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Arbeit mit der Lebensgeschichte - Goethe Schule

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Prof. Carlos Wernicke<br />

DIE LEBENSGESCHICHTE ALS BASISDOKUMENTATION FÜR<br />

DIE DIAGNOSTISCHE ARBEIT IN DER<br />

KINDERPSYCHOPATHOLOGIE<br />

4. Internationale Woche Erziehungs- und Bildungswissenschaften: Sociological<br />

and Psychological Aspects of Education: Bodies of Knowledge and Methods of<br />

Practice 27.- 31.5.2002<br />

Universität Bremen - Fachbereich 12, Erziehungs- und Bildungswissenschaften<br />

Erstveröffentlichung in: Rea<strong>der</strong> - Internationale Woche 2002, Universität Bremen 2002.<br />

Die Kin<strong>der</strong>psychopathologie umfaβt alle während <strong>der</strong> Kindheit von <strong>der</strong> sozial<br />

erstellten Norm abweichende als psychologisch betrachtete objektive sowie<br />

subjektive individuelle persönlichen Merkmale, d.h. sozial bestimmte ¨Zeichen¨ und<br />

¨Symptome¨.<br />

Zwischen Klient und diagnostizieren<strong>der</strong> Fachkraft wird nach dem Kontakt eine<br />

Interaktion konstruiert, aus <strong>der</strong> eine ¨therapeutische¨ Beziehung werden soll. Die<br />

formelle diagnostische <strong>Arbeit</strong> <strong>der</strong> Fachkraft hilft nicht nur, minuziös Daten zu<br />

sammeln, was in sich von groβer Wichtigkeit ist, son<strong>der</strong>n diese einmalige Bindung<br />

zu schaffen. Während des Prozesses soll die diagnostische informelle <strong>Arbeit</strong> von<br />

Seiten des Klienten nicht vergessen werden, vielmehr soll die Fachkraft sie<br />

stimulieren.<br />

Weil <strong>der</strong> Mensch sich <strong>mit</strong>tels integrierter funktioneller Systeme kommuniziert,<br />

und die Persönlichkeit als ein einziges, allintegrierendes funktionelles System<br />

betrachtet werden kann, ist die Psychopathologie als die Studie <strong>der</strong> Desadaptation<br />

dieses persönliches Systems in Bezug zu an<strong>der</strong>en zu betrachten. In seltenen Fällen<br />

liegt dieser Fehlanpassung eine biologische (anatomische und/o<strong>der</strong> biologischfunktionelle)<br />

Ursache zu Grunde, in den meisten Fällen sind es die fehlerhaften<br />

(¨pathologisierenden¨) Umweltstimuli, die eine abnormale Interaktion <strong>mit</strong> <strong>der</strong><br />

Umwelt provozieren. Der individuelle Klient zeigt im pathologischen Fall sicherlich<br />

interaktionelle und manchesmal auch echt biologische Symptome. Der körperliche<br />

Ausdruck <strong>der</strong> interaktionellen Symptome erschwert <strong>der</strong>en Verständnis als<br />

interaktionell und verschärft die biologistische Sicht, man sollte sie körperlich (und<br />

dann fast immer chemisch) therapieren.<br />

Die diagnostische <strong>Arbeit</strong> sollte von Seiten <strong>der</strong> Fachkraft die Erforschung von<br />

ungesättigten Grundbedürfnissen, Grundgefühlen, Denkweisen und Verhaltensweisen<br />

beinhalten, da diese Elemente unter sich streng verbunden sind.<br />

Weil <strong>der</strong> Mensch ein Lebewesen ist, und deswegen sich stetig und andauernd<br />

modifiziert, hat die diagnostische <strong>Arbeit</strong> auch kein Ende. Längst nach <strong>der</strong> offiziellen<br />

1


Erstellung <strong>der</strong> diagnostischen Formulierung gibt es weiter von beiden Seiten die<br />

Suche nach Neuigkeiten, die das bekannte Bild des An<strong>der</strong>en (und ihrer Beziehung)<br />

bestätigen o<strong>der</strong> än<strong>der</strong>n.<br />

Einführung<br />

R. Lempp erschlieβt, daβ es drei unterschiedliche Ausgangspunkte für die<br />

Bestimmung von Behin<strong>der</strong>ung gibt:<br />

- Die ¨objektive¨ Feststellung <strong>der</strong> Tatsache,<br />

- die subjektiv empfundene Beziehungsstörung als Folge<br />

- und die subjektive Erfahrung des eigenen Behin<strong>der</strong>tseins [Neumann 1].<br />

Gut betrachtet ist diese Einteilung generell für alle Menschen gültig, denn von uns<br />

allen wird von auβen her etwas festgestellt (¨diagnostisiert¨), in uns allen hat unsere<br />

biologische, emotionelle, intellektuelle Struktur (und wenn sie genug verschieden<br />

und umschrieben ist bekommt diese Struktur einen ¨diagnostischen¨ Namen)<br />

bestimmte Beziehungsarten (und wenn sie an<strong>der</strong>sartig genug sind, werden sie<br />

¨Störungen¨ genannt) als Folge, und je<strong>der</strong> von uns hat eine eigene subjektive<br />

Erfahrung (eine eigene ¨Diagnose¨) von sich selbst, also des eigenen Seins bzw.<br />

