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Peter Singer Praktische Ethik - sodass.net

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324 Die drinnen und die draußen<br />

doch geht er dabei eher von angenommenen als von überprüften<br />

Wasser- und Bodenressourcen aus - nach dem Prinzip<br />

gegenseitiger Hilfe sehr wohl dazu verpflichtet sein,<br />

Menschen aus den dicht besiedelten und von Hungersnot<br />

heimgesuchten Gebieten Südostasiens ihre Tore zu öffnen.<br />

Die australische Gesellschaft stünde dann vor der Wahl,<br />

entweder ihre wie auch immer geartete Homogenität aufzugeben<br />

oder sich auf einen kleinen Teil ihres Siedlungsgebiets<br />

zurückzuziehen und das übrige den Landbedürftigen zu<br />

überlassen.<br />

Obwohl Walzer keine allgemeine Verpflichtung reicher Nationen<br />

zum Einlaß von Flüchtlingen akzeptiert, hält er doch<br />

am weitverbreiteten Asylprinzip fest. Jeder Flüchtling kann,<br />

wenn er die rettenden Ufer eines anderen Staates erreicht,<br />

aufgrund dieses Prinzips um Asyl nachsuchen, und es ist<br />

unmöglich, daß man ihn in ein Land abschiebt, in dem er<br />

vielleicht aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität<br />

oder politischen Überzeugung verfolgt wird. Interessant ist,<br />

daß dieser Grundsatz so weithin Unterstützung findet, die<br />

Verpflichtung zur Aufnahme von Flüchtlingen hingegen<br />

nicht. In dieser Unterscheidung finden sich möglicherweise<br />

Grundsätze wieder, die in den vorhergehenden Kapiteln<br />

dieses Buches diskutiert wurden. Hierbei spielt eindeutig<br />

das Prinzip der Nähe eine Rolle - der Asylsuchende steht<br />

uns ganz einfach physisch näher als die Menschen in anderen<br />

Ländern. Vielleicht erklärt sich unser nachhaltigeres<br />

Eintreten für das Asylrecht aus dem Unterschied zwischen<br />

einem Tun (der Abschiebung eines bei uns angekommenen<br />

Flüchtlings) und einem Unterlassen (der Verweigerung der<br />

Aufnahme eines Flüchtlings aus einem entfernten Lager).<br />

Es könnte dabei auch der Unterschied eine Rolle spielen<br />

zwischen einer Handlung, die wir gegenüber einer identifizierbaren<br />

Person begehen, und einer Handlung, von der wir<br />

zwar wissen, daß sie auf irgend jemand ändern die gleiche<br />

Wirkung ausübt, bei der wir aber nie sagen können, wen sie<br />

betrifft. Ein weiterer Grund ist wahrscheinlich die relativ<br />

Der »ex-gratia«-Ansatz 325<br />

geringe Zahl von Menschen, die tatsächlich imstande sind,<br />

das Aufnahmeland zu erreichen und um Asyl nachzusuchen,<br />

im Gegensatz zu der weit größeren Zahl von Flüchtlingen,<br />

deren Existenz uns bewußt ist, obwohl sie weit<br />

entfernt von uns sind. Dies ist das im Zusammenhang der<br />

Auslandshilfe diskutierte »Tropfen-auf-den-heißen-Stein«-<br />

Argument. Vielleicht können wir für alle Asylsuchenden<br />

eine Lösung finden, aber ganz gleich wie viele Flüchtlinge<br />

wir hereinlassen, das Problem wird nicht verschwinden.<br />

Wie im Fall des analogen Argumentes gegen die Auslandshilfe<br />

wird hierbei übersehen, daß wir durch die Aufnahme<br />

von Flüchtlingen bestimmten Personen ein menschenwürdiges<br />

Leben ermöglichen und damit etwas Sinnvolles tun,<br />

unabhängig davon, wie viele andere Flüchtlinge es noch geben<br />

mag, denen wir nicht helfen können.<br />

Gemäßigt liberale Regierungen, die bereit sind, zumindest<br />

auf einige humanitäre Regungen Rücksicht zu nehmen,<br />

handeln ziemlich genau nach Walzers Vorschlägen. Sie meinen,<br />

daß einem Gemeinwesen das Recht zur Entscheidung<br />

über die Aufnahme zusteht; zuerst werden Forderungen<br />

nach Familienzusammenführung erfüllt und dann solche<br />

von Menschen, die der ethnischen Gemeinschaft der Nation<br />

nicht angehören - vorausgesetzt der Staat besitzt überhaupt<br />

sine ethnische Identität. Die Aufnahme von Notleidenden<br />

wt ein ex-gratia-Akt. Gewöhnlich wird das Asylrecht respektiert,<br />

solange die Bewerberzahlen vergleichsweise niedri<br />

g bleiben. Flüchtlinge haben aber keinen wirklichen Anspruch<br />

auf Aufnahme, es sei denn, es gelingt ihnen, an ein<br />

Befühl politischer Verbundenheit zu appellieren, und sie<br />

sind auf die Barmherzigkeit des Aufnahmestaates angewiesen.<br />

Im großen und ganzen stimmt all dies mit der Einwanderungspolitik<br />

westlicher Demokratien überein. In bezug<br />

a uf Flüchtlinge ist der ex-gratia-Ansatz die derzeit vorherrschende<br />

Auffassung.

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