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Christian Ludwig Attersee - Achtzig

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und achtzig www.achtzig.com<br />

<strong>Christian</strong> <strong>Ludwig</strong> <strong>Attersee</strong><br />

„Ich bin eine Kunstmaschine!“<br />

<strong>Christian</strong> <strong>Ludwig</strong> <strong>Attersee</strong> hat viele Talente. Er dichtet, musiziert und malt - daneben war er in seiner Jugend auch noch erfolgreicher Segler (z.B.<br />

3-facher Staatsmeister). Vor kurzem beehrte er die Bremer Staatsoper mit einem viel bejubelten Gesamtkonzept der „Salomé“. Bei seiner Ausstellungseröffnung<br />

in der Grazer Galerie „Kunst und Handel“ baten wir die „Kunstmaschine“ zum Interview. Ein Gespräch über Kunst, Klischees, Erotik<br />

und die Bedeutung von Geld.<br />

<strong>Ludwig</strong> <strong>Attersee</strong> freut sich<br />

gemeinsam mit „Kunst“-Konditor Wolfgang Philipp,<br />

Ani Brus und Michael Vonbank<br />

auf seine <strong>Attersee</strong>-Torte<br />

Sie selbst sind Professor an der Wiener<br />

Universität für angewandte Kunst. Als<br />

wie wichtig sehen Sie die Ausbildung<br />

für einen Künstler? Was sollen die<br />

Studenten aus dem Unterricht mitnehmen?<br />

Ich selbst bin bereits mit 16<br />

Jahren an der Akademie für angewandte<br />

Kunst aufgenommen worden. Man hat<br />

von mir als Wunderkind gesprochen,<br />

da ich eigentlich zu jung für die Universität<br />

war. Die Ausbildung kann ich<br />

nur als Vorteil sehen, denn man lernt<br />

in jungen Jahren andere Künstler und<br />

ihre Anschauungen kennen. Mein erster<br />

Künstlerfreund aus dieser Zeit ist<br />

Günter Brus. Hat man einen Professor,<br />

kann man diesen lieben oder sich gegen<br />

ihn stellen, man wird sozusagen dazu<br />

gedrängt, eine Rolle einzunehmen. Im<br />

Grunde betreffen 99% der Dinge, die wir<br />

im täglichen Leben sehen, die Malerei −<br />

von der Briefmarke bis hin zum Kirchenaltar.<br />

Alles hat mit Malerei zu tun. Dies<br />

möchte ich auch meinen Studenten erklären,<br />

damit sie nicht nur bei ihren Bildern<br />

hängen bleiben, die sich vielleicht<br />

nicht verkaufen lassen. Malerei soll von<br />

ihnen als Beruf angesehen werden, der<br />

in vielen Bereichen „angewandt“ eingesetzt<br />

werden kann.<br />

Setzen sich große Talente immer durch<br />

oder bedürfen auch sie einer Förderung,<br />

um ihr Potential ausschöpfen zu<br />

können?<br />

Wenn man einen Abschluss an<br />

einer Kunstuniversität macht, und man<br />

muss ihn nicht unbedingt machen, geht<br />

es um die Zeit danach. Weiterhelfen tun<br />

einem in erster Linie Kontakte, und zwar<br />

solche zu anderen Künstlern. Meine Karriere,<br />

die in einer ganz anderen Generation<br />

ihren Anfang nahm, in den 60er<br />

Jahren, war eng an die Freundschaft mit<br />

Gerhard Rühm gekoppelt. Er holte mich<br />

nach Berlin, glaubte an meine Arbeiten,<br />

die ich bereits während meines Studiums<br />

entwickelt habe und ermöglichte<br />

mir meine erste Ausstellung. Talent<br />

alleine nutzt einem gar nichts, da gibt<br />

es andere Trümpfe, die man einsetzen<br />

sollte, um sich als Künstler zu verwirklichen.<br />

