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Die Mysterien des Lebens Jesu II: Die Versuchungen Jesu - Kath.de

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1<br />

Michael Schnei<strong>de</strong>r<br />

<strong>Die</strong> <strong>Mysterien</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Lebens</strong> <strong>Jesu</strong> <strong>II</strong>:<br />

<strong>Die</strong> <strong>Versuchungen</strong> <strong>Jesu</strong><br />

(Radio Horeb 15. März 2010)<br />

Seit <strong>de</strong>r Väterzeit bis zur Aufklärung stellt sich bei <strong>de</strong>r gläubigen Entfaltung <strong>de</strong>r Christologie konkret<br />

die Frage nach <strong>de</strong>r heilsgeschichtlichen Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r mysteria vitae Christi, also <strong>de</strong>r »acta et pas-<br />

sa« <strong>Jesu</strong> als konkreter Aus<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Geschichtlichkeit <strong><strong>de</strong>s</strong> Erlösungsgeheimnisses und <strong>de</strong>r<br />

Menschlichkeit <strong><strong>de</strong>s</strong> eingeborenen Gottessohnes. <strong>Die</strong> <strong>Mysterien</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Lebens</strong> <strong>Jesu</strong> sind mehr als<br />

bloßes Anschauungsmaterial theologischer Glaubensaussagen, in ihnen wird unüberbietbar und<br />

endgültig die Transparenz <strong><strong>de</strong>s</strong> Menschlichen für das Göttliche und die Möglichkeit <strong>de</strong>r Inkarnation<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong> Göttlichen im Menschlichen offenbar. <strong>Die</strong> spezifische Aussage <strong>de</strong>r <strong>Mysterien</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Lebens</strong> <strong>Jesu</strong><br />

liegt darin, daß die irdische Geschichte <strong>de</strong>r Menschheit in <strong>de</strong>r konkreten Biographie <strong><strong>de</strong>s</strong> Men-<br />

schensohnes verortet ist: In <strong>de</strong>n einzelnen <strong>Mysterien</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> irdischen <strong>Lebens</strong> <strong>Jesu</strong> wird das My-<br />

sterium <strong><strong>de</strong>s</strong> inkarnierten Logos, aber auch <strong><strong>de</strong>s</strong> Menschen und seiner Geschichte gleichsam »faß-<br />

bar«.<br />

I. <strong>Die</strong> <strong>Versuchungen</strong> <strong>Jesu</strong> im Bericht <strong>de</strong>r Evangelien 1<br />

Daß <strong>Jesu</strong>s mit seinem Kommen <strong>de</strong>n Satan entmachtet und überwun<strong>de</strong>n hat, <strong>de</strong>utet die Versu-<br />

chungsperikope bereits zu Beginn seines öffentlichen Wirkens an. <strong>Die</strong> ganze Situation Israels im<br />

Gottesbund wird hier rekapituliert und noch einmal durchlebt. Gleich wie Israel, <strong>de</strong>r »Sohn Gottes«,<br />

vierzig Jahre in <strong>de</strong>r Wüste war, verbringt auch <strong>Jesu</strong>s, <strong>de</strong>r Sohn Gottes, vierzig Tage in <strong>de</strong>r Wüste;<br />

und was Israel verfehlt hat (vgl. Ps 95,10), wird von <strong>Jesu</strong>s nun erfüllt. Dabei geht es nochmals um<br />

das Bun<strong><strong>de</strong>s</strong>angebot Gottes, das auf <strong>de</strong>r Waage liegt, <strong>de</strong>m gegenüber <strong>de</strong>r Versucher »alle Reiche<br />

<strong>de</strong>r Welt samt ihrer Herrlichkeit« (Mt 4,8) aufbietet. <strong>Die</strong> Versuchung besteht darin, daß <strong>Jesu</strong>s<br />

genau wie Israel in <strong>de</strong>r Wüste »am Tag <strong>de</strong>r Versuchung« auf die Probe gestellt wird (Ps 95,8).<br />

Doch in seinem Gehorsam gegenüber seinem Vater trägt er <strong>de</strong>n Sieg davon, <strong>de</strong>nn, so sagt <strong>de</strong>r He-<br />

bräerbrief, »er lernte, obwohl er Sohn war, aus <strong>de</strong>m, was er litt, <strong>de</strong>n Gehorsam« (Hebr 5,8). Der<br />

Sieg über <strong>de</strong>n Satan beginnt im Verborgenen, wo <strong>Jesu</strong>s völlig allein mit und vor Gott ist, und er<br />

fin<strong>de</strong>t seinen endgültigen Sieg und sein Urbild im Kreuzesgeschehen als Sieg über <strong>de</strong>n Tod.<br />

K. P. Köppen, <strong>Die</strong> Auslegung <strong>de</strong>r Versuchungsgeschichte unter beson<strong>de</strong>rer Berücksichtigung <strong>de</strong>r Alten Kirchen. Tübingen 1961;<br />

J. Dupont, <strong>Die</strong> <strong>Versuchungen</strong> <strong>Jesu</strong> in <strong>de</strong>r Wüste. Stuttgart 1969; C. Schütz, <strong>Die</strong> <strong>Mysterien</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> öffentlichen Wirkens <strong>Jesu</strong>, in:<br />

Mysterium Salutis. Bd. <strong>II</strong>I/2, Einsie<strong>de</strong>ln 1969, 75-90; H. Mahnke, <strong>Die</strong> Versuchungsgeschichte im Rahmen <strong>de</strong>r synoptischen Evangelien.<br />

Ein Beitrag <strong>de</strong>r frühen Christologie, Frankfurt-Bern-Las Vegas 1978; F. Courth, Der Heilssinn <strong>de</strong>r <strong>Versuchungen</strong> <strong>Jesu</strong>, in:<br />

L. Scheffczyk, <strong>Die</strong> <strong>Mysterien</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Lebens</strong> <strong>Jesu</strong> und die christliche Existenz, 126-145.<br />

1


2<br />

1. Das Zeugnis <strong>de</strong>r Synoptiker<br />

Mit seiner Taufe und <strong>de</strong>r Herabkunft <strong><strong>de</strong>s</strong> Geistes ist <strong>Jesu</strong>s in sein Amt eingesetzt, wie auch die<br />

2<br />

Könige und Priester Israels zu ihrem neuen Amt »gesalbt« wur<strong>de</strong>n. »Christus« bzw. »Christos«,<br />

<strong>de</strong>r erwartete Messias und »Gesalbte«, erfüllt die Hoffnungen Israels, <strong>de</strong>nn er ist ausgestattet mit<br />

allen Gaben <strong><strong>de</strong>s</strong> Geistes (vgl. Jes 11,1f.), so daß er von sich in <strong>de</strong>r Synagoge von Nazareth sagen<br />

kann: »Der Geist <strong><strong>de</strong>s</strong> Herrn ruht auf mir, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Herr hat mich gesalbt« (Lk 4,18; Jes 61,1). <strong>Die</strong><br />

erste Weisung <strong><strong>de</strong>s</strong> Geistes nach <strong>de</strong>r Taufe ist aber, daß er ihn in die Wüste führt, »damit er vom<br />

Teufel versucht wer<strong>de</strong>« (Mt 4,1). <strong>Jesu</strong>s scheint in seinem Leben nochmals die ganze Geschichte<br />

menschlicher Versuchung durchschreiten zu müssen, um in allem uns gleich zu wer<strong>de</strong>n »und die<br />

Sün<strong>de</strong>n <strong><strong>de</strong>s</strong> Volkes zu sühnen. Da er selbst in Versuchung geführt wur<strong>de</strong> und gelitten hat, kann er<br />

fortan <strong>de</strong>nen helfen, die in Versuchung geführt wer<strong>de</strong>n« (Hebr 2,17f.; vgl. 4,15).<br />

Alle drei Synoptiker (Mk 1,12f.; Mt 4,1-11; Lk 4,1-13) berichten von <strong>de</strong>n <strong>Versuchungen</strong> <strong>Jesu</strong>, je-<br />

doch in recht unterschiedlichen Fassungen und Pointierungen, die <strong>de</strong>nnoch auf eine gemeinsame<br />

Textüberlieferung schließen lassen; in je<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Texte erscheint <strong>Jesu</strong>s als <strong>de</strong>r Besieger <strong><strong>de</strong>s</strong> Satans.<br />

Markus sieht in <strong>Jesu</strong>s <strong>de</strong>n neuen Adam. Er lebt unter <strong>de</strong>n Tieren, womit <strong>de</strong>r Zustand eines neuen<br />

messianischen Paradieses angezeigt ist (vgl. Jes 11,6-8). Wie nach spätjüdischer Überlieferung<br />

Adam von <strong>de</strong>n Engeln gespeist wur<strong>de</strong>, so auch <strong>de</strong>r neue Adam. Der Ort <strong><strong>de</strong>s</strong> Geschehens, nämlich<br />

die Wüste, gilt für Markus als ein messianischer Ort und <strong>de</strong>r Nähe Gottes (Mk 1,35.45; 6,31f.),<br />

ange<strong>de</strong>utet durch die »vierzig Tage«, welche an die 40 Jahre Wüste im Alten Bund <strong>de</strong>nken lassen.<br />

Es fin<strong>de</strong>t kein Kampf mit <strong>de</strong>m Satan statt, vielmehr erscheint <strong>Jesu</strong>s von Anfang an als <strong>de</strong>r<br />

Mächtigere, wie es sich schließlich auch in <strong>de</strong>n Heilungsberichten manifestieren wird (z. B. Mk<br />

1,23.32-34).<br />

Lukas (4,1-13) beschreibt <strong>Jesu</strong>s als <strong>de</strong>n geisterfüllten Ju<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r sich in allem vom Heiligen Geist<br />

leiten läßt (Lk 4,18ff.). Doch dreht er die Reihenfolge <strong>de</strong>r <strong>Versuchungen</strong> um, damit sie schließlich<br />

in Jerusalem, <strong>de</strong>r wahren Zionsstadt, en<strong>de</strong>n können. Der Satan läßt nur »für eine gewisse Zeit von<br />

ihm ab« (V. 13), in <strong>de</strong>r Stun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Passion wird er zur letzten Prüfung anheben (Lk 22,3). Wie Je-<br />

sus seine eigenen <strong>Versuchungen</strong> besteht, so soll auch <strong>de</strong>r Gläubige danach trachten, siegreich aus<br />

<strong>de</strong>m Kampf mit <strong>de</strong>m Satan hervorzugehen und sich von seinen Einflüsterungen fernzuhalten (Lk<br />

22,31), in<strong>de</strong>m er wie <strong>Jesu</strong>s <strong>de</strong>n Sinn <strong>de</strong>r Heiligen Schrift zu erfüllen sucht.<br />

