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Mehrdimensionale Integration

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Inhaltsverzeichnis<br />

<strong>Mehrdimensionale</strong> <strong>Integration</strong><br />

1 <strong>Integration</strong> 1<br />

1.1 Definition des Integrals im IR 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1<br />

1.2 Berechnung des Integrals und der Satz von Fubini . . . . . . . . . . . . . . . 4<br />

1.3 Volumenintegrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5<br />

1.4 Anwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6<br />

1.5 Volumenänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8<br />

1.6 Der Transformationssatz für Integrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10<br />

1.7 Erweiterung des Integralbegriffes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13<br />

2 Flächen und Flächenintegral 13<br />

2.1 Darstellungen von Flächen im IR 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13<br />

2.2 Flächenelement und Flächeninhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16<br />

2.3 Flächenintegrale erster und zweiter Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19<br />

3 Der Gaußsche Integralsatz 21<br />

3.1 Einfach und mehrfach zusammenhängende Gebiete . . . . . . . . . . . . . . . 21<br />

3.2 Der Divergenzoperator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21<br />

3.3 Der Gaußsche Integralsatz für räumliche Bereiche . . . . . . . . . . . . . . . . 23<br />

3.4 Der Gaußsche Integralsatz in der Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25<br />

3.5 Folgerungen aus dem Integralsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27<br />

3.6 Weitere Integralsätze vom Gauß – Typ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28<br />

4 Der Integralsatz von Stokes 29<br />

4.1 Der Rotationsoperator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29<br />

4.2 Das vektorielle Kurvenintegral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30<br />

4.3 Der Satz von Stokes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31<br />

4.4 Weitere Integralsätze vom Stokes – Typ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33<br />

5 Stammfunktionen und Wegunabhängigkeit von Kurven– und Flächenintegralen<br />

34<br />

5.1 Gradientenfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34<br />

5.2 Stammfunktionen für die Rotation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37<br />

1


1 <strong>Integration</strong><br />

1.1 Definition des Integrals im IR 2<br />

z<br />

y<br />

F<br />

f(x,y)<br />

1. Schritt: Definition für rechteckiges F<br />

d<br />

Q i<br />

c<br />

a b<br />

Dann heißen<br />

x<br />

Sei F ⊆ IR 2 eine beschränkte Menge und f :<br />

F → IR eine beschränkte Funktion. Für positives<br />

f bedeutet �<br />

F f(x, y) dF anschaulich das Volumen<br />

des Körpers unterhalb des Graphen von f . Das<br />

Riemann–Integral wird ähnlich wie in einer Raumdimension<br />

eingeführt; wirkliche Unterschiede ergeben<br />

sich nur bei krummmlinig berandeten Flächen<br />

F . Das Integral wird in mehreren Schritten definiert.<br />

Sei F = [a, b] × [c, d] ein Rechteck. F wird in<br />

abgeschlossene Rechtecke Z = (Q1, . . . , Qm) mit<br />

◦<br />

Qi ∩ ◦<br />

Qj= ∅ für i �= j und F = ∪Qi unterteilt. Sei<br />

µ(Qi) der Flächeninhalt von Qi . Setze<br />

mi = inf f(x) , Mi = sup f(x) .<br />

x∈Qi<br />

x∈Qi<br />

m�<br />

sf (Z) = miµ(Qi) ,<br />

m�<br />

Sf (Z) = Miµ(Qi)<br />

i=1<br />

i=1<br />

die Riemann–Unter– und Obersummen. Weiter definieren wir das Unter– und Oberintegral<br />

durch<br />

If = sup sf (Z) , If = inf Sf (Z) .<br />

Z<br />

Z<br />

Geometrisch bestimmen wir beim Unterintegral das größte Volumen, das sich durch rechteckige<br />

Säulen, die unterhalb des Graphen liegen, erzeugen läßt.<br />

Def. 1.1 f : F → IR heißt auf F integrierbar, wenn I f = If . In diesem Fall heißt<br />

das Integral von f .<br />

Andere Schreibweisen:<br />

�<br />

f(x, y) dxdy ,<br />

F<br />

2. Schritt: Allgemeine Bereiche F<br />

�<br />

F<br />

�<br />

F<br />

f(x, y) dF := I f = If<br />

f(x) dx wenn x = (x1, x2) ,<br />

1<br />

�<br />

F<br />

f(x, y) d(x, y) .


Sei F ⊆ IR 2 beschränkt und Q das kleinste abgeschlossene Rechteck mit F ⊆ Q . Wir setzen<br />

f auf Q fort durch<br />

f ∗ �<br />

f(x, y)<br />

(x, y) =<br />

0<br />

für<br />

für<br />

(x, y) ∈ F<br />

(x, y) ∈ Q/F .<br />

Def. 1.2 f heißt über F integrierbar, wenn f ∗ über Q integrierbar ist. In diesem Fall setze<br />

�<br />

�<br />

f(x, y) dF := f ∗ (x, y) dF .<br />

F<br />

Satz 1.3 Seien f, g über F ⊆ IR 2 integrierbar. Dann sind auch αf + βg, α, β ∈ IR , und |f|<br />

integrierbar und es gilt:<br />

�<br />

�<br />

�<br />

(i) (αf(x, y) + βg(x, y)) dF = α f(x, y) dF + β g(x, y) dF (Linearität) ,<br />

F<br />

�<br />

�<br />

F<br />

F<br />

(ii) f ≤ g ⇒ f(x, y) dF ≤ g(x, y) dF ,<br />

F<br />

insbesondere auch<br />

�<br />

f ≤<br />

F<br />

�<br />

|f| .<br />

Beweis: (i) ist für Treppenfunktionen richtig und läßt sich durch Grenzübergang auf integrierbare<br />

Funktionen übertragen. Für (ii) ist wegen der Linearität nur zu zeigen:<br />

�<br />

f ≥ 0 ⇒ f ≥ 0.<br />

Das folgt direkt aus der Definition.<br />

3. Schritt: Meßbare Mengen<br />

Def. 1.4 Sei F ⊆ IR 2 beschränkt. F heißt meßbar, wenn<br />

�<br />

µ(F ) = 1 dF<br />

existiert. µ(F ) heißt dann das Maß von F .<br />

Der nächste Satz gibt ein einfaches Kriterium für die Integrierbarkeit von Funktionen.<br />

Satz 1.5 Stetige Funktionen f auf meßbaren kompakten Mengen sind integrierbar.<br />

Beweis: Sei Q wieder das kleinste kompakte Rechteck, das F umfaßt, und sei f ∗ die Fortsetzung<br />

von f durch 0 wie im 2. Schritt. f nimmt das Maximum M und das Minimum m<br />

auf F an. Weiter ist f auf der kompakten Menge F gleichmäßig stetig, d.h.: Zu jedem ε > 0<br />

gibt es ein δ > 0 mit<br />

(1.1)<br />

|f(x) − f(y)| < ε ∀x, y ∈ F mit |x − y| < δ .<br />

2<br />

F<br />

Q


Sei ε > 0 vorgegeben; δ sei wie in (1.1). Sei Z = (Q1, . . . , Qm) eine Zerlegung mit Kantenlänge<br />

der Qi kleiner als δ . Sei I ⊆ {1, . . . , m} die Indexmenge mit Qi ∩ ∂F = ∅ . Dann gilt (1.1)<br />

innerhalb von Qi für diese i ∈ I . Also<br />

m�<br />

Sf (Z) − sf (Z) = (Mi − mi)µ(Qi) ≤<br />

i=1<br />

�<br />

(Mi − mi)µ(Qi) +<br />

i∈I<br />

�<br />

(|M| + |m|)µ(Qi)<br />

Qi∩∂F �=∅<br />

(1.1)<br />

≤ ε �<br />

µ(Qi) + (|M| + |m|) �<br />

i∈I<br />

Qi∩∂F �=∅<br />

µ(Qi) .<br />

Der erste Summand kann beliebig klein gewählt werden. Um auch den zweiten Summanden<br />

klein zu bekommen, zeigen wir<br />

(1.2)<br />

Der Rand einer meßbaren, kompakten Menge ist meßbar und besitzt Maß 0 .<br />

Für die Funktion g = 1 auf F , g = 0 sonst, gilt<br />

Sg(Z) − sg(Z) = �<br />

Qi∩∂F �=∅<br />

µ(Qi).<br />

Da 1 nach Voraussetzung über F integrierbar ist, geht die linke Seite für eine Zerlegungsfolge<br />

mit Kantenlänge → 0 ebenfalls gegen Null, also auch die rechte Seite. Die rechte Seite ist<br />

aber gerade die Obersumme von g = 1 auf ∂F . Also ist ∂F meßbar und µ(∂F ) = 0 .<br />

Satz 1.6 (Mittelwertsatz) f sei integrierbar auf der meßbaren kompakten Menge F mit<br />

Maß µ(F ) . Dann gilt<br />

�<br />

inf f(x)µ(F ) ≤<br />

x∈F F<br />

f(x) dF ≤ sup f(x)µ(F ) .<br />

x∈F<br />

Wenn f zusätzlich stetig ist und F zusätzlich zusammenhängend, so gibt es ein x0 ∈ F mit<br />

�<br />

f(x) dF = f(xo)µ(F ) .<br />

F<br />

Beweis: Die erste Behauptung ist anschaulich klar und folgt überdies aus der Beziehung<br />

durch <strong>Integration</strong>, siehe Satz 1.3 (ii).<br />

inf f ≤ f(x) ≤ sup f<br />

Wenn f zusätzlich stetig ist, so wird das Minimum m in x und das Maximum M in y<br />

angenommen. Sei w ein Polygonzug, der x und y verbindet, und w(t), t ∈ [a, b], sei eine<br />

