolgte – erforderlich:<br />

zeitlich: ca. 1750 bis 1850 (1867)<br />

räumlich: die nordöstliche sowie die südliche Staatsgrenze der Habsburgermonarchie,<br />

196


B<strong>in</strong>nengrenzen: Landesgrenzen, Zollgrenzen, Diözesangrenzen,<br />

Kreisgrenzen, Herrschaftsgrenzen, andere <strong>in</strong>nere <strong>Grenzen</strong><br />

<strong>in</strong>haltlich: Paßwesen, Staatsbürgerschaft, Armenrecht, He<strong>im</strong>atrecht, Schub,<br />

Fremdenrecht, Aus- <strong>und</strong> E<strong>in</strong>wanderung, Grenze<strong>in</strong>richtung, Grenzbewachung,<br />

Lebenswelten an der Grenze<br />

staatsrechtlich: Gesetzliche Entwicklung, Entwicklung von Adm<strong>in</strong>istrativverfahren<br />

sozial- Bedeutung von <strong>Grenzen</strong> <strong>im</strong> Alltag, lebensweltliche Perspektipsychologisch:<br />

ven, Veränderung mentaler Strukturen, Fremdse<strong>in</strong>, Personse<strong>in</strong>, Verschiebung<br />

von Zugehörigkeiten, Nationsbewußtse<strong>in</strong>, Staatsbewußtse<strong>in</strong><br />

philosophisch: begriffsgeschichtliche, semiotische, phänomenologische, sozialphilosophische<br />

Ansätze.<br />

Im folgenden sollen die wichtigsten Ergebnisse aus den e<strong>in</strong>zelnen Forschungsschwerpunkten<br />

zusammengefaßt werden:<br />

Das Paßwesen<br />

Das Paßwesen ist e<strong>in</strong>e staatliche Hoheitsfunktion par excellence. Moderne Staatstheoretiker<br />

sehen es als e<strong>in</strong> Mittel legit<strong>im</strong>er Herrschaft (Max Weber). Hannelore Burger<br />

versteht es zugleich als „Ausdruck der Kultur e<strong>in</strong>es Staates“, se<strong>in</strong>er Gastlichkeit, se<strong>in</strong>es<br />

Umgangs mit den Fremden, dabei br<strong>in</strong>gt sie die Entstehung des modernen Paßwesens<br />

<strong>in</strong> Zusammenhang mit dem Problem „personaler Identität“ – e<strong>in</strong>em zentralen<br />

Topos der Philosophie der Aufklärung. So führten die polizeilichen Strategien der<br />

Identifizierung – die <strong>im</strong> Zusammenhang mit der Entstehung des Paßwesens beschrieben<br />

werden – gewollt oder ungewollt zur Anerkennung e<strong>in</strong>es Individuums als Person.<br />

Das Paßwesen erweist sich – wie so viele andere Bereiche auch – als e<strong>in</strong> vergessener<br />

Aspekt österreichischer Staatlichkeit. Zwischen 1752 <strong>und</strong> 1857 (dem Ersche<strong>in</strong>en<br />

des ersten österreichischen Paßgesetzes) existierte es <strong>in</strong> H<strong>und</strong>erten von E<strong>in</strong>zeldekreten<br />

repetitiven, aufhebenden, manchmal kontradiktorischen Charakters mit unterschiedlichem<br />

Geltungsbereich. Ebenso verwirrend <strong>und</strong> widersprüchlich erschienen<br />

die Kompetenzen der paßerteilenden Behörden. Dennoch lassen sich e<strong>in</strong>ige allgeme<strong>in</strong>e<br />

Gr<strong>und</strong>sätze des österreichischen Paßwesens formulieren:<br />

das utilitaristische Pr<strong>in</strong>zip:<br />

Die Trennung zwischen aus der Sicht des Staates nützlichen <strong>und</strong><br />

unnützen Reisen wird schon <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Circular Maria Theresias aus<br />

dem Jahr 1752 deutlich. Die joseph<strong>in</strong>ische Gesetzgebung verstärkt<br />

diese Tendenz. So postuliert das Auswanderungspatent von 1784<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich Reisefreiheit, sofern die angestrebte Reise nicht<br />

Auswanderung bezweckte, staatsfe<strong>in</strong>dliche Ziele verfolgte oder<br />

197


Luxusbedürfnissen diente. Den für Handel <strong>und</strong> Wandel notwendigen<br />

Zielen sollte <strong>in</strong>des ke<strong>in</strong> H<strong>in</strong>dernis <strong>in</strong> den Weg gelegt werden.<br />

Trotz aller veränderlichen Variablen <strong>in</strong> Kriegs- <strong>und</strong> Friedenszeiten,<br />

Revolutions- <strong>und</strong> Umbruchsepochen sollte sich diese Trennung<br />

zwischen „nützlichen“ <strong>und</strong> „unnützen“ Reisen als dauerndes Element<br />

absolutistischer Paßpolitik erweisen.<br />

das Pr<strong>in</strong>zip der Evidenzhaltung:<br />

Kontrolle über die Bewegung der Bevölkerung <strong>im</strong> Raum zu erlangen,<br />

ihre unkontrollierte Ab- <strong>und</strong> Zuwanderung, ihr Herumvagieren,<br />

ihre Flucht vor Konskription <strong>und</strong> Wehrdienst zu verh<strong>in</strong>dern<br />

wird mit dem E<strong>in</strong>setzen der Kreisämter <strong>und</strong> Polizeidirektionen zur<br />

zentralen Aufgabe staatlicher Instanzen. Das Evidenzpr<strong>in</strong>zip ist<br />

engstens mit der Territorialstaatswerdung verb<strong>und</strong>en. Im Bereich<br />

des Paßwesens bedeutet es: Vorschreibung von Paßprotokollbüchern,<br />

zeitlich <strong>und</strong> örtlich befristete Vergabe von Pässen, Vidierungspflicht,<br />

geb<strong>und</strong>ene Marschrouten, Kautionen, Rückzitationen,<br />

Strafen bei unerlaubtem Fernbleiben (Verlust des Vermögens, der<br />

Staatsbürgerschaft).<br />

das Pr<strong>in</strong>zip der Steuerung:<br />

Das Paßwesen erweist sich – zusammen mit der Zollpolitik – als<br />

e<strong>in</strong> wichtiges Fe<strong>in</strong>steuerungs<strong>in</strong>strument des absolutistischen Staates<br />

<strong>im</strong> H<strong>in</strong>blick auf gesellschaftpolitische oder ökonomische Zielsetzungen<br />

(Merkantilismus, Physiokratismus, Populationspolitik<br />

bis h<strong>in</strong> zur neoabsolutistischen Freihandelspolitik). Paßerteilung<br />

geschieht dabei <strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Modus von Inklusion <strong>und</strong> Exklusion, ist<br />

Mittel von Privilegierung <strong>und</strong> Diskr<strong>im</strong><strong>in</strong>ierung.<br />

Untersucht wurde die Paßpolitik gegenüber verschiedenen Gruppen: dem Adel,<br />

den Beamten, den Händlern <strong>und</strong> Handwerkern, den Geistlichen <strong>und</strong> Studenten, den<br />

Ärzten <strong>und</strong> Künstlern, den Bettlern <strong>und</strong> Vaganten, den E<strong>in</strong>he<strong>im</strong>ischen <strong>und</strong> Fremden,<br />

Inländern <strong>und</strong> Ausländern, gegenüber Männern <strong>und</strong> Frauen. Die Ergebnisse s<strong>in</strong>d<br />

überaus komplex, manchmal muten sie geradezu paradox an. Paßrechtlich privilegierte<br />

s<strong>in</strong>d – nach Hannelore Burger –: wandernde Handwerksgesellen, Händler <strong>und</strong><br />

Großhändler, Adlige über 28 Jahre, Studierende der protestantischen Theologie, Frauen,<br />

wenn sie eigenberechtigt waren <strong>und</strong> <strong>in</strong>sofern sie ke<strong>in</strong>e Erlaubnis der Wehrbehörde<br />

benötigten. Zu den paßrechtlich diskr<strong>im</strong><strong>in</strong>ierten Gruppen gehören: alle wehrpflichtigen<br />

Männer, nichteigenberechtigte Frauen, Adlige unter 28 Jahren, „jakob<strong>in</strong>ischer<br />

Umtriebe“ verdächtige Handwerksgesellen, Studenten, Priester, Pilger, Ordensleute,<br />

Ärzte <strong>und</strong> W<strong>und</strong>ärzte, „schlechtges<strong>in</strong>nte <strong>und</strong> bedenkliche“ Fremde (Emigranten,<br />

fremde Priester, potentielle Revolutionäre) sowie die Kategorie der „bedenklichen<br />

Menschen überhaupt“. Hannelore Burger zeigt, daß es gerade diese seltsame Gruppe<br />

der bedenklichen Menschen überhaupt (zu ihr gehören nicht nur politisch verdächtige<br />

Ausländer, sondern auch Künstler, Komödianten, Gaukler, mit Tieren herumziehende<br />

198


Schausteller – alles „fahrende Volk“) ist, die durch ihr ständiges Unterlaufen des Gebots<br />

der Seßhaftigkeit, durch ihr Heraustreten aus dem engen Kreis der He<strong>im</strong>at (Außer-Kreis-gehen),<br />

durch ihr „Vazieren“ <strong>und</strong> „Herumstürzen <strong>in</strong> Lande“ erheblich zur<br />

Territorialstaatswerdung beitrug. Indem sie den Staat zwangen, auf ihre <strong>im</strong>mer schon<br />

verdächtige Bewegung mit <strong>im</strong>mer subtileren Paßverordnungen zu reagieren, wurden<br />

die „bedenklichen Menschen“ contre cœur zum Mitschöpfer e<strong>in</strong>es bedeutenden Instruments<br />

des modernen Flächenstaates: des Reisepasses. Entlang der zentralen Begriffe:<br />

Kompetenz, Evidenz, Egalisierung <strong>und</strong> Kontrolle wird weiters die staatsrechtliche<br />

Entwicklung des österreichischen Paßwesens dargestellt. Illustrative Fallgeschichten<br />

machen die oft kontradiktorischen Zielsetzungen des Staates deutlich: Verpolizeilichung<br />

<strong>und</strong> Überwachung vs. Gleichförmigkeit <strong>und</strong> Beschleunigung.<br />

E<strong>in</strong> eigener Beitrag beschäftigt sich mit dem Lombardo-Venezianischen Paßwesen<br />

mit se<strong>in</strong>er häufig vom übrigen österreichischen Paßsystem abweichenden Praxis. Andrea<br />

Geselle zeichnet <strong>in</strong> ihrem Beitrag „Bewegung <strong>und</strong> ihre Kontrolle <strong>in</strong> Lombardo-<br />

Venetien“ vor allem den nachhaltigen E<strong>in</strong>fluß der französischen Gesetzgebung seit<br />

der Zeit der napoleonischen Kriege nach <strong>und</strong> zeigt anhand des Studiums von Archivalien<br />

des venezianischen Staatsarchivs auf, wie h<strong>in</strong>dernisreich der Weg war, die Verwaltung<br />

der italienischen Länder – nach dem Willen Kaiser Franz I. – „auf österreichischen<br />

Fuß“ zu stellen. Nach ihren Untersuchungen über die Akzeptanz der neuen<br />

<strong>Grenzen</strong> – das überreiche Archivmaterial beleuchtet sowohl die Situation der grenzüberschreitenden<br />

Menschen wie auch die besonderen Probleme der Adm<strong>in</strong>istration –<br />

war das erst knapp vor der bürgerlichen Revolution von 1848 der Fall. Doch trotz der<br />

zu diesem Zeitpunkt vollständigen adm<strong>in</strong>istrativen E<strong>in</strong>gliederung der italienischen<br />

Länder <strong>in</strong> die österreichische Monarchie blieb Lombardo-Venetien aus vielen Gründen<br />

e<strong>in</strong> Sonderfall. Beispielsweise führte die schon <strong>in</strong> der Zeit der französischen Besatzung<br />

e<strong>in</strong>geführte <strong>und</strong> unter der österreichischen Herrschaft beibehaltene Carta<br />

d’iscrizione – e<strong>in</strong> System der allgeme<strong>in</strong>en Ausweispflicht – zu e<strong>in</strong>er stärker ortsbezogenen<br />

Identität. Der <strong>in</strong> den italienischen Ländern <strong>im</strong>mer schon dichtere Handels- <strong>und</strong><br />

Reiseverkehr sowie der aus der besonderen politischen Situation unklar bleibende<br />

Status Lombardo-Venetiens als Inland/Ausland brachte <strong>in</strong> der alltäglichen Praxis des<br />

Paßwesens zahllose Probleme mit sich. Liberalismus, Eisenbahnwesen <strong>und</strong> Dampfschiffahrt<br />

führen jedoch auch hier zu e<strong>in</strong>em Modernisierungsschub <strong>und</strong> br<strong>in</strong>gen am<br />

Ende e<strong>in</strong>es der dichtesten <strong>und</strong> komplexesten Paßsysteme Europas zu Fall (nach dem<br />

Anschluß Österreichs an den Deutschen Paßkartenvere<strong>in</strong> entfällt 1859 die „Vidierung<br />

<strong>im</strong> Innern“). Stufenweise werden alle Inlandspässe abgeschafft. 1865 entfällt auch die<br />

Paßkontrolle an den österreichischen Außengrenzen. Damit wird bis zum Ersten<br />

Weltkrieg paßlose Grenzüberschreitung <strong>in</strong> großen Teilen Europas möglich (die großen<br />

Ausnahmen blieben Rußland <strong>und</strong> Frankreich). In den italienischen Ländern der<br />

Habsburgermonarchie wurden diese Reformen enthusiastisch aufgenommen – sie<br />

kamen allerd<strong>in</strong>gs viel zu spät, um hier noch wirksam zu werden.<br />

199


Die Staatsbürgerschaft<br />

Zu den erwähnten unsichtbaren <strong>in</strong>neren <strong>Grenzen</strong> gehört zweifellos auch die Staatsbürgerschaft.<br />

In der öffentlichen Debatte <strong>und</strong> <strong>in</strong> zahlreichen Arbeiten wird gegenwärtig<br />

auf die Problematik der unterschiedlichen Konzeptionen der europäischen Staatsbürgerschaftsmodelle<br />

h<strong>in</strong>gewiesen <strong>und</strong> – nicht zuletzt aus der Notwendigkeit, e<strong>in</strong>e<br />

geme<strong>in</strong>same europäische (Staats)Bürgerschaft zu entwickeln – auf die bestehenden<br />

Antagonismen zwischen dem ius soli <strong>und</strong> dem ius sangu<strong>in</strong>is aufmerksam gemacht<br />

(HABERMAS 1982, FERRY 1994, BRUBAKER 1994). Hannelore Burger zeigt – nach e<strong>in</strong>er<br />

begriffsgeschichtlichen Analyse des semantischen Feldes „Staatsbürgerschaft“ <strong>im</strong><br />

altösterreichischen Kontext –, daß von dem e<strong>in</strong>en Modell österreichischer Staatsbürgerschaft<br />

nicht gesprochen werden kann. Entsprechend den Veränderungen des politischen<br />

Systems – vom Reformabsolutismus der joseph<strong>in</strong>ischen Epoche über Frühkonstitutionalismus<br />

<strong>und</strong> Neoabsolutismus bis h<strong>in</strong> zum differenzialistischen Konstitutionalismus<br />

der Ausgleichsepoche – unterliegt es vielmehr e<strong>in</strong>er ständigen Transformation:<br />

Das territorial best<strong>im</strong>mte Modell des joseph<strong>in</strong>ischen E<strong>in</strong>wanderungsstaates wird <strong>im</strong><br />

vollendeten Absolutismus Metternichscher Prägung abgelöst durch das voluntaristische<br />

Modell (Willenserklärung statt stillschweigender oder ipso facto-E<strong>in</strong>bürgerung),<br />

es folgt die neoabsolutistische „Reichsbürgerschaft“ (1849) <strong>und</strong> schließlich die „allgeme<strong>in</strong>e<br />

österreichische Staatsbürgerschaft“ nach dem Staatsgr<strong>und</strong>gesetz von 1867.<br />

Dennoch lassen sich e<strong>in</strong>ige dauerhafte Elemente – Elemente e<strong>in</strong>er longue durée – <strong>im</strong><br />

altösterreichischen Staatsbürgerrecht ausmachen. Als solche erwiesen sich:<br />

• E<strong>in</strong> trotz des nach 1811 dom<strong>in</strong>ant werdenden Abstammungspr<strong>in</strong>zips (ius sangu<strong>in</strong>is)<br />

starkes territoriales Element (ius soli), das sich u.a. <strong>in</strong> der anhaltenden Bedeutung<br />

des 10jährigen Wohnsitzes als Erwerbsgr<strong>und</strong> der Staatsbürgerschaft wie des<br />

He<strong>im</strong>atrechtes zeigt.<br />

• Die starke Determ<strong>in</strong>iertheit der österreichischen Staatsbürgerschaft durch das Privatrecht<br />

(die §§ 28-31 des ABGB bilden bis zum Ende der Monarchie den Kern<br />

des Staatsbürgerschaftsrechtes) bed<strong>in</strong>gte, daß die Elemente des bürgerlichen<br />

Rechts: Gleichbehandlung, Freiwilligkeit <strong>und</strong> Vertragsfreiheit – zum<strong>in</strong>dest als<br />

Versprechen – <strong>in</strong> dieser enthalten waren.<br />

• E<strong>in</strong> aus der Zeit der Kodifizierung des bürgerlichen Rechts stammendes, naturrechtlich<br />

begründetes weltbürgerliches Element, das gr<strong>und</strong>sätzlich jedem die<br />

Staatsbürgerschaft zubilligte, der sich „ke<strong>in</strong>es Verbrechens schuldig“ gemacht hatte<br />

(Franz v. Zeiller). Dieses weltbürgerliche Element hatte zur Konsequenz, daß<br />

Sprache, Religion <strong>und</strong> Kultur ke<strong>in</strong>e wesentlichen Kriterien der österreichischen<br />

Staatsbürgerschaft bildeten.<br />

Anhand von jüngst rekonstruierten Akten der Hofkanzlei verfolgt Hannelore Burger<br />

die Geschichte des Adm<strong>in</strong>istrativverfahrens der Staatsbürgerschaftserteilung seit<br />

<strong>in</strong> Kraft treten des Allgeme<strong>in</strong>en Bürgerlichen Gesetzbuches <strong>im</strong> Jahr 1812. In e<strong>in</strong>igen<br />

Fällen gelang es, den jeweiligen Anlaß für bedeutende gesetzliche Änderungen (Aufhebung<br />

der zehnjährigen Ersitzung, allgeme<strong>in</strong>e Willenserklärung <strong>und</strong> Eidesleistung)<br />

<strong>20</strong>0


<strong>im</strong> Staatsbürgerschaftsrecht aufzuspüren. Dargestellt werden – anhand der gesetzlichen<br />

Entwicklung sowie illustrativer Fallbeispiele – die verschiedenen Arten des Erwerbs<br />

<strong>und</strong> Verlustes der österreichischen Staatsbürgerschaft (Eheschließung, Gewerbeantritt,<br />

Diplomerlangung, E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> den öffentlichen Dienst, Annahme fremder<br />

Dienste, E<strong>in</strong>- <strong>und</strong> Auswanderung etc.). Empirische Daten liegen für Niederösterreich/Wien<br />

zwischen 1813 <strong>und</strong> 1843 vor. Im Abstand e<strong>in</strong>es Dezenniums konnten<br />

Aussagen über Herkunft, Geschlecht, Beruf, Stand, Konfession, „Moralität“, Dauer<br />

des Aufenthalts sowie Zahl der E<strong>in</strong>gebürgerten <strong>und</strong> der Ablehnungen gemacht werden.<br />

Für das Jahr 1833 etwa zeigt sich das Bild e<strong>in</strong>es biedermeierlich-vormärzlichen<br />

Wiens mit e<strong>in</strong>em hohen Bedarf an gut ausgebildeten Handwerkern (was sich <strong>in</strong> relativ<br />

kurzen E<strong>in</strong>bürgerungszeiten niederschlägt). Weiters wird deutlich, daß der Erwerb der<br />

Staatsbürgerschaft <strong>im</strong> allgeme<strong>in</strong>en mit positiven Lebensveränderungen korreliert – <strong>im</strong><br />

weitesten S<strong>in</strong>ne ersche<strong>in</strong>t er als Indikator für Aufstieg <strong>und</strong> Erfolg (Gewerbegründung,<br />

Eheschließung, Diplomerlangung). Besondere Aufmerksamkeit wurde der Staatsbürgerschaft<br />

der Frau gewidmet. Die empirischen Untersuchungen (<strong>im</strong> Jahr 1833 lag der<br />

Anteil der e<strong>in</strong>gebürgerten Frauen bei 26 %) korrigieren e<strong>in</strong> wenig das Klischee von<br />

der unmündigen, abhängigen, erwerbslosen Frau, die die Staatsangehörigkeit nur auf<br />

dem Wege der sogenannten familienrechtlichen Tatsachen erwirbt, wie es die theoretische<br />

Literatur zur Staatsbürgerschaft evoziert. E<strong>in</strong>zelne Fallbeispiele aus den E<strong>in</strong>bürgerungsakten<br />

des Niederösterreichischen Landesarchivs belegen überdies, daß<br />

Frauen nicht nur eigenberechtigt die Staatsbürgerschaft begehrten <strong>und</strong> auch erhielten,<br />

daß sie selbständig den Untertaneneid ablegten, sondern auch, daß Frauen mit der<br />

Eheschließung ke<strong>in</strong>eswegs <strong>im</strong>mer bereitwillig die fremde Staatsbürgerschaft annahmen<br />

bzw. die eigene aufgaben.<br />

Die Reichsbürgerschaft des Neoabsolutismus (nach der Märzverfassung von<br />

1849) bedeutete – nach Hannelore Burger – <strong>in</strong> vieler H<strong>in</strong>sicht e<strong>in</strong>e staatsrechtliche<br />

<strong>und</strong> – vermittels ihrer engen Kopplung an das He<strong>im</strong>atrecht – auch ökonomische<br />

Schließung des österreichischen Kaiserstaates. Aus liberaler Sicht wurde die allgeme<strong>in</strong>e<br />

Reichsbürgerschaft (die zuerst auch Ungarn e<strong>in</strong>schloß) als e<strong>in</strong> Fortschritt, als<br />

Wende h<strong>in</strong> zum modernen Verfassungsstaat gerühmt. Für langjährig ansässige, nichthe<strong>im</strong>atberechtigte<br />

Fremde sowie auch für Frauen bedeutete sie allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>e Verschlechterung<br />

ihrer staatsrechtlichen Position, da erst jetzt die Unterscheidung zwischen<br />

aktivem <strong>und</strong> passivem Bürgerstatus wirksam wird. Die staatsrechtliche Situation<br />

nach dem Ausgleich 1867 führte auch <strong>im</strong> Staatsbürgerschaftsrecht zu e<strong>in</strong>er überaus<br />

komplexen Situation. Das österreichische (cisleithanische) <strong>und</strong> das ungarische<br />

(transleithanische) Staatsbürgerschaftsrecht waren nur wenig mite<strong>in</strong>ander kompatibel<br />

<strong>und</strong> brachten – vor allem für die Angehörigen der Behörden beider Reichsteile – zahlreiche<br />

Probleme mit sich. Die Rufe nach e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen allgeme<strong>in</strong>en „Reichsbürgerschaft“<br />

wurden zuletzt <strong>im</strong>mer lauter. Im wesentlichen blieben sie ungehört.<br />

Doch führten – wie Hannelore Burger zeigt – diese staatsrechtlichen „Kuriosa“ – wie<br />

auch das Weiterbestehen von Inkolat <strong>und</strong> Indigenat, Schutzbürgern <strong>und</strong> anderen gemischten<br />

Staatsbürgern – sowie die Besonderheiten e<strong>in</strong>es staatlichen Gebildes, das<br />

nur langsam zu e<strong>in</strong>em Territorialstaat zusammenwuchs <strong>und</strong> mit se<strong>in</strong>en heterogenen<br />

<strong>20</strong>1


Strukturen wenig dem Idealbild e<strong>in</strong>es modernen Nationalstaats entsprach, notwendig<br />

zu e<strong>in</strong>er eher differenzialistischen Praxis der Staatsbürgerschaftserteilung, die dem<br />

altösterreichischen Rechtspragmatismus überhaupt entsprach. Gerade diese Heterogenität<br />

<strong>und</strong> die – wenn auch nicht <strong>im</strong>mer freiwillig geübte – Politik der Anerkennung<br />

der Differenz macht das altösterreichische Modell der Staatsbürgerschaft für die Debatte<br />

um die europäische (Staats)Bürgerschaft besonders <strong>in</strong>teressant.<br />

Der Schub<br />

In engem Zusammenhang mit der Staatsbürgerschaft, mehr aber noch mit dem He<strong>im</strong>atrecht<br />

(„politisches Domicil“) sowie mit der staatlichen Armenfürsorge steht der<br />

Schub. Harald Wendel<strong>in</strong> versteht den Schub als e<strong>in</strong>e Praxis, Kontrolle über die Bewegung<br />

der Bevölkerung <strong>im</strong> Raum zu gew<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> – entsprechend der joseph<strong>in</strong>ischen<br />

Auffassung vom Wohlfahrtsstaat – „jedem Individuum se<strong>in</strong>en Platz“ zuzuweisen.<br />

In Ause<strong>in</strong>andersetzung mit den Theorien Michel Foucaults <strong>und</strong> Michel de Certeaus<br />

wird der Schub gesehen e<strong>in</strong>erseits als Instrument der Herstellung e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>zigen<br />

„Diszipl<strong>in</strong>arraums“ (<strong>im</strong> großen Prozeß der Entstehung e<strong>in</strong>es neuen Herrschaftsraums:<br />

des modernen Territorialstaates) <strong>und</strong> andererseits als Ort, wo durch „die Kunst des<br />

Handelns“, durch best<strong>im</strong>mte Alltagspraktiken, durch Strategie <strong>und</strong> Taktik der Betroffenen<br />

ständig „Raum“ zurückgewonnen wird. Am Beispiel mehrerer exakt rekonstruierter<br />

Schubfälle zeigt Harald Wendel<strong>in</strong>, wie es e<strong>in</strong>igen Schübl<strong>in</strong>gen <strong>im</strong>mer wieder<br />

gelang, an den Ort, von dem sie weggeschoben worden waren, zurückzukehren. Der<br />

besonders <strong>in</strong>struktive Fall des 75jährigen Josef Weibel, der 1822 zwischen Perchtoldsdorf<br />

<strong>und</strong> se<strong>in</strong>em mutmaßlichen Geburtsort am Bodensee <strong>in</strong> Vorderösterreich ergebnislos<br />

h<strong>in</strong>- <strong>und</strong> hergeschoben wurde, beleuchtet die ganze Problematik des Schubes:<br />

höchste bürokratische Effizienz <strong>im</strong> Interesse der Durchsetzung des He<strong>im</strong>atpr<strong>in</strong>zips<br />

<strong>und</strong> der Armenfürsorge, gepaart mit e<strong>in</strong>er ungeheuren Verschwendung von Ressourcen<br />

bei letztlich dürftigem Erfolg. Das reiche Material über den Schub – Harald<br />

Wendel<strong>in</strong> analysierte sowohl die Protokolle des „Partikularschubes“ wie auch des sogenannten<br />

„Wiener Hauptschubs“, der vierzehntägig von der Haupt- <strong>und</strong> Residenzstadt<br />

über best<strong>im</strong>mte Schubstrecken <strong>in</strong> alle Landesteile der Monarchie durchgeführt<br />

wurde, darüber h<strong>in</strong>aus die Schublisten des Geme<strong>in</strong>dearchivs von Perchtoldsdorf – erlaubt<br />

neue Aufschlüsse über e<strong>in</strong>e andere Art des „Reisens“, über Armut, die zweifelhafte<br />

Bedeutung von „He<strong>im</strong>at“, über Fremdse<strong>in</strong>, nicht zuletzt aber auch die erstaunliche<br />

Mobilität armer <strong>und</strong> ärmster Bevölkerungsschichten.<br />

Fremdse<strong>in</strong><br />

Wie schon <strong>im</strong> Kapitel über He<strong>im</strong>atrecht, Armenversorgung <strong>und</strong> Schub deutlich wurde,<br />

war die Kategorie des Fremdse<strong>in</strong>s ke<strong>in</strong>eswegs mit dem Ausländerstatus identisch.<br />

Fremd <strong>im</strong> engeren S<strong>in</strong>n waren schon diejenigen, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>de oder e<strong>in</strong>er<br />

<strong>20</strong>2


Stadt nicht das He<strong>im</strong>atrecht besaßen. Die Grenze zwischen E<strong>in</strong>he<strong>im</strong>isch- <strong>und</strong> Fremdse<strong>in</strong><br />

verlief also häufig quer durch e<strong>in</strong>en Ort. Die besondere Situation der Fremden <strong>in</strong><br />

den böhmischen Ländern beleuchtet Zdenka Stoklásková <strong>in</strong> ihrem Beitrag „Fremdse<strong>in</strong><br />

<strong>in</strong> Böhmen <strong>und</strong> Mähren“. Nach e<strong>in</strong>em Exkurs durch die Geschichte des Fremdenrechts<br />

stellt sie fest, daß Fremde <strong>in</strong> den böhmischen Ländern zu allen Zeiten e<strong>in</strong>e große<br />

Rolle gespielt <strong>und</strong> die böhmische Kultur stark geprägt haben. Doch der Status der<br />

Fremden differierte über die Jahrh<strong>und</strong>erte außerordentlich. Waren Fremde <strong>im</strong> Mittelalter<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong> der frühen Neuzeit als Kolonisten hochwillkommen, <strong>im</strong> 18. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

aufgr<strong>und</strong> der vorherrschenden Populationstheorie geschätzte E<strong>in</strong>wanderer, so wurde<br />

nach der Französischen Revolution das Mißtrauen gegen Fremde <strong>im</strong>mer stärker. Zu<br />

allen Zeiten aber wurde unterschieden zwischen nützlichen <strong>und</strong> schädlichen – <strong>in</strong> der<br />

Term<strong>in</strong>ologie des <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts: „unbedenklichen <strong>und</strong> gutges<strong>in</strong>nten“ <strong>und</strong> „bedenklichen<br />

<strong>und</strong> schlechtges<strong>in</strong>nten“ – Fremden. Zdenka Stoklásková untersucht akribisch<br />

die rechtliche Situation begünstigter <strong>und</strong> benachteiligter Fremder: Flüchtl<strong>in</strong>ge <strong>und</strong><br />

Emigranten, türkische Handelsleute, fremde Juden, fremde Militärangehörige, fremde<br />

Hausierer, Kurort- <strong>und</strong> Badegäste, fremde Kranke, fremde Vaganten, Musikanten ...<br />

Das zeitgenössische Fremdenrecht entfaltet sich vor uns <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em „Tableau“ von<br />

Identitäten <strong>und</strong> Unterschieden. Durch <strong>im</strong>mer fe<strong>in</strong>ere Unterscheidungen, durch e<strong>in</strong>e<br />

strenge Kategorisierung <strong>und</strong> Klassifizierung versuchte man – nicht zuletzt durch e<strong>in</strong><br />

ausgefeiltes Paßrecht <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e strenge Evidenz – die Angst vor dem Fremden zu bannen.<br />

Anhand e<strong>in</strong>zelner Aktenstücke des mährischen Landesarchivs gel<strong>in</strong>gt es, das besondere<br />

Schicksal etwa e<strong>in</strong>es französischen Geistlichen Ende des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts bei<br />

se<strong>in</strong>er Odyssee durch Mähren oder – am anderen Ende der Skala – das kokette Spiel<br />

e<strong>in</strong>er niederländischen Emigrant<strong>in</strong> mit den Behörden sichtbar zu machen. E<strong>in</strong>e andere<br />

Art des „Fremdse<strong>in</strong>s“ wird <strong>in</strong> der Analyse der Fabrik- <strong>und</strong> Lohnarbeiterprotokolle des<br />

Brünner Polizeipräsidiums deutlich. Anhand dieser umfangreichen Quelle, <strong>in</strong> der alle<br />

Personen erfaßt waren, die <strong>in</strong> Brünn arbeiteten, aber nicht he<strong>im</strong>atberechtigt waren,<br />

zeigt Zdenka Stoklásková, daß der Begriff „He<strong>im</strong>at“ für <strong>im</strong>mer mehr Arme zur bloßen<br />

Fiktion wurde, da die enge Auslegung der he<strong>im</strong>atrechtlichen Best<strong>im</strong>mungen –<br />

besonders seitens der großen Städte – ab Mitte des <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts verh<strong>in</strong>derte, daß<br />

mittellose Personen das He<strong>im</strong>atrecht <strong>in</strong> ihrer Wohngeme<strong>in</strong>de erlangten. E<strong>in</strong> wieder<br />

anderer Fremdheitsbegriff spiegelt sich <strong>in</strong> dem wider, was <strong>in</strong> der tschechischen Geschichtsforschung<br />

unter dem Schlagwort „Kont<strong>in</strong>uitätstheorie“ seit Generationen diskutiert<br />

wird. Zdenka Stokláskovás Interesse ist es nicht, diesen – letztlich wohl müßigen<br />

– Streit zu entscheiden, sondern darauf h<strong>in</strong>zuweisen, daß es unabhängig vom realen<br />

Status des Fremden auch e<strong>in</strong> Gefühl des Ewig-fremd-Bleibens geben kann, welches<br />

<strong>im</strong> Bewußtse<strong>in</strong> der <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Land zusammenlebenden verschiedenen Ethnien<br />

sogar über Jahrh<strong>und</strong>erte vorhanden se<strong>in</strong> <strong>und</strong> unter Umständen e<strong>in</strong>e gefährliche<br />

Sprengkraft entfalten kann.<br />

Grenze als „Lebenswelt“<br />

<strong>20</strong>3


Untersucht wurde e<strong>in</strong>erseits die (nach 1815) südliche Staatsgrenze zwischen Lombardo-Venetien<br />

<strong>und</strong> dem Kirchenstaat (Andrea Geselle) <strong>und</strong> andererseits die nordöstliche<br />