Diese sind von Fall zu Fall verschieden.<br />

Es geht um die richtigen Kontakte.<br />

Am hilfreichsten, um beruflich<br />

voranzukommen, sind jedoch Kontakte<br />

zu Künstlern.<br />

Was waren Ihre Motive, als Sie sich<br />

für den Beruf des Künstlers entschieden<br />

haben? War es in den 60er Jahren<br />

schwieriger als heute, als Künstler Fuß<br />

zu fassen? In welcher Rolle haben Sie<br />

sich in Ihrem damaligen Schaffen gesehen?<br />

Als ich begonnen habe, ist<br />

es nicht ums Geld gegangen, ich habe<br />

auch zehn Jahre lang kein einziges Bild<br />

verkauft. In erster Linie wollten ich und<br />

die meisten anderen meiner Generation<br />

mit unserer Kunst etwas bewirken. Wir<br />

haben gesellschaftliche Veränderungen<br />

vorangetrieben, haben 1972 eine eigene<br />

Künstlergalerie gegründet – die „Galerie<br />

Grünangergasse 12“: Pichler, Rainer,<br />

<strong>Attersee</strong>... der Brus war nicht dabei... er<br />

war zu dieser Zeit noch in Berlin. Es hat<br />

natürlich auch Anzeigen gegen unsere<br />

Kunstaktionen gegeben, besonders bei<br />

der ersten Nitsch-Ausstellung, aber der<br />

damalige Kanzler Bruno Kreisky hat diese<br />

vom damaligen Justizminister einfach<br />

streichen lassen... mit dieser Aktion war<br />

Österreichs Kunst so frei wie nie zuvor −<br />

was die Möglichkeiten für künstlerische<br />

Aussagen betroffen hat. Ich war in den<br />

60er Jahren der Gegenpol zum Wiener<br />

Aktionismus, es war eine spannende<br />

Zeit und keinesfalls durch die Ambition,<br />

Geld zu verdienen, geprägt. Ich denke<br />

auch, dass die künstlerische Qualität in<br />

den 60er Jahren in Österreich mindestens<br />

so gut war, wie jene von New York,<br />

nur wurde die österreichische Kunst<br />

einfach nicht vermarktet. Es gab nur<br />

drei Galerien in Wien, eine von ihnen<br />

war schwarz, die andere war rot und die<br />

dritte war eine unabhängige – mehr gab<br />

es damals nicht. Heute gibt es Galerien<br />

zu Hauf, und es gibt auch viel mehr<br />

Künstler als damals, was bedingt, dass<br />

heutzutage nicht jeder von ihnen seinen<br />

Platz am Markt finden kann. Ich kann<br />

jungen Künstlern nur raten, so früh wie<br />

möglich eine für sie geeignete Galerie<br />

zu finden. Dies passiert meist über einen<br />

Künstler, der dort bereits ausstellt<br />

und einen weiterempfiehlt. Ein noch<br />

kürzerer Weg, um an Geld zu kommen,<br />

wäre es, seinen Professor zu bitten,<br />

eines der Bilder abzukaufen ... so bin<br />

ich aber nicht aufgewachsen (lacht).<br />

Für mich war und ist Kunst die höchste<br />

Form der menschlichen Verständigung,<br />

deswegen liebe ich sie und fühle mich<br />

in ihr noch ganz jung. Es ist auch eine<br />

wunderbare Art, sich an allen Themen<br />

dieser Welt zu erproben.<br />

Was macht einen ernstzunehmenden<br />

Künstler aus? Muss sich ein Maler politischen<br />

Themen widmen?<br />

Er muss sich ihnen nicht widmen,<br />

aber eine Haltung gegenüber ihnen<br />

haben. Wichtig ist in erster Linie,<br />

dass ein Künstler eine eigene Handschrift<br />

hat. Er sollte einzigartig sein,<br />

in seiner Art Menschen eine Nachricht<br />