An<strong>der</strong>sseins, Behin<strong>der</strong>tseins... die wie<strong>der</strong>um eine bestimmte Beziehungsart als Folge<br />

hat.<br />

Der Mensch kommt zur Welt, also wird aus einer bestimmten weiblichen und einer<br />

bestimmen männlichen Zelle konzipiert, <strong>mit</strong> einer für diesen Menschen bestimmten,<br />

sehr umfangreichen Palette von Potenzialen. Am Anfang des intrauterinen Lebens<br />

eigene, aber gleich sogar während <strong>der</strong> Schwangerschaft auch und progressiv mehr<br />

und mehr die Umweltstimuli <strong>mit</strong> denen dieses Organismus interagiert, erlauben, daβ<br />

manche dieser Potenziale sich zu Fähigkeiten entwickeln. Daβ <strong>der</strong> Mensch nicht<br />

fertiggebaut konzipiert wird, läβt uns diese Potenziale auch als Grundbedürfnisse<br />

beschreiben, die von den Stimuli ¨gesättigt¨ werden [Wernicke 2].<br />

Nur manche dieser vielen Fähigkeiten werden tatsächlich trainiert und entwickeln<br />

sich zu Fertigkeiten. So z.B. hat das Kind es fertiggebracht zu lesen, weil seine<br />

Fähigkeiten trainiert wurden, in diesem Fall unter an<strong>der</strong>en die sprachlichen <strong>der</strong><br />

Kultur in <strong>der</strong> es konzipiert wurde [3]: Es erwarb dazu zuerst eine Fähigkeit, die<br />

gemeinschaftliche Grundsprache (die ¨lingua¨ nach Quirós [Quirós 4]). Die<br />

partikuläre Sprache kann wie<strong>der</strong>um nur erlernt werden, wenn es dazu die genügenden<br />

Potenziale gibt, die in bestimmtem Maβ und in <strong>der</strong> bestimmten Zeit von den nötigen,<br />

jedoch ganz verschiedenen Stimuli gegossen werden.<br />

Der / die DiagnostikerIn kann potentielle Grundbedürfnisse, verhältnismäβig viel<br />

mehr Fähigkeiten und/o<strong>der</strong> eine unendliche Zahl von Fertigkeiten eruieren<br />

Der Sammelbegriff ¨Behin<strong>der</strong>ung¨ kann also heiβen: a. Das Fehlen von bestimmten<br />

Potenzialen, die das Individuum nicht <strong>mit</strong> zur Welt brachte (¨Dis-potential)¨; b. Das<br />

Fehlen / Defizit von Stimuli während <strong>der</strong> ersten Lebenszeit (Frühför<strong>der</strong>ung), wo<strong>mit</strong><br />

das Individuum manche Fähigkeiten nicht o<strong>der</strong> nicht ganz entwickelt<br />

2


(¨Unfähigkeiten¨); c. Eine schlechte späte Stimulierung (Training) dieser Fertigkeiten<br />

(¨Unfertigkeiten¨) [Wernicke 3].<br />

Das einmalige Spiel zwischen Potenzial und Umfeld läβt einmalige Resultate<br />

erscheinen, die man gut ¨funktionelle Systeme¨ nennen könnte, also Systeme die<br />

nicht mehr dem Individuum noch <strong>der</strong> Umwelt gehören, son<strong>der</strong>n dieser einmaligen<br />

Wechselwirkung, aus <strong>der</strong> das Individuum eben eine Person wird. Die meisten<br />

ärztlichen und alle nicht ärztlichen Untersuchungen testen in Wirklichkeit lediglich<br />

funktionelle Systeme und nicht Eigenfunktionen des Nervensystems selbst.<br />

Die Persönlichkeit könnte als ein einziges funktionelles System betrachtet werden,<br />

das alle an<strong>der</strong>en, untergeordneten, beinhaltet. Nur aus didaktischen Gründen kann sie<br />

also in verschiedenen Dimensionen fragmentiert werden: Der Mensch kann als ein<br />

molekulares, biologisches, emotionelles, intellektuelles, spirituelles Ganzes<br />

betrachtet werden. Jede Dimension wird von verschiedenen Disziplinen studiert, die<br />

für diese Dimension rationell logische Antworten finden.<br />

So könnten in <strong>der</strong> Medizin z.B. mehrere richtige Antworten auf die Frage nach <strong>der</strong><br />

Ursache eines Zwölffingerdarmulkus gefunden werden: Es handele sich um eine<br />

Störung <strong>der</strong> Protonpumpe, einen chemischen Fehler, einen emotionellen ungelösten<br />

Konflikt in <strong>der</strong> Kindheit, eine gestörte kognitive Antwort auf die Auβenwelt, ein<br />

spirituelles Flimmern. Die Forscher <strong>der</strong> verschiedenen Disziplinen werden sich<br />

üblicherweise nicht einig. Je<strong>der</strong> denkt, die von ihm untersuchte Dimension sei eben<br />

die wichtige, sogar die einzig wissenschaftliche, und verachtet alle an<strong>der</strong>en... <strong>mit</strong> den<br />

besten vernünftigen Gründen.<br />

Von einem holistischen, also ganzheitlichen Gesichtspunkt, handelt es sich eben<br />

nicht um Dimensionen, son<strong>der</strong>n um Betrachtungsweisen eines/r jeden ¨objektiven¨<br />

