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Dieter Henrich: Die Sekundenphilosophie (PDF)

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Gespräch<br />

nicht für sich allein. Einsichten dieser Art treten auch in vielen<br />

anderen Zusammenhängen auf. So kann man eine distinguierte<br />

Folge von naturwissenschaftlichen Entdeckungseinsichten aufführen,<br />

die ebenfalls momentan erfolgt sind und durch die ein<br />

Problem gelöst wurde, das zuvor unlösbar schien. Archimedes<br />

mit seinem «Heureka!» ist der Namensgeber für diese Erfahrungen.<br />

Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite haben wir das weite<br />

Feld der singulären Ereignisse im religiösen Leben: der Empfang<br />

einer Offenbarung oder einer Berufung, Paulus bei Damaskus,<br />

Mohammeds Bewusstsein, einen Text Stück um Stück von Gott<br />

diktiert bekommen zu haben, schließlich in den asiatischen Religionen<br />

die Erleuchtung als eigentliches Ziel eines kontemplativen<br />

Lebensweges. Man könnte ein ganzes Buch allein über diese religiösen<br />

Ereignisse schreiben. Und dann kann man noch die Künste<br />

hinzufügen, wo dann die Frage nach einer Art von Berufung<br />

auf den künstlerischen Weg noch zu unterscheiden ist von der<br />

Intuition, in der eine Werkidee gefasst wird.<br />

Nun haben Ernst Kris und Otto Kurz in ihrer «Legende vom Künstler»<br />

gezeigt, dass vieles davon auf späterer Zuschreibung oder Selbststilisierung<br />

beruht. Gibt es auch die Legende vom Philosophen<br />

<strong>Die</strong> gibt es auch, sicherlich, und man kann davon ausgehen,<br />

dass beispielsweise Rousseau, in dessen Biographie ein solches Erlebnis<br />

eine ganz große Rolle spielt, dieses Ereignis literarisch stilisiert<br />

hat. Aber es gibt doch die anderen Fälle, in denen an der Authentizität<br />

kein Zweifel ist. Ein Beispiel dafür ist Pascal. Pascal hat,<br />

nachdem er in zwei Nachtstunden aus dem Konfl ikt zwischen<br />

dem christlichen Glauben und der philosophischen Ordnung befreit<br />

worden ist, in fl iegender Schrift sein so genanntes Mémorial<br />

auf ein Stück Papier geschrieben und dies in seinen Rock eingenäht,<br />

wo man es bei seinem Tod gefunden hat. Da kann man nun<br />

nicht sagen, dass es sich um eine Selbststilisierung handelte. Bei<br />

Augustinus andererseits liegt das nahe. In seinen Konfessionen<br />

spielt die Begründung einer Glaubenssicherheit, mit dem Nimmund-Lies-Moment<br />

der Erfahrung in Mailand, eine große Rolle. Es<br />

ist ja auch begreifl ich, dass ein Philosoph oder ein auf andere Weise<br />

kreativer Mensch seine Werkgenese mit einer solchen Beglaubigung<br />

versehen will. Aber man kann die Rätselfrage, wie sich sol-<br />

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