„Die ganze Welt ist erotisch!<br />

Ist sie mit dem Begriff Erotik<br />

besetzt, kann man sie<br />

besser verstehen, vielfältiger<br />

erleben.“<br />

C. L. <strong>Attersee</strong><br />

vermitteln, die sie vorher in dieser Form<br />

noch nicht gehört oder gesehen haben.<br />

Zur Zeit bekommen wir fast immer<br />

das gleiche vorgesetzt, es geht immer<br />

um post-post-moderne Inhalte. Ich<br />

würde gerne einmal etwas anderes zu<br />

sehen bekommen als das, was man zur<br />

Zeit dauernd unter die Nase gehalten<br />

bekommt. Heute, und das möchte ich<br />

deutlich gesagt wissen, gibt es eigentlich<br />

keine österreichische Kunst mehr.<br />

Zu unserer damaligen Zeit haben wir für<br />

Veränderungen in Österreich gekämpft,<br />

heute ist die Welt viel globaler geworden<br />

– da kümmert man sich beispielsweise<br />

um Afrika oder den Umweltschutz, was<br />

durchaus wichtige Themen sind. Neben<br />

der Behübschung von Räumen muss<br />

Kunst für meinen Geschmack mehr Gewicht<br />

in ihre Absicht legen. Ich bin ein<br />

Gegner von rein dekorativen Bildern.<br />

Welche Erwartungen stellen Sie an die<br />

Betrachter Ihrer Kunstwerke. Müssen<br />

sich jene mit der Person <strong>Attersee</strong> beschäftigen,<br />

um Ihre Werke verstehen<br />

zu können?<br />

Meine Bilder sind wie Bühnen,<br />

die man betreten kann. Ich male meine<br />

Bilder auch nicht für Museen, sondern<br />

für Menschen. Findet man ein Bild, das<br />

zu einem passt, nimmt man es mit nach<br />

Hause, denn man kann in dieses seine<br />

täglichen Sorgen, Ideen und Projektionen<br />

hineinschieben. Es wird sozusagen<br />

ein Lebenspartner. Natürlich kann ich<br />

über meine Bilder sprechen, aber ich<br />

würde sie täglich neu erklären, denn<br />

man ist im Grunde täglich ein anderer<br />

Mensch. Ich bin auch einer, der die Welt<br />

täglich neu erfinden will. Mit einem<br />

Blatt Papier und einem Stift kann man<br />

die Welt täglich wunderbar neu erfinden,<br />

und deswegen habe ich in meinen<br />

Augen den schönsten Beruf von allen<br />

gewählt.<br />

Welchen Stellenwert hat die Malerei<br />

innerhalb der verschiedenen richtungen?<br />

Komponiert man Musik oder<br />

schreibt man ein Buch, muss man größere<br />

„Umwege“ als in der Malerei gehen.<br />

Wenn ich es mir erlauben darf, erkenne<br />

ich in der Malerei die größte Kunstmöglichkeit<br />

von allen, da sie so direkt und<br />

spontan sein kann. In der Malerei ist<br />

alles möglich, sie ist eben auch Musik<br />

und Erzählung. Die Bilder gehen für<br />

Betrachter einen oft anderen Weg, als<br />

jenen, den der Künstler dafür vorgesehen<br />

hat. Ich wünsche mir nur, dass sie<br />

die Menschen erreichen und ihnen eine<br />

Welt eröffnen, ihnen eine Erweiterung<br />

ihres Lebens bieten können. Sie sollen<br />

ihnen bei kleinen und großen Dingen<br />

eine Unterstützung sein, zum Beispiel<br />

auch in der Welt der Erotik, einer der<br />

Hauptinhalte meines künstlerischen<br />

Kunst-<br />

Werks.<br />

Erotik findet sich in Ihren Bildern immer<br />

wieder, wie definieren Sie diesen<br />

Begriff?<br />

Erotik findet sich in allen Dingen<br />

des Lebens. Es gibt den Tisch und<br />