Parametrisierung von w . Die Funktion<br />

f(w(t))µ(F )<br />

ist stetig auf [a,b]. Wegen der ersten Behauptung gibt es nach dem Zwischenwertsatz ein<br />

t0 ∈ [a, b] mit<br />

�<br />

f(w(t0))µ(F ) = f(x) dF .<br />

Damit ist w(t0) das gesuchte x0 .<br />

3<br />

F


1.2 Berechnung des Integrals und der Satz von Fubini<br />

Satz 1.7 (Fubini) Sei F = [a, b] × [c, d] ein Rechteck und f : F → IR integrierbar. Weiter<br />

seien f(·, y) : [a, b] → IR für alle y ∈ [c, d] und f(x, ·) : [c, d] → IR für alle x ∈ [a, b]<br />

integrierbar. Dann gilt:<br />

�<br />

� �<br />

d � �<br />

b<br />

� �<br />

b � �<br />

d<br />

f(x, y) dF = f(x, y) dx dy = f(x, y) dy dx .<br />

F<br />

Bem.: Oft läßt man die Klammern weg!<br />

a x0 b<br />

c<br />

x<br />

a = x0 < x1 < . . . < xm = b, xi − xi−1 = ∆x .<br />

Das Volumen unterhalb des Graphen (= �<br />

F f(x, y) dF ) ist dann etwa<br />

a<br />

m−1 �<br />

∆x F (xi) →<br />

i=1<br />

a<br />

c<br />

Beweisskizze: Mit F (x) = � d<br />

c f(x, y) dy beträgt<br />

das Volumen unterhalb des Graphen über dem<br />

Streifen<br />

{(x, y) ∈ F : x ∈ [x0, x0 + ∆x]}<br />

ungefähr ∆xF (x) . Wir unterteilen [a, b] äquidistant:<br />

� b<br />

F (x) dx .<br />

a<br />

Die andere Möglichkeit – zuerst bezüglich y zu integrieren – verläuft analog.<br />

Folgerungen: Bei allgemeinen Gebieten wird f durch 0 fortgesetzt, was zu folgenden Spezialfällen<br />

führt:<br />

(i)<br />

y<br />

ϕ 2(x)<br />

ϕ 1(x)<br />

a b<br />

x<br />

d<br />

c<br />

y<br />

ψ 1(y) ψ 2(y)<br />

� � b � ϕ2(x)<br />

f dF = f(x, y) dy dx (ii)<br />

� � d � ψ2(y)<br />

f dF = f(x, y) dx dy<br />

F<br />

a ϕ1(x)<br />

F<br />

c ψ1(y)<br />

Kompliziertere Gebiete wird man in diese Typen zerlegen !<br />

4<br />

x


Beispiele 1.8 (i) Volumen der Halbkugel<br />

Über dem Einheitskreis läßt sich die obere Halbkugel durch die Funktion f(x, y) = � 1 − x2 − y2 darstellen. Wie in den Folgerungen (i) erhalten wir<br />

�<br />

F<br />

�<br />

f dF =<br />

F<br />

�<br />

1 − x2 − y2 � 1 �<br />

dF =<br />

−1<br />

√ 1−x2 − √ 1−x2 �<br />

1 − x2 − y2 dy dx<br />

Für die <strong>Integration</strong> der rechten Seite wird die Variable x zunächst als konstant angesehen.<br />

Wir erhalten für die Stammfunktion<br />

und mit a 2 = 1 − x 2<br />

� 1 � √ 1−x2 −1<br />

− √ 1−x 2<br />

� �<br />

a2 − y2 dy = 1<br />

2 (y<br />

�<br />

a2 − y2 + a 2 arcsin y<br />

a<br />

�<br />

1 − x 2 − y 2 dy dx<br />

= 1<br />

� �<br />

1 �<br />

y 1 − x<br />

2 −1<br />

2 − y2 + (1 − x 2 ) arcsin<br />

y<br />

�<br />

1 − x 2<br />

= 1<br />

� 1<br />

(0 + (1 − x<br />

2 −1<br />

2 )(arcsin 1 − arcsin (−1))) dx<br />

= π<br />

� 1<br />

2 −1<br />

(1 − x 2 ) dx = π 1<br />

(x −<br />

2<br />

3 x2 �<br />

�<br />

) �<br />

�<br />

1<br />

−1<br />

= 2<br />

π .<br />

3<br />

��√ ���� 1−x2 − √ 1−x 2<br />

(ii) Zu F = {(x, y) T ∈ IR 2 : −1 ≤ x ≤ 1, x 2 ≤ y ≤ 1} soll das Integral �<br />

F (x4 y + 3) dF<br />

bestimmt werden.<br />

y<br />

1<br />

-1 1<br />

=<br />

� 1<br />

{<br />

−1<br />

1<br />

2 x4y 2 �<br />

�1<br />

+ 3y} �<br />

�<br />

x2 dx =<br />

= { 1<br />

10 x5 + 3x − 1<br />

18 x9 − x 3 �<br />

�<br />

} �<br />

�<br />

1.3 Volumenintegrale<br />

x<br />

� 1<br />

1<br />

−1<br />

−1<br />

Die <strong>Integration</strong>sgrenzen können aus der nebenstehenden<br />

Skizze entnommen werden. Daher<br />

�<br />

(x 4 � 1 � 1<br />

y + 3) dF = (x 4 y + 3) dy dx<br />

F<br />

{ 1<br />

2 x4 + 3 − 1<br />

2 x8 − 3x 2 } dx<br />

−1<br />

x 2<br />

dx<br />

= 2{ 1 1<br />

9 − 5 4<br />

+ 3 − − 1} = 4 + = 4<br />

10 18 45 45 .<br />

Das Integral im IR n ist völlig analog zum IR 2 definiert. Wir integrieren zuerst über einen<br />

Quader Q und zerlegen Q in kleinere Quader Qi, deren Maß µ(Qi) das übliche Kantenprodukt<br />

ist. Damit lassen sich Unter- und Oberintegrale und demnach das Riemann-Integral<br />

5


definieren. Die Sätze 1.3 - 1.6 bleiben sinngemäß richtig. Die Berechnung erfolgt wieder durch<br />

mehrfache Integrale. Im IR 3 :<br />

z<br />

y<br />

ϕ 2(x,y)<br />

ϕ 1(x,y)<br />

� �<br />

f dV =<br />

� ϕ2(x,y)<br />

f(x, y, z) dz dF<br />

V<br />

F ϕ1(x,y)<br />

x<br />

z<br />

�<br />

y<br />

V<br />

F(c)<br />

a c b<br />

� b �<br />

f dV =<br />

a<br />

F (x)<br />

x<br />

f(x, y, z) dF dx<br />

Beispiel 1.9 Wir berechnen das Volumen des Schnittkörpers, der beim rechtwinkligen Schnitt<br />

zweier koaxialer Kreiszylinder mit Radius R entsteht.<br />

z<br />

y<br />

x<br />

Der Körper wird durch vier Zylinderteile begrenzt. Daher genügt es, über den schraffierten<br />

Bereich F zu integrieren.<br />

� �<br />

V = 4<br />

F<br />

√ R2−x2 − √ R2−x2 1 dz dF = 4<br />

1.4 Anwendungen<br />

Masse<br />

� R � x<br />

0<br />

−x<br />

� √ R 2 −x 2<br />

− √ R 2 −x 2<br />

� R � x<br />

1 dz dy dx = 8<br />

� R<br />

= 16 x<br />

0<br />

�<br />

R2 − x2 �<br />

dx = 16 − 1<br />

�<br />

(R<br />

3<br />

2 − x 2 ) 3<br />

�<br />

�<br />

2 �<br />

�<br />

Sei F eine materielle Scheibe des IR 2 mit Massendichte ϱ(x, y) .<br />

�<br />

M = ϱ(x, y) dF<br />

F<br />

6<br />

R<br />

0<br />

0<br />

−x<br />

F<br />

= 16<br />

3 R3 .<br />

x<br />

�<br />

R 2 − x 2 dy dx


ist dann die Masse von F .<br />

Entsprechend erhalten wir für die Masse eines Körpers V ⊆ IR 3 mit Massendichte ϱ(x, y, z)<br />

�<br />

M = ϱ(x, y, z) dV .<br />

V<br />

Anschaulich ist ϱ(x)µ(Q) ungefähr die Masse eines kleinen Quaders Q mit x ∈ Q ⊆ IR n .<br />

Schwerpunkt<br />

η<br />

y<br />

ξ<br />

S<br />

Da für die y–Richtung das gleiche Argument gilt, ist<br />

ξ = 1<br />

�<br />

M<br />

xϱ(x, y) dF , η = 1<br />

M<br />

F<br />

x<br />

Sei S = (ξ, η) der Schwerpunkt einer Fläche F ⊆<br />

IR 2 . ξ ist dadurch definiert, daß der Körper im<br />

Gleichgewicht ist, wenn man △ an der Stelle ξ anlegt.<br />

Dies ist gleichwertig mit<br />

�<br />

ϱ(x, y)(ξ − x) dF = 0 .<br />

�<br />

F<br />

F<br />

yϱ(x, y) dF .<br />

Mit gleicher Überlegung erhalten wir für den Schwerpunkt S = (ξ1, ξ2, ξ3) eines Körpers<br />

V ⊆ IR 3 mit Dichte ϱ(x1, x2, x3)<br />

ξi = 1<br />

�<br />

xiϱ(x1, x2, x3) dV , i = 1, 2, 3 .<br />

M V<br />

Beispiele 1.10 (i) Schwerpunkt einer halbkreisförmigen Scheibe<br />

y<br />

R<br />

x<br />

Für die nebenstehende Scheibe gilt offenbar bei<br />

Massendichte 1 M = 1 2 R2 π. Für den Flächenschwerpunkt<br />

folgt daher<br />

ξ = 2<br />

R 2 � R �<br />

π −R<br />

√ R2−x2 x dy dx = 0 ,<br />

0<br />

η = 2<br />

R 2 � R �<br />

π −R<br />

√ R2−x2 y dy dx =<br />

0<br />

1<br />

R 2 � R<br />

(R<br />

π −R<br />

2 − x 2 ) dx = 1<br />

R 2 π (2R3 − 2<br />

(ii) Schwerpunkt des Einheitsdreiecks<br />

3 R3 ) = 4<br />

3<br />

Das Einheitsdreieck wird begrenzt durch die Geraden x = 0, y = 0 und x + y = 1 . Mit<br />

M = 1 2<br />

erhalten wir<br />

also<br />

�<br />

F<br />

x dx =<br />

� 1 � 1−y<br />

0<br />

0<br />

x dx dy =<br />

� 1<br />

0<br />

1<br />

2 (1 − y)2 dy = { 1 1<br />

−<br />

2 2<br />

(ξ, η) = ( 1 1<br />

, ) .<br />

3 3<br />

7<br />

1 1<br />

+ } =<br />

6 6 ,<br />

R<br />

π .


