Frankenstein (1910) - Das Dokument des Grauens
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<strong>Das</strong> <strong>Dokument</strong> <strong>des</strong> <strong>Grauens</strong><br />
und sei „jealous of his sweetheart“, heißt es dort. In der englischen Sprache ist hier<br />
nicht klar definiert, ob die Kreatur denn nun Elizabeth begehrt und eifersüchtig auf<br />
<strong>Frankenstein</strong> ist, oder umgekehrt. Die landläufige Meinung, auch in den Neuverfilmungen,<br />
ist, dass das Monster in <strong>Frankenstein</strong> hier einen Rivalen sieht. Doch in <strong>Frankenstein</strong><br />
(<strong>1910</strong>) ist das Gegenteil der Fall, wie das Kinetogram erklärt: <strong>Das</strong> Geschöpf<br />
ist neidisch auf Elizabeth, weil es möchte, dass sein Schöpfer ihm alleine gehört.<br />
In der Hochzeitsnacht erscheint das Monster erneut. Nach der Verabschiedung der<br />
Gäste dringt es unbemerkt von <strong>Frankenstein</strong> in das Zimmer der Braut ein. Elizabeth<br />
flüchtet vor der Kreatur und fällt zu Boden, doch <strong>Frankenstein</strong> ist zur Stelle und nimmt<br />
den Kampf auf. Achten Sie hier darauf, mit welcher Waffe er das Monster zu bekämpfen<br />
gedenkt: mit einem Blumenstrauß.<br />
Abbildung 23.12: <strong>Frankenstein</strong> sieht seine<br />
Kreatur als sein Spiegelbild<br />
Sein Geschöpf reißt ihm die Blumen<br />
aus der Hand und flieht, <strong>Frankenstein</strong><br />
verfolgt es. Die Kreatur läuft in das<br />
Zimmer mit dem großen Spiegel, welches<br />
schon der Schauplatz der vorherigen<br />
Szene war. Und jetzt kommt es zu der<br />
Schlussszene, in welcher die Verknüpfung<br />
von Shelleys Geschichte mit dem<br />
Motiv aus The Strange Case of Dr. Jekyll<br />
and Mr. Hyde unübersehbar wird.<br />
<strong>Das</strong> Monster sieht sich selbst im<br />
Spiegel und, wie es in der eingeblendeten<br />
Titelkarte heißt, von der Liebe überwältigt<br />
löst es sich in Luft auf. Doch das<br />
Spiegelbild <strong>des</strong> Monsters verschwindet<br />
nicht, es bleibt im Spiegel bestehen!<br />
Jetzt betritt <strong>Frankenstein</strong> die Szene und sieht das Spiegelbild der Kreatur im Spiegel,<br />
anstelle von sich selbst. <strong>Das</strong> Monster und er sind vereint. Es folgt eine letzte Überblendung,<br />
das Monster verschwindet auch aus dem Spiegel und das Gute in <strong>Frankenstein</strong><br />
hat dank der Liebe zu seiner Braut die Oberhand behalten. Elizabeth betritt das<br />
Zimmer. <strong>Frankenstein</strong> und seine Braut fallen sich in in die Arme, The End.<br />
So endet der Film, aber noch nicht seine Geschichte. Zwei Monate nach Abschluss<br />
der Dreharbeiten feierte <strong>Frankenstein</strong> (<strong>1910</strong>) seine Premiere in New York. Doch beim<br />
Publikum fiel der Film trotz guter Premierenkritiken durch. Die genauen Gründe sind<br />
unklar. War es wegen der gruseligen, humorlosen Geschichte War es wegen <strong>des</strong> blasphemischen<br />
Kontextes in einer Ära, in welcher der Darwinismus auf der Leinwand<br />
kritisiert und die alttestamentarische Schöpfungsgeschichte propagiert wurde War die<br />
Inszenierung Dawleys zu hölzern und langweilig Man weiß es heute nicht mehr.<br />
Edison zog den Film nach wenigen Wochen rasch wieder aus dem Verkehr, wie<br />
bei kommerziellen Enttäuschungen damals üblich. Da die MPPC Filme nicht mehr<br />
verkaufte, sondern nur noch gegen Gebühr verlieh, war dieser Rückruf sehr effizient.<br />
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