die „Tischin“, und damit sind wir schon<br />

bei der Erweiterung des Erotik-Begriffs.<br />

Die ganze Welt ist erotisch! Ist sie mit<br />

dem Begriff Erotik besetzt, kann man<br />

sie besser verstehen, vielfältiger erleben.<br />

Wenn ich als Künstler sagen muss,<br />

warum ich überhaupt male, erkläre ich<br />

es folgendermaßen: Die Malerei gibt mir<br />

die Möglichkeit, wenn ich konzentriert<br />

in ihr versinke, einem „Gesamtkörperorgasmus“<br />

zu verfallen, wenn man es so<br />

bezeichnen will – dem Jetzt ganz nahe<br />

zu sein. Dazu brauche ich ein Ersterlebnis,<br />

das ich bei meinen über 8000 Bildern,<br />

die ich gemalt habe, immer erlebt<br />

habe. Ich bin in diesem Zustand „gottgleich“.<br />

Wie viel hat Erotik mit den ästhetischen<br />

Vorstellungen unserer Gesellschaft<br />

zu tun?<br />

Es gibt ja auch die dumme Behauptung,<br />

dass Frauen<br />

mit langen Beinen<br />

schöner seien als jene<br />

mit kurzen. Als Kind<br />

wächst man in so eine<br />

vorur teilsbeladene<br />

Welt hinein und kann<br />

sich ihr kaum entziehen.<br />

Man muss sich<br />

einmal<br />

vorstellen,<br />

mit welch dummen<br />

Klischees junge Menschen,<br />

die in eine Gesellschaft hineinwachsen,<br />

leben müssen. Gegen das<br />

habe ich mich immer schon gewehrt. In<br />

einer Ausstellung unter dem Titel „<strong>Attersee</strong>s<br />

Schönheit“ Ende der 60er Jahre<br />

habe ich mich diesem Thema im Forum<br />

Stadtpark Graz gewidmet.<br />

„Wenn ihr wirklich Künstler<br />

werden wollt, dann müsst<br />

ihr ab jetzt bei roter Ampel<br />

über die Straße gehen!“<br />

C. L. <strong>Attersee</strong><br />

Muss es in der Kunst Regeln geben,<br />

nach denen sie funktioniert?<br />

Nein, es gibt im Leben überhaupt<br />

keine Regeln. Warum sollte die<br />

Kunst auf einmal Regeln haben? Der<br />

erste Satz, den ich zu meinen Studenten<br />

sage, lautet: „Wenn ihr wirklich Künstler<br />

werden wollt, dann müsst ihr ab jetzt<br />

bei roter Ampel über die Straße gehen!“<br />

So beginnt mein Unterricht. Es geht gar<br />

nicht anders, der Künstler muss Regeln<br />

brechen. Er muss die Welt neu erfinden,<br />

dazu gibt es eigene Regeln. Regeln<br />

macht sich auch der Besucher von Ausstellungen.<br />

Er glaubt, Kunst nach Re-<br />

geln betrachten zu müssen, vielleicht,<br />

dass er zuerst ein Buch lesen muss, um<br />

sich ein Bild ansehen zu können. Er<br />

glaubt, den Galeristen fragen zu müssen,<br />

welches Bild er kaufen muss, damit<br />

er eine Wertsteigerung erwarten kann.<br />

Ich versuche, die Betrachter zu verzaubern.<br />

Zuerst funktionieren die Bilder als<br />

Lockruf, sie ziehen den Menschen mit<br />

schönen Farben oder erotischen Motiven<br />

in ihren Bann und dann fallen sie<br />

in andere Ebenen. Meine Bilder kennzeichnet<br />

immer eine ungeheure Vielfalt<br />

aus Malerei und Erzählung. So passierte<br />

es, dass mich ein Besitzer eines meiner<br />

Bilder nach vier<br />

Monaten anrief und<br />

mir mitteilte, dass<br />

er erst jetzt darauf<br />

gekommen wäre,<br />

dass er eigentlich<br />

einen Hintern gekauft<br />

hat – auf den<br />

ersten Blick sah er<br />