1.5 Volumenänderung<br />

In diesem Abschnitt untersuchen wir, wie sich das Volumen µ(V ∗ ) einer Fläche oder eines<br />

Körpers V ∗ verändert, wenn V ∗ durch eine Abbildung g : V ∗ → IR n , n = 2 bzw. 3, auf ein<br />

Volumen V = g(V ∗ ) abgebildet wird.<br />

v 2<br />

v 1<br />

Zunächst betrachten wir einen Spat des IR n , der durch<br />

die Vektoren v1, . . . , vn aufgespannt wird, also die Menge<br />

S = {x ∈ IR n : x =<br />

Nach einem früheren Satz gilt für das Volumen des Spates<br />

(1.3)<br />

µ(S) = |det(v1| . . . |vn)| ,<br />

also die Determinante der Matrix, die die vi als Spaltenvektoren besitzt.<br />

n�<br />

αivi mit 0 ≤ αi ≤ 1} .<br />

Nun betrachten wir das Bild des Würfels Qε mit Kantenlänge ε unter einer linearen<br />

Abbildung, die in Form einer Matrix T = (v1| . . . |vn) gegeben ist. Schreiben wir Qε =<br />

(εe1| . . . |εen), ei = i−ter Einheitsvektor des IR n , so wird Qε auf den Spat abgebildet, der<br />

durch die Vektoren εv1, . . . , εvn aufgespannt wird. Nach (1.3) gilt:<br />

(1.4)<br />

i=1<br />

µ(T Qε) = |det(v1| . . . |vn)| µ(Qε) = ε n |det(v1| . . . |vn)| .<br />

Anschaulich gibt der Ausdruck | det(v1| . . . |vn)| die Volumenänderung an, der Qε unter der<br />

Abbildung T ausgesetzt ist. Der nächste Satz ist daher keine Überraschung:<br />

Satz 1.11 Sei V ∗ ⊆ IR n meßbar und g : V ∗ → V ⊆ IR n eine bijektive, stetig differenzierbare<br />

Transformation mit Funktionalmatrix Jg(u) �= 0, u ∈ V . Dann gilt:<br />

(1.5)<br />

�<br />

µ(V ) =<br />

V ∗<br />

| det Jg(u)| dV .<br />

Bem.: Wie in der Literatur üblich, wird der Urbildraum mit u-Koordinaten bezeichnet,<br />

u = (u1, . . . , un) T oder (u, v) T ∈ IR 2 , der Bildraum mit x-Koordinaten, xi = gi(u) . Für Jg(u)<br />

ist die Bezeichnung ∂(x1, . . . , xn)<br />

∂(u1, . . . , un) in Gebrauch und für det Jg(u) schreibt man auch ∆ .<br />

Beweisskizze: Dieser Beweis ist sehr aufwendig, die Formel (1.5) läßt sich aber leicht veranschaulichen.<br />

Wir setzen g ∈ C 2 (V ∗ ), V ∗ ⊆ IR 2 , voraus und schöpfen V ∗ bis auf einen<br />

”kleinen” Rest durch Würfel Qi mit Kantenlänge ε aus.<br />

V*<br />

g<br />

8<br />

V


Ein Qi besitze die Eckpunkte u0, u0 + εe1, u0 + εe2, u0 + εe1 + εe2 . Nach dem Satz von Taylor<br />

gilt für u0 + v ∈ Qi<br />

g(u0 + v) = g(u0) + Jg(u0)v + O(ε 2 (1.6)<br />

) .<br />

Damit bildet g – bis auf einen Fehler der Größe ε 2 – das Qi ab auf einen Spat mit den Eckpunkten<br />

g(u0), g(u0) + Jg(u0)(εe1), g(u0) + Jg(u0)(εe2), g(u0)Jg(u0)(εe1) + Jg(u0)(εe2) . Das Volumen<br />

dieses Spats stimmt mit dem Spat überein, der von den Vektoren εJg(u0)e1, εJg(u0)e2<br />

erzeugt wird. Nach (1.4) gilt<br />

µ(g(Qi)) = |det Jg(u0)| µ(Qi) + O(ε n+1 ) .<br />

Nun dominiert µ(Qi) = ε n über ε n+1 , sodaß wir nach Summation über i für ε → 0 gerade<br />

die Formel (1.5) bekommen.<br />

Für die Rechentechnik ist dieser Satz deshalb bedeutsam, weil die Volumenberechnung eines<br />

krummlinigen Körpers auf ein Integral über einen einfachen Körper zurückgeführt werden<br />

kann.<br />

Beispiel 1.12 Wir betrachten die Deformation eines Dreiecks D∗ , die gegeben ist durch<br />

v<br />

y<br />

1<br />

1<br />

2<br />

1<br />

2<br />

3<br />

1<br />

�<br />

x<br />

y<br />

u<br />

�<br />

= g<br />

Die Ränder von D ∗ werden dabei so abgebildet:<br />

1. u = v → x = 0<br />

⎛<br />

2. v = 1 √ 2 →<br />

3. u = 1 →<br />

⎝ u2 − 1 2<br />

√ 2 u<br />

�<br />

1 − v 2<br />

2v<br />

⎞<br />

�<br />

u<br />

v<br />

�<br />

1<br />

=<br />

2<br />

1<br />

�<br />

2<br />

u 2 − v 2<br />

2uv<br />

⎠ ⇒ y 2 = 2u 2 = 2(x + 1 2 )<br />

�<br />

⇒ y 2 = 4v 2 = 4(1 − x)<br />

3<br />

�<br />

y 2=2(x+ 1 2 )<br />

y 2=4(1-x)<br />

Diese Deformation überführt Kreise u2 + v2 = const wieder in Kreise x2 + y2 = (u2 + v2 ) 2 =<br />

const . Wir untersuchen die Flächenänderung:<br />

�<br />

�<br />

2u −2v<br />

det Jg(u, v) = det<br />

= 4(u<br />

2v 2u<br />

2 + v 2 ) .<br />

9


Da in D∗ gilt 4(u2 + v2 �� �2 � � �<br />

2<br />

) ≥ 4 1√ + √1 = 4 , haben wir bei dieser Deformation<br />

2 2<br />

in jedem Punkt eine Flächenvergrößerung. Nach Satz 1.11 gilt<br />

�<br />

D<br />

�<br />

1 dF = 4<br />

D∗ (u 2 + v 2 � 1 � u<br />

) dF = 4 √ √ (u<br />

2/2 2/2<br />

2 + v 2 ) dv du<br />

= 4<br />

= 4<br />

� 1<br />

√ 2/2<br />

(u 2 v + 1<br />

3 v3 �<br />

�<br />

�<br />

) �<br />

�<br />

u<br />

√ 2/2<br />

�<br />

1<br />

3 −<br />

√<br />

2<br />

6 −<br />

√ �<br />

2 1 1 1<br />

− + +<br />

12 12 12 12<br />

1.6 Der Transformationssatz für Integrale<br />

� �<br />

1 4<br />

du = 4 √<br />

2/2 3 u3 √<br />

2<br />

−<br />

2 u2 −<br />

= 5 − 3√ 2<br />

3<br />

.<br />

√ �<br />

2<br />

du<br />

12<br />

Satz 1.13 Seien die Gebiete V, V ∗ ⊆ IR n und die Transformation g : V ∗ → V so wie in Satz<br />

1.11. Für stetiges f : V → IR gilt dann:<br />

�<br />

V<br />

�<br />

f(x) dV =<br />

V ∗<br />

f(g(u)) | det Jg(u)| dV ∗ .<br />

Die Begründung für die Gültigkeit dieses Satzes ist genau die gleiche wie bei Satz 1.11. Für<br />

n = 1 erhalten wir im wesentlichen die Substitutionsregel für Integrale:<br />

� x(b)<br />

� b<br />

f(x) dx = f(x(u))x<br />

x(a)<br />

a<br />

′ (u) du .<br />

Hier steht auf der rechten Seite x ′ (u) ohne Betragsstriche, weil in einer Raumdimension der<br />

Wert des Integrals von der Orientierung der <strong>Integration</strong>svariablen abhängt, nämlich � b<br />

a =<br />

− � a<br />

b . Eine solche Orientierung, obwohl man sie durchaus einführen könnte, fehlt in der<br />

mehrdimensionalen <strong>Integration</strong>.<br />

Ein wichtiges und einfaches Beispiel für eine Transformation ist die affin lineare Transformation<br />

g(u) = T u + b<br />

mit einer (n × n)–Matrix T und einem Vektor b ∈ IR n . Da T und b nicht von u abhängen,<br />

erhalten wir Jg(u) = T und daher det Jg(u) = det T . Der Term, der die Volumenänderung<br />

angibt, läßt sich hier vor das Integral ziehen.<br />

Für Polarkoordinaten (n = 2) erhalten wir aus x = r cos ϕ , y = r sin ϕ für die Funktionalmatrix<br />

�<br />

cos ϕ<br />

J (x,y)(r, ϕ) =<br />

sin ϕ<br />

�<br />

−r sin ϕ<br />

r cos ϕ<br />

und daher<br />

det J (x,y)(r, ϕ) = r .<br />

10


Die Zylinderkoordinaten (n = 3) unterscheiden sich in ihrer Struktur nicht von den Polarkoordinaten,<br />

weil die z–Richtung nicht transformiert wird,<br />

also<br />

und<br />

x = r cos ϕ , y = r sin ϕ , z = z ,<br />

J (x,y,z)(r, ϕ, z) =<br />

⎛<br />

⎜<br />

⎝<br />

cos ϕ −r sin ϕ 0<br />

sin ϕ r cos ϕ 0<br />

0 0 1<br />

det J (x,y,z)(r, ϕ, z) = r .<br />

Die Kugelkoordinaten (n = 3) sind folgendermaßen definiert: Es werden die (x, y)-Ebene<br />

und die positive x-Achse ausgezeichnet. Zu einem (x, y, z) ∈ IR 3 gibt r ≥ 0 den Abstand zum<br />