Staatsgrenze zwischen Galizien <strong>und</strong> Rußland (Svjatoslav Pacholkiv). Dabei stellen<br />

beide Autoren fest, daß die Staatsgrenze für die Grenzbewohner selbst erheblich<br />

leichter passierbar war als für andere Reisende. Paßloses – legales wie illegales –<br />

Überqueren der Grenze war lange Zeit möglich, <strong>in</strong>sbesondere für jene, die den Grenzwachen<br />

persönlich bekannt waren. Erst durch die rigorose Durchsetzung e<strong>in</strong>er lückenlosen<br />

Evidenzhaltung der Bevölkerung, die den Zweck hatte, unkontrollierte Abwanderungen,<br />

Flucht vor Konskription <strong>und</strong> Wehrdienst zu verh<strong>in</strong>dern, bekam die Staatsgrenze<br />

Bedeutung auch für die <strong>in</strong> der besonderen „Lebenswelt Grenze“ ansässige Bevölkerung.<br />

Dementsprechend wurden Fragen des lokalen Grenzverkehrs <strong>und</strong> die Regelung<br />

der sogenannten „Grenzzone“ allmählich zum Bestandteil bilateraler Grenzverträge,<br />

aus denen sich allmählich die völkerrechtlichen Normen des „kle<strong>in</strong>en<br />

Grenzverkehrs“ entwickelten. Doch <strong>in</strong> beiden Fällen dauerte es lange, bis die politische<br />

Staatsgrenze auch <strong>in</strong> den Köpfen der Menschen verankert war, bis sie von ihnen<br />

respektiert <strong>und</strong> als Lebensraum auch genutzt wurde.<br />

Fast paradox ersche<strong>in</strong>t das Ergebnis, daß gerade die Po-Grenze, die als „natürliche“<br />

Grenze am ehesten dem Idealbild von e<strong>in</strong>er Grenze <strong>im</strong> 18. Jahrh<strong>und</strong>ert entsprach<br />

– wie Andrea Geselle herausarbeitet –, wesentlich länger chaotisch <strong>und</strong> wenig kontrollierbar<br />

blieb als die „künstliche“ Grenze Galiziens, die durch Diktat der Großmächte<br />

<strong>im</strong> Zuge der polnischen Teilungen entstanden war. Diese war nicht nur<br />

Staatsgrenze, sondern wurde vielfach auch als Außengrenze Europas, als Trennl<strong>in</strong>ie<br />

zwischen Okzident <strong>und</strong> Orient empf<strong>und</strong>en. Markiert wurde sie nicht nur durch die üblichen<br />

Grenzste<strong>in</strong>e, Grenzwachen, Zollämter, sondern auch durch militärische Festungen<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong> diesen stationierte Truppen. Doch obwohl, wie Svjatoslav Pacholkiv<br />

anschaulich beschreibt, die neue Grenze „tief <strong>in</strong> die Ordnung des alltäglichen Lebens“<br />

e<strong>in</strong>griff, ganze Dörfer, Güter, Diözesen – die vertraute Lebenswelt von Polen, Ukra<strong>in</strong>ern<br />

<strong>und</strong> Juden dieser Region – zerteilte, wurde sie doch vermittels e<strong>in</strong>er durch Realismus<br />

<strong>und</strong> Kompromißbereitschaft gekennzeichneten „Politik der Grenze“ am Ende<br />

weitgehend von der Bevölkerung akzeptiert. Die Entstehung <strong>und</strong> das Werden der<br />

neuen Staatsgrenze <strong>in</strong> Galizien widerlegt schließlich auch die häufig geäußerte These,<br />

<strong>Grenzen</strong> müßten, um stabil zu se<strong>in</strong>, entweder natürlichen Gegebenheiten folgen (Gebirgskämmen,<br />

Flüssen) oder möglichst mit den ethnisch-kulturellen oder sprachlichen<br />

<strong>Grenzen</strong> übere<strong>in</strong>st<strong>im</strong>men. Das Beispiel der galizischen Grenze zeigt vielmehr, daß<br />

auch e<strong>in</strong>e durch politische Verträge zustande gekommene „künstliche“ Grenze stabil<br />

zu se<strong>in</strong> vermag, solange sie als nützlich angesehen <strong>und</strong> durch <strong>in</strong>ternationale Übere<strong>in</strong>künfte<br />

garantiert wird. Und noch e<strong>in</strong> weiterer „Mythos“, der <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> der polnischen<br />

Nationalgeschichtsschreibung <strong>und</strong> auch <strong>in</strong> der sowjetischen Geschichtsschreibung<br />

lange Zeit tradiert wurde, wird durch Pacholkiv dekonstruiert, daß nämlich<br />

die galizische Staatsgrenze ausschließlich den Interessen der als Fremdherrschaft<br />

charakterisierten österreichischen Monarchie gedient <strong>und</strong> der polnisch-nationalen Sache<br />

geschadet habe, ja, daß es sich <strong>im</strong> Fall Galiziens nur um e<strong>in</strong>e „kolonial ausgebeu-<br />

<strong>20</strong>4


tete Prov<strong>in</strong>z des Habsburgerstaates“ gehandelt habe. Pacholkivs Ansatz, die galizischrussische<br />

Grenze aus e<strong>in</strong>er „lebensweltlichen Perspektive“ – durchaus <strong>im</strong> S<strong>in</strong>ne der<br />

Phänomenologie Husserls – zu beschreiben, führt ihn zu ganz anderen Ergebnissen.<br />

Die zunächst willkürlich <strong>und</strong> ohne Rücksicht auf gewachsene Strukturen gezogene<br />

Staatsgrenze brachte für Galizien auch e<strong>in</strong>e andere Staatsordnung, die <strong>im</strong> Gegensatz<br />

zur früheren der polnischen Adelsrepublik stand, e<strong>in</strong>e Ordnung, die zugleich absolutistisch,<br />

aufgeklärt, anational <strong>und</strong> egalitär war. Die Grenze – Symbol <strong>und</strong> Bestandteil<br />

dieser neuen Ordnung – wurde durch <strong>in</strong>teraktives Handeln der Grenzbewohner nicht<br />

nur <strong>im</strong>mer wieder korrigiert, verändert <strong>und</strong> durchlässiger gemacht, sondern schuf<br />

durch E<strong>in</strong>grenzung auch e<strong>in</strong>e neue, spezifisch „galizische“ Kultur, <strong>in</strong> der das Recht<br />

auf Unterschied sich schließlich allen hegemonialen Bestrebungen widersetzte.<br />

Ebensfalls zum Projektschwerpunkt „Lebenswelten an der Grenze“ erstellte Pavel<br />

Cibulka e<strong>in</strong>e Mikrostudie über „E<strong>in</strong>e Herrschaft an der Grenze“, war doch die Herrschaftsgrenze<br />

lange Zeit jene Grenze, die <strong>im</strong> Leben der bäuerlichen untertänigen Bevölkerung<br />

die wichtigste Rolle spielte. Konkret geht es dabei um das liechtenste<strong>in</strong>sche<br />

Dom<strong>in</strong>ium L<strong>und</strong>enburg (Břeclav), das nicht nur e<strong>in</strong>e der bedeutendsten mährischen<br />

Herrschaften war, sondern das durch se<strong>in</strong>e besondere Lage <strong>im</strong> mährischniederösterreichisch-ungarisch<br />

(slowakischen) Grenzgebiet nicht nur Herrschaftsgrenze,<br />

sondern auch Landesgrenze war.<br />

Anhand der <strong>im</strong> Liechtenste<strong>in</strong>schen Archiv vorf<strong>in</strong>dlichen Aktenstücke: Passiersche<strong>in</strong>e,<br />

Entlaßsche<strong>in</strong>e, Ehekonsense etc. untersucht Pavel Cibulka besondere Formen<br />

der Mobilität sowie das Migrationsverhalten der Bevölkerung <strong>im</strong> Grenzgebiet. Dabei<br />

stellt er fest, daß sowohl legale als auch illegale Grenzüberschreitungen – Gesellenwanderung,<br />

Eheschließung, Handel, Auswanderung – von der Bevölkerung als Möglichkeit<br />

e<strong>in</strong>er realen oder auch bloß <strong>im</strong>ag<strong>in</strong>ierten Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse<br />

verstanden <strong>und</strong> wahrgenommen wurde. So führten hohe Robot- <strong>und</strong> andere<br />

Dienstleistungen auf dem liechtenste<strong>in</strong>schen Dom<strong>in</strong>ium – die mit der außerordentlichen<br />

Bautätigkeit der Liechtenste<strong>in</strong>er <strong>in</strong> Zusammenhang stehen dürften – zur Abwanderung<br />

der Bevölkerung vor allem nach Ungarn. „Fremde Werber“ sowie der enge<br />

Kontakt mit bereits ausgewanderten Verwandten, die <strong>in</strong> der Ferne „ihr Glück gemacht<br />

hatten“, ließen Ungarn Ende des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts vielfach als „das gelobte Land“ ersche<strong>in</strong>en,<br />

auch wenn, wie sich zeigte, die realen Verhältnisse dort oft härter waren als<br />

<strong>in</strong> der mährischen He<strong>im</strong>at. So kam es aufgr<strong>und</strong> von Anwerbung <strong>und</strong> der Tätigkeit e<strong>in</strong>es<br />

Paßfälschers <strong>im</strong> Jahr 1791 zu e<strong>in</strong>er regelrechten Massenflucht aus der l<strong>und</strong>enburgischen<br />

Gr<strong>und</strong>herrschaft nach Ungarn. Manche der illegal Ausgewanderten kehrten<br />

später enttäuscht zurück. Die Motive für die Emigration waren Ende des 18. <strong>und</strong> zu<br />

Beg<strong>in</strong>n des <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts überwiegend wirtschaftlicher (<strong>und</strong> nicht mehr religiöser)<br />

Natur. Abgesehen von der Auswanderung <strong>und</strong> Flucht vor dem Wehrdienst spielte die<br />

Landesgrenze – vor allem jene nach Niederösterreich – <strong>im</strong> Bewußtse<strong>in</strong> der Bevölkerung<br />

jedoch e<strong>in</strong>e eher untergeordnete Rolle. Pavel Cibulka entwickelt e<strong>in</strong>e besondere<br />

Hierarchie der <strong>Grenzen</strong>, bei der deutlich wird, daß die Grenze des eigenen Feldes, die<br />

Grenze der Geme<strong>in</strong>de (besonders <strong>im</strong> Falle der Verarmung), die Grenze der Gr<strong>und</strong>herrschaft,<br />

die Kreisgrenze (aber auch die Sprachgrenze) das Bewußtse<strong>in</strong> <strong>und</strong> das rea-<br />

<strong>20</strong>5


le Leben der Bevölkerung stärker best<strong>im</strong>mten als die Landesgrenze. Dennoch wurde<br />

der Lebensraum Grenze <strong>im</strong>mer schon als Chance, die engen Lebensverhältnisse zu<br />

verbessern, verstanden <strong>und</strong> genutzt. Die besondere Grenze mit Ungarn aber war – wie<br />

Pavel Cibulka feststellt – für die l<strong>und</strong>enburgischen Untertanen „Versprechen <strong>und</strong><br />

Drohung zugleich“.<br />

Andrea Komlosy stellt <strong>in</strong> ihrem Beitrag die Frage nach den „ökonomischen <strong>Grenzen</strong>“,<br />

die – so ihre These – häufig gegenläufig zu den politisch-adm<strong>in</strong>istrativen verliefen.<br />

Weiters stellt sie aus wirtschafts- <strong>und</strong> sozialhistorischer Perspektive Überlegungen<br />

zu den Ursachen regionaler Disparitäten an, die das Fallen der B<strong>in</strong>nenzollgrenzen<br />

<strong>und</strong> die dadurch ermöglichte volkswirtschaftliche Integration der österreichischen<br />

Länder – die Herstellung e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>zigen großen B<strong>in</strong>nenmarktes mit freiem Kapital-<br />

<strong>und</strong> Warenverkehr – eher verstärkt als gemildert hatte. Ihr Interesse gilt dabei vornehmlich<br />

den Zentrenbildungs- <strong>und</strong> Peripherisierungsprozessen, die durch staatliche<br />

E<strong>in</strong>griffe <strong>in</strong> die ökonomische Landschaft hervorgerufen wurden. Im Streit um die sogenannte<br />

„Rückständigkeitsthese“ (die Frage, ob der ökonomische Rückstand Österreichs-Ungarns<br />

gegenüber den entwickelteren westeuropäischen Industriestaaten <strong>im</strong><br />

Verlauf des <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts eher größer oder kle<strong>in</strong>er wurde) entwickelt Andrea<br />

Komlosy unter E<strong>in</strong>beziehung der jüngsten Debatte über die ungleiche regionale Entwicklung<br />

<strong>im</strong> Weltmaßstab als Voraussetzung für das kapitalistische Wirtschaftssystem<br />

(Immanuel Wallerste<strong>in</strong> <strong>und</strong> andere) die These, nach der die Peripherisierung der<br />

östlichen Regionen der Habsburgermonarchie nicht mehr „als auslösendes Moment<br />

für die Rückständigkeit gegenüber Westeuropa angesehen werden“ dürfe, sondern <strong>im</strong><br />

Gegenteil gerade als Voraussetzung für den Aufstieg <strong>und</strong> die Entwicklung e<strong>in</strong>iger<br />

wirtschaftlich besonders begünstigter Regionen (darunter ab Mitte des <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

auch die böhmischen Länder) nach westeuropäischem Muster. Peripherisierung<br />

überwiegend agrarisch oder kle<strong>in</strong>gewerblich strukturierter Regionen ist danach e<strong>in</strong><br />

notwendiger – <strong>und</strong> auch gewollter – Prozeß, um den Rückstand gegenüber den entwickelteren<br />

Industrieländern allmählich aufzuholen <strong>und</strong> das <strong>in</strong> Europa – <strong>in</strong> ökonomischer<br />

H<strong>in</strong>sicht – bestehende West-Ost-Gefälle schwächer werden zu lassen. Paß- <strong>und</strong><br />

Zollgesetzgebung als Instrumente e<strong>in</strong>er „Politik der <strong>Grenzen</strong>“ trugen dazu entscheidend<br />

bei.<br />

Literaturauswahl<br />

BRUBAKER, ROGERS: Staats-Bürger. Frankreich <strong>und</strong> Deutschland <strong>im</strong> historischen<br />

Vergleich, Hamburg 1994.<br />

FEBVRE, LUCIEN: „Frontière“ – Wort <strong>und</strong> Bedeutung, <strong>in</strong>: Das Gewissen des Historikers,<br />

hrsg. von ULRICH RAULFF, Berl<strong>in</strong> 1988, S. 27-38.<br />

FERRY, JEAN-MARC: Europäische Identität <strong>und</strong> europäischer Bürgerstatus, <strong>in</strong>: Projekt<br />

Europa. Postnationale Identität: Gr<strong>und</strong>lage für e<strong>in</strong>e europäische Demokratie?,<br />

hrsg. von NICOLE DEWANDRE <strong>und</strong> JACQUES LENOBLE, Berl<strong>in</strong> 1994, S. 111-118.<br />

<strong>20</strong>6


HABERMAS, JÜRGEN: Staatsbürgerschaft <strong>und</strong> nationale Identität, <strong>in</strong>: Faktizität <strong>und</strong><br />

Geltung, Frankfurt am Ma<strong>in</strong> 1992, S. 632-660.<br />

HEINDL, WALTRAUD: Gehorsame Rebellen. Bürokratie <strong>und</strong> Beamte <strong>in</strong> Österreich<br />

1780 bis 1848, Wien 1991.<br />

MEDICK, HANS: Zur politischen Sozialgeschichte der Grenze <strong>in</strong> der Neuzeit Europas,<br />

<strong>in</strong>: Sozialwissenschaftliche Informationen <strong>20</strong> (1991), S. 157-163.<br />

RATZEL, FRIEDRICH: Über allgeme<strong>in</strong>e Eigenschaften der geographischen <strong>Grenzen</strong><br />

<strong>und</strong> über die politische Grenze. Sonderdruck aus den Berichten der Königlich<br />

Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften. Sitzung am 6. Februar 1892.<br />

SAURER, EDITH: Straße, Schmuggel, Lottospiel. Materielle Kultur <strong>und</strong> Staat <strong>in</strong> Niederösterreich,<br />

Böhmen <strong>und</strong> Lombardo-Venetien <strong>im</strong> frühen <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>ert, Gött<strong>in</strong>gen<br />

1989.<br />

ULBRICH, CLAUDIA: Rhe<strong>in</strong>grenze, Revolten <strong>und</strong> Französische Revolution, <strong>in</strong>: Die<br />

Französische Revolution <strong>und</strong> die Oberrhe<strong>in</strong>lande, hrsg. von VOLKER RÖDEL, Sigmar<strong>in</strong>gen<br />

1991, S. 223-244.<br />

<strong>20</strong>7


Dörfer an der Grenze – Bericht von e<strong>in</strong>em<br />

österreichisch-tschechischen Forschungsprojekt<br />

von<br />

Hanns H a a s<br />

Das vorgestellte Forschungsprojekt verdankt se<strong>in</strong>e F<strong>in</strong>anzierung e<strong>in</strong>er Idee des österreichischen<br />

Wissenschaftsm<strong>in</strong>isteriums, das 1996 tausendjährige „<strong>Grenzen</strong>lose Österreich“<br />

durch die Vergabe von Forschungsprojekten zu würdigen. Der Leitl<strong>in</strong>ie des<br />

Milleniums entsprachen Thematik <strong>und</strong> Mitarbeiterstab. Insgesamt zwölf österreichische<br />

<strong>und</strong> tschechische Historiker sowie Ethnographen befaßten sich 1997 bis 1998<br />

mit der Grenze zwischen den Ländern Mähren <strong>und</strong> Niederösterreich bzw. der Tschechoslowakei<br />

<strong>und</strong> Österreich, <strong>und</strong> weil die deutsche Sprache an diesem Grenzabschnitt<br />

e<strong>in</strong>ige Dörfer weit nach Mähren reichte, zugleich auch mit der ethnischen deutschtschechischen<br />

Grenze auf mährischem Gebiet. 1 Dabei g<strong>in</strong>g es jedoch nicht bloß um<br />

Grenzbeziehungen <strong>im</strong> engeren S<strong>in</strong>ne, sondern um die tiefer liegende Integration der<br />

Bevölkerung <strong>in</strong> die jeweiligen nationalen bzw. nationalstaatlichen Kollektiva, also um<br />

die Nationalisierung der Grenzbevölkerung sowie um die Akzeptanz e<strong>in</strong>er nationalen<br />

Grenze <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er Staatsgrenze mitten durch e<strong>in</strong>e bis dah<strong>in</strong> „grenzenlose“ Soziallandschaft.<br />

Als Untersuchungse<strong>in</strong>heit wählte das Projekt e<strong>in</strong>en mikrogeschichtlichen Zugang,<br />

<strong>in</strong>dem es die soziale <strong>und</strong> kulturelle Tiefenwirkung der adm<strong>in</strong>istrativen <strong>und</strong> ethnischen<br />

<strong>Grenzen</strong> auf mehrere Grenzdörfer untersuchte. Während die Nationalismusforschung<br />

für gewöhnlich die Integration sozialer Substrate <strong>und</strong> Regionen zur gesellschaftlichen<br />

Großgruppe untersucht, 2 wählte das Projekt den umgekehrten Weg, die Prägekraft des<br />

Ethnischen <strong>und</strong> Nationalen <strong>im</strong> dörflichen Mikrokosmos zu untersuchen. Als Arbeits-<br />

1 Mitarbeiter am vorgestellten Forschungsprojekt „Verfe<strong>in</strong>dete Brüder an der Grenze: Böhmen/Mähren/Niederösterreich.<br />

Die Zerstörung der Lebense<strong>in</strong>heit ’Grenze‘ 1938 bis 1948“:<br />

Hanns Haas (Leiter), Niklas M. Perzi (Kautzen),<br />

Peter Mähner (Wien-Altenburg, Projektbetreuer), Franz Pötscher (Horn),<br />

Bohuslav Beneš (Brünn), Thomas Samhaber (Waidhofen),<br />

Jir=í Dvor=ák (C+eské Budĕjovice/Budweis), J<strong>in</strong>dr=ich Schwippel (Prag),<br />

Bruno Kirchner (Horn), Franz Weisz (Wien-Schwechat),<br />

Petr Mal<strong>in</strong>a (Znojmo/Zna<strong>im</strong>), Jir=í Z<strong>im</strong>ola (C+eské Budĕjovice/Bud-<br />

Ewald Hiebl (Salzburg) weis - jetzt Nová Bystr=ice/Neubistriz)<br />

2 Roots of Ethnic Mobilisation, ed. by DAVID HOWELL <strong>in</strong> collaboration with GERT VON PI-<br />

STOHLKORS and ELLEN WIEGANDT, Dartmouth 1992 (Comparative Studies on Governments<br />

an non-dom<strong>in</strong>ant Ethnic Groups <strong>in</strong> Europe. 1850-1940, 7).<br />

<strong>20</strong>9


hypothese diente die Annahme, daß der moderne Nationalismus <strong>im</strong> agrarischen Dorf<br />

nur partielle Deutungskompetenz <strong>und</strong> Ordnungskraft erlangte, soweit es den Notwendigkeiten<br />

<strong>und</strong> Interessen e<strong>in</strong>er Öffnung nach außen entsprach, während das Dorf sonst<br />

<strong>in</strong> allen wesentlichen Bereichen se<strong>in</strong>er sozialen Organisation <strong>und</strong> se<strong>in</strong>er kulturellen<br />

Comments e<strong>in</strong>er tradierten, wenngleich auch wandlungsfähigen agrarisch-dörflichen<br />

S<strong>in</strong>nordnung verpflichtet blieb. Methodisch komb<strong>in</strong>iert das Projekt e<strong>in</strong>en sozialgeschichtlichen<br />

mit e<strong>in</strong>em lebensweltlichen wahrnehmungsgeschichtlichen Zugang. 3<br />

Auf diese Weise wird der überschaubare dörfliche Sozialraum allseitig <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en wirtschaftlichen,<br />

sozialen, alltagsbezogenen <strong>und</strong> popularkulturellen Interdependenzen erfaßt.<br />

4 So lassen sich die Interessenskreise bzw. Netzwerke erkennen, <strong>in</strong> welchen Ordnungsideen<br />

tradiert werden <strong>und</strong>/oder auf das Dorf von außen e<strong>in</strong>wirken. Dieser Zugriff<br />

über das Lebensweltlich-Normative war unerläßlich. Denn erst auf der Ebene der<br />

Zuschreibung <strong>und</strong> S<strong>in</strong>ngebung lassen sich Fragen von ethnischer <strong>und</strong> nationaler<br />

Orientierung erörtern, erst hier greift die Nationalisierung als alternatives Organisationsmodell<br />

<strong>und</strong> Loyalitätsangebot zum Dorf. Etwas überspitzt könnte man formulieren,<br />

daß sich auf der Ebene des Dorfes gleichsam exper<strong>im</strong>entartig die beiden alternativen<br />

Gesellschaftsformen, die überschaubare dörfliche Lebenswelt <strong>und</strong> die <strong>im</strong>ag<strong>in</strong>ierte<br />

Nation, <strong>in</strong> Beziehung setzen lassen. Doch auch die Nachteile der mikrogeschichtlichen<br />

Betrachtung s<strong>in</strong>d nicht zu leugnen. Die Konzentration auf die kle<strong>in</strong>e<br />

Szenerie führt zu e<strong>in</strong>er S<strong>in</strong>gularisierung der Ergebnisse auf Kosten der Repräsentativität<br />

der Aussage. Je <strong>in</strong>tensiver man die Dörfer erforscht, desto <strong>in</strong>dividueller <strong>und</strong> unvergleichbarer<br />

werden sie. Erst wieder die Bezugnahme auf gleiche Analyseelemente,<br />

eben Sprachgebrauch, Ethnizität <strong>und</strong> Nationalität, erlaubt den Vergleich zwischen den<br />

e<strong>in</strong>zelnen <strong>in</strong>tegrierten Dorfe<strong>in</strong>heiten. 5 Gr<strong>und</strong>sätzlich geht es jedoch nicht darum nachzuforschen,<br />

wie sich die große Welt <strong>und</strong> die großen Tendenzen <strong>im</strong> kle<strong>in</strong>en widerspie-<br />

3 ALFRED SCHÜTZ: Der s<strong>in</strong>nhafte Aufbau der sozialen Welt. E<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>leitung <strong>in</strong> die verstehende<br />

Soziologie, Frankfurt/M. 1974; BERNHARD MIEBACH: Soziologische Handlungstheorie.<br />

E<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>führung, Opladen 1991; ERNST LANGTHALER: Das „E<strong>in</strong>zelne“ <strong>und</strong> das „Ganze“.<br />

Oder: Vom Versuch, die Geschichte der „He<strong>im</strong>at“ zu rekonstruieren, <strong>in</strong>: Unsere He<strong>im</strong>at<br />

63 (1992), S. 80 ff.<br />

4 HANS MEDICK: Mikro-Historie, <strong>in</strong>: Sozialgeschichte, Alltagsgeschichte, Mikro-Historie.<br />

E<strong>in</strong>e Diskussion, hrsg. von WINFRIED SCHULZE, Gött<strong>in</strong>gen 1994, S. 40-53; DERS.: Entlegene<br />

Geschichte? Sozialgeschichte <strong>und</strong> Mikro-Historie <strong>im</strong> Blickfeld der Kulturanthropologie,<br />

<strong>in</strong>: Alltagskultur, Subjektivität <strong>und</strong> Geschichte. Zur Theorie <strong>und</strong> Praxis von Alltagsgeschichte,<br />

hrsg. von der Berl<strong>in</strong>er Geschichtswerkstatt, Münster 1994, S. 94-109; DERS.: Weben<br />

<strong>und</strong> Überleben <strong>in</strong> Laich<strong>in</strong>gen 1650-1900. Lokalgeschichte als Allgeme<strong>in</strong>e Geschichte,<br />

Gött<strong>in</strong>gen 1996 (Veröff. des Max-Planck-<strong>Institut</strong>s für Geschichte, 126), S. 13-37.<br />

5 Parallelstudien zur lebensweltlichen Prägekraft der Grenze stehen wenige zur Verfügung:<br />

Bruchl<strong>in</strong>ie Eiserner Vorhang. Regionalentwicklung <strong>im</strong> österreichisch-ungarischen Grenzraum<br />

(Südburgenland/Oststeiermark-Westungarn), hrsg. von MARTIN SEGER <strong>und</strong> PAUL BE-<br />

LUSZKY, Wien u.a. 1993; TRAUDE HORVATH <strong>und</strong> EVA MÜLLER: „. . . Die Grenze ist für uns<br />

ganz normal“. Ausgewählte Ergebnisse e<strong>in</strong>es grenzüberschreitenden Forschungsprojektes,<br />

<strong>in</strong>: Hart an der Grenze. Burgenland <strong>und</strong> Westungarn, hrsg. von DENS., Wien 1992, S. 163-<br />

174.<br />

210


geln, sondern welche Lebenszusammenhänge das Dorf kennzeichnen <strong>und</strong> wie es mit<br />

der nationalen E<strong>in</strong>speisung zurechtkam.<br />

Der Untersuchungszeitraum umfaßte jenen Zeitraum der letzten achtzig Jahre, der<br />

durch lebensgeschichtliche Interviews, teils unter E<strong>in</strong>schluß der Familiengeschichte,<br />

noch abzudecken war. Parallel dazu erfolgten entsprechende Archivrecherchen sowie<br />

e<strong>in</strong>e umfangreiche Erfassung personenbezogener Daten aus den Volkszählungen 1910<br />

bis 1950. Fokussiert wurde dabei allerd<strong>in</strong>gs auf das tragische Jahrzehnt 1938-1948, <strong>in</strong><br />

welchem der Nationalismus überraschend auch <strong>im</strong> Untersuchungsgebiet die be<strong>in</strong>ahe<br />

une<strong>in</strong>geschränkte Deutungskompetenz erlangte <strong>und</strong> die Zerstörung der „Lebense<strong>in</strong>heit<br />

Grenze“ bewirkte. Die Folge waren die ethnischen Säuberungen der Jahre 1938<br />

bis 1948.<br />

Lebensweltlich orientierte Parallelstudien zur Tiefenwirkung von Nation <strong>und</strong><br />

Grenze gibt es bescheiden wenige. Auch die besten Lokalgeschichten verbleiben zumeist<br />

bei e<strong>in</strong>er Analyse politischer <strong>Institut</strong>ionen, Funktionäre <strong>und</strong> Maßnahmen. 6 Sie<br />

nehmen also ihren Ausgang be<strong>im</strong> Politischen <strong>und</strong> erreichen die lokale wirtschaftlichsoziale<br />

Ebene sowie die Alltagswelt nur am Rande, die örtlichen S<strong>in</strong>nordnungen<br />

kaum. Sonst lebensweltlich bzw. milieutheoretisch <strong>in</strong>spirierte Geschichte erfolgt <strong>in</strong><br />

großen Räumen <strong>und</strong> sozialen Zusammenhängen, <strong>in</strong>dem beispielsweise die Nationalisierung<br />

der französischen Bauern oder die politische Prägekraft des Lebensmodells<br />

Dorf <strong>in</strong> best<strong>im</strong>mten Regionen Deutschlands untersucht wird. 7 Die regionalgeschichtlich<br />

orientierten Grenzstudien befassen sich <strong>in</strong> aller Regel mit den Nachteilen <strong>und</strong><br />

Vorteilen periphärer Lage auf die Wirtschaftsstruktur. 8 E<strong>in</strong>e von geographischen <strong>und</strong><br />

soziologischen Paradigmen bee<strong>in</strong>flußte Studie zum „nationalen Differenzierungsprozeß<br />

am Beispiel ausgewählter Orte <strong>in</strong> Kärnten <strong>und</strong> <strong>im</strong> Burgenland“ behandelt die<br />

Strukturzusammenhänge zwischen Wirtschaft, Marktbeziehungen <strong>und</strong> politischer Organisierung,<br />

nicht auch Prozesse der Wahrnehmung <strong>und</strong> subjektiven Identität, wie also<br />

Sozialstruktur auf die kulturelle ethnische Orientierung e<strong>in</strong>wirkt. Nur wenige<br />

Dorfmonographien s<strong>in</strong>d auf dem Umweg über lebensgeschichtliche Interviews bis auf<br />

die Ebene privater <strong>und</strong> gruppenspezifischer S<strong>in</strong>nordnungen vorgestoßen <strong>und</strong> können<br />

daher analog zum vorliegenden Projekt die nationale E<strong>in</strong>speisung <strong>in</strong> dörflich-<br />

6 OSWALD ÜBEREGGER: Freienfeld unterm Liktorenbündel. E<strong>in</strong>e Fallstudie zur Geschichte<br />

der Südtiroler Geme<strong>in</strong>den unter dem Faschismus, hrsg. von RICHARD SCHOBER, Innsbruck<br />

1996; Das Frankenfelser Buch, hrsg. von BERNHARD GAMSJÄGER <strong>und</strong> ERNST LANGTHALER,<br />

Frankenfels 1997.<br />

7 JAMES R. LEHNING: Peasant and French. Cultural contact <strong>in</strong> rural France dur<strong>in</strong>g the n<strong>in</strong>eteenth<br />

century, Cambridge 1995; WOLFRAM PYTA: Dorfgeme<strong>in</strong>schaft <strong>und</strong> Parteipolitik<br />

1918-1933. Die Verschränkung von Milieu <strong>und</strong> Parteien <strong>in</strong> den protestantischen Landgebieten<br />

Deutschlands <strong>in</strong> der We<strong>im</strong>arer Republik, Düsseldorf 1996 (Beiträge zur Geschichte<br />

des Parlamentarismus <strong>und</strong> der politischen Parteien, Bd. 106); SIEGFRIED WEICHLEIN <strong>in</strong>:<br />

Sozialmilieus <strong>und</strong> politische Kultur <strong>in</strong> der We<strong>im</strong>arer Republik, Gött<strong>in</strong>gen 1996 (Kritische<br />

Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 115).<br />

8 ANDREA KOMLOSY: Räume <strong>und</strong> <strong>Grenzen</strong>. Zum Wandel von Raum, Politik <strong>und</strong> Ökonomie<br />

vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> moderner Staatenbildung <strong>und</strong> weltwirtschaftlicher Globalisierung, <strong>in</strong>:<br />

Zeitgeschichte 22 (1995), S. 385-404.<br />

211


agrarische Sozialzusammenhänge <strong>und</strong> S<strong>in</strong>nstrukturen untersuchen. 9 Am nächsten<br />

kommen dem hier gewählten Ansatz jedoch ethnograpische Untersuchungen, die sich<br />

teils mit e<strong>in</strong>zelnen Elementen kultureller Praxis <strong>im</strong> Dorfkontext befassen <strong>und</strong> teils<br />

kulturelle Interferenzen bzw. allumfassende Strukturunterschiede zwischen M<strong>in</strong>derheitendörfern<br />

untersuchen. 10 Andere Spezialuntersuchungen wieder gruppieren um<br />

e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>zelfall den dörflichen „Eigens<strong>in</strong>n“. 11 Nur ausschnittsweise behandeln kollektivbiographische<br />

Ansätze auch Aspekte dörflichen Zusammenlebens. 12 Weitgehend<br />

parallel zu Denkannahmen <strong>und</strong> Ergebnissen des Projektes ist e<strong>in</strong>e kurze tschechische<br />

Studie zu e<strong>in</strong>em se<strong>in</strong>erzeit zweisprachigen mittelmährischen Dorf. 13 Während<br />

9<br />

Blatten. E<strong>in</strong> Dorf an der Grenze, hrsg. von JOHANNES MOSER <strong>und</strong> ELISABETH KATSCHNIG-<br />

FLATSCH (Kuckuck. Sonderband 2/1992); Pári. Über das Leben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ungardeutschen<br />

Dorf, hrsg. von LEANDER PETZOLDT, INGO SCHNEIDER <strong>und</strong> PETRA STRENG, Innsbruck<br />

1996; HERBERT SCHWEDT: Nemesnádudwar-Nadwar. Leben <strong>und</strong> Zusammenleben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

ungardeutschen Geme<strong>in</strong>de, Marburg 1990; VÁCLAV FROLEC: Horní Ve=stonice [Oberwisternitz],<br />

