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<strong>Forderungskatalog</strong> Bildungskampagne<br />

Jugendliche ohne Grenzen<br />

_________________________________________<br />

JOG-Bundeskoordination | c/o BBZ | Turmstr. 72 | 10551 Berlin<br />

Kontakt | Tel 030 / 666 40 723 | Fax 030 / 666 40 724 | jog@jogspace.net | www.jogspace.net<br />

______________________________________________________________<br />

BILDUNG [S] LOS!<br />

Grenzenlos Bedingungslos auch für Flüchtlinge!<br />

Neben der allgemeinen Chancenungleichheit für Migranten_innen und andere marginalisierte<br />

Gruppen im Bildungssystem, besteht für junge Flüchtlinge in Deutschland ein zusätzliches Problem,<br />

wenn sie ihren Bildungsweg erfolgreich beschreiten wollen: Durch Ihren Aufenthaltsstatus ergeben<br />

sich verschiedene rechtliche Barrieren, die bis zu dem Punkt reichen können, dass Ausbildungsund<br />

Studienverbote ausgesprochen werden. Neben dem Ausschluss von Sprachkursförderungen,<br />

BAB und BAföG ergeben sich aus dem Aufenthaltsstatus auch indirekte Diskriminierungen. So ist<br />

durch die Wohnsitzauflage und die Residenzpflicht der räumliche Zugang zu Bildungseinrichtungen<br />

erschwert. Der unsichere Aufenthaltsstatus wirkt oft wie ein faktisches Ausbildungsverbot und auch<br />

die Isolation, Enge und der Lärm in abgelegenen Flüchtlingslagern wirkt massiv einschränkend.<br />

Studium, Aus- und Weiterbildung scheitern häufig an diesen Barrieren, auch die Fortsetzung des<br />

durch die Flucht unterbrochenen Bildungsweges wird massiv erschwert. Benachteiligt sind sowohl<br />

Menschen ohne eine Aufenthaltserlaubnis (Asylbewerber und Geduldete), <strong>als</strong> auch Menschen mit<br />

Aufenthaltserlaubnis aus bestimmten humanitären Gründen. In Deutschland leben gegenwärtig<br />

rund 141.000 Menschen mit einer Aufenthaltsgestattung oder Duldung. Hinzu kommen weitere<br />

30.000 mit einer sogenannten Grenzübertrittsbescheinigung. Davon leben mehr <strong>als</strong> 72.000<br />

Personen seit über sechs Jahren in Deutschland. Das ist mehr <strong>als</strong> 60 % der ausreisepflichtigen<br />

Menschen. Darunter sind ca. 46.800 Kinder und Heranwachsende, d.h. Menschen bis zum 25.<br />

Lebensjahr, vor allem für sie ist die Situation höchst problematisch. Sie verlieren wertvolle Jahre<br />

oder Bildung wird ihnen komplett verwehrt. Vor dem Hintergrund, dass im Jahr 2011 40.000<br />

Ausbildungsstellen offen blieben und für das Jahr 2012 mit 55.000 offenen Stellen zu rechnen ist, 1<br />

sich <strong>als</strong>o ein massiver Arbeits- und Fachkräftemangel in Deutschland abzeichnet, ist es besonders<br />

absurd, dass vielen Flüchtlingen Bildungschancen verwehrt bleiben. Dadurch wird nicht nur ihnen<br />

sondern auch der gesamten Gesellschaft geschadet. Statt sich auszubilden und zu arbeiten,<br />

werden sie gezwungen nichts zu machen. Das Argument, dass Flüchtlinge mit einer Duldung oder<br />

Aufenthaltsgestattung sowieso wieder in Ihre Herkunftsländer zurückkehren würden, ist überholt<br />

und überzeugt nicht mehr. Dies zeigen vor allem die langen Aufenthaltszeiten, aber auch die<br />

vereinzelt bestehende Möglichkeiten eine Aufenthaltserlaubnis bekommen zu können. So können<br />

1 http://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-dienstleister/dihk-klagt-ueberlehrlingsmangel/4326594.htmlp4326594=all.<br />