Nullpunkt an, ϕ ∈ [0, 2π) bezeichnet den Winkel, den die Projektion (x, y) T ∈ IR 2 mit der<br />

positiven x−Achse einschließt, und θ ∈ [−π 2 , π 2<br />

] gibt den Winkel zwischen dem Ortsvektor<br />

und der (x, y)-Ebene an. Analytisch bedeutet dies<br />

x = r cos ϕ cos θ<br />

y = r sin ϕ cos θ<br />

z = r sin θ<br />

Für die Funktionalmatrix erhalten wir<br />

⎛<br />

cos ϕ cos θ<br />

⎜<br />

J (x,y,z)(r, ϕ, θ) = ⎝ sin ϕ cos θ<br />

−r sin ϕ cos θ<br />

r cos ϕ cos θ<br />

−r cos ϕ sin θ<br />

r sin ϕ sin θ<br />

⎞<br />

⎟<br />

⎠<br />

sin θ 0 r cos θ<br />

und<br />

det J (x,y,z) = r 2 cos θ .<br />

Beispiele 1.14 (i) Aus einer Kugel mit Radius R wird ein Zylinder der Höhe H herausgenommen.<br />

Es soll das Volumen V des Restkörpers berechnet werden.<br />

z<br />

y<br />

H<br />

R 1<br />

R<br />

x<br />

Wie in den Zeichnungen angegeben, können wir die Volumenberechnung auf eine <strong>Integration</strong><br />

über den Ringbereich D zurückführen,<br />

� �<br />

V = 2 R2 − x2 − y2 dV .<br />

D<br />

11<br />

D<br />

⎞<br />

⎟<br />

⎠<br />

R 1<br />

R<br />

x


Wir verwenden Polarkoordinaten und erhalten wegen det J (x,y)(r, ϕ) = r<br />

� R<br />

V = 2<br />

R1<br />

= − 4π<br />

3<br />

� 2π<br />

Das Volumen hängt nicht von R ab !<br />

(ii) Wir berechnen I = �<br />

V<br />

y<br />

V<br />

ϕ=<br />

1<br />

4-r2 0<br />

�<br />

R2 − r2 � R<br />

r dϕ dr = 4π r<br />

R1<br />

�<br />

R2 − r2 dr<br />

��<br />

R2 − r2 � �<br />

3��� R<br />

�<br />

6 + � x 2 + y 2<br />

Wir führen wieder Polarkoordinaten ein:<br />

x<br />

R1<br />

�<br />

dV .<br />

x = r cos ϕ , y = r sin ϕ , 6 +<br />

0<br />

= 4π<br />

�<br />

R<br />

3<br />

2 − R2 3<br />

1<br />

= π<br />

6 H3 .<br />

V liegt im 1. Quadranten und ist begrenzt durch<br />

arctan y<br />

x =<br />

�<br />

x 2 + y 2 = 6 + r ,<br />

x = 0 ,<br />

x 2 + y 2 = 1 ,<br />

1<br />

4 − x 2 2 .<br />

− y<br />

∂(x, y)<br />

= r .<br />

∂(r, ϕ)<br />

Aus der Zeichnung ergibt sich<br />

I =<br />

� 1 � π/2<br />

0 1/(4−r2 � 1 �<br />

π 1<br />

(6 + r)r dϕ dr = −<br />

)<br />

0 2 4 − r 2<br />

�<br />

(6r + r 2 ) dr<br />

=<br />

� 1 �<br />

π<br />

2 (6r + r2 ) + 1 + 2<br />

�<br />

4<br />

+ dr = 1 +<br />

r + 2 r − 2<br />

5π 9<br />

+ ln<br />

3 64 .<br />

(iii) Volumen eines Rotationskörpers<br />

z<br />

y<br />

f(x)<br />

a b<br />

�<br />

V<br />

� b<br />

1 dV =<br />

a<br />

x<br />

� 2π � f(x)<br />

Das Volumen des Rotationskörpers ist also<br />

0<br />

0<br />

Ein Körper V rotiere um die x-Achse und werde<br />

durch eine Funktion f(x) erzeugt. Um das Volumen<br />

von V zu bestimmen, führen wir in der (x, y)-<br />

Ebene Polarkoordinaten ein (=Zylinderkoordinaten<br />

des IR 3 ).<br />

Damit gilt<br />

� b � 2π 1<br />

r dr dϕ dx =<br />

2 f 2 (x) dϕ dx<br />

� b<br />

V = π f<br />

a<br />

2 (x) dx .<br />

12<br />

a<br />

0


1.7 Erweiterung des Integralbegriffes<br />

Dieser Abschnitt läßt sich in einem Satz zusammenfassen: Das Integral über eine vektor–<br />

oder komplexwertige Funktion ist komponentenweise zu verstehen.<br />

Für eine vektorwertige Funktion f = (f1, f2, . . . , fm): V → IR m bedeutet dies<br />

�<br />

V<br />

��<br />

f(x) dV =<br />

Dies führt manchmal zu eleganten Darstellungen:<br />

V<br />

�<br />

fi(x) dV .<br />

i=1,2,...,m<br />

Beispiel 1.15 Für einen Körper V ⊆ IR n mit Massendichte ϱ(x) gilt für die Masse M<br />

�<br />

M =<br />

und der Schwerpunkt S errechnet sich zu<br />

V<br />

ϱ(x) dV (skalarwertig)<br />

S = 1<br />

�<br />

xϱ(x) dV (vektorwertig) .<br />

M V<br />

Für eine komplexwertige Funktion f : IR n → C schreiben wir f(x) = u(x) + iv(x) und<br />

setzen �<br />

�<br />

�<br />

f(x) dV = u(x) dV + i v(x) dV ∈ C .<br />

V<br />

V<br />

V<br />

2 Flächen und Flächenintegral<br />

2.1 Darstellungen von Flächen im IR 3<br />

Anschaulich ist eine Fläche des IR 3 eine lokal zweidimensionale Menge. Analog zur Darstellung<br />

von Kurven kennt man drei Arten, eine Fläche darzustellen. Auch hier wollen wir streng<br />

unterscheiden zwischen der Fläche, die ein geometrisches Objekt bestehend aus Punkten im<br />

IR 3 ist, und der Flächendarstellung, die meist eine Abbildung ist. Zu einer Fläche lassen sich<br />

beliebig viele Darstellungen finden, die das gleiche geometrische Objekt beschreiben.<br />

Zu einer glatten Fläche gibt es in jedem Punkt x ∈ F einen Normaleneinheitsvektor<br />

n = n(x) , |n| = 1 , der als +n oder −n gewählt werden kann. Auch wieder in Analogie zur<br />

Kurve haben wir dadurch die Möglichkeit, die Fläche zu orientieren.<br />

Implizite Darstellung: Das Nullstellengebilde einer Funktion f : IR 3 → IR wird i.a. eine<br />

Fläche sein,<br />

F = {x ∈ IR 3 : f(x) = 0}<br />

Diese Darstellung hat den Nachteil, daß es manchmal schwer ist, überhaupt Punkte auf der<br />

Fläche anzugeben. Da der Gradient von f<br />

∇f = (∂1f, ∂2f, ∂3f) T<br />

13


in Richtung des stärksten Anstiegs von f zeigt, erhalten wir eine Normale durch<br />

n(x) = ∇f(x)<br />

|∇f(x)| .<br />

An f stellen wir daher die Forderung f ∈ C 1 mit ∇f �= 0 auf F .<br />

Explizite Darstellung: Einem Bereich B ⊆ IR 2 und einer Funktion f : B → IR läßt sich<br />

der Graph von f zuordnen,<br />

�<br />

F = (x, y, z) T ∈ IR 3 : z = f(x, y) , (x, y) T �<br />

∈ B<br />

Hier lassen sich die Flächenpunkte sofort angeben, allerdings können wir – außer durch Hilfskonstruktionen<br />

– keine Flächen darstellen, bei denen zu einem (x, y) mehrere Punkte auf der<br />

Fläche (x, y, z) gehören. Nach Ingenieurmathematik III ist eine Normale gegeben durch<br />

⎛ ⎞<br />

n = (1 + |fx| 2 + |fy| 2 1<br />

−<br />

) 2<br />

Parameterdarstellung: Zu einer vektorwertigen Funktion x : B → IR 3 , B ⊆ IR 2 , gibt es<br />

eine Fläche<br />

F = {x(u, v): (u, v) ∈ B} ,<br />

die von x parametrisiert wird. Wir können x als Schar von Kurven des IR 3 auffassen. Je<br />

nachdem, ob wir v oder u festhalten und nur die Abhängigkeit in der anderen Variablen<br />

betrachten, erhalten wir die u– und v–Linien der Fläche.<br />

x 3<br />

x 2<br />

x v<br />

⎜<br />

⎝<br />

x u<br />

−fx<br />

−fy<br />

1<br />

x 1<br />

⎟<br />

⎠ .<br />

u-Linien (v=konst)<br />

v-Linien (u=konst)<br />

Die zugehörigen Tangentenvektoren sind dann xu und xv, der Normalenvektor also<br />

(2.1)<br />

n = xu × xv<br />

|xu × xv| .<br />

Bei einer Fläche in Parameterform fordern wir daher x(u, v) ∈ C 1 (B) 3 und xu × xv �= 0 in<br />