voraussichtlich den<br />

Stephansdom.<br />

Was macht für Sie, neben ihrer Kunst,<br />

das Leben lebenswert?<br />

Das kann ich schwer beantworten,<br />

denn ich lebe meine Kunst Tag<br />

und Nacht. Ich schaue aber gerne am<br />

Semmering aus dem Fenster, das meine<br />

ich ernst! Da schaue ich dann auf meine<br />

Bäume, habe dabei aber immer das<br />

Gefühl, dabei aufs Meer zu schauen. Ich<br />

liege auch gerne gemeinsam mit meinen<br />

Hunden im Bett. Da gibt es einen wunderbaren<br />

Satz von Willi Forst: „Wer die<br />

Menschen kennt, weiß, warum er die Tiere<br />

liebt!“ Wenn ich male und mir schaut<br />

eines meiner Viecher dabei zu, hab ich<br />

das ganz gern, empfinde ich eine glückliche<br />

Gemeinschaft ... das sind so meine<br />

kleinen Vergnügen. Aber um es auf den<br />

Punkt zu bringen, beschäftige ich mich<br />

rund um die Uhr schöpferisch mit Kunst<br />

– ich bin eine Kunstmaschine! Ich kann<br />

gar nicht anders, brauche keine Freizeit<br />

und auch keinen Urlaub. Wenn ich verreise,<br />

dann mit meinen Studenten, und<br />

da geht es ja meist wieder um Kunst.<br />

Wie sehr beschäftigt Sie das Thema<br />

Kirche als Künstler?<br />

Kirche und Glaube sind immens<br />

wichtige Themen in unserer Gesellschaft.<br />

Die Rolle der Frau ist in den<br />

meisten Religionen eine Geschichte der<br />

Schweinerei. Unsere Regierung und unser<br />

Staat sind<br />

vom christlichen<br />

Glauben<br />

geprägt. Man<br />

muss wissen,<br />

dass die Ges<br />

e t z g e b u n g<br />

eine katholische<br />

ist.<br />

Dadurch sind<br />

einige Dinge<br />

grundsätzlich<br />

i n a k z e p t a -<br />

bel. Das sind<br />

aber Sachen,<br />

die jeden angehen,<br />

nicht<br />

nur mich als<br />

Künstler. Um<br />

bei den Frauen<br />

zu bleiben:<br />

Ich habe immer<br />

geschaut,<br />

dass unter<br />

meinen Studenten mindestens die Hälfte<br />

Mädchen sind. Auch das Thema Homosexualität<br />

hat mich immer interessiert.<br />

In den 60ern hab ich dieses damalige<br />

Tabuthema mit einer Grafikmappe<br />

aufgearbeitet. Ich war auch Österreichs<br />

erster Fotokünstler, der das Thema Doppelsexualität<br />

aufgearbeitet hat. Als ich<br />

dann in Linz die Fotos ausstellen wollte,<br />

hat die Galerieleitung gemeint, dass sie<br />

die Bilder mit schwulen Inhalten nicht<br />

ausstellen könnte.<br />

Wie wichtig ist Geld für Sie?<br />

Geld hat mich nie interessiert.<br />

Ich habe auch sehr lange ohne Geld gelebt,<br />

hatte zeitweise nicht einmal genügend,<br />

um mir ein Untermietzimmer zu<br />

leisten. Ich bin mit meinem Wäschesackerl<br />

in der Universität oder im Cafe Havelka<br />

gestanden... irgendwer hat mich<br />

dann immer mit nach Hause genommen.<br />

Auch als ich in Berlin war, habe ich sehr<br />

arm gelebt, habe zeitweise gemeinsam<br />

mit Gerhard Rühm und H.C. Artmann gewohnt.<br />

Von ihnen habe ich gelernt, dass<br />

man durchhalten<br />

muss und<br />

war eigentlich<br />

fast stolz darauf,<br />

als mittelloser<br />

Künstler<br />

tätig zu sein.<br />

Wie sehen Sie<br />

so genannte<br />

Künstler, die<br />

nur dann tätig<br />

werden, wenn<br />