1


<strong>Forderungskatalog</strong> Bildungskampagne<br />

Jugendliche ohne Grenzen<br />

die geduldeten Flüchtlinge durch die Absolvierung einer Ausbildung und Arbeit (§ 18 a AufenthG),<br />

durch das neue Bleiberecht für junge Flüchtlinge (§ 25 a AufenthG) oder durch die Regelung der<br />

Härtefallkommission eine Aufenthaltserlaubnis bekommen und damit dauerhaft in Deutschland<br />

bleiben.<br />

Der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Bildung, Vernor Muñoz, hat bei seinem Bericht im<br />

Jahr 2007 auf die oben ausgeführte Diskriminierungen hingewiesen und die Auffassung vertreten,<br />

dass „es notwendig ist, Aktionen einzuleiten, um soziale Ungleichheiten zu überwinden und um<br />

gleiche und gerechte Bildungsmöglichkeiten für jedes Kind sicherzustellen, insbesondere für<br />

diejenigen, die dem marginalisierten Bereich der Bevölkerung angehören.“ 2 Trotz massiver Kritik hat<br />

sich auch vier Jahre nach dem Bericht kaum etwas geändert. Wir wollen aber nicht mehr tatenlos<br />

zusehen. Nach insgesamt einjähriger Vorbereitung und Evaluation der Problemlagen wenden wir<br />

uns, <strong>als</strong> junge Flüchtlinge, nun an die Politik, um neben der Beendigung der Bildungs- und<br />

Arbeitsdiskriminierung auch Chancengleichheit und Gleichberechtigung zu fordern. Im Folgenden<br />

sind unsere Forderungen dargestellt und kurz erläutert. Wir fordern:<br />

a) Die Abschaffung von Ausbildungs- und Studienverboten<br />

Haben junge Asylsuchende oder Geduldete es mit großer Anstrengung und trotz vieler Hürden<br />

geschafft Deutsch zu lernen und einen Schulabschluss zu erwerben, wird ihnen der nächste Stein<br />

in den Weg gelegt. Die Ausländerbehörden können geduldeten Flüchtlingen ein Arbeits- und<br />

Ausbildungsverbot erteilen mit der Begründung, sie würden bei Ihrer Abschiebung nicht mitwirken.<br />

Damit ist jede Art der Beschäftigung verboten. Asylsuchende erhalten nur dann eine Arbeits- oder<br />

Ausbildungserlaubnis, wenn für die Stelle kein deutscher oder bevorzugter Bewerber mit einer<br />

Aufenthaltserlaubnis zur Verfügung steht. Das heißt nach der Schule können sie keine betriebliche<br />

Berufsausbildung aufnehmen oder arbeiten. Sie sind zum Stillsitzen und Nichtstun verdammt.<br />

Um diese Diskriminierung zu beenden ist es unabdingbar, das absolute Arbeits- und<br />

Ausbildungsverbot (§ 11 BeschVerfV), sowie auch das an die Dauer des Aufenthalts gebundenen<br />

relative Arbeitsverbot (§ 10 BeschVerfV und § 61 AsylVfG). abzuschaffen<br />

Zudem besteht das Problem, dass die Duldung oder Aufenthaltsgestattung in der Regel für sechs<br />

Monate, teilweise aber auch für wenige Monate, erteilt wird. Kaum ein Arbeitgeber ist aber bereit in<br />

eine dreijährige Ausbildung zu investieren, wenn der Anschein erweckt wird, dass die Person<br />

sowieso bald abgeschoben wird. Auch wenn das in den meisten Fällen tatsächlich nicht zutrifft, ist<br />

das für die Betriebe nicht ersichtlich. Die Unsicherheit und Unkenntnis der Lage erschwert<br />

zusätzlich das Leben der Flüchtlinge.<br />

2 UN Doc. A/HRC/4/29/Add.3 vom 07. 03. 2007.<br />

2


<strong>Forderungskatalog</strong> Bildungskampagne<br />

Jugendliche ohne Grenzen<br />

Um eine erfolgreiche Suche zu ermöglichen, ist zunächst eine Zusicherung für die Arbeitgeber<br />

notwendig, außerdem muss mit der Aufnahme der Ausbildung ohne weitere Bedingungen eine<br />