B .<br />

Beispiele 2.1 (i) Die Kugeloberfläche des IR 3 mit Mittelpunkt im Ursprung und Radius R<br />

ist implizit gegeben durch<br />

x 2 1 + x 2 2 + x 2 3 = R 2<br />

14


mit der Normalen<br />

⎛<br />

n = 1 ⎜<br />

⎝<br />

2R<br />

2x1<br />

2x2<br />

2x3<br />

⎞<br />

⎟<br />

⎠ = x<br />

R .<br />

Für die explizite Darstellung lösen wir die implizite nach z = x3 auf und erhalten für die<br />

obere Halbkugel<br />

�<br />

z = R2 − x2 − y2 .<br />

Für die Normale gilt dann<br />

n =<br />

⎛<br />

⎜<br />

⎝<br />

x(R2 − x2 − y2 ) −1/2<br />

y(R2 − x2 − y2 ) −1/2<br />

1<br />

⎞<br />

�<br />

⎟ 2 2 2<br />

⎟<br />

R − x − y<br />

⎠<br />

R 2<br />

�1/2 natürlich das gleiche wie oben.<br />

⎛<br />

= 1 ⎜<br />

R ⎝<br />

x<br />

y<br />

(R 2 − x 2 − y 2 ) 1/2<br />

Für die Parametrisierung der Kugeloberfläche verwendet man am besten Kugelkoordinaten<br />

mit r = R, also<br />

x = R cos ϕ cos θ<br />

y = R sin ϕ cos θ<br />

z = R sin θ<br />

�<br />

wobei B = (ϕ, θ) ∈ [0, 2π) × [−π 2 , π 2 ]<br />

�<br />

.<br />

Die ϕ–Linien sind nun die Breitenkreise und die θ–Linien die Höhenkreise. Für die Tangentenvektoren<br />

der ϕ– und θ–Linien erhalten wir (�x = (x, y, z))<br />

⎛<br />

⎞<br />

⎛<br />

⎞<br />

− sin ϕ cos θ<br />

− cos ϕ sin θ<br />

⎜<br />

⎟<br />

⎜<br />

⎟<br />

�xϕ = R ⎝ cos ϕ cos θ ⎠ , �xθ = R ⎝ − sin ϕ sin θ ⎠<br />

0<br />

cos θ<br />

und<br />

(2.2)<br />

⎛<br />

�xϕ × �xθ = R 2 ⎜<br />

det ⎝<br />

Für die Normale folgt einfach<br />

⎛<br />

= R 2 ⎜<br />

cos θ ⎝<br />

− sin ϕ cos θ − cos ϕ sin θ e1<br />

cos ϕ cos θ − sin ϕ sin θ e2<br />

0 cos θ e3<br />

cos ϕ cos θ<br />

sin ϕ cos θ<br />

sin θ<br />

n = �x<br />

R .<br />

⎞<br />

⎛<br />

⎟ ⎜<br />

⎠ = R cos θ ⎝<br />

(ii) In parametrischer Form ist die Sattelfläche gegeben durch B = Einheitskreis um 0,<br />

⎛<br />

⎜<br />

x(u, v) = ⎝<br />

u<br />

v<br />

uv<br />

⎞<br />

⎟<br />

⎠<br />

15<br />

x<br />

y<br />

z<br />

⎞<br />

⎞<br />

⎟<br />

⎠<br />

⎟<br />

⎠ .<br />

⎞<br />

⎟<br />

⎠ ,


und nach z = x3 aufgelöst erhalten wir in expliziter Form z = xy . Der Normalenvektor ist<br />

gegeben durch<br />

⎛ ⎞<br />

−y<br />

⎜ ⎟<br />

n = ⎝ −x ⎠ (1 + x<br />

1<br />

2 + y 2 ) −1/2 .<br />

Tangentialflächengleichung: Hat man die Normale n im Punkt x ∈ F bestimmt, so erhält<br />

man daraus wie üblich mit der Hesseschen Normalenform die Gleichung der Tangentialebene<br />

der Fläche im Punkt x durch<br />

(y − x) · n = 0 .<br />

Ist die Fläche in Parameterform gegeben, so sind die Vektoren xu, xv linear unabhängig wegen<br />

xu × xv �= 0 und wir können die Tangentialebene sofort in Parameterform angeben durch<br />

y = x + λxu + µxv, λ, µ ∈ IR .<br />

Aus der Herleitung und der geometrischen Anschauung ergibt sich sofort, daß die Normale<br />

und die Tangentialebene geometrische Objekte sind, die der Fläche eigen und somit<br />

unabhängig von der gewählten Flächendarstellung sind. Nur die Darstellung dieser Objekte<br />

hängt von der Flächendarstellung ab.<br />

z<br />

y<br />

Ziel<br />

n<br />

x<br />

Start<br />

2.2 Flächenelement und Flächeninhalt<br />

Wir hatten oben erwähnt, daß es im allgemeinen zwei<br />

Möglichkeiten gibt, eine Normale zu definieren, wobei<br />

in den obigen Darstellungen eine davon willkürlich ausgewählt<br />

wurde. Im folgenden betrachten wir — ohne<br />

darüber ein Wort zu verlieren — nur orientierbare<br />

Flächen; das sind solche, für die eine stetige Normalenfunktion<br />

n : F → IR 3 überhaupt definiert werden kann.<br />

Wenn z. B. F einen Körper berandet, so ist diese Fläche<br />

automatisch orientierbar, weil man etwa die äußere Normale<br />

auszeichnen kann.<br />

Das Möbiusband in der Abbildung links (also ein<br />

Streifen, der nach einer halben Drehung wieder zusammengeklebt<br />

wird) ist das einfachste Beispiel für<br />

eine nichtorientierbare Fläche. Wie man sich leicht<br />

überzeugen kann, besteht das Möbiusband aus nur<br />

einer Kante und einer Seite. Wenn man in einem<br />

Punkt eine Normalenrichtung festlegt und mit dieser<br />

das Band einmal umrundet, so zeigt die Normale<br />

dann in die entgegengesetzte Richtung. Eine<br />

stetige Normalenfunktion gibt es daher nicht.<br />

Wir wollen den Flächeninhalt einer in Parameterform dargestellten Fläche F bestimmen und<br />

gehen dazu genauso vor wie bei der Herleitung der Transformationsregel für Volumenintegrale<br />

16


in Abschnitt 1.5. B sei zunächst das Einheitsquadrat des IR 2 und x : B → IR 3 parametrisiere<br />

die Fläche.<br />

v<br />

u<br />

x<br />

x 3<br />

x 2<br />

Wir überziehen B mit einem orthogonalen, äquidistanten Netz der Maschenweite ε . Ein<br />

Teilquadrat Q des Netzes mit Eckpunkten (u0, v0), (u0 + ε, v0), (u0 + ε, v0 + ε), (u0, v0 + ε)<br />

wird für x ∈ C 2 (B) 3 — bis auf einen Fehler O(ε 2 ) — abgebildet auf das Parallelogramm des<br />

IR 3 mit Eckpunkten (x0 = x(u0, v0))<br />

x0 , x0 + εxu(u0, v0) , x0 + εxu(u0, v0) + εxv(u0, v0) , x0 + εxv(u0, v0) .<br />

Dies verifiziert man genauso wie in (1.6) mit Hilfe der Taylorentwicklung. Der Flächeninhalt<br />

dieses Parallelogramms stimmt mit demjenigen überein, das von den Vektoren ε xu(u0, v0) ,<br />

εxv(u0, v0) erzeugt wird. Also<br />

µ(x(Q)) = ε 2 |xu(u0, v0) × xv(u0, v0)| + O(ε 3 )<br />

= |xu(u0, v0) × xv(u0, v0)| µ(Q) + O(ε 3 ) .<br />

In Analogie zur Transformationsformel für Volumenintegrale ist die lokale Flächenverzerrung<br />

der Abbildung x gegeben durch |xu × xv| (an Stelle von | det Jf |). Damit haben wir plausibel<br />

gemacht:<br />

Def. 2.2 Als Flächeninhalt eines durch die stetig differenzierbare Parametrisierung x : B →<br />

IR 3 gegebenen Flächenstückes F definieren wir<br />

� �<br />

µ(F ) = dσ := |xu(u, v) × xv(u, v)| d(u, v).<br />

Der symbolische Ausdruck<br />

heißt Flächenelement.<br />

F<br />

B<br />

dσ = |xu(u, v) × xv(u, v)| d(u, v)<br />

So ganz symbolisch ist das Flächenelement natürlich nicht gemeint. Aus der obigen Herleitung<br />

ist ja klar, daß das Bild eines kleinen Quadrats Q mit (u, v) ∈ Q ungefähr den Flächeninhalt<br />

dσµ(Q) besitzt.<br />

Mit<br />

|xu × xv| =<br />

�<br />

|xu| 2 |xv| 2 − (xu · xv) 2<br />

können wir die Definition der Gaußschen Fundamentalgrößen motivieren:<br />

Es gilt dann<br />

E = |xu| 2 , F = xu · xv, G = |xv| 2 .<br />

dσ = �<br />

EG − F 2 d(u, v) .<br />

17<br />

x 1


Def. 2.3 Wenn für eine Parametrisierung x einer Fläche F xu · xv = 0 gilt, so heißt die<br />

Parametrisierung orthogonal.<br />

Ein Beispiel für eine orthogonale Parametrisierung hatten wir bei der Darstellung der Kugeloberfläche<br />

durch Kugelkoordinaten kennengelernt.<br />

Nun bestimmen wir die Flächenelemente für die explizite Darstellung. Die durch f : B →<br />

IR 3 gegebene Fläche läßt sich parametrisieren durch x = u, y = v, z = f(u, v), sodaß<br />

und damit<br />

(2.3)<br />

E = 1 + f 2 u , F = fufv , G = 1 + f 2 v<br />

dσ =<br />

�<br />

1 + f 2 u + f 2 v d(u, v) .<br />

Der Flächeninhalt bestimmt sich durch<br />

� �<br />

µ(F ) = 1 + f 2 u(u, v) + f 2 v (u, v) d(u, v) .<br />

Beispiele 2.4 (i) Auf D =<br />

B<br />

�<br />

(ϕ, θ) : 0 ≤ ϕ ≤ 2π , −π 2 ≤ θ ≤ π �<br />

2<br />

wird durch<br />

x(ϕ, θ) =<br />

⎛<br />

⎜<br />

⎝<br />

R cos ϕ cos θ<br />

R sin ϕ cos θ<br />

R sin θ<br />

wieder die Kugelfläche F definiert. Nach (2.2) gilt dann<br />

�<br />

EG − F 2 = R 2 cos θ<br />

und für den Flächeninhalt<br />

µ(F ) =<br />

(ii) Für 0 ≤ ϕ ≤ θ, 0 ≤ R1 ≤ r ≤ R2 ergibt<br />

eine Schraubenfläche S. Mit<br />

⎞<br />

⎟<br />

⎠<br />

� 2π � π/2<br />

R<br />

0 −π/2<br />

2 cos θ dθ dϕ = 2πR 2 �<br />

�<br />

sin θ�<br />

π/2<br />

xr =<br />

⎛<br />

⎜<br />

⎝<br />

x = x(r, ϕ) =<br />

cos ϕ<br />

sin ϕ<br />

0<br />

⎞<br />

⎛<br />

⎜<br />

⎝<br />

⎟<br />

⎠ , xϕ =<br />

r cos ϕ<br />

r sin ϕ<br />

cϕ<br />

⎛<br />

⎜<br />

⎝<br />

⎞<br />

⎟<br />

⎠<br />

−r sin ϕ<br />

r cos ϕ<br />

c<br />

−π/2 = 4πR2 .<br />

sind die Fundamentalgrößen E = 1, F = 0, G = r2 + c2 und der Flächeninhalt<br />

� θ � R2 �<br />

µ(S) = r<br />

0 R1<br />

2 + c2 dr dϕ = θ<br />

⎧<br />

⎨<br />

2 ⎩ R2<br />

�<br />

R2 2 + c2 �<br />

− R1 R2 1 + c2 + c 2 ln R2<br />

�<br />

+ R2 2<br />

18<br />

⎞<br />

⎟<br />

⎠<br />

R1 +<br />

+ c2<br />

�<br />

R2 ⎫<br />

⎬<br />

⎭<br />

1 + c2<br />

.