Matthäus (4,1-11) verkün<strong>de</strong>t <strong>Jesu</strong>s als <strong>de</strong>n geliebten und wahren Gottessohn, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n drei Ver-<br />

suchungen <strong>de</strong>m Willen <strong><strong>de</strong>s</strong> Vaters treu bleibt. Alle Einre<strong>de</strong>n, die <strong>de</strong>n Glaubens Israels zu übergehen<br />

trachten, erkennt <strong>Jesu</strong>s als eine sündhafte Herausfor<strong>de</strong>rung Gottes (beson<strong>de</strong>rs V.5-7). Matthäus<br />

gestaltet <strong>de</strong>n Versuchungsbericht in einer Steigerung. <strong>Die</strong> 40 Tage erinnern an die 40 Jahre, da<br />

Israel in <strong>de</strong>r Wüste war, eine Zeit <strong>de</strong>r Versuchung, aber auch <strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>ren Nähe zu Gott. 40<br />

Tage verbrachte Mose auf <strong>de</strong>m Berg Sinai und empfing danach die Gesetzestafeln. <strong>Die</strong><br />

Kirchenväter greifen diese Zahlensymbolik auf: »<strong>Die</strong> vier En<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Welt umschreiben das Ganze,<br />

Hierzu Papst Benedikt XVI., <strong>Jesu</strong>s von Nazareth. Freiburg-Basel-Wien 2007, 53ff.<br />

2


und Zehn ist die Zahl <strong>de</strong>r Gebote. <strong>Die</strong> kosmische Zahl mit <strong>de</strong>r Zahl <strong>de</strong>r Gebote multipliziert wird zur<br />

sinnbildlichen Aussage für die Geschichte dieser Welt überhaupt. <strong>Jesu</strong>s durchwan<strong>de</strong>rt gleichsam<br />

noch einmal <strong>de</strong>n Exodus Israels, und er durchwan<strong>de</strong>rt dann die Irrungen und Wirrungen <strong>de</strong>r<br />

Geschichte überhaupt; die 40 Hungertage umfassen das Drama <strong>de</strong>r Geschichte, das <strong>Jesu</strong>s in sich<br />

aufnimmt und durchträgt.« 3<br />

3<br />

Ebd., 58.<br />

2. Der Inhalt <strong>de</strong>r drei <strong>Versuchungen</strong><br />

<strong>Die</strong> erste Versuchung: »Wenn du Gottes Sohn bist, so befiehl, daß aus diesen Steinen Brot wird«<br />

(Mt 4,3) fin<strong>de</strong>t sich auch bei <strong>de</strong>n Spöttern unter <strong>de</strong>m Kreuz: »Wenn du <strong>de</strong>r Sohn Gottes bist, dann<br />

steig doch herab vom Kreuz« (Mt 27,40). Doch schon das Buch <strong>de</strong>r Weisheit eröffnet <strong>de</strong>n Ausblick<br />

<strong>de</strong>r Hoffnung: »Wenn <strong>de</strong>r Gerechte wirklich Gottes Sohn ist, dann nimmt sich Gott seiner an«<br />

(Weish 2,18). Bei Lukas sollen die Steine zu Brot wer<strong>de</strong>n, damit <strong>Jesu</strong>s seinen Hunger zu stillen ver-<br />

mag: »Sag zu diesem Stein, daß er Brot wird« (Lk 4,3), während Matthäus die Versuchung in einen<br />

größeren Rahmen stellt, in<strong>de</strong>m es bei ihm heißt: »... so befiehl, daß aus diesen Steinen Brot wird«<br />

(Mt 4,3). Immer wie<strong>de</strong>r wird es in <strong>de</strong>n Evangelien um das Brot gehen, in <strong>de</strong>n Texten <strong>de</strong>r Brotver-<br />

mehrungen bis hin zum letzten Abendmahl.<br />

Der Wi<strong>de</strong>rsacher argumentiert in <strong>de</strong>n <strong>Versuchungen</strong> wie ein guter Theologe und Schriftkenner, er<br />

spielt gleichsam Gottes Wort gegen Gott selber aus, ja, er scheint sich sogar auf die Seite Gottes<br />

zu stellen und seine Sache zu vertreten. Mt 4,7 stellt die Mitte <strong>de</strong>r <strong>Versuchungen</strong> dar, <strong>de</strong>nn hier<br />

geht es um die wahre Anbetung. Dabei wird Dtn 6,16 aufgegriffen: »Du sollst <strong>de</strong>n Herrn, <strong>de</strong>inen<br />

Gott, nicht versuchen!« Denn als Israel vor Durst umzukommen drohte, rebellierte es gegen Mose<br />

und damit gegen Gott selbst: »Sie stellten <strong>de</strong>n Herrn auf die Probe, in<strong>de</strong>m sie sagten: Ist <strong>de</strong>r Herr<br />

in unserer Mitte o<strong>de</strong>r nicht?« (Ex 17,7). Denn eigentlich müßte ja Gott einen beschützen und seine<br />

Engel aufbieten, wie er selbst verheißen hat (Ps 91). Papst Benedikt XVI. setzt hier einen Ver-<br />

gleich: »Von dieser Szene auf <strong>de</strong>r Tempelzinne aus öffnet sich aber auch <strong>de</strong>r Blick auf das Kreuz<br />

hin. Christus hat sich nicht von <strong>de</strong>r Tempelzinne gestürzt. Er ist nicht in die Tiefe gesprungen. Er<br />

hat Gott nicht versucht. Aber er ist in die Tiefe <strong><strong>de</strong>s</strong> To<strong><strong>de</strong>s</strong> hinabgestiegen, in die Nacht <strong>de</strong>r Verlas-<br />

senheit, in die Ausgesetztheit <strong>de</strong>r Wehrlosen. Er hat diesen Sprung gewagt als Akt <strong>de</strong>r Liebe von<br />

Gott her für die Menschen. Und <strong><strong>de</strong>s</strong>halb wußte er, daß er bei diesem Sprung zuletzt nur in die<br />

gütigen Hän<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> Vaters fallen konnte. So erscheint <strong>de</strong>r wirkliche Sinn von Psalm 91 her, das<br />

Recht zu jenem letzten und unbegrenzten Vertrauen, von <strong>de</strong>m darin die Re<strong>de</strong> ist: Wer <strong>de</strong>m Willen<br />

Gottes folgt, <strong>de</strong>r weiß, daß er in allen Schrecknissen, die ihm wi<strong>de</strong>rfahren, einen letzten Schutz<br />

nicht verliert. Der weiß, daß <strong>de</strong>r Grund <strong>de</strong>r Welt Liebe ist und dass er daher auch da, wo kein<br />

Mensch ihm helfen kann o<strong>de</strong>r will, im Vertrauen auf <strong>de</strong>n weitergehen darf, <strong>de</strong>r ihn liebt. Solches<br />

Vertrauen, zu <strong>de</strong>m die Schrift uns ermächtigt und zu <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Herr, <strong>de</strong>r Auferstan<strong>de</strong>ne, uns einlädt,<br />

3


ist aber etwas ganz an<strong>de</strong>res als die abenteuerliche Herausfor<strong>de</strong>rung Gottes, die Gott zu unserem<br />

Knecht machen möchte.« 4<br />

Bei <strong>de</strong>r letzten Versuchung wird <strong>Jesu</strong>s - nach Matthäus <strong>de</strong>r Höhepunkt seiner Darstellung - auf<br />

einen hohen Berg geführt; aber auch hier zeigt sich <strong>de</strong>r Ausblick auf <strong>de</strong>n wahren Berg, von <strong>de</strong>m<br />

<strong>Jesu</strong>s herrschen wird. Bei Papst Benedikt heißt es hierzu: »Der auferstan<strong>de</strong>ne Herr versammelt die<br />

Seinen 'auf <strong>de</strong>m Berg' (Mt 28,16). Und nun sagt er tatsächlich: 'Mir ist alle Macht gegeben im<br />

Himmel und auf Er<strong>de</strong>n' (28,18). Zweierlei ist hier neu und an<strong>de</strong>rs: Der Herr hat Macht im Himmel<br />

und auf Er<strong>de</strong>n. Und nur wer diese ganze Macht hat, hat die wirkliche, die retten<strong>de</strong> Macht. Ohne<br />

<strong>de</strong>n Himmel bleibt irdische Macht immer zwei<strong>de</strong>utig und brüchig. Nur Macht, die sich unter das<br />

Maß und unter das Gericht <strong><strong>de</strong>s</strong> Himmels, das heißt Gottes stellt, kann Macht zum Guten wer<strong>de</strong>n.<br />

Und nur Macht, die unter <strong>de</strong>m Segen Gottes steht, kann verläßlich sein. Dazu kommt das an<strong>de</strong>re:<br />

<strong>Jesu</strong>s hat als Auferstan<strong>de</strong>ner diese Macht. Das heißt: <strong>Die</strong>se Macht setzt das Kreuz voraus, setzt<br />

seinen Tod voraus. Sie setzt <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Berg voraus - Golgotha, wo er, von <strong>de</strong>n Menschen ver-<br />

spottet und von <strong>de</strong>n Seinigen verlassen, am Kreuz hängt und stirbt. Das Reich Christi ist an<strong>de</strong>rs als<br />

die Königreiche <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> und ihr Glanz, <strong>de</strong>n Satan vorführt. <strong>Die</strong>ser Glanz ist, wie das griechische<br />

Wort doxa besagt, Schein, <strong>de</strong>r sich auflöst. Solchen Glanz hat Christi Reich nicht. Es wächst durch<br />

die Demut <strong>de</strong>r Verkündigung in <strong>de</strong>nen, die sich zu seinen Jüngern machen lassen, die getauft<br />

wer<strong>de</strong>n auf <strong>de</strong>n dreifaltigen Gott und die seine Gebote halten (Mt 28,19f.).« 5<br />

Als <strong>Jesu</strong>s, um seine wahre Sendung befragt, die Lei<strong>de</strong>nsankündigung ausspricht, nimmt Petrus ihn<br />

beiseite und macht ihm Vorwürfe: »Das soll Gott verhüten, Herr! Das darf nicht mit dir ge-<br />

schehen!« Doch <strong>Jesu</strong>s antwortet nur: »Weg mit dir, Satan! Du willst mich zu Fall bringen; <strong>de</strong>nn du<br />

hast nicht das im Sinn, was Gott will, son<strong>de</strong>rn was die Menschen wollen« (Mt 16,22f.). Gewiß<br />

geht es <strong>Jesu</strong>s um eine bessere Welt, doch sie wird auf <strong>de</strong>m Weg <strong><strong>de</strong>s</strong> Lei<strong>de</strong>ns und <strong>de</strong>r Hingabe,<br />

also <strong>de</strong>r Liebe gefun<strong>de</strong>n und aufgebaut. Noch <strong>de</strong>r Auferstan<strong>de</strong>ne wird seine Jünger zurechtweisen:<br />

»O ihr Unverständigen, wie schwer fällt es euch mit eurem schwerfälligen Herzen, all das zu<br />

glauben, was die Propheten sagten«, spricht <strong>de</strong>r Herr zu <strong>de</strong>n Emmausjüngern (Lk 24,25). Kein<br />

Reich dieser Welt wird das Reich Gottes sein, und wer eine heile Welt propagiert, steht letztlich im<br />