sie für ihre Projekte<br />

Förderungen<br />

erhalten?<br />

So etwas<br />

halte ich für einen<br />

absoluten<br />

Schwachsinn.<br />

Diese ganze<br />

„Stipenderei“,<br />

bei der die<br />

„Künstler“ in<br />

einem Wettkampf gegeneinander um<br />

Förderungen ansuchen ist mir zuwider.<br />

Diesen Weg bin ich auch nie gegangen.<br />

Wann sprechen Sie von einer stilvollen<br />

Persönlichkeit? Wie wichtig ist das Auftreten<br />

eines Künstlers?<br />

Was ich gerne hab, sind schöpferische<br />

Menschen mit Haltung, Bildung<br />

und Benehmen. Ich selbst „verkleide“<br />

mich ja so, dass man auf den ersten Blick<br />

gar nicht erkennt, ob es sich bei mir um<br />

einen Künstler handelt. Der sogenannte<br />

Künstlertyp, der sich über Aussehen<br />

definiert, ist selten im Vorteil, wenn<br />

er darum bemüht ist, einen Auftrag zu<br />

bekommen. Stil ist oft ein einengender<br />

Begriff. Mich interessiert der Mensch im<br />

Hemd drinnen. Mich interessiert, ob jemand<br />

etwas zu sagen hat.<br />

Woher kommt die Inspiration zu Ihrem<br />

Schaffen?<br />

Ich war in meiner Generation<br />

einer der ersten, der sich in seinem<br />

Schaffen nicht an der Kunstgeschichte<br />

orientierte, sondern am täglichen Leben.<br />

Das ist ein großer Unterschied. Die<br />

Wiener Gruppe hingegen, aber auch die<br />

Wiener Aktionisten, arbeiteten mit Ansätzen<br />

vergangener Jahre wie dem des<br />

Dadaismus, Art brut und Anfänge des<br />

Action Paintings. Ich war am Anfang<br />

meiner Künstlerkarriere auch ein Meister<br />

der Skandale, wobei ich anmerken<br />

möchte, dass die Skandale immer von<br />

den Ausstellungsbesuchern und nicht<br />

von den Künstlern selbst gemacht werden.<br />

Sie gelten als absolutes Multitalent.<br />

Wie ist es Ihnen möglich, ihre Betätigungen<br />

in unterschiedlichen Kunstrichtungen<br />

unter einen Hut zu bringen?<br />

Gibt es etwas, dass Sie nicht können?<br />

Für mich stellt Malerei, Dichtung<br />

und Musik eine Einheit dar. Ich<br />

betätige mich in jeder dieser Richtungen,<br />

habe als Beispiel für meine musikalischen<br />

Auftritte eine eigene Technik<br />

des Sprechgesangs entwickelt. Meistens<br />

trete ich gemeinsam mit Bernd<br />

Jeschek auf, er liest meine Texte und<br />

ich musiziere und singe meine Lieder.<br />

Einer dieser Liveauftritte von den Salzburger<br />

Festspielen wird in absehbarer<br />

Zeit als CD veröffentlicht werden.<br />

Drei Dinge kann ich nicht: Ich habe<br />

keinen Führerschein, kann nicht balletttanzen<br />

und auch nicht kochen.<br />

Dadurch habe ich aber einen großen<br />

Vorteil: Ich bin immer von schönen<br />

Frauen umgeben, die mich mit dem<br />

Auto führen, die für mich kochen, und<br />

schlussendlich von jenen, die mich täglich<br />

umtanzen.<br />

SZ<br />

Galerist Gerhard Sommer<br />

bringt <strong>Attersee</strong>s Werke nach Graz<br />

in die Galerie Kunst&Handel


www.achtzig.com<br />

<strong>Christian</strong> <strong>Ludwig</strong> <strong>Attersee</strong><br />

„Angewandte Kunst macht Sinn!“<br />

<strong>Christian</strong> <strong>Ludwig</strong> <strong>Attersee</strong> ist die personifizierte Kunstmaschine,<br />