2.3 Flächenintegrale erster und zweiter Art<br />

Def. 2.5 Es sei F eine Fläche, die durch x : B → IR 3 , B ⊆ IR 2 , parametrisiert ist. Weiter<br />

sei f : F → IR eine stetige Funktion. Dann heißt<br />

�<br />

�<br />

f(x) dσ = f(x(u, v)) |xu(u, v) × xv(u, v)| d(u, v)<br />

F<br />

das Flächenintegral erster Art von f über F .<br />

B<br />

Wir können das Flächenintegral erster Art interpretieren mit der Vorstellung einer massebehafteten<br />

Fläche mit Massendichte f(x) > 0 ; �<br />

F f(x) dσ gibt dann die Gesamtmasse der<br />

Fläche an. Ähnlich wie bei der Herleitung des Flächeninhalts im letzten Abschnitt können<br />

wir B in kleine Quadrate Q zerlegen. Die Masse von x(Q) ist dann ungefähr<br />

f(x(u, v)) |xu(u, v) × xv(u, v)| µ(Q)<br />

für ein (u, v) ∈ Q . Bilden wir entsprechende Riemannsche Summen, so konvergieren diese<br />

gegen das Integral auf der rechten Seite von Def. 2.5. Aus dieser Veranschaulichung wird auch<br />

klar, daß der Wert des Flächenintegrals unabhängig von der gewählten Parametrisierung ist.<br />

Wenn die Fläche explizit durch eine Funktion z(u, v) über den Bereich B ⊆ IR 2 gegeben<br />

ist, so erhalten wir wie im letzten Abschnitt<br />

�<br />

�<br />

�<br />

f(x) dσ = f(u, v, z(u, v)) 1 + z2 u(u, v) + z2 v(u, v) d(u, v) .<br />

F<br />

B<br />

Das Flächenintegral zweiter Art, das auch orientiertes Flächenintegral genannt wird, unterscheidet<br />

sich vom Integral erster Art hauptsächlich dadurch, daß eine Normalenorientierung<br />

festgelgt werden muß. Dies liegt an sich im Belieben des Anwenders dieses Integrals;<br />

wenn die Fläche jedoch durch eine Parametrisierung x(u, v) gegeben ist, so legt man i. a. die<br />

mathematisch positive Orientierung fest,<br />

n = xu × xv<br />

|xu × xv| .<br />

Def. 2.6 Sei die Fläche F durch die Parametrisierung x : B → IR 2 gegeben und sei f : F →<br />

IR 3 ein stetiges Vektorfeld auf F . Dann heißt<br />

�<br />

�<br />

�<br />

f(x) · dσ =<br />

¯<br />

f(x) · n dσ = f(x(u, v)) xu(u, v) × xv(u, v) d(u, v)<br />

F<br />

F<br />

das Flächenintegral zweiter Art von f über F . Den Ausdruck<br />

B<br />

dσ ¯ = (xu(u, v) × xv(u, v)) d(u, v) = n dσ<br />

bezeichnet man als vektorielles Flächenelement.<br />

Wegen der Darstellung �<br />

F f(x) · n dσ des Flächenintegrals zweiter Art ist klar, daß der Wert<br />

des Integrals bei unterschiedlichen Parametrisierungen sich höchstens im Vorzeichen unterscheiden<br />

kann.<br />

19


Physikalisch läßt sich das Flächenintegral zweiter Art am besten an Hand einer Strömung<br />

deuten. Sei u(x) ∈ IR 3 der Geschwindigkeitsvektor des Teilchens, das sich gerade am Ort<br />

x ∈ IR 3 befindet. Wir nehmen an, daß die Strömung stationär ist, der Geschwindigkeitsvektor<br />

also nur vom Ort x, aber nicht von der Zeit t abhängt. Für eine Fläche F ist u · n der Anteil<br />

der Strömung, der durch die Fläche hindurchfließt, daher ist �<br />

F u · n dσ der Fluß durch die<br />

Fläche in einer Zeiteinheit.<br />

Beispiel 2.7 Wir betrachten die obere Halbkugel<br />

F :<br />

⎛<br />

⎞<br />

R cos ϕ cos θ<br />

⎜<br />

⎟<br />

x(ϕ, r) = ⎝ R sin ϕ cos θ ⎠ ,<br />

R sin θ<br />

0 ≤ ϕ < 2π , 0 ≤ θ ≤ π<br />

2<br />

und den Geschwindigkeitsvektor<br />

u = (yα(r), −xα(r), β(r)) T ∈ IR 3 , r =<br />

�<br />

x 2 + y 2 ,<br />

mit vorgegebenen Funktionen α, β : IR → IR . In (2.2) hatten wir bereits berechnet<br />

xϕ × xθ = R 2 ⎛<br />

⎞<br />

cos ϕ cos θ<br />

⎜<br />

⎟<br />

cos θ ⎝ sin ϕ cos θ ⎠ ,<br />

sin θ<br />

sodaß die Normale nach oben gerichtet ist. Daher wird mit �<br />

F u · dσ der Fluß von unten nach<br />

¯<br />

oben berechnet. Wir schreiben u in Kugelkoordinaten<br />

⎛<br />

⎞<br />

R sin ϕ cos θ α(R cos θ)<br />

⎜<br />

⎟<br />

r = R cos θ, u = ⎝ −R cos ϕ cos θ α(R cos θ) ⎠<br />

β(R cos θ)<br />

und erhalten für den Fluß<br />

�<br />

u · dσ<br />

F ¯<br />

=<br />

⎛<br />

� π/2 � 2π R sin ϕ cos θ α(R cos θ)<br />

⎜<br />

⎝ −R cos ϕ cos θ α(R cos θ)<br />

0 0<br />

β(R cos θ)<br />

=<br />

� π/2 � 2π<br />

0<br />

0<br />

⎞<br />

⎛<br />

⎟ ⎜<br />

⎠ · ⎝<br />

cos ϕ cos θ<br />

sin ϕ cos θ<br />

sin θ<br />

R 2 cos θ sin θ β(R cos θ) dϕ dθ = 2πR 2<br />

� π/2<br />

0<br />

⎞<br />

⎟<br />

⎠ R 2 cos θ dϕ dθ<br />

cos θ sin θ β(R cos θ) dθ .<br />

Mit der Substitution r = R cos θ läßt sich dieses Integral noch etwas vereinfachen, denn<br />

−R sin θ dθ = dr, also<br />

�<br />

F<br />

� 0<br />

� R<br />

u · dσ = 2π −rβ(r) dr = 2π rβ(r) dr .<br />

¯ R<br />

0<br />

Wenn wir den Fluß von u durch die ganze Kugeloberfläche F ′<br />

berechnen wollen, so erhalten<br />

wir �<br />

F ′ u · dσ ¯ =<br />

�<br />

obere Hälfte +<br />

�<br />

= 0 ,<br />

untere Hälfte<br />

weil die Normale in der unteren Hälfte entgegengesetzt gerichtet ist, der Integrand aber nur<br />

von r abhängt.<br />

20


3 Der Gaußsche Integralsatz<br />

3.1 Einfach und mehrfach zusammenhängende Gebiete<br />

Def. 3.1 G ⊆ IR n , n = 2, 3, heißt Gebiet, wenn es offen und zusammenhängend ist. Ein Gebiet<br />

heißt einfach zusammenhängend, wenn sich jede geschlossene Kurve in G auch innerhalb<br />

von G zuziehen läßt, andernfalls heißt G mehrfach zusammenhängend. Die Definition bleibt<br />

auch für glatte Flächen des IR 3 gültig.<br />

Ein ebenes Gebiet, das Löcher enthält, ist nicht einfach zusammenhängend, denn eine das<br />

Loch umschließende Kurve läßt sich innerhalb von G nicht zusammenziehen. Dagegen ist<br />

IR 3 \ {0} einfach zusammenhängend.<br />

3.2 Der Divergenzoperator<br />

Ein stetig differenzierbares Vektorfeld u : G → IR 3 wollen wir uns als stationäre Strömung<br />

einer Flüssigkeit oder eines Gases vorstellen, wobei u(x) = (u1(x), u2(x), u3(x)) ∈ IR 3 den<br />

Geschwindigkeitsvektor des Teilchens bezeichnet, das sich am Ort x ∈ G befindet.<br />

Nun betrachten wir einen achsenparallelen Quader Q ⊆ G und wollen untersuchen, wie<br />

die Bilanz der in den Quader in einer Zeiteinheit ein– bzw. ausfließenden Teilchen aussieht.<br />

Dazu legen wir die Normale n auf ∂Q als äußere Normale fest. Nach Abschnitt 2.3 gilt dann<br />

für den Fluß ϕ durch Q in einer Zeiteinheit<br />

�<br />

(3.1)<br />

ϕ = u · n dσ ,<br />

∂Q<br />

wobei das Integral über ∂Q als die Summe der Integrale über die sechs Seitenflächen zu<br />

interpretieren ist. Die Normale ist ja auf den Kanten des Quaders nicht definiert.<br />