Aufenthaltserlaubnis erteilt werden.<br />

Die schulische Berufsausbildung stellt keine wirkliche Alternative dar, weil nicht alle Berufe durch<br />

eine schulische Ausbildung absolviert werden können.<br />

Auch wenn immer mehr Flüchtlinge trotz vielen Schwierigkeiten ein Abitur oder Fachabitur erwerben<br />

und damit die Befähigung zum Studium erhalten, ist eine tatsächliche Studienaufnahme unsicher.<br />

Einerseits verbieten die Hochschulgesetze ein Studium, andererseits können die<br />

Ausländerbehörden durch eine Auflage die Aufnahme eines Studiums verbieten, was in vielen<br />

Bunderländern der Regelfall ist. Außerdem verlangen einige Universitäten einen Pass und eine<br />

Aufenthaltserlaubnis für die Einschreibung. Viele Flüchtlinge haben jedoch nur eine Duldung oder<br />

Aufenthaltsgestattung, ihr Pass ist aber in der Regel von der Ausländerbehörde eingezogen<br />

worden, so dass die Einschreibung verweigert wird.<br />

Es ist notwendig alle rechtlichen und tatsächlichen, diskriminierenden und ausgrenzenden<br />

Regelungen und Praktiken abzuschaffen, um auch mit einer Duldung oder Gestattung ein Studium<br />

zu ermöglichen.<br />

b) Einen gleichberechtigten Anspruch auf BAföG und BAB<br />

Diskriminierende Regelungen existieren nicht nur innerhalb des Aufenthalts- und<br />

Arbeitserlaubnisrechtes, sondern auch innerhalb der Ausbildungsförderung. Haben junge<br />

Flüchtlinge die erste Hürde genommen, unterliegen keinem faktischen oder juristischen<br />

Ausbildungs- oder Studienverbot und finden eine Ausbildungsstelle oder einen Studienplatz, kommt<br />

ein weiteres Problem hinzu. Ein Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) oder BAföG besteht<br />

oft nicht. Ein Anspruch auf BAB und BAföG besteht nur geduldete Flüchtlinge, wenn ein Aufenthalt<br />

von vier Jahren vorliegt. Asylsuchende können überhaupt kein BAföG oder BAB erhalten. Selbst<br />

junge Flüchtlinge mit Aufenthaltserlaubnis erhalten diese Leistungen nicht immer; zum Teil müssen<br />

auch sie zuvor bereits vier Jahre in Deutschland gelebt haben. Die Option - 5 Jahre selbst<br />

gearbeitet haben oder 3 Jahre Arbeit der Eltern, jeweils ohne ergänzende Sozialleistungen - ist für<br />

Flüchtlinge wegen der Arbeitsverbote nicht praxisrelevant. Diese Regelung verhindert, dass gerade<br />

Flüchtlinge, die schnell ihren Schulabschluss erworben haben oder bereits im Herkunftsland die<br />

Schule abgeschlossen haben, nicht gefördert werden und wertvolle Zeit verlieren (oft gehen 1-4<br />

Jahre aufgrund der finanziellen Situation verloren, in denen sich die Betroffenen nicht weiterbilden<br />

können; manche bekommen nie BAB oder BAföG). Aufgrund des tatsächlichen oder faktischen<br />

Arbeitsverbots geht die Regelung, dass ggf. wegen der Arbeit der Eltern ein Anspruch auf BAB oder<br />

BAföG bestehen kann, in der Praxis ins Leere.<br />

3


<strong>Forderungskatalog</strong> Bildungskampagne<br />

Jugendliche ohne Grenzen<br />

Geduldete Flüchtlinge und Asylsuchende (aber auch Studierende und Auszubildende mit einer zu<br />

diesem Zwecke erteilte Aufenthaltserlaubnis) haben überhaupt keinen Anspruch auf Kindergeld.<br />

Menschen mit einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen haben erst nach drei Jahren<br />

Aufenthalt oder einer Erwerbstätigkeit einen Anspruch auf Kindergeld. Die Folge ist, dass BAföG<br />

oder BAB, wenn es denn erteilt wird, für die Sicherung des Lebensunterhalts nicht ausreicht und die<br />

bestehende Diskriminierung fortwirkt.<br />

Obwohl ein Anspruch auf BAföG oder BAB für Geduldete Flüchtlinge, Asylsuchende und Menschen<br />

mit einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nicht besteht, sorgt die Regelungen im<br />