Brno 1984; viele weitere Detailstudien <strong>in</strong>: DERS.: Malorolnické a záhumenkové<br />

hospodar=ení v jihomoravské pohranic=ní vesnici [Kle<strong>in</strong>bäuerliche <strong>und</strong> private Hofwirtschaft<br />

<strong>im</strong> südmährischen Grenzdorf], <strong>in</strong>: Jiz=ní Morava 15 (1979), S. 81-89; DERS.: Zvyková tradice<br />

v z=ivote= jihomoravské pohranic=ní obce [Sittentradition <strong>im</strong> Leben des südmährischen<br />

Grenzdorfes], <strong>in</strong>: Jiz=ní Morava 12 (1976), S. 91-104; Socializace vesnice a prome=ny lidové<br />

kultury [Sozialisation des Dorfes <strong>und</strong> Wandlungen der Volkskultur], bearb. von VÁCLAV<br />

FROLEC (Uherské Hradište= 1, Pr=ehledy výsledku` výzkumu), Uherské Hradištĕ 1981; Socializace<br />

vesnice a prome=ny lidové kultury [Sozialisation des Dorfes <strong>und</strong> Wandlungen der<br />

Volkskultur], bearb. von VÁCLAV FROLEC (Uherské Hradište= 2, Sborník materiálu` z II.<br />

Sem<strong>in</strong>ár=e „Socializace Vesnice a Prome=ny Lidové Kultury v Jihomoravském Kraji“ 26.-<br />

27.1.1982 Stráz=nice), Uherské Hradište= 1983; Socializace vesnice a prome=ny lidové kultury<br />

[Sozialisation des Dorfes <strong>und</strong> Wandlungen der Volkskultur], bearb. von VÁCLAV FRO-<br />

LEC (Uherské Hradište= 3, Sborník materiálu` z III. Sem<strong>in</strong>ár=e „Socializace Vesnice a<br />

Prome=ny Lidové Kultury v Jihomoravském Kraji“ 31.3.-1.4.1983 Kromer=íž)=, Uherské<br />

Hradište= 1984.<br />

10<br />

JOHN W. COLE, ERIC R. WOLFE: Die unsichtbare Grenze. Ethnizität <strong>und</strong> Ökologie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Alpental, Bozen 1995.<br />

11<br />

H. INHETVEEN: Staatliche Macht <strong>und</strong> dörfliche Ehre: Die Geschichte e<strong>in</strong>es Ortsbauernführers,<br />

<strong>in</strong>: Krise ländlicher Lebenswelten. Analysen, Erklärungsansätze <strong>und</strong> Lösungsperspektiven,<br />

hrsg. von KLAUS M. SCHMALS <strong>und</strong> RÜDIGER VOIGT, New York 1986, S. 163-189.<br />

12<br />

UTA MÜLLER-HANDL: „Die Gedanken laufen oft zurück . . .“. Flüchtl<strong>in</strong>gsfrauen er<strong>in</strong>nern<br />

sich an ihr Leben <strong>in</strong> Böhmen <strong>und</strong> Mähren <strong>und</strong> an den Neuanfang <strong>in</strong> Hessen nach 1945,<br />

Wiesbaden 1993 (Forschungen zur Integration der Flüchtl<strong>in</strong>ge <strong>und</strong> Vertriebenen <strong>in</strong> Hessen<br />

nach 1945, Bd. 3); INGRID KAISER-KAPLANER: Die Sachsen <strong>und</strong> Landler <strong>in</strong> Siebenbürgen.<br />

Dargestellt anhand von Chroniken <strong>und</strong> erzählten Er<strong>in</strong>nerungen, Klagenfurt, Wien u.a. 1996<br />

(Studia Car<strong>in</strong>thiaca Slovenica, Bd. 11); DIES.: Gottscheer Frauenschicksale <strong>im</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert.<br />

E<strong>in</strong>e sozialgeschichtliche Untersuchung Vertriebener anhand narrativer Quellen, <strong>in</strong>:<br />

Flucht <strong>und</strong> Vertreibung. Zwischen Aufrechnung <strong>und</strong> Verdrängung, hrsg. von ROBERT<br />

STREIBEL, Wien 1994, S. 237-256.<br />

13<br />

VERA FROLCOVÁ: Vztahy C+echu` a Ne=mcu` v pr=íme=stké obci Moravany u Brna v názorech a<br />

zkus=enostech dvou generací [Die Beziehungen zwischen Tschechen <strong>und</strong> Deutschen <strong>in</strong> der<br />

vorstädtischen Geme<strong>in</strong>de Moravany bei Brünn <strong>in</strong> den Ansichten <strong>und</strong> den Erfahrungen<br />

212


die Zeitgeschichtsschreibung der Lebense<strong>in</strong>heit Dorf nur ger<strong>in</strong>ge Bedeutung e<strong>in</strong>räumt,<br />

profitieren Fachleute zu älteren Geschichtsperioden vielfach von der Gegenüberstellung<br />

dörflicher B<strong>in</strong>nenlogik <strong>und</strong> staatlichen Vorgaben. Vor allem bei solchen<br />

Studien konnte das Projekt entsprechende Anleihen nehmen. 14<br />

Funktionale Integration: Höfe <strong>und</strong> Dorf<br />

Im sozialgeschichtlichen Abschnitt n<strong>im</strong>mt das Projekt vielfach Anleihe bei der historischen<br />

Agrarsoziologie, welche die Formen ländlicher Familienwirtschaft auf ökologische<br />

Voraussetzungen von Topographie <strong>und</strong> Produktenpalette bezieht. 15 Die Dorfstrukturen<br />

s<strong>in</strong>d zwar nicht mit gleicher Intensität, aber doch anhand von Fallbeispielen<br />

aus unterschiedlichen Bereichen behandelt, so daß der Zusammenhang zum Ökotypus<br />

erkennbar wird. Die Auswahl der untersuchten Dörfer erfolgte nach den dort<br />

entwickelten Kriterien, <strong>in</strong>dem jeweils Dörfer <strong>in</strong> der We<strong>in</strong>bauzone, <strong>im</strong> ertragreichen<br />

zweier Generationen], <strong>in</strong>: Etnické procesy v nove= osídlených oblastech na Morave=. Na<br />

pr=íklade= vybraných obcí v jihomoravském a severomoravském kraji, hrsg von ALEXANDRA<br />

NAVRATÍLOVÁ s kolektivem, Brno 1986, S. 139-145.<br />

14 Vgl. dazu MICHAEL FRANK: Dörfliche Gesellschaft <strong>und</strong> Kr<strong>im</strong><strong>in</strong>alität. Das Fallbeispiel Lippe<br />

1650-1800, Paderborn u.a. 1995; K. WRIGHTSON: Two concepts of order: Justices and<br />

juryman <strong>in</strong> seventeenth-century England, <strong>in</strong>: An ungovernable people, hrsg. von J. BREWER<br />

<strong>und</strong> J. STYLES, London 1980, S. 21-46.<br />

15 MICHAEL MITTERAUER: Formen ländlicher Familienwirtschaft. Historische Ökotypen <strong>und</strong><br />

familiale Arbeitsorganisation <strong>im</strong> österreichischen Raum, <strong>in</strong>: Familienstruktur <strong>und</strong> Arbeitsorganisation<br />

<strong>in</strong> ländlichen Gesellschaften, hrsg. von JOSEF EHMER <strong>und</strong> MICHAEL MITTE-<br />

RAUER, Wien u.a. 1986, S. 185-323; NORBERT ORTMAYR: Woodland Peasants. Ecological<br />

adaption <strong>in</strong> an Austrian peasant community 1870-1938, <strong>in</strong>: Ethnologia Europaea, Kopenhagen<br />

1989, S. 105-124; DERS.: Amerikaner <strong>in</strong> den Alpen. Historisch-kulturanthropologische<br />

Studien über die alpenländische Gesellschaft, <strong>in</strong>: Clios Rache. Neue<br />

Aspekte strukturgeschichtlicher <strong>und</strong> theoriegeleiteter Geschichtsforschung <strong>in</strong> Österreich,<br />

hrsg. von KARL KASER <strong>und</strong> KARL STOCKER, Wien u.a. 1992, S. 131-150; CLEMENS ZIM-<br />

MERMANN: Dorf <strong>und</strong> Land <strong>in</strong> der Sozialgeschichte, <strong>in</strong>: Sozialgeschichte <strong>in</strong> Deutschland, Bd<br />

2, Handlungsräume des Menschen <strong>in</strong> der Geschichte, Gött<strong>in</strong>gen 1986, S. 90-112; VITTORIO<br />

CASTELLANO: Il Paese. Values and social change <strong>in</strong> an Italian village, New York 1974;<br />

LAURENCE WYLIE: Dorf <strong>in</strong> der Vaucluse. Der Alltag e<strong>in</strong>er französischen Geme<strong>in</strong>de, Stuttgart<br />

1969; KURT WAGNER: Leben auf dem Lande <strong>im</strong> Wandel der Industrialisierung. „Das<br />

Dorf war früher auch ke<strong>in</strong>e heile Welt“. Die Veränderung der dörflichen Lebensweise <strong>und</strong><br />

der politischen Kultur <strong>im</strong> H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> der Industrialisierung – am Beispiel des nordhessischen<br />

Dorfes Körle, Frankfurt Ma<strong>in</strong> 1986; UTZ JEGGLE: Kieb<strong>in</strong>gen – e<strong>in</strong>e He<strong>im</strong>atgeschichte.<br />

Zum Prozeß der Zivilisation <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em schwäbischen Dorf, Tüb<strong>in</strong>gen 1977; ALBERT ILI-<br />

EN, UTZ JEGGLE: Leben auf dem Dorf. Zur Sozialgeschichte des Dorfes <strong>und</strong> zur Sozialpsychologie<br />

se<strong>in</strong>er Bewohner, Opladen 1978; HARRIET G. ROSENBERG: A Negotiated World:<br />

Three Centuries of Change <strong>in</strong> a French Alp<strong>in</strong>e Community, Toronto u.a. 1988; PIER PAOLO<br />

VIAZZO: Upland communities. Environment, population and social structure <strong>in</strong> the Alps<br />

s<strong>in</strong>ce the sixteenth century, Cambridge u.a. 1989.<br />

213


Weizenanbaugebiet <strong>und</strong> <strong>in</strong> der gemischtwirtschaftlichen Acker/Viehwirtschaft/<br />

Waldwirtschaft ausgewählt wurden. Zusätzlich zu diesen re<strong>in</strong>en Agrardörfern wurden<br />

Dörfer mit gemischter agrarisch-<strong>in</strong>dustrieller Struktur <strong>und</strong> bescheidenen zentralörtlichen<br />

Funktionen ausgewählt. In diesem Falle dienten Arbeiten zur <strong>in</strong>dustriellen Diaspora<br />

<strong>in</strong> agrarischem Umfeld als Referenzliteratur. 16<br />

Der ökologische Typus bed<strong>in</strong>gte e<strong>in</strong>e erstaunliche Variationsbreite des bäuerlichen<br />

Wirtschaftens <strong>und</strong> der Dorfgesellschaft, <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> bezug auf Hofgrößen<br />

<strong>und</strong> Rekrutierung der Arbeitskräfte mit entsprechenden Auswirkungen auf die ethnischen<br />

Verhältnisse. In den Dörfern mit We<strong>in</strong>bau <strong>und</strong> Gemüsekulturen begegnen wir<br />

dem Familienbetrieb <strong>und</strong> aufgr<strong>und</strong> der marktorientierten Intensivkulturen vielfach<br />

sehr kle<strong>in</strong>en lebensfähigen Hofstellen. Nur wenige größere Bauern beschäftigten hier<br />

Dienstboten. Für saisonale Spitzen standen e<strong>in</strong>ige Tagwerker <strong>und</strong> Kle<strong>in</strong>häusler des<br />

eigenen Ortes zur Verfügung. Zur Ernte oder Lese kamen zusätzlich Saisonarbeiter<br />

aus dem Landes<strong>in</strong>nern oder der Slowakei. Im Soziotop We<strong>in</strong>baudorf herrschte de facto<br />

Realteilung, <strong>in</strong>dem alle K<strong>in</strong>der erbten <strong>und</strong> lebensfähige Höfe zumeist durch Heirat<br />

zustandekamen, was die Heiratskreise auf wenige benachbarte Dörfer, <strong>und</strong> zwar auch<br />

jenseits der Landes- bzw. Staatsgrenze zu Österreich, e<strong>in</strong>engte. Die We<strong>in</strong>baudörfer<br />

waren daher durch e<strong>in</strong> hohes Maß an Endogamie <strong>und</strong> enge Verwandtschaftsbeziehungen<br />

gekennzeichnet. In diesen Dörfern f<strong>in</strong>den wir kaum Zuwanderung, da bei wirtschaftlichen<br />

Schwierigkeiten nie ganze Hofstellen, sondern allenfalls e<strong>in</strong>zelne<br />

Gr<strong>und</strong>stücke an Dorfgenossen oder Bauern der Nachbargeme<strong>in</strong>den verkauft wurden<br />

<strong>und</strong> auf dem Restgut e<strong>in</strong>e Komb<strong>in</strong>ation von kle<strong>in</strong>bäuerlicher Intensivkultur <strong>und</strong> Taglöhnerarbeit<br />

die agrarische Existenz sicherte. Unter diesen Verhältnissen fehlte <strong>in</strong><br />

Gnadlersdorf/Hnanice jeder wirtschaftliche Anreiz für e<strong>in</strong>e tschechische Zuwanderung.<br />

Erst die Zollstation brachte <strong>in</strong> den Zwanzigerjahren die Präsenz tschechischer<br />

Staatsfunktionäre. Ähnliche Verhältnisse herrschten <strong>im</strong> bäuerlichen Sektor des gemischt<br />

agrarisch-proletarischen Nachbarortes Schattau/« atov.<br />

Im Weizenanbaugebiet der mährischen Hochebene tradierte das streng e<strong>in</strong>gehaltene<br />

Anerbenrecht die Beibehaltung der Hofgrößen als Voraussetzung für extensive<br />

Kulturen. In Notzeiten konnte man allenfalls partiell alternative Erwerbszweige suchen,<br />

beispielsweise die Viehaufzucht. Bei existentiellen Schwierigkeiten mußten jedoch<br />

die Höfe verkauft werden, teils an die Dorfgenossen, teils an Interessenten deutscher<br />

bzw. tschechischer Nachbardörfer, teils an tschechische Interessenten des B<strong>in</strong>nenlandes,<br />

während e<strong>in</strong>e Zuwanderung aus Niederösterreich nicht festzustellen ist. In<br />

der Ackerbauzone bestand auch ke<strong>in</strong> wirtschaftlicher Gr<strong>und</strong> für dörfliche Endogamie,<br />

wenn auch <strong>im</strong>mer noch mehr als die Hälfte der Ehegatten aus den Dörfern selbst <strong>und</strong><br />

e<strong>in</strong> weiterer hoher Prozentsatz aus den Nachbardörfern stammten. Die engen Heiratskreise<br />

waren eben auch kulturell bed<strong>in</strong>gt, da die Dorfburschen fremde Bewerber nur<br />

16 Die Roten am Land. Arbeitsleben <strong>und</strong> Arbeiterbewegung <strong>im</strong> westlichen Österreich, hrsg.<br />

von KURT GREUSSING, Steyr 1989; Zeit-gerecht. 100 Jahre katholische Soziallehre, hrsg.<br />

von EMMERICH TÁLOS <strong>und</strong> ALOIS RIEDLSPERGER, Steyr 1991; SYLVIA HAHN, WOLFGANG<br />

MADERTHANER, GERALD SPRENGNAGEL: Aufbruch <strong>in</strong> der Prov<strong>in</strong>z. Niederösterreichische<br />

Arbeiter <strong>im</strong> <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>ert, Wien 1989.<br />

214


sehr ungern <strong>und</strong> nach langen Kämpfen um „ihre“ Dorfmädchen akzeptierten <strong>und</strong> erst<br />

e<strong>in</strong>e großzügige Spende das „E<strong>in</strong>kaufen“ <strong>in</strong>s Dorf ermöglichte. Die relativ umfangreichen<br />

Bauernhöfe der Ackerbauzone, die ab e<strong>in</strong>er Größe von 10 ha lebensfähig waren,<br />

erforderten relativ viele familienfremde Dienstboten, vor allem <strong>in</strong> jenen Generationenausschnitten,<br />

<strong>in</strong> denen die eigenen K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> die Alten als Arbeitskräfte ausfielen.<br />

Auch <strong>in</strong> deutschen Dörfern begegnen wir vielen tschechischen Dienstboten,<br />

von denen wiederum e<strong>in</strong>ige <strong>in</strong> Bauernhöfe e<strong>in</strong>heirateten. Die erhebliche tschechische<br />

Zuwanderung <strong>in</strong>s Weizenanbaugebiet hat also vornehmlich wirtschaftliche Gründe,<br />

wenn auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen Fällen die Mithilfe nationaler tschechischer Organisationen<br />

nicht auszuschließen ist. Auf diese Weise wurde etwa das an der Grenze der beiden<br />

Landessprachen liegende ehemals deutsche Baumöhl/Podmolí <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em mehrere Generationen<br />

dauernden Prozeß tschechisch majorisiert. Das tschechische Masovice/Groß<br />

Maispitz <strong>und</strong> das deutsche Luggau/Lukov blieben jedoch bis zuletzt e<strong>in</strong>sprachig.<br />

Nur zwei tschechische Bauern, e<strong>in</strong> tüchtiger <strong>und</strong> e<strong>in</strong> wirtschaftlich glückloser,<br />

wanderten <strong>in</strong> Luggau zu.<br />

Sehr komplexe Verhältnisse herrschten <strong>in</strong> der Untersuchungszone um Böhmisch<br />

Rudoletz. Hier ist e<strong>in</strong> langes Nebene<strong>in</strong>ander von bäuerlicher Subsistenzwirtschaft <strong>und</strong><br />

Industrie mit entsprechender Instabilität der wirtschaftlichen Strukturen <strong>und</strong> ethnischen<br />

Verhältnisse festzustellen. So bewirkte zuerst die blühende eisenverarbeitende<br />

Industrie e<strong>in</strong>e gewisse tschechische Zuwanderung <strong>in</strong> das bis dah<strong>in</strong> ganz deutsche <strong>in</strong>dustriell-agrarische<br />

Dorf Unter-Radischen – 1871 kam das erste Haus <strong>in</strong> tschechische<br />

Hände. Gravierender aber war die Abwanderung vieler deutscher „Industriebauern“<br />

nach dem Ende der örtlichen Eisen<strong>in</strong>dustrie um 1900 <strong>und</strong> der Aufkauf ihrer bescheidenen<br />

Höfe durch tschechische Zuwanderer. Gr<strong>und</strong>sätzlich hielt auch die re<strong>in</strong> familienwirtschaftlich<br />

geführte waldbäuerliche Subsistenzwirtschaft Südwestmährens zur<br />

Erhaltung des Hofes am Anerbenrecht fest, so daß nur wenige Dienstboten benötigt<br />

wurden. Doch die niederösterreichischen Ballungszentren übten weiterh<strong>in</strong> starke Anziehungskraft<br />

auf die deutschen Kle<strong>in</strong>bauern aus, die bei ökonomischen<br />

Schwierigkeiten ihre Höfe verkauften, was weitere Schübe tschechischer<br />

Zuwanderung aus der Böhmisch-Mährischen Höhe brachte, die letzte unmittelbar<br />

nach dem Ersten Weltkrieg. Zuletzt war Unter-Radischen <strong>in</strong> den Zwanzigerjahren<br />

schon überwiegend tschechisch. Oberradischen war ohneh<strong>in</strong> schon länger ethnisches<br />

Überlagerungsgebiet mit zuletzt nur noch vier deutschen Familien. Außerdem<br />

entwickelten sich <strong>im</strong> 18. <strong>und</strong> <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>ert aus Holzfällersiedlungen neue<br />

tschechische Dörfer, beispielsweise Neuwelt/Nový Svet. Die Änderung der<br />

ethnischen Verhältnisse war jedenfalls e<strong>in</strong>e Folge wirtschaftlicher Schubkräfte,<br />

wenngleich auch nationale Schutzverbände den tschechischen Bauern Kredite zum<br />

Ankauf der Höfe vermittelten, was die nicht m<strong>in</strong>der eifrige nationale deutsche<br />

Bodenpolitik Überall begegnen nicht <strong>im</strong>mer wir verh<strong>in</strong>dern der familialen konnte. Hofwirtschaft, <strong>in</strong> den We<strong>in</strong>baudörfern er-<br />

gänzt durch verwandtschaftliche oder nachbarschaftliche Hilfeleistung sowie Taglöhner.<br />

In der Ges<strong>in</strong>dewirtschaft des Weizenanbaugebietes spielten die Taglöhner e<strong>in</strong>e<br />

etwas ger<strong>in</strong>gere Rolle, mehr <strong>in</strong> Luggau als <strong>in</strong> Groß-Maispitz <strong>und</strong> Baumöhl. Behauste<br />

<strong>und</strong> unbehauste Taglöhner sowie Kle<strong>in</strong>bauern waren stets an der funktionalen Integra-<br />

215


tion beteiligt, <strong>in</strong>dem sie ihre Arbeitskraft gegen Naturallohn bzw. Geld oder gegen<br />

Spann- <strong>und</strong> Fuhrdienste zur Bearbeitung ihrer kle<strong>in</strong>en Felder zur Verfügung stellten.<br />

In seltenen Fällen mußten Taglöhnerfamilien sogar „um den Z<strong>in</strong>s arbeiten“. 17 Be<strong>in</strong>ahe<br />

alle Dorfgenossen verfügten über e<strong>in</strong> Haus <strong>und</strong> e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Gr<strong>und</strong>stück. Nur die spät<br />

zugewanderten Staatsbeamten <strong>und</strong> Lehrer sowie e<strong>in</strong>zelne Inleute verfügten oft nicht<br />

über Haus <strong>und</strong> Acker. Was die waldbäuerliche Zone anbelangt, so bewirkte die Reagrarisierung<br />

der Industriedörfer e<strong>in</strong>e starke Aufsplitterung auf unterschiedliche Hofgrößen,<br />

wobei doch noch e<strong>in</strong>e ethno-soziale Struktur zu erkennen ist, da die größeren<br />

Hofstellen zumeist, aber nicht ausschließlich den Deutschen gehörten, die tschechischen<br />

Zuwanderer h<strong>in</strong>gegen vornehmlich Kle<strong>in</strong>landwirte <strong>und</strong> behauste Taglöhner waren,<br />

welche nicht nur bei den Bauern, sondern vor allem <strong>im</strong> Staatsforst Beschäftigung<br />

fanden. Diese ethno-soziale Schichtung ist sonst jedoch <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Falle nachzuweisen.<br />

Sie spielt auch ke<strong>in</strong>e Rolle <strong>im</strong> tschechisch überschichteten Dorf Baumöhl des<br />

Weizenanbaugebietes.<br />

Die räumliche B<strong>in</strong>nengliederung entspricht <strong>in</strong> den We<strong>in</strong>baudörfern der Besitzstruktur.<br />

In Gnadlersdorf gehörte die Dorfmitte den größeren <strong>und</strong> mittleren Bauern;<br />

an den Ausfallstraßen entlang siedelten Kle<strong>in</strong>bauern <strong>und</strong> Arbeiter. E<strong>in</strong> neuer Dorfteil,<br />

das Außerort, war sozial gemischt – e<strong>in</strong>e Folge der Realteilung. Schattau war sozialräumlich<br />

r<strong>in</strong>gförmig geschichtet. Hier umschlossen die stattlichen Anwesen der W<strong>in</strong>ter-<br />

<strong>und</strong> Sommerseite den breiten Anger, der den Bach entlang auf beiden Seiten<br />

durch Kle<strong>in</strong>häusler <strong>und</strong> kle<strong>in</strong>e Gewerbetreibende verbaut war. Ganz abseits <strong>in</strong> Richtung<br />

Bahnhof entwickelte sich das Industriedorf. Das Ackerbaudorf Luggau war e<strong>in</strong><br />

Dorfzwill<strong>in</strong>g: auf der e<strong>in</strong>en Seite das alte Bauerndorf der Mittelbauern <strong>und</strong> anschließend<br />

die neuzeitliche Kle<strong>in</strong>bauernsiedlung Luggau-Neudörfl. In den ethnisch überlagerten<br />

Dörfern Baumöhl sowie <strong>in</strong> den Waldbauerndörfern lebten Kle<strong>in</strong>- <strong>und</strong> Mittelbauern<br />

ganz unsystematisch <strong>im</strong> Gemenge. Nirgends f<strong>in</strong>det sich jedoch <strong>in</strong> den Bauerndörfern<br />

e<strong>in</strong>e räumliche Separierung der beiden Ethnien auf Dorfviertel oder Häuserzeilen.<br />

Die Angehörigen der beiden Volksgruppen lebten vermischt Hof an Hof, Haus<br />

an Haus, wie es Kauf oder E<strong>in</strong>heirat mit sich brachten. E<strong>in</strong>e Ausnahme bildete lediglich<br />

der erst <strong>in</strong> der Zwischenkriegszeit entstandene Dorfteil Auf der Heide/Na Hátech<br />

des Dorfes Baumöhl, wo der tschechische Gendarm, der F<strong>in</strong>anzbeamte, der Förster<br />

<strong>und</strong> Forstarbeiter wohnten. In Gnadlersdorf h<strong>in</strong>gegen waren die Grenzer <strong>im</strong> Zollhaus<br />

konzentriert <strong>und</strong> ihre Beziehungen zur schmalen tschechischen Dorfarmut relativ lokker.<br />

In Böhmisch Rudoletz entstand um die tschechische Bürgerschule e<strong>in</strong> zweites<br />

Ortszentrum für Lehrpersonal <strong>und</strong> Staatsbeamte. Auch das mehrheitlich tschechische<br />

Industrieviertel von Schattau lag abseits des deutschen Bauerndorfes. In allen diesen<br />

beiden Fällen folgte jedoch die ethnische Segmentierung der sozialen Untergliederung.<br />

Die wirtschaftliche B<strong>in</strong>nenorientierung der Dörfer bezog sich <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie auf<br />

die Produktion. Was den Absatz anbelangt, so waren die Dörfer <strong>in</strong> unterschiedlichem<br />

Grade <strong>in</strong> wirtschaftliche Makrostrukturen e<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>en. Für best<strong>im</strong>mte Funktionen<br />

bestanden funktionelle Verflechtungen mit Nachbardörfern oder <strong>im</strong> Rahmen der<br />

17 Gnadlersdorf, Interview Sch., S. 5.<br />

216


Kle<strong>in</strong>region. Beispielsweise konnten <strong>im</strong> beheizbaren Vortreibhaus der Geme<strong>in</strong>de<br />

Gnadlersdorf „auch Parteien aus den Nachbargeme<strong>in</strong>den“ gegen Entgelt veredelte<br />

Reben e<strong>in</strong>legen. 18 Mit 1.000 Kronen beteiligte sich die Geme<strong>in</strong>de Gnadlersdorf an e<strong>in</strong>er<br />

Lagerhausgenossenschaft am Bahnhof Schattau/Šatov. 19 Geme<strong>in</strong>sam bemühten<br />

sich die benachbarten Geme<strong>in</strong>den um e<strong>in</strong>e Verbesserung der Straßen. Stark marktabhängig<br />

waren die We<strong>in</strong>bau- <strong>und</strong> Intensivkulturen etwa bei Tafeltrauben, Gurken <strong>und</strong><br />

Gemüse. Die Getreidebauern wiederum waren <strong>in</strong> den Dreißigerjahren auf die staatlichen<br />

Ankaufkont<strong>in</strong>gente bei allerd<strong>in</strong>gs ger<strong>in</strong>gen Preisen angewiesen. Nur die waldbäuerliche<br />

Wirtschaft verharrte <strong>in</strong> der Subsistenzorientierung der Selbstversorgung.<br />

Doch überall sicherten erst diverse Nebengewerbe wie Bauwirtschaft <strong>und</strong> Waldarbeit<br />

das Überleben der Kle<strong>in</strong>häusler <strong>und</strong> Taglöhner. Die Holzarbeit war <strong>im</strong>mer noch sehr<br />

arbeits<strong>in</strong>tensiv, die Vermarktung durch die Staats- <strong>und</strong> Gutsbetriebe erfolgte schon <strong>im</strong><br />

großen Stil. Auf diese Weise war auch das periphere Bauerndorf stets mit den großen<br />

wirtschaftlichen Konjunkturen verkoppelt. Auch die gesammelten Pilze <strong>und</strong> Beeren<br />

g<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> die Verbraucherzentren Prag <strong>und</strong> Wien. Häufig entstanden spezielle Wirtschaftskreisläufe<br />

über alle ethnischen Grenzl<strong>in</strong>ien h<strong>in</strong>weg. So belieferten Baumöhler<br />

Kle<strong>in</strong>bauern die Bauern des Thayaboden südöstlich von Zna<strong>im</strong> mit We<strong>in</strong>stecken <strong>und</strong><br />

Brennholz. Die Bauern des Flachlandes holten regelmäßig <strong>in</strong> best<strong>im</strong>mten Wäldern der<br />

Grenzdörfer das Brennholz. Die Saisonarbeiter <strong>und</strong> die Dienstboten kamen stets aus<br />

demselben Rayon. E<strong>in</strong> spezieller Funktionskreis wurde auch durch die Hengstsprungstation<br />

von Weskau/Bezkov gebildet. Nur die zur Staatsgrenze aufgewertete mährisch-niederösterreichische<br />

Grenze beh<strong>in</strong>derte zeitweise den Wirtschaftsverkehr, ehe<br />

der <strong>in</strong>stitutionalisierte Kle<strong>in</strong>e Grenzverkehr beispielsweise das Vermahlen von niederösterreichischem<br />

Getreide <strong>in</strong> südmährischen Mühlen ermöglichte.<br />

Agrarisch-proletarische Mischtypen<br />

E<strong>in</strong>e spezielle Note ergab sich aus der E<strong>in</strong>beziehung der beiden <strong>in</strong>dustriellen Inseln<br />

Schattau <strong>und</strong> Böhmisch Rudoletz. Hier g<strong>in</strong>g es um die Rekonstruktion der sozialen<br />

<strong>und</strong> politischen Strukturen von Bauerndorf <strong>und</strong> Arbeiterdorf <strong>und</strong> um ihre Berührung<br />

bzw. Bee<strong>in</strong>flussung. Das Arbeiterdorf Schattau entstand seit den 1880er Jahren <strong>im</strong><br />

Nahbereich der Tonwarenfabrik <strong>und</strong> Ziegelei sowie der Eisenbahnstation. Sehr deutlich<br />

lassen sich die soziale Stabilisierung der proletarischen Schichten durch Familienbildung<br />

<strong>und</strong> Verortung durch <strong>in</strong> der Generationenabfolge sowie <strong>im</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

der politischen Selbstf<strong>in</strong>dung des proletarischen Milieus <strong>und</strong> der räumlichen Viertelbildung<br />

nachzeichnen. So entwickelten sich <strong>in</strong> Schattau zwei differente soziale Strukturen<br />

<strong>und</strong> S<strong>in</strong>nsysteme, beherrscht vom Ethos der agrarischen Ordnung respektive<br />

von der proletarischen Kultur. Die parallele soziale Integration erlaubte dennoch viele<br />

Grenzüberschreitungen, beispielsweise die Rekrutierung der Dienstboten <strong>und</strong> Taglöhner<br />

aus der Arbeiterschaft <strong>und</strong> umgekehrt den Wechsel von Dienstboten <strong>in</strong> die Fabrik,<br />

18 Geme<strong>in</strong>deausschußsitzung Gnadlersdorf, 21. 7. 1906.<br />

19 Geme<strong>in</strong>deausschußsitzung Gnadlersdorf, 2. 7. 1915.<br />

217


so daß viele Biographien förmlich <strong>im</strong> Übergangsfeld der beiden Milieus angesiedelt<br />

s<strong>in</strong>d. Auch die Etablierung von Kle<strong>in</strong>bauern bzw. Häuslerexistenzen stand mit diesen<br />

sozialen Mehrfachb<strong>in</strong>dungen <strong>im</strong> Zusammenhang. Aus der räumlichen Nähe der beiden<br />

Dörfer <strong>im</strong> Dorf ergaben sich die typischen Konflikte e<strong>in</strong>er fragmentierten Gesellschaft,<br />

z. B. Felddiebstahl, unterschiedliche Haltung zur Kirche, sehr differente Interessen<br />

auf der <strong>in</strong>stitutionalisierten Geme<strong>in</strong>deebene. Andererseits förderten die sozialen<br />

Interaktionen <strong>und</strong> die Kenntnis des räumlich so nahen „Anderen“ e<strong>in</strong>en gewissen M<strong>in</strong><strong>im</strong>alkonsens.<br />

Dazu kamen die agrarische Herkunft der Industriearbeiter <strong>und</strong> das Inseldase<strong>in</strong><br />

der Arbeiterschaft mitten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em geschlossenen <strong>und</strong> selbstbewußten agrarischen<br />

Ambiente. Daher blieben best<strong>im</strong>mte Elemente von agrarischer Dorfkultur<br />

auch für die Arbeiterschaft verb<strong>in</strong>dlich, etwa die gelockerte Kirchenb<strong>in</strong>dung <strong>und</strong><br />

Brauchtumsformen. Es ist bezeichnend, daß auch das Arbeiterdorf an kirchlichen Anlässen<br />

wie Kirtagen <strong>und</strong> dem österlichen Ratschen festhielt. In Böhmisch Rudoletz<br />

war die Verb<strong>in</strong>dung mit der agrarischen Sozial- <strong>und</strong> S<strong>in</strong>nstruktur noch enger, da auch<br />

die halbproletarischen Existenzen <strong>in</strong> agrarischen Bereichen wie <strong>im</strong> Forst, <strong>in</strong> den Mühlen<br />

<strong>und</strong> den landwirtschaftlichen Verarbeitungsbetrieben beschäftigt waren. Ansätze<br />

zu e<strong>in</strong>er proletarischen Gruppenbildung waren so viel weniger gegeben, auch dadurch,<br />

daß zumeist die für die Subsistenz notwendigen Formen agrarischer Kle<strong>in</strong>wirtschaften<br />

beibehalten wurden. Diese komplexen Mischformen kennt man übrigens<br />

auch aus der proletarischen Diaspora Westösterreichs.<br />

Das Gesamtdorf<br />

Die genossenschaftlichen Strukturen der Agrardörfer waren noch weitgehend <strong>in</strong>takt. <strong>20</strong><br />