Wir wollen (3.1) mit Hilfe des Hauptsatzes der Differential– und Integralrechnung in<br />

ein Volumenintegral umformen. Dazu ist zu beachten, daß im Integranden von (3.1) bei<br />

gegenüberliegenden Flächen nur eine Komponente von u zum Zuge kommt, weil der Normalenvektor<br />

in den beiden anderen Komponenten verschwindet. Bezeichnen wir die orthogonal<br />

zur x1–Achse gelegenen Seitenflächen mit<br />

wobei Q ′ ein Rechteck des IR 2 ist,<br />

F = {x ∈ IR 3 : x1 = a1 und (x2, x3) ∈ Q ′ } ,<br />

G = {x ∈ IR 3 : x1 = b1 und (x2, x3) ∈ Q ′ } ,<br />

Q ′ = [a2, b2] × [a3, b3] ,<br />

so folgt aus dem Hauptsatz und dem Satz von Fubini<br />

�<br />

� �<br />

�<br />

u · n dσ =<br />

u1 dσ = {u1(b1, x2, x3) − u1(a1, x2, x3)} d(x2, x3)<br />

F +G<br />

=<br />

=<br />

u1 dσ −<br />

G<br />

� � b3 b2<br />

a3<br />

a3<br />

a2<br />

a2<br />

F<br />

Q ′<br />

{u1(b1, x2, x3) − u1(a1, x2, x3)} dx2 dx3<br />

� � � �<br />

b3 b2 b1<br />

∂1u(x1, x2, x3) dx1 dx2 dx3 = ∂1u dV .<br />

Q<br />

a1<br />

21


Da die anderen beiden Komponenten genauso bearbeitet werden können, ergibt sich<br />

�<br />

�<br />

(3.2)<br />

ϕ = u · n dσ = div u dV<br />

mit dem Divergenzoperator<br />

∂Q<br />

div u = ∂1u1 + ∂2u2 + ∂3u3 .<br />

(3.2) ist schon der Gaußsche Integralsatz für quaderförmige Grundgebiete. Wir betrachten<br />

nun Quader Qh mit Kantenlänge h und x ∈ Qh . Da div u stetig ist, folgt<br />

�<br />

1<br />

div u(x) = lim<br />

div u dV .<br />

h→0 µ(Qh) Qh<br />

Zusammen mit (3.2) können wir diese Gleichung so interpretieren, daß div u(x) die Quellenstärke<br />

(oder auch negative Senkenstärke) der Strömung u angibt. Wenn Q ein kleiner<br />

Quader mit x ∈ Q ist, so fließt in einer Zeiteinheit ungefähr div u(x)µ(Q) Masse aus Q aus<br />

oder — wenn div u(x) < 0 — in Q hinein. Als Spezialfall haben wir die inkompressiblen<br />

Fluide (=Flüssigkeiten), die, wenn keine echten Quellen oder Senken vorliegen, die partielle<br />

Differentialgleichung div u = 0 erfüllen. Bei gasförmigen Fluiden kann dagegen Materie durch<br />

Verdünnung in Q austreten.<br />

Rechenregeln für den Divergenzoperator: (i) Die Divergenz ist linear auf den stetig<br />

differenzierbaren Vektorfeldern, denn<br />

div (αu + βv) = αdiv u + βdiv v , α, β ∈ IR .<br />

(ii) Für das Produkt einer skalaren Funktion ϕ und einem Vektorfeld u erhalten wir aus der<br />

Produktregel<br />

div (ϕu) = ∇ϕ · u + ϕdiv u .<br />

(iii) Für ein kugelsymmetrisches Vektorfeld f(r)x mit r = |x| liefert (ii)<br />

denn div x = ∂1x1 + ∂2x2 + ∂3x3 = 3 .<br />

div (f(r)x) = ∇f(r) · x + 3f(r) ,<br />

Beispiele 3.2 (i) Das Coulombfeld ist durch u(x) = |x| −3 x gegeben. Mit<br />

erhalten wir<br />

und<br />

�<br />

3�<br />

∂i|x| = ∂i x<br />

j=1<br />

2 �1/2 j = |x| −1 xi , i = 1, 2, 3 ,<br />

∂iui(x) = ∂i<br />

div u = 3�<br />

Q<br />

�<br />

|x| −3 �<br />

xi = (−3)|x| −4 |x| −1 x 2 i + |x| −3<br />

∂iui(x) = −3|x|<br />

i=1<br />

−3 + 3|x| −3 = 0 .<br />

Damit ist das Coulombfeld in IR 3 \ {0} quellenfrei.<br />

22


�<br />

(ii) Für welche Funktionen α(r), r = x2 1 + x22 , und g(x3) ist das Vektorfeld<br />

u(x) = α(r)<br />

r<br />

⎛<br />

⎜<br />

⎝<br />

x2<br />

−x1<br />

g(x3)<br />

quellenfrei ? Wie in Beispiel (i) erhalten wir ∂ir = r −1 xi , i = 1, 2 , und ∂3r = 0 . Daher<br />

und nach den Rechenregeln (ii)<br />

⎛<br />

∇ α(r)<br />

r = rα′ − α<br />

r3 ⎜<br />

⎝<br />

div u(x) = rα′ − α<br />

r 3 (x1x2 − x2x1) + α<br />

r g′ (x3) = α<br />

r g′ (x3) .<br />

Für α(r) �= 0 verschwindet die rechte Seite genau dann, wenn g(x3) = const.<br />

3.3 Der Gaußsche Integralsatz für räumliche Bereiche<br />

Wir wollen zeigen, daß die Formel (3.2) auch für allgemeine räumliche Gebiete richtig bleibt<br />

und genauso interpretiert werden kann wie im letzten Abschnitt. Dazu muß das Gebiet G<br />

so beschaffen sein, daß man dem Ausdruck �<br />

∂G u · n dσ einen Sinn geben kann; insbesondere<br />

muß der Normalenvektor n fast überall“ auf ∂G existieren. Erinnert sei an den Satz, daß der<br />

”<br />

Rand einer ebenen meßbaren und kompakten Menge meßbar ist und Maß 0 besitzt. Dieser<br />

Satz bleibt natürlich auch für glatte Flächen richtig. Daher kann u · n auf Rändern integriert<br />

werden, die aus glatten Flächen zusammengesetzt sind; nur an den Nahtstellen ist dann n<br />

undefiniert. Weil diese Nahtstellen Nullmengen sind, kann das Oberflächenintegral als Summe<br />

über die glatten Teilflächen interpretiert werden. Von dieser Konvention haben wir im letzten<br />

Abschnitt schon Gebrauch gemacht.<br />

Satz 3.3 (Gaußscher Integralsatz) Sei u : G → IR 3 stetig differenzierbar auf dem beschränkten<br />

Gebiet G mit stückweise glattem Rand. Dann gilt<br />

�<br />

�<br />

�<br />

u · n dσ = u · dσ =<br />

¯<br />

div u dV ,<br />

∂G<br />

∂G<br />

wobei die Normale n nach außen gerichtet ist.<br />

Folg. 3.4 Sei G wie in Satz 3.3 definiert. Für eine stetig differenzierbare Funktion ϕ : G → IR<br />

gilt �<br />

�<br />

ϕni dσ =<br />

∂G<br />

∂iϕ dV ,<br />

G<br />

i = 1, 2, 3 ,<br />

wobei ni die i– te Komponente des nach außen gerichteten Normaleneinheitsvektors bezeichnet.<br />

23<br />

x1<br />

x2<br />

0<br />

G<br />

⎞<br />

⎟<br />

⎠<br />

⎞<br />

⎟<br />


Diese Versionen des Gaußschen Integralsatzes sind äquivalent. Die Folgerung erhalten wir,<br />

indem wir den letzten Satz auf das Vektorfeld anwenden, das in der i– ten Komponente<br />

aus ϕ besteht und ansonsten verschwindet. Die umgekehrte Richtung zeigt man durch Anwendung<br />

der Formel in der Folgerung auf die einzelnen Komponenten des Vektorfeldes und<br />

anschließender Addition.<br />

G 1<br />

Γ<br />

G 2<br />

�<br />

G<br />

�<br />

∂G<br />

�<br />

div u dV =<br />

�<br />

u · n dσ =<br />

Beim Beweis dieses Satzes werden wir vom Zerlegungsprinzip<br />

für Oberflächenintegrale zweiter Art Gebrauch<br />

machen, das aber auch für sich recht nützlich ist. Wenn G<br />

in zwei stückweise glatte Teilbereiche G1 und G2 zerlegt<br />

wird, so sind beide Seiten des Gaußschen Integralsatzes<br />

additiv, wenn n die äußere Normale auch der beiden Teilgebiete<br />

bezeichnet:<br />

G1<br />

∂G1<br />

�<br />

div u dV + div u dV ,<br />

G2<br />

�<br />

u · n dσ + u · n dσ ,<br />

denn die Flächenintegrale über Γ heben sich aufgrund der entgegengesetzten Normalenrichtungen<br />

auf Γ auf. Es genügt also, den Satz für ” einfache“ Gebiete zu zeigen.<br />

x 3<br />

x 2<br />

B<br />

ψ 2(x 1,x 2)<br />

ψ 1(x 1,x 2)<br />

x 1<br />

∂G2<br />

Beweis des Integralsatzes: Wir zeigen den skalaren<br />

Fall in der Folgerung. Nach dem Zerlegungsprinzip<br />

unterteilen wir ein kompliziertes Gebiet so<br />

lange bis die nebenstehende Situation erreicht ist.<br />

Über einem ebenen Bereich B betrachten wir die<br />

Säule, die durch die Funktionen x3 = ψ2(x1, x2)<br />

und x3 = ψ1(x1, x2) begrenzt ist. Der Hauptsatz<br />

der Differential– und Integralrechnung liefert<br />

� ψ2(x1,x2)<br />

∂3ϕ(x1, x2, x3) dx3 = ϕ(x1, x2, ψ2(x1, x2)) − ϕ(x1, x2, ψ1(x1, x2)) .<br />

ψ1(x1,x2)<br />

Diese Identität wird bezüglich (x1, x2) über B integriert und auf der linken Seite der Satz<br />

von Fubini angewendet,<br />

�<br />

�<br />

∂3ϕ(x) dV = {ϕ(x1, x2, ψ2(x1, x2)) − ϕ(x1, x2, ψ1(x1, x2))} d(x1, x2) .<br />

G<br />

B<br />

Für eine durch eine Funktion ψ : B → IR parametrisierte Fläche hatten wir in (2.3) hergeleitet<br />

und für die Normale<br />

dσ =<br />

�<br />

1 + ψ 2 x1 + ψ2 x2 d(x1, x2)<br />

n = (1 + ψ 2 x1 + ψ2 x2 )−1/2<br />

24<br />

⎛<br />

⎜<br />

⎝<br />

−ψx<br />

−ψy<br />

1<br />

⎞<br />

⎟<br />

⎠ ,


also<br />

�<br />

{ϕ(x1, x2, ψ2(x1, x2)) − ϕ(x1, x2, ψ1(x1, x2))} d(x1, x2) =<br />

B<br />

�<br />

F2<br />

�<br />

ϕ(x)n3 dσ + ϕ(x)n3 dσ ,<br />

F1<br />

wobei n jeweils aus G zeigt. Da auf dem restlichen Rand n3 = 0 gilt, ist der Satz bewiesen.<br />