Sozialrecht für eine weitere Benachteiligung. Nach den Regelungen in SGB XII (§ 22) und SGB II (§<br />

7 Abs. 5) besteht ein Anspruch auf Leistungen nach SGB II und XII nicht, wenn ein dem Grunde<br />

nach förderungsfähige Ausbildung oder Studium aufgenommen wird. Das heißt, obwohl die<br />

Förderungsvoraussetzungen für BAföG und BAB aufgrund des Aufenthaltsstatus tatsächlich nicht<br />

vorliegen und eine Förderung nicht in Betracht kommt, werden auch alle anderen Sozialleistungen<br />

ausgeschlossen. Das bedeutet ein leistungsrechtliches Ausbildungsverbot.<br />

Deshalb fordern wir BAB, BAFÖG und Kindergeld allen Flüchtlingen bereits ab dem Tag der<br />

Einreise unabhängig vom Aufenthaltsstatus zur Verfügung zu stellen. Nur so kann die bestehende<br />

Diskriminierung aufgehoben und der soziale Ausschluss verhindert werden.<br />

c) Sprachförderung für Alle von Anfang an<br />

Ein weiteres Problem besteht bei den Möglichkeiten des Erlernens der deutschen Sprache. Ohne<br />

Deutschkenntnisse ist der Zugang zu Schulen, Berufsausbildungen, Universitäten oder Arbeitsmarkt<br />

versperrt. Sprachkenntnisse sind <strong>als</strong> die wichtigste Kommunikationsvoraussetzung für eine soziale<br />

und gesellschaftliche Teilhabe unabdingbar und „von zentraler Bedeutung für den weiteren<br />

Bildungsweg“, wie der UN-Sonderberichterstatter für Bildung ausgeführt hat. Die bestehenden<br />

Regelungen aber sehen keinen Anspruch und Finanzierungsmöglichkeit eines Sprachkurses für<br />

geduldete und asylsuchende Flüchtlinge und nur teilweise für Menschen mit einer<br />

Aufenthaltserlaubnis. Zwar werden teilweise aus kommunalen Mitteln, sowie über freie Träger<br />

vergünstigte oder kostenlose Deutschkurse angeboten, insbesondere in strukturschwachen<br />

Regionen und Städten gibt es jedoch meist keine Möglichkeiten für Flüchtlinge einen Sprachkurs zu<br />

besuchen. Aufgrund der erheblich niedrigen Sozialleistungen nach dem<br />

Asylbewerberleistungsgesetz (derzeit ca. 40 % weniger <strong>als</strong> ALG II 3 ), wobei die Hilfe teilweise mit<br />

Ausnahme des Barbetrags von 40,90 Euro/Monat nur in Form von Lebensmittelgutscheinen oder<br />

3 RS Haushaltsvorstand/Alleinstehende 224,97 AsylblG seit 1.11.1993 unverändert versus 374 Euro SGB II ab 1.1.2012<br />

4


<strong>Forderungskatalog</strong> Bildungskampagne<br />

Jugendliche ohne Grenzen<br />

Essenspaketen erfolgt, ist es unmöglich damit einen Sprachkurs zu finanzieren.<br />

Wir fordern, dass Sprachkurse ab dem Tag der Einreise bundesweit kostenlos und in<br />

angemessener Art und Weise für alle Flüchtlinge und Migranten_innen zur Verfügung gestellt<br />

werden.<br />

Es bestehen auch Schwierigkeiten für schulpflichtige Kinder. Nicht in allen Schulen gibt es Förderoder<br />

Übergangsklassen, in denen verstärkt die Sprachkenntnisse erworben und gefördert werden<br />

können. Vielmehr werden die Kinder ohne Unterstützung ins kalte Wasser eines normalen<br />

Schulalltags geworfen Sprachdefizite können aber nur langfristige Maßnahmen und Programme<br />

ausgeglichen werden. Weiterhin ist es erforderlich, die Möglichkeit zu schaffen auch private<br />

Nachhilfe in Anspruch nehmen zu können, weil die Eltern selbst kaum weiterhelfen können. Die<br />

Möglichkeiten, die das neue Bildungs- und Teilhabepaket bieten, reichen in der Praxis nicht aus.<br />

Die Schulen müssen ihre rassistische und diskriminierenden Haltung und Praxis bei der Aufnahme<br />

von Flüchtlingen und Migrantenkindern beenden. In Berlin zum Beispiel weigern sich Schulen<br />

