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Geheimnisvoller Osten

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Protest: CHARLIE HADEN und das LIBERATION MUSIC ORCHESTRA<br />

Jazz Against The Machine<br />

CHARLIE HADENs Liberation Music Orchestra findet seit<br />

über 30 Jahren immer dann zusammen, wenn amerikanischer<br />

Protest gegen amerikanische Politik nötig wird.<br />

Eines Nachts 1969 saß Charlie Haden<br />

im Auto und hörte die Nachrichten:<br />

Die US-Luftwaffe bombardierte auf<br />

Befehl Präsident Nixons nun auch Vietnams<br />

Nachbarn Kambodscha. Haden<br />

fühlte sich hilflos als Bürger, als Musiker<br />

jedoch war er davon überzeugt, seinen<br />

Protest artikulieren zu können. Mit<br />

seiner langjährigen Kollegin, der Pianistin<br />

Carla Bley, und einem zwölfköpfigen<br />

Ensemble nahm er das phänomenale<br />

„Liberation Music Orchestra“-Album<br />

auf. Die All-Star-Besetzung des LMO<br />

machte später eine kontinuierliche Arbeit<br />

unmöglich, doch Hadens revolutionäre<br />

Garde tauchte immer wieder an Eckpunkten<br />

politischen Unmuts in den USA<br />

auf: Als Reagan 1982 den Bürgerkrieg<br />

in El Salvador finanzierte und Grenada<br />

besetzte, veröffentlichte das LMO „The<br />

Ballad Of The Fallen“; George Bush Sr.<br />

gab ihm 1989 den Anlass zu einer überwältigenden<br />

Darbietung von „We Shall<br />

Overcome“ auf dem Montreal Jazz Festival.<br />

Und nie war es so wertvoll wie heute,<br />

Wer ist JOHNNY LIEBLING? Alle!<br />

denn das neue musikalische Manifest des<br />

LMO kann mit seiner individualistischen<br />

instrumentalen Eingängigkeit mehr ausdrücken<br />

als jeder zur Abgegriffenheit verdammte<br />

Slogan. Aufgenommen in Rom<br />

am Ende einer triumphalen Tour, überzeugen<br />

die acht „amerikanischen“ Kompositionen<br />

– von David Bowies „This Is<br />

Not America“ zu Dvoráks „Going Home“<br />

aus der Symphonie „Aus der Neuen Welt“<br />

– durch Intelligenz, Abgeklärtheit und<br />

Zugänglichkeit. Der aufrechte Gang von<br />

Bleys Arrangements ebnet der sanft mitreißenden<br />

Performance dieser gereiften<br />

Alt-68er-Jazzstars den Weg. Am besten zu<br />

hören auf dem Medley von „America The<br />

Beautiful“, „Lift Every Voice“ und „Skies<br />

Over America“. JazzLink: haden<br />

CHARLIE HADEN<br />

LIBERATION MUSIC<br />

ORCHESTRA<br />

Not In Our Name<br />

EmArcy 0624 982 9248<br />

Der lange Abschied<br />

BOBO STENSONs neues Album „Goodbye“ ist nach 40 Jahren der Abschied<br />

vom Leben als schwedischer Sideman und sein Durchbruch als internationaler Bandleader.<br />