und zählt zu den bedeutendsten Malern Europas.<br />

Seine große Liebe gilt der angewandten Kunst. Die<br />

unabhängige Kulturzeitung traf ihn anlässlich der Präsentation<br />

seiner neuen Jurtschitsch Weinetiketten in<br />

Wien, und sprach mit ihm unter anderem über die Aufgabe<br />

der Kunst und die Möglichkeiten der Angewandten.<br />

Die angewandte Kunst, wie im Fall der<br />

<strong>Attersee</strong>-Weinetikette, nimmt für Sie<br />

einen hohen Stellenwert ein - woraus<br />

entsteht die Lust am Alltäglichen?<br />

Für mich ist die angewandte Kunst<br />

mindestens so wichtig wie Forschung,<br />

Erkenntnis oder Hochkunst. Aus einem<br />

ganz einfachen Grund: die angewandte<br />

Kunst kommt aus dem Alltag und somit<br />

aus dem Leben der Menschen. Nur mit<br />

Erlebtem, und Kritik<br />

an Erlebtem, kann<br />

man auch Hochkunst<br />

machen. Daraus entsteht<br />

in mir die Lust,<br />

einen breiten Fächer<br />

in der Angewandten<br />

zu produzieren, und<br />

so kommt es auch zu<br />

Dingen wie <strong>Attersee</strong>-<br />

Briefmarken oder<br />

kunstvollen Weinetiketten,<br />

wie jene für<br />

das Weingut Jurtschitsch.<br />

Mit dem Wein verbindet Sie eine große<br />

Leidenschaft. Liegt hier das Geheimnis<br />

in der 25-jährigen Zusammenarbeit<br />

mit dem berühmten Weingut?<br />

Das Trinken ist eine Zwischenstufe<br />

zwischen all den anderen Dingen, die<br />

der Mensch tut. Er muss trinken, ohne<br />

Wasser, und Wein ist ja nichts anderes<br />

als veredeltes Wasser, kann er nicht<br />

leben. Der GrüVe von Jurtschitsch ist<br />

etwas ganz Besonderes und Einmaliges<br />

auf der Welt. Die Zusammenarbeit<br />

macht nicht nur Spaß, sie stellt<br />

das Kunstwerk auf eine wirklich große<br />

„Bilder sind ja nichts<br />

anderes als Partner,<br />

sie sind wie Menschen,<br />

die sich ständig<br />

ändern, da sich auch<br />

der Betrachter ständig<br />

ändert.“<br />

<strong>Christian</strong> <strong>Ludwig</strong> <strong>Attersee</strong><br />

