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Gedächtnis und Geschichte(n) - Theologisches Studienjahr Jerusalem

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<strong>Gedächtnis</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong>(n)<br />

Jüdische, christliche <strong>und</strong> muslimische <strong>Gedächtnis</strong>kultur<br />

im religionspluralistischen Kontext<br />

Einführung in das Rahmenthema des 34. <strong>Studienjahr</strong>es<br />

I. Die Fragestellung<br />

Das 34. Theologische <strong>Studienjahr</strong> hat sich vorgenommen, den Zusammenhang<br />

von <strong>Gedächtnis</strong> <strong>und</strong> <strong>Geschichte</strong> in den drei abrahamitischen Religionen zu<br />

bedenken; es stellt sich damit einer Thematik, die seit Jahren nicht nur in den<br />

Vergleichenden Kulturwissenschaften, sondern zunehmend auch in der<br />

Theologie diskutiert wird. Die unserem Vorhaben zugr<strong>und</strong>eliegende Intention<br />

lautet folgendermaßen:<br />

Menschliche Kultur verdankt sich dem <strong>Gedächtnis</strong> als der Fähigkeit, durch<br />

Erinnern des Bedeutsamen <strong>und</strong> Vergessen des Kontingenten jenseits des<br />

wechselnden Alltags eine Sinnwelt aufzubauen, die dem einzelnen wie der<br />

Gemeinschaft durch Be-sinnung zugänglich ist. Die Fähigkeit des Menschen zur<br />

Erinnerung kann in ihrer Bedeutung wohl kaum überschätzt werden; es läßt sich<br />

schlechterdings keine soziale Gruppierung denken, in der sich nicht - in wie<br />

abgeschwächter Weise auch immer - Formen von Erinnerungskultur nachweisen<br />

ließen. Der Gr<strong>und</strong> für die Universalität dieses Phänomens ist evident: Nicht nur<br />

die Orientierung im Raum, sondern auch die Orientierung in der Zeit baut<br />

wesentlich auf dem <strong>Gedächtnis</strong> auf. Einerseits bildet das „<strong>Gedächtnis</strong> als<br />

‚lebendige’ Kopräsenz des als bedeutsam Erinnerten“ (Jan Assmann) einen weit<br />

in die Vergangenheit ausgedehnten Besinnungsraum – <strong>und</strong> insofern zugleich<br />

jenes immense Reservoir, durch welches Zukunft überhaupt erst denkbar wird.<br />

Das <strong>Gedächtnis</strong> rekonstruiert nicht nur die Vergangenheit, es organisiert auch die<br />

Erfahrung der Gegenwart <strong>und</strong> der Zukunft, d.h. es antizipiert auf imaginierende<br />

Weise, was da kommen wird bzw. kommen soll. Insofern wäre es unsinnig, dem<br />

„Prinzip Erinnerung“ ein „Prinzip Hoffnung“ entgegenzusetzen: beide bedingen<br />

sich gegenseitig, das eine ist ohne das andere nicht denkbar. – Andererseits<br />

erbildet sich das menschliche <strong>Gedächtnis</strong> zu einem wesentlichen Teil an<br />

sogenannten »Mnemotopen«, d.h. an als bedeutsam erinnerten »Orten«: sei es im<br />

kollektiven (nationalen oder kirchlichen) Kontext in Gestalt von Denkmälern,<br />

Feiertagen, Festen <strong>und</strong> Ritualen; sei es im persönlichen, privaten Kontext in<br />

Gestalt der Silhouette des heimatlichen Dorfes, des Kinderzimmers im elterlichen<br />

Haus, in Bildern <strong>und</strong> Briefen, in der ganzen „entourage matériel“ meiner<br />

erinnerten Vergangenheit, schließlich <strong>und</strong> nicht zuletzt in den Gräbern von mir<br />

nahestehenden Menschen. Erinnerungen werden an solchen <strong>Gedächtnis</strong>orten<br />

gleichsam substantialisiert, sie werden raum- <strong>und</strong> zeit-konkret <strong>und</strong> schaffen<br />

dadurch elementare Kristallisationspunkte individueller wie kollektiver<br />

Identitätsbildung. – Mit diesen Überlegungen verbindet sich schließlich eine<br />

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