Die Höfe waren durch viele alltägliche <strong>und</strong> außerordentliche Notwendigkeiten aufe<strong>in</strong>ander<br />

angewiesen, wie nachbarschaftliche Hilfe, geme<strong>in</strong>samer Ankauf von Masch<strong>in</strong>en,<br />

Hilfe bei Bränden, Bürgschaften bei Krediten. Die funktionale Integration<br />

umschloß e<strong>in</strong>e bescheidene Palette des Dorfhandwerks, das waren die zumeist auch<br />

landwirtschaftlich begüterten Schmiede, Wagner, Gemischtwarenhändler <strong>und</strong> Wirte<br />

sowie die Kle<strong>in</strong>häuslerexistenzen Schneider(<strong>in</strong>) <strong>und</strong> Schuster. Selbst die Pfarrer waren<br />

durch die Pfarrwirtschaft <strong>in</strong>s ökonomische Dorfleben e<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>en. Pfarrer <strong>und</strong><br />

Lehrer handelten jedoch <strong>im</strong> kirchlichen <strong>und</strong> staatlichen Auftrag <strong>und</strong> waren daher nur<br />

partiell <strong>in</strong>s Dorf <strong>in</strong>tegriert. Daraus konnten typische Konflikte entstehen, etwa zwischen<br />

kirchlicher <strong>und</strong> weltlicher Norm oder zwischen traditionsbewußten Bauern <strong>und</strong><br />

dem gebildeten Modernisierungselan des Lehrers. (E<strong>in</strong>e eigene Geme<strong>in</strong>de unterstützte<br />

die dörfliche B<strong>in</strong>nenorientierung.) Viele wirtschaftliche Steuerungsfunktionen waren<br />

<strong>in</strong>stitutionell auf Geme<strong>in</strong>deebene geregelt, beispielsweise die Bestellung der Feld-<br />

<strong>20</strong> Es handelte sich bei Gnadlersdorf/Hnanice, Baumöhl/Podmolí, Luggau/Lukov <strong>und</strong> den<br />

Dörfern des Gebietes um Böhmisch Rudoletz/C+eský Rudolec wirklich noch um Bauerndörfer<br />

mit mehrheitlich agrarischer Bevölkerung. Auch <strong>in</strong> den gemischtwirtschaftlichen Orten<br />

Schattau/S+atov <strong>und</strong> Böhmisch-Rudoletz/C+eský Rudolec war noch etwa jeweils die Hälfte<br />

der Bevölkerung <strong>in</strong> der Landwirtschaft beschäftigt.<br />

218


<strong>und</strong> We<strong>in</strong>gartenhüter, das herbstliche „Schließen“ der We<strong>in</strong>gärten e<strong>in</strong>ige Wochen vor<br />

der Lese, Ankauf <strong>und</strong> Haltung des Geme<strong>in</strong>destiers, Ausbesserung von Wegen <strong>und</strong><br />

Brücken, die geme<strong>in</strong>schaftliche Nutzung der Allmende, die Verpachtung der geme<strong>in</strong>deeigenen<br />

Gr<strong>und</strong>stücke, Anpflanzung der Obstbäume <strong>und</strong> Lizitation ihrer Früchte.<br />

Die Geme<strong>in</strong>deausschußprotokolle von Oberradischen/Horní Radíkov kreisen die Jahre<br />

über um die Errichtung e<strong>in</strong>er Straßenverb<strong>in</strong>dung. In Baumöhl <strong>und</strong> <strong>in</strong> Schattau wurden<br />

zur Beschäftigung von Arbeitslosen Straßenbauarbeiten <strong>in</strong> Angriff genommen.<br />

Dazu kamen sicherheitspolizeiliche Agenden des Bürgermeisters, etwa bei öffentlichen<br />

Feiern <strong>und</strong> Tänzen. Doch auch <strong>im</strong> engeren volkskulturellen Bereich waren dem<br />

Bürgermeister gewohnheitsmäßig best<strong>im</strong>mte Aufgaben überantwortet. Beispielsweise<br />

mußte er den von der Dorfburschenschaft gewählten Ersten Burschen bestätigen. Auf<br />

vielen kulturellen <strong>und</strong> moralischen Gebieten war außerdem e<strong>in</strong> Zusammenwirken<br />

beider „Dorfobrigkeiten“, von Bürgermeister <strong>und</strong> Pfarrer, angebracht, etwa bei der<br />

feierlichen Bischofsvisitation oder zur Anschaffung e<strong>in</strong>es würdigen Geläutes der<br />

Pfarrkirche. E<strong>in</strong>ige staatliche Aufgaben, etwa die Durchführung von Wahlen für die<br />

diversen Vertretungskörperschaften <strong>und</strong> die Mitwirkung an der Rekrutierung besorgte<br />

die Geme<strong>in</strong>de überhaupt <strong>im</strong> „übertragenen Wirkungsbereich“.<br />

E<strong>in</strong> zweiter Aufgabenkreis betraf die Positionierung der Geme<strong>in</strong>de <strong>in</strong> Beziehung<br />

zu Nachbargeme<strong>in</strong>den <strong>und</strong> zu den höheren Instanzen von Land <strong>und</strong> Staat <strong>und</strong> Selbstverwaltungskörpern.<br />

Hier galt der Gr<strong>und</strong>satz, <strong>in</strong>tern e<strong>in</strong>en Ausgleich zwischen verschiedenen<br />

sozialen <strong>und</strong> Gruppen<strong>in</strong>teressen zu f<strong>in</strong>den, um die Dorf<strong>in</strong>teressen gegen<br />

außen durchzusetzen. Die agrarischen Monostrukturen erleichterten diesen Konsens.<br />

Hier widerspiegelte die Zusammensetzung der Geme<strong>in</strong>deausschüsse lediglich die<br />

dörflichen sozialen Gruppen<strong>in</strong>teressen. Nicht zufällig waren Bürgermeister <strong>und</strong> die<br />

Geme<strong>in</strong>deausschußmitglieder zumeist Bauern, allenfalls ergänzt durch Gewerbetreibende<br />

<strong>und</strong> den Lehrer. In den agrarisch-proletarischen Mischtypen jedoch häuften<br />

sich auch national deutbare Interessenkonflikte.<br />

E<strong>in</strong> spezielles Problem entstand den Geme<strong>in</strong>den freilich durch die modernen Formen<br />

politischer Organisation, Partizipation <strong>und</strong> Lagerbildung. Politik bedroht die<br />

E<strong>in</strong>heit der Geme<strong>in</strong>den. Für die deutschen Bauerngeme<strong>in</strong>den kam dabei vor allem der<br />

Dissens zwischen katholisch-politisch/christlichsozial <strong>und</strong> deutschnational/agrarisch<br />

<strong>in</strong> Frage, <strong>in</strong> agrarisch-proletarischen Mischtypen ergänzt durch Arbeiterparteien. Diese<br />

politischen Polaritäten wurden <strong>in</strong> ethnisch gemischten Orten auf jeweils zwei Varianten<br />

zerlegt. Sie werden <strong>im</strong> Zusammenhang mit der nationalen Orientierung behandelt,<br />

welche gleichfalls e<strong>in</strong>e zentrale politische E<strong>in</strong>speisung betrifft. Auf Geme<strong>in</strong>deebene<br />

war Parteipolitik <strong>in</strong> den Bauerndörfern nur selten handlungsleitend, da sie ke<strong>in</strong>e<br />

Orientierung für <strong>in</strong>nerdörfliche Problemlagen anbot. Ihre Organisationskapazität bezog<br />

sich <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie auf die Partizipation auf den höheren politischen Ebenen von<br />

Land <strong>und</strong> Staat. Größere Bedeutung erlangte Politik jedoch <strong>in</strong> den wirtschaftlichsozialen<br />

Mischtypen sowie generell <strong>im</strong> Politisierungsschub der Dreißigerjahre.<br />

219


Kommunikative Integration der Dörfer<br />

Der Hof bildete den <strong>in</strong>neren Kern der sozialen Welt sowohl für die Inhaberfamilie,<br />

die Dienstboten sowie temporär für die Taglöhner oder mitarbeitenden Kle<strong>in</strong>häusler,<br />

die <strong>in</strong> aller Regel dauernde B<strong>in</strong>dungen zu best<strong>im</strong>mten Höfen unterhielten. Der Hof<br />

war auch räumlich „geschlossen“. Nur zur Erntezeit, sobald die Gurkene<strong>in</strong>käufer erwartet<br />

wurden, blieb <strong>im</strong> We<strong>in</strong>baugebiet das Hoftor sogar spätabends offen. Die enge<br />

B<strong>in</strong>dung an den Hof bedeutete für den e<strong>in</strong>zelnen Kontrolle, Fehlen von Privatheit,<br />

Leben <strong>in</strong> abgezirkelten sozialen <strong>und</strong> topographischen Räumen, je nach Stellung <strong>in</strong> der<br />

Hofhierarchie, nach Geschlecht, Alter, Ges<strong>und</strong>heitszustand <strong>und</strong> Stand. Selbst der außerhäusliche<br />

Handlungsspielraum war durch die geme<strong>in</strong>schaftliche Feld- <strong>und</strong> We<strong>in</strong>gartenarbeit<br />

der Hofangehörigen best<strong>im</strong>mt. Die Nachbarschaft war daher be<strong>in</strong>ahe<br />

<strong>im</strong>mer der erste außerhäusliche Kommunikationskreis, <strong>und</strong> zwar be<strong>im</strong> Fehlen von<br />

Verwandtschaft auch für Hilfeleistungen. Weder e<strong>in</strong>e besondere Nähe von Alterskohorten<br />

noch e<strong>in</strong>e sonst auf Zuneigung, nicht auf ökonomischer Notwendigkeit beruhende<br />

B<strong>in</strong>dung zwischen nicht verwandten Familien war festzustellen. Mehr Freiheit<br />

<strong>in</strong> bezug auf Fre<strong>und</strong>schaften <strong>und</strong> freien Umgang <strong>und</strong> selbst Zutritt zu den Häusern<br />

genossen die heranwachsenden K<strong>in</strong>der. Die Sozialisationskraft von Kirche <strong>und</strong> Gasthaus<br />

kommt noch zur Sprache.<br />

Insgesamt bildete das Dorf für die Mehrheit se<strong>in</strong>er Bewohner die erste <strong>und</strong> be<strong>in</strong>ahe<br />

ausschließliche Erfahrungswelt. Nur zu den Kirtagen, zu den Wallfahrten, zur Firmung,<br />

zum Markt <strong>im</strong> nächsten Zentralort <strong>und</strong> zur Erlernung der Nachbarsprachen auf<br />

der Basis von zeitweiligem K<strong>in</strong>deraustausch – den sogenannten „Wechsel“ – mußte<br />

das Dorf verlassen werden. E<strong>in</strong>en wichtigen E<strong>in</strong>schnitt bildeten Rekrutierung, Militärzeit<br />

<strong>und</strong> Kriegsdienst <strong>im</strong> Ersten Weltkrieg. Im Untersuchungszeitraum vollzog sich<br />

allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>e wichtige Ausdehnung der Erfahrungswelt durch den jetzt häufigen Besuch<br />

der Bürgerschule vor allem von Söhnen, vere<strong>in</strong>zelt auch Töchtern reicherer Bauern<br />

der We<strong>in</strong>bau- <strong>und</strong> Getreidebauzone. Kaum zufällig wurde <strong>in</strong> den Dreißigerjahren<br />

der Schulweg durch die anderssprachigen Dörfer nach Zna<strong>im</strong>/Znojmo häufig von nationalen<br />

Gehässigkeiten gekennzeichnet. Auch die bäuerlichen Fortbildungsschulen<br />

brachten neue Informationen <strong>und</strong> Deutungsangebote <strong>und</strong> wurden prompt zu e<strong>in</strong>er<br />

Agentur des Nationalismus. Im Waldbauerngebiet nutzten die K<strong>in</strong>der der zugewanderten<br />

tschechischen Tagelöhner das vom tschechoslowakischen Staat bereitgestellte<br />

Bildungsangebot, was auf e<strong>in</strong>e rasche Rezeption der bürgerlichen Orientierungs- <strong>und</strong><br />

Aufstiegsmuster schließen läßt. Gegen Ende der Dreißigerjahre entgrenzte das städtische<br />

Freizeitangebot, vor allem das K<strong>in</strong>o, tendenziell die dörflichen Begegnungs- <strong>und</strong><br />

Erfahrungshorizonte. Wieder ist die leichte Überw<strong>in</strong>dbarkeit der Staatsgrenze festzustellen,<br />

da die Gnadlersdorfer beispielsweise vorwiegend das K<strong>in</strong>o <strong>im</strong> niederösterreichischen<br />

Nachbarort Retzbach frequentierten. Auch ihr Erspartes brachten sie sowohl<br />

<strong>in</strong> Zna<strong>im</strong> wie <strong>im</strong> niederösterreichischen Retzbach auf die Sparkasse. Fahrrad <strong>und</strong> Motorrad<br />

erhöhten die Mobilität ungeme<strong>in</strong>, <strong>und</strong> zwar weniger für die Arbeitsbeziehungen<br />

als für die Freizeit. Der Weltkrieg unterbrach jäh diese Entwicklung.<br />

2<strong>20</strong>


Normative <strong>und</strong> kulturelle Integration der Dörfer<br />

Erst mit der normativen <strong>und</strong> kulturellen Dorf<strong>in</strong>tegration wird die lebensweltliche D<strong>im</strong>ension<br />

der Untersuchung <strong>im</strong> engeren S<strong>in</strong>ne erreicht. Der soziologische Lebensweltbegriff<br />

ist auf der subjektiven Ebene angesiedelt. Lebenswelt bedeutet daher die D<strong>im</strong>ension<br />

der Auslegung von Wirklichkeit durch den e<strong>in</strong>zelnen <strong>und</strong> kommunikativ<br />

vernetzte Personengruppen. Es ist die „reflexive Zuwendung“ zu erlebtem Handeln <strong>in</strong><br />

Form von Nachdenken, kultureller Praxis <strong>und</strong> Alltagshandeln, welche S<strong>in</strong>n erzeugt,<br />

<strong>und</strong> zwar <strong>in</strong> der Begegnung mit anderen, nicht als <strong>in</strong>dividueller Akt, so daß man Lebenswelten<br />

auch zugleich als S<strong>in</strong>nprov<strong>in</strong>zen, <strong>in</strong> unserem Falle die dörfliche, mit <strong>in</strong>tersubjektiver<br />

Gültigkeit bezeichnen kann. Geme<strong>in</strong>same Erfahrungen werden <strong>in</strong> diesem<br />

Aneignungsvorgang zum lebensweltlichen Wissensvorrat <strong>und</strong> zur Rout<strong>in</strong>e verdichtet,<br />

welche <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit biographischen Komponenten soziales Handeln steuern. 21<br />

Lebenswelt besitzt e<strong>in</strong>e relativ dauerhafte Struktur, weil nur Kont<strong>in</strong>uität ungestörtes<br />

Alltagshandeln ermöglicht. Im Rout<strong>in</strong>efall reicht der erworbene Wissensvorrat zur<br />

Deutung aktueller Entscheidungssituationen bzw. muß nur unwesentlich durch neue<br />

Wissensquellen bereichert werden. Trotz aller Stabilität der wirtschaftlichen <strong>und</strong> sozialen<br />

Verhältnisse <strong>und</strong> trotz e<strong>in</strong>er mächtigen Tradition unterlag jedoch auch das<br />

südmährische Dorf laufender Veränderung, nicht zuletzt be<strong>im</strong> Generationenwechsel.<br />

Wir haben es so gesehen mit e<strong>in</strong>er Abfolge von Dörfern <strong>im</strong> Zeitkont<strong>in</strong>uum zu tun.<br />

Das südmährische Dorf besaß jedoch große Anpassungskapazität an solche Veränderungen<br />

der Umwelt. Erst das <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert entriß den Dörfern diese Adaptionskompetenz.<br />

Die großen Zäsuren der Jahre 1938, 1945 <strong>und</strong> 1948 s<strong>in</strong>d nicht zufällig mit<br />

der Zerstörung der tradierten Dörfer <strong>und</strong> ihrer Rekonstruktion als willige Subjekte<br />

staatlich-politischer Zentralgewalt verb<strong>und</strong>en.<br />

Normatives Wissen ist e<strong>in</strong> sperriger Gegenstand. So viel ist klar, es geht um regelgeb<strong>und</strong>ene<br />

Wahrnehmung, feste Bedeutungszuschreibungen sozialer Umweltfaktoren<br />

<strong>und</strong> Konstellationen sowie verb<strong>in</strong>dliche Gr<strong>und</strong>annahmen über die zentralen Lebensvollzüge<br />

von Arbeit, Besitz, Nutzungsrechten, Ehre, Kommunikation, Spiritualität,<br />

Habitus, Sexualverhalten usf. Die untersuchten Dörfer bildeten auf dieser Ebene e<strong>in</strong>e<br />

durch Normen <strong>in</strong>tegrierte abgegrenzte S<strong>in</strong>nwelt. Anders formuliert: s<strong>in</strong>ngeleitete soziale<br />

Praxis konstituierte den sozialen Zusammenhang „Dorf“ <strong>und</strong> honorierte besondere<br />

Verdienste bzw. sanktionierte gegebenenfalls Regelverletzungen. Solche S<strong>in</strong>nbezüge<br />

können nur <strong>in</strong>direkt aus sozialem Handeln, besonders aus er<strong>in</strong>nerten biographischen<br />

Schlüsselszenen, allenfalls unter vorsichtiger E<strong>in</strong>beziehung erzählter E<strong>in</strong>schätzungen<br />

<strong>und</strong> Deutungen, abgeleitet werden. Beispielsweise war die große Bedeutung<br />

von Gr<strong>und</strong>besitz <strong>im</strong> Denken <strong>und</strong> Handeln der Dorfbewohner aus allen Interviews<br />

zu erkennen. Ererbter Gr<strong>und</strong>besitz sollte zum m<strong>in</strong>desten bewahrt, jedoch nach<br />

Möglichkeit vermehrt werden. Diese Weisheit entsprach e<strong>in</strong>er ökonomischen Ordnung,<br />

die bis zuletzt direkt oder <strong>in</strong>direkt auf der Nutzung von Gr<strong>und</strong>besitz beruhte.<br />

Sie reflektiert aber zugleich die Werte e<strong>in</strong>er <strong>in</strong> Bewegung geratenen Ordnung, <strong>in</strong> der<br />

21<br />

BERNHARD MIEBACH: Soziologische Handlungstheorie. E<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>führung, Darmstadt 1991,<br />

S. 127-152.<br />

221


nicht nur das Erbe, sondern auch die <strong>in</strong>dividuelle Tüchtigkeit über die Verteilung von<br />

Lebenschancen best<strong>im</strong>mte. Die dörfliche Gesellschaft taxierte daher sehr präzise<br />

Fleiß, Sparsamkeit <strong>und</strong> Lebensführung. Bis heute werden die beiden nach Luggau zugewanderten<br />

tschechischen Bauern nach ihrer Tüchtigkeit beurteilt, <strong>und</strong> zwar <strong>in</strong> seltener<br />

Übere<strong>in</strong>st<strong>im</strong>mung von allen deutschen <strong>und</strong> tschechischen Respondenten der e<strong>in</strong>e<br />

als tüchtig, der andere als glücklos wirtschaftender. Die agrarische Wertordnung<br />

hatte Vorrang vor der Wahrnehmung ethnischer Divergenz. So verurteilten tschechische<br />

Altsiedler mehrmals den „Abschub“ e<strong>in</strong>es Dorfgenossen mit der Begründung,<br />

der Betreffende sei doch e<strong>in</strong> guter <strong>und</strong> fleißiger Bauer gewesen. 22<br />

Leichter zugänglich ist die kulturelle Integration. Kultur ist e<strong>in</strong>e Form der Deutung<br />

<strong>und</strong> Interpretation bestehender Verhältnisse. Sie bietet die Möglichkeit, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

eigenen Formensprache, mit überlieferten Regeln <strong>und</strong> zu best<strong>im</strong>mten Anlässen den<br />

Alltag gleichzeitig zu überhöhen <strong>und</strong> dennoch die Gr<strong>und</strong>struktur der Besitzordnung,<br />

der Verteilung von Lebenschancen, der Arbeitsweise <strong>und</strong> der geltenden Normen zu<br />

bestätigen. Populare Alternativkultur zur f<strong>und</strong>amentalen Kritik der Verhältnisse spielte<br />

<strong>im</strong> Untersuchungsgebiet ke<strong>in</strong>e Rolle, Subkultur e<strong>in</strong>zelner Substrate, etwa der Saisonarbeiter<br />

oder der jüdischen Diaspora, waren nicht faßbar. Die dörfliche Kultur war<br />

somit affirmativ zur bestehenden zivilisatorischen Ordnung. Ihre stabilisierende Wirkung<br />

erzielte sie vor allem durch ihre Angebote zur Lebensbewältigung, seien es<br />

kirchlich sanktionierte Glaubensüberzeugungen <strong>und</strong> Frömmigkeitspflege, seien es<br />

nicht sanktionierte Heilangebote wie Aberglaube <strong>und</strong> Magie. 23 Popularkulturelle<br />

Überzeugungen <strong>und</strong> Umgangsformen unterliegen zwar <strong>in</strong> Brauch <strong>und</strong> Gebrauch der<br />

„autochthonen“ stilistischen Tradition <strong>und</strong> Anwendungspraxis. Sie s<strong>in</strong>d dennoch zumeist<br />

weiter verbreitete, lediglich lokal variierte Muster, die außerdem <strong>in</strong> ihrer geschichtlichen<br />

Genese durch viele Fäden mit hochkulturellen, oft obrigkeitlich verordneten<br />

Kulturformen verb<strong>und</strong>en s<strong>in</strong>d. Das gilt <strong>in</strong> besonderem Maße für die seit dem<br />

Trident<strong>in</strong>um zentralistisch <strong>und</strong> obrigkeitlich normierten katholischen Glaubens- <strong>und</strong><br />

Frömmigkeitsformen.<br />

Als erste kulturelle Instanz ist die katholische Kirche, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Dörfern des westlichen<br />

Untersuchungsgebietes zusätzlich die Böhmische Brüdergeme<strong>in</strong>de zu nennen.<br />

Die meisten der untersuchten Dörfer waren zugleich Pfarren, <strong>in</strong> allen Dörfern befanden<br />

sich zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong>e durchaus geräumige Kapelle sowie e<strong>in</strong> Friedhof. Der sonntägliche<br />

Gottesdienst vere<strong>in</strong>te die ganze Geme<strong>in</strong>de <strong>in</strong> der Pfarrkirche, nur die Frauen<br />

besuchten häufig die Frühmesse. Die weite Entfernung vom Pfarrort erschwerte <strong>in</strong><br />

den kle<strong>in</strong>eren Dörfern des westlichen Untersuchungsgebietes den Kirchgang. Außerdem<br />

waren hier die Angehörigen der halb agrarisch-proletarischen Schicht laue Kirchengänger.<br />

Die Mitglieder der böhmischen Brüderkirche wurden <strong>in</strong> der dörflichen<br />

Umgebung stets als „anders“, wenn auch nicht als „fremd“ wahrgenommen. In Böhmisch-Rudoletz<br />

wurde der e<strong>in</strong>zige Angehörige der „Böhmischen Brüder“ von beiden<br />

22 Vgl. Interviews H. <strong>und</strong> P., Unterradischen/Dolní Radníkov.<br />

23 BOHUSLAV BENEŠ: Gibt es noch e<strong>in</strong>e Volkskultur? Jahreszeitliche Bräuche <strong>in</strong> Südmähren<br />

<strong>und</strong> Niederösterreich, <strong>in</strong>: Kulturen an der Grenze, hrsg. von ANDREA KOMLOSY, VÁCLAV<br />

BU`Z=EK <strong>und</strong> FRANTIŠEK SVÁTEK, Wien 1995, S. 255-262.<br />

222


Seiten abschätzig beurteilt, „der katholische Glaube, das war ja das Verb<strong>in</strong>dende“. 24<br />

Interkonfessionelle Ehen waren ungleich seltener als <strong>in</strong>terethnische Ehen <strong>und</strong> kamen<br />

be<strong>in</strong>ahe nur <strong>im</strong> agrarisch-proletarischen Mischmilieu vor. Die „Böhmischen Brüder“<br />

hatten e<strong>in</strong>en Weg von zehn Kilometern zu ihrer Pfarrkirche Groß Lhota/Velká Lhota.<br />

Erst 1933 wurde <strong>im</strong> nahen Walterschlag/Valt<strong>in</strong>ov e<strong>in</strong>e Seelsorgstation der Brüderkirche<br />

e<strong>in</strong>geweiht. Ihren Verstorbenen blieb auch das Glockengeläute der Dorfkapelle<br />

Oberrasdischen bis 1948 (!) verwehrt. Alle Angehörigen der Brüderkirche waren aus<br />

der etwa zehn Kilometer entfernten, fünf Dörfer umfassenden religiösen Enklave<br />

Groß Lhota zugewandert.<br />

Die katholische Osterbeichte, das Eheaufgebot, die Versehgänge wurden <strong>in</strong> der<br />

üblichen Weise e<strong>in</strong>gehalten. Erst <strong>im</strong> anwachsenden Deutschnationalismus der Dreißigerjahre<br />

verloren e<strong>in</strong>zelne Formen dieser kirchlich geprägten öffentlichen Kulte an<br />

Verb<strong>in</strong>dlichkeit, <strong>in</strong>dem beispielsweise <strong>in</strong> Schattau dem zur Visitation ankommenden<br />

Bischof be<strong>in</strong>ahe der übliche Triumphbogen am Ortse<strong>in</strong>gang verwehrt wurde. Die Beliebtheit<br />

mancher Pfarrer war e<strong>in</strong>e Folge ihrer Freigiebigkeit. Die meisten Pfarrer<br />

auch der deutschen Dörfer waren Tschechen von Herkunft <strong>und</strong> Bekenntnis, sie beherrschten<br />

jedoch das Deutsche fehlerfrei. Klagen über e<strong>in</strong>e Bevorzugung der e<strong>in</strong>en<br />

oder anderen Sprache s<strong>in</strong>d bisher <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>zigen Falle überliefert, e<strong>in</strong> Zeichen für<br />

die vermittelnde Funktion des Klerus <strong>im</strong> Nationalitätenkampf. Das Glaubensleben<br />

wurde vom „politischen Katholizismus“ durch neue, teils auch auf Vere<strong>in</strong>sbasis organisierte<br />

Formen bereichert. Standesbündnisse für unverheiratete Männer s<strong>in</strong>d aus<br />

Schattau überliefert. Neben Kirche <strong>und</strong> Pfarrer existierten auch die popularen autonomen<br />

Frömmigkeitsformen, etwa Bittgänge sowie kle<strong>in</strong>e <strong>und</strong> große Wallfahrten.<br />

Bildstöcke <strong>und</strong> Kreuze prägten die südmährische Sakrallandschaft.<br />

In popularkultureller H<strong>in</strong>sicht waren die Dörfer erstaunlich homogen, bezogen auf<br />

die Verb<strong>in</strong>dlichkeit der volkskulturellen Praxis <strong>in</strong> ihren überlieferten <strong>und</strong> von allen<br />

problemlos „erkannten“ Formen <strong>und</strong> Funktionen. Die <strong>im</strong> agrarischen Bereich entstandene<br />

Popularkultur wurde auch von den agrarisch-<strong>in</strong>dustriellen Mischtypen, e<strong>in</strong>zelne<br />

Formen sogar von der großen <strong>in</strong>dustriellen Enklave Schattau tradiert. „Brauchtum“<br />

diente beispielsweise zur Untergliederung der Zeit <strong>in</strong> Tag, Woche, Jahr <strong>und</strong> Leben,<br />

zur Verdeutlichung der biographischen Zäsuren, zur Regeneration <strong>in</strong> der arbeitsfreien<br />

Zeit, zur Ordnung des alltäglichen Umgangs etwa durch Grußsitten <strong>und</strong> Umgangsformen,<br />

zur Festlegung oder Bestätigung von Geltungshierarchien, zur Regelung des<br />

Heiratsmarktes sowie zur bereits besprochenen Lebensbewältigung, <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong><br />

Notzeiten. Die Brauchtumsformen trugen weiters vielfach zur Schlichtung von Konflikten<br />

<strong>in</strong>sbesondere zwischen den Generationen bei. Überhaupt bildete die durch<br />

Konventionen geregelte Konkurrenz, etwa Kräftemessen oder Wetts<strong>in</strong>gen, e<strong>in</strong> wesentliches<br />

Pr<strong>in</strong>zip volkskultureller Praxis. Von zentraler Bedeutung war sodann die<br />

Selbstdarstellung des Dorfes, etwa der Empfang der auswärtigen Burschen an der<br />

Dorfgrenze, der Besuch auswärtiger Kirtage durch die Dorfburschenschaft oder die<br />

rigorose Zurückweisung fremder Bewerber um die he<strong>im</strong>ischen Mädchen. E<strong>in</strong>en eigentümlichen<br />

rituellen Residualbestand bildete die alljährliche Begehung der Ge-<br />

24 Interview M. aus Böhmisch Rudoletz/C+eský Rudolec.<br />

223


me<strong>in</strong>degrenzen, welche die besondere Bedeutung des Gr<strong>und</strong>besitzes sowie die<br />

Reichweite des Dorfes <strong>im</strong> topographischen Weichbild <strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung rief.<br />

Die Dorfviertel bzw. die Dorfzwill<strong>in</strong>ge bildeten partiell eigene dörfliche Strukturen<br />

mit Wirtshaus <strong>und</strong> Dorfburschenschaft. So gab es beispielsweise <strong>in</strong> Luggau <strong>und</strong><br />

<strong>im</strong> Luggauer Neudörfl jeweils Wirtshaus <strong>und</strong> Burschenschaft. Auch aus Gnadlersdorf<br />

wird aus älterer Zeit von zwei getrennten Burschenschaften berichtet, <strong>und</strong> noch <strong>im</strong><br />

Untersuchungszeitraum der Dreißigerjahre war die Gnadlersdorfer Burschenschaft<br />

<strong>in</strong>tern <strong>in</strong> den „Kellerklub“ der reichen Bauernsöhne <strong>und</strong> die „Außerörtler“ der Häusler<br />

untergliedert. 25 Die beiden Luggauer Burschenschaften kamen jedoch häufig an<br />

der Grenze zwischen beiden Teildörfern oder <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em der beiden Dorfwirtshäuser<br />

zusammen. Auch gegen außen traten sie zumeist geme<strong>in</strong>sam auf, etwa bei Kirtagsbesuchen.<br />

Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß e<strong>in</strong> struktureller Zusammenhang zwischen<br />

agrarischem Ökotypus <strong>und</strong> Ethnizität bzw. Nationalität nicht zu erkennen war,<br />

weder <strong>in</strong> den zweisprachigen Dörfern noch zwischen deutschen <strong>und</strong> tschechischen<br />

Mehrheitsdörfern <strong>und</strong> auch nicht entlang der mährisch-niederösterreichischen Adm<strong>in</strong>istrativgrenze.<br />

Wirtschaftsform, Besitzverteilung, Erbgewohnheiten, Kultur <strong>und</strong><br />

normatives Wissen folgten den agrarischen Notwendigkeiten, <strong>und</strong> sie zeigten nirgends<br />

ethnisch bed<strong>in</strong>gte Varianten. Nur <strong>in</strong>direkt bewirkten die <strong>in</strong>stabilen Besitzverhältnisse<br />

<strong>im</strong> Getreidegebiet sowie <strong>im</strong> reagrarisierten Industriegebiet e<strong>in</strong>e Zuwanderung<br />

tschechischer Bauern <strong>und</strong> Kle<strong>in</strong>häusler. Auch entlang der Adm<strong>in</strong>istrativgrenze<br />

zwischen Mähren <strong>und</strong> Niederösterreich läßt sich ke<strong>in</strong>e derartige ökologische Grenze<br />

feststellen. Sogar <strong>in</strong> den komplexen Mischtypen war die ethnische Raumbildung lediglich<br />

e<strong>in</strong>e Folge der sozialen Gruppierung. Dieses Ergebnis kontrastiert auffällig<br />

mit ethnographischen Paralleluntersuchungen. Bekannt ist die Differenzierung der<br />

agrarischen Wirtschaftsform entlang von ethnischen Gruppierungen <strong>in</strong> der Batschka,<br />

<strong>im</strong> Banat, <strong>in</strong> Siebenbürgen, Nordungarn-Transkarpatien usf. Dort war die Übere<strong>in</strong>st<strong>im</strong>mung<br />

zwischen Wirtschaftsform <strong>und</strong> Ethnos e<strong>in</strong>e Folge der Zuwanderung von<br />

Siedlern <strong>in</strong> mehreren Schüben vom Mittelalter über die merkantilistische Neusiedlung<br />

<strong>und</strong> die nachfolgende B<strong>in</strong>nenkolonisation. So kam es, daß nebene<strong>in</strong>ander ungarische,<br />

serbische, deutsche oder rumänische Dörfer mit ihrer jeweils spezifischen Wirtschaftsform<br />

lagen <strong>und</strong> häufig sogar ethnische Dorfviertel unterschiedliche Wirtschaftsformen<br />

kultivierten. 26 In anderen Fällen ist die ethnosoziale Struktur durch soziale<br />

Hierarchien geschichtet, so daß beispielsweise ruthenisch-ukra<strong>in</strong>ische Bauern<br />

<strong>und</strong> polnische Gutsherrschaft benachbart lebten. Wieder <strong>in</strong> anderen Fällen wird die<br />

ethnische Differenzierung von Wirtschaftsweise, Agrarverfassung <strong>und</strong> Erbformen auf<br />

die Prägekraft der nationalen Zivilisationen an der Sprachgrenze zurückgeführt. So<br />

läuft bis heute am Südtiroler Nonsberg die „unsichtbare“ germanisch-romanische<br />

