02.03.2015 Aufrufe

Peter Singer Praktische Ethik - sodass.net

Peter Singer Praktische Ethik - sodass.net

Peter Singer Praktische Ethik - sodass.net

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

378 Zwecke und Mittel Demokratie 379<br />

Handelns nicht gelungen war, die permissive Gesetzeslage<br />

in bezug auf Abtreibung zu revidieren, die in den USA bestand,<br />

seit der Oberste Gerichtshof 1973 restriktive Abtreibungsgesetze<br />

für verfassungswidrig erklärt hatte. Gary Leber<br />

von Operation Rescue meinte, daß während dieser Zeit<br />

»25 Millionen Amerikaner >legal< getötet wurden«. Aus<br />

dieser Sicht wird deutlich, daß das Vorhandensein legaler<br />

Änderungsmöglichkeiten das moralische Dilemma nicht<br />

löst. Eine weit entfernte Möglichkeit legaler Veränderung<br />

ist nicht eben ein starker Grund gegen die Anwendung vermutlich<br />

erfolgreicherer Mittel. Aus der bloßen Existenz<br />

legaler Wege folgt höchstens - weil wir nicht wissen können,<br />

ob sie sich als erfolgreich erweisen, bevor wir sie ausprobiert<br />

haben - ein Grund dafür, illegale Aktionen zu verschieben,<br />

bis legale Mittel ausprobiert worden und gescheitert<br />

sind.<br />

Hier können die Hüter der demokratischen Gesetze es<br />

anders versuchen: Wenn legale Mittel nicht zur Verwirklichung<br />

einer Reform führen, so zeigt das, daß die vorgeschlagene<br />

Reform nicht die Zustimmung der Mehrheit der<br />

Wähler hat; und der Versuch, die Reform mit illegalen Mitteln<br />

gegen die Wünsche der Mehrheit in Kraft zu setzen,<br />

wäre eine Verletzung des zentralen Prinzips der Demokratie,<br />

des Majoritätsprinzips.<br />

Die Militanten können sich gegen dieses Argument aus<br />

zwei Gründen wenden, aus einem faktischen und einem<br />

philosophischen. Die Tatsachenbehauptung in der Argumentation<br />

der Demokraten besteht darin, daß eine Reform»<br />

die nicht legal in Kraft gesetzt werden kann, der Zustimmung<br />

der Mehrzahl der Wähler entbehrt. Dies würde vielleicht<br />

für eine direkte Demokratie zutreffen, in der die gesamte<br />

Wählerschaft über jede Frage abstimmt; aber es trifft<br />

gewiß nicht immer auf die modernen repräsentativen Demokratien<br />

zu. Es gibt keine Methode, die sicher feststellt'<br />

daß in allen sich ergebenden Fragen eine Mehrzahl von R e '<br />

präsentanten dieselbe Position einnimmt wie die Mehrzahl<br />

ihrer Wähler. Man kann vernünftigerweise darauf vertrauen,<br />

daß die Mehrzahl der Amerikaner, die Ausschnitte<br />

aus Gennarellis Videobändern im Fernsehen gesehen haben,<br />

die Versuche abgelehnt hätten. Aber so werden nun einmal<br />

in der Demokratie Entscheidungen nicht getroffen. Wenn<br />

die Wähler zwischen Repräsentanten - oder zwischen politischen<br />

Parteien - ihre Wahl treffen, so geben sie einem »Paket«,<br />

das als ganzes angeboten wird, den Vorzug vor einem<br />

anderen. Es geschieht oft, daß sie, um für bestimmte von ihnen<br />

bevorzugte politische Maßnahmen zu stimmen, andere<br />

Maßnahmen zusätzlich in Kauf nehmen müssen, von denen<br />

sie nicht eben begeistert sind. Es kann auch vorkommen,<br />

daß Maßnahmen, die die Wähler befürworten, von keiner<br />

der großen Parteien angeboten werden. Im Falle des<br />

Schwangerschaftsabbruchs in den USA wurde die zentrale<br />

Entscheidung nicht von der Mehrzahl der Wähler, sondern<br />

vom Obersten Gericht getroffen. Sie kann nicht von einer<br />

einfachen Mehrheit der Wähler zu Fall gebracht werden,<br />

sondern nur vorn Gerichtshof selbst oder durch ein kompliziertes<br />

Verfahren zur Verfassungsänderung, das von einer<br />

Minderheit der Wählerschaft umgestoßen werden kann.<br />

Was aber, wenn eine Mehrheit das Unrecht billigte, das die<br />

Militanten beenden möchten? Wäre es dann unrecht, illegale<br />

Mittel einzusetzen? Hier stoßen wir auf die dem demokratischen<br />

Argument für den Gehorsam zugrunde liegende<br />

Philosophische Forderung, daß Mehrheitsbeschlüsse zu<br />

akzeptieren sind.<br />

Man sollte das Majoritätsprinzip nicht überbewerten. Kein<br />

yernünftiger Demokrat wird behaupten, daß die Mehrheit<br />

«irner recht hat. Wenn 49% der Bevölkerung unrecht haken<br />

können, so können es auch 51% sein. Mag die Mehrheit<br />

" le Ansichten der Animal Liberation Front oder von Operation<br />

Rescue unterstützen oder nicht, die Frage, ob diese<br />

Ansichten moralisch vernünftig sind, wird so nicht gelöst.<br />

Vielleicht bedeutet die Tatsache, daß diese Gruppen in der<br />

Minderheit sind - falls das zutrifft -, daß sie ihre Mittel neu

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!