Diagnostikers /Diagnostikerin. Jede(r) DiagnostikerIn hält eine bestimmte Lupe in<br />

<strong>der</strong> Hand und glaubt, was er sieht sei die ¨richtige¨ und vollkommene Karte, ¨das<br />

Ganze¨ einer viel komplizierteren Realität. Die Realität ist we<strong>der</strong> molekular noch<br />

biologisch noch emotionell noch intellektuell noch spirituell, son<strong>der</strong>n gleichzeitig all<br />

das. Meistens unbewuβt wähle ich als DiagnostikerIn ein Teil dieser umfangreichsten<br />

Realität. Diese Wahl bestimmt meine Nosographie, deswegen die Diagnose und<br />

so<strong>mit</strong> die vorgeschlagene Therapie.<br />

3. In <strong>der</strong> zwischenmenschlichen Kommunikation gibt es auβerdem verschiedene<br />

Interaktionsebenen, u.z. den Austausch von Verhaltensweisen, Gedanken, Gefühlen,<br />

Grundbedürfnissen. Das Denken übernimmt allmählich seine deiktische Funktion,<br />

und seitdem agiert es als Filter zwischen den meist unbewuβten ursächlichen<br />

Gefühlen und den resultierenden Verhaltensweisen. Das Gefühlsleben, an<strong>der</strong>s als die<br />

Kognition, ist die immeranwesende Antwort -schon in <strong>der</strong> ersten intrauterinen Zeitauf<br />

die richtige, mangelnde o<strong>der</strong> fehlende Sättigung <strong>der</strong> Grundbedürfnisse. ¨Die<br />

entscheidende Frage nach <strong>der</strong> Entstehung von menschlichen Grundbedürfnissen wird<br />

von <strong>der</strong> gegenwärtigen Entwicklungspsychologie nur unzureichend beantwortet¨<br />

[Hüther 5]. Eine Liste von Grundbedürfnissen gibt Tabelle 1 wie<strong>der</strong> [Wernicke 2].<br />

Tabelle 1<br />

Unumgänglich zu sättigende Grundbedürfnisse (Wernicke [6])<br />

3


I. Zu vollendende Bedürfnisse<br />

1 Zugehörigkeit<br />

2. Sicherheit<br />

3. Liebe<br />

4. Begleitung<br />

5. Akzeptiertwerden<br />

6. Wertschätzung<br />

7. Wissen<br />

II. Zu entfaltende Bedürfnisse<br />

8. Ausdruck<br />

9. Selbstverteidigung<br />

10. Selbstbehauptung<br />

11. Reifen<br />

12. Expansion<br />

Jede tiefere Ebene hat auf die oberflächlichere (also Grundbedürfnisse Gefühle <br />

Gedanken Verhalten) eine ¨Operatorenwirkung¨ [Ciompi 7], ist also Basis <strong>der</strong><br />

nächsten.<br />

Jede Interaktionsebene kann als die wichtigere o<strong>der</strong> sogar als die einzige Interaktion<br />

zwischen zwei Individuen betrachtet werden. Aber es handelt sich auch in diesem<br />

Fall um eine Lupe, dem Bewuβtsein, welche nicht die ganze son<strong>der</strong>n ein Fragment<br />

<strong>der</strong> ganzen Interaktion zeigt. In Wirklichkeit interagieren die Menschen nicht von<br />

Grundbedürfniss zu Grundbedürfniss, von Gefühl zu Gefühl, von Gedanke zu<br />

Gedanke, von Verhalten zu Verhalten. Meistens unbewuβt wähle ich, als<br />

DiagnostikerIn <strong>der</strong> Situation, ob ich besser (o<strong>der</strong> ausschlieβlich) die Interaktion als<br />

Austausch von Gefühlen o<strong>der</strong> von Gedanken betrachte. Die wirkliche Interaktion<br />

spielt sich aber gleichzeitig auf allen Ebenen.<br />

So kommt es, daβ auch wenn in meiner Disziplin mein konkretes Ziel z.B. wäre, das<br />

Lesenlernen eines Kindes zu beeinflussen, ich simultan und ohne Zweifel auch seine<br />

Grundbedürfnisse sättigen, seine Gefühle auffangen, sein körperliches Verhalten<br />

än<strong>der</strong>n würde. Wenn ich bewuβt glauben würde, wir tauschen Gefühle aus, so geben<br />

wir uns gegenseitig simultan auch Moleküle o<strong>der</strong> Gedanken.<br />

Ich interagiere <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Realität <strong>mit</strong> all meinen Dimensionen, <strong>mit</strong> all meinen<br />

Interaktionsebenen. Nur, mein Bewuβtsein beleuchtet ein Teil davon. Und bei<br />

meinem Nächsten ist es genau so. Der Konflikt taucht auf wenn meine bewuβte<br />

Betrachtung nicht <strong>mit</strong> <strong>der</strong> bewuβten Betrachtung des an<strong>der</strong>en übereinstimmt.<br />

Nach dem Kontakt fängt zwischen den Individuen eine Interaktion an. Je<strong>der</strong> bringt<br />

