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Gedächtnis und Geschichte(n) - Theologisches Studienjahr Jerusalem

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identitätsbildenden Erzählungen der jeweiligen Epochen zu dekonstruieren,<br />

eine wichtige Kategorie verloren: der Anspruch auf historische Wahrheit.<br />

Ganz unbeschadet aller zeit- <strong>und</strong> interessebedingten Abhängigkeiten gibt es<br />

doch eine Beschäftigung mit der Vergangenheit aus reinem<br />

Erkenntnisdrang, d.h. aus reinem Streben nach – Wahrheit, <strong>und</strong> gerade die<br />

christliche Theologie, die in der Botschaft des Evangeliums nicht einfach<br />

ein weiteres Narrativ erblicken kann, sondern die Wahrheit des sich selbst<br />

offenbarenden Logos, kann auf den emphatischen Wahrheitsanspruch nicht<br />

verzichten, andernfalls sie sich selbst aufgäbe. Insofern werden in unseren<br />

diesjährigen exegetischen Vorlesungen immer wieder folgende<br />

philosophische Fragestellungen eine wichtige Rolle spielen: Wie laufen<br />

Historiographie <strong>und</strong> fiktionales Erzählen zusammen? Wie lassen sich der<br />

Wahrheitsanspruch der biblischen Botschaft <strong>und</strong> der kontingente<br />

Erzählzusammenhang der biblischen Texte übereinbringen? Und<br />

schließlich: Läßt sich von den vielen, z.T. höchst heterogenen Heils- <strong>und</strong><br />

Unheilsgeschichten der biblischen Überlieferung auf „die eine“<br />

Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen schließen, ohne dem historisch<br />

kontingenten Entstehungszusammenhang der biblischen Texte Gewalt<br />

anzutun?<br />

(2) Konstruktivität <strong>und</strong> Referentialität von <strong>Geschichte</strong>n. – Die zuletzt<br />

angeschnittenen Fragen eröffnen ein weiteres Problemfeld: Wenn die<br />

<strong>Geschichte</strong>n, in denen wir unser Leben erzählen, nur schwerlich die<br />

Wirklichkeit treffen – liegt dann nicht der gr<strong>und</strong>sätzliche Verdacht nahe,<br />

Geschichtsschreibung sei zunächst <strong>und</strong> vor allem Wirklichkeitsdeutung, ja<br />

letztendlich Wirklichkeitskonstruktion? Ist dann aber die „Wirklichkeit“<br />

nicht vielleicht überhaupt eine – Fiktion? Damit ist das<br />

erkenntnistheoretische Problem der Referentialität angeschnitten, das auch<br />

für ein Verständnis biblischer Texte von hoher Bedeutung ist. Die<br />

Unmöglichkeit, biblisch berichtete Ereignisse wie etwa den Durchzug durch<br />

das Rote Meer, die vierzigjährige Wanderung Israels durch die Wüste oder<br />

die Eroberung des Gelobten Landes unter Josua historisch dingfest zu<br />

machen, hat die Theologie dahin geführt, sich mit dem Problem der<br />

Wirklichkeitsreferenz biblischer Texte kaum noch zu befassen. Kommt man<br />

mit einer solchen Position auf Dauer aber durch? Immerhin unterscheiden<br />

sich die biblischen Texte gegenüber den Mythen der ägyptischen <strong>und</strong><br />

vorderorientalischen Kulturen dadurch, daß sie an der Geschichtlichkeit der<br />

Taten Gottes festhalten. Die geschichtliche Option der biblischen Botschaft<br />

kommt nun in der Gestalt Jesu von Nazareth zweifellos auf ihren<br />

Höhepunkt. Zu Recht spricht etwa Walter Kasper gerade in diesem<br />

Zusammenhang von der „theologischen Relevanz des Historischen.“ (Jesus<br />

der Christus, 8. Aufl., Mainz [1984] 38.) Wie auch sonst wollte man die<br />

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