Bühne. Man muss sich vorstellen, dass<br />

pro Jahr an die 200.000 Flaschen vom<br />

GrüVe abgefüllt werden. Jede Flasche<br />

wird in der Regel von mehreren Personen<br />

getrunken und somit auch angeschaut.<br />

Das Kunstwerk wird also von<br />

einer knappen Million Menschen betrachtet<br />

– diesen Gedanken finde ich<br />

einfach toll. Es gibt auch keinen zweiten<br />

Künstler, der 25 Jahrgänge hindurch<br />

einen Wein gestaltet<br />

hat.<br />

Welche Rolle spielt<br />

der Wein beim Malen?<br />

Unter Alkohol sing<br />

ich nur, da mache ich<br />

Musik. Beim Zeichnen<br />

habe ich gelernt, dass<br />

er nichts bringt. Es ist<br />

mir nie gelungen, mit<br />

Alkohol bessere Bilder<br />

zu malen. Auf der<br />

Suche nach einem Bild, die eine Gesamtkörper-Orgasmusjagd<br />

ist, beeinträchtigt<br />

mich das Trinken. Am liebsten<br />

trinke ich am Abend, gemeinsam mit<br />

Freunden.<br />

Ein gut gelaunter<br />

<strong>Attersee</strong> am Abend<br />

der Präsentation<br />

Welche Idee steckt hinter dem <strong>Attersee</strong>-Kunstwerk<br />

auf der Flasche? Macht<br />

es den Wein zum Kunstwerk, oder handelt<br />

es sich dabei um Design?<br />

Das Zusammenspiel zwischen Kunst<br />

und Produkt macht einfach Sinn. Die<br />

Kombination erhebt das Interesse am<br />

Produkt, es kommt eine weitere Ebene<br />

hinzu. Die Kunst begleitet den Wein<br />

- der Wein wird von einem Bild, einer<br />

Erzählung, begleitet, die am Zwischenweg<br />

des Trinkens durchaus eine<br />

Funktion hat. Sie gilt als Lockruf, animiert,<br />

erweckt Erwartungen, das alles<br />

begleitet den Wein bis zum ersten<br />

Schluck. Eine Weinflasche aufzumachen<br />

kommt ja einer aktionistischen<br />

Tätigkeit gleich. Sich den Wein einzugießen,<br />

mit Freunden oder allein – das<br />

Bild auf der Flasche ist immer präsent<br />

und erzählt vorweg, schürt die Vorfreude.<br />

Ebenso bietet es eine günstige<br />

Möglichkeit, einen <strong>Attersee</strong> zu Hause<br />

zu haben...<br />

Die kunstvolle Gestaltung von alltäglichen<br />

Dingen – ein Rat an junge<br />

Künstler?<br />

Absolut! Ich habe meinen Schülern<br />

immer gesagt, sie sollen in die angewandte<br />

Kunst gehen - dort gibt es tausend<br />

Mal mehr Flächen als an üblichen<br />

Ausstellungsorten wie zum Beispiel<br />

Museen. Ein Tischtuch kann ein Kunstwerk<br />

sein, eine Hose kann ein Kunstwerk<br />

sein - Alltagsgegenstände bieten<br />

großartige Möglichkeiten. Diese Dinge<br />

brauchen auch Künstler, es sollen nicht<br />

immer Grafiker für Design verantwortlich<br />

sein.<br />

Sind Künstler die besseren Grafiker?<br />

Von einem Künstler erwartet man<br />

eine eigene Handschrift, Grafiker bedienen<br />

sich in der Regel aus bereits<br />

bestehenden Schriften und Möglichkeiten.<br />

Eine Handschrift vom <strong>Attersee</strong><br />

kann man nicht nachbasteln, sie<br />

bleibt einmalig. Das kann ich nur jedem<br />

jungen Künstler mitgeben. Ohne<br />

der Beschäftigung mit Alltagsprodukten<br />

hat Kunst keinen Sinn. Wir arbeiten<br />

für Menschen und nicht für Museumswärter.<br />

„Ich habe meinen<br />

Schülern immer<br />

gesagt, sie sollen in<br />

die angewandte Kunst<br />

gehen - dort gibt es<br />

tausend Mal mehr<br />

Flächen als an üblichen<br />

Ausstellungsorten wie<br />

zum Beispiel Museen“<br />

<strong>Christian</strong> <strong>Ludwig</strong> <strong>Attersee</strong><br />

Muss Kunst politisch sein?<br />

Sie muss es nicht, es wäre aber gut,<br />

wenn sie es ist. Die Verantwortung der<br />

Künstler ist schon eine gesellschaftspolitische.<br />

Man kann überall eine<br />

Nachricht geben, kann sie verstecken,<br />

oder sie hinter einen Lockruf stellen.<br />

Wodurch bleibt Kunst spannend?<br />

Spannend ist es, Bilder zu machen,<br />

in die die Menschen hineinfallen und<br />

sich über ihre Schönheit freuen können.<br />

Oft kommen sie erst nach einiger<br />

Zeit drauf, was sie eigentlich an der<br />

Wand hängen haben. Gewisse Dinge im<br />

Bild sind beim erstmaligen Betrachten<br />

kaum zu erkennen, es dauert eine<br />

Weile, bis man sie entdeckt - das ist<br />

auch gut so, nur dann bleibt ein Bild<br />

lange erhalten.<br />

Wie möchten Sie Kunstwerke verstanden<br />

haben?<br />

Bilder sind ja nichts anderes als Partner,<br />

sie sind wie Menschen, die sich ständig<br />

ändern, da sich auch der Betrachter<br />

ständig ändert. Bilder zu betrachten gehört<br />

zum größten Vergnügen, wenn man<br />

es gelernt hat. Hier ist auch der Grund zu<br />

finden, warum viele Sammler ihre Bilder<br />

ungern hergeben, weil sie es gewohnt<br />

sind, mit ihnen ein Gespräch zu führen.<br />

Bilder laden zum Meditieren ein oder<br />

dazu, sich an ihnen abzureagieren – man<br />

kann vieles mit ihnen tun. Bilder sollen,<br />

und das ist die Aufgabe der Kunst, Herausforderungen<br />

sein. SZ

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