<strong>Die</strong>nst <strong><strong>de</strong>s</strong> Satans und seines Betrugs. Der Vergötzung <strong>de</strong>r Welt und <strong>de</strong>m gleißen<strong>de</strong>n Glanz <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

Teufels setzt <strong>Jesu</strong>s die wahre Herrlichkeit entgegen, <strong>de</strong>nn nicht die Macht, son<strong>de</strong>rn die Anbetung<br />

wird die Welt heilen, wie er ihm entgegenhält: »Den Herrn, <strong>de</strong>inen Gott, sollst du anbeten und ihm<br />

allein dienen« (Mt 4,10; Dtn 6,13). Deshalb sind es auch die Engel, die nun <strong>Jesu</strong>s dienen (Mt 4,<br />

11; Mk 1,13), <strong>de</strong>nn <strong>Jesu</strong>s erweist sich als <strong>de</strong>r wahre Weg, die »wahre Leiter« zu Gott (Joh 1, 51;<br />

Gen 28,12).<br />

Was die drei Synoptiker in ihrem Bericht von <strong>de</strong>n <strong>Versuchungen</strong> <strong>Jesu</strong> darlegen, zeigt sich weiter in<br />

seinem Leben, <strong>de</strong>nn siegreich bezwingt er die Dämonen; auch lehnt er alle falschen bzw. trü-<br />

gerischen Zeichenfor<strong>de</strong>rungen und Messiaserwartungen ab; er braucht sich selbst nicht zu legi-<br />

4<br />

5<br />

Ebd., 66f.<br />

Ebd., 67f.<br />

4


timieren, was ihn bestätigt, ist einzig und allein das Wort Gottes, ja, Gott allein. Der Hebräerbrief<br />

(4,15) legt großen Wert darauf, daß <strong>Jesu</strong>s wie wir versucht wor<strong>de</strong>n ist, ohne jedoch in Sün<strong>de</strong> zu<br />

fallen.<br />

6<br />

7<br />

<strong>II</strong>. <strong>Die</strong> theologische Aussage <strong>de</strong>r <strong>Versuchungen</strong> <strong>Jesu</strong><br />

Mit <strong>de</strong>m Konzil von Chalzedon läßt sich fragen: Wie kann jener, <strong>de</strong>r Gottes Sohn ist, überhaupt zur<br />

Sün<strong>de</strong> »versucht« wer<strong>de</strong>n? Gegenüber Apollinaris von Laodicea, <strong>de</strong>r eine wahre physische Ver-<br />

einigung <strong><strong>de</strong>s</strong> Logos mit <strong>de</strong>r Sarx lehrt, so daß <strong>de</strong>r Logos die Seele <strong><strong>de</strong>s</strong> Menschen <strong>Jesu</strong>s bil<strong>de</strong>t, be-<br />

tonen die Väter, beson<strong>de</strong>rs Theodor von Mopsuestia, daß <strong>Jesu</strong>s als Mensch versucht wur<strong>de</strong> und<br />

ebenso als ein solcher <strong>de</strong>n Sieg davon trug. So erhält <strong>de</strong>r Versuchungsbericht für die frühe Kirche<br />

und ihre Bestimmung <strong>de</strong>r Person <strong>Jesu</strong> eine große Be<strong>de</strong>utung, um an seiner Menschlichkeit fest-<br />

halten zu können. Doch gehört es zur schicksalshaften Seite <strong>de</strong>r Lehre <strong><strong>de</strong>s</strong> Konzils von Chalzedon,<br />

daß fortan die seins- und naturhafte Betrachtungsweise <strong>de</strong>r Person <strong>Jesu</strong> zunehmend die Konkret-<br />

heit seines wahrhaft menschlichen <strong>Lebens</strong> in <strong>de</strong>n Hintergrund treten läßt. Deshalb wer<strong>de</strong>n in neu-<br />

ester Zeit statt <strong>de</strong>r ontischen Bestimmung von Chalkedon mehr die existentialen und heilsge-<br />

schichtlichen Kategorien in <strong>de</strong>r Betrachtungsweise <strong><strong>de</strong>s</strong> »vere homo« betont. 6<br />

<strong>Die</strong> Gottheit <strong>Jesu</strong> soll damit keineswegs in Frage gestellt, wohl aber hervorgehoben wer<strong>de</strong>n, daß<br />

<strong>Jesu</strong>s uns auch durch seine wahre Menschlichkeit erlöst hat. Aber <strong>Jesu</strong>s wur<strong>de</strong> nicht aufgrund<br />

seines exemplarischen Menschseins Gottes Sohn, er erweist sich als <strong>de</strong>r neue Mensch, weil er <strong>de</strong>r<br />

Sohn Gottes ist (GS 22). In ihm grün<strong>de</strong>t die christliche Anthropologie: »Wer Christus, <strong>de</strong>m voll-<br />

kommenen Menschen folgt, wird auch selbst mehr Mensch« (GS 41).<br />

1. Das theologische Problem<br />

Mit <strong>de</strong>m Bericht <strong>de</strong>r <strong>Versuchungen</strong> ist das Problem <strong><strong>de</strong>s</strong> Selbstbewußtseins <strong>Jesu</strong> angesprochen. Karl<br />

7<br />

Rahner zeigt in seinen Studien , daß <strong>Jesu</strong>s sich mit seiner Naherwartung vermutlich geirrt hat. <strong>Die</strong>s<br />

wie<strong>de</strong>rum wür<strong>de</strong> nicht gegen die Gottheit Christi sprechen, <strong>de</strong>nn die Möglichkeit eines Irrtums<br />

macht gera<strong>de</strong> das Signum <strong>de</strong>r Geschichtlichkeit und <strong>de</strong>r damit gegebenen Begrenztheit mensch-<br />

licher Existenz aus. Doch läßt sich darauf antworten, daß <strong>Jesu</strong>s sich in seiner Grundbefindlichkeit<br />

in unmittelbarer Einheit mit <strong>de</strong>m Vater, als <strong><strong>de</strong>s</strong>sen Sohn er sich wußte, erfuhr, doch sobald sich<br />

diese Gottunmittelbarkeit in die konkreten Fragen und Entscheidungen seiner menschlichen Exi-<br />

Vgl. z. B. L. Scheffczyk, Chalcedon heute. in: <strong>de</strong>rs., Glaube als <strong>Lebens</strong>inspiration. Einsie<strong>de</strong>ln 1980, 209-223; K. Rahner,<br />

8<br />

Probleme <strong>de</strong>r Christologie von heute, in: <strong>de</strong>rs., Schriften zur Theologie. Bd. I, Einsie<strong>de</strong>ln-Zürich-Köln 1967, 169-222, hier 198;<br />

<strong>de</strong>rs., <strong>Die</strong> Christologie innerhalb einer evolutiven Weltanschauung, in: <strong>de</strong>rs., Schriften zur Theologie. Bd. V, Einsie<strong>de</strong>ln-Zürich-<br />

3 Köln 1968, 183-221.<br />

K. Rahner, Dogmatische Erwägungen über das Wissen und Selbstbewußtsein Christi, in: <strong>de</strong>rs., Schriften zur Theologie. Bd. V,<br />

3<br />

Einsie<strong>de</strong>ln-Zürich-Köln 1968, 222-245, hier 227; auch bes. 233-238.<br />

5


stenz zu objektivieren hat, kann <strong>Jesu</strong>s neue und ihn herausfor<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>, selbst leidvolle Erfahrungen<br />

machen, wie z. B. die Stun<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> Ölgartens zeigt; in diesen Augenblicken kann <strong>Jesu</strong>s sogar An-<br />

fechtungen und <strong>Versuchungen</strong> erlei<strong>de</strong>n. 8<br />

Ein weiteres Problem, das sich mit <strong>de</strong>r Frage nach <strong>de</strong>m Selbstbewußtsein <strong>Jesu</strong> ergibt, ist mit <strong>de</strong>r<br />

Aussage <strong><strong>de</strong>s</strong> Hebräerbriefes verbun<strong>de</strong>n, daß <strong>Jesu</strong>s <strong>de</strong>r »Urheber und Vollen<strong>de</strong>r <strong><strong>de</strong>s</strong> Glaubens«<br />

(Hebr 12,2) ist. Matthäus wie Lukas betonen, daß <strong>Jesu</strong>s aufgrund seines Gehorsams <strong>de</strong>n Satan<br />

besiegt hat, und <strong>Jesu</strong>s glaubt in vollkommenem Gehorsam gegenüber seinem Vater, und sein Glau-<br />

9<br />

be geht über alles rein Vorbildhafte hinaus, vielmehr lebt er ihn in vollen<strong>de</strong>ter Gestalt , steht er<br />

doch in größter Unmittelbarkeit zu Gott. Und hier erweist sich Christus als »Vollen<strong>de</strong>r <strong><strong>de</strong>s</strong> Glau-<br />

bens«.<br />

Wenn es in 1 Petr 5,9 heißt: »Leistet <strong>de</strong>m Teufel Wi<strong>de</strong>rstand in <strong>de</strong>r Kraft <strong><strong>de</strong>s</strong> Glaubens!«, ist damit<br />

nicht gemeint, daß <strong>de</strong>r Mensch aus eigener Kraft diesen Kampf im Glauben aufbringen könnte,<br />

<strong>de</strong>nn dies wäre eine Überfor<strong>de</strong>rung, <strong>de</strong>r er nie ganz nachkommen könnte. Vielmehr fin<strong>de</strong>t, wer<br />

glaubt, in <strong>de</strong>r Gefolgschaft <strong>Jesu</strong> die nötige Kraft, die aus <strong>de</strong>r Bitte erwächst: »Ich glaube: hilf mei-<br />

nem Unglauben« (Mk 9,24). Bei aller »Drangsal in <strong>de</strong>r Welt« vertraut <strong>de</strong>r Glauben<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Verheißung<br />

<strong>Jesu</strong>: »Aber seid getrost, ich habe die Welt überwun<strong>de</strong>n« (Joh 16,33). Denn nur mit <strong>de</strong>r Waf-<br />

fenrüstung Gottes können wir <strong>de</strong>n Nachstellungen <strong><strong>de</strong>s</strong> Satans wi<strong>de</strong>rstehen (Eph 6,10-17).<br />

Im Neuen Testament ist die Macht <strong><strong>de</strong>s</strong> Bösen nicht mehr unterteilt in Satan, Beelzebul, Belial etc.,<br />

son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Böse wird als <strong>de</strong>r Feind schlechthin angesehen, <strong>de</strong>r »diabolos« <strong>de</strong>r ganzen Schöpfung.<br />

In <strong>Jesu</strong>s wird <strong>de</strong>utlich, was bzw. besser: wer <strong>de</strong>r Böse wirklich ist. Zugleich erweist sich <strong>Jesu</strong>s als<br />

<strong>de</strong>r Stärkere, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Satan besiegt, wie gera<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n Heilungen und Exorzismen <strong>de</strong>utlich wird.<br />