<strong>mit</strong> sich seinen physikalischen, biologischen, emotionellen, intellektuellen,<br />

spirituellen Zustand, seine Grundbedürfnisse, sein Verhalten. So auch ich. Nun wird<br />

diese Interaktion so eng, daβ mein (erzieherischer, therapeutischer) Einfluβ auf den<br />

an<strong>der</strong>en wichtig werden kann. Die Interaktion wurde zur Beziehung, es ist eine<br />

Bindung entstanden. Unsere Emotionen und unsere Körper können sich annähern,<br />

unsere Molekülen vermischen sich, und so auch unsere Emotionen. Ein neues<br />

Ganzes, eine neue Gestalt, ein neues funktionelle System, das Wir, ist entstanden.<br />

Auch diese Bindung kann verschieden, je nach Lupe, gelesen werden, und in unserem<br />

Bewuβtsein behaupten wir, unsere Beziehung sei z.B. nur intellektuell, nur spirituell,<br />

nur körperlich.<br />

4


Weil wir aber <strong>mit</strong> Menschen arbeiten, so daβ wir sie zum Guten irgendwie<br />

beeinflussen wollen, können wir uns nicht leisten, weiter fragmentarisch zu glauben,<br />

daβ unsere Disziplin nur diese Interaktionen anbietet, die wir bewuβt aufbauen. Zu<br />

unserer <strong>Arbeit</strong> gehört die Erweiterung unseres Bewuβtseins, um <strong>mit</strong> uns selbst besser<br />

zu interagieren, eine Bindung <strong>mit</strong> uns selbst aufbauen zu können. Sonst bricht <strong>der</strong><br />

Konflikt in uns auf.<br />

Eine Geschichte<br />

Die Mutter von Konrad geht aus. Er soll da bleiben, und ordentlich und fromm sein<br />

bis sie zurückkommt. Und vor allem soll er nicht den Daumen lutschen. Sonst, mahnt<br />

die Mutter, käme geschwind <strong>der</strong> Schnei<strong>der</strong> <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Schere und würde ihm die<br />

Daumen abschneiden.<br />

Doch die Mutter geht fort und Konrad tut den Daumen in den Mund. Der Schnei<strong>der</strong><br />

springt plötzlich in das Zimmer hinein und schneidet Konrad die Daumen. Konrad<br />

schreit sehr.<br />

Als die Mutter zurückkommt, sieht Konrad traurig aus und steht da, ohne Daumen.<br />

[Hoffmann 8, Wernicke 9].<br />

Die Kin<strong>der</strong>psychopathologie umfaβt alle objektive und subjektive individuellen<br />

persönlichen Merkmale eines Kindes, die von <strong>der</strong> sozial erstellten Norm als<br />

abweichend betrachtet werden, d.h. sozial bestimmte ¨Zeichen¨ und ¨Symptome¨. Die<br />

DiagnostikerInnen würden also verschiedene Listen aufstellen, die von <strong>der</strong><br />

Zugehörigkeit <strong>der</strong> Fachkraft zu einer gewissen Disziplin, <strong>der</strong> sozialpolitischen<br />

Ideologie <strong>der</strong> Gesellschaft, <strong>der</strong> Gemeinschaft und sogar <strong>der</strong> Abteilung wo die<br />

Fachkraft tätig ist, den persönlichen Lebens- und professionellen Erfahrungen, <strong>der</strong><br />

diagnostischen <strong>Arbeit</strong> gewidmeten Zeit, usw. beeinfluβt werden.<br />

Versuchen wir aber, die Daten dieser Struwwelpeter-Geschichte auf zwei<br />

Datenlisten, die des Kindes und die seiner Umwelt, aufzustellen.<br />

Kind<br />

• Alleingelassenes Kind<br />

• Aktives Daumenlutschen<br />

• Schreiendes Kind<br />

• Laut eines früheren Beobachters,<br />

traurig aussehendes Kind<br />

Umwelt<br />

• Mahnende Mutter<br />

• Drohende Mutter<br />

• Ungeklärte plötzliche Anwesenheit<br />

des Schnei<strong>der</strong>s<br />

• Schnei<strong>der</strong> praktiziert ohne<br />

Psychoprophylaxe und ohne<br />

Betäubung die Amputation von<br />

zwei Fingern<br />

5


Daβ dieses zum ersten Mal in 1845 erschienenes Buch des Struwwelpeters weiter gut<br />

verkauft wird zeigt, wie viele fest daran glauben, das Vorlesen dieses Bildes sei für<br />

an<strong>der</strong>e Kin<strong>der</strong> erzieherisch, sogar therapeutisch. Die von ihnen gestellte Diagnose<br />

könnte etwa lauten ¨Unaustehliches Kind, reagierende Umwelt¨. Für sie wäre die<br />

darauffuβende Therapie eben erfolgreich gewesen: Die Daumen wurden tatsächlich<br />

nicht mehr gelutscht.<br />

Mit denselben Daten, würden an<strong>der</strong>e aber genau das Gegenteil meinen. Die Diagnose<br />

könnte nun heiβen ¨Ungesättigtes Kind, angsterregende Umwelt¨, und daraus würde<br />

man Umweltberatung (wenigstens <strong>der</strong> Mutter und des Schnei<strong>der</strong>s) und<br />

