Netzwerk Ausgabe 01/08 (13,5 MB) - Netzwerk Hotel
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Schuld am Schlamassel ist das Internet. Erst<br />
hochgejubelt, dann verlacht, stellt es nun die<br />
Märkte auf den Kopf: Suchmaschinen, Handelsplattformen,<br />
Preisvergleiche, VerbraucherUrteile<br />
und SelbsthilfeForen machen<br />
den Kunden heute wirklich zum König. „Vernetzung“<br />
und „Long Tail“ heißen die beiden<br />
Schlüsselwörter.<br />
Vom Massenmarkt zur Nischenökonomie<br />
Jahrzehntelang konsumierten die Kunden,<br />
was sie aufgrund eines andauernden MarketingSperrfeuers<br />
kannten und was in den<br />
Läden verfügbar war. Denn die Händler hatten<br />
alles aus ihren Regalen verbannt, was sich nur<br />
gelegentlich verkaufte, um den teuren Platz<br />
für Bestseller freizumachen. In der neuen<br />
OnlineÖkonomie dagegen verdienen Anbieter<br />
im Internet zunehmend Geld mit Nischenprodukten<br />
– „The Long Tail“ nannte dies „Wired“<br />
Chefredaktor Chris Anderson in einem viel<br />
beachteten Aufsatz. Dank geringer Lager und<br />
ShowroomKosten lohnt es sich, im Internet<br />
auch Ausgefallenes anzubieten. Bereits verdienen<br />
Shops wie Amazon mehr Geld mit<br />
einer riesigen Zahl von selten nachgefragten<br />
Produkten als mit ihren wenigen TopSellern.<br />
Den Konsumenten gefallen die Nischen. Sie<br />
wollen nicht mehr zur grossen Masse gehören,<br />
sondern das Rare und Ausgefallene besitzen.<br />
Es entstehen Netze von Eingeweihten,<br />
welche die Kommunikation in den neuen<br />
Märkten übernehmen. Dank solcher sozialer<br />
Netze („social networks“), die im Internet<br />
1900 bewegliche Gehsteige Paris, 1900 Weltausstell. bewegliche Gehsteige 1950er Paris, Fussgängerzonen Weltausstell. in europäischen 1950er Fussgängerzonen Grossstädtenin<br />
europäischen Grossstädten<br />
1925 Erster moderner Super-Highway 1925 Erster Bronx moderner River Parkway Super-Highway Bronx River Parkway<br />
19. Jh. Ausbau der Eisenbahnlinien 19. Jh. Ausbau der 1956 Eisenbahnlinien<br />
Erste überdachte Mall Southdale, 1956 Erste Minneapolis überdachte (Victor Mall Gruen) Southdale, Minneapolis (Victor Gruen)<br />
1926 Erster TV<br />
1910 Erste Flughäfen Tailedo, Milan 1910 Erste Flughäfen Tailedo, Milan<br />
ab 1910 Der Lift fördert die Verbreitung ab 1910 Der des Lift Warenhauses fördert die Verbreitung des<br />
Erste<br />
Warenhauses<br />
«Urban-Entertainment-Center» Erste «Urban-Entertainment-Center»<br />
1920er Erste Autobahnen Italien, 1920er Deutschland Erste Autobahnen Italien, Deutschland<br />
Späte 1970er Über 200 Einkaufspassagen Späte 1970er in Über den USA 200 Einkaufspassagen in den USA<br />
1922 Erste vereinheitlichte Shopping-Mall 1922 Erste vereinheitlichte Country Club Plaza Shopping-Mall Country Club Plaza<br />
1930 Erster Supermarkt King Kullern, 1930 Erster New York Supermarkt King Kullern, New York<br />
ab 1950 Barcode parallel mit Wachstum ab 1950 Barcode der Supermärkte parallel mit Wachstum der Supermärkte<br />
1926 1957 Erster Erster TV Duty-free-Shop Shannon 1957 Erster Airport, Duty-free-Shop Irland Shannon Airport, Irland<br />
1962 Erster Wal-Mart<br />
ab 1970 Customer-Tracking<br />
um jedes noch so ausgefallene Thema herum<br />
entstehen, machen Informationen über hippe<br />
Angebote blitzschnell die Runde – derweil das<br />
klassische Massenmarketing die Menschen<br />
zunehmend verfehlt.<br />
Die explodierende Auswahl fordert die Konsumenten,<br />
wo die Auswahl wächst, steigt auch<br />
der Bedarf an Orientierung. Um die Komplexität<br />
der Informationsflut zu reduzieren,<br />
gehen die Kunden nun ein kalkuliertes Risiko<br />
ein: Sie vertrauen auf die Empfehlungen und<br />
Hinweise von Dritten. Statt streng sachlich,<br />