uch wenn Bobo Stenson der schwe-<br />

Adische Pianist ist, der seit den 60er<br />

Jahren als Sideman unzähliger internationaler<br />

Jazzstars gearbeitet hat – wie<br />

Sonny Rollins, Stan Getz, Don Cherry,<br />

Tomasz Stanko oder Charles Lloyd –,<br />

so ist ihm als Bandleader ein vorläufiger<br />

Abschied aus der skandinavischen Jazzszene<br />

womöglich erst mit seinem neuen<br />

Trioalbum „Goodbye“ gelungen. Vielleicht<br />

hat der Aufnahmeort New York<br />

eine Rolle gespielt, wo Stenson im April<br />

vergangenen Jahres mit Bassist Anders<br />

Jormin und Schlagzeuger Paul Motian<br />

die vierzehn Titel von „Goodbye“ auf-<br />

nahm. Natürlich liegt es an der Präsenz<br />

des amerikanischen Freundes<br />

Motian, der einst in Bill Evans’ großartigem<br />

Pianotrio trommelte, somit für<br />

Stenson der „Schlagzeuger seines<br />

Idols“ ist. Aus der Transparenz des<br />

aus stark variierenden Quellen stammenden<br />

Materials zeichnet sich darüber<br />

hinaus ein später internationaler<br />

Durchbruch für Stenson als Leader ab.<br />

Stenson, Jormin und Motian spannen<br />

einen ganz eigenen Bogen über Interpretationen<br />

von Henry Purcells 300<br />

Jahre alter „Music For A While“, Ornette<br />

Colemans „Race Face“ und Stephen<br />

Nachruf<br />

Im August verlor die Jazzwelt<br />

zwei weitere ihrer großen Persönlichkeiten:<br />

Der deutsche Posaunist Albert<br />

Mangelsdorff und der belgische Pianist,<br />

Arrangeur und Bandleader Francy<br />

Boland kamen beide in den 20er Jahren<br />

zur Welt und veröffentlichten<br />

ab den 60er Jahren ihre wichtigsten<br />

Schallplatten auf dem MPS-Label des<br />

im vergangenen Herbst verstorbenen<br />

Produzenten Hans Georg Brunner-<br />

Schwer. So unterschiedlich ihre Musik<br />

auch gewesen sein mag – Boland brillierte<br />

an der Seite von Kenny Clarke mit<br />

der besten Big Band Europas, während<br />

Mangelsdorff ein stilistisch vielseitiger<br />

Erneuerer der Posaune war –, so unverzichtbar<br />

ihr Beitrag für die jüngere<br />

Jazzgeschichte. Vor kurzem wurden<br />

die Clarke-Boland-Alben „All Smiles“,<br />

„More Smiles“ und „Fellini 712“ auf<br />

MPS wiederveröffentlicht, im kommenden<br />

Jahr erscheint eine Box mit<br />

den wichtigsten MPS-Alben von Albert<br />

Mangelsdorff.<br />

FRANCY BOLAND<br />

ALBERT MANGELSDORFF<br />

Sondheims „Send In The Clowns“, das<br />

sie annähernd radiotauglich machen.<br />

Songs des russischen Protestsängers<br />

Vladimir Vyotsky und des argentinischen<br />

Komponisten Ariel Ramirez stellen sie<br />

neben Benny Goodmans „Goodbye“,<br />

das in den 50er Jahren zum großen<br />

Hit für Frank Sinatra und Nelson Riddle<br />

wurde. Den Großteil des Materials stellte<br />

Anders Jormin zusammen und fügte es<br />

mit eigenen Kompositionen und anderen<br />

Originalen von Stenson zusammen.<br />

Elegant und zurückhaltend entfaltet sich<br />

der Reichtum dieser Musik bereits beim<br />

ersten Anhören, hält aber, wie man das<br />

Hat seine Autobiografie veröffentlicht: OSCAR PETERSON<br />

BOBO STENSON<br />

TRIO<br />

Goodbye<br />

06024 9825 173 7<br />

Ausgabe 3 Jahrgang 8<br />

Odysseus am Klavier<br />

Zum 80. Geburtstag des immer noch fleißig tourenden Jazzpianisten<br />

OSCAR PETERSON erscheinen nicht nur legendäre<br />

Aufnahmen neu, sondern auch sein erstes Buch.<br />

m 15.08.2005 feierte er seinen 80.<br />

AGeburtstag. Und das Geschenk liefert<br />

Peterson selbst, als Autobiografie,<br />

an der er fünfzehn Jahre lang arbeitete.<br />

„Meine Jazz-Odyssee“ gehört ohne Zweifel<br />

zu den besten Büchern aus der Feder<br />

eines Jazzmusikers. Der Pianist wendet<br />

sich weniger an die Experten als an ein<br />

interessiertes breites Publikum, das den<br />

Menschen hinter der Legende besser<br />

kennen lernen möchte. Petersons Karriere<br />

umfasst sechzig Jahre Jazzgeschichte,<br />

die er in seinem Buch selbst Revue passieren<br />

lässt. Er schildert seine Kindheit<br />

und Jugend in Kanada, seine musikalische<br />

Entwicklung vor dem sozialen und<br />

politischen Hintergrund in Nordamerika<br />

und seinen Aufstieg zur Leitfigur des Jazz.<br />

Seinem Manager und engsten Freund,<br />

dem Impresario Norman Granz, widmet<br />

er ein Kapitel, und er erzählt von seinen<br />

Begegnungen mit anderen Jazzgrößen.<br />

Schließlich befasst sich Peterson mit Rassismus<br />

und politischen Fragen sowie in<br />

von Stenson und Motian erwartet, eine<br />

gute Weile vor. Parallel zu „Goodbye“<br />

spielt Bobo Stenson auch auf Thomas<br />

Strønens neuem Album „Parish“. Paul<br />

Motian veröffentlichte unlängst mit seinem<br />

eigenen Trio aus Joe Lovano und<br />

Bill Frisell das ECM-Album „I Have The<br />

Room Above Her“. JazzLink: stenson<br />

Liebling<br />

Schanzenviertel<br />

Seite 3<br />

Intro<br />

„Es ist niemals zu spät, wenn man mal weiß, wie’s geht“ heißt es bei JOHNNY LIEBLING.<br />