Wie Israel vierzig Jahre in <strong>de</strong>r Wüste war, so wird nun von <strong>Jesu</strong>s in <strong>de</strong>n vierzig Tagen <strong><strong>de</strong>s</strong> Fastens<br />

und Schweigens rekapituliert, in<strong>de</strong>m er wie Israel in <strong>de</strong>r Wüste am »Tag <strong>de</strong>r Versuchung« (Ps 95,8)<br />

von <strong>de</strong>n Mächten <strong><strong>de</strong>s</strong> Bösen bedrängt wird. Doch <strong>Jesu</strong>s lernt, »obwohl er Sohn war, aus <strong>de</strong>m, was<br />

er litt, <strong>de</strong>n Gehorsam« (Hebr 5,8). So führt er durch seinen Gehorsam das Reich <strong><strong>de</strong>s</strong> Vaters herauf.<br />

Der Sohn hat kein an<strong>de</strong>res Wollen als <strong>de</strong>r Vater, und dies verwirklicht sich auch in <strong>de</strong>r zusam-<br />

10<br />

mengesetzten Hypostase <strong><strong>de</strong>s</strong> Menschensohnes. Das Wollen <strong><strong>de</strong>s</strong> Sohnes als Gott ist göttlich,<br />

während das Wollen <strong><strong>de</strong>s</strong> Menschgewor<strong>de</strong>nen menschlich ist; doch er will an<strong>de</strong>rs als wir, nämlich<br />

nach Art und Weise <strong>de</strong>r Person <strong><strong>de</strong>s</strong> ewigen Sohnes. <strong>Die</strong> Einheit von göttlichem und menschlichem<br />

Wollen liegt nach Maximos Confessor auf <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>r Person, nicht <strong>de</strong>r Natur, <strong>de</strong>nn in Christus<br />

wird das menschliche Wollen zum Wollen <strong>de</strong>r göttlichen Person. Bei uns Menschen ist die Weise,<br />

wie wir <strong>de</strong>n Willen gebrauchen, durch die Sün<strong>de</strong> verkehrt, bei <strong>Jesu</strong>s hingegen ist sein menschliches<br />

Leben und Wollen ganz von seinem Sohnsein her bestimmt. <strong>Jesu</strong>s hat zwei Willen, aber <strong>de</strong>ren<br />

Subjekt ist seine göttliche Person: Er hat zwei Willen, aber es gibt nur einen Wollen<strong>de</strong>n.<br />

8<br />

9<br />

10<br />

Kritisch hierzu Ph. Kaiser, Das Wissen <strong>Jesu</strong> Christi in <strong>de</strong>r lateinischen (westlichen) Theologie, Regensburg 1981, 204-212; H.<br />

Riedlinger, Geschichtlichkeit und Vollendung <strong><strong>de</strong>s</strong> Wissens Christi. Freiburg-Basel-Wien 1966, 150-153.<br />

Vgl. A. Schmied, <strong>Jesu</strong>s als Glauben<strong>de</strong>r, in: Theologie <strong>de</strong>r Gegenwart 26 (1983) 58-63.<br />

Vgl. zu <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Ausführungen C. Schönborn, Gott sandte seinen Sohn. Christologie. Unter Mitarbeit von M. Konrad und<br />

H. Ph. Weber (=Amateca V<strong>II</strong>), Pa<strong>de</strong>rborn 2002, hier, 178ff.<br />

6


11<br />

12<br />

2. Klärungen <strong>de</strong>r frühen Kirche<br />

Das sechste ökumenische Konzil bzw. das dritte von Konstantinopel lehrt 681: »Auch wir ver-<br />

kün<strong>de</strong>n, daß gemäß <strong>de</strong>r Lehre <strong>de</strong>r heiligen Väter zwei natürliche Willen o<strong>de</strong>r Wollen und zwei natür-<br />

liche Wirkweisen ungetrennt, unverän<strong>de</strong>rt, ungeteilt und unvermischt in ihm (Christus) sind. <strong>Die</strong>se<br />

zwei natürlichen Willen sind einan<strong>de</strong>r nicht entgegengesetzt, wie die ruchlosen Irrlehrer sagten.<br />

Sein menschlicher Wille folgt vielmehr; er wi<strong>de</strong>rsteht o<strong>de</strong>r wi<strong>de</strong>rstrebt nicht. Er ist vielmehr seinem<br />

göttlichen und allmächtigen Willen unterworfen« (DH 556).<br />

Das <strong>II</strong>I. Konzil von Konstantinopel fragt nach <strong>de</strong>r menschlichen Wirklichkeit <strong><strong>de</strong>s</strong> Gottmenschen<br />

<strong>Jesu</strong>s Christus. In seinem Leben hatte <strong>Jesu</strong>s einen menschlichen Willen, nicht erst zur Stun<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

Ölgartens und <strong>de</strong>r Verlassenheit am Kreuz. Doch in seiner Hingabe »für die vielen« offenbart sich<br />

in seinem menschlichen Willen zugleich seine tiefe Einheit mit <strong>de</strong>m Willen <strong><strong>de</strong>s</strong> Vaters, aus <strong>de</strong>r uns<br />

das Heil gewirkt wird. Im Hintergrund <strong>de</strong>r Lehre <strong><strong>de</strong>s</strong> Konzils steht Maximos Confessor mit seiner<br />

Aussage: »So erfüllte <strong>de</strong>r Herr (durch sein Lei<strong>de</strong>n) als Mensch in Tat und Wahrheit in einem Ge-<br />

horsam ohne Übertretung, was er selber als Gott zur Erfüllung vorausbestimmt hat.« 11<br />

<strong>Die</strong> Monotheleten <strong>de</strong>uten die Worte im Ölgarten: »... nicht mein Wille geschehe, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r <strong>de</strong>i-<br />

ne« (Mt 26,39) so, daß <strong>Jesu</strong>s nur einen göttlichen Willen gehabt habe, während Maximus in die-<br />

sem Augenblick <strong>de</strong>r äußersten Erprobung <strong>de</strong>n höchsten Einklang von göttlichem und menschlichem<br />

Willen sieht, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Wille <strong>Jesu</strong> ist zugleich <strong>de</strong>r Wille <strong><strong>de</strong>s</strong> Vaters. Auch als Mensch mit freiem<br />

Willen erfüllt <strong>Jesu</strong>s einzig und allein <strong>de</strong>n göttlichen Willen, und darin liegt alle Erlösung <strong><strong>de</strong>s</strong> Men-<br />

schen begrün<strong>de</strong>t. Das Konzil von Konstantinopel hinwie<strong>de</strong>rum lehrt, daß <strong>de</strong>r menschliche Wille<br />

<strong>Jesu</strong> »seinem göttlichen und allmächtigen Willen unterworfen« gewesen sei, und macht damit kei-<br />

ne Aussage über die freie Selbstbestimmung <strong><strong>de</strong>s</strong> Menschen <strong>Jesu</strong>s. Doch in <strong>de</strong>r Lobre<strong>de</strong> auf Kaiser<br />

Konstantin IV. (gest. 685) ist die Re<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r »Unterordnung« unter <strong>de</strong>n göttlichen Willen als<br />

»Einklang«, wie es Maximos verstand, und nicht bloß als eine passive Bestimmung durch <strong>de</strong>n gött-<br />

lichen Willen.<br />

<strong>Die</strong> Grundaussage all <strong><strong>de</strong>s</strong>sen lautet, daß die Selbstbestimmung <strong><strong>de</strong>s</strong> menschlichen Willens nicht<br />

aufgehoben ist, wenn dieser Wille sich ganz <strong>de</strong>m göttlichen Willen unterwirft. Positiv formuliert<br />

heißt dies: Göttliche und menschliche Freiheit sind durchaus vereinbar, jedoch nicht im Sinne eines<br />

Nebeneinan<strong>de</strong>rs, <strong>de</strong>nn es gibt natürlicherweise einen unendlichen Abstand zwischen unge-<br />

schaffener und geschaffener Freiheit; aber bei<strong>de</strong> Willen sind keine zwei konkurrieren<strong>de</strong>n Größen,<br />

12<br />

liegen sie doch nicht auf gleicher Ebene. Der Monotheletismus hingegen sieht eine Konkurrenz<br />

zwischen menschlicher und göttlicher Freiheit, so daß er <strong>de</strong>n menschlichen Willen in <strong>Jesu</strong>s leugnen<br />

muß.<br />

<strong>Die</strong> Problematik <strong>de</strong>r Definition <strong><strong>de</strong>s</strong> Konzils von Chalzedon liegt darin, daß sie eine ontologische Aus-<br />

sage ist und die bei<strong>de</strong>n Naturen in Christus eher statisch in ihrer Wesenheit betrachtet; das <strong>II</strong>I.<br />

Maximos Confessor, Ambiguorum Liber 10,41 (PG 91,1309D).<br />

H. U. von Balthasar, Theodramatik. Bd. <strong>II</strong>/1, Einsie<strong>de</strong>ln 1976, 170-288.<br />

7


Konzil von Konstantinopel hingegen führt diese Aussage auf <strong>de</strong>r Ebene <strong><strong>de</strong>s</strong> Han<strong>de</strong>lns weiter, <strong>de</strong>nn<br />

wenn <strong>Jesu</strong>s wahrer Gott und wahrer Mensch ist, muß er auch einen wahren menschlichen Willen<br />

gehabt haben. In »Gaudium et spes« heißt es in diesem Sinn, <strong>de</strong>r ewige Sohn sei Mensch gewor-<br />

<strong>de</strong>n und habe »mit Menschenhän<strong>de</strong>n gearbeitet, mit menschlichem Geist gedacht, mit einem<br />

menschlichen Willen gehan<strong>de</strong>lt, mit einem menschlichen Herzen geliebt« (GS 22). <strong>Jesu</strong> mensch-<br />

liches Tun ist Gottes menschliches Tun.<br />

Da »unser Heil durch die göttliche Person auf menschliche Weise gewollt« und vollbracht wur<strong>de</strong>,<br />

ist in ihm die menschliche Freiheit wie<strong>de</strong>rhergestellt wor<strong>de</strong>n. So lehrt das <strong>II</strong>. Vatikanum: »<strong>Die</strong> wah-<br />

re Freiheit aber ist ein erhabenes Kennzeichen <strong><strong>de</strong>s</strong> Bil<strong><strong>de</strong>s</strong> Gottes im Menschen: Gott wollte nämlich<br />

<strong>de</strong>n Menschen 'in <strong>de</strong>r Hand seines Entschlusses lassen' (Sir 15,14), so daß er seinen Schöpfer aus<br />

eigenem Entscheid suche und frei zur vollen und seligen Vollendung in Einheit mit Gott gelange. <strong>Die</strong><br />

Wür<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> Menschen verlangt daher, daß er in bewußter und freier Wahl handle, das heißt<br />

personal, von innen bewegt und geführt und nicht unter blin<strong>de</strong>m innerem Drang o<strong>de</strong>r unter bloßem<br />