Psychotherapie des Kindes herausschlieβen, denn die Aktion <strong>der</strong> Umwelt blieb<br />

vollkommen erfolglos, da die Grundbedürfnisse des Kindes ungesättigt blieben, seine<br />

Gefühle notwendigerweise negativ, seine Gedanken deswegen auch negativ waren<br />

und sein kompensatorisches Verhalten als sozial unangepaβt angesehen werden<br />

könnte.<br />

Diese <strong>Lebensgeschichte</strong> zeigt, wie wichtig es ist, sehr viele Daten <strong>mit</strong> viel Detail zu<br />

sammeln, bevor man eine Diagnose stellt. Mit wenigen Daten ist nämlich das Risiko,<br />

falsche Folgerungen zu ziehen, zu hoch. Da Diagnosen das Resultat von Fakten sind,<br />

die aus sehr verschiedenen Fel<strong>der</strong>n / Dimensionen / Ebenen zu prüfen sind, ist einzig<br />

die professionelle Haltung, während viel Zeit so viele Daten des Individuums und<br />

seiner Umgebung zu erfassen wie möglich, diejenige, die das Interesse des<br />

Individuums am besten beschützt. Lei<strong>der</strong> widmen viele Fachkräfte <strong>der</strong> diagnostischen<br />

<strong>Arbeit</strong> und Verarbeitung wenig Zeit und/o<strong>der</strong> erstellen die Diagnose <strong>mit</strong>tels<br />

Methoden, die nur nützlich sind, um ihre diagnostische Vermutung zu bestätigen,<br />

eine Vermutung, die aber von Fakten abhängig ist, die dann zu sehr <strong>mit</strong> <strong>der</strong><br />

Persönlichkeit des/r Diagnostikers / Diagnostikerin zu tun haben.<br />

Notwendigerweise soll eine Diagnose immer die Daten aus <strong>der</strong> Vergangenheit, und<br />

nicht nur die <strong>der</strong> tagtäglichen Gegenwart, beinhalten.<br />

Von Konrad möchte ich nämlich z.B. noch gerne wissen:<br />

• Wie alt ist er Hat er Geschwister Ist es ein erstes Kind<br />

• Ist es üblich, das er alleingelassen wird Wenn ja, seit welchem Alter<br />

• Seit wann lutscht er den Daumen Wie war das Daumenlutschen am Anfang Wie<br />

haben die Eltern darauf reagiert Wie hat sich ihre Reaktion im Laufe <strong>der</strong> Zeit<br />

geän<strong>der</strong>t<br />

• Schreit das Kind sehr oft, o<strong>der</strong> nur, wenn ein Schnei<strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Luft auftaucht<br />

und nur, wenn es amputiert wird<br />

• Was fühlt Konrad eigentlich Angst Panische Angst Wut Was liegt unter<br />

dieser Traurigkeit<br />

• Versteht Konrad, was die Mutter sagt, o<strong>der</strong> ahnt er nur nach dem Ton, was ihm<br />

gesagt wird<br />

• Wie ist <strong>der</strong> Schnei<strong>der</strong> hereingekommen<br />

und vieles an<strong>der</strong>e mehr.<br />

Eine <strong>Lebensgeschichte</strong><br />

6


Pauls Vater hat bei mir angerufen, er möchte eine Stunde, um über seinen Sohn zu<br />

sprechen. Ich fragte wie üblich, wie sich die Eltern besser fühlen würden, ob alleine<br />

o<strong>der</strong> vom Kind begleitet, und <strong>der</strong> Vater wählte, nur <strong>mit</strong> seiner Frau zu kommen. Die<br />

Mutter ist Zahnärztin, obwohl sie nicht mehr tätig ist, seitdem das erste Kind geboren<br />

wurde. Der Vater ist Ackerbauingeneur, und verläβt das Haus alle 14 Tage für mehr<br />

o<strong>der</strong> weniger eine Woche.<br />

Sie haben 3 Kin<strong>der</strong>, einen 13jährigen Jungen, ein 11jähriges Mädchen und Paul,<br />

8jährig. Ich schlage vor, Daten zu sammeln, die ich mir von den Eltern während<br />

praktisch zwei Stunden übergeben lasse. Da<strong>mit</strong> wird von mir ein Anamnesebuch<br />

ausgefüllt.<br />

Diese Datensammlung dauert üblicherweise 3 Sitzungen. Danach lernte ich das Kind<br />

kennen, in diesem Fall von den Eltern begleitet, und versuchte, <strong>mit</strong> dem Kind auf die<br />

verschiedenen Ebenen zu interagieren.<br />

Eine diagnostische Testarbeit war <strong>mit</strong> diesem Kind unmöglich. Ich erstellte einen<br />

diagnostischen Satz <strong>mit</strong> hierarchisch geordnet mehreren Teildiagnosen. Wenn nötig<br />

werden Berichte und an<strong>der</strong>e Studien im Einzelfall noch verlangt. Ein<br />

