fÃ¼r Oktober und November 2012 - Kirche-basdorf.de

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16 Über den Gartenzaun ... Schritt für Schritt zu mir selbst! Überraschungen auf dem Brandenburger Jakobsweg Ich war pilgern. Auf dem Jakobsweg. In Hennigsdorf sind wir losgelaufen. Wir, meine Freundin Karin (70) und ich. Über Linum, Fehrbellin, Kyritz (an der Knatter!) bis zur Wunderblutkirche in Bad Wilsnack. Alle haben gesagt: „Ihr seid ja verrückt!“. Stimmt ja vielleicht auch. Es waren unvergessliche 7 Tage ohne. Ohne Alkohol, ohne Fernsehabend, ohne Internet, ohne Berufstätigkeit, ohne Druck und in der Gewissheit: Der Weg ist das Ziel. Vorbei an endlosen Feldern, zahllosen Bächen und Flüssen. (Vor vier Jahren war ich mit meinem Mann schon einmal den Jakobsweg in Spanien gelaufen, den an der Atlantik- Küste, nur ein Teilstück, nur 5 Tage. Dass aber der Jakobsweg direkt vor der Haustür vorbeigeht, das wusste ich damals noch nicht.) Was nehmen wir mit, was lassen wir los und zu Hause Es wird sich bald herausstellen: Wir tragen immer zu viel auf unseren Schultern. Wir kommen mit noch weniger aus, als wir dachten. Drei Nächte verbringen wir unter freiem Himmel, den Rest in bescheidenen einfachen Pilgerschlafstätten. Wir hatten uns vorbereitet, in dem wir ein paar Mal (aber ohne Rucksack) die 13 km von Schildow nach Basdorf oder ähnliche Strecken der Umgebung gewandert waren. Wir waren uns einig, dass wir keinen Leistungswettbewerb gewinnen wollten, sondern als Fortsetzung einer „Lavendelreise in die Provence“ im letzten Sommer wollten wir unsere Grenzen erfahren, und erleben, warum Pilgern immer mehr Menschen anspricht, ermutigt und heilt. Natürlich gibt eine 7-tägige Wanderung auch viele Gelegenheiten für zwei Freundinnen zu reden, sich zu erzählen von Gott und der Welt. Aber die allermeiste Zeit erlebten wir vor allem: Schweigen, Stille, nur die Musik der Natur. Nur wenige Minuten, nachdem wir vom Hennigsdorfer S-Bahnhof loslaufen zur ersten Tagestour in Richtung Linum, fällt aller Alltag ab. Kein Gedanke an Beruf, kein Gedanke an Geld, an Kinder, an Politik oder Projekte. Nur der Weg zählt. Und der Durst. Gott sei Dank sind es die eher kühlen, z.T. auch nassen Tage, über die diesen Sommer soviel geklagt wurde. Uns tut das Wetter gut. Vor allem: Wassertrinken ist das Wichtigste. Um Muskelkater und Krämpfe wegzuspülen. Und nicht verschwiegen: Es ist auch anstrengend. Vor allem die ersten drei Tage. Am dritten Tag legen wir eine Pause ein. Danach laufen wir fast wie eine Nähmaschine. Muskeln und Knochen haben sich umgestellt, sind in den Bewegungsmodus zurückgestellt, der für unsere Vorfahren selbstverständlich war. Und können so von Tag zu Tag mehr genießen: Die Blumen am Wegesrand, den hervorragend ausgeschilderten und gepflegten Jakobsweg, Baumdenkmäler, Stürme haben ihre Handschrift hinterlassen, wir passieren Pferdekoppeln, begegnen Wildhasen, die sich ohne Angst bis auf 50 Meter nähern. Wir haben einen Mini-Gaskocher dabei und primitives Geschirr. Wir kochen uns jeden Tag selber eine Gemüsepfanne, morgens gibt es den heißen Kaffee. Aber nach 4 Tagen werfen wir Ballast ab: all die Metallgeräte kommen in ein Paket und werden nach Basdorf zurückgeschickt. Ab nun trage ich 3 ½ kg weniger.