Grund- und Sekundarschuldkinder wegen mangelnder Kapazitäten, anzunehmen.<br />

Deshalb fordern wir<br />

angemessene Förder- und Übergangsklassen/gruppen und Anspruch auf<br />

individuellen Förderunterricht und Deutschnachhilfe.<br />

d) Das Recht, einen Schulabschluss nachzuholen<br />

Das Schulrecht steht in dem Regelungsbereich der Bundesländer, so dass folglich je nach<br />

Bundesland das Recht auf einen Schulbesuch nur bis zum 16 bzw. 19 Lebensjahr besteht. Wer bei<br />

der Einreise zu alt ist, hat kaum noch eine Chance einen Schulabschluss zu erwerben. Es sind<br />

entweder keine Angebote vor Ort vorhanden, es besteht ein Ausschluss von Fördermaßnahmen vor<br />

oder ihre soziale Lage schließt sie von den kostenpflichtigen Angeboten aus. Wer keinen<br />

Schulabschluss hat, hat in der Regel auch keinen Zugang zu schulischen und betrieblichen<br />

Ausbildungen. Das heißt später auch schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt.<br />

Erforderlich ist, dass neben der Verlängerung der Schulpflicht für Ausnahmefälle auch das<br />

Nachholen des Schulabschlusses ermöglicht wird. Wir fordern einen Anspruch auf Nachholen des<br />

Schulabschlusses.<br />

e) Bildungschancen statt Arbeitszwang<br />

Flüchtlinge die eine Aufenthaltserlaubnis nach §§ 23 Abs. 1, 25 Abs. 5 und 23a AufenthG erhalten<br />

stehen häufig vor dem Problem, dass sie nur bleiben dürfen, solange sie genug Geld verdienen um<br />

ohne Sozialleistungen ihren Lebensunterhalt sichern zu können. Die Flüchtlinge werden gezwungen<br />

zu arbeiten statt sich zu qualifizieren. Der Deutschkurs wird abgebrochen, ein Studium nicht<br />

5


<strong>Forderungskatalog</strong> Bildungskampagne<br />

Jugendliche ohne Grenzen<br />

begonnen oder die Weiterbildung beendet, da ansonsten die Abschiebung wegen mangelnder<br />

Lebensunterhaltssicherung droht.<br />

Wir fordern die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ohne Erfordernis der eigenständigen<br />

Lebensunterhaltssicherung, damit Bildung und Weiterbildung tatsächlich in Anspruch genommen<br />

werden kann.<br />

Für asylsuchende und geduldete Flüchtlinge, die im Flüchtlingslager leben, besteht das Problem,<br />

dass sie zu Putz- und Hausmeisterdiensten (sog. „Arbeitsgelegenheiten“ oder Ein-Eurojobs)<br />

verpflichtet werden können. Manchmal sind die Zeiten so ungünstig angelegt, dass ein Sprachkurs<br />

oder eine Weiterbildung nicht begonnen werden kann. Flüchtlinge sind dann abhängig vom<br />

Entgegenkommen des Sachbearbeiters im Sozialamt. Im Zweifelsfall geht der Ein-Eurojob vor – der<br />

Behördenwillkür ist damit Tür und Tor geöffnet.<br />

Wir fordern, Abschaffung der Verpflichtung zu “Arbeitsgelegenheiten“ und stattdessen ein Recht auf<br />

uneingeschränkte Arbeit und Bildung.<br />

f) Isolation im Flüchtlingslager beenden<br />

Soziale Kontakte und gesellschaftliche Teilhabe sind zentrale Faktoren beim Bildungserfolg.<br />

Deutsch wird schneller gelernt und die Ausbildungsplatzsuche wird enorm erleichtert, denn ca. 50%<br />

der Ausbildungsplätze werden über Freunde und Bekannte gefunden. Leben Flüchtlinge isoliert in<br />

Flüchtlingslagern am Stadtrand oder ganz außerhalb von Ortschaften haben sie kaum eine Chance<br />

zur Teilhabe, da hierfür immer Fahrtkosten entstehen. 40,90 Euro <strong>als</strong> einziges Bargeld für den<br />

gesamten persönlichen Bedarf reichen hierfür bei weitem nicht aus. Aufgrund der Enge, der Armut<br />

und der Scham für die Wohnsituation laden Kinder oft ihre Freunde nicht ein und können sich<br />

