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schmitzkatze - Schmitz Buch

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22 <strong>schmitzkatze</strong> 12<br />

Essen – die Kulturhauptstadt Europas; noch wenige Tage und auch das ist Geschichte.<br />

Häufig wurden lokal-prominente Essener gefragt, welche besonderen Orte sie ihren Gästen<br />

am liebsten zeigen. Die Antworten waren dann nicht wirklich überraschend. 90% aller<br />

Essener würden dieselben Orte wählen: Zeche Zollverein, die Margarethenhöhe oder vielleicht<br />

den Baldeneysee.<br />

Wären das auch meine Favoriten? Sicherlich, aber meine heimlichen Plätze finden sich<br />

woanders. Und da das Leben so herrlich subjektiv sein kann, lade ich Sie ein, mich auf meine<br />

Tour zu meinen magischen Orten in Essen zu begleiten.<br />

Da sich meine <strong>Buch</strong>handlung in Werden befindet, bewege ich mich zunächst gar nicht weit<br />

weg. Ich gehe durch die kleinen Altstadtgassen, überquere die B224, die Werden in zwei Teile<br />

zerschneidet, laufe durch ein enges Tor und befinde mich zum ersten Mal auf meinem Weg in<br />

einer anderen kleinen Welt. Ich stehe auf dem Innenhof der Folkwang-Hochschule. Im Sommer<br />

bin ich gerne hier. Meistens in der Mittagszeit suche ich mir eine Bank im Schatten und lausche.<br />

Die Fenster in der ehemaligen Benediktinerabtei sind zu dieser Jahreszeit meist geöffnet<br />

und aus den kleinen zu Proberäumen ausgebauten Kammern tönt Musik. Hier probt ein angehender<br />

Pianist, dort eine zukünftige Opernsängerin. Links unten höre ich das Stimmen einer<br />

Gitarre, weiter oben greift ein Klarinettist zu seinem Instrument. Ein wunderbar chaotisches<br />

Sammelsurium an Tönen und Geräuschen. Wenn man bedenkt, dass dieses Gebäude bis 1927<br />

als Zuchthaus genutzt wurde; also ich habe eindeutig die größere Freude an der heutigen Nutzung.<br />

Ich laufe weiter. Hinunter zum Wasser und gehe eine halbe Stunde entlang des Baldeneysees<br />

bis ich zum Haus Scheppen komme. Dieser Ort würde ohne Zweifel auch von vielen Menschen<br />

als Ausflugsziel Nummer eins genannt, vereinen sich doch hier der Fahrrad-und Fußweg mit<br />

einem Platz am See. Ein großer Parkplatz mit zwei Imbissbuden. Hier hält jeder, der am See<br />

unterwegs ist, trinkt seinen Kaffee, schlürft sein Bier und bestellt dazu einmal Currywurst-<br />

Pommes. Obendrein befindet sich hier einer der größten Motorradtreffpunkte im ganzen<br />

Ruhrgebiet. An sonnigen Wochenenden verstopfen tausende und abertausende Motorräder<br />

den Zugang zum Wasser. Mich interessiert dieser Platz nicht! Aber keine zweihundert Meter<br />

oberhalb liegt ein verlassener alter Kohleumschlagplatz, der gelegentlich als Endstelle für die<br />

Hespertalbahn – einer Museumsbahn – genutzt wird. Auch an Wochenenden ist es hier meistens<br />

ruhig. Hierher verirrt sich nur jemand, wenn die alte Hespertalbahn wieder Fahrt aufnimmt.<br />

Zwei Mal warteten wir an dieser Stelle auf das Erscheinen eines Harry-Potter-Bandes. Das<br />

taten wir nicht alleine. Mit uns waren es jeweils 700 große und kleine Potter-Fans, alle angereist<br />

mit der historischen Hespertalbahn. Die Dampflok-Variante selbstverständlich, denn alles<br />

sollte stilecht sein.<br />

Die Herbstsonne glitzert durch dichtes Geäst. Ich setze mich auf die Bahnsteigkante und mache<br />

eine kleine Pause.<br />

Irgendwann wird es doch belebter an der Bahnsteigkante. Aus der Ferne höre ich den schrillen<br />

Pfeifton einer Dampflok und Minuten später rollt die Hespertalbahn leise um die letzte Kurve.<br />

Ich nutze die Chance für eine Premiere. Noch nie in meinem Leben habe ich in einer Museumsbahn<br />

gesessen, noch nie bin ich mit einer Dampflok gefahren. Das Ticket für die einfache Fahrt<br />

kostet einen Euro fünfzig. Ich setze mich in ein leeres Abteil und fühle mich wie ein kleiner<br />

Junge, der glaubt, er säße in seiner Märklin-Eisenbahn. Der Zug rollt an, über einen grünen<br />

Filzteppich, vorbei an kleinen Plastiktannen, durch eine Schlucht aus Pappmache und erreicht<br />

den in vielen Stunden mühsam zusammengeklebten Faller-Bahnhof in Kupferdreh früher als<br />

erhofft. In dem Abteil bleib ich die ganze Fahrt über der einzige Gast.<br />

Durch Kupferdreh fließt der Deilbach, der, wie viele kleine Bachläufe in den frühen Zeiten der<br />

Industrialisierung, im Ruhrgebiet eine bedeutende Rolle für die Entwicklung von Kleinindustrie<br />

einnahm. An ihm siedelten eine Reihe kleiner Handwerks- und Industriebetriebe, die für<br />

ihren Produktionsbetrieb eben eine Menge Wasser brauchten.<br />

Hier steht auch der alte Kupferhammer. Lange vom Ruhrlandmuseum als Außenlager benutzt,<br />

ist der Hammer heute wieder zu neuem Leben mit altem Handwerk erwacht. Michael<br />

Stratmann, genialer Metallgestalter, hat hier seit zwanzig Jahren seine Werkstatt. Alles ist wie<br />

immer in dem alten Gemäuer. Staubige Eisenfenster lassen nur diffuses Licht ins Innere. Hinten<br />

in der Ecke aber sehe ich ein Feuer. Am alten Lufthammer wird heute noch so gearbeitet<br />

wie vor 100 Jahren.<br />

Es ist Mittagszeit. Michael Stratmann lädt mich ein auf ein paar schnelle Spaghetti im benachbarten<br />

Kesselhaus. Das puristische Gebäude gehört zum Ensemble und wird heute als<br />

Konzertsaal und Ausstellungsraum genutzt.

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