äußerem Zwang« (GS 17).<br />

13<br />

14<br />

Thomas von Aquin, Summe Theologiae <strong>II</strong>I, q 43.<br />

3. <strong>Die</strong> Aussagen <strong><strong>de</strong>s</strong> Thomas von Aquin<br />

Der Versuchungsbericht wird in <strong>de</strong>n Christologien alter wie neuer Provenienz kaum bedacht, vor<br />

allem wegen <strong><strong>de</strong>s</strong> nur schwer ergrün<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Hintergrun<strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>de</strong>r chalcedonischen Lehre von <strong>de</strong>r<br />

Menschheit und Gottheit Christi. Thomas hingegen be<strong>de</strong>nkt die <strong>Versuchungen</strong> <strong>Jesu</strong> in einer ei-<br />

13<br />

genen Quaestio. Den inneren Heilssinn dieser Perikope sieht er in zweifacher Weise gegeben. Zum<br />

einen lehrt sie uns, daß je<strong>de</strong>r Mensch, selbst <strong>de</strong>r Heiligste, mit <strong>Versuchungen</strong> zu rechnen hat;<br />

durch das Beispiel <strong>Jesu</strong> lernen wir, wie wir sie überwin<strong>de</strong>n können. Zum an<strong>de</strong>ren legt Thomas von<br />

Aquin unter Rückgriff auf zahlreiche Kirchenväter dar, daß die Versuchung in einem inneren<br />

Zusammenhang mit <strong>de</strong>r Menschwerdung und Kreuzigung <strong>Jesu</strong> zu sehen ist.<br />

Thomas betont: <strong>Jesu</strong>s hatte eine eigene Vernunft, eine eigene Seele, einen eigenen Leib, aber<br />

14<br />

ebenso einen eigenen Willen. Er verwen<strong>de</strong>t hierzu einen Vergleich: Ein Sachgegenstand wie ein<br />

Werkzeug ist unabhängig von <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r es benutzt, doch aus sich heraus unselbständig; ganz an-<br />

<strong>de</strong>rs bei einem Propheten, <strong>de</strong>r ohne die ihn inspirieren<strong>de</strong> Erstursache kein Prophet wäre. So ist <strong>de</strong>r<br />

Wille <strong><strong>de</strong>s</strong> Menschen <strong>Jesu</strong>s in <strong>de</strong>mselben Maß eigenwirksam, als er sich <strong>de</strong>m Willen Gottes als Erst-<br />

ursache übereignet. In diesem Sinn haben alle Vollzüge <strong><strong>de</strong>s</strong> Menschen <strong>Jesu</strong>s gera<strong>de</strong> dadurch ihre<br />

heilwirksame Kraft, daß sie in Christus als <strong>de</strong>m Sohn Gottes grün<strong>de</strong>n.<br />

<strong>Jesu</strong> Leben ist nämlich keineswegs nur Vorbild, son<strong>de</strong>rn Gna<strong>de</strong>, <strong>de</strong>nn <strong>Jesu</strong>s han<strong>de</strong>lt als Mittler,<br />

A. Hoffmann, DthA 26: Des Menschensohnes Sein, Mittleramt und Mutter (Sth <strong>II</strong>I, 16-34). Hei<strong>de</strong>lberg 1957, 460-473; T.<br />

Marschler, Auferstehung und Himmelfahrt Christi in <strong>de</strong>r scholastischen Theologie bis zu Thomas von Aquin. Münster 2003, 168-<br />

210.<br />

8


15<br />

nicht nur als Mittel. <strong>Die</strong> Menschheit Christi ist das »Ursakrament« Gottes. Wer glaubt, wird je-<br />

doch in <strong>Jesu</strong> Menschheit und in je<strong><strong>de</strong>s</strong> Details seines <strong>Lebens</strong> und Wirkens einbezogen: »Denn wer<br />

in <strong>de</strong>r einzelnen Tat o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m einzelnen Wort <strong>Jesu</strong> ein Geschenk erkennt, das er nicht nur empfan-<br />

gen, son<strong>de</strong>rn auf je eigene Weise auch geben kann, nimmt teil an <strong>de</strong>r Sakramentalität <strong>de</strong>r mensch-<br />

lichen Natur <strong><strong>de</strong>s</strong> Erlösers. Wenn man beachtet, daß die von Paulus als Leib beschriebene Kirche<br />

<strong>de</strong>m Logos nicht hypostatisch geeint ist, darf man sie aus <strong>de</strong>r Sicht <strong><strong>de</strong>s</strong> Aquinaten als das Ereignis<br />

16<br />

unserer Teilnahme am Inkarnationsgeschehen beschreiben.« In diesem Sinn können wir beispiels-<br />

weise sogar »ergänzen«, was an <strong>de</strong>n Lei<strong>de</strong>n Christi noch aussteht. Deshalb soll es nun um die Fra-<br />

ge gehen, was die Tatsache, daß <strong>Jesu</strong>s versucht wor<strong>de</strong>n ist, für unser eigenes Leben im Glauben<br />

be<strong>de</strong>utet.<br />

15<br />

16<br />

T. Marschler, Auferstehung und Himmelfahrt Christi, 182.<br />

<strong>II</strong>I. <strong>Die</strong> Be<strong>de</strong>utung für das Leben im Glauben<br />

Christliches Leben ist nicht unmittelbar gleichzusetzen mit einem Glaubensbekenntnis o<strong>de</strong>r einer<br />

Kirchenzugehörigkeit, vielmehr steht alles zunächst und vor allem - so wenigstens die Auffassung<br />

<strong>de</strong>r frühen Mönche - unter <strong>de</strong>r alles entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Frage: »Wie wer<strong>de</strong> ich gerettet?« <strong>Die</strong>se Frage<br />

veranlaßt die frühen Väter <strong>de</strong>r Wüste, sich aus <strong>de</strong>r »Welt« zurückzuziehen, um <strong>de</strong>n Kampf mit <strong>de</strong>m<br />

Bösen und <strong>de</strong>n »Mächten« und »Gewalten« auf sich zu nehmen. Der Kampf, um <strong>de</strong>n es hier geht,<br />

ist ein »geistiger« Kampf, aber hinter ihm steht eine sehr konkrete Wirklichkeit, die zu erfahren als<br />

Grundlage je<strong><strong>de</strong>s</strong> geistlichen <strong>Lebens</strong> und Tuns zu gelten hat. So ringen die alten Mönchsväter um<br />

<strong>de</strong>n Weg <strong><strong>de</strong>s</strong> Heiles und die Rettung ihres <strong>Lebens</strong> und legen Zeugnis ab von <strong>de</strong>r Kraft <strong><strong>de</strong>s</strong> Glau-<br />

bens. <strong>Die</strong> Wüste ist kein Ort stiller und beschaulicher Zurückgezogenheit, son<strong>de</strong>rn ein Ort <strong><strong>de</strong>s</strong> Glau-<br />

bens und seiner Bezeugung.<br />

1. <strong>Die</strong> wahre »Askese« <strong><strong>de</strong>s</strong> Glaubens<br />

Es gibt heute eine Flut von Erbauungsbüchern und geistlichen Schriften; Exerzitien und Besin-<br />

nungstage wer<strong>de</strong>n in Hülle und Fülle angeboten, Vorträge und Anregungen über Internet, Funk und<br />

Fernsehen sind so zahlreich wie noch nie. Aber bei all <strong>de</strong>m läßt sich die Frage nicht verdrängen, ob<br />

darüber nicht eine wesentliche Erfahrung verlorengegangen ist, die für die Wüstenväter und ihre<br />

Spiritualität entschei<strong>de</strong>nd gewesen ist. Gewiß, die frühen Mönche bieten keine wissenschaftliche<br />

Aszetik, sie geben keine Erbauungsliteratur mit Weisheitssprüchen und frommen Meditationen, aber<br />

sie üben sich konkret und praktisch mit ihren Weisungen in <strong>de</strong>n neuen Weg <strong><strong>de</strong>s</strong> Glaubens ein, um<br />

die »Reinheit <strong><strong>de</strong>s</strong> Herzens« zu gewinnen. <strong>Die</strong>se Einübung nennen die Väter <strong>de</strong>r Wüste »Askese«.<br />

K.-H. Menke, <strong>Jesu</strong>s ist Gott <strong>de</strong>r Sohn. Denkformen und Brennpunkte <strong>de</strong>r Christologie, Regensburg 2008, 488.<br />

9


Aber wo und wie wird heute dieser geistliche Weg einzuüben sein? <strong>Die</strong>se Frage läßt H. Bacht im<br />

Blick auf die heutige geistliche Literatur und die verschie<strong>de</strong>nen mo<strong>de</strong>rnen Meditations- und Ver-<br />

senkungstechniken schreiben: »Daß dabei in praxi die entsprechen<strong>de</strong>n Bemühungen oft nur kurz-<br />

lebiges Strohfeuer sind, liegt daran, daß zumeist eine <strong>de</strong>r grundlegen<strong>de</strong>n Einsichten im Umgang mit<br />

<strong>de</strong>n höheren Weisen <strong><strong>de</strong>s</strong> religiösen Erlebens, d. h. <strong>de</strong>r Mystik, nicht 'realisiert' wird - nämlich die,<br />

daß es nirgend in <strong>de</strong>r Welt echte mystische Erfahrung gibt ohne eine vorgängige ernsthafte und<br />

mühsame asketische Anstrengung. Zu Recht wur<strong>de</strong> noch unlängst einem bekannten Theologen<br />

nach einem Vortrag zum Thema 'Meditation als Weg zur <strong>Lebens</strong>meisterung' von einem sachkun-<br />

digen Zuhörer entgegengehalten, daß er zu unbedachtsam in seinem Auditorium die trügerische<br />

Erwartung geweckt habe, als ob dieses asketische Grundgesetz heutigentages außer Kraft gesetzt<br />

sei. Evagrios je<strong>de</strong>nfalls, wie auch die Mönchsväter jener Aufbruchszeit, <strong>de</strong>ren Erfahrungen er<br />

reflektierte, haben ihre Gesprächspartner keinen Augenblick darüber im Unklaren gelassen, daß die<br />

Erreichung <strong>de</strong>r 'Beschauung' nur jenen sich öffnet, die zunächst auf <strong>de</strong>m Weg <strong><strong>de</strong>s</strong> tätigen Bemü-<br />

hens, <strong>de</strong>r 'Praktiké', bis zur 'Apátheia', d. h. zur Lei<strong>de</strong>nschaftslosigkeit und völligen Gelassenheit<br />

gelangt sind.« 17<br />

Was H. Bacht anspricht, heißt kurz gesagt: Es gibt keine Mystik ohne Askese - und kein Schauen<br />

Gottes ohne vorheriges Einüben in die Wege <strong>de</strong>r Nachfolge, <strong><strong>de</strong>s</strong> Gebetes und <strong><strong>de</strong>s</strong> Schweigens. Das<br />

haben die frühen Mönchsväter gewußt, <strong><strong>de</strong>s</strong>halb haben sie sich die Wüste als Rüstkammer ihres<br />

geistlichen <strong>Lebens</strong> gewählt. Je höher <strong>de</strong>r Mensch zu Gott aufsteigt, um so mehr bedarf er <strong>de</strong>r Rei-<br />

nigung! Wie schmerzvoll dieser Reinigungsprozeß ist, bezeugt Abbas Agathon: Als er einmal von<br />