Kinobesuche, Vereinsbeiträge oder Musikunterricht nicht leisten.<br />

Hinzu kommt, dass sich meist 3-4 Personen ein 15qm großes Zimmer teilen müssen. Die<br />

mangelnde Privatsphäre in den Lagern, sowie die Enge und der Lärm macht viele Menschen krank.<br />

Weiter hindern diese unwürdigen Umstände Kinder- und Jugendliche massiv ihre Hausaufgaben zu<br />

machen Schließlich können sie nachts nicht in Ruhe schlafen und sich folglich nicht auf die Schule<br />

konzentrieren.<br />

Daher fordern wir die Abschaffung von Flüchtlingslagern und dafür einen Anspruch auf<br />

Privatwohnungen für alle Flüchtlinge.<br />

g) Das Ende der Bildungshindernisse durch Beschränkung der Bewegungsfreiheit!<br />

Da sich Flüchtlinge mit einer Duldung oder Aufenthaltsgestattung ihren Wohnort nicht aussuchen<br />

können, besteht immer wieder das Problem, dass Sprachkurse, Ausbildungsplätze oder der<br />

gewünschte Studienplatz für sie räumlich nicht erreichbar sind. Ein Anspruch darauf an den Ort der<br />

Bildungseinrichtung zu ziehen besteht nicht, auch Fahrtkosten werden meist nicht übernommen.<br />

6


<strong>Forderungskatalog</strong> Bildungskampagne<br />

Jugendliche ohne Grenzen<br />

Selbst wenn der Ort durch pendeln erreicht werden kann, besteht immer noch das Problem, dass<br />

die „Residenzpflicht“ grundsätzlich verbietet den Landkreis-, bzw. das Bundesland zu verlassen.<br />

Zwar wurde durch die neue Regelung im AufenthG und AsylVerfG (§ 61 AufenthG, § 58 Abs 1<br />

AsylVfG) die Möglichkeit geschaffen unter bestimmten Voraussetzungen auf die Beschränkung der<br />

Bewegungsfreiheit zu verzichten, aber auch diese Regelung bringt weitere Schwierigkeiten mit sich.<br />

Zum einen ist das Pendeln mit weiteren Kosten verbunden, zum anderen ist das tägliche pendeln<br />

zeitlich unzumutbar. Deshalb bedarf es nicht nur der Aufhebung der „Residenzpflicht“, sondern auch<br />

der Wohnsitzbeschränkung, <strong>als</strong>o der Zureisungsmöglichkeit! 4<br />

Die bisherigen Regelungen sind auch aus anderen Gründen unzureichend. Die<br />

Ausnahmeregelungen sehen zum Beispiel keine Möglichkeit vor, für Sprachkurse oder bestimmte<br />

Fördermaßnahmen auf die Beschränkung der Bewegungsfreiheit zu verzichten. Entscheidend ist<br />

jedoch, dass die „Residenzpflicht“ eine massive Einschränkung der Bewegungsfreiheit und<br />

Verletzung des Rechts auf Privatleben bedeutet.<br />

Das Problem der Beschränkung des Wohnsitzortes gilt auch für bleiberechtigte Menschen mit einer<br />

Aufenthaltserlaubnis. Bestimmte Personengruppen können trotz einer Aufenthaltserlaubnis ihren<br />

Wohnort nicht frei wählen, sondern erhalten Wohnsitzauflagen. 5 Diese Einschränkung hat<br />

Auswirkungen auf Zugang zur Bildung und Arbeitsmarkt. Den Menschen wird die Möglichkeit<br />

weggenommen selbst zu entscheiden, wo sie am besten leben, zur Schule gehen oder arbeiten<br />

können.<br />

Deshalb fordern wir die Abschaffung der Beschränkung der Bewegungsfreiheit (Residenzpflicht)<br />

und der Wohnsitzauflagen.<br />

i) Anspruch auf Bildung und soziale Förderung auch für Kinder und Menschen ohne<br />