17 Und jubele darüber. Der Weg ist in dem Büchlein aus dem Steinverlag hervorragend beschrieben. Und Karin, die unsere Kasse führt und die Logistik vorbereitete, hat aus dem Internet Adressen für Pilgerübernachtungen in fast allen Dörfern, die wir durchqueren, herausgesucht. Und das ist die eine überwältigende Überraschung. Hier im Nordwesten von Brandenburg, fast schon an der Grenze zu Mecklenburg-Vorpommern, wo Journalisten in ihren Analysen über die Wahlerfolge der NPD nur „öde, sterbende Dörfer, Unzufriedenheit und dumpfe Langeweile“ beschreiben, hier lernen wir jeden Tag aufs Neue äußerst freundliche Menschen kennen. Menschen, die uns helfen, den Weg zu finden, einzukehren, wenn ein Regenschauer niederprasselt, und zum Pausieren, zu nächtigen, ja auch zum Essen laden. Menschen, die Achtung vor den pilgernden Frauen zeigen, die stolz sind auf ihre Heimat, auf das Dorf, die Sehenswürdigkeit am Ort, meist ist es die örtliche Kirche. Jede anders und doch alle ähnlich. Keine mehr wirklich am Verfallen, viele renoviert, mit Spenden, mit Ehrenamtlichkeit und auch mit großzügigen Mäzenen. In Berlitt z.B. essen sie, erzählt man uns, jetzt nur noch Dr.Oetker-Pudding, denn: Die Dr.Oetker-Stiftung hat 600.000 € für die Restaurierung einer wiederentdecken Freskenmalerei an der Kirchenraum-Decke gestiftet. Überall freut man sich über uns, manchmal drängt man uns die Kirchenbesichtigung auf, aber auch das bleibt liebenswert. Mal laden uns die Eheleute, die eine Schäferei betrieben und auf ihren Dachboden schlichte Pilgerschlafstätten zur Verfügung stellen, zum Weißwein ein, mal überrascht uns die 83-jährige Dorf- Laden-Betreiberin mit einem herrlichen kostenlosen Pilgeressen. Ja, auch das soll nicht verschwiegen werden, am fünften Tag gibt’s Blutblasen an den Zehen. Aber den Schmerz spür ich schon gar nicht mehr. Und spezielle Blasenpflaster verschaffen effektive Linderung. Nach 122 km kommen wir am 7. Tag in Bad Wilsnack an. Wer weiß schon, dass dies beschauliche Städtchen im frühen Mittelalter das Santiago de Compostella des Nordens genannt wurde, dass hier bis zu 100.000 Pilger aus ganz Nordeuropa, Skandinavien und England zur Kirche St. Nikolai mit den drei Wunderhostien pilgerten, um sich ihrer Sünden zu entledigen. Bis die Reformation Martin Luthers dem Ablasshandel und der Reliquien-Verehrung ein schlagartiges Ende setze. Die große Kirche – fast eine Kathedrale – erinnert an die große Blütezeit, an das, was Historiker als Woodstock- Atmosphäre schilderten. Ein wahrhaft krönender Abschluss dieser Pilgerreise. Wir sind uns näher gekommen. Ich mir selbst und meiner Freundin. Meiner unglaublich vielfältigen Brandenburger (Neu-)Heimat und den freundlichen und aufgeschlossenen Menschen. Und ich habe den Klang der Stille kennen und schätzen gelernt. Gott sei Dank. Margot Oberhof, Basdorf Der Weg ist das Ziel. Brandenburg. Mittelalterlicher Jakobsweg, Rainer Oefelein, 123 S., Stein-Verlag, ISBN-10: 3866861893, 9,90 €
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