wohnen3, plan-akademie, cross architecture, specials ... - plan project
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bar. Unbemerkt unterwandern sie die dargestellte Banalität<br />
des Alltags und dessen zögerlichen Konservativismus und<br />
sind wahrscheinlich die Matrix einer dynamischen Zukunft.<br />
Während die „abendländische“ Stadt noch zu oft auf ihren<br />
erdrückend reibungslosen technischen Ablauf reduziert wird,<br />
kündigen Phänomene des Offenen, Unvollendeten, Unscharfen,<br />
Unsteten und Unsicheren neue Formen sozialer Organisation<br />
an. In diesem Sinne ist eine „hyper-lokale“ Frage von<br />
weitreichender Relevanz – insbesondere im Hinblick auf weltweit<br />
sich verändernde Maßstäbe und ihre zeitlich komplexe<br />
Struktur.<br />
Zu diesem Zweck verbindet local.contemporain Künstler<br />
und Forscher aus der ganzen Welt: Die ganze Bandbreite der<br />
Möglichkeiten soll ausgeschöpft werden: Der Reflexion des<br />
Städtischen kann man sich intuitiv, rational, statistisch, spekulativ,<br />
emotional und auf viele andere Weisen nähern – und<br />
eben simultan lokal, national und international.<br />
Wir erzeugen symbolische Interventionen im Stadtgeschehen<br />
innerhalb des tatsächlichen Stadtraums. Wir möchten<br />
damit buchstäblich jeden erreichen. Das Ziel ist immer, den<br />
Blick der Bürger zu schärfen für eine neue urbane partizipative<br />
Gestaltung von Wirklichkeit, die weniger mit der Identifizierung<br />
mit bestimmten Gebäuden zu tun hat als mit neuen sozialen<br />
Werten und Gesten, wie die von intakten Beziehungen,<br />
Spontaneität, sozialen Funktionen. Wir wissen, dass unser<br />
Ansatz und unsere Arbeit neue Formen der Vermittlung und<br />
Darstellung, also des Umgangs mit Öffentlichkeit erfordert und<br />
betrachten dies als wesentlichen Bestandteil unserer Projekte<br />
und unseres Vorgehens.<br />
So erfinden wir beispielsweise auch „Mitmachaktionen“,<br />
indem wir Appelle an die Bevölkerung richten und so Interaktion<br />
erzeugen: So wie beim Projekt C’est dimanche, zu dem wir<br />
über Zeitschriften, Radio und regionales TV die gesamte<br />
Bevölkerung des Großraums Grenoble dazu eingeladen<br />
haben, uns ein Foto eines Sonntags zukommen zu lassen, an<br />
den sie sich gerne erinnern. Auf diese Weise haben wir ein<br />
Potpourri von „Sonntagsfotos“ in allen Formaten und Stilen,<br />
analog oder digital produziert, zusammengetragen. Eine Auswahl<br />
von 40 Fotografien haben wir ohne technische Nachbesserung<br />
auf ein maximales Fotopapierformat vergrößert und<br />
dann im November 2005 im Museum in Grenoble ausgestellt.<br />
Dies war eine einmalige Begegnung mit dem „reflektierten“<br />
Alltag unserer Zeitgenossen: Wie jeder sich in Szene setzt,<br />
sich und andere wahrnimmt und die Umgebung um sich herum<br />
interpretiert.<br />
Gleichzeitig haben wir ausgewählte Motive im Großformat<br />
innerhalb des ganzen Stadtgebiets plakatiert. Unser innovatives<br />
Konzept einer „zufälligen fotografischen Sammlung“ fand eine<br />
große Resonanz sowohl bei der breiten Öffentlichkeit als auch<br />
bei Vermittlern der ästhetischen und theoretischen Szene,<br />
also Museumsleuten, Soziologen und Wissenschaftlern.<br />
Eine unserer jährlich erscheinenden Publikationen hat sich<br />
im Nachgang noch einmal mit dem Thema beschäftigt: So<br />
wollten wir in der Ausgabe, die dem Titel C’est dimanche<br />
gewidmet war, beispielsweise vertiefend untersuchen, wie die<br />
Öffentlichkeit sonntags, wenn weder Konsumanreize noch<br />
arbeitstechnische Zwänge vorherrschen, Zeit organisiert und<br />
ob man sich miteinander abstimmt oder nicht. Auch wenn<br />
gegenwärtig das Zeitkontingent jedes Einzelnen im Hinblick<br />
auf außengelenkte Situationen wie Konsumanreize, makroökonomische<br />
Mutationen und städtische Gewohnheiten des<br />
Transports und der Arbeitszeiten analysiert wird, wollten wir<br />
das Thema Zeit aus Sicht der freien Gestaltungsmöglichkeiten<br />
im Alltag erörtern und erkunden, wie selbstverständlich oder<br />
kompliziert der Einzelne die neuen Gestaltungsmöglichkeiten<br />
von Zeit kombiniert. Wir wollten wissen: Können wir wirklich<br />
frei über unsere „freie“ Zeit verfügen in einer so genannten<br />
liberalen Gesellschaft am Anfang des 21. Jahrhunderts?<br />
Erlaubt das Wegbrechen der ritualisierten Zeit<strong>plan</strong>ung – wie<br />
der sonntägliche Gang zur Kirche oder das Mittagessen in der<br />
Familie – nun jedem Einzelnen, seine freie Zeit am Sonntag<br />
ganz seinen individuellen Bedürfnissen entsprechend zu<br />
gestalten?<br />
Insbesondere die Ausgabe C´est Dimanche unserer Publikation<br />
folgt einer radikalen Konzeption, nämlich interdisziplinär,<br />
transversal und dezentral vorzugehen. Jeder der Autoren<br />
konnte sein Medium und seine Darstellungsform frei wählen,<br />
seien es wissenschaftliche Analysen, Fotografien, Kartografien,<br />
Klangkompositionen, Collagen, literarische Formen, um<br />
unsere gemeinsamen Hypothesen zu transportieren und zu<br />
„komponieren“, und dies immer in Rückbezug auf die eigene<br />
kulturelle und lokale Wirklichkeit, gleich ob wohnhaft in<br />
Johannesburg, Mailand oder Algier.<br />
Aktuell entwickeln wir außerdem eine Reihe pädagogischer<br />
Aktionen, für den Kindergarten ebenso wie für die Universität.<br />
Adressaten sind die zukünftigen Benutzer der Stadt.<br />
Unsere Hypothese: Im gegenwärtigen territorialen Wettbewerb<br />
ist ein intelligentes Territorium ein Territorium, in dem die<br />
Mehrheit der Individuen die neuen Maßstäbe für Zeit und<br />
Raum, die das Zeitalter prägen, verstehen und beherrschen<br />
lernen.<br />
Der Autor Philippe Mouillon ist Künstler und Leiter der Initiative local.contemporain, die sich seit Jahren mit dem Thema Urbanismus beschäftigt.