Papiere<br />

Das Recht auf Bildung ist kein Bürgerrecht, sondern ein grundlegendes Menschenrecht. Das<br />

bedeutet, nicht nur Staatsangehörige und Menschen mit einem Aufenthaltsstatus sollen Zugang zur<br />

Bildung haben, sondern alle Menschen unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus. Die gesetzlichen<br />

Rahmenbedingungen lassen dies aber faktisch nicht zu. Kinder ohne einen legalen<br />

4 Um die Neuregelung nicht leer laufen zu lassen, sollte daher aufenth<strong>als</strong>rechtlich die Zuweisung vollständig aufgehoben<br />

werden, einschließlich der Pflicht zur Wohnsitznahme am Zuweisungsort. Dies gilt auch für die Fälle, in denen BAföG<br />

beansprucht werden kann, zumal selbst aus dem BAföG das tägliche Pendeln nicht finanziert werden kann. Bei<br />

Asylbewerbern bedarf diese Variante - anders <strong>als</strong> bei Geduldeten - nach dem Gesetzeswortlaut außerdem der<br />

Zustimmung der Ausländerbehörde, für deren Bezirk der allgemeine Aufenthalt zugelassen wird.<br />

Bleibt hingegen die Zuweisung bestehen, weil eine Erlaubnis nur zum vorübergehenden Verlassen erteilt wurde, entfällt<br />

die Notwendigkeit der Zustimmung der neuen Ausländerbehörde. Dann muss aber auch das Sozialamt am bisherigen<br />

Zuweisungsort sämtliche Leistungen weiterzahlen (Regelbedarf, Unterkunft, Krankenhilfe). Und es sollte möglichst<br />

zusätzlich die Unterkunftskosten am neuen Wohnort oder (soweit zumutbar) die Kosten der täglichen Fahrten dorthin<br />

übernehmen, sowie nach § 6 AsylbLG auch die Fahrtkosten für ggf. nötige persönliche Vorsprachen beim Sozialamt.<br />

5<br />

vgl zB http://www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/pdf/Classen_Residenzpflicht_Sachsen_300409.pdf und<br />

http://www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/pdf/UNHCR_Wohnsitzauflage.pdf<br />

7


<strong>Forderungskatalog</strong> Bildungskampagne<br />

Jugendliche ohne Grenzen<br />

Aufenthaltsstatus können aufgrund der diskriminierenden gesetzlichen Regelungen ihr Recht auf<br />

Bildung tatsächlich nicht in Anspruch nehmen. Die Meldepflicht (§§ 87,88 AufenthG) verhindert, trotz<br />

der Lockerung für Schulbesuch, nach wie vor, dass Menschen ohne Papiere die grundlegenden<br />

Rechte auf Gesundheit oder Existenzminimum nicht in Anspruch nehmen können, ohne mit der<br />

Abschiebung konfrontiert zu werden. Der Zugang zur Bildung kann nicht erfolgreich gelingen, wenn<br />

die Rahmenbedingungen nicht ausreichend sind. Wer nicht zum Arzt gehen kann, wird in der Regel<br />

auch nicht zur Schule gehen, weil die Gefahr einer Verletzung oder Krankheit erhöht wird. Wer<br />

keine staatliche Unterstützung bekommt, wird auch nicht erfolgreich in der Schule sein können. Die<br />

Folge ist der Rückzug aus dem gesellschaftlichen Raum und Leben, Isolation und ständige Angst<br />

vor der Abschiebung. Diese weitgehenden Eingriffe in die Menschenrechte auf Bildung,<br />

Existenzminimum und Gesundheit können nicht mit ordnungspolitischen Gründen gerechtfertigt und<br />

die Diskriminierung fortgesetzt werden. Erforderlich ist die Schaffung von angemessenen<br />

Rahmenbedingungen, damit diese Menschen zumindest ihre grundlegenden Rechte für ein Leben<br />

in Würde in Anspruch nehmen können. Deshalb fordern wir die vollständige Abschaffung der<br />

Meldepflicht.<br />

j) Arbeitserlaubnis für Alle<br />

Das rechtliche und faktische Arbeitsverbot bedeutet nicht nur eine erhebliche Beeinträchtigung des<br />

Lebens der jungen Flüchtlinge, sondern auch der Erwachsenen. Sie haben kein Anspruch auf die<br />