Therapieprogramm wird erstellt, und die Eltern werden zu einer Sitzung gerufen, wo<br />

sie meine Information bekommen. Dann fängt die Therapie an.<br />

Während diesen ersten 3 Sitzungen werde ich, das bin ich mir sicher, von den Eltern<br />

genau beobachtet. Sie leisten auch eine diagnostische <strong>Arbeit</strong>, denn sie wollen auch<br />

aus dieser Interaktion eine Bindung aufbauen... o<strong>der</strong> rasch wegfliehen. Während <strong>der</strong><br />

ersten diagnostischen Sitzung <strong>mit</strong> Paul werde ich auch von ihm beobachtet, u.z. nach<br />

seinem pekuliären Stil: Er schaut mich nicht an, aber hört genau zu, was ich sage, vor<br />

allem, was ich von ihm sage, wie ich ihn anfasse, was ich mache, wenn er sehr<br />

geschickt ein Blatt aus einer Pflanze abreiβt und anfängt, daran zu kauen.<br />

Die Eltern haben schon Neurologen und Kin<strong>der</strong>psychiater besucht. Paul wird<br />

Thioridazin gegeben, doch ohne Einfluβ auf das Zeichen, das die Eltern zu mir<br />

bringt: die Autoaggression. Die Verarbeitung <strong>der</strong> Datensammlung ergibt jedoch eine<br />

viel längere Liste von gegenwärtigen Zeichen und Symptomen, wie folgt:<br />

7


Kind<br />

• Down-Syndrom<br />

• Sieht sehr schlecht, benutzt aber das<br />

Sehen<br />

• Sehr unruhig<br />

• Schläft auch unruhig<br />

• Kann am Tisch nicht ruhig bleiben<br />

• Aggrediert sich selbst, Anfang vor 2<br />

Jahren; versucht, sich zu kontrollieren,<br />

wenn Eltern es verlangen, und sucht dann<br />

Körperkontakt <strong>mit</strong> den Eltern<br />

• In <strong>der</strong> letzten Zeit hat er mehr Kontakt<br />

zur Umwelt<br />

• Mundatmung<br />

• Wie<strong>der</strong>holte Schnupfen<br />

• Bronchospasmen<br />

• Zähneknirschen während des Schlafes<br />

• Mangelnde Konzentration<br />

• Langsames Lernen<br />

• Hat noch keine Kontrolle <strong>der</strong> Harnund<br />

Stuhlentleerung<br />

• Kotet mehr als einmal täglich ein<br />

• Versucht, immer ein Objekt in <strong>der</strong><br />

Hand zu haben<br />

• Kann nur 1-Wort-Sätze sprechen<br />

• Kann nicht so gut wie an<strong>der</strong>e Kin<strong>der</strong><br />

laufen<br />

• Feinmotorische Schwierigkeiten<br />

• Sehr vorsichtig<br />

Umwelt<br />

• Mutter unterbricht Bronchospasmen,<br />

und deswegen hat das Kind nur noch sehr<br />

wenige; sie ist stolz darauf<br />

• Eltern geben Essen in den Mund,<br />

kleiden und baden das Kind<br />

• Nach Indikation eines Kin<strong>der</strong>arztes<br />

vor mehreren Jahren wird einmal im Jahr<br />

die Schilddrüse geprüft<br />

• Wenn das Kind aufwacht, trägt es die<br />

Mutter zur Toilette, wo sie ihm beibringt,<br />

das Klosett zu benutzen; dazu muβ das<br />

Kind schauen, was es gemacht hat und<br />

auf den Knopf drücken<br />

• Während es noch am Klosett sitzt, gibt<br />

ihm gleichzeitig die Mutter Frühstück<br />

und Medikation, ¨um Zeit zu sparen¨<br />

• Mutter und Son<strong>der</strong>schule berichten<br />

sich gegenseitig, ob und wie oft das Kind<br />

am Klosett gesessen hat<br />

• Die Mutter ¨wird ernst¨, da<strong>mit</strong> das<br />

Kind fleiβig akzeptiert, in die <strong>Schule</strong><br />

hineinzugehen<br />

• Eltern, vor allem <strong>der</strong> Vater, sehr<br />

korrekt und streng als Lebenshaltung,<br />

• Das Kind wurde nur einmal wegen<br />

schlechtem Verhalten vom Vater<br />

eingesperrt, die Eltern sind sich über die<br />

emotionellen Konsequenzen für das Kind<br />

nicht einig, <strong>der</strong> Vater glaubt, das Kind<br />

hätte Angst gehabt, die Mutter denkt, es<br />

hätte Abneigung gefühlt<br />

• Der Vater wird ¨sehr nervös¨ wenn<br />

sich das Kind schlägt<br />

• Die Schwester behandelt das Kind, als<br />

wäre es eine Puppe.<br />

Einige Erfahrungen in seiner <strong>Lebensgeschichte</strong>, die wichtig sind, um die<br />

Zusammenhänge zwischen diesen Zeichen und Symptomen besser zu verstehen:<br />

• Während <strong>der</strong> Schwangerschaft erhöhte sich das Gewicht <strong>der</strong> Mutter weniger als 9<br />

kg<br />

• Das Kind wurde 15 Tage früher geboren<br />

• Es wurde während den ersten Tagen ikterisch und blieb wegen einer Blutstörung<br />

und einer Darmperforation, die im ersten Monat operativ geschlossen wurde, für<br />

einen Monat im Inkubator unter intensiver Behandlung<br />

• Beide Augenlinsen wurden wegen Starr im Säuglingsalter operativ entfernt<br />

8


• Während den ersten 5 Jahren blieb es in sich verschlossen, <strong>mit</strong> wenig bis keinem<br />

okularen Kontakt. Nach Anfang einer Therapie <strong>mit</strong> einer an<strong>der</strong>en Frühför<strong>der</strong>in fing<br />

es allmählich an, sich <strong>mit</strong> mehr Körper- und Augenkontakt zu kommunizieren.<br />