Brü<strong>de</strong>rn gefragt wur<strong>de</strong>, was wohl die schwierigste Aufgabe <strong><strong>de</strong>s</strong> Mönches sei, antwortete dieser:<br />

Das schwierigste Werk <strong><strong>de</strong>s</strong> Mönches ist das Gebet. Bei je<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Askese, die <strong>de</strong>r Mönch übt,<br />

kommt er irgendwie zu einer gewissen Ruhe und Zufrie<strong>de</strong>nheit; aber das Gebet for<strong>de</strong>rt einen harten<br />

18<br />

Kampf bis zum letzten Atemzug.<br />

17<br />

18<br />

2. Leben im Glauben - ein »Kampf?<br />

<strong>Die</strong>se Vorstellung überrascht, zumal die ihr zugrun<strong>de</strong>liegen<strong>de</strong> Erfahrung heute ganz in <strong>de</strong>n Hin-<br />

tergrund gerückt zu sein scheint. Was ist unter diesem geistlichen Kampf bei <strong>de</strong>n Vätern ver-<br />

stan<strong>de</strong>n wor<strong>de</strong>n? Um die Be<strong>de</strong>utung <strong><strong>de</strong>s</strong> Kampfes mit <strong>de</strong>n »Dämonen« und <strong>de</strong>m Teufel recht zu<br />

erfassen, ist zu betonen, daß die Dämonen nicht rein psychische o<strong>de</strong>r psychologisch erklärbare<br />

Kräfte im Menschen sind. - Vielmehr spiegelt sich in <strong>de</strong>r Re<strong>de</strong> von Dämonen das wi<strong>de</strong>r, was das<br />

Drama <strong>de</strong>r Heilsgeschichte ausmacht, nämlich <strong>de</strong>r Kampf zwischen Himmel und Hölle, Engel und<br />

Dämonen, Macht <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong> und Macht <strong><strong>de</strong>s</strong> Bösen.<br />

H. Bacht, Euagrios Pontikos, in: G. Ruhbach / J. Sudbrack (Hgg.), Große Mystiker. Leben und Wirken, München 1984, 36-50,<br />

hier 42.<br />

Weisung <strong>de</strong>r Väter. Apophthegmata Patrum. Hrsg. von B. Miller, Freiburg 1965, hier Nr. 91.<br />

10


<strong>Die</strong> schaurigen Dämonenkämpfe, die Athanasius aus <strong>de</strong>m Leben <strong><strong>de</strong>s</strong> Antonios beschreibt und die<br />

meist bekannt sind durch die Darstellungen in <strong>de</strong>r Kunst, lassen sich nicht psychologisieren o<strong>de</strong>r -<br />

wie das früher eher <strong>de</strong>r Fall war - einseitig objektivieren: »Nach Athanasios spielt sich das alles in<br />

einem eigentümlichen Zwischenbereich ab, auf einer Wirklichkeitsebene, die we<strong>de</strong>r rein 'psychisch'<br />

ist noch 'real' in <strong>de</strong>m Sinne, daß die Phänomene völlig unabhängig von <strong>de</strong>r Psyche wären.« 19<br />

Im Kampf mit <strong>de</strong>n Dämonen zeigt sich, was im Herzen <strong><strong>de</strong>s</strong> Menschen verborgen liegt und was sein<br />

Herz selber ist: <strong>de</strong>r Kampfplatz, auf <strong>de</strong>m sich das Drama <strong>de</strong>r Heilsgeschichte abspielt und die Welt<br />

sich als »neue Schöpfung« erhebt. Vor diesem Kampf braucht <strong>de</strong>r Christ keine Angst zu haben,<br />

wenn er sich nur an Christus hält; <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Glaube und das Vertrauen auf <strong>de</strong>n Herrn besiegen das<br />

Böse.<br />

19<br />

20<br />

3. Der Kampf mit <strong>de</strong>n Einre<strong>de</strong>n<br />

Wer zu <strong>de</strong>n Vätern <strong>de</strong>r Wüste in die Schule geht und die Begegnung mit ihnen sucht, wird nicht<br />

gefragt: »Welche geistliche Übungen verrichtest du? Kannst du gut beten? Hältst du <strong>de</strong>ine Ein-<br />

kehrzeiten ein? Empfängst du auch regelmäßig die Sakramente?« Das alles scheint die frühen<br />

Mönchsväter zunächst gar nicht zu interessieren. Sie stellen ihre Fragen ganz an<strong>de</strong>rs: »Wie hast du<br />

dich gefühlt, als du <strong>de</strong>inem Erzfeind heute begegnet bist? Wie war es, als das Postfach heute leer<br />

geblieben ist? Wie hast du reagiert, als <strong>de</strong>in Mitbru<strong>de</strong>r dich nicht gegrüßt hat? Wie hast du es<br />

empfun<strong>de</strong>n, als das Essen kalt auf <strong>de</strong>n Tisch kam?...« Nicht an<strong>de</strong>rs war es auch bei <strong>de</strong>n Versu-<br />

chungen <strong>Jesu</strong>; er hatte mit <strong>de</strong>n konkreten »Einre<strong>de</strong>n« zu kämpfen, die ihn von seinem Weg abbrin-<br />

gen sollten.<br />

Wer die abendländische Tradition <strong>de</strong>r Spiritualitätsgeschichte und ihre geistliche Praxis kennt, weiß,<br />

daß solche Fragen, wie sie die Wüstenväter stellen, ganz an<strong>de</strong>rer Art sind, als es sich vom Ansatz<br />

einer Spiritualität <strong>de</strong>r Westkirche her nahelegt. <strong>Die</strong> Väter <strong>de</strong>r Wüste scheinen an <strong>de</strong>n frommen und<br />

geistlichen Übungen zunächst gar kein Interesse zu haben, vielmehr richten sie ihre Auf-<br />

merksamkeit auf etwas ganz an<strong>de</strong>res, nämlich auf die »Gedanken«, die Logismoi.<br />

Es stellt sich die Frage, warum die Mönche damals gera<strong>de</strong> in die Wüste zogen und sie als Ort ihrer<br />

20<br />

Nachfolge auswählten. Drei Grün<strong>de</strong> lassen sich dafür anführen , nämlich die biblische Sicht <strong>de</strong>r<br />

Wüste als Ort <strong>de</strong>r Erwählung und <strong><strong>de</strong>s</strong> Bun<strong><strong>de</strong>s</strong>, die damaligen Vorstellungen <strong><strong>de</strong>s</strong> zeitgenössischen<br />

Hellenismus von <strong>de</strong>r Wüste als <strong>de</strong>m i<strong>de</strong>alen Ort eines gesun<strong>de</strong>n und zurückgezogenen <strong>Lebens</strong>, wie<br />

auch die religiös-mythische Deutung <strong>de</strong>r Wüste als Bereich <strong><strong>de</strong>s</strong> To<strong><strong>de</strong>s</strong> und <strong>de</strong>r lebensbedrohen<strong>de</strong>n<br />

Gefahr.<br />

G. und Th. Sartory (Hgg.), <strong>Lebens</strong>hilfe aus <strong>de</strong>r Wüste. <strong>Die</strong> alten Mönchsväter als Therapeuten. Freiburg 1980, 29.<br />

Vgl. hierzu A. Guillaumont, <strong>Die</strong> Wüste im Verständnis <strong>de</strong>r ägyptischen Mönche, in: GuL 54 (1981) 121-137, hier 122f.<br />

11


21<br />

22<br />

23<br />

24<br />

Vgl. Philon von Alexandrien, De <strong>de</strong>calogo 2.<br />

Vgl. Philon von Alexandrien, De vita contemplativa 22-23.<br />

Klemens von Alexandrien, Padagog. <strong>II</strong>,10,112.<br />

Origenes, Homilien zu Lukas, cap. XI, 3-4.<br />

4. <strong>Die</strong> Wüste als Ort <strong>de</strong>r Erwählung<br />

In <strong>de</strong>r Heiligen Schrift fin<strong>de</strong>t sich im Alten Testament eine Auffassung von <strong>de</strong>r Wüste, die als<br />

»i<strong>de</strong>alistisch« wie auch als »mystisch« bezeichnet wer<strong>de</strong>n kann. Auf <strong>de</strong>m Weg durch die Wüste<br />

wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Bund Gottes mit seinem Volk geschlossen. Obwohl dieser Bund immer wie<strong>de</strong>r durch die<br />

Untreue Israels gebrochen wur<strong>de</strong>, bleibt Gott seinem Volk gegenüber treu. Am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Zeiten<br />

wird er sein Volk in die Wüste zurückführen: »Darum will ich selbst sie verlocken. Ich will sie in die<br />

Wüste hinausführen und sie umwerben« (Hos 2,16), <strong>de</strong>nn die Wüste ist <strong>de</strong>r Ort <strong>de</strong>r ersten Liebe:<br />

»Ich <strong>de</strong>nke an <strong>de</strong>ine Jugendtreue, an die Liebe <strong>de</strong>iner Brautzeit, wie du mir in <strong>de</strong>r Wüste gefolgt<br />

bist, im Land ohne Aussaat« (Jer 2,2-3).<br />

Außer <strong>de</strong>r biblischen Sicht <strong>de</strong>r Wüste sind für die frühen Mönchsväter auch die zeitgenössischen<br />

Vorstellungen <strong><strong>de</strong>s</strong> Hellenismus bestimmend gewor<strong>de</strong>n. Mit Judas von Alexandrien führt z. B. Philon<br />

in seiner Schrift »Über <strong>de</strong>n Dekalog«» aus, wie Gott sein Gesetz <strong>de</strong>m Volk Israel »tief in <strong>de</strong>r<br />

Wüste« gab, »weil die meisten Städte voll von unzähligen Übeln sind, von Freveln gegen die<br />

Gottheit wie von Verbrechen <strong>de</strong>r Menschen gegeneinan<strong>de</strong>r«. 21<br />

Nach Philons Ansicht sind die Städte nicht nur wegen <strong>de</strong>r moralisch und sittlich schlechten<br />

<strong>Lebens</strong>weise ihrer Einwohner zu mei<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn wegen <strong>de</strong>r verschmutzten Luft, sie macht ein<br />

Leben in <strong>de</strong>r Stadt ungesund. Deshalb haben sich die Therapeuten von Alexandrien an Orte bege-<br />

ben, die einen »sehr gesun<strong>de</strong>n klimatischen Zustand« aufwiesen und wo die Luft sauber und leicht<br />

war.« 22<br />

Mit diesem Gedanken verschiebt sich die traditionelle Sichtweise <strong>de</strong>r Wüste. Sie ist nicht mehr <strong>de</strong>r<br />