entscheiden sie zunehmend emotional. Eine<br />
hohe Glaubwürdigkeit genießen dabei Familie<br />
und Freunde sowie Experten und unabhängige<br />
Organisationen wie die Stiftung Warentest<br />
– nach wie vor.<br />
Die Macht des Netzes<br />
Zunehmend erschließen sich die Konsumenten<br />
aber auch neue Informationsquellen. Das<br />
Internet hat uns nicht nur den Zugang zum<br />
Long Tail der Güter eröffnet, sondern auch<br />
zu den Erfahrungen und Einschätzungen von<br />
Millionen anderer Kunden. So spielen soziale<br />
<strong>Netzwerk</strong>e, Foren mit Kundenfeedback oder<br />
PreisvergleichsDienste beim Kaufentscheid<br />
eine wachsende Rolle – gerade auch in der<br />
Touristikbranche.<br />
Demgegenüber gehören die herkömmlichen<br />
Informationskanäle – Prospekte, Werbung,<br />
Rat geber – ebenso zu den Verlierern wie die<br />
Medien. Letzteren schenken die Befragten zwar<br />
1962 Erster ab 1980 Wal-Mart Internet<br />
ab 1970 Customer-Tracking<br />
1975 Erste optische Scanner an 1975 den Erste Kassen optische Scanner an den Kassen<br />
1980 Virtual Shopping<br />
ab 1980 Internet<br />
1980 Virtual Shopping<br />
ab 1930 Klimaanlage und Highway ab 1930 ermöglichen Klimaanlage Shopping-Mall und Highway ermöglichen 1980 – 1990 Shopping-Mall Durchschnittliche Einkaufszeit 1980 – 1990 in Durchschnittliche Malls halbiert sichEinkaufszeit<br />
in Malls halbiert sich<br />
1900 – Modern City 1900 – Modern City 2000 – Postmodern City 2000 – Postmodern City<br />
Quelle: Project on the City, Rem Koolhaas<br />
23<br />
trendforschung<br />
noch immer ein hohes generelles Systemvertrauen;<br />
sobald es aber um eine konkrete<br />
Entscheidungsfindung geht, spielen TV, Radio<br />
und Zeitungen nur noch eine marginale Rolle.<br />
Ganz schlecht für Anbieter: Wer zuverlässige<br />
Informationen sucht, wendet sich erst an<br />
vierter oder fünfter Stelle an den Hersteller<br />
oder Händler.<br />
Gesellschafts- und Handelstrends 20<strong>08</strong>+<br />
Neidökonomie: Von Luxuszu<br />
Statusmärkten<br />
Der Mensch ist ein ehrsüchtiges „animal<br />
ambitiosum“. Die Bedeutung des Status<br />
wächst heute rasant, wir befinden uns im<br />
permanenten Statusstress. Für Anbieter<br />
entstehen mit den neuen Bedürfnissen<br />
neue Märkte, um Produkte und Dienstleistungen<br />
mit Differenzierungspotential zu<br />
erschaffen.<br />
Einfachheit: Von Lebens-Krise<br />
zum Lebens-Coach<br />
Die zunehmende Komplexität des Lebens<br />
führt zu einer Sehnsucht nach Einfachheit.<br />
Kunden suchen Unterstützung für ihren<br />
Alltag, Service und Support werden zur<br />
wichtigsten Zusatzfunktion von Anbietern.<br />
Globalisierung: Von der Einbahnstraße<br />
zum Zweiwegprozess<br />
Den westlichen Zauberlehrlingen entgleiten<br />
zunehmend Macht und Kontrolle, der<br />
Reichtum wandert nach Osten. Bereits<br />
fahren Länder wie die USA oder Deutschland<br />
protektionistisches Geschütz auf.<br />
Märkte: Von „supply and command“<br />
zu „reply and demand“<br />
Die Kunden haben genug von Marketinglügen.<br />
Sie informieren sich vor dem Einkauf<br />
darum bei anderen Kunden. Anbieter<br />
verlieren dadurch aber die Kontrolle über<br />
ihre Kommunikation.<br />
Konsum: Von Lust zu bewusst<br />
Menschen mit gedeckten Grundbedürfnissen<br />
suchen beim Konsum Sinnerfüllung.<br />
Sie wägen ab zwischen individuellen Wünschen<br />
und gesellschaftlicher Verantwortung.<br />
Der klassische Preiskampf weicht<br />
einem Vertrauenswettbewerb.<br />
Produkte: Von Bling-Marken<br />
zur Qualität<br />
Jahrelang galt nur eines: die Marke – „emotionale<br />
Aufladung“ kam vor Funktionalität.<br />
Jetzt wollen immer mehr Menschen für ihr<br />
Geld wieder einen realen Gegenwert und<br />
verlangen eine fassbare Qualität.<br />
khc netzwerk