So wie bei Konrad, bleibt auch bei Paul wichtig, welche Lupe(n) <strong>der</strong> / die<br />

DiagnostikerIn benutzt bzw. benutzen kann. Die Persönlichkeitsstruktur des/r<br />

Diagnostikers / Diagnostikerin (die ihrerseits von seiner/ihrer eigenen Erziehung<br />

abhängig ist), die vorherige Information und Bildung, die Fachdisziplin als solche<br />

und die Umwelt, wo diese Disziplin entwickelt wird (Land, Stadt, Abteilung) sind<br />

alles Fakten, die meist unbewuβt die Wahl <strong>der</strong> für die Diagnose wichtige Daten<br />

bestimmen.<br />

Derjenige, <strong>der</strong> nur von Medikation versteht (und manchmal fest daran glaubt, die<br />

Medizin sei lediglich Gabe von Medikamenten), <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e, <strong>der</strong> glaubt, nur das<br />

Biologische, o<strong>der</strong> nur das Emotionelle, o<strong>der</strong> nur das Kognitive seien das Wichtige,<br />

ein dritter, <strong>der</strong> versucht, die bösen Geiste zu beschwören, haben gemeinsam, daβ sie<br />

nur eine einzige Nosographie, die eigene, benutzen. Sie haben ein therapeutisches<br />

Programm, und suchen eine Diagnose, die sich an dieses Programm anpaβt.<br />

Doch letztlich haben wir alle eine gewisse Karte <strong>der</strong> Realität. Eine ¨objektive¨<br />

Interpretation des Klienten wird es nie geben. Wie können wir aber die diagnostische<br />

<strong>Arbeit</strong> bessern<br />

Indem wir a. versuchen, so viele Daten aus allen Dimensionen und Ebenen zu<br />

erörtern wie möglich und b. diese Daten aus verschiedenen Gesichtspunkten<br />

verarbeiten.<br />

So gibt es sicherlich für diese Liste eine biologische und eine emotionelle und eine<br />

kognitive Antwort.<br />

Jede(r) DiagnostikerIn muβ auβerdem innerliche Klarheit in sich haben: Will ich<br />

eine statische o<strong>der</strong> eine dynamische Diagnose erstellen Denn die statische Diagnose<br />

erlaubt das gegenwärtige Bild zu photographieren, während <strong>der</strong> dynamische Ansatz<br />

dagegen einen ganzen Film anbietet.<br />

Sowie im deutschen Sprachraum das Multiaxiale Klassifikationsschema nach <strong>der</strong><br />

ICD-10 <strong>der</strong> WHO [10], arbeitet auch das DSM-IV [11] nach Achsen, die versuchen<br />

zu garantieren, daβ die Diagnose so sehr das Individuum respektiert und reflektiert<br />

wie möglich.<br />

Die Achsen sind wie folgend:<br />

Achse I<br />

Achse II<br />

Achse III<br />

Achse IV<br />

Achse V<br />

Klinische Störung o<strong>der</strong><br />

An<strong>der</strong>e Probleme, die klinische Behandlung benötigen könnten<br />

Persönlichkeitsstörungen o<strong>der</strong><br />

Geistige Behin<strong>der</strong>ung<br />

Nicht psychiatrische Krankheitsbil<strong>der</strong><br />

Psychosoziale und umweltbezogene Probleme<br />

Prüfung <strong>der</strong> globalen Intensität<br />

9


Daraus kann man folgende wichtige diagnostischen Fragen ableiten:<br />

• I) Was ist <strong>der</strong> klinischen Aufmerksamkeit wert<br />

• II) Welche basale Persönlichkeitsstruktur o<strong>der</strong> Funktionsart steht im Hintergrund<br />

<strong>der</strong> Störung<br />

• III) Welche simultane nicht psychiatrische Krankheitsbil<strong>der</strong> zeigt das Individuum<br />

• IV) Welche psychosoziale und umweltbezogene Probleme umrahmen das Leben<br />

des Individuums<br />

• V) Mit welcher Intensität drückt sich die Störung aus<br />

K. Wilber erkennt vier Aspekte <strong>der</strong> Realität, wie<strong>der</strong> vier Betrachtungsweisen, die<br />

jede für sich bewertet werden sollte [Wilber 12]:<br />

1. Subjektivität: Welche Diagnose stellt Paul von sich selbst<br />

2. Objektivität: Was sehen wir in Paul Paul wird von auβen her (also aus <strong>der</strong><br />

gemeinsamen Realität und nicht aus seiner eigenen ¨Nebenrealität¨ [Lempp<br />

13] geschätzt)<br />

3. Intersubjektivität o<strong>der</strong> Kultur: Wie sind die Interaktionen / Bindungen, die<br />

Paul <strong>mit</strong>erlebt<br />

4. Interobjektivität o<strong>der</strong> Gesellschaft: Welcher Rahmen steht im strukturellen<br />

Hintergrund dieser Ereignisse<br />

Doch es handelt sich um statische Versuche, die Diagnose zu erstellen. Das<br />

Individuum erlebt sich selbst jedoch subjektiv. So muβ ich mich die Fragen stellen,<br />