25 Gnadlersdorf, Interview R., S. 25-29.<br />

26 Zur Interethnik. Donauschwaben, Siebenbürger Sachsen <strong>und</strong> ihre Nachbarn, hrsg. von IN-<br />

GEBORG WEBER-KELLERMANN, Frankfurt Ma<strong>in</strong> 1978.<br />

224


Kulturgrenze exakt zwischen den Bergdörfern St. Felix <strong>und</strong> Tret. 27 Man muß also <strong>in</strong><br />

Südmähren auf fe<strong>in</strong>e Zeichen <strong>und</strong> schwach konturierte Bilder achten, wenn man <strong>in</strong><br />

dieser sonst so homogenen „grenzenlosen“ Sozialwelt dennoch das Ethnische <strong>und</strong> Nationale<br />

erkennen will.<br />

Erst die mikroanalytische Tiefenschärfe aufgr<strong>und</strong> von lebensgeschichtlichen Befragungen<br />

<strong>und</strong> Volkszählungsdaten erlaubte tatsächlich auf Dorfebene die Rekonstruktion<br />

von sprachlich-ethnisch-nationalen Deutungskulturen auf Begegnungsebenen<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong> Beziehungsnetzen. Dabei zeigte sich, daß die ethnisch-nationalen Kategorien<br />

nicht alle<strong>in</strong> aus fremder <strong>und</strong> störender E<strong>in</strong>speisung <strong>in</strong> lokale Deutungskulturen<br />

entstanden, sondern auch „autonome“ Reglements von Dorf <strong>und</strong> Region bildeten. Die<br />

soziale Organisationskapazität von deutsch <strong>und</strong> tschechisch war <strong>in</strong>sgesamt auf den<br />

drei Ebenen von Sprachverwendung, Ethnizität <strong>und</strong> Nationalität zu erkennen.<br />

Deutsche <strong>und</strong> Tschechen <strong>im</strong> agrarischen Kontext: Sprachverwendung <strong>und</strong><br />

Ethnizität<br />

In der Sprachverwendung spielte die numerische Stärke der jeweiligen Sprachgruppen<br />

e<strong>in</strong>e wichtige Rolle. Im vorwiegend deutschen oder tschechischen agrarischen<br />

Dorf galt als außerhäusliche Umgangssprache die Sprache der Mehrheit. Zahlenmäßig<br />

unbedeutende M<strong>in</strong>derheiten, zumeist nur wenige Familien, häufig der unterbäuerlichen<br />

bzw. proletarischen Schicht angehörend, paßten sich <strong>im</strong> außerhäuslichen Umgang<br />

sprachlich an ihre Umgebung an. (Zu schwach für den Aufbau eigener ethnisch<br />

gefärbter Folklore waren sie <strong>in</strong> den popularkulturellen dörflichen Kontext e<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>en.<br />

So gehörten auch die wenigen Gnadlersdorfer tschechischen Jugendlichen zur<br />

dörflichen Burschenschaft.) Solche verstreuten M<strong>in</strong>derheiten waren sogar trotz staatlicher<br />

Förderung <strong>in</strong> Wahrheit nicht gegen e<strong>in</strong>e völlige Ass<strong>im</strong>ilation geschützt. Die zugewanderten<br />

Familien behielten zwar die mitgebrachte Haussprache, sie verloren diese<br />

jedoch <strong>in</strong> der nächsten Generation. Häufig zeigte sich be<strong>im</strong> Wechsel der politischen<br />

Machtverhältnisse die Erfolglosigkeit aller Bemühungen, Streum<strong>in</strong>derheiten zu<br />

stabilisieren, da sich nun die Ass<strong>im</strong>ilanten rasch zur Mehrheit bekannten. Fremdsprachige<br />

Ehepartner verleugneten <strong>in</strong> der Regel nicht die ethnische Herkunft <strong>und</strong> vermittelten<br />

ihren K<strong>in</strong>dern oft rud<strong>im</strong>entäre Kenntnisse ihrer Herkunftssprache. Zählten die<br />

M<strong>in</strong>derheiten zur beamteten oder gebildeten Schicht, dann blieben sie gegen Ass<strong>im</strong>ilation<br />

resistent, weil ihre kulturelle Identität <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em größeren Erfahrungszusammenhang<br />

verortet war. Sie partizipierten ohneh<strong>in</strong> nur partiell an der dörflichen volkskulturellen<br />

Szene, während sie das Substrat für e<strong>in</strong> reges nationales Leben <strong>in</strong> Vere<strong>in</strong>en für<br />

sportliche, kulturelle <strong>und</strong> politische Tätigkeiten bildeten. (Es waren vor allem die<br />

Lehrer <strong>und</strong> die nationalen Schutzvere<strong>in</strong>e, welche die Staatsbeamten <strong>und</strong> kle<strong>in</strong>en halb-<br />

27 COLE/WOLFE: Die unsichtbare Grenze (wie Anm. 10). Dazu: Südtirol <strong>im</strong> Auge der Ethnographen,<br />

hrsg. von REINHARD JOHLER, LUDWIG PAULMICHL <strong>und</strong> BARBARA PLANKENSTEI-<br />

NER, Wien, Lana 1991.<br />

225


agrarischen tschechischen M<strong>in</strong>derheiten zum nationalpolitischen Milieu verdichteten.)<br />

Spezielle Verhältnisse herrschten jedoch <strong>in</strong> den zweisprachigen agrarischen Dörfern<br />

<strong>in</strong> der deutsch-tschechischen Überlagerungszone. Im folgenden werden speziell<br />

die komplexen Verhältnisse des Getreidedorfes Baumöhl/Podmolí referiert, welche<br />

als typisch für zweisprachige Dörfer gelten können. Das lange Zusammenleben seit<br />

vielen Generationen <strong>und</strong> die vielen Mischehen führten hier zu wirklicher Zweisprachigkeit<br />

zum<strong>in</strong>dest aller hier sozialisierten Bewohner, weniger der als Erwachsene<br />

Zugewanderten. Da aber ke<strong>in</strong>e der beiden Sprachen dom<strong>in</strong>ant war <strong>und</strong> Tschechisch<br />

bzw. Deutsch auch ke<strong>in</strong>em best<strong>im</strong>mten sozialen Segment zugeordnet werden konnte,<br />

waren beide Sprachen gleichermaßen <strong>in</strong> Gebrauch, so wie es die Notwendigkeit der<br />

Verständigung <strong>und</strong> die Sprachkenntnisse der Beteiligten erforderten. Folgerichtig bildete<br />

die Sprachverwendung auf der Alltagsebene ke<strong>in</strong>en festen Gruppenzusammenhang<br />

von deutsch <strong>und</strong> tschechisch.<br />

Sprachkompetenz war vor allem durch familiäre Herkunft <strong>und</strong> Hausb<strong>in</strong>dung best<strong>im</strong>mt.<br />

Wer <strong>im</strong> Dorf selbst aufgewachsen war, beherrschte angesichts der dauernden<br />

Präsenz von Deutsch <strong>und</strong> Tschechisch zumeist problemlos beide Sprachen, wer aus<br />

e<strong>in</strong>em tschechischen – oder seltener aus e<strong>in</strong>em deutschen – Nachbardorf zugewandert<br />

war, nur die jeweils eigene Muttersprache. Die K<strong>in</strong>der von Zuwanderern erwarben<br />

anstandslos die jeweils zweite Dorfsprache, so daß Sprachfertigkeit <strong>in</strong>nerhalb von<br />

Familien nach Dauer der Ansässigkeit <strong>und</strong> Generationszugehörigkeit geschichtet war.<br />

Die he<strong>im</strong>ischen <strong>und</strong> die wenigen zugewanderten deutschen Bauern lebten Hof an Hof<br />

mit ihren oft schon seit fünfzig Jahren <strong>im</strong> Dorf ansässigen, vere<strong>in</strong>zelt jedoch erst <strong>in</strong><br />

jüngerer Zeit zugesiedelten tschechischen Bauern. Mischehen waren zwar durchaus<br />

an der Tagesordnung, doch folgte die Haussprache zumeist dem männlichen Hoferben:<br />

das „Haus“, nicht die Familie ist die soziale Gr<strong>und</strong>e<strong>in</strong>heit des alteuropäischen<br />

Dorfes. Nur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen Fällen fand tatsächlich e<strong>in</strong> Wechsel der Haussprache statt,<br />

wenn etwa e<strong>in</strong> Austragsbauer e<strong>in</strong>e des Deutschen ganz unk<strong>und</strong>ige Tschech<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es<br />

Nachbardorfes heiratete <strong>und</strong> aus praktischen Gründen jetzt <strong>im</strong> Austragsstübel tschechisch<br />

zur Verkehrssprache wurde. 28 Dennoch war selbst bei komplex geschichteter<br />

ethnischer Herkunft die Haussprache unzweideutig festgelegt. Sprachwechsel fand<br />

daher nur <strong>in</strong>dividuell, als Ass<strong>im</strong>ilation e<strong>in</strong>es neuen Familienmitglieds statt. Es gab jedoch<br />

nicht den langsamen Sprachwechsel ganzer Familien von e<strong>in</strong>er zur anderen Generation,<br />

wie etwa unter den so ganz anderes gelagerten Kärntner Verhältnissen, wo<br />

<strong>im</strong> Prozeß der Ass<strong>im</strong>ilation e<strong>in</strong>e Zeitlang beide Familiensprachen nebene<strong>in</strong>ander bestehen,<br />

bis e<strong>in</strong>e erste Generation e<strong>in</strong>sprachig erzogen wird. Die Festlegung e<strong>in</strong>er<br />

Haussprache verdrängte außerdem nicht vollends die zweite Sprache. So war es nicht<br />

unüblich, daß beispielsweise e<strong>in</strong>e tschechische Großmutter oder tschechische Dienstboten<br />

den pr<strong>im</strong>är deutsch sozialisierten K<strong>in</strong>dern das Tschechische spielerisch vermittelten.<br />

E<strong>in</strong> „K<strong>in</strong>derwechsel“ zur Erlernung der jeweils anderen Sprache war für Baumöhler<br />

K<strong>in</strong>der nicht notwendig. Viele Interviewpartner aus Baumöhl beherrschen<br />

noch heute beide Sprachen.<br />

28 Interview W., S. 14 f.<br />

226


Was die außerhäusliche <strong>und</strong> öffentliche Kommunikation anbelangt, so waren<br />

Deutsch <strong>und</strong> Tschechisch gleichwertige Dorfsprachen. Stets berücksichtigte man die<br />

konkrete Kontaktsituation. Mit dem e<strong>in</strong>en Nachbarn sprach man <strong>in</strong> Übere<strong>in</strong>st<strong>im</strong>mung<br />

zur jeweiligen Haussprache Deutsch, mit dem anderen Tschechisch: „Das war so, <strong>und</strong><br />

der Nachbar überm Zaun, das war halt der soused (= Nachbar), <strong>und</strong> man hat Guten<br />

Morgen <strong>und</strong> Guten Abend gesagt, <strong>und</strong> waren ke<strong>in</strong>e Reibereien, komischerweise.“ 29<br />

Die nachbarliche Kommunikation auf deutsch oder tschechisch betraf die üblichen<br />

Fragen der Arbeitse<strong>in</strong>teilung. „Da hat man gfragt, was wir am Feld schon fertig s<strong>in</strong>d,<br />

<strong>und</strong> wir haben gsagt, heut gehen wir dort <strong>und</strong> dort h<strong>in</strong>.“ 30 Auf der Straße wechselte<br />

die Sprache nach den Kompetenzen der beteiligten Kontaktpersonen. K<strong>in</strong>der wechselten<br />

mitten <strong>in</strong> Gespräch <strong>und</strong> Spiel die Sprache. „Naja, dort, unter die K<strong>in</strong>der, mit<br />

den tschechischen. Wir haben e<strong>in</strong>e Weile böhmisch geredet, dann e<strong>in</strong>e Weile deutsch,<br />

wie wir es wollen haben.“ 31 Be<strong>im</strong> Betreten e<strong>in</strong>es fremden Hofes richtete man sich<br />

nach der Hofsprache. E<strong>in</strong>e Respondent<strong>in</strong> er<strong>in</strong>nert sich heute noch, daß die zu Besuch<br />

kommende tschechische Großmutter regelmäßig diese ungeschriebenen Regeln mißachtete<br />

<strong>und</strong> den deutschen Schwiegersohn tschechisch begrüßte, obwohl sie e<strong>in</strong>igermaßen<br />

deutsch sprach. „Wenn die Großmutter kommen ist, me<strong>in</strong> Vater hat gsagt,<br />

grüß dich, Oma! Die Großmutter hat gsagt: Vítám te= Tobito, die hat net gsagt, grüß<br />

dich. In der Kirche hat sie e<strong>in</strong> jedes Lied, e<strong>in</strong> jedes Gebet <strong>und</strong> alles ohne Büchl auswendig<br />

können. Aber die hat zhaus ke<strong>in</strong> deutsches Wort über die Lippen bracht.“ 32<br />

Zweisprachigkeit galt als erwünschte Kompetenz <strong>und</strong> zwar trotz sprachlicher Interferenzen<br />

die volle Kenntnis der regionalen m<strong>und</strong>artlichen Variante von Deutsch <strong>und</strong><br />

Tschechisch. Das bezeugt auch der leichte Spott über vere<strong>in</strong>zelte Fälle von Sprachvermischung<br />

durch tschechische Zuwanderer der ersten Generation. Die Dorfbewohner<br />

wußten also um zwei kompakte Sprachtexte, die jeder <strong>in</strong> möglichst re<strong>in</strong>er Form<br />

beherrschen sollte.<br />

E<strong>in</strong>e solche Sprachsituation erforderte erhebliche soziale Kompetenzen der Sprecher,<br />

da für jede Begegnungsebene speziell die Sprache festzulegen war. Nur unter<br />

den Voraussetzungen dichter sozialer Kontakte <strong>und</strong> bei E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> die persönlichen<br />

Lebensverhältnisse aller Dorfbewohner war e<strong>in</strong>e situativ richtige Wahl der Sprache<br />

möglich. In abgeschwächter Form galt Zweisprachigkeit <strong>in</strong>nerhalb der ganzen breiteren<br />

Berührungszone von Deutschen <strong>und</strong> Tschechen bei familiären oder wirtschaftlichen<br />

Kontakten zu den Nachbardörfern. Auch dabei wurde ganz pragmatisch die am<br />

ehesten nützliche Sprache gewählt. Auf diese Weise flossen die beiden Sprachen <strong>im</strong><br />

Alltagskontext gewissermaßen <strong>in</strong>e<strong>in</strong>ander, mit allmählich ger<strong>in</strong>gerer Präsenz. Der<br />

vom Nationalismus geprägte Term<strong>in</strong>us „Sprachgrenze“ ist zur Charakterisierung dieser<br />

Situation ganz ungeeignet. Er zieht territorial <strong>und</strong> mental e<strong>in</strong>e Kommunikationsgrenze<br />

durch e<strong>in</strong>e Übergangszone, die besser mit dem Begriff des „Kont<strong>in</strong>uums“ zu<br />

29 Interview W., S. 6.<br />

30 Interview W., S. 28.<br />

31 Interview M., S. 11.<br />

32 Interview A., S. 13.<br />

227


erfassen ist. Von Sprachgrenze war daher auch <strong>in</strong> den Interviews ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Mal<br />

die Rede.<br />

Konflikte waren <strong>im</strong> Alltag angesichts des fehlenden Gruppenzusammenhangs der<br />

Sprachen <strong>und</strong> ohne ethnische Handlungszwänge selten. Weil Sprachverwendung<br />

nicht an e<strong>in</strong> übergeordnetes Wertesystem geb<strong>und</strong>en war, diente sie friktionsfrei den<br />

Notwendigkeiten <strong>in</strong>nerdörflicher Kommunikation. Diesem ethnisch neutralen „Kont<strong>in</strong>uum“<br />

entspricht die sehr <strong>in</strong>dividuell geprägte Er<strong>in</strong>nerungsebene der Respondenten<br />

an die dörfliche Harmonie zwischen Menschen beider Sprachen. (Er<strong>in</strong>nerung bezieht<br />

sich auf verschiedene Erfahrungs- <strong>und</strong> Verarbeitungsebenen.)<br />

Zur gesellschaftlichen Konstruktion <strong>und</strong> Funktion von Ethnizität<br />

Erst auf der kulturellen Ebene gewann der Unterschied zwischen deutsch <strong>und</strong> tschechisch<br />

gruppenbildende Bedeutung, <strong>in</strong>dem die Folklore zusätzlich zu ihrer sonstigen<br />

Funktion der lebensweltlichen Orientierung e<strong>in</strong>e weitere der ethnischen Identifikation<br />

übernahm. 33 Kurz gesagt, <strong>in</strong> den zweisprachigen Dörfern wurde das örtliche bzw. regionale<br />

kirchliche <strong>und</strong> popularkulturelle Formenrepertoire <strong>in</strong> zwei Varianten zur ethnischen<br />

Identifikation angeboten. Daher besuchten Deutsche <strong>und</strong> Tschechen die<br />

Sonntagsmesse mit deutscher oder tschechischer Predigt, daher gab es ethnisch def<strong>in</strong>ierte<br />

Wirtshäuser, Burschenschaften, oft auch Kirtage, Fasch<strong>in</strong>gsbälle usf. Ethnizität<br />

wurde also durch kulturelle Praxis <strong>in</strong> abgesonderten Räumen konstruiert. Erst dort,<br />

wo die puren Notwendigkeiten des Alltags aufhörten, erlangten die psychischen Bedürfnisse<br />

des Ethnischen ihr Recht, suchte man Wärme <strong>und</strong> Geborgenheit sprachlich<br />

homogener Kultur. Es war jedoch stets dasselbe Bezugssystem wie katholische Religiosität,<br />

Frömmigkeit, die agrarisch-dörfliche Werteordnung, die kulturellen Orte,<br />

welche gleichsam verdoppelt wurden. Anlässe <strong>und</strong> Ablauf der ethnisch konnotierten<br />

Praxis waren weiterh<strong>in</strong> vom Ortskontext best<strong>im</strong>mt. E<strong>in</strong> nennenswerter ethnisch best<strong>im</strong>mter<br />

Unterschied des Formenmaterials, mit Ausnahme von Liedern <strong>und</strong> Re<strong>im</strong>en,<br />

bestand nicht. Die ethnische Untergliederung der Dorfgesellschaft wurde durchgehend<br />

vom Gedanken der Symmetrie beherrscht, <strong>in</strong>dem nach Maßgabe der f<strong>in</strong>anziellen<br />

Möglichkeiten <strong>und</strong> der Organisationskapazität der örtlichen Sprachgruppen die Popularkultur<br />

<strong>in</strong> zwei Varianten, auf symbolisch gewidmeten Räumen kultiviert wurde.<br />

Zwischen deutsch <strong>und</strong> tschechisch herrschte dabei ke<strong>in</strong> anderes Konkurrenzpr<strong>in</strong>zip<br />

als sonst zwischen den e<strong>in</strong>zelnen Dorfteilen, zwischen Haupt- <strong>und</strong> Nebendorf bzw.<br />

33 Vgl. dazu L’UBICA DROPPOVÁ: Integrierungs- <strong>und</strong> Differenzierungselemente <strong>in</strong> der Folklore<br />

multiethnischer Lokalitäten, <strong>in</strong>: Ethnocultural processes <strong>in</strong> Central Europe <strong>in</strong> <strong>20</strong> th century<br />

(Comenius University Bratislava. Philosophical Faculty. Department of Ethnologie),<br />

Bratislava 1994, S. 150-156; DIES.: Ethnoidentifikationsfunktionen der Folklore <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

ethnisch gemischten Gebiet, <strong>in</strong>: Folklore <strong>in</strong> the identification processes of society, Bratislava<br />

1994 (Etnologické stúdie 1), S. 140-143; MARTA ŠRÁMKOVÁ, MARTA TONCROVÁ: Zur<br />

Frage der Identifizierungsfunktion der Folklore <strong>in</strong> Kontaktgebieten, <strong>in</strong>: Folklore <strong>in</strong> the<br />

identification processes of society, Bratislava 1994 (Etnologické stúdie l), S. 144-146.<br />

228


zwischen den Dörfern untere<strong>in</strong>ander. So wie zwei deutsche Burschenschaften um den<br />

schöneren Kirtag <strong>und</strong> die bessere Musik konkurrierten oder <strong>in</strong> Schattau die Orts- <strong>und</strong><br />

Betriebsfeuerwehr um die Ehre, e<strong>in</strong>en Brandplatz als erste zu erreichen, so konkurrierten<br />

auch die ethnischen Gruppen um Ansehen, Ehre, Farbenprächtigkeit, Tüchtigkeit.<br />

In den Waldbauerndörfern des westlichen Untersuchungsgebietes war sogar<br />

be<strong>im</strong> Tanz „die Jugend e<strong>in</strong>s“ <strong>und</strong> wurde ethnische Symmetrie durch e<strong>in</strong>e zeitweilige<br />

Raumwidmung bewirkt: „Dann haben sie <strong>im</strong>mer e<strong>in</strong>en Kreis gemacht, da haben die<br />

Tschechen gesungen, dann haben wieder die Deutschen gesungen“ (Interview C+ervenec).<br />

34 Dem Symmetriepr<strong>in</strong>zip entsprachen auch die teils zweisprachigen, teils alternierend<br />

deutschen <strong>und</strong> tschechischen Sonntagsmessen der Walddörfer.<br />

Die so gebildeten ethnischen Netzwerke reichten so weit wie sonst die volkskulturellen<br />

Kontakte von Dorf zu Dorf, beispielsweise die „Kirtagskreise“ oder best<strong>im</strong>mte<br />

Funktionkreise, beispielsweise die Hilfeleistung bei Bränden, das heißt zwei bis drei<br />

Dörfer weit. Ethnische Gruppenbildung war nicht der Fernsteuerung unterworfen <strong>und</strong><br />

bedurfte nicht der modernen vere<strong>in</strong>smäßigen Organisation. Pfarrer <strong>und</strong> Lehrer waren<br />

nicht notwendigerweise oder nur peripher <strong>in</strong> die ethnisch gefärbte volkskulturelle<br />

Praxis e<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>en, wohl aber der Bürgermeister, der beispielsweise die gewählte<br />

Hierarchie der Dorfburschen bestätigte. Symmetrie, Konkurrenz <strong>und</strong> dörflich-regionale<br />

Reichweite s<strong>in</strong>d somit die drei Organisationspr<strong>in</strong>zipien von Ethnizität. Auf diese<br />

Weise erlaubte popularkulturelle Praxis die ethnische Gliederung der Dorfgesellschaft<br />

<strong>und</strong> die Festlegung <strong>in</strong>dividueller Identität, ohne die funktionale Integration des Dorfes<br />

zu gefährden.<br />

Wieder dient das komplexe Fallbeispiel Baumöhl zur Illustration. Auch hier entstanden<br />

die ethnischen Varianten volkskultureller Praxis durchwegs <strong>in</strong> arbeitsfreien<br />

Räumen. Die außerhäusliche Frömmigkeitspflege beispielsweise blieb auf Dorfebene<br />

ethnisch neutral. Geme<strong>in</strong>sam wurde der Rosenkranz <strong>in</strong> der kle<strong>in</strong>en Dorfkapelle gebetet<br />

<strong>und</strong> g<strong>in</strong>g man auf Wallfahrt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en nahen Gnadenort. Wer auf der Wallfahrt die<br />

gerade gewählte Sprache nicht beherrschte, murmelte den Text <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Sprache. Zur<br />

Sonntagsmesse g<strong>in</strong>gen die Baumöhler Dorfbewohner allerd<strong>in</strong>gs getrennte Wege, zur<br />

deutschen Messe <strong>in</strong> die zuständige Pfarrkirche Luggau <strong>und</strong> zur tschechischen Nachmittagsmesse<br />

– nach Großmaispitz. 35 Es war also e<strong>in</strong>e kulturelle Vorgabe „von außen“,<br />

welche zur Konstituierung von ethnischen Wir-Gruppen beitrug. 36<br />

34 E<strong>in</strong>e Parallele wird aus slowakischen Dörfern berichtet, dort wurden „bei vielen Folkloregelegenheiten“<br />

abwechselnd Lieder <strong>in</strong> den drei Sprachen slowakisch, ungarisch <strong>und</strong><br />

deutsch gesungen. DROPPOVÁ: Integrierungs- <strong>und</strong> Differenzierungselemente (wie Anm.<br />

33), S. 151.<br />

35 Geme<strong>in</strong>dechronik Baumöhl.<br />

36 Die Volkssprache spielte seit den Kirchenreformen der frühen Neuzeit <strong>in</strong> der Seelsorge e<strong>in</strong>e<br />

wichtige Rolle. Predigt, Kirchenlied <strong>und</strong> Gebete folgten stets den örtlichen sprachlichen<br />

Verhältnissen. Daher f<strong>in</strong>den wir schon <strong>im</strong> 17. Jahrh<strong>und</strong>ert <strong>in</strong> gemischten Pfarren Mährens<br />

gelegentlich zwei Priester <strong>und</strong> vere<strong>in</strong>zelt waren sogar die Gotteshäuser dauernd <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

böhmische <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e deutsche Kirche mit jeweils eigener Kanzel untergliedert. Diese<br />

Zweiteilung währte beispielsweise <strong>in</strong> der ehemaligen deutschen Kölle<strong>in</strong>er Sprach<strong>in</strong>sel<br />

durch zweih<strong>und</strong>ert Jahre, bis zuletzt nach dem sukzessiven Zuzug von tschechischen Bau-<br />

229


Ethnisch differenziert war das vorösterliche „Ratschen“ – e<strong>in</strong> Heischebrauch respektive<br />

Lärmbrauchtum, um die <strong>in</strong> der Karwoche „nach Rom geflogenen“ Glocken<br />

zu ersetzen. Obwohl die Dorfbuben sonst „durche<strong>in</strong>and g´mischt“ spielten 37 , gab es<br />

e<strong>in</strong>e deutsche <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e tschechische Ratscherpartie. Wieder g<strong>in</strong>g es um die Ehre des<br />

Ersten. In e<strong>in</strong>er handfesten Rauferei unter den Sieben- bis Zehnjährigen wurde entschieden,<br />

wer als erster die best<strong>im</strong>mte Ste<strong>in</strong>platte vor der Kapelle, den Ausgangspunkt<br />

des Ratschens betreten durfte. Dann betete die angeblich stets siegreiche deutsche<br />

Ratscherpartie ihr Vaterunser <strong>und</strong> zog als erste <strong>in</strong>s Dorf. Erst „dann s<strong>in</strong>d die anderen<br />

aufi <strong>und</strong> haben auch bet´ <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d h<strong>in</strong>tnachi gangen“; sie „haben h<strong>in</strong>tnachiratschen<br />

müssen, die Tschechen“. 38 Diese symbolische Verweisung auf den zweiten<br />

Platz ist für die Respondenten sehr wichtig. „Weil man nicht zwe<strong>im</strong>al Gebetläuten<br />

kann“, mußte die tschechische Gruppe e<strong>in</strong>e alternative „R<strong>und</strong>e“ gehen, vielleicht e<strong>in</strong>e<br />

weniger ertragreiche bei ärmeren Häusern. Später wurde jedoch dieses Kräfter<strong>in</strong>gen<br />

durch bleibende räumliche Widmung entschärft, <strong>in</strong>dem e<strong>in</strong>e Gruppe <strong>in</strong>s Dorf g<strong>in</strong>g<br />

<strong>und</strong> die andere <strong>in</strong>s neue tschechische Dorfviertel na Hátech. 39<br />

Ethnisch untergliedert war auch das Kirtagsbrauchtum. Baumöhl widmete dem<br />

Patron se<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en Dorfkapelle am 6. September gleich zwei Feste, e<strong>in</strong> deutsches<br />

<strong>und</strong> e<strong>in</strong> tschechisches <strong>in</strong> den jeweiligen Gasthäusern. Die Gasthäuser bildeten ohneh<strong>in</strong><br />

die e<strong>in</strong>zige permanente ethnisch fixierte soziale E<strong>in</strong>richtung. In den Zwanzigerjahren<br />

gab es <strong>in</strong> Baumöhl zwei Wirtshäuser, Kiesl<strong>in</strong>g <strong>im</strong> Ortszentrum für die Deutschen<br />

<strong>und</strong> Hopp an der Ausfallstraße gegen den nächsten tschechischen Ort Großmaispitz/Hluboké<br />

Masuvky für die Tschechen. 40 Als Kiesl<strong>in</strong>g 1929 aus familiären Gründen<br />

geschlossen wurde 41 <strong>und</strong> Hopp auch die deutsche K<strong>und</strong>schaft anzog, wurde die<br />

ethnische Symmetrie provisorisch wiederhergestellt, <strong>in</strong>dem die Deutschen ihren Kirtag<br />

vor dem Gasthaus abhielten <strong>und</strong> den Tschechen das Gastz<strong>im</strong>mer reserviert blieb. 42<br />

Klare Verhältnisse entstanden erst wieder, als Alois Mollik 1931 abseits vom Orts-<br />

ern <strong>und</strong> der Ass<strong>im</strong>ilation der letzten deutschen Bauern seit 1804 <strong>in</strong> der „deutschen Kirch“<br />

ke<strong>in</strong>e Predigt mehr gelesen wurde. JOHANNA SPUNDA: Die verlorenen Inseln. E<strong>in</strong> Beitrag<br />

zur Erforschung der nationalen Ause<strong>in</strong>andersetzung <strong>und</strong> Umvolkung, <strong>in</strong>: Bohemia. Jahrbuch<br />

des Collegium Carol<strong>in</strong>um 2 (1961), S. 357-413.<br />

37<br />

Interview A., S. 11.<br />

38<br />

Interview A., S. 10 f.<br />

39<br />

Geme<strong>in</strong>dechronik Baumöhl.<br />

40<br />

I: „Wie haben sie geheißen, die Wirte? H: Kiesl<strong>in</strong>g der deutsche, der böhmische hat Hopp<br />

geheißen.“ Interview H., S. 4. (Die Interviewte verbrachte nur ihre K<strong>in</strong>dheit <strong>in</strong> Baumöhl,<br />

sie kennt daher nicht die spätere Umwidmung der Gasthöfe.)<br />

41<br />

Geme<strong>in</strong>dechronik Baumöhl.<br />

42<br />

„Im September, auf Ägidi, ist <strong>im</strong>mer der Baumöhler Kirtag gwesen. War schön, wirklich<br />

schön. Da haben sie <strong>in</strong> Baumöhl gefeiert, nicht <strong>im</strong> Gastz<strong>im</strong>mer, da s<strong>in</strong>d ja die Tschechen,<br />

der Wirt, gwesen. Weil der deutsche hat ja dann zusperren müssen. Der war <strong>im</strong> Ort dr<strong>in</strong>,<br />

der deutsche Wirt.“ Interview H., S. 4. „Da hat der Kiesl<strong>in</strong>g dann n<strong>im</strong>mer das Gasthaus<br />

ghabt, der Deutsche. Dann hat es der Tschech gehabt, der Hopp, <strong>und</strong> der hat auch vorm<br />

Haus so e<strong>in</strong>en Platz ghabt, haben sie auch. Da b<strong>in</strong> ich ja alle Jahre (von Unterretzbach) aufigfahrn.<br />

Dort hab ich nachher Kirtag . . .“ Interview H., S. 5.<br />

230


kern, an der Straße nach Zna<strong>im</strong> <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Nähe des neuen Dorfviertels Hátech, das<br />

neu erbaute tschechische „Restaurace“ – so auch <strong>im</strong> deutschen Sprachgebrauch – eröffnete,<br />

während Hopp mit se<strong>in</strong>er verbleibenden deutschen K<strong>und</strong>schaft zum deutschen<br />

Gasthaus wurde. Jeder <strong>im</strong> Dorf wußte um die tschechische Herkunft des<br />

Hopp, 43 aber es war <strong>in</strong> der deutschen Dorfme<strong>in</strong>ung „unser Gasthaus“. 44 Der extreme<br />

Nationalismus <strong>in</strong>terpretierte den Positionswechsel des Gastwirtes Hopp jedoch als nationalen<br />

Verrat. Hopp <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Frau wurden 1945 erst <strong>in</strong> letzter M<strong>in</strong>ute vom Abschub<br />

(odsun) ausgenommen, denn „sie haben das Volk verraten <strong>und</strong> sie haben mit<br />

den Deutschen kollaboriert, sie s<strong>in</strong>d zu deutschen Staatsbürgern geworden“ <strong>und</strong> werden<br />

daher „das Ka<strong>in</strong>smal von Verrätern das ganze Leben tragen“. 45<br />

Der Dorfkirtag konstruierte für wenige Tage zwei ethnisch differente, jedoch parallele<br />

Dörfer. Doch nach außen präsentierte sich die Dorfburschenschaft wieder geme<strong>in</strong>sam.<br />

Die „Kirtagskreise“ der Baumöhler Burschenschaften orientierten sich nach<br />

räumlichen, nicht nach ethnischen Kriterien. Alle Nachbarorte wurden besucht, das<br />

deutsche Luggau ebenso wie die tschechischen Orte Großmaispitz <strong>und</strong> Weskau. E<strong>in</strong><br />

Respondent, damals Altbursch der deutschen Burschenschaft, er<strong>in</strong>nert sich sogar an<br />

geme<strong>in</strong>same Fahrten deutscher <strong>und</strong> tschechischer Jugendlicher <strong>im</strong> „verkranzten E<strong>in</strong>führwagen“<br />

nach Großmaispitz. 46 Auch das Empfangsritual <strong>im</strong> tschechischen Großmaispitz<br />

galt der ganzen Dorfburschenschaft: „Wir s<strong>in</strong>d gfahren bis zum Anfang der<br />

Ortschaft. Dann ist der Altbursch e<strong>in</strong>igangen, hat gmeldt, wir s<strong>in</strong>d da. Die s<strong>in</strong>d mit<br />

der Musik rausgangen, haben uns re<strong>in</strong>blatt, (d. i. e<strong>in</strong>begleiten) haben wir gsagt. Die<br />

tschechischen, also die Ortsburschen vorn, die Musik <strong>und</strong> dann wir mit dem Wagen<br />

h<strong>in</strong>tnachi, net.“ 47<br />

Der Kirtag war e<strong>in</strong>e Angelegenheit der beiden örtlichen Dorfburschenschaften der<br />

unverheirateten Männer, sie sorgten für Ausschmückung, Musik <strong>und</strong> ordentliche<br />

