Frankenstein (1910) - Das Dokument des Grauens
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23. <strong>Frankenstein</strong> (<strong>1910</strong>)<br />
In der nächsten Einstellung sehen wir <strong>Frankenstein</strong> in seinem Labor. Optisch ist<br />
die Szene durch ein Skelett dominiert, welches auf einem Stuhl sitzt. Daneben kniet<br />
<strong>Frankenstein</strong>, der in einem Topf eine mysteriöse Suppe anrührt. Diese leert er dann<br />
in einen riesigen Kessel, der im Bildhintergrund hinter zwei beweglichen Stahltüren<br />
steht.<br />
Dann verschließt <strong>Frankenstein</strong> die Stahltüren und betrachtet durch ein kleines Fenster<br />
die sich in der Kammer vollziehende Reaktion.<br />
Als Kenner von Gruselfilmen wundern Sie sich jetzt wahrscheinlich über das in<br />
<strong>Frankenstein</strong> (<strong>1910</strong>) gezeigte Experiment. Wird das Monstrum normalerweise nicht<br />
durch die Einwirkung von Elektrizität zum Leben erweckt Und weshalb wird von<br />
dem Bösen in <strong>Frankenstein</strong> gesprochen<br />
Nun, Mary Wollstonecraft Shelley<br />
gibt sich in ihrem Roman hinsichtlich<br />
der Schöpfungsszene sehr bedeckt. Sie<br />
schreibt nicht, wie die Kreatur geschaffen<br />
wird. Die Assoziation mit Elektrizität,<br />
welche heute in den Köpfen der<br />
Zuschauer vorherrscht, entstammt James<br />
Whales <strong>Frankenstein</strong> (1931), nicht dem<br />
Roman. Aber es gibt noch einen weiteren<br />
Grund, weshalb sich <strong>Frankenstein</strong><br />
(<strong>1910</strong>) hier auf Motive der Alchemie beschränkt<br />
und den Schöpfungsprozess wie<br />
ein Hexenwerk darstellt. Dieser Grund<br />
ist erneut Thomas Edison. Edison war<br />
Abbildung 23.7: <strong>Das</strong> Experiment beginnt<br />
vor allem als Erfinder und Forscher in der öffentlichen Meinung präsent. Eine große<br />
Zahl moderner Neuerungen waren seine Errungenschaften und auch sein Kerngeschäft.<br />
Selbstverständlich konnte er in <strong>Frankenstein</strong> (<strong>1910</strong>) die Kreatur nicht als Ergebnis<br />
moderner Forschung oder gar der Elektrizität darstellen, damit hätte er sich<br />
schließlich selbst geschadet.<br />
<strong>Das</strong>s <strong>Frankenstein</strong> selbst nicht aus Absicht oder Fahrlässigkeit ein Monstrum erschaffen<br />
darf, hat auch mit dem Moralkodex der General Film Company, <strong>des</strong> auf die<br />
Inhalte von Filmen spezialisierten Ablegers der MPPC, zu tun. Der Text in der eingangs<br />
erwähnten, lange verlorenen Ausgabe von The Edison Kinetogram verdeutlicht<br />
dies: „Die Edison Company hat genauestens versucht, jegliche abstoßende Situationen<br />
zu eliminieren und die eigenen Anstrengungen auf die mystischen und psychologischen<br />
Probleme in dieser eigenartigen Geschichte zu konzentrieren. Wir haben<br />
sorgfältig alles vermieden, was in irgendeiner Weise Teile <strong>des</strong> Publikums schockieren<br />
könnte.“ Dies führte zu dem wesentlichen Unterschied zwischen dem <strong>Frankenstein</strong><br />
aus <strong>Frankenstein</strong> (<strong>1910</strong>) und jenem sich selbst überschätzenden (und in manchen<br />
Darstellungen auch völlig verrückten) Wissenschaftler aus dem Roman und unzähligen<br />
filmischen Referenzen: Edisons <strong>Frankenstein</strong> ist nicht aktiv für das Ergebnis seiner<br />
Experimente verantwortlich, sondern dieses ist das Ergebnis seines bösen zweiten Ichs,<br />
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