Die ganze Wahrheit verraten die heftigen Hamburger auf ihrem Debütalbum „Goldene Zeiten“.<br />

Die Frage drängt sich auf: Warum<br />

gibt es diese geniale Band erst<br />

seit zwei Jahren?“, meint Kris Kiel,<br />

einer der beiden Sänger und Frontmänner<br />

von Johnny Liebling, provokant, aber<br />

schmunzelnd. „Weil Kris seine Songs<br />

vor uns geheim halten musste“, fällt<br />

ihm Ralph Beulshausen, der zweite singende<br />

Frontmann, ins Wort. „Und vor<br />

seinem Gewissen.“ Und dann lachen<br />

sie. Nicht nur die beiden, sondern auch<br />

Martin Fekl, der Gitarrist, Kim Kiesling,<br />

der Bassist, und ihr Schlagzeuger Rüdiger<br />

Hensel. Überhaupt haben die auf den<br />

ersten Blick eher strengen Herren viel<br />

Freude bei der Arbeit. „Weil wir’s erstens<br />

ernst nehmen“, meint Martin, „und es<br />

außerdem nur zum Spaß machen.“<br />

Die laut Info „sicherlich beste und<br />

wahrscheinlich älteste Newcomerband<br />

des Landes“ fand sich tatsächlich erst vor<br />

knapp zwei Jahren in einem Übungsraum<br />

in Hamburg zusammen. Natürlich kannten<br />

sie sich alle irgendwie, die meisten<br />

aus ihrer Zeit als Lovekrauts. Schnell fand<br />

man einen eigenen Sound, irgendwo<br />

zwischen Sixties-Beat, Party-Polka und<br />

Jazz-Chanson, und wurde sich über die<br />

einem kulturpolitischen Aufsatz mit dem<br />

„Verrat am Jazz“. Auch die persönliche<br />

Ebene kommt nicht zu kurz: Peterson<br />

berichtet über Missgeschicke bei Freizeitaktivitäten,<br />

seine Ehen und die „fortwährende<br />

Suche nach wahren Freunden“. Für<br />

den Bassisten Ray Brown schrieb er sogar<br />

ein längeres Gedicht. Den Soundtrack<br />

zum Buch liefert ein anderer Weggefährte,<br />

der 2004 verstorbene Hans Georg<br />

Brunner-Schwer. Der MPS-Chef hatte<br />

noch kurz vor seinem Tod das Remastering<br />

aller neun Studioalben seines Labels<br />

beaufsichtigt – viele Erinnerungen aus<br />

Petersons Buch klingen hier musikalisch<br />

an, schliesslich nahm der Klavier-Gigant<br />

für das deutsche Label die nach Meinung<br />

vieler Fans und Kritiker bestklingendsten<br />

Jazzpiano-Schallplatten der 60er und<br />

70er Jahre auf.<br />

Alle MPS-Wiederveröffentlichungen von<br />

Oscar Peterson finden Sie in den Details<br />

auf Seite 8. JazzLink: peterson<br />

Bildunterschriften dolores ratum BOBO STENSON TRIO manum erarum est<br />

Durchbruch als Leader: BOBO STENSON (Mitte)<br />

Mutter- als Songsprache einig. Nach<br />

wenigen Monaten kam der erste Auftritt,<br />

ohne große Ankündigung, in einer Bar<br />

im Schanzenviertel – ein unglaublicher<br />

Erfolg. „Die Band ist ja des Musizierens<br />

wegen gegründet worden“, meint Kris.<br />

„Aber obwohl wir das ‚nur so’ machen<br />

wollten, merkten wir schnell, dass es<br />

eben eigentlich nur auf die eine Art geht:<br />

Die ganze.“ Dafür, dass sie da angeblich<br />

eher so „reingeschliddert“ sind, machen<br />

die fünf von Johnny Liebling ihre Sache<br />

eigentlich zu gut. Wer sie je im Konzert<br />

erlebt hat, etwa auf ihrer eben abgeschlossenen<br />

Deutschlandtournee, spürt<br />

wahrscheinlich noch das Kratzen in der<br />

heiseren Kehle und die schweißtreibende<br />

Musik dieser Energiekapelle in den Knochen.<br />