die es sich bewuβt o<strong>der</strong> unbewuβt während seines ganzen Lebens gestellt hat, um<br />

versuchsweise zur seiner dynamischen Autodiagnose zu gelangen: Wie würde ich<br />

mich fühlen, wenn ich <strong>mit</strong> diesen Potenzen und Dispotenzen zur Welt gekommen<br />

wäre und eine solche alltägliche <strong>Lebensgeschichte</strong> hinter mir hätte und eine solche<br />

Gegenwart erleben würde<br />

Denn es handelt sich nicht um ein jedes Zähneknirschen, gleich wie das von allen,<br />

die die Zähne knirschen. Mein Zähneknirschen hat ja <strong>mit</strong> meinen an<strong>der</strong>en<br />

Persönlichkeitsmerkmalen, unter denen meinen Zeichen und Symptomen <strong>der</strong><br />

Gegenwart, <strong>mit</strong> meiner eigenen <strong>Lebensgeschichte</strong>, darunter meiner / meinen<br />

Pathologie(n), <strong>mit</strong> meiner jetzigen und vorherigen familiären Subkultur (und ihrer /<br />

ihren Pathologie(n)), <strong>mit</strong> <strong>der</strong> gegenwärtigen und vergangenen Struktur <strong>der</strong> Umwelt<br />

zu tun. Mein Zähneknirschen muβ also im Rahmen meiner ganzen Person verstanden<br />

werden. Die Diagnose(n) muβ / müssen, um daraus ein personalisiertes<br />

Therapieprogramm ableiten zu können, dynamisch personalisiert werden.<br />

Sammelbegriffe und Sammeldiagnosen sind nicht nützlich, um mich <strong>mit</strong> Paul zu<br />

verstehen, um Therapie(n) für ihn und <strong>mit</strong> ihm zu gestalten.<br />

Schlieβlich modifizieren wir uns alle stetig und andauernd. Die diagnostische <strong>Arbeit</strong>,<br />

sowohl von Seiten des/r offiziellen Diagnostikers / Diagnostikerin wie von seiten des<br />

Klienten, hat also auch kein Ende. Längst nach <strong>der</strong> Erstellung <strong>der</strong> ersten<br />

diagnostischen Formulierung gibt es weiter von beiden Seiten die Suche nach<br />

Neuigkeiten, die das bekannte Bild des An<strong>der</strong>en, die Beziehung, die objektive Eigenund<br />

soziale Struktur bestätigen o<strong>der</strong> än<strong>der</strong>n.<br />

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Literatur<br />

1] Neumann, J. (Hrsg.): Behin<strong>der</strong>ung. Attempto Verlag Tübingen 1995<br />

2] Wernicke, C.G.: Therapie des Kindes: Sättigung <strong>der</strong> Grundbedürfnisse,<br />

Dokumentation 1. Internationaler Kongreβ Festhalten, Regensburg.<br />

Gesellschaft zur För<strong>der</strong>ung des Festhaltens (Hrsg.), Stuttgart 1989<br />

3] Wernicke, C.G.: Pedagogía y diversidad humana [Pädagogik und menschliche<br />

Verschiedenheit], Vorwort <strong>der</strong> spanischen Ausgabe von L. Wise und C. Glass:<br />

¨Teaching and Learning with Hanna¨, Ed. Méd. Panamericana, Buenos Aires<br />

2001.<br />

4] Quirós, J.B. de, und Schrager, O.: Fundamentos neuropsicológicos en las<br />

discapacidades de aprendizaje. Ed. Méd. Panamericana, Buenos Aires 1980<br />

5] Hüther, G.: Biologie <strong>der</strong> Angst. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1997<br />

6] Wernicke, C.G.: Las necesidades básicas [Die Grundbedürfnisse]. Tiempo de Integración<br />

IV nº 18, Buenos Aires 1990.<br />

7] Ciompi, L.: Die emotionalen Grundlagen des Denkens. Vandenhoeck & Ruprecht,<br />

Göttingen, 1997<br />

8] Hoffmann, H.: Der Struwwelpeter, Siebert Verlag, Waldkirchen. Orig. 1845<br />

9] Wernicke, C.G.: Castigo y pedagogía [Bestrafung und Pädagogik]. Ca<strong>der</strong>nos<br />

Pestalozzi II n° 3, Sociedade Pestalozzi do Estado do Rio de Janeiro, Brasilien<br />

2000.<br />

10] Remschmidt, H., et al.: Multiaxiales Klassifikationsschema, Huber V. 2001<br />

11] DSM-IV. Diagnostic and Statitical Manual of Mental Disor<strong>der</strong>s, American<br />

Psychiatric Association USA 1994<br />

12] Wilber, K.: Sex, Ecology, Spirituality. Ken Wilber, USA 1995<br />

13] Lempp, R.: Vom Verlust <strong>der</strong> Fähigkeit, sich selbst zu betrachten. Huber 1992<br />

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