Durchführung. F<strong>in</strong>anziert wurde der Kirtag durch die E<strong>in</strong>trittsgelder, e<strong>in</strong> etwaiges Defizit<br />

trug die Burschenschaft. Die zahlenmäßig stärkere Baumöhler deutsche Dorfburschenschaft<br />

konnte e<strong>in</strong> solches Risiko leicht e<strong>in</strong>gehen, die tschechische war dafür<br />

nicht <strong>im</strong>mer <strong>in</strong> der Lage. Mitte der Dreißigerjahre waren es 28 deutsche <strong>und</strong> nur zehn<br />

tschechische Burschen. Unter diesen Voraussetzungen gab es e<strong>in</strong>ige Jahre <strong>in</strong> Baumöhl<br />

ke<strong>in</strong>en tschechischen Kirtag. Anstandslos besuchten <strong>in</strong> solchen Jahren die<br />

Tschechen den deutschen Kirtag <strong>und</strong> erhielten dort ihren eigenen Tisch. 48 Sonst jedoch<br />

g<strong>in</strong>g jeder zu se<strong>in</strong>er Kirtagsfeier. Doch kam es auch schon e<strong>in</strong>mal vor, daß die<br />

deutschen Burschen zum tschechischen Kirtag g<strong>in</strong>gen, <strong>und</strong> weil die „die bessere Musi<br />

. . . <strong>und</strong> mehr Leut“ hatten, e<strong>in</strong>en Streit um e<strong>in</strong> Mädchen anzettelten, um „die Leute<br />

43<br />

Interview W., S. 51.<br />

44<br />

Interview A., S. 35: „Ich weiß nicht, ob er nicht von e<strong>in</strong>em Tschechen abgestammt hat. Ich<br />

weiß es nicht, aber es ist unser Gasthaus gewesen.“<br />

45<br />

Geme<strong>in</strong>dechronik Baumöhl.<br />

46<br />

Interview A., S. 12. Auch Reiter schildert den Kirtagsbesuch <strong>in</strong> Großmaispitz <strong>und</strong> Weskau<br />

mit Wagen, Interview R., S. 7.<br />

47<br />

Interview A., S. 16.<br />

48<br />

Interview A., S. 14.<br />

231


(zu) vertreiben“. 49 Nur <strong>in</strong> diesen volkskulturellen Szenerien kam es zu solcher dorftypischen<br />

Konkurrenz. 50 Die Begegnungsebenen von Alltag <strong>und</strong> Feiertag werden von<br />

den betagten Respondenten säuberlich separiert. Da „kann ich nicht sagen, daß wir<br />

g´wesen wären wie H<strong>und</strong> <strong>und</strong> Katz. Nur bei gewisse Sachen da hat es halt alleweil<br />

was geben, da hat es Reibereien geben, sagen wir be<strong>im</strong> Ratschen gehen oder am<br />

Kirchtag oder <strong>im</strong> Fasch<strong>in</strong>g. Da ist halt alleweil e<strong>in</strong> weng e<strong>in</strong> Zwist dr<strong>in</strong> gwesen.“ 51<br />

Diese Rivalität <strong>im</strong> Dorf<strong>in</strong>nern stellte außerdem nicht das geschlossene Auftreten der<br />

Dorfburschen gegen auswärtige Konkurrenten <strong>in</strong> Frage. Männerehre g<strong>in</strong>g über ethnische<br />

Zugehörigkeit. Ihre Dorfmädchen verteidigten deutsche <strong>und</strong> tschechische Burschen<br />

geme<strong>in</strong>sam. „Na, aber bei uns hat es das net geben, daß von der Nachbarortschaft,<br />

ob das jetzt e<strong>in</strong> Deutscher oder e<strong>in</strong> Tschech war, zu e<strong>in</strong>em unsrigen Mädchen<br />

hat gehen können. Da ist es uns nicht zu dumm gwesen, s<strong>in</strong>d wir die ganze Nacht dort<br />

g´sessen haben paßt bis er z´haus geht, dann haben wir ihn recht droschen. Bis daß er<br />

sich e<strong>in</strong>kauft hat, also e<strong>in</strong> Faßl oder zwei Faßl Bier zahlt hat, dann hat er zu uns<br />

g´hört. Dann hat er kommen können, wie wann er he<strong>im</strong>g<strong>in</strong>gert.“ 52<br />

Nationalität: Die Nation <strong>im</strong> Dorf – nationale Partizipation<br />

Die dritte, die nationale Ebene der deutsch-tschechischen Differenzierung war e<strong>in</strong><br />

modernes Element politischer Kultur <strong>und</strong> Steuerung. Nunmehr g<strong>in</strong>g es um die symbolische<br />

Integration des Dorfes <strong>in</strong> die lediglich <strong>im</strong>ag<strong>in</strong>ierte, nicht durch direkten Kontakt<br />

hergestellte gesellschaftliche Großgruppe Nation. Die moderne Nation ist nicht<br />

e<strong>in</strong>fach e<strong>in</strong>e Verlängerung oder qualitative Veränderung bestehender sprachlichethnischer<br />

Gruppen zur politischen Willensgeme<strong>in</strong>schaft, sondern e<strong>in</strong>e durch Agitation<br />

<strong>und</strong> Organisation gebildete neue soziale Großgruppe. 53 Erst das politische Handeln<br />

nationaler Eliten <strong>und</strong> die Kraft von Massenbewegungen formte hier <strong>in</strong> Zentraleuropa<br />

aus dem spröden ethnischen Material die moderne Nation. Daher mutierte die Nationalitätenfrage<br />

an der Peripherie des Agitationsgebietes zur Grenzfrage. Die Glaubwürdigkeit<br />

des Nationalismus für das agrarische Dorf beruht offenbar auf se<strong>in</strong>er Deutungskompetenz<br />

für die „großen Zusammenhänge“ der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen<br />

<strong>und</strong> politischen Entwicklung, welche nunmehr auch <strong>in</strong> den Lebensalltag der<br />

kle<strong>in</strong>en Leute e<strong>in</strong>griffen. Vielfach vermittelte der Nationalismus neuerd<strong>in</strong>gs nützliche<br />

49 Interview A., S. 34.<br />

50 Interview W., S. 12.<br />

51 Interview A., S. 34.<br />

52 Interview A., S. 16.<br />

53 ERNEST GELLNER: Nationalismus <strong>und</strong> Moderne, Berl<strong>in</strong> 1991; DERS.: Nationalismus <strong>in</strong> Osteuropa,<br />

Wien 1996 (Passagen, Heft 6); KARL WILHELM DEUTSCH: Nationenbildung – Nationalstaat<br />

– Integration, hrsg. von A. ASHKENASI <strong>und</strong> P. SCHULZE, Düsseldorf 1972 (Studienbücher<br />

zur auswärtigen <strong>und</strong> <strong>in</strong>ternationalen Politik, Bd. 2); DERS.: Der Nationalismus<br />

<strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Alternativen, München 1972 (Serie Piper 26); DERS.: Soziale Mobilisierung <strong>und</strong><br />

politische Entwicklung, <strong>in</strong>: Wandel, hrsg. von ZAPF, S. 329-350.<br />

232


<strong>und</strong> notwendige kulturelle Fähigkeiten, gewandte Umgangsformen, schriftliche Ausdrucksfähigkeit<br />

<strong>und</strong> e<strong>in</strong>e aus ethnischen Überlieferungen gebildete überregional<br />

brauchbare nationale Standardsprache. Aus dieser Bildungsmission resultierte die<br />

große Bedeutung der Lehrer als Agenten der Nationalisierung. Der Nationalismus leistete<br />

weiters Hilfe bei der Herstellung ökonomischer <strong>und</strong> sozialer Außenbeziehungen,<br />

etwa <strong>im</strong> Rahmen von Genossenschaften, Bankwesen, Feuerwehren, der kulturellen<br />

<strong>und</strong> Sportorganisationen. Auf diese Weise wurden ganze Zweige moderner Wirtschafts-<br />

<strong>und</strong> Kulturtechnik dem Nationalismus dienstbar, jedoch <strong>in</strong> Konkurrenz mit<br />

anderen politischen Orientierungen <strong>und</strong> Weltanschauungen, die den sozialen Gruppenzusammenhang<br />

beispielsweise auf Klassenbasis oder mittels Religionsb<strong>in</strong>dung<br />

organisierten. In besonderer Weise profitierte der Nationalismus von den Tendenzen<br />

der Durchstaatlichung, welche das Dorf durch Steuerwesen, Militärdienst, Volkszählungen<br />

<strong>und</strong> Schulpflicht zugleich verunsicherten <strong>und</strong> zu kollektiven Solidaritätsb<strong>in</strong>dungen<br />

erzogen – man denke an die Assentierungsbräuche <strong>und</strong> die Veteranenbewegung.<br />

Sodann öffnete die Demokratisierung der politischen Ordnung mit den entsprechenden<br />

<strong>Institut</strong>ionen der „bürgerlichen Öffentlichkeit“ <strong>und</strong> den Wahlen <strong>in</strong> die diversen<br />

Vertretungskörper e<strong>in</strong>e weitere E<strong>in</strong>bruchsstelle der nationalen Logik <strong>in</strong> lebensweltliche<br />

Zusammenhänge. Nationalismus bedeutete schließlich die größere ideelle<br />

He<strong>im</strong>at nach dem tendenziellen Bedeutungsverlust der kle<strong>in</strong>en überschaubaren Lebenswelten<br />

von Dorf, Stadtviertel <strong>und</strong> Region. Der Nation gehörte vor allem die Zukunft.<br />

Während das kulturelle System von Ethnizität lediglich die bestehende Welt<br />

affirmativ <strong>in</strong>terpretierte, versprach die Nation e<strong>in</strong>e bessere Welt, <strong>und</strong> daraus resultiert<br />

ihre große Überzeugungskraft.<br />

Die Nation mußte durch Vermittlungs<strong>in</strong>stanzen <strong>und</strong> symbolische Partizipation die<br />

Vorstellung von Geme<strong>in</strong>samkeit evozieren. Die Bauerndörfer erzog <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie der<br />

Lehrer zur Nation. Er vermittelte die kulturellen Standards von Hochsprache <strong>und</strong> <strong>in</strong>tellektueller<br />

Bildung. Damit ergänzte bzw. ersetzte er den autochthonen Wissenskanon<br />

durch neue Werte aus fremden Entstehungszusammenhängen jenseits des Dorfhorizontes<br />

<strong>und</strong> erfüllte diese erlernte fremde Welt mit den sent<strong>im</strong>entalen Inhalten von<br />

Staat <strong>und</strong>/oder Nation. Se<strong>in</strong> Bildungsauftrag reichte jedoch über die Schule weit h<strong>in</strong>e<strong>in</strong><br />

<strong>in</strong> die dörfliche Lebenswelt. Der Lehrer vermittelte dem Dorf das Organisationspr<strong>in</strong>zip<br />

des Vere<strong>in</strong>swesens, er stellte die Außenkontakte zu überregionalen Netzwerken<br />

auf vielen Gebieten von Wirtschaft <strong>und</strong> Kultur her, <strong>und</strong> er agitierte für politische,<br />

häufig jedoch prononciert nationale Parteien. In zweisprachigen Dörfern übernahm er<br />

vor allem die Aufgabe, die Angehörigen des eigenen Ethnikums partiell aus dem<br />

Ortskontext herauszuheben <strong>und</strong> zu e<strong>in</strong>er eigenen Wir-Gruppe zusammenzufassen. Die<br />

Inklusion <strong>in</strong> die Nation erfolgte hauptsächlich durch kulturpolitische Aktivitäten <strong>in</strong><br />

abgesonderten Räumen <strong>und</strong> mit e<strong>in</strong>em eigenen Jahreskalender. Auch <strong>in</strong> den untersuchten<br />

Dörfern präsentierte sich der Nationalismus durch e<strong>in</strong>e vom Volkskulturellen<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich abgesonderte kulturelle Praxis, durch Feste zu profanen Anlässen wie<br />

die Republikfeier, die Geburtstagsfeier der Staatspräsidenten, die Hus-Feiern <strong>und</strong><br />

schulischen Weihnachtsfeiern. So gab es <strong>in</strong> Baumöhl zur zehnjährigen Staatsgründungsfeier<br />

1928 „e<strong>in</strong> Lager am Háte“ – der Baumöhler Dorfschullehrer Šrot verwen-<br />

233


dete wörtlich den Begriff tábor, Lager. 54 Nicht zufällig verwandelte der Lehrer die bescheidenen<br />

tschechischen Bauern <strong>und</strong> die Staatsbeamten für solche Gelegenheiten <strong>in</strong><br />

die „tschechoslowakische“ Öffentlichkeit (1935), somit zu e<strong>in</strong>em Teil der <strong>im</strong>ag<strong>in</strong>ierten<br />

tschechoslowakischen politischen Nationalität.<br />

Das Dorf wurde zum Bauste<strong>in</strong> der e<strong>in</strong>sprachigen Nation, daher zergliederte die nationale<br />

Festkultur die zweisprachige Dorfgesellschaft scharf <strong>in</strong> Eigene <strong>und</strong> Fremde.<br />

Deutsche <strong>und</strong> tschechische Nationalkultur war auch auf der Dorfebene nicht mehr<br />

„symmetrisch“, anders als die ethnische Kultur, welche e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames agrarisches<br />

Kultursystem <strong>in</strong> zwei Sprachvarianten gleich deutete. Der Nationalismus erfand <strong>im</strong><br />

Dorf Unterschiede, Ethnizität betonte <strong>in</strong> der Vielfalt das Geme<strong>in</strong>same. Die Ethnien<br />

repräsentierten Facetten des e<strong>in</strong>en Dorfes, während auf der nationalen Ebene der<br />

symbolische Streit um Dom<strong>in</strong>anz, Vorherrschaft, Erstgeburtsrecht, Raumbeherrschung,<br />

e<strong>in</strong>seitige Darstellung gegen außen g<strong>in</strong>g. Der Nationalismus konstruierte kulturelle<br />

Uniformität, Ethnizität akzeptierte Vielfalt. Der Nationalismus durchzog das<br />

Dorf mit <strong>Grenzen</strong>, <strong>und</strong> er grenzte es gegen Dörfer <strong>und</strong> Regionen anderer Ethnizität<br />

ab. Die von Angehörigen bürgerlicher oder verbürgerlichter agrarischer Schichten getragenen<br />

nationalen Netzwerke reichten gr<strong>und</strong>sätzlich über die eigene Region h<strong>in</strong>aus.<br />

Vere<strong>in</strong>zelt übernahmen sogar Industriefirmen des „B<strong>in</strong>nenlandes“ Patronage über<br />

M<strong>in</strong>derheitenschulen. In letzter Instanz war die fremdgesteuerte nationale Idee den<br />

tonangebenden Instanzen der Zentrale unterworfen.<br />

Interferenzen zwischen ethnischem <strong>und</strong> nationalem Ausdrucksvermögen<br />

Ethnizität <strong>und</strong> Nationalität bildeten zwei eigenständige, jedoch vielfach verzahnte sozialkulturelle<br />

Begegnungsebenen. E<strong>in</strong>erseits übernahm die nationale Kulturpraxis lokale<br />

ethnische Elemente. In e<strong>in</strong>igen mehrheitlich deutschen Dörfern organisierten<br />

Agenten e<strong>in</strong>es nationalen Schutzvere<strong>in</strong>s die Dorfburschenschaft. Außerdem wurde<br />

der Leonhardiritt von deutschen nationalen Vere<strong>in</strong>en organisiert. Nicht ganz geklärt<br />

ist das Verhältnis der nationalen tschechischen Husfeuer zu älteren Traditionen, wie<br />

dem Hexenverbrennen <strong>und</strong> dem Johannisfeuer. Als e<strong>in</strong>deutig deutsch galten h<strong>in</strong>gegen<br />

die Sonnenwendfeuer. Vermutlich bewirkte <strong>in</strong> diesen Feuerbräuchen die nationale<br />

Konnotation älterer, vielleicht sogar geme<strong>in</strong>samer deutsch-tschechischer Traditionen<br />

e<strong>in</strong>e heillose Unübersichtlichkeit der Anlässe <strong>und</strong> Formen. Andererseits etablierten<br />

deutsche <strong>und</strong> tschechische Kulturvere<strong>in</strong>e Feste <strong>und</strong> Veranstaltungen mit volkskulturellem<br />

Anstrich. Sowohl <strong>in</strong> Gnadlersdorf als auch <strong>in</strong> Baumöhl organisierte die Národní<br />

jednota Weihnachtsfeiern mit national ausgerichteten Programmen. Lokale Trachten<br />

gab es nicht, daher <strong>im</strong>portierten die tschechische Folkloristik bunte <strong>in</strong>nermährische<br />

Trachten <strong>und</strong> die deutschen Volkstumsverbände das alp<strong>in</strong>e Dirndl <strong>und</strong> die Lederhose.<br />

54 Ebenda.<br />

234


Andererseits unterlagen nationale Kulturpraktiken durch Verortung <strong>im</strong> Dorfkontext<br />

dem Trend der Ethnisierung <strong>im</strong> S<strong>in</strong>ne autonomer Ausgestaltung von Tradition.<br />

Mit ihren Fasch<strong>in</strong>gsbällen <strong>und</strong> dem Laientheater näherte sich die národní jednota<br />

wiederum der tradierten Lebenswelt. Zu solchen Anlässen <strong>und</strong> Aktivitäten kehrte die<br />

nationalpolitisch gesteuerte Kulturpflege gleichsam <strong>in</strong>s Dorf zurück. Tatsächlich folgten<br />

die „national“ def<strong>in</strong>ierten geselligen Anlässe bald dem Gr<strong>und</strong>gedanken der Symmetrie<br />

<strong>und</strong> Konkurrenz statt denen von nationaler S<strong>in</strong>gularität <strong>und</strong> von Konflikten. In<br />

Schattau entfremdeten gegenseitige Besuche der Turnvere<strong>in</strong>e vom Auftrag der nationalen<br />

Separation. Am Gnadlersdorfer Kirtag tanzten auch die tschechischen Zöllner<br />

der Grenzstation mit den deutschen Bauernmädchen. Die Feuerwehren mit ihrer Verpflichtung<br />

zur Hilfeleistung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em best<strong>im</strong>mten Rayon verharrten überhaupt <strong>im</strong><br />

Schwebezustand zwischen nationaler <strong>und</strong> örtlich/regionaler B<strong>in</strong>dung. Das ursprünglich<br />

auf Kaiser <strong>und</strong> Vaterland bezogene Rekrutierungsbrauchtum wurde bruchlos auf<br />

die neuen tschechoslowakischen Verhältnisse übertragen <strong>und</strong> erfüllte weiterh<strong>in</strong> se<strong>in</strong>e<br />

Funktion als männlicher Initiationsritus. Die Bürgermeister der ethnisch gemischten<br />

Orte brachten die deutschen <strong>und</strong> tschechischen Rekruten geme<strong>in</strong>sam zur Assentierung.<br />

Deutsche <strong>und</strong> tschechische Kriegstote stehen bis heute auf den Tafeln der<br />

Schattauer „Kriegergedenkstätte“.<br />

Die ethnische Separation wurde nicht zuletzt durch die weit verbreitete Kenntnis<br />

der zweiten Dorf- bzw. Landessprache abgeschwächt. Diese agrarische Welt verfügte<br />

über e<strong>in</strong>e spezielle Kulturtechnik zur Aneigung des Fremden, <strong>in</strong>dem die heranwachsenden<br />

K<strong>in</strong>der entweder zeitweise die jeweils andere Dorfschule besuchten oder aber<br />

für mehrere Wochen, Monate oder e<strong>in</strong> Schuljahr <strong>in</strong>s andere Sprachmilieu „auf Wechsel“<br />

kamen. Auch die tschechischen Dienstboten brachten den K<strong>in</strong>dern häufig tschechische<br />

Gr<strong>und</strong>kenntnisse bei, wie umgekehrt tschechische Dienstboten das Deutsche<br />

<strong>in</strong> Wort <strong>und</strong> manchmal mit Hilfe der Bäuer<strong>in</strong> auch <strong>in</strong> Schrift erlernten. 55<br />

Die soziale Genese von ethnisch-nationaler Identität<br />

Den drei Ebenen von Sprachverwendung, Ethnizität <strong>und</strong> Nationalität entsprechen<br />

mehrere Er<strong>in</strong>nerungsebenen, was den Widerspruch zwischen angeblich problemloser<br />

Koexistenz (auf den ersten beiden Ebenen) <strong>und</strong> angeblich unerträglicher, wachsender<br />

nationaler Spannung (jetzt auf der nationalen Ebene) erklärt. Denn so deutlich die drei<br />

Ebenen <strong>im</strong> analytischen Prozeß vone<strong>in</strong>ander ablösbar s<strong>in</strong>d, so verzahnt liegen sie <strong>in</strong><br />

der Alltagswirklichkeit <strong>und</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen Biographien <strong>und</strong> so unscharf konturiert s<strong>in</strong>d<br />

sie <strong>im</strong> Nacherzählen. Vom Biographischen führt die Frage zur Identität, verstanden<br />

als Übere<strong>in</strong>st<strong>im</strong>mung von <strong>in</strong>dividueller Biographie <strong>und</strong> sozialem Umfeld, als Ver<strong>in</strong>nerlichung<br />

handlungsleitender Bilder. Identitätsbildung ist <strong>im</strong> zweisprachigen Dorf<br />

55 Gnadlersdorf, Interview K., S. 19; vgl. dazu HELMUT PAUL FIELHAUER: K<strong>in</strong>der-Wechsel<br />

<strong>und</strong> „Böhmisch-Lernen“. Sitte, Wirtschaft <strong>und</strong> Kulturvermittlung <strong>im</strong> früheren niederösterreichisch-tschechoslowakischen<br />

Grenzgebiet, Wien 1978 (Oesterr. Zeitschrift für Volksk<strong>und</strong>e,<br />

Bd. 32), S. 115-125.<br />

235


<strong>und</strong> bei Mischehen e<strong>in</strong> komplexer Prozeß. Sprache <strong>und</strong> ethnische Zugehörigkeit wurden<br />

zwar <strong>im</strong> Regelfall familiär tradiert, doch bewußte ethnische Identität erst durch<br />

die ethno-nationale Praxis wirklich festgelegt. Dem nationalen Bekenntnis konnte<br />

sich unter den Bed<strong>in</strong>gungen der örtlichen ethnischen <strong>und</strong> nationalen Gruppenbildung<br />

niemand entziehen. Für best<strong>im</strong>mte Handlungszusammenhänge mußte jeder Dorfbewohner<br />

se<strong>in</strong>e Wir-Gruppe wählen. Erst <strong>in</strong> dieser Komb<strong>in</strong>ation von Sprache, Herkunft,<br />

kultureller ethnischer Verortung <strong>und</strong> politischer Partizipation entstand das Wissen um<br />

die eigene ethnische Identität, während auf der Ebene der <strong>in</strong>dividuellen Biographie<br />

<strong>und</strong> der Alltagspraxis die Frage deutsch oder tschechisch oft nicht zu entscheiden<br />

war. Abstammung <strong>und</strong> Abst<strong>im</strong>mung best<strong>im</strong>men die ethnische Zugehörigkeit. Das<br />

willentliche Element war nicht wegzudenken, daher kam es bei unklarer Ausgangsposition,<br />

oft unter wechselnden politischen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen, zum nationalen Bekenntniswechsel.<br />

Auf diese Weise stabilisierte erst der neue tschechoslowakische<br />

Staat die von Ass<strong>im</strong>ilation gefährdete ethnische Identität der tschechischen Arbeiter<br />

<strong>in</strong> den <strong>in</strong>dustriellen Enklaven Schattau <strong>und</strong> Bömisch Rudoletz. Erwartungsgemäß<br />

folgte <strong>in</strong> den Dreißigerjahren e<strong>in</strong>e Trendwende <strong>in</strong> Richtung Deutschtum. Vor allem<br />

kle<strong>in</strong>e <strong>und</strong> sozial deprivierte Sprachm<strong>in</strong>derheiten unterlagen dem Trend zur Ass<strong>im</strong>ilation.<br />

Der Sohn des tschechischen Gnadlersdorfer Kle<strong>in</strong>häuslers Cermák beherrschte<br />

bei Schulbeg<strong>in</strong>n ke<strong>in</strong> Wort Deutsch. Er ist trotz tschechischer Volksschulbildung <strong>im</strong><br />

deutschen Gnadlersdorfer Ambiente „e<strong>in</strong> Deutscher worden“ <strong>und</strong> <strong>im</strong> Zweiten Weltkrieg<br />

gefallen. 56 Se<strong>in</strong> tschechischer Vater wurde 1938 von Dorfburschen verprügelt<br />

<strong>und</strong> die Familie aus dem Dorf verjagt. In den zugleich konfessionell gemischten Dörfern<br />

der Waldbauerndörfer g<strong>in</strong>gen nicht selten der nationale <strong>und</strong> der konfessionelle<br />

Bekenntniswechsel Hand <strong>in</strong> Hand. Aus solchen Unsicherheiten resultierten die häufigen<br />

amtlichen Korrekturen des Nationalitätsbekenntnisses <strong>in</strong> den Volkszählungsoperaten.<br />

Anpassungskrisen<br />

Die drei synchronen Ebenen von Sprachverwendung, Ethnizität <strong>und</strong> Nationalität s<strong>in</strong>d<br />

<strong>in</strong> diachroner Betrachtung unterschiedlich stark gewichtet. In Anpassungskrisen beherrschte<br />

das Nationale nachhaltig das öffentliche Dorfleben. War der Konflikt durch<br />

partielle Integration se<strong>in</strong>er Vorgaben <strong>in</strong> das Regelsystem gelöst, kehrte das Dorf wieder<br />

zu se<strong>in</strong>em Alltag zurück. Bewegung <strong>und</strong> Ruhe, Innovation <strong>und</strong> Rout<strong>in</strong>e bildeten<br />

auf diese Weise e<strong>in</strong>en eigenartigen dörflichen Rhythmus. Auf lange Sicht gewann<br />

zwar das Nationale an Bedeutung; es gab <strong>im</strong>mer häufiger Anlässe für nationale Feiern;<br />

nationale Partizipation wurde selbstverständlich, niemand konnte sich der nationalen<br />

Deklaration entziehen. Die Wirkmacht des Nationalen blieb jedoch stets auf best<strong>im</strong>mte<br />

klar umgrenzte Zeiten <strong>und</strong> Räume reduziert. Von e<strong>in</strong>em langfristigen Zerfallsprozeß<br />

des Dorfes <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er geschlossenen Kette von nationalen Konflikten kann<br />

56 Gnadlersdorf, Interview F., S. 26.<br />

236


daher nicht die Rede se<strong>in</strong>. E<strong>in</strong>e solche vorwiegend auf behördlichem Schriftgut beruhende<br />

klassische Sichtweise der Nationalismusforschung wird der südmährischen Situation<br />

nicht gerecht. Allenfalls ist zu vermuten, daß die <strong>in</strong> vielen Konflikten über<br />

Jahrzehnte h<strong>in</strong>weg gesammelten Hoffnungen <strong>und</strong> Ängste unterbewußt dennoch zu<br />

mentalen Prägungen verdichtet wurden, welche <strong>im</strong> Ernstfall der ausgehenden Dreißigerjahre<br />

unter geänderten Rahmenbed<strong>in</strong>gungen als zerstörerisches Potential wirkten.<br />

Nationalismus wäre so gesehen e<strong>in</strong> negativer Lernprozeß für den Eventualfall. E<strong>in</strong><br />

solcher <strong>in</strong> psychischen Tiefenstrukturen angesiedelter mentalitätsgeschichtlicher Erklärungsansatz<br />

schien den Projektmitarbeitern empirisch nicht e<strong>in</strong>lösbar.<br />

Nationales Konfliktmaterial lieferten nur wenige, aber wichtige Anlässe. In den<br />

untersuchten Dörfern kamen lediglich die Volkszählungen, die Wahlen <strong>in</strong> die politischen<br />

Vertretungskörper sowie die Schule <strong>in</strong> Frage. Die drei Konfliktzonen widerspiegeln<br />

Facetten der Frage nach der Vorherrschaft e<strong>in</strong>er der beiden Dorfnationen.<br />

Die Volkszählungen lieferten Daten für die offizielle nationale Zuschreibung des Dorfes;<br />

die Geme<strong>in</strong>dewahlen best<strong>im</strong>mten das politische Stärkeverhältnis von deutsch <strong>und</strong><br />

tschechisch <strong>im</strong> Geme<strong>in</strong>deausschuß sowie <strong>im</strong> Ortsschulrat; Schule <strong>und</strong> Lehrer schließlich<br />

formierten das kulturelle Bild von Jugend <strong>und</strong> Erwachsenen, ihren politischen<br />

Willen sowie ihr nationalpolitisches Bekenntnis.<br />

Die große Anpassungskrise des Untersuchungszeitraumes folgte dem sonst recht<br />

unspektakulären staatlichen Souveränitätswechsel von Altösterreich zur Tschechoslowakei.<br />

Das deutsche <strong>und</strong> gemischtsprachige Südmähren zählten zwar zum deutschösterreichischen<br />

Anspruchsgebiet, doch die militärische deutschösterreichische Präsenz<br />

war eher symbolisch, so daß schon zur Jahreswende 1918/19 ganz Südmähren <strong>in</strong><br />

tschechoslowakischer Gebietsgewalt war. Der Staatsvertrag von St. Germa<strong>in</strong> vom 10.<br />

September 1919 bestätigte die mährisch-niederösterreichische Adm<strong>in</strong>istrativgrenze<br />

als Staatsgrenze, mit e<strong>in</strong>igen Abweichungen bei Gmünd <strong>und</strong> Feldsberg abseits des<br />

Untersuchungsgebietes. Nun wurden die <strong>in</strong>neren Verhältnisse an die tschechoslowakischen<br />

staatlichen Vorgaben angepaßt. Vielfach wurden e<strong>in</strong>fach die Verhältnisse auf<br />

den Kopf gestellt, so daß der deutschen die tschechische Präsenz folgte. Jetzt kamen<br />

auch <strong>in</strong> die deutschen Dörfer, z.B. Gnadlersdorf, tschechische Gendarmen <strong>und</strong> Grenzer,<br />

dann brachte die (unter nationalen Gesichtspunkten durchgezogene) Landreform<br />

e<strong>in</strong> paar tschechische Forstbeamte <strong>und</strong> Waldarbeiter (Baumöhl), <strong>und</strong> mit dieser tschechischen<br />

Zuwanderung kam zusätzlich zur deutschen die tschechische M<strong>in</strong>derheitenschule,<br />

sobald zehn tschechische K<strong>in</strong>der da waren. Die Schule wirkte <strong>in</strong> Richtung Separation.<br />

Es gab ke<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>samen Veranstaltungen oder Ausflüge der beiden Ortsschulen<br />

von Gnadlersdorf, Schattau <strong>und</strong> Böhmisch Rudoletz. Da <strong>und</strong> dort übten die<br />

Staatsbehörden Druck auf zweisprachige Familien oder kle<strong>in</strong>e Staatsangestellte, beispielsweise<br />

Straßenräumer aus, ihre K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> die tschechische Schule zu schicken,<br />

<strong>und</strong> was der Druck nicht bewirkte, das erreichten kle<strong>in</strong>e Vergünstigungen wie Gratislehrmaterial<br />

<strong>und</strong> Weihnachtsgaben. E<strong>in</strong>e nationalbewußte Personalpolitik brachte<br />

k<strong>in</strong>derreiche Grenzerfamilien nach Gnadlersdorf. Doch alle diese Maßnahmen reichten<br />

kaum h<strong>in</strong>, solche tschechischen M<strong>in</strong>derheitenschulen am Leben zu erhalten. Die<br />

Staatskulte wechselten die Bezugspunkte, vom Kaiser auf den Staatspräsidenten. Die<br />

237


gut situierten Bauern waren von solchen Veränderungen <strong>in</strong> Wahrheit nicht existentiell<br />

betroffen. Ausdrücklich me<strong>in</strong>t e<strong>in</strong>e Respondent<strong>in</strong> auf die Frage nach den Auswirkungen<br />

der nationalpolitischen Veränderungen: Das war für uns nicht wichtig, „wir waren<br />

ja Bauern“ (Gnadlersdorf). So stabilisierten sich <strong>in</strong> den deutschen Dörfern bald<br />

die neuen Verhältnisse. Zaghaft wurden die neuen tschechischen Elemente <strong>in</strong> die Dorfordnung<br />

<strong>in</strong>tegriert. Die tschechischen Grenzer kauften ihre Lebensmittel günstig bei<br />

den deutschen Bauern (Interview Schwarz), sie frequentierten die deutschen Gasthäuser,<br />

wurden zu den beliebten Kellerpartien geladen <strong>und</strong> kamen selbstverständlich zu<br />

den Kirtagen. Der Direktor der tschechischen M<strong>in</strong>derheitenschule vermittelte sogar<br />

den K<strong>in</strong>derwechsel <strong>in</strong>s tschechische Sprachgebiet, das heißt, er kl<strong>in</strong>kte sich <strong>in</strong> das<br />

ethnische System e<strong>in</strong>.<br />

Schwieriger waren die Verhältnisse <strong>in</strong> den tatsächlich stark gemischten Dörfern.<br />

In Baumöhl g<strong>in</strong>g es der Staatsverwaltung darum, das halb e<strong>in</strong>gedeutschte tschechische<br />

Element dem Tschechentum wieder zurückzugew<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> das Dorf durch kulturpolitische<br />

Maßnahmen <strong>und</strong> tschechischen Zuzug allmählich zu erobern – alle Nationalismen<br />

träumen von ethnischer Purifikation, nur die Methoden haben e<strong>in</strong>e Bandbreite<br />

von struktureller bis zu manifester Gewalt. 57 E<strong>in</strong>en scharfen E<strong>in</strong>schnitt <strong>in</strong> der<br />

Dorfgeschichte markierte die Umwandlung der deutschen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e tschechische Volksschule,<br />

da nun die jüngeren deutschen K<strong>in</strong>der durch e<strong>in</strong>e Privatschule des Deutschen<br />

Kulturverbandes unterrichtet wurden <strong>und</strong> die größeren <strong>in</strong> die deutsche Schule des<br />