Teilnahme an Sprachkursen, bekommen Sozialleistungen die um ca. 40 % gekürzt sind, unterliegen<br />

der Residenzpflicht und leben oft in abgelegenen Flüchtlingslagern, isoliert von der Gesellschaft.<br />

Die Arbeit ist die einzige Möglichkeit um Kontakt zu anderen Menschen zu haben und am<br />

gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können. Arbeiten zu dürfen bedeutet auch die Möglichkeit<br />

sich seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen, ein Leben in Würde zu führen und dieses<br />

autonom gestalten zu können. Arbeit ist der Schlüssel zu vielen Bereichen.<br />

Die bestehenden Arbeitsverbote für asylsuchende und geduldete Flüchtlinge in Verbindung mit<br />

anderen diskriminierenden Regelungen führen dazu, dass diese Menschen vom gesellschaftlichen<br />

Miteinander ausgeschlossen werden und dazu verdammt sind nichts zu machen. Dieser Umstand<br />

hat zur Folge, dass die Menschen jahrelang keinerlei Arbeitserfahrung haben, sich nicht<br />

qualifizieren können und letztendlich auch von einer möglichen Bleiberechtsregelung nicht<br />

profitieren können, weil sie nicht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt dauerhaft zu sichern. Nicht<br />

außer Acht zu lassen sind außerdem psychische Folgen und Krankheiten.<br />

Um die Möglichkeit der selbstbestimmten Lebensführung zu gewährleisten und Isolation und<br />

Diskriminierung zu beenden, muss das Arbeitsverbot vollständig abgeschafft werden. Das heißt<br />

keine Wartezeiten, keine Vorrangprüfung und vor allem kein Ausschluss vom Arbeitsmarkt aufgrund<br />

der Unterstellung fehlender Mitwirkung bei der Abschiebung (§ 11 BeschVerfVO).<br />

8


k) Kostenlose Bildung für Alle!<br />

<strong>Forderungskatalog</strong> Bildungskampagne<br />

Jugendliche ohne Grenzen<br />

Nicht nur allgemeine Schulbildung, auch die Hochschulbildung muss für alle Menschen zugänglich<br />

sein. Die Hochschule darf nicht zu einem Ort der ökonomisch Privilegierten werden, wo nur Kinder<br />

von Akademikern und Wohlhabenden unter sich bleiben. Jeder muss die Möglichkeit haben, eine<br />

Hochschule besuchen zu können. Das heißt zum einen die Abschaffung von Studiengebühren, und<br />

zum anderen die Herstellung der Chancengleichheit durch die finanzielle Förderung. Die<br />

Gewährung von BAföG muss unbürokratisch möglich sein und ein Wechsel der Fachrichtung keine<br />

Auswirkung auf die Leistung haben.<br />

Wir fordern Abschaffung von Studiengebühren und angemessen finanzielle Förderung.<br />

l) Eine Schule für Alle!<br />

Schule muss ein Ort sein, an dem alle Menschen gemeinsam mit- und voneinander lernen können.<br />

Es muss ein Ort sein, an welchem nicht nur Werte wie Freiheit vermittelt wird, sondern auch<br />

Gleichheit und Solidarität. Die Kinder müssen sich gegenseitig mit allen vorhandenen kulturellen,<br />

religiösen, sprachlichen und anderen Unterschieden kennenlernen, sich gegenseitig zu akzeptieren<br />

und respektieren lernen, aber auch sich gegenseitig zu unterstützen. Die bestehende ökonomische<br />

und soziale Ungleichheit darf vom Staat nicht gefördert und aufrechterhalten werden. Es ist die<br />

Aufgabe des Staates für alle die gleichen Startchancen zu gewähren und für Chancengleichheit zu<br />

sorgen.<br />

Das heißt auch eine Schule zu schaffen, an der alle gemeinsam miteinander lernen können; an der<br />

Menschen mit „Behinderung“, „Migrationshintergrund“ und aus „bildungsfernen Familien“ nicht<br />

benachteiligt und diskriminiert und andere privilegiert werden können. Die gesellschaftliche Spaltung<br />

darf nicht schon bei Kindern beginnen und so später zu sozialer und ökonomischer Spaltung und<br />

Segregation führen.<br />

Wir fordern eine Schule für alle und Herstellung der Chancengleichheit für alle Kinder.<br />

9

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