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Aleksandr Grigor'evic Asmolov Tätigkeit und Einstellung Izdatel'stvo ...

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Das Phänomen der Anziehung durch Dinge, des „Aufforderungscharakters“ von Dingen, ist in der<br />

künstlerischen Literatur wiederholt beschrieben worden. Es muß nicht unbedingt bewußt werden wie<br />

in dem angeführten Beispiel. Mitunter treten weder das Bedürfnis noch sein Gegenstand ins Bewußtsein<br />

<strong>und</strong> bestimmen doch das Tun des Menschen, „ziehen“ ihn zu sich hin. Raskolnikov im Roman<br />

„Schuld <strong>und</strong> Sühne“ z.B. beabsichtigt, zur Polizeiwache zu gehen, <strong>und</strong> findet sich auf einmal an dem<br />

Ort wieder, wo er die alte Wucherin umgebracht hat.<br />

Um zu dem Polizeibüro zu kommen, mußte man ganz geradeaus gehen <strong>und</strong> sich bei der zweiten Abbiegung<br />

links wenden – dann war man mit zwei Schritten da. Als er die erste Abbiegung erreichte, blieb er<br />

stehen, dachte nach, bog in die Seitengasse ab <strong>und</strong> machte einen Umweg über zwei Straßen – mag sein,<br />

ohne jedes Ziel, vielleicht aber auch, um den Weg noch etwas auszudehnen <strong>und</strong> Zeit zu gewinnen. Er<br />

ging <strong>und</strong> blickte zur Erde. Plötzlich war es ihm, als flüsterte ihm Jemand etwas ins Ohr. Er hob den Kopf<br />

<strong>und</strong> sah, daß er vor jenem Haus steht, direkt vor dem Tor. Seit jenem Abend war er hier nicht mehr gewesen<br />

<strong>und</strong> nicht mehr vorbeigekommen. Ein unwiderstehliches <strong>und</strong> unerklärliches Verlangen hatte ihn angezogen.<br />

(Dostojewski, Schuld <strong>und</strong> Sühne. Werke (russisch) Band 6, 152-155)<br />

Wir sehen, wie eine unbegreifliche Kraft Raskolnikov zum Ort des Verbrechens zieht. Es ist, als ob<br />

diese Kraft außerhalb seiner selbst wirkte.<br />

Die beiden geschilderten Fälle sind sehr verschieden, aber sie haben eine Gemeinsamkeit, die für<br />

Uznadze von zentralem Interesse ist. Wenn das Subjekt ein Bedürfnis hat, so wird es von der Sache,<br />

die das Bedürfnis befriedigen kann, angezogen <strong>und</strong> dazu angetrieben, den von dieser Sache „geforderten“<br />

<strong>und</strong> zur Stillung des Bedürfnisses führenden Akt zu vollziehen. Zwar ist im einen Fall diese Sache<br />

ein ganz banales Glas Wasser, im anderen dagegen ein Tatort; zwar wird im einen Fall der von<br />

dem Bedürfnis <strong>und</strong> seinem Gegenstand geweckte Zustand bewußt, während er im anderen Fall dem<br />

Menschen verborgen bleibt – diese Unterschiede dürfen nicht die Gemeinsamkeit dieser Situationen<br />

verdecken. In beiden Fällen manifestiert sich der im Subjekt beim Auftreten des Bedürfnisses <strong>und</strong> seines<br />

Gegenstands entstandene Zustand in einer Gerichtetheit, in einer Bereitschaft zum Vollzug des bedürfnisentsprechenden<br />

Aktes, d.h. in einer <strong>Einstellung</strong>.<br />

Auf das mit dem Begriff „<strong>Einstellung</strong>“ zu beschreibende Phänomen haben Psychologen wiederholt<br />

ihre Aufmerksamkeit gerichtet. Insbesondere hat K. Lewin den Aufforderungscharakter von Dingen<br />

untersucht. Obwohl dieses Phänomen erstrangige Bedeutung für das Verständnis des Verhaltens hat,<br />

wurde es, wie Uznadze bemerkt, weder adäquat begriffen noch überhaupt ausreichend in der Wissenschaft<br />

beachtet. Uznadze sieht in der Erforschung dieses Phänomens eine Hauptaufgabe der Psychologie:<br />

Die Analyse der psychischen Tätigkeit muß vor allem damit beginnen, die Modifikation des aktiven Subjekts<br />

als Ganzen, d.h. seine <strong>Einstellung</strong> zu untersuchen. (1961, 171)<br />

Folgen wir also Uznadze <strong>und</strong> versuchen wir zu verstehen, wie eine <strong>Einstellung</strong> entsteht <strong>und</strong> welche<br />

Rolle sie in der psychischen Tätigkeit spielt. Wir werden dabei stets das eben beschriebene konkrete<br />

Phänomen der Bereitschaft, die durch ein seinem Gegenstand begegnendes Bedürfnis induziert wird,<br />

im Blick haben, uns jedoch nicht mit dem abstrakten Inhalt der primären <strong>Einstellung</strong> als unerforschter,<br />

zwischen Psychischem <strong>und</strong> Physischem vermittelnder Subpsyche abgeben. Die Frage nach der Entstehung<br />

einer primären <strong>Einstellung</strong> spaltet sich in zwei speziellere Teilfragen auf: die Frage nach der<br />

Verbindung zwischen dem Bedürfnis <strong>und</strong> der <strong>Einstellung</strong> <strong>und</strong> die Frage nach der Verbindung der <strong>Einstellung</strong><br />

mit der Situation der Bedürfnisbefriedigung.<br />

Wir wollen zunächst die Verbindung zwischen Bedürfnis <strong>und</strong> <strong>Einstellung</strong> betrachten. Bedürfnis<br />

wird von Uznadze (1966) als ein psychophysischer Organismuszustand definiert, der einen Bedarf an<br />

etwas außerhalb des Organismus Gelegenem manifestiert. Wenn im Organismus keine Bedürfnisse

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