Nachbardorfes Luggau gehen mußten – <strong>in</strong>sgesamt waren 1919 22 K<strong>in</strong>der zum deutschen<br />

Unterricht gemeldet. Der Verlust ihrer se<strong>in</strong>erzeit mit großen Opfern erbauten<br />

Volksschule war für die Deutschen e<strong>in</strong> traumatisches Ereignis. Alle Interviews der<br />

Erlebnisgeneration kommen <strong>in</strong> den ersten M<strong>in</strong>uten auf dieses Thema zu sprechen.<br />

„Wie die Tschechen kommen s<strong>in</strong>d, ist e<strong>in</strong> (unverständlich), hat e<strong>in</strong>e Leiter gnommen,<br />

hat ‘Schul’ überweißigt <strong>und</strong> ‘Škola’ aufigschrieb´n mit dem Kalk. Da haben die Deutschen<br />

schwer glitten, sehr schwer.“<br />

Die Situation bei den K<strong>in</strong>dergärten glich der Schulentwicklung, nur daß dafür<br />

Geme<strong>in</strong>de <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>e zuständig waren. Es bestanden nunmehr nebene<strong>in</strong>ander auch<br />

zwei K<strong>in</strong>dergärten, der seit längerem bestehende deutsche mußte freilich <strong>in</strong> den Dreißigerjahren<br />

wegen K<strong>in</strong>dermangels zusperren, der 1919 von Regierungskommissär<br />

Vocilka <strong>in</strong> die Wege geleitete tschechische K<strong>in</strong>dergarten konnte <strong>im</strong> Herbst 1926 se<strong>in</strong><br />

neues Haus beziehen. Auch die gewählte Geme<strong>in</strong>deverwaltung wurde abgesetzt <strong>und</strong><br />

der Bürgermeister durch e<strong>in</strong>en Regierungskommissar ersetzt. Bei den am 24. Juni<br />

1919 abgehaltenen Geme<strong>in</strong>deratswahlen erreichten die deutschen Parteien jedoch<br />

noch die Mehrheit <strong>und</strong> behielten den Bürgermeister. Auf die kulturellen Strukturen<br />

von Schule <strong>und</strong> tschechischem K<strong>in</strong>dergarten folgte noch 1919 zusätzlich zum deutschen<br />

Wirtshaus Kiesl<strong>in</strong>g die Etablierung des tschechischen Gasthauses von František<br />

Hopp.<br />

Den nächsten nationalpolitisch relevanten Anlaß zu Ause<strong>in</strong>andersetzungen lieferte<br />

die Volkszählung des Jahres 1921. Nun g<strong>in</strong>g es ernsthaft um die Frage, wem das Dorf<br />

57 HANNS HAAS: Typen <strong>und</strong> Verlaufsmodelle ethnischer Homogenisierung unter Zwang, <strong>in</strong>:<br />

Beiträge zur Historischen Sozialk<strong>und</strong>e 4 (1996), S. 152-159.<br />

238


gehöre, den Deutschen oder den Tschechen. Tatsächlich brachte die Volkszählung die<br />

bereits erwähnte Umkehr von der deutschen zur tschechischen Mehrheit. Doch der<br />

nationale Bekenntniszwang verändert nur sehr langsam Ethnizität <strong>und</strong> Sprachverwendung.<br />

Daher beobachten wir <strong>in</strong> der nationalsozialistischen Volkszählung des Jahres<br />

1939 unter den verbliebenen Tschechen vielfach die erneute Rückverwandlung <strong>in</strong><br />

Deutsche.<br />

Der Abschied von der Vorherrschaft fällt <strong>im</strong>mer schwer. Die tschechischen Terra<strong>in</strong>gew<strong>in</strong>ne<br />

kränkten die Deutschen. „Ach, wir haben e<strong>in</strong>e Wut ghabt über die<br />

Tschechen. Ich kann es Ihnen nicht anders sagen“, er<strong>in</strong>nert sich Frau Huber. In Wahrheit<br />

berühren diese nationalen Hoffnungen <strong>und</strong> Ängste vorläufig nur e<strong>in</strong> schmales<br />

Segment des sozialen Lebens. Das Bauerndorf konnte der nationalen Konfrontation<br />

nicht ständige Aufmerksamkeit zuwenden. So folgten auch <strong>in</strong> Baumöhl auf die Anpassungskrise<br />

der Übergangszeit Jahre der Rout<strong>in</strong>e. Die he<strong>im</strong>ische Bevölkerung war<br />

national verortet. Die Zahl der Deutschen blieb von nun an be<strong>in</strong>ahe unverändert, jene<br />

der Tschechen stieg allerd<strong>in</strong>gs durch Zuzug von Sicherheits- <strong>und</strong> Forstpersonal. Parallel<br />

dazu erfolgte die politische Majorisierung bei den Geme<strong>in</strong>deratswahlen vom 25.<br />

November 1928, so daß nun sieben Tschechen <strong>und</strong> fünf Deutsche <strong>im</strong> Geme<strong>in</strong>deausschuß<br />

saßen. Damit war e<strong>in</strong> nächstes politisches Schlüsselereignis mit entsprechender<br />

nationaler Emotionalisierung e<strong>in</strong>getreten.<br />

Rasch kehrte jedoch die Normalität zurück. Man arrangierte sich mit der neuen<br />

Lage. Der tschechische Bürgermeister, F<strong>in</strong>anzwachtmeister <strong>und</strong> Kle<strong>in</strong>hausbesitzer<br />

Slaby, war <strong>im</strong> Dorf angesehen. Se<strong>in</strong>e Arbeit machte er ganz gut, <strong>in</strong> nationaler H<strong>in</strong>sicht<br />

war ohneh<strong>in</strong> nicht viel zu ändern. Weil Slaby nicht deutsch beherrschte, übernahm<br />

der Bauer Weid<strong>in</strong>ger als Geme<strong>in</strong>deratsmitglied die deutschen Agenden der<br />

Geme<strong>in</strong>deverwaltung. Auf diese Weise konnte die sonst <strong>im</strong> Dorfleben gelebte Zweisprachigkeit<br />

auf die amtliche Ebene übertragen werden. Es gibt ke<strong>in</strong>e Berichte über<br />

politisch motivierte Ause<strong>in</strong>andersetzungen oder Verteilungskämpfe auf Geme<strong>in</strong>deebene.<br />

Für e<strong>in</strong>e Art von Proporz sprechen die gleich hohen Subventionen für die beiden<br />

Feuerwehren. Die Vernunftehe zwischen Deutschen <strong>und</strong> Tschechen reichte jedoch<br />

nicht zu symbolischer Geme<strong>in</strong>samkeit. E<strong>in</strong> Kriegerdenkmal kam daher <strong>in</strong> Baumöhl<br />

nicht zustande, obwohl von den <strong>in</strong>sgesamt 47 Kriegsteilnehmern sieben nicht<br />

mehr <strong>in</strong>s Dorf zurückkehrten. 58 Ähnliche Kooperationsmodelle s<strong>in</strong>d aus dem zweisprachigen<br />

Unterradischen überliefert, denn dort wurde sogar die offizielle Geme<strong>in</strong>dechronik<br />

zweisprachig geführt. Unterradischen hatte ohneh<strong>in</strong> bereits seit 1906 neben<br />

der deutschen auch e<strong>in</strong>e tschechische Volksschule, so daß der Prozeß der nationalen<br />

<strong>und</strong> ethnischen Verfestigung der tschechischen Identität auf e<strong>in</strong>e längere Tradition als<br />

<strong>in</strong> Baumöhl zurückblickte. Diese zeitlichen Verschiebungen <strong>in</strong> der ethnopolitischen<br />

Entwicklung konnte die Feldforschung bisher nicht mit letzter Klarheit erklären. Es<br />

wäre möglich, daß <strong>in</strong> den Walddörfern der wirtschaftlich-soziale Strukturbruch der<br />

Reagrarisierung unter der vom B<strong>in</strong>nenland zugezogenen tschechischen Bevölkerung<br />

die Rezeption nationaler Deutungsmuster erleichterte, während die nach Baumöhl<br />

e<strong>in</strong>gewanderten Tschechen die agrarische Kont<strong>in</strong>uität des Dorfes gewährleisteten <strong>und</strong><br />

58 Geme<strong>in</strong>dechronik Baumöhl.<br />

239


sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e bestehende Struktur e<strong>in</strong>lebten. Es ist aber auch denkbar, daß die nationale<br />

Agitation <strong>in</strong> der Nachbarschaft zum früher politisierten Kronland Böhmen das E<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gen<br />

nationaler Deutungsmuster erleichterte. Ethnische <strong>und</strong> nationale Koexistenz<br />

waren jedoch auch <strong>in</strong> den Walddörfern das Gr<strong>und</strong>muster der dörflichen Ordnung, die<br />

nationalen Konflikte beherrschten nur Ausnahmezeiten, <strong>und</strong> die Nationalisierung des<br />

Ethnikums bedurfte nicht erst wie <strong>in</strong> Baumöhl der staatlichen Unterstützung. Dennoch<br />

wird an solchen Facetten unterschiedlicher Entwicklung erneut die Frage nach<br />

der Repräsentativität der erforschten dörflichen Kulturmuster aufgeworfen. Nur zwei<br />

Parallelstudien zu e<strong>in</strong>em Brünner agrarischen Vorstadtdorf <strong>und</strong> zu slowakischen gemischten<br />

Agrargeme<strong>in</strong>den kommen zu ähnlichen Ergebnissen, denn auch sie zeigen<br />

die Dom<strong>in</strong>anz agrarisch-dörflicher Lebensnotwendigkeit vor der Betonung ethnischer<br />

Differenz. 59<br />

Entfremdung<br />

Alles <strong>in</strong> allem bewahrten die untersuchten Dörfer die Fähigkeit zur ethno-nationalen<br />

Koexistenz, weil sie die Unterscheidung von deutsch <strong>und</strong> tschechisch hauptsächlich<br />

<strong>im</strong> Rahmen ihrer tradierten Ethnizität <strong>und</strong> auf Dorfebene trafen. Nur dieser feste<br />

Rückhalt <strong>in</strong> ethnischer Moral <strong>und</strong> ethnischen Netzwerken erlaubte den Dörfern e<strong>in</strong>e<br />

partielle Resistenz gegen den Nationalismus, dem nur eng umrissene soziale Deutungskompetenz<br />

e<strong>in</strong>geräumt wurde, soweit allenfalls der E<strong>in</strong>fluß des Politischen<br />

reichte. Diese Balance zwischen Sprachkonventionen, Ethnizität <strong>und</strong> Nationalität kam<br />

<strong>in</strong> den ausgehenden Dreißigerjahren aus dem Gleichgewicht. Nunmehr ersetzte die<br />

Nation be<strong>in</strong>ahe gänzlich die autonomen Orientierungen. Die nationale Verengung war<br />

e<strong>in</strong>e Folge der großen politischen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen, die sich gerade den Grenzdörfern<br />

durch viele Zeichen <strong>und</strong> Anforderungen präsentierten. Die Politik gewann an<br />

Terra<strong>in</strong>. Am Beg<strong>in</strong>n stand seit 1934 die Flucht österreichischer Sozialdemokraten <strong>und</strong><br />

Kommunisten vor dem „ständestaatlichen“ Reg<strong>im</strong>e über die „grüne Grenze“ <strong>in</strong> die<br />

Tschechoslowakei. Südmährische deutsche Sozialdemokraten waren <strong>in</strong> die Netzwerke<br />

zum Schmuggel illegaler sozialdemokratischer Druckschriften nach Österreich <strong>in</strong>volviert.<br />

Umgekehrt lieferten konservative Deutsche dem österreichischen „Ständestaat“<br />

Informationen über die sozialdemokratischen Emigranten.<br />

Dieser Konflikt zwischen „rot“ <strong>und</strong> „schwarz“ wurde jedoch seit 1935 durch die<br />

Fernwirkungen des deutschen Nationalsozialismus überlagert. Jetzt frequentierte vor<br />

allem nationalsozialistische Propaganda die Grenze. Die vom Nationalsozialismus<br />

entfachte Aufbruchst<strong>im</strong>mung erfaßte rasch die mährischen Grenzlanddeutschen, allen<br />

voran die Jungen, zögernd folgten die Älteren. Der Nationalsozialismus bündelte<br />

mehrere Motive <strong>und</strong> Anliegen, <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie die nationale Emotion, weil er erneut<br />

die Frage nach der staatlichen Zukunft der deutschen Volksgruppen stellte. Schon vor<br />

den tschechoslowakischen Parlamentswahlen des Jahres 1935 kursierte beispielsweise<br />

59 Siehe die oben unter Anmerkung 13 <strong>und</strong> 33 zitierten Arbeiten von Frolcová <strong>und</strong> Droppová.<br />

240


<strong>in</strong> Gnadlersdorf das Gerücht, „daß man das Gebiet bis Zna<strong>im</strong> an Österreich <strong>und</strong> später<br />

an Deutschland angliedern wird“. 60 Indirekt bestätigten die tschechoslowakischen<br />

Grenzschutzmaßnahmen solche Vorstellungen. Die Grenze wurde nach e<strong>in</strong>er langen<br />

Phase der problemlosen Durchlässigkeit wieder dichter. Der Kle<strong>in</strong>e Grenzverkehr<br />

wurde vielfach beh<strong>in</strong>dert. Schließlich markierte die tschechoslowakische Bunkerl<strong>in</strong>ie<br />

knapp h<strong>in</strong>ter den mährischen Grenzdörfern die B<strong>in</strong>nengrenze e<strong>in</strong>er nur noch erschwert<br />

passierbaren Verteidigungszone. Zu den nationalen kamen gesellschaftspolitische<br />

Probleme, vor allem die Überlebensfähigkeit <strong>und</strong> Modernisierungskapazität der<br />

kle<strong>in</strong>teiligen landwirtschaftlichen Struktur sowie die Versorgung der weichenden<br />

Hoferben <strong>und</strong> der besitzlosen Dorfarmut. Das Gerücht, ke<strong>in</strong> deutscher Lehrer werde<br />

mehr e<strong>in</strong>gestellt, war typisch für diese national zugespitzte Situation. E<strong>in</strong> Gnadlersdorfer<br />

Zeitgenosse me<strong>in</strong>te: „E<strong>in</strong> jeder hat ja ke<strong>in</strong>e Zukunft gesehen, das war e<strong>in</strong>mal<br />

logisch.“ 61 In Böhmisch Rudoletz erreichte der Nationalsozialismus rasch die schmale<br />

Schicht der Beamtenschaft, der modernisierungswilligen Großbauern <strong>und</strong> vor allem<br />

das halbproletarische Substrat. „Die haben e<strong>in</strong>e neue Ära vorgef<strong>und</strong>en, die haben sich<br />

emporarbeiten können“, berichtet e<strong>in</strong> Rudoletzer Kle<strong>in</strong>häuslersohn. 62 Als dritter Motivationsstrang<br />

ist die Säkularisierung zu nennen. So sehr Dorf <strong>und</strong> Kirche zusammengehörten,<br />

erreichten die Botschaften von e<strong>in</strong>em weniger kirchlich reglementierten<br />

Leben doch auch die agrarische Welt. In Rudoletz antizipierte die Jugend die ideologische<br />

Führerrolle des Nationalsozialismus <strong>und</strong> se<strong>in</strong>er dörflichen Adepten fast vollkommen,<br />

„dem Pfarrer wurde nicht mehr zugehört“. 63<br />

Diese Motive gewannen jedoch nur sukzessive <strong>und</strong> nach Handlungsebenen unterschiedlich<br />

starke Deutungskompetenz. Gr<strong>und</strong>sätzlich ist von e<strong>in</strong>er Gewichtung nach<br />

Generationen auszugehen, da der extreme Nationalismus als erstes die Jungen erfaßte<br />

<strong>und</strong> erst <strong>im</strong> weiteren Verlauf auch die ältere Generation überzeugte oder zum<strong>in</strong>dest<br />

verstummen ließ. In sozialer H<strong>in</strong>sicht waren alle Schichten dem Nationalismus zugängig,<br />

<strong>in</strong> politischer blieben e<strong>in</strong>ige christlichsoziale <strong>und</strong> sozialdemokratische sowie<br />

die ohneh<strong>in</strong> ger<strong>in</strong>gen kommunistischen Segmente mehr oder weniger resistent. Für<br />

unseren Forschungszusammenhang relevant ist jedoch die unterschiedliche Deutungskompetenz<br />

des extremen Nationalismus auf den drei dörflichen Handlungsebenen.<br />

Die erste Handlungsebene des Politisch-Nationalen konnte die Henle<strong>in</strong>bewegung<br />

bzw. der Nationalsozialismus rasch durchdr<strong>in</strong>gen. Bei den Parlamentswahlen 1935<br />

erreichte Henle<strong>in</strong> auch <strong>in</strong> den deutschen Bauerngeme<strong>in</strong>den <strong>und</strong> unter den Deutschen<br />

der gemischten Dörfer knapp die Mehrheit, blieb jedoch be<strong>in</strong>ahe überall unter dem<br />

landesweiten Durchschnitt von 67% der deutschen St<strong>im</strong>men. 64 Sonst läßt sich jedoch<br />

60<br />

Chronik der tschechischen Volksschule Gnadlersdorf, E<strong>in</strong>trag Schuljahr 1934/35.<br />

61<br />

Interview F., S. 41.<br />

62<br />

Interview F.<br />

63<br />

Ebenda.<br />

64<br />

HANNS HAAS: Die Zerstörung der Lebense<strong>in</strong>heit „Grenze“ <strong>im</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert, <strong>in</strong>: Kontakte<br />

<strong>und</strong> Konflikte. Böhmen, Mähren <strong>und</strong> Österreich. Aspekte e<strong>in</strong>es Jahrtausends geme<strong>in</strong>samer<br />

Geschichte. Referate des Symposiums „Verb<strong>in</strong>dendes <strong>und</strong> Trennendes an der Grenze 3“<br />

241


auf Dorfebene die neue politische Wertorientierung nur <strong>in</strong> fe<strong>in</strong>en Zeichen ablesen. In<br />

erster L<strong>in</strong>ie g<strong>in</strong>gen die dörflichen Honoratioren auf Distanz zu den tschechoslowakischen<br />

Staatskulten. Dem toten Präsidenten Masaryk wurde noch die gebührende Reverenz<br />

erwiesen. Die Trauerfeier vom 21. September 1936 vere<strong>in</strong>te <strong>im</strong> ethnisch gemischten<br />

Baumöhl „die Bevölkerung beider Nationalitäten“, die Bürgermeister, Geme<strong>in</strong>deräte,<br />

Beamte, Lehrer, „deutsche <strong>und</strong> tschechische Vere<strong>in</strong>e“; die Büste wurde<br />

von e<strong>in</strong>em deutschen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>em tschechischen Feuerwehrmann <strong>und</strong> von deutscher<br />

<strong>und</strong> tschechischer Schuljugend flankiert. 65 Dem neuen Präsidenten Beneš jedoch<br />

wurden diese Reverenzen verweigert. Die tschechoslowakischen Staatskulte verengten<br />

sich also wieder zur Angelegenheit der „staatstragenden“ Nation. E<strong>in</strong>e spezielle<br />

Form der Opposition war es, wenn Gnadlersdorfer Bauern ausgerechnet am Staatsgründungstag,<br />

dem 28. Oktober, vor dem Zollhaus Mist ausführten.<br />

Die ethnische Ebene blieb lange frei von Dissonanzen. Die beiden Baumöhler –<br />

deutsche <strong>und</strong> tschechische – Feuerwehren übten noch 1936 <strong>und</strong> 1937 geme<strong>in</strong>sam <strong>und</strong><br />

fuhren zusammen zu Feuerwehrtreffen. Allerd<strong>in</strong>gs gewann auf beiden Seiten die national,<br />

nicht ethnisch beherrschte Sek<strong>und</strong>ärfolklore an Bedeutung, etwa mit den bei<br />

den Tschechen verhaßten deutschen alp<strong>in</strong>en Trachten. Jedoch erst 1938 lassen sich<br />

echte Separierungstendenzen, ja Konflikte nachweisen. So wurde <strong>in</strong> Fra<strong>in</strong>/Vranov die<br />

tschechische Dorfjugend vom deutschen Sonnwendfeuer ferngehalten. 66 Auch die<br />

Sprachwahl erlangte zusehends Bekenntnischarakter. In der Schattauer Doleschalmühle<br />

beharrte die tschechische Belegschaft nun auf der tschechischen Betriebssprache.<br />

67 Die tschechische Bürokratie verteidigte oft kle<strong>in</strong>lich die seit 1918 erreichte<br />

Asymmetrie <strong>in</strong> der Geltung der beiden Landessprachen. Gleichzeitig def<strong>in</strong>ierte die<br />

nationalpolitische Propaganda die deutsche Volksgruppe als „Sudetendeutsche“ <strong>im</strong><br />

Gegensatz zum tradierten Selbstbild als „Südmährer“.<br />

Die Separation<br />

Der Anschluß der Sudetengebiete an das Deutsche Reich entfremdete vollends Deutsche<br />

<strong>und</strong> Tschechen. Jetzt begann die etappenweise ethnische Homogenisierung <strong>in</strong><br />

<strong>im</strong>mer grausameren Formen. Sofort verließen <strong>in</strong> der ersten Nacht nach dem Anschluß<br />

die Juden mit dem leichten Rucksack die deutschen Dörfer <strong>und</strong> mit ihnen die meisten<br />

der seit 1918 zugezogenen tschechischen Grenzer, F<strong>in</strong>anzer, Gendarmen, Bahnbediensteten<br />

<strong>und</strong> Lehrer. E<strong>in</strong>ige hier seit langem he<strong>im</strong>ische tschechische Bewohner<br />

wurden Opfer tätlicher Übergriffe durch „die besten Nachbarn“. 68 Sobald wie möglich<br />

verließen sie die Dörfer, es ist „ihnen unhe<strong>im</strong>lich geworden, weil sie <strong>im</strong>mer ge-<br />

vom 24.-27. Oktober 1992 <strong>in</strong> Zwettl, hrsg. von THOMAS WINKELBAUER, Waidhofen a. d. T.<br />

1993, S. 63-386, hier S. 371.<br />

65<br />

Chronik der tschechischen Volksschule Baumöhl, E<strong>in</strong>tragung Schuljahr 1936.<br />

66<br />

Fra<strong>in</strong>, Interview V.<br />

67<br />

Schattau, Interview D.<br />

68<br />

Gnadlersdorf, Interview Sch.-W.<br />

242


hört haben, also den treiben wir h<strong>in</strong>aus, der braucht nicht mehr <strong>im</strong> Dorf zu se<strong>in</strong>“. 69<br />

Mit ihnen wichen dem Druck jetzt auch die tschechischen Pfarrer, die den Deutschen<br />

seit Jahrzehnten fast akzentfrei gepredigt, sie getraut <strong>und</strong> ihre K<strong>in</strong>der getauft hatten.<br />

Die Auflösung des Dorfes zeigte sich an vielen symbolträchtigen Details. E<strong>in</strong> tschechischer<br />

Respondent, damals Schneiderlehrl<strong>in</strong>g <strong>in</strong> Schattau, berichtet, daß die deutschen<br />

Jugendlichen selbst <strong>im</strong> K<strong>in</strong>o von den tschechischen Jugendlichen wegrückten. 70<br />

Solche Schlüsselszenen der Entfremdung blieben dem Gedächtnis durch Jahrzehnte<br />

e<strong>in</strong>graviert. E<strong>in</strong> vertriebener Schaff<strong>in</strong>ger Tscheche kommentiert prägnant diese Auflösung<br />

der Dorfsolidarität: Die Deutschen „ließen uns 1938 <strong>in</strong> Stich“. 71<br />

Nach dem Ende des Großdeutschen Reiches wendete sich das Blatt zugunsten der<br />

Tschechen. Es steht außer Zweifel, daß die staatlichen <strong>und</strong> nationalen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

maßgeblich für die dörfliche Geschichte wurden, ob es sich um die Flucht der<br />

Deutschen vor der Roten Armee, die E<strong>in</strong>setzung tschechischer Verwaltungskommissäre,<br />

die Verdrängung <strong>und</strong> Vertreibung der Deutschen, die kommunistische Machtergreifung<br />

oder den Eisernen Vorhang handelt. Aus der dorfgeschichtlichen Perspektive<br />

bedeuten diese E<strong>in</strong>schnitte zugleich mehrere aufe<strong>in</strong>ander folgende, sich oft sogar<br />

überlappende Tendenzen, nämlich die Auflösung des deutschen Dorfes, die Rekonstruktion<br />

tradierter Dorfstrukturen durch die tschechischen <strong>und</strong> slowakischen Neusiedler<br />

nach 1945 sowie die Neustrukturierung des Dorfes unter den Voraussetzungen<br />

der Kollektivwirtschaft nach 1948. Diese Prozesse verliefen jedoch nicht l<strong>in</strong>ear <strong>und</strong><br />

ferngesteuert. Stets g<strong>in</strong>g es um e<strong>in</strong>e Verschränkung von Vorgaben <strong>und</strong> autonomen<br />

örtlichen Entwicklungen. Das Dorf war nicht nur Befehlsempfänger, sondern Akteur,<br />

<strong>und</strong> ist als solcher auch Gegenstand der Forschung.<br />

Besonders komplex s<strong>in</strong>d die beiden e<strong>in</strong>ander bed<strong>in</strong>genden Prozesse der Vertreibung<br />

der Deutschen <strong>und</strong> der tschechischen Neusiedlung <strong>in</strong>e<strong>in</strong>ander verschränkt, was<br />

den Dörfern vielfache autonome Handlungsmöglichkeiten erlaubte. 72 Der Impetus für<br />

die Vertreibung g<strong>in</strong>g trotz der großen <strong>in</strong>neren Entfremdung nicht von den Dörfern<br />

selbst aus. Schriftliche Quellen <strong>und</strong> lebensgeschichtliche Interviews liefern viele H<strong>in</strong>weise<br />

darauf, daß die politische Phantasie der verbliebenen oder der allmählich zurückkehrenden<br />

tschechischen Dorfbewohner von dörflich-agrarischen Kategorien geprägt<br />

war. Man dachte vage an e<strong>in</strong>e Umkehr der sozialen <strong>und</strong> der Machtverhältnisse,<br />

<strong>in</strong>dem die Deutschen <strong>in</strong>s H<strong>in</strong>terstübel oder auf die kle<strong>in</strong>en Anwesen übersiedeln, ihre<br />

69 Ebenda.<br />

70 Schattau, Interview T.<br />

71 Schaffa/Šafov, Interview C.; vgl. dazu die tschechischen Er<strong>in</strong>nerungsberichte: (Red.): Vyhnání<br />

C+echu` z pohranic=í 1938. Vzpomínky. [Die Vertreibung der Tschechen aus dem<br />

Grenzgebiet 1938. Er<strong>in</strong>nerungen], red. von KAREL ZELENÝ, Praha 1996.<br />

72 Zusätzlich zu den neu erschlossenen Dokumenten <strong>und</strong> den lebensgeschichtlichen Interviews<br />

wurden die umfangreichen Dokumentensammlungen <strong>und</strong> Monographien, beispielsweise<br />

folgende, herangezogen: Die Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei,<br />

2 Bände, Berl<strong>in</strong> 1957 (Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa,<br />

Bd. 4, 2); SUSANNE LINSBICHLER: Die Vertreibung der Sudetendeutschen aus der<br />

Tschechoslowakei, Diplomarbeit Univ. Wien 1991.<br />

243


öffentlichen Funktionen verlieren, daß jedenfalls die Nationalsozialisten bestraft <strong>und</strong><br />

entfernt werden sollten <strong>und</strong> sich auf diese Weise e<strong>in</strong> Zuwachs an tschechischer Präsenz<br />

<strong>im</strong> Grenzgebiet ergeben werde. In den Maitagen 1945 bestanden vielfach ganz<br />

„normale“ <strong>in</strong>nerdörfliche Umgangsformen, etwa <strong>im</strong> Zusammenhang mit der Brandbekämpfung<br />

auch deutscher Gehöfte. Diese Rekonstruktion, allenfalls Modifikation<br />

der früheren Verhältnisse korrespondierte mit deutschen Erwartungen, sonst wäre die<br />

Rückkehr der vor der Kriegsfront Evakuierten <strong>in</strong> ihre He<strong>im</strong>atdörfer <strong>und</strong>enkbar. Das<br />

Dorf zeigte jedoch schon <strong>in</strong> dieser ersten Nachkriegsphase e<strong>in</strong> Janusgesicht. Denn die<br />

Vertrautheit mit den Verhältnissen <strong>und</strong> Handlungen des anderen führte e<strong>in</strong>erseits zu<br />

<strong>in</strong>dividueller Rache <strong>und</strong> Besitzaneignung, häufig jedoch auch zu spontaner Hilfe für<br />

Dorfgenossen, die man aus besseren Zeiten als gute Nachbarn kannte. 73 Aus Baumöhl<br />

ist aus den Maitagen e<strong>in</strong> dramatischer Zwischenfall überliefert. Dort brachte die Rote<br />

Armee zehn auf der Flucht ergriffene deutsche Gendarmen auf den Friedhof, unter<br />

ihnen den Postenkommandanten von Baumöhl <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en <strong>in</strong> Baumöhl ansässigen<br />

Hilfsgendarmen. Die Tochter des Hilfsgendarmen verfolgte die schreckliche Szene<br />

aus der Entfernung: E<strong>in</strong>er nach dem anderen wurde erschossen. „Und so wäre jetzt<br />

me<strong>in</strong> Vater die Reih auch gwesen <strong>und</strong> der Postenführer. Und da war dann e<strong>in</strong> anderer,<br />

e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>he<strong>im</strong>ischer Tscheche. Hat er gsagt, verschw<strong>in</strong>d, schau, daß du weiterkommst<br />

<strong>und</strong> hat ihn weggstampert <strong>und</strong> den B. (Postenkommandant) auch. Na, so s<strong>in</strong>d sie mit<br />

dem Leben davonkommen“, <strong>und</strong> mit ihnen der Retzer Gendarm, während die sieben<br />

Dorf- <strong>und</strong> Regionsfremden ihr Leben lassen mußten. 74 Noch e<strong>in</strong>mal setzte die dörfliche<br />

Vertrautheit die Allmacht des Politischen außer Kraft. Immer noch umschloß das<br />

Dorf se<strong>in</strong>e von der Politik ausgegrenzten Angehörigen.<br />

Erst die obrigkeitliche Steuerung, die Beneš-Dekrete, die e<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung von sozialer<br />

Begehrlichkeit mit nationalen Emotionen herstellten, sowie die gezielten Vertreibungsaktionen<br />

durch jugendliche Partisanene<strong>in</strong>heiten brachten e<strong>in</strong>e radikale Wende.<br />

In Südmähren unterscheiden wir nun zwei Typen von Vertreibung: Schon seit<br />

Mitte Mai 1945 an der Sprachgrenze <strong>und</strong> <strong>im</strong> reichen Agrargebiet das langsame E<strong>in</strong>sickern<br />

tschechischer Neusiedler <strong>und</strong> die Verdrängung der Deutschen <strong>in</strong> die H<strong>in</strong>terhöfe;<br />

sodann die schlagartige Aussiedlung ganzer Grenzdörfer seit Anfang Juni 1945<br />

anhand von vorbereiteten Listen <strong>und</strong> unter Partisanene<strong>in</strong>satz, folgend die wellenartigen<br />

Fluchtbewegungen über die Grenze aus Angst vor Zwangsarbeit <strong>im</strong> Landes<strong>in</strong>nern<br />

<strong>und</strong> zuletzt 1946 den formellen odsun/Abschub.<br />

Die <strong>im</strong> Mikrokontext unbrauchbare Logik des <strong>in</strong>tegralen Nationalismus zerstörte<br />

somit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em knappen Dezennium von 1938 bis 1948 die noch <strong>in</strong>takte Lebensform<br />

des Dorfes. Während das Nationale bis dah<strong>in</strong> nur jene Bereiche steuerte, die der dörf-<br />

73 Die deutschen Zeitgenossen berichten durchgehend, daß <strong>in</strong> der Regel die dorffremden<br />

Tschechen, nicht die he<strong>im</strong>ischen, zu Gewaltanwendung neigten. Vgl. dazu RAINER B. GEP-<br />

PERTH: Die Vertreibung, Ausweisung <strong>und</strong> Aussiedlung der deutschen Bevölkerung aus den<br />

südmährischen Gerichtsbezirken Fra<strong>in</strong> <strong>und</strong> Zna<strong>im</strong> 1945/46, Phil. Diss. Salzburg 1970.<br />

74 Interview W., S. 8, <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>dechronik ist von sechs erschossenen Gendarmen die Rede.<br />

„Der Gr<strong>und</strong> für diese H<strong>in</strong>richtung ist e<strong>in</strong> Gehe<strong>im</strong>nis; vielleicht war es Rache von manchen<br />

Soldaten, deren Familien von deutschen Soldaten ermordet worden waren.“<br />

244


liche lebensweltliche Wissensvorrat nicht abdeckte, wurde nunmehr die dörfliche<br />

S<strong>in</strong>nstruktur durch die nationale S<strong>in</strong>nordnung ersetzt, obwohl weiterh<strong>in</strong> der Bedarf an<br />

lebensweltlicher Handlungskoord<strong>in</strong>ation bestand. 75 Die Deutschen g<strong>in</strong>gen, die Tschechen<br />

blieben. Doch der moralische Kredit des Dorfethos war verbraucht. Die kaum<br />

rekonstruierten Dörfer wurden erneut von der erzwungenen Sozialisierung e<strong>in</strong>er höheren<br />

Logik dienstbar. 76<br />

75<br />

BERNHARD MIEBACH: Soziologische Handlungstheorie. E<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>führung, Opladen 1991,<br />

S. 332.<br />

76<br />

Die Parlamentswahlen <strong>in</strong> der Tschechoslowakei 1935–1946–1948. E<strong>in</strong>e statistische Analyse,<br />

hrsg. von JIR=Í SLÁMA <strong>und</strong> KAREL KAPLAN, München 1986 (Veröffentlichungen des Collegium<br />

Carol<strong>in</strong>um, Bd. 53).<br />

245


Arbeitsbibliographie<br />

von<br />

Hans L e m b e r g<br />

unter Mitwirkung von Eckart Günther, Haik Porada <strong>und</strong> Hans-Werner Rautenberg<br />

sowie mit fre<strong>und</strong>lichen Ergänzungen von Ekkehard Buchhofer, Robert Luft<br />