Auf „Goldene Zeiten“, ihrem ehrlichen<br />

und umwerfenden Debüt, kann<br />

man das jetzt nicht nur nachempfinden.<br />

Die Studioproduktion, die so angenehm<br />

authentisch, direkt und skrupellos<br />

klingt, vermittelt auch die zerbrechlichen<br />

Zwischentöne dieser oberflächlich<br />

brachialen Naturgewalt. „An guten Tagen“<br />

steht ebenso zu seiner herzbrecherischen<br />

Melodie wie „Quelle“ zur unverblüm-<br />

Erinnerungen<br />

an Evans<br />

Als der Bassist Marc Johnson<br />

vor genau zwanzig Jahren für ECM sein<br />

Solo-Debütalbum „Bass Desires“ aufnahm,<br />

sicherte ihm damals schon die ebenso ausgefallene<br />

wie hochkarätige Besetzung (mit<br />

John Scofield, Bill Frisell und Peter Erskine)<br />

Schlagzeilen. So wie der 1987 mit derselben<br />

Band aufgenommene Nachfolger „Second<br />

Sight“gilt „Bass Desires“ als eines der besten<br />

und originellsten Jazzalben der gesamten<br />

80er Jahre.<br />

Auch auf Johnsons drittem ECM-Album<br />

ist Scofield wieder zu hören, wenngleich<br />

diesmal nur als einer von drei Gästen (die<br />

beiden anderen sind Tenorsaxophonist Joe<br />

Lovano und Organist Alain Mallet). Dreh-<br />

und Angelpunkt ist diesmal aber ein Trio,<br />

das Erinnerungen an das Bill Evans Trio<br />

weckt, in dem Johnson von 1978 bis zum<br />

Tod des großartigen Pianisten 1980 spielte<br />

und das oft mit Evans’ legendärstem Trio<br />

(jenem mit Scott LaFaro und Paul Motian)<br />

verglichen wurde.<br />

Mit der brasilianischen Pianistin Eliane<br />

Elias und Schlagzeuger Joey Baron, die für<br />

ihr filigranes Spiel und Einfühlungsvermögen<br />

bekannt sind, fand Johnson eine Idealbesetzung.<br />

Mit Baron spielte Johnson erstmals<br />

1984 im Trio des italienischen Pianisten<br />

Enrico Pieranunzi, mit Elias 1991 auf deren<br />

Soloalbum „Long Story“. Nicht weniger<br />

beeindruckend ist, wie die Gäste (allen voran<br />

der formidable Joe Lovano) mit diesem wunderbar<br />

intuitiv agierenden Trio harmonieren.<br />

Der Titelsong ist übrigens eine Anspielung<br />

auf LaFaros Komposition „Jade Visions“, die<br />

das Bill Evans Trio 1961 für das Album „Sunday<br />

At The Village Vanguard“ aufnahm.<br />

MARC JOHNSON<br />

Shades Of Jade<br />

06024 987 1477<br />

ten Erotik und „30 Sommer“ zur Midlifekriselnden<br />

Sentimentalität. Ralph<br />

Beulshausens „Goldene Zeiten“ ist<br />

ebenso zynisch und wieder erkennbar<br />

selbstkritisch, wie „Heroin“ von Tobias<br />

Gruben bitter und böse ist. „Was wir<br />

machen, ist total authentisch“, sagt Kris.<br />

„Wir sind alle in einem Alter, in dem man<br />

Musik nur noch aus Leidenschaft macht.<br />

Jetzt ist klar: Das machst du bis zum Tod.<br />

Das ist unser Weg. Und das merkt man<br />

auch, denke ich.“ Spätestens da merkt<br />

man auch, warum sich diese Band nach<br />

dem Satansbraten und Schlagersänger<br />

aus dem Film „Angel Heart“ genannt hat.<br />

Sie sind so höllisch gut, dass man um<br />

Gottes willen nicht mehr ohne sie auskommen<br />

will.<br />

JazzLink: liebling<br />

JOHNNY LIEBLING<br />

Goldene Zeiten<br />

CD 06024 9871 183 5<br />

LP 06024 9871 185 9

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