Leseprobe Orchester 11_07 - Das Orchester

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2007 ist nicht nur ein Toscanini-, sondern auch ein Leopold-Stokowski-Jahr: Am 18. April hätte dieser seinen 125. Geburtstag gehabt, der 13. September war sein 30. Todestag. Mit dem Berner Komponisten und Dirigenten Matthias Bamert, der seine internationale Karriere als Assistent Stokowskis begann, erinnert sich Herbert Haffner. Großes Bild: Filmaufnahmen zu Walt Disneys Zeichentrickfilm Fantasia aus dem Jahr 1940. Der Soundtrack des Films besteht aus klassischer Musik, gespielt vom Philadelphia Orchestra, das den gesamten Film akustisch begleitet und von Leopold Stokowski dirigiert wird. Unten: Herbert Haffner mit Leopold Stokowski (Mitte) 1967 vor der Londoner Royal Festival Hall Foto: Privatbesitz Herbert Haffner oder Chicago. Er war der erste, der wirklich einen Klangkörper für sich und seinen Klangsinn geschaffen hat. Natürlich sind seine Bearbeitungen bekannt und seine Orchestrierungen, außerdem hat er in der Schallplattenindustrie ganz, ganz Wesentliches geleistet, in der Aufnahmetechnik, dadurch, dass er selber immer alles gemixt hat. Er hat auch im Film gearbeitet – z.B. bei Disneys Fantasia. Außerdem war er der erste große Dirigent, der ein Jugendorchester gegründet und dirigiert hat, wie das dann später Claudio Abbado mit dem Europäischen Jugendorchester gemacht hat. Er hat sich unglaublich für zeitgenössische Musik eingesetzt, sehr, sehr viele Uraufführungen geleitet und in Amerika Erstaufführungen von großen Teilen der Werke von Debussy, Berg, Schönberg oder Mahler dirigiert. Man kann sagen, er war ein Pionier der Neuen Musik, und deswegen finde ich es Das Orchester 11/07 17
Interview Leopold Stokowski Foto: dpa Der gebürtige Londoner war zunächst in seiner Heimatstadt als Organist tätig (St. James’s) bevor er 1905 in der gleichen Position nach New York zur Gemeinde St. Bartholomew wechselte. Ab 1909 dirigierte Stokowski das Cincinnati Symphony Orchestra, 1912 wurde er zum Chef des Philadelphia Orchestra ernannt, das er in 26 Jahren bis 1938 zu einem der bedeutendsten amerikanischen Sinfonieorchester formte. Ab 1955 arbeitete er mit dem Houston Symphony Orchestra zusammen. Stokowski war ein Pionier der Schallplatte, spielte für Walt Disney die Musik zum Film Fantasia ein und engagierte sich stark für zeitgenössische Musik. Auch die Vermittlung von Musik an junge Menschen war ihm ein lebenslanges Anliegen. Stokowski gründete eigene Sinfonieorchester wie z. B. 1962 das American Symphony Orchestra und dirigierte als Gast vorwiegend in New York und London. Stokowski 1959 bei einer Probe im Konzertsaal der Hochschule für Musik in Berlin, wo er ein Konzert der Berliner Philharmoniker dirigierte immer so schade, wenn viele Leute rückblickend das Gefühl haben, er sei eben ein Showman gewesen. Natürlich hat er auch diese Seite gehabt, aber man muss vor allem sehen, was er als hochkarätiger Musiker geleistet hat. Wie haben Sie Stokowski kennen gelernt 1969 war ich von George Szell eingeladen, als „Apprentice Conductor“ zum damals besten amerikanischen Orchester – nach Cleveland – zu kommen. Ich fuhr also mit meiner Frau auf der „Queen Elizabeth II.“ von Europa nach Amerika. Mir war in den vier Tagen auf dem Schiff so unglaublich langweilig, dass ich sogar die Passagierliste gelesen habe. Und da stand: „Mr. L. Stokowski“. Meine Frau hat sich erinnert, dass er im Sommer immer nach Europa geht, und meinte, er könnte sich nun auf der Rückreise ja vielleicht genauso langweilen wie ich, und ich sollte ihm eine kleine Notiz schreiben. Ich habe damals kaum Englisch gesprochen, aber mit Hilfe meiner Frau, die Amerikanerin ist, ein perfektes englisches Brieflein geschrieben und es dem Butler gegeben, der das raufbrachte, denn wir hatten eine der billigsten Kabinen ganz unten. Als wir vom Mittagessen zurückkamen, steckte da in der Tür ein Zettel: „Sorry, I missed you, call me at three o’clock.“ – „Leider habe ich Sie verpasst, rufen Sie mich um drei Uhr an.“ Nun war ich in dem Dilemma, dass ich diesen perfekten Brief geschrieben hatte, Stokowski aber nicht anrufen konnte. Meine Frau hat mir gesagt, „call me“ könnte auch meinen: „klopfen Sie an die Türe“. Und das habe ich dann getan, ich bin zu seiner Kabine gegangen, und es ist herausgekommen, dass ich kein Englisch konnte, aber er hat mich hereingebeten. Ich habe ihm erzählt, dass ich zu Szell nach Cleveland unterwegs sei. Er sagte nachdenklich: „George Szell – großartiger Dirigent, aber komische Ideen über Bogenstriche.“ Das hat Stokowski von Szell gesagt! Ich bin dann ein Jahr in Cleveland gewesen und habe gehört, dass er einen Assistenten braucht. Ich habe mich gemeldet und es hat ein Vordirigieren gegeben. Jeder durfte acht Minuten dirigieren. Unzählige von Dirigenten hatten sich gemeldet. Ich habe mir ein Stück ausgewählt, von dem ich wusste, dass er es sehr liebte, den letzten Satz von Schostakowitschs 5. Sinfonie. Ich habe natürlich auswendig dirigieren wollen und habe jeden Einsatz gewusst. Wie ich aber vor das Orchester trat, saßen alle Streicher auf der linken Seite und die Bläser auf der rechten. Wo gewöhnlicherweise das erste Cello oder die erste Bratsche sitzt, war die erste, zweite, dritte Flöte, dann die Oboen, dahinter die Klarinetten, dann fingen die Hörner an, dann das Blech. Und alle meine überlegten Einsätze funktionierten nicht mehr. Mich hat fast der Schlag getroffen. Dadurch, dass er einerseits alle Streicher und andererseits alle Bläser zusammengefasst hat, kam dieser runde, geballte Klang zustande. Das war sein Trick. … … Lesen Sie weiter in Heft 2007/11 18 Das Orchester 11/07
Seite 1: Interview Unberechenbar Leopold Sto

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