<strong>und</strong> anderen.<br />

Vorbemerkung<br />

Diese Literaturliste ist als Arbeitsbibliographie zu praktischen Zwecken <strong>im</strong> Vorfeld<br />

der Tagung entstanden, deren Ergebnisse <strong>in</strong> diesem Band vorgelegt werden. Sie ist<br />

seither weiter entwickelt <strong>und</strong> unter anderem um unmittelbar auf <strong>Grenzen</strong> bezogene<br />

Titel aus den Fußnoten der Beiträge dieses Bandes ergänzt worden. Sie enthält nicht<br />

nur wissenschaftliche Literatur, sondern exemplarisch auch politische Kampfliteratur<br />

aus den Epochen, <strong>in</strong> denen Grenzfragen hohes Interesse fanden (Friedensverträge<br />

1919, We<strong>im</strong>arer <strong>und</strong> NS-Zeit – dort v.a. “Grenz- <strong>und</strong> Auslandsdeutschtum” –, Polen<br />

nach dem Zweiten Weltkrieg, deutsch-deutsche Grenze u.a.m. – Wenn Sammelbände<br />

aufgeführt s<strong>in</strong>d, werden deren E<strong>in</strong>zelbeiträge nur <strong>in</strong> Ausnahmefällen gesondert<br />

genannt.<br />

Die Arbeitsbibliographie erhebt – auch formal – nicht den Anspruch bibliographischer<br />

Vollkommenheit; so enthält sie stellenweise dort, wo Autopsie bzw. Verifizierung<br />

nicht erreichbarer Titel die Publikation zu lange aufgehalten hätte, unvollständige<br />

Angaben; andererseits s<strong>in</strong>d gelegentlich <strong>in</strong> eckigen Klammern weiterführende<br />

oder erklärende H<strong>in</strong>weise h<strong>in</strong>zugefügt. Dies alles bitten wir zu entschuldigen.<br />

Zur besseren Auff<strong>in</strong>dbarkeit bei Leih-Bestellungen ist die Angabe “In:” fett<br />

gedruckt.<br />

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Geschichte. 115 (1990), 255–286.<br />

Grabner, Barbara: Probleme mit der<br />

Slowakischen Grenze. In: Morgen.<br />

Kulturzeitschrift aus Niederösterreich,<br />

107 (1996), 14–15.<br />

Gradmann, Robert: Die Wissenschaft <strong>im</strong><br />

Dienste der deutschen<br />

Volkstumspolitik. Rede zur<br />

Reichsgründungsfeier. Erlangen<br />

1932 (= Erlanger Universitätsreden.<br />

12).<br />

Gräf, He<strong>in</strong>z u. Kurt Plück: Grenze durch<br />

Deutschland. [2. Aufl.] Düsseldorf<br />

1961.<br />

Grafenauer, Bogo: Oblikovanje severne<br />

slovenske narodnostne meje [Die<br />

Gestaltung der nördlichen<br />

slovenischen Nationalitätsgrenze].<br />

Ljubljana 1994. (Zgodov<strong>in</strong>ski<br />

časopis / Zbirka. 10).<br />

Granica na Odrze i Nysie w oczach<br />

zachodu i pan;stw niezaangazæowanych<br />

[Die Oder-Neiße-<br />

Grenze <strong>in</strong> den Augen des Westens<br />

<strong>und</strong> der blockfreien Staaten]. Warszawa<br />

1962 [Mschr. autogr.]. (Rada<br />

Naczelna Tow. Rozwoju Ziem.<br />

Zach. Komisja Propagandy. Materia¬y<br />

odczytowe. [1.]).<br />

257


Granice Hrvatske na zemljovid<strong>im</strong>a. Od<br />

XII. do XX. stoljeca [Die <strong>Grenzen</strong><br />

Kroatiens auf Landkarten vom 12.<br />

bis zum <strong>20</strong>. Jh. - Ausstellungskatalog].<br />

Texte v. Franjo Tu∂man u.a.<br />

Zagreb 1992.<br />

Granice i pogranicza. Jðzyk i historia.<br />

Materia¬y miðdzynarodowej konferencji<br />

naukowej [Grenze <strong>und</strong> Grenzland.<br />

Sprache <strong>und</strong> Geschichte. Materialien<br />

e<strong>in</strong>er Internationalen Konferenz].<br />

27./28. Mai 1993. Hrsg. von<br />

Stanis¬aw Dubisz <strong>und</strong> Alicja<br />

Nago;rko. Warszawa 1994.<br />

Granice pan;stwowe Polskiej Rzeczypospolitej<br />

Ludowej. Wybo;r Przepiso;w.<br />

Stan prawy na dzien; 1. 3. 1974 [Die<br />

Staatsgrenzen der Polnischen<br />

Volksrepublik. Stand 1. 3. 1974].<br />

Hrsg. v. Roman Ptas<strong>in</strong>;ski. Warszawa<br />

1974.<br />

Grasediek, Werner: Kont<strong>in</strong>uität <strong>und</strong><br />

Wandel kommunaler <strong>Grenzen</strong>. Vom<br />

Grenzweistum zur Geme<strong>in</strong>degrenze.<br />

Dargestellt am Beispiel von Steffeln/<br />

Eifel. In: Landesk<strong>und</strong>liche Vierteljahrsblätter.<br />

Trier, 34, Nr. 4 (1988),<br />

137.<br />

Greenberg, Susan: Borderl<strong>in</strong>e Case. In:<br />

Guardian Supplement v. <strong>20</strong>.10.1992,<br />

21. [Umwandlung alter B<strong>in</strong>nen- <strong>in</strong><br />

neue Außengrenze, hier tschechoslowakisch].<br />

Gregor, Gustav: Geschichte der Landkarten<br />

von Mähren <strong>und</strong> Schlesien.<br />

In: Mährisch-schlesische He<strong>im</strong>at 11<br />

(1966) 1, 64–68; 2, 104–109.<br />

Greif, F.: Grenzüberschreitende Regionalforschung<br />

– Gr<strong>und</strong>lagen, Ziele,<br />

Methoden. In: Regionalforschung<br />

<strong>und</strong> Regionalpolitik <strong>im</strong> Grenzgebiet<br />

Österreich/Ungarn (Vorträge e<strong>in</strong>es<br />

Sem<strong>in</strong>ars). Hrsg. v. H. Alfons.<br />

B<strong>und</strong>esanstalt für Agrarwirtschaft.<br />

258<br />

Wien 1989, 55–69 (= Schriftenreihe<br />

Nr. 52).<br />

Greif, Franz: Regionalpolitik an der geme<strong>in</strong>samen<br />

Grenze. Das Beispiel<br />

Österreich–Ungarn. Regionális<br />

politika a közös határok memtén.<br />

Regional policy at the common border.<br />

Wien 1989 (= Schriftenreihe der<br />

B<strong>und</strong>esanstalt für Agrarwirtschaft.<br />

73).<br />

Grentze, Grentzen, Grentzen-<br />

Besichtigung. In: Großes vollständiges<br />

Universal-Lexicon (Zedler). Bd.<br />

11. Halle-Leipzig 1735, 828–858.<br />

Grenz- <strong>und</strong> Auslandsdeutschtum. E<strong>in</strong><br />

beratendes Bücherverzeichnis. Bearb.<br />

v. Peter Langendorf. Leipzig 1934.<br />

Grenzbildende Faktoren <strong>in</strong> der<br />

Geschichte. Forschungsberichte [...].<br />

Hrsg. v. Günther Franz. Hannover<br />

1969 (= Histor. Raumforschung. 7.<br />

Veröffentlichungen der Akademie<br />

für Raumforschung <strong>und</strong> Landesplanung.<br />

48).<br />

Grenzdarstellungen <strong>in</strong> Schulatlanten.<br />

E<strong>in</strong>e Dokumentation mit Beiträgen<br />

von Ingo v. Münch u.a. Hrsg. v.<br />

Hans-Peter Vonhoff. Frankfurt 1980<br />

(= Informationen über Bildungsmedien<br />

<strong>in</strong> der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland.<br />

8).<br />

Grenzdeutschland seit Versailles. Die<br />

grenz- <strong>und</strong> volkspolitischen Folgen<br />

des Friedensschlusses. Hrsg. v. Karl<br />

Christian v. Loesch u. Max Hildebert<br />

Boehm. Berl<strong>in</strong> 1930.<br />

Grenze (Gränze). In: Brockhaus’ Conversations-Lexikon.<br />

13. Aufl., Bd. 8.<br />

Leipzig 1884, 340–342.<br />

Die Grenze als Ort der Annäherung. 750<br />

Jahre deutsch-litauische Beziehungen.<br />

Hrsg. v. Arthur Hermann. Köln<br />

1992.


Grenze. Artikel. In: Deutsches<br />

Rechtswörterbuch (Wörterbuch der<br />

älteren deutschen Rechtssprache).<br />

Bd. 4, We<strong>im</strong>ar 1939–1951, Sp. 1096<br />

f.<br />

Die Grenze. Begriff <strong>und</strong> Inszenierung.<br />

Hrsg. v. Markus Bauer u. Thomas<br />

Rahn. Berl<strong>in</strong> 1997.<br />

Grenze <strong>im</strong> Kopf. Beiträge zur<br />

Geschichte der Grenze <strong>in</strong> <strong>Ostmitteleuropa</strong>.<br />

Hrsg. v. Peter Hasl<strong>in</strong>ger.<br />

Frankfurt am Ma<strong>in</strong> u.a. 1999 (=<br />

Wiener Osteuropastudien. 11).<br />

Grenze <strong>und</strong> Grenzbewohner: Nachbarn<br />

<strong>und</strong> Fremde, alte He<strong>im</strong>at – neue<br />

He<strong>im</strong>at, Abschied <strong>und</strong> Ankunft. 2.–<br />

4. Dezember 1994 Gub<strong>in</strong>-Guben,<br />

Dokumentation. Berl<strong>in</strong> 1995.<br />

Die <strong>Grenzen</strong> des Reiches. Bd. 1–...–<br />

Leipzig, Berl<strong>in</strong> 1941. Bd. 1. Gruenberg,<br />

L.: Die deutsche Südostgrenze.<br />

1941 (= Veröffentlichungen des<br />

Deutschen Auslandswissenschaftlichen<br />

<strong>Institut</strong>s. 5).<br />

<strong>Grenzen</strong> erfahren – Räume schaffen.<br />

Tagungsbericht der 42. Werktagung<br />

1993. Hrsg. v. He<strong>in</strong>z Rothbucher.<br />

Salzburg 1994 (= Veröffentlichung<br />

der Salzburger Internationalen Pädagogischen<br />

Werktagung. 48).<br />

<strong>Grenzen</strong> erkennen – Begrenzungen<br />

überw<strong>in</strong>den. Festschrift für Re<strong>in</strong>hard<br />

Schneider. Hrsg. v. Wolfgang Haubrichs<br />

u.a. Sigmar<strong>in</strong>gen 1999.<br />

Die <strong>Grenzen</strong> Kongress-Polens. Hrsg. v.<br />

V. Erich W<strong>und</strong>erlich u.a. Wien,<br />

Brünn 19<strong>19.</strong> SA aus: Mitteilungen<br />

der Geographischen Gesellschaft <strong>in</strong><br />

Wien. Bd. 61 u. 62.<br />

<strong>Grenzen</strong> <strong>und</strong> Grenzregionen – Frontières<br />

et régions frontalières – Borders<br />

and border regions. Hrsg. v.<br />

Wolfgang Haubrichs u. Re<strong>in</strong>hard<br />

Schneider. Saarbrücken 1993<br />

(= Veröffentlichungen der Kommission<br />

für Saarländische Landesgeschichte<br />

<strong>und</strong> Volksforschung. 22).<br />

<strong>Grenzen</strong> <strong>und</strong> Hoffnung. Geschichte <strong>und</strong><br />

Perspektiven der Grenzregion an der<br />

Oder. Hrsg. v. Helga Schultz u. Alan<br />

Nothnagle. Potsdam 1996<br />

(= Frankfurter Studien zur Grenzregion.<br />

1).<br />

<strong>Grenzen</strong> <strong>und</strong> Raumvorstellungen (11. –<br />

<strong>20</strong>. Jh.). – Frontières et conceptions<br />

de l’espace (11e–<strong>20</strong>e siècles). Zürich<br />

1996 (= Clio Lucernensis. 3).<br />

<strong>Grenzen</strong>-los? Jedes System braucht<br />

<strong>Grenzen</strong> – aber wie durchlässig<br />

müssen sie se<strong>in</strong>? Hrsg. v. Ernst Ulrich<br />

von Weizsäcker. Berl<strong>in</strong>, Basel,<br />

Boston 1997.<br />

Grenz-Fall. Das Saarland zwischen<br />

Frankreich <strong>und</strong> Deutschland 1945–<br />

1960. Hrsg. v. Ra<strong>in</strong>er Hudemann. St.<br />

Ingbert 1997.<br />

Grenzgänger. Hrsg. v. Re<strong>in</strong>hard Schneider.<br />

Saarbrücken 1998<br />

(= Veröffentlichungen der Kommission<br />

für Saarländische Landesgeschichte<br />

<strong>und</strong> Volksforschung. 33).<br />

Grenzgeschichten. Berichte aus dem<br />

deutschen Niemandsland. Hrsg. v.<br />

Andreas Hartmann. Frankfurt am<br />

Ma<strong>in</strong> 1990.<br />

Die Grenzkommission. E<strong>in</strong>e Dokumentation<br />

über Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> Tätigkeit.<br />

Bonn: B<strong>und</strong>esm<strong>in</strong>ister für <strong>in</strong>nerdeutsche<br />

Beziehungen, 1979, 2.<br />

Aufl. 1979.<br />

Grenzland. Beiträge zur Geschichte der<br />

deutsch-deutschen Grenze. Hrsg. v.<br />

Bernd Weisbrod. Hannover 1993<br />

(= Veröffentlichungen der Historischen<br />

Kommission für Niedersachsen<br />

<strong>und</strong> Bremen. 38, 9).<br />

Grenzpolitische Hefte. Hrsg. Reichsstudentenführung.<br />

Abteilung für poli-<br />

259


tische Erziehung. Oststelle. Königsberg<br />

(1937). Aufgegangen <strong>in</strong>: Die<br />

studentische Kameradschaft, oder<br />

vielmehr: Grenzpolitische Mappen.<br />

Grenzrecht <strong>und</strong> Grenzzeichen. Freiburg/<br />

Br. 1940 (= Das Rechtswahrzeichen.<br />

Beiträge zur Rechtsgeschichte <strong>und</strong><br />

rechtlichen Volksk<strong>und</strong>e. H. 2).<br />

Grenzrevision <strong>und</strong> M<strong>in</strong>derheitenfra-<br />

ge zwischen beiden Weltkriegen.<br />

Bd. 1.2. Rostock 1982 (= Studien<br />

zur Geschichte der deutschpolnischen<br />

Beziehungen. Wilhelm-<br />

Pieck-Universität, Sektion<br />

Geschichte, Rostock).<br />

Die Grenzziehung an der Weichsel.<br />

(Marienwerder, Wpr.) [nach 1922].<br />

Die Grenzziehung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen typischen<br />

Beispielen. Bearb. v. d.<br />

Stiftung für deutsche Volks- <strong>und</strong><br />

Kulturbodenforschung Leipzig. SA<br />

aus: Die E<strong>in</strong>wirkungen der Gebietsabtretung<br />

auf die deutsche<br />

Wirtschaft, Bd. 1: Der deutsche Osten<br />

<strong>und</strong> Norden. Berl<strong>in</strong> 1930, 103–<br />

112.<br />

Gr<strong>im</strong>m, Jacob <strong>und</strong> Wilhelm: Artikel<br />

“Grenze”. In: Dies.: Deutsches<br />

Wörterbuch. Bd. 9. Leipzig 1935,<br />

Sp. 124–148.<br />

Grothe, Hugo: Grothes kle<strong>in</strong>es Handwörterbuch<br />

des Grenz- <strong>und</strong><br />

Auslandsdeutschtums. Leipzig,<br />

München, Berl<strong>in</strong> 1932.<br />

Gruenberg, Leo: Die deutsche Südostgrenze.<br />

Leipzig, Berl<strong>in</strong> 1941 (= Die<br />

<strong>Grenzen</strong> des Reiches. 1).<br />

Günter, M.M.: Self-determ<strong>in</strong>ation or territorial<br />

<strong>in</strong>tegrity? The U.N. <strong>in</strong> confusion.<br />

In: World Affairs. Wash<strong>in</strong>gton,<br />

141 (1979), 214–216.<br />

Guenther, Adolf: Der sudetendeutsche<br />

Volkstumskampf <strong>im</strong> Spiegel des<br />

260<br />

Grenzlandromans. Diss. Marburg.<br />

Würzburg 1940.<br />

Guichonnet, Paul u. Claude Raffest<strong>in</strong>:<br />

Géographie des frontières. Paris<br />

1974 (= Collection SUP. La<br />

géographie. 13).<br />

Haas, Hans u.a.: Verfe<strong>in</strong>dete Brüder an<br />

der Grenze: Böhmen/Mähren/ Niederösterreich.<br />

Die Zerstörung der Lebense<strong>in</strong>heit<br />

“Grenze” 1938 bis 1945.<br />

Forschungsbericht. Horn 1998.<br />

Haas, Hans: Die deutsch-böhmische<br />

Frage 1918–1919 <strong>und</strong> das<br />

österreichisch-tschechoslowakische<br />

Verhältnis. In: Bohemia 13 (1972),<br />

336–383.<br />

Haas, Hans: Die Pariser Friedenskonferenz<br />

1919 <strong>und</strong> die Frage Gmünd. In:<br />

Kamptal Studien 3 (1982/83), 213–<br />

247.<br />

Haas, Hans: Die Zerstörung der Lebense<strong>in</strong>heit<br />

Grenze <strong>im</strong> <strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert.<br />

In: Kontakte <strong>und</strong> Konflikte (s.u.),<br />

363–386.<br />

Haas, Hans: Typen <strong>und</strong> Verlaufsmodelle<br />

ethnischer Homogenisierung unter<br />

Zwang. In: Beiträge zur Historischen<br />

Sozialk<strong>und</strong>e 4 (1996),<br />

152–159.<br />

Haas, Hans: Zur Problematik der<br />

österreichisch-tschechoslowakischen<br />

Grenze 1918–19<strong>19.</strong> In: Jiz=ní Morava<br />

– brána a most [Südmähren – Tor<br />

<strong>und</strong> Brücke]. Mikulov 1969, 131–<br />

140.<br />

Hadler, Frank: Peacemak<strong>in</strong>g 1919 <strong>im</strong><br />

Spiegel der Briefe Edvard Benes=s<br />

von der Pariser Friedenskonferenz.<br />

Teil I: Januar bis April 19<strong>19.</strong> In:<br />

Berl<strong>in</strong>er Jahrbuch für osteuropäische<br />

Geschichte 1/1 (1994), 213–255;<br />

Teil II: Mai bis August 19<strong>19.</strong><br />

Ebenda, 1/2 (1994), 225–257.


Häufler, Vlastislav: O vzniku a vymezení<br />

nas=ich statních hranic [Über<br />

die Entstehung <strong>und</strong> Vermessung unserer<br />

Staatsgrenzen]. In: Acta Universitatis<br />

Carol<strong>in</strong>ae – Geographica<br />

13/2 (1978), 13–29.<br />

Häufler, Vlastislav: The Ethnographic<br />

Map of the Czech Lands, 1880–1970<br />

(= Rozpravy C+eskoslovenské<br />

akademie ve=d – r=ada matematicky;ch<br />

a pr=irodni;ch ve=d 83/6). Praha 1973.<br />

Häupler, Hans-Joach<strong>im</strong>: Der bayerischböhmische<br />

Hauptgrenzvertrag von<br />

1764. In: Bohemia. Zeitschrift für<br />

Geschichte <strong>und</strong> Kultur der böhmischen<br />

Länder 33 (1992), 44–72.<br />

Ha<strong>in</strong>z, Roland: Vom Risorg<strong>im</strong>ento-<br />

Nationalismus zu der “natürlichen”<br />

Grenze. Innsbrucker Diplomarbeit.<br />

1991.<br />

Halecki, Oskar Ritter v.: Polens Ostgrenze<br />

<strong>im</strong> Lichte der Geschichte<br />

Ostgaliziens, des Cholmer Landes<br />

<strong>und</strong> Podlachiens. Wien 1918<br />

(= Polens Grenzprobleme. 1).<br />

Halecki, Oskar: Europa. <strong>Grenzen</strong> <strong>und</strong><br />

Gliederungen se<strong>in</strong>er Geschichte.<br />

Darmstadt 1957 [poln. Orig<strong>in</strong>al: Historia<br />

Europy i jej podzia¬y].<br />

Handwörterbuch des Grenz- <strong>und</strong><br />

Auslandsdeutschtums. Hrsg. v. Carl<br />

Petersen u.a. 3 Bde. (mehr nicht<br />

ersch.). Breslau 1933–1938.<br />

Hangula, Lazarus: Die Grenzziehungen<br />

<strong>in</strong> den afrikanischen Kolonien Englands,<br />

Deutschlands <strong>und</strong> Portugals<br />

<strong>im</strong> Zeitalter des Imperialismus.<br />

1880–1914. Frankfurt am Ma<strong>in</strong> 1991<br />

(= Europäische Hochschulschriften.<br />

Reihe 3, 493).<br />

Hansen, Niles: Border region development<br />

and cooperation. Western<br />

Europe and the US-Mexico borderlands<br />

<strong>in</strong> comparative perspective. In:<br />

Across Bo<strong>und</strong>aries. Hrsg. v. Oscar<br />

Mart<strong>in</strong>ez. El Paso 1986.<br />

Hardt, Walter: “Aktion Ungeziefer”.<br />

Zwangsdeportation am 5. Juni 1952<br />

aus Bettenhausen (Kreis Me<strong>in</strong><strong>in</strong>gen).<br />

Ursachen, H<strong>in</strong>tergründe <strong>und</strong><br />

Durchführung. Erfurt 1998 (= Der<br />

Landesbeauftragte des Freistaates<br />

Thür<strong>in</strong>gen für die Unterlagen des<br />

Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen<br />

DDR <strong>in</strong>formiert. Reihe C,<br />

Monographien).<br />

Hart an der Grenze. Burgenland <strong>und</strong><br />

Westungarn. Hrsg. v. Traude<br />

Horvath u. Eva Müller. Wien 1992.<br />

Hartmann, L.: Die nationale Grenze<br />

vom soziologischen Standpunkt. In:<br />

Hauptprobleme der Soziologie. Er<strong>in</strong>nerungsgabe<br />

für Max Weber. Hrsg.<br />

v. Melchior Palyi u.a. Bd. 1.<br />

München 1923.<br />

Hartshorne, Richard: Suggestions on the<br />

Term<strong>in</strong>ology of political bo<strong>und</strong>aries.<br />

In: Annals, Association of American<br />

Geographers 26 (1936), 56–57.<br />

Hasl<strong>in</strong>ger, Peter: Der ungarische Re-<br />

visionismus <strong>und</strong> das Burgenland<br />

1922–1932. Frankfurt am Ma<strong>in</strong> 1994<br />

(= Europäische Hochschulschriften.<br />

Reihe 3. Geschichte <strong>und</strong> ihre Hilfswissenschaften.<br />

616).<br />

Hasl<strong>in</strong>ger, Peter: H<strong>und</strong>ert Jahre<br />

Nachbarschaft. Die Beziehungen<br />

zwischen Österreich <strong>und</strong> Ungarn<br />

1895–1994. Frankfurt am Ma<strong>in</strong> u.a.<br />

1996.<br />

Hassert, Kurt: Deutschlands Lage <strong>und</strong><br />

Grenze <strong>in</strong> ihren Beziehungen zu<br />

Verkehr <strong>und</strong> Politik. In: Festschrift<br />

Johann J. Re<strong>in</strong>. Bonn 1905<br />

(= Veröffentlichungen der<br />

Geographischen Vere<strong>in</strong>igung zu<br />

Bonn. 1).<br />

261


Hass<strong>in</strong>ger, Hugo: Bemerkungen über<br />

Entwicklung <strong>und</strong> Methode von<br />

Sprach- <strong>und</strong> Volkstumskarten. In:<br />

Wissenschaft <strong>und</strong> Volkstumskampf.<br />

Festschrift für Erich Gierach. Hrsg.<br />

v. Kurt Oberdorffer, Bruno Schier u.<br />

Wilhelm Wostry. Reichenberg 1941,<br />

47–62.<br />

Hauptner, Rudolf: Die tschechoslowakische<br />

Landesbefestigung der<br />

Zwischenkriegszeit.<br />

Die Landesbefestigung<br />

<strong>in</strong> Böhmen <strong>und</strong> Mähren. In:<br />

Forschen, Erhalten, Pflegen, Nutzen.<br />

Wesel 1991, 135–158.<br />

Hauser, Przemys¬aw: Niemcy wobec<br />

sprawy polskiej. Paz;dziernik 1918 –<br />

czerwiec 1919 [Deutschland <strong>und</strong><br />

die Polnische Frage. Oktober 1918 –<br />

Juni 1919]. Poznan; 1984 (= Seria<br />

Historia. 121).<br />

Haushofer, Karl: <strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong> ihrer<br />

geographischen <strong>und</strong> politischen Bedeutung.<br />

Berl<strong>in</strong>-Grunewald 1927;<br />

2. verb. Aufl. Heidelberg 1939<br />

(= Schriften zur Weltpolitik. 1).<br />

Haversath, Johann-Bernhard: Historisch-geographische<br />

Aspekte politischer<br />

<strong>Grenzen</strong> <strong>in</strong> Mitteleuropa<br />

mit besonderer Berücksichtigung<br />

der heutigen deutsch-tschechischen<br />

Grenze. In: Siedlungsforschung 9<br />

(1991), 173–198.<br />

Havlík, Lubomír E.: K otázce hranice<br />

jíz=ní Moravy v dobe= panství Boleslava<br />

Chrabrého [Zur Frage der<br />

Grenze Südmährens <strong>in</strong> der Herrschaftszeit<br />

von Boles¬aw Chrobry].<br />

In: Studia z dziejów polskich i<br />

czechos¬owackich 1 (1960), 75–91.<br />

Hechter, Michael: Internal Colonialism.<br />

The celtic fr<strong>in</strong>ge <strong>in</strong> British national<br />

development 1536–1966. London<br />

1975.<br />

262<br />

Heer, Caspar: Territorialentwicklung <strong>und</strong><br />

Grenzfragen von Montenegro <strong>in</strong> der<br />

Zeit se<strong>in</strong>er Staatswerdung (1830–<br />

1887). Bern, Frankfurt, Las Vegas<br />

1981 (= Geist <strong>und</strong> Wirken der<br />

Zeiten. 61).<br />

Heigl, Franz: Ansätze e<strong>in</strong>er Theorie der<br />

Grenze. Wien 1978 (= Schriftenreihe<br />

der österreichischen Gesellschaft für<br />

Raumforschung <strong>und</strong> Raumplanung.<br />

28).<br />

Heile, Wilhelm: Das Problem gerechter<br />

<strong>Grenzen</strong> zwischen den Staaten. In:<br />

Friedenswarte, Okt./Nov. 1929.<br />

He<strong>in</strong>tschel von He<strong>in</strong>egg, Wolff: Der<br />

Ägäis-Konflikt. Die Abgrenzung des<br />

Festlandsockels zwischen<br />

Griechenland <strong>und</strong> der Türkei <strong>und</strong> das<br />

Problem der Inseln <strong>im</strong> Seevölkerrecht.<br />

Berl<strong>in</strong> 1989 (= Schriften zum<br />

Völkerrecht. 89).<br />

Heller, Wilfried: Politische <strong>Grenzen</strong> <strong>und</strong><br />

Grenzräume aus anthropogeographischer<br />

Sicht. In: Grenzland.<br />

Hannover 1993, 173–194.<br />

Helmolt, Hans F.: Die Entwicklung der<br />

Grenzl<strong>in</strong>ie aus dem Grenzsaume. In:<br />

Historisches Jahrbuch 17 (1896),<br />

235–264.<br />

Herschy, Reg<strong>in</strong>ald W.: Disputed Frontiers.<br />

A Prelude to Conflict? Lewes,<br />

Sussex 1993.<br />

Hertslet, E.: The map of Europe by<br />

treaty. 4 vols. London 1875–91.<br />

Herzog, Lawrence A.: International<br />

bo<strong>und</strong>ary cities: the debate on trans<br />

frontier plann<strong>in</strong>g <strong>in</strong> two border regions<br />

(Western Europa and the U.S.-<br />

Mexico Border). In: The Natural<br />

Resources Journal 31 (1991), Nr. 3,<br />

587–608.<br />

Heuse, Hans: Grenze <strong>und</strong> Grenzerfahrungen.<br />

In: Praxis Geschichte 4<br />

(1993), 56–59.


Higham, Rob<strong>in</strong>: Frontiers – a global<br />

view. In: Journal of the West. New<br />

York, 34, Nr. 4 (1995), 48–54.<br />

Hillbrand, Erich: Die Kartenbestände<br />

des Kriegsarchivs Wien für das Gebiet<br />

der Tschechoslowakei, Polens,<br />

des Baltikums <strong>und</strong> der deutschen<br />

Ostgebiete. In: Zeitschrift für Ostforschung<br />

7 (1958), 87–97.<br />

H<strong>in</strong>ks, A.R. (= A.R.H.): Bo<strong>und</strong>ary l<strong>im</strong>itations<br />

<strong>in</strong> the treaty of Versailles. In:<br />

Geographical Journal 54 (1919),<br />

103–113 [<strong>in</strong> den folgenden Nummern<br />

mehrere Aufsätze über Grenzziehungen<br />

gemäß der Pariser Vororteverträge].<br />

H<strong>in</strong>ks, A.R.: Notes on the techniques of<br />

bo<strong>und</strong>ary l<strong>im</strong>itation. In: Geographical<br />

Journal 58 (1921), 417–443.<br />

Hirsch, Hans: Die Entstehung der<br />

Grenze zwischen Niederösterreich<br />

<strong>und</strong> Mähren. In: Deutsches Archiv<br />

für Landes- <strong>und</strong> Volksforschung<br />

1 (1937), 856–866.<br />

Hirsch, Hans: Zur Entwicklung der<br />

böhmisch-österreichisch-deutschen<br />

Grenze. E<strong>in</strong> Beitrag zur historischen<br />

Geographie Böhmens. In: Jahrbuch<br />

des Vere<strong>in</strong>s für Geschichte der<br />

Deutschen <strong>in</strong> Böhmen 1 (1926), 7–<br />

32.<br />

The historical bo<strong>und</strong>aries between Bosnia,<br />

Croatia, Serbia: Documents and<br />

maps, 1815–1945. Hrsg. v. Anita L.<br />

P. Burdett. Neuchâtel 1995.<br />

Historische Grenzlandschaften <strong>Ostmitteleuropa</strong>s<br />

<strong>im</strong> 16.–<strong>20</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert.<br />

Gesellschaft – Wirtschaft – Politik.<br />

Studiensammlung. Hrsg. v. Mieczys¬aw<br />

Wojciechowski <strong>und</strong> Ralph<br />

Schattkowsky. Torun; 1996.<br />

Hlavác=ek, Ivan: Die Grenze des böhmischen<br />

Staates <strong>im</strong> Spiegel des It<strong>in</strong>erars<br />

der späten Pr=emysliden <strong>und</strong> der<br />

Luxemburger. In: Festschrift für Alfred<br />

Wendehorst. Neustadt/Aisch<br />

1992, 231–240.<br />

Hoffmann, Roland J.: Zur Rezeption des<br />

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291


Verzeichnis der Autoren<br />

Prof. Dr. Włodz<strong>im</strong>ierz Borodziej<br />

Uniwersytet Warszawski, Instytut Historyczny, ul. Krakowskie Przedmieście 26/28, PL-00927<br />

Warszawa<br />

Dr. Hannelore Burger<br />

Rosentalgasse 11a/7, A-1140 Wien<br />

Dr. Karl von Delhaes<br />

<strong>Herder</strong>-<strong>Institut</strong> e.V., Gisonenweg 5-7, 35037 Marburg<br />

Prof. Dr. Horst Förster<br />

Geographisches <strong>Institut</strong> der Universität Tüb<strong>in</strong>gen, Hölderl<strong>in</strong>str. 12, 7<strong>20</strong>74 Tüb<strong>in</strong>gen<br />

Prof. Dr. Hanns Haas<br />

Historisches Sem<strong>in</strong>ar, Rudolfskai 42, A-050<strong>20</strong> Salzburg<br />

Dr. Peter Hasl<strong>in</strong>ger<br />

Historisches Sem<strong>in</strong>ar der Universität Freiburg, Neuere <strong>und</strong> Osteuropäische Geschichte,<br />

Postfach, 79085 Freiburg<br />

Prof. Dr. Edgar Hösch<br />

<strong>Institut</strong> für Geschichte Osteuropas <strong>und</strong> Südosteuropas, Wagmüller Str. 23,<br />

80538 München<br />

Dr. Hans-Jürgen Karp<br />

Brandenburger Str. 5, 35041 Marburg<br />

Prof. Dr. Peter Krüger<br />

Philipps-Universität Marburg, Fachbereich Geschichtswissenschaften, Fachgebiet Neuere<br />

Geschichte, Wilhelm-Röpke-Str. 6, 35032 Marburg<br />

Prof. Dr. Hans Lemberg<br />

Pappelweg 24, 35041 Marburg<br />

Robert Luft<br />

Collegium Carol<strong>in</strong>um, Hochstr. 8, 81669 München<br />

Dr. Mathias Niendorf<br />

Deutsches Historisches <strong>Institut</strong>, Pałac Kultury i Nauk, Plac Defilad 1, skr. 33,<br />

PL-00-901 Warszawa<br />

Dr. Dr. h.c. Gert von Pistohlkors<br />

Sem<strong>in</strong>ar für Mittlere <strong>und</strong> Neuere Geschichte, Universität Gött<strong>in</strong>gen, Platz der Gött<strong>in</strong>ger Sieben<br />

5, 37073 Gött<strong>in</strong>gen<br />

291

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