Ort <strong>de</strong>r Läuterung und <strong><strong>de</strong>s</strong> Bun<strong><strong>de</strong>s</strong>schlusses, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Bund zwischen Gott und seinem<br />

auserwählten Volk wird <strong><strong>de</strong>s</strong>halb in <strong>de</strong>r Wüste geschlossen, weil diese ein reiner und sauberer Ort<br />

ist: <strong>Die</strong> Wüste gewinnt bei Philon einen quasi absoluten Wert. Gera<strong>de</strong> um die Zeitenwen<strong>de</strong> kam es<br />

in <strong>de</strong>r hellenistischen Mystik zu einer romantischen Sehnsucht nach Einsamkeit und Zurück-<br />

gezogenheit: Viele sind mü<strong>de</strong> und enttäuscht vom Leben in <strong>de</strong>r Stadt und suchen nun abgelegene<br />

Orte auf, um ein gesun<strong><strong>de</strong>s</strong> Leben zu führen, o<strong>de</strong>r sie leben in <strong>de</strong>n Trümmern alter ägyptischer<br />

Tempel, in <strong>de</strong>nen sie sich göttliche Schauungen erhoffen.<br />

Das Bild von <strong>de</strong>r Wüste, das <strong>de</strong>r damalige Hellenismus zeichnete, fin<strong>de</strong>t sich in wesentlichen Zügen<br />

auch bei <strong>de</strong>n frühen christlichen Autoren. So sagt zum Beispiel Klemens von Alexandrien über<br />

Johannes <strong>de</strong>n Täufer, <strong>de</strong>n Prototyp <strong><strong>de</strong>s</strong> Anachoreten: »In <strong>de</strong>r Wüste genoß <strong>de</strong>r Täufer das<br />

23<br />

ruhevolle Leben <strong>de</strong>r Einsamkeit.« In gleicher Weise heißt es bei Origenes: »Johannes <strong>de</strong>r Täufer<br />

floh <strong>de</strong>n Lärm <strong>de</strong>r Städte und ging in die Wüste, wo die Luft reiner ist und <strong>de</strong>r Himmel weiter offen<br />

steht und Gott näher und vertrauter ist.« 24<br />

12


Es ist nicht allein <strong>de</strong>r gesundheitliche Wert, <strong>de</strong>r die Wüste für die damaligen Schriftsteller so an-<br />

ziehend machte. Vielmehr möchte sich <strong>de</strong>r Weise in die Einsamkeit zurückziehen, um so <strong>de</strong>r Masse<br />

und <strong>de</strong>r Menge <strong>de</strong>r Menschen zu entgehen und Zeit und Stille zu haben für Studium und<br />

Meditation, die das Hauptziel <strong>de</strong>r damaligen Rückzugsbewegung in die Wüste sind. Das griechische<br />

Wortspiel von »er�mia« (= Wüste) und »�r�mia« (= Ruhe und Stille) bekommt nun seine ihm<br />

eigene Be<strong>de</strong>utung, wie z. B. bei Klemens von Alexandrien: »Johannes floh von <strong>de</strong>r Hoffart <strong>de</strong>r<br />

Städte und ging in die Wüste, um in <strong>de</strong>r Stille <strong>de</strong>r Wüste für Gott zu leben.« 25<br />

Das i<strong>de</strong>alisieren<strong>de</strong> Bild von <strong>de</strong>r Wüste und einem Leben in Zurückgezogenheit und Stille, wie<br />

Hieronymus es wie<strong>de</strong>rgibt, bleibt für Jahrhun<strong>de</strong>rte programmatisch - bis in die Kunst und Literatur,<br />

wo es immer wie<strong>de</strong>r dargestellt und festgehalten wird. Nach<strong>de</strong>m Hieronymus Rom verlassen hatte,<br />

zog er sich in die Wüste von Chalkis zurück. Hier ist auch <strong>de</strong>r Brief an seinen Freund Heliodor<br />

entstan<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r eine Werbeschrift für die Wüste darstellt:<br />

»O Wüste, die du dich zeigst in <strong>de</strong>r Frühlingspracht <strong>de</strong>r Blumen Christi! O heilige Einsamkeit, in <strong>de</strong>r<br />

die Steine wachsen, aus <strong>de</strong>nen nach <strong>de</strong>n Worten <strong>de</strong>r Apokalypse die Stadt <strong><strong>de</strong>s</strong> großen Königs<br />

erbaut wird (Apg 21,18 ff)! O verlassene Stätte, in <strong>de</strong>r man sich <strong><strong>de</strong>s</strong> vertrauteren Umgangs mit<br />

Gott erfreut! Was willst du, mein Bru<strong>de</strong>r, in <strong>de</strong>r Welt, <strong>de</strong>r du erhaben über <strong>de</strong>r Welt stehst? Wie<br />

lange soll <strong>de</strong>r Häuser Schatten auf dich drücken? Wie lange soll dich <strong>de</strong>r rauchgeschwängerte<br />

Kerker dieser Städte festhalten? Glaube mir, ich weiß nicht, was ich allein an Tageshelle hier mehr<br />

genieße. Hier kann man sich <strong>de</strong>r Bür<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> Körpers entledigen und sich zum reinen Glanz <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

Äthers emporschwingen.« 26<br />

Was Hieronymus hier preist, hat er selber nur für kurze Zeit genossen; schon nach einigen Monaten<br />

verließ er die so beglücken<strong>de</strong> Einsamkeit, um nach Antiochien zurückzukehren.<br />

27<br />

In seinem »Leben <strong><strong>de</strong>s</strong> heiligen Paulus, <strong><strong>de</strong>s</strong> ersten Einsiedlers« , entwirft Hieronymus das Bild von<br />

<strong>de</strong>r »blühen<strong>de</strong>n Wüste«, das schon bald in <strong>de</strong>r Literatur <strong>de</strong>r Wüstenväter eine immer größere<br />

Be<strong>de</strong>utung erhält: Vor <strong>de</strong>r Höhle <strong><strong>de</strong>s</strong> Einsiedlers ein Palmbaum, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Einsiedler mit seinem<br />

Schatten vor <strong>de</strong>r heißen Sonne schützt, in <strong>de</strong>r Nähe eine reine Quelle, aus <strong>de</strong>r er trinkt, und Tiere,<br />

die <strong>de</strong>m Menschen nichts antun. Und wie Hieronymus <strong>de</strong>n Alten besucht, kommt zur Essenszeit<br />

ein Rabe, <strong>de</strong>r Brot bringt, worauf Paulus erklärt, daß <strong>de</strong>r Rabe schon seit 60 Jahren vom Himmel<br />

her ein halbes Brot bringt; aber an diesem Tag habe er wegen <strong><strong>de</strong>s</strong> Gastes die Ration verdoppelt.<br />

Nun wird die Wüste zu jenem Ort, wo Gott wahrhaft wie in einem Tempel ruht und gegenwärtig<br />

ist.<br />

25<br />

26<br />

27<br />

Klemens von Alexandrien, Paedagog. <strong>II</strong>,10,112.<br />

Hieronymus, ep. 14,1.<br />

Hieronymus, Vita Pauli.<br />

13


28<br />

29<br />

30<br />

31<br />

Vgl. A. Guillaumont, <strong>Die</strong> Wüste, 128ff.<br />

Johannes Cassian, Conl. 18,6.<br />

Vita Antonii 8.<br />

Hieronymus, ep. 14,10.<br />

5. <strong>Die</strong> Wüste als Ort <strong>de</strong>r Bedrohung<br />

Das Bild von <strong>de</strong>r Wüste, das damals die an Bibel o<strong>de</strong>r hellenistischer Philosophie geschulten Lite-<br />

raten zeichneten, unterschei<strong>de</strong>t sich wesentlich von <strong>de</strong>r religiös-mythischen Deutung <strong>de</strong>r Wüste,<br />

die für die Wüstenväter bestimmend wird. Für diese ist die Wüste nicht <strong>de</strong>r paradiesische Ort <strong>de</strong>r<br />

28<br />

Ruhe und Stille, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Bereich <strong><strong>de</strong>s</strong> To<strong><strong>de</strong>s</strong> und <strong>de</strong>r lebensbedrohen<strong>de</strong>n Gefahr. <strong>Die</strong>se Sicht<br />

<strong>de</strong>r Wüste fin<strong>de</strong>t sich schon bei <strong>de</strong>n alten Semiten und in einzelnen Schriften <strong>de</strong>r Bibel, vor allem<br />

bei <strong>de</strong>n Ägyptern: In <strong>de</strong>r Wüste sind die Gräber <strong>de</strong>r Verstorbenen, aus <strong>de</strong>r Wüste überfallen dun-<br />

kelhäutige Noma<strong>de</strong>n wie auch gefährliche Tiere immer wie<strong>de</strong>r das Land, und in <strong>de</strong>n Ruinen <strong>de</strong>r<br />

Tempelanlagen, die über die Wüste verstreut waren, hausen böse Geister und Dämonen.<br />

<strong>Die</strong> Wüste als ein Ort <strong><strong>de</strong>s</strong> Schreckens und <strong><strong>de</strong>s</strong> To<strong><strong>de</strong>s</strong>: dieses Bild zeigt sich auch bei <strong>de</strong>n Autoren<br />

<strong>de</strong>r frühen Mönchstradition. So beschreibt die »Vita Antonii« <strong><strong>de</strong>s</strong> Athanasius die Wüste als <strong>de</strong>n<br />

Ort, an <strong>de</strong>m die Dämonen <strong>de</strong>n Eremiten, <strong>de</strong>r sich in ein Grab eingeschlossen hat, heimsuchen;<br />

je<strong>de</strong>m neuen Fortschritt im geistlichen Leben <strong><strong>de</strong>s</strong> Eremiten geht ein neuer Angriff <strong>de</strong>r Dämonen<br />

voraus. <strong>Die</strong>ser Dämonenkampf <strong><strong>de</strong>s</strong> Asketen in <strong>de</strong>r Wüste erinnert die damaligen Christen an die<br />

Versuchungsgeschichte <strong>Jesu</strong>, wo es heißt, daß <strong>de</strong>r Geist <strong>Jesu</strong>s in die Wüste führt, »damit er vom<br />

Teufel versucht wer<strong>de</strong>« (Mt 4,1). Der Sieg Christi über <strong>de</strong>n Teufel ist <strong>de</strong>r Anfang seines Erlö-<br />

sungswerkes. Wie Christus kämpft auch <strong>de</strong>r Mönch mit <strong>de</strong>m Bösen, »im offenen Kampf und ohne<br />

29<br />

Tarnung« tritt er <strong>de</strong>m Dämon in <strong>de</strong>r Wüste entgegen und erweist sich so als wahrer »Soldat<br />

Christi« (miles Christi).<br />

<strong>Die</strong>se eigenartige Sicht von <strong>de</strong>r Wüste for<strong>de</strong>rt ihre Erklärung, die kurz gesagt folgen<strong>de</strong> ist: Durch<br />

das Kommen Christi hatte <strong>de</strong>r Teufel auf einmal keinen Ort mehr, an <strong>de</strong>m er herrschen konnte;<br />

einzig die ö<strong>de</strong> und menschenleere Wüste blieb ihm noch. Wie nun die Asketen in die Wüste<br />

30<br />

eindringen, fürchtet er, »daß Antonius mit <strong>de</strong>r Askese auch noch die Wüste anfüllt« und daß mit<br />

ihm die Scharen <strong>de</strong>r Mönche <strong>de</strong>n Teufel aus seinem ureigenen Herrschaftsbereich verdrängen. So<br />

geschieht es, <strong>de</strong>nn so viele Mönche kommen in die Wüste, daß sie eine »Stadt« gewor<strong>de</strong>n ist<br />

(<strong><strong>de</strong>s</strong>ertum civitas) und ein »fruchtbares Land«. Was Jesaja verheißen hat, nämlich »die Wüste wird<br />

blühen« (Jes 35,1), erfüllt sich, wie Hieronymus bemerkt: »<strong>Die</strong> Wüste begann zu blühen.« 31<br />

<strong>Die</strong> Wüste als Ort <strong><strong>de</strong>s</strong> Bösen, diese Sichtweise hat viele Parallelen in heidnischen Vorstellungen,<br />

aber sie ist selbst <strong>de</strong>r Heiligen Schrift nicht ganz fremd. Auch von <strong>Jesu</strong>s heißt es, daß er in <strong>de</strong>r<br />

Wüste vom Bösen versucht wur<strong>de</strong> (Mt 4,1), und die Dämonen, die er austreibt, fliehen in die<br />

Wüste, um dort zu bleiben (Mt 12,43; Lk 11,24). Wenn die Bibel in <strong>de</strong>nselben Bil<strong>de</strong>rn spricht, mag<br />

dies für die frühen Christen viele Anklänge gehabt haben an Vorstellungen ihrer damaligen Umwelt.<br />

Durch das Christentum erfährt die Deutung <strong>de</strong>r Wüste als Ort <strong><strong>de</strong>s</strong> Bösen und Dämonischen eine<br />

14


wesentliche Korrektur. Der antike Hei<strong>de</strong> fürchtete die Dämonen und mied die Wüste, <strong>de</strong>r Christ<br />

hingegen nimmt bewußt <strong>de</strong>n Weg in die Wüste auf sich, um mit seinen Fein<strong>de</strong>n zu kämpfen. Darin<br />

wird <strong>de</strong>utlich, daß für die Väter <strong>de</strong>r Wüste nicht Motive <strong><strong>de</strong>s</strong> damaligen heidnischen Asketentums<br />

maßgeblich sind. Sie fliehen die Welt nicht, um in Einsamkeit und Ruhe ein Leben <strong>de</strong>r Vertrautheit<br />

mit Gott zu führen, vielmehr stellen die Anachoreten ihr Leben in einen großen theologischen Zu-<br />

sammenhang: »Denn wir haben nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen, son<strong>de</strong>rn<br />

gegen die Fürsten und Gewalten, gegen die Beherrscher dieser finsteren Welt, gegen die bösen Gei-<br />

ster <strong><strong>de</strong>s</strong> himmlischen Bereichs« (Eph 6,12). Christus hat durch sein Erlösungswerk <strong>de</strong>n »Fürsten<br />

dieser Welt« überwun<strong>de</strong>n, doch dieser Sieg wird erst endgültig sichtbar in <strong>de</strong>r Parusie. Bis dahin<br />

müssen die Jünger mit <strong>de</strong>n Angriffen <strong><strong>de</strong>s</strong> Satans rechnen und die »Mächte und Gewalten« be-<br />

kämpfen. Von daher ist die Wüste in <strong>de</strong>r Sicht <strong>de</strong>r Väter nicht ein geographischer, son<strong>de</strong>rn ein<br />

theologischer und heilsgeschichtlicher Ort; er wird nicht aufgesucht als Ort <strong>de</strong>r Ruhe und Be-<br />

schaulichkeit, son<strong>de</strong>rn damit <strong>de</strong>r Kampf ausgetragen wer<strong>de</strong>n kann, <strong>de</strong>r das Glaubensleben eines<br />

je<strong>de</strong>n Christen ausmacht und bestimmt.<br />

Weil es <strong>de</strong>n Wüstenvätern um <strong>de</strong>n Weg geht, <strong>de</strong>n je<strong>de</strong>r Christ zu betreten hat, legen die folgen<strong>de</strong>n<br />

Überlegungen zur Weisung <strong>de</strong>r Väter keine spezifische Mönchsspiritualität vor, son<strong>de</strong>rn erinnern an<br />

eine Grundgestalt <strong>de</strong>r Nachfolge <strong><strong>de</strong>s</strong> Herrn, <strong>de</strong>m die Mönchsväter konsequent und in Entschie-<br />

<strong>de</strong>nheit gehorcht haben. Durch die <strong>Versuchungen</strong> lernt <strong>de</strong>r Mensch nicht nur sich selber besser<br />

erkennen, son<strong>de</strong>rn er bekommt auch ein innerlicheres und besseres Verständnis von Gott und<br />

seiner Sorgfalt und Barmherzigkeit für je<strong>de</strong>n Menschen. Was vielleicht bisher an Gott unbekannt<br />

geblieben ist, wird nun offenkundig und für <strong>de</strong>n Einzelnen zu einer Ermutigung auf <strong>de</strong>m Weg:<br />

»Ohne Versuchung wird die Sorgfalt Gottes für uns nicht empfun<strong>de</strong>n, das Vertrauen zu ihm nicht<br />

erworben, die Weisheit <strong><strong>de</strong>s</strong> Geistes nicht gelernt und die Liebe Gottes nicht in <strong>de</strong>r Seele befestigt.<br />

Vor <strong>de</strong>n <strong>Versuchungen</strong> betet <strong>de</strong>r Mensch zu Gott wie ein Frem<strong>de</strong>r, nach<strong>de</strong>m er aber aus Liebe zu<br />

ihm die <strong>Versuchungen</strong> bestan<strong>de</strong>n hat, ohne sich durch dieselben verkehren zu lassen, alsdann<br />

betrachtet ihn Gott als einen, <strong>de</strong>r ihm geliehen hat und von ihm Zinsen zu empfangen berechtigt<br />

ist, und als einen Freund, <strong>de</strong>r für seinen Willen gegen die Macht <strong>de</strong>r Fein<strong>de</strong> gekämpft hat.« 32<br />

<strong>Die</strong> <strong>Versuchungen</strong> wer<strong>de</strong>n für <strong>de</strong>n Menschen zu einem Segen, wenn er sie in sein Gebet hinein-<br />

nimmt. Nicht durch ein asketisches Programm von Übungen und Leistungen bezwingen die Mönche<br />

<strong>de</strong>n Kampf mit <strong>de</strong>n Gedanken und Lastern, son<strong>de</strong>rn durch das Gebet und das Wort <strong>de</strong>r Heiligen<br />

Schrift. In seinem Antirrhetikon zeigt Evagrios Pontikos, daß gegen je<strong>de</strong>n schlechten Gedanken ein<br />

Wort <strong>de</strong>r Schrift gestellt wer<strong>de</strong>n kann, das die Versuchung »neutralisiert« und »schach-matt« setzt,<br />

wie es <strong>Jesu</strong>s in <strong>de</strong>r Versuchungsgeschichte getan hat (Mt 4, Verse 4.6 f. 10). Da <strong>de</strong>r Geist sich<br />

notwendig in das verwan<strong>de</strong>lt, was sich ihm darbietet, sind Gebet und Lesung die besten Weisen,<br />

um die Gedanken und <strong>de</strong>n Geist zu verbessern und zur Reinheit <strong><strong>de</strong>s</strong> Herzens zu führen.<br />

<strong>Die</strong> durch jahrelangen Kampf erlangte Reinheit <strong><strong>de</strong>s</strong> Herzens wird nach außen hin sichtbar in <strong>de</strong>r<br />

Güte im Umgang mit <strong>de</strong>n Mitmenschen, in <strong>de</strong>r inneren und äußeren Ruhe und Gelassenheit und<br />

32<br />

Weisung <strong>de</strong>r Väter. Hrsg. von B. Miller, Freiburg 1965, Nr. 329.<br />

15


schließlich in <strong>de</strong>r äußeren Erscheinung <strong><strong>de</strong>s</strong> Menschen selber, wie Athanasius an <strong>de</strong>r Gestalt <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

Antonius zu beschreiben weiß: »<strong>Die</strong> Verfassung seines Innern war rein. Denn we<strong>de</strong>r war er durch<br />

<strong>de</strong>n Mißmut grämlich gewor<strong>de</strong>n noch in seiner Freu<strong>de</strong> ausgelassen, auch hatte er nicht zu kämpfen<br />

mit Lachen o<strong>de</strong>r Schüchternheit. Denn <strong>de</strong>r Anblick <strong>de</strong>r großen Menge brachte ihn nicht in Ver-<br />

wirrung; man merkte aber auch nichts von Freu<strong>de</strong> darüber, daß er von so vielen begrüßt wur<strong>de</strong>. Er<br />

war vielmehr ganz Ebenmaß, gleichsam geleitet von seiner Überlegung und sicher in seiner eigen-<br />

33<br />

tümlichen Art.« »Nicht durch Größe o<strong>de</strong>r kräftige Gestalt unterschied er sich von <strong>de</strong>n übrigen,<br />

son<strong>de</strong>rn durch die Art seines Wesens und die Reinheit <strong>de</strong>r Seele. Denn da sie voll Ruhe war, waren<br />

auch seine äußeren Sinne im Gleichgewicht. <strong>Die</strong> Heiterkeit <strong>de</strong>r Seele drückte auch seinem Gesicht<br />

<strong>de</strong>n Stempel <strong>de</strong>r Feu<strong>de</strong> auf und umgekehrt, aus <strong>de</strong>n Bewegungen seines Körpers merkte und ersah<br />

34<br />

man die Verfassung seiner Seele.« <strong>Die</strong> Gestalt <strong><strong>de</strong>s</strong> Antonius, wie ihn Athanasius in seiner Vita<br />

beschreibt, zeigt: Wer mit Gott <strong>de</strong>n langen Weg durch Ängste, Fehler und Sün<strong>de</strong>n gegangen und<br />

ihnen aufrichtig begegnet ist, wird das »Ebenmaß« seines <strong>Lebens</strong> fin<strong>de</strong>n - und zwar als versöhnter,<br />

weil erlöster Mensch, <strong>de</strong>r »nicht nach bei<strong>de</strong>n Seiten hinkt« (vgl. 1 Kg 18, 21), son<strong>de</strong>rn offen<br />

gewor<strong>de</strong>n ist für die »Gottesgeburt in <strong>de</strong>r Seele« und für das neue Leben, das <strong>de</strong>r Herr je<strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r<br />

an ihn glaubt, »in Fülle« verheißen hat (vgl. Joh 10,10).<br />

33<br />

34<br />

Vita Antonii 14.<br />

Vita Antonii 67.<br />

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