Die geometrische Deutung des Integralsatzes als Verknüpfung der Bilanz von in V ein– und<br />

ausströmenden Teilchen mit der Quellenstärke div u bleibt die gleiche wie im letzten Abschnitt.<br />

Trotzdem können wir aus diesem allgemeineren Satz eine Folgerung über den Divergenzoperator<br />

ziehen. Die meisten Ingredienzen der Gaußschen Formel sind geometrische<br />

Objekte ∂G, n, dσ, dV, die unabhängig von ihrer Darstellung sind. Damit muß auch div u,<br />

bei dessen Bestimmung die Koordinatenrichtungen scheinbar ausgezeichnet sind, vom Koordinatensystem<br />

unabhängig sein und in jedem orthogonalen Koordinatensystem den gleichen<br />

Wert, der also der Strömung u(x) eigen ist, annehmen.<br />

Beispiel 3.5 G sei die Kugelschale, die durch die Kugeln mit Radien R1 < R2 begrenzt<br />

wird. Das Vektorfeld sei u(x) = (0, 0, x3) T ∈ IR 3 . Dann gilt div u = 1 und<br />

�<br />

G<br />

div u dV = µ(G) = 4<br />

3 π(R3 2 − R 3 1) .<br />

In Kugelkoordinaten sind die Randstücke durch<br />

⎛<br />

⎞<br />

cos ϕ cos θ<br />

⎜<br />

⎟<br />

x(ϕ, θ) = Ri ⎝ sin ϕ cos θ ⎠ , i = 1, 2 ,<br />

sin θ<br />

gegeben, für die wir in (2.2)<br />

(xϕ × xθ)3 = R 2 i cos θ sin θ<br />

bestimmt hatten. Mit u3 = R sin θ und in Anbetracht der Tatsache, daß die äußere Normale<br />

für die Innenkugel nach innen gerichtet ist, erhalten wir<br />

�<br />

∂G<br />

=<br />

u · n dσ =<br />

� π/2 � 2π<br />

R2 sin θR<br />

−π/2 0<br />

2 � π/2 � 2π<br />

2 cos θ sin θ dϕ dθ − R1 sin θR<br />

−π/2 0<br />

2 1 cos θ sin θ dϕ dθ<br />

� π/2 � 2π<br />

sin<br />

−π/2 0<br />

2 θ cos θ(R 3 2 − R 3 1) dϕ dθ = 2π(R 3 2 − R 3 1) 1<br />

3 sin3 �<br />

�π/2<br />

θ�<br />

�<br />

−π/2<br />

3.4 Der Gaußsche Integralsatz in der Ebene<br />

(3.3)<br />

ds =<br />

= 4<br />

3 π(R3 2 − R 3 1) .<br />

Ein ebenes Gebiet G ∈ IR 2 sei wie in der nebenstehenden<br />

Zeichnung berandet: Der äußere Rand<br />

werde durch eine im Gegenuhrzeigersinn verlaufende<br />

Kurve beschrieben, die Löcher seien im Uhrzeigersinn<br />

orientiert. Für eine solche Randkurve<br />

(x(t), y(t)) ist das Linienelement gegeben durch<br />

�<br />

|x ′ (t)| 2 + |y ′ (t)| 2 dt<br />

25


und die nach außen gerichtete Normale<br />

(3.4)<br />

n =<br />

�<br />

|x ′ (t)| 2 + |y ′ (t)| 2� −1/2<br />

� y ′ (t)<br />

−x ′ (t)<br />

wobei wir hier wie im folgenden voraussetzen, daß die Parametrisierung regulär ist, also<br />

(x ′ , y ′ ) �= 0 erfüllt ist.<br />

Für ein zweidimensionales Vektorfeld u = (u1, u2) gilt für das Kurvenintegral<br />

�<br />

u · n ds<br />

C<br />

wieder das Zerlegungsprinzip, denn die in (3.4) definierte Normale liegt immer rechts, wenn<br />

wir längs der Orientierung der Kurve gehen. Damit verschwindet das Teilintegral über Kurvenstücke,<br />

die in beiden Richtungen durchlaufen werden. Also hat n ds die gleichen Eigenschaften<br />

wie dσ ¯ = n dσ in drei Raumdimensionen. Freunde einer ausufernden Notation verwenden<br />

manchmal auch im IR 2 die Schreibweise dσ ¯ = n ds , was wir aber nicht tun wollen,<br />

um Verwechselungen mit dem vektoriellen Kurvenelement ds ¯ , das später eingeführt wird, zu<br />

vermeiden.<br />

Mit dem zweidimensionalen Divergenzoperator<br />

gilt der<br />

div u = ∂xu1 + ∂yu2 , u(x, y) = (u1(x, y), u2(x, y)) T ,<br />

Satz 3.6 (Gaußscher Integralsatz in der Ebene) Sei G ⊆ IR 2 durch stückweise glatte<br />

Kurven berandet. Dann gilt für auf G stetig differenzierbare Vektorfelder u<br />

�<br />

�<br />

u · n ds = div u dF .<br />

∂G<br />

Der Beweis kann genauso geführt werden wie im IR 3 . Auch die skalare Version dieses Satzes<br />

�<br />

�<br />

ϕni ds =<br />

∂G<br />

∂iϕ dF ,<br />

G<br />

i = 1, 2 ,<br />

bleibt richtig.<br />

In parametrischer Form läßt sich der Integralsatz noch vereinfachen. Wenn G einfach<br />

zusammenhängend ist, also ∂G im Gegenuhrzeigersinn durch eine Kurve C : (x, y) T : [a, b] →<br />

IR 2 parametrisiert wird, so folgt aus (3.3) und (3.4)<br />

�<br />

� b �<br />

u · n ds = u1(x(t), y(t))y ′ (t) − u2(x(t), y(t))x ′ (t) � dt .<br />

∂G<br />

a<br />

Man schreibt den Gaußschen Integralsatz daher auch in der Form<br />

�<br />

�<br />

{u1 dy − u2 dx} = div u d(x, y)<br />

C<br />

G<br />

mit den symbolischen Größen<br />

dx = x ′ (t) dt , dy = y ′ (t) dt .<br />

Die Übertragung auf mehrfach zusammenhängende Gebiete dürfte klar sein: Aus dem Integral<br />

über [a, b] wird eine Summe von Integralen über die einzelnen Randkurven, wobei auf die<br />

richtige Orientierung zu achten ist.<br />

26<br />

G<br />

�<br />

.


Beispiel 3.7 Der Gaußsche Integralsatz läßt sich auch zur Berechnung des Flächeninhalts<br />

von G ⊆ IR 2 heranziehen, wenn G durch eine Kurve (x(t), y(t)) T : [a, b] → IR 2 berandet ist.<br />

Wegen ∂xx = 1 , ∂yy = 1 , erhalten wir z. B. die Formel<br />

µ(G) = 1<br />

� b<br />

{x(t)y<br />

2 a<br />

′ (t) − y(t)x ′ (t)} dt<br />

Für eine Ellipse E gilt x(t) = c cos t , y(t) = d sin t , also<br />

µ(E) = 1<br />

� 2π<br />

{cd cos<br />

2 0<br />

2 t + cd sin 2 t} dt = πcd .<br />

3.5 Folgerungen aus dem Integralsatz<br />

Im folgenden ist G ⊆ IR n , n = 2, 3 , stets ein Gebiet mit stückweise glattem Rand.<br />

Satz 3.8 (Partielle <strong>Integration</strong>) Seien f, g : G → IR stetig differenzierbar auf G . Dann<br />

gilt �<br />

�<br />

�<br />

∂ifg dV = −<br />

G<br />

f∂ig dV +<br />

G<br />

fgni dσ<br />

∂G<br />

, i = 1, . . . , n .<br />

Beweis : Setze im Gaußschen Integralsatz, Folg. 3.4, ϕ = fg und wende die Produktformel<br />

an.<br />

Für die Ableitung einer Funktion in Richtung der äußeren Normalen schreibt man auch<br />

∂nϕ = ∇ϕ · n ,<br />

was der üblichen Definition der Richtungsableitung entspricht. Weiter ist der Laplace – Operator<br />

∆ definiert durch<br />

n�<br />

∆ϕ = ∂ 2 iiϕ = div ∇ϕ , n = 2, 3 .<br />

Damit haben wir:<br />

Satz 3.9 (Greensche Formeln) Für ϕ, ψ ∈ C2 (G) gilt<br />

�<br />

�<br />

{ϕ∆ψ + ∇ϕ · ∇ψ} dV = ϕ∂nψ dσ ,<br />

G<br />

�<br />

G<br />

i=1<br />

{ϕ∆ψ − ψ∆ϕ} dV =<br />

∂G<br />

�<br />

∂G<br />

{ϕ∂nψ − ψ∂nϕ} dσ .<br />

Beweis: Mit Hilfe der partiellen <strong>Integration</strong> erhalten wir<br />

�<br />

�<br />

�<br />

�<br />

ϕ∆ψ dV = ϕdiv ∇ψ dV = − ∇ϕ · ∇ψ dV +<br />

G<br />

G<br />

was die erste Greensche Formel ist, und weiter mit partieller <strong>Integration</strong><br />

�<br />

�<br />

�<br />

= ∆ϕψ dV − ∇ϕ · nψ dσ + ϕ∇ψ · n dσ .<br />

G<br />

∂G<br />

27<br />

G<br />

∂G<br />

∂G<br />

ϕ∇ψ · n dσ ,


Damit sind beide Formeln bewiesen.<br />

Als Anwendung der Greenschen Formeln zeigen wir, daß das 1. Randwertproblem der Potentialtheorie<br />

∆ϕ = f in G , ϕ = g auf ∂G ,<br />

in der Klasse C 2 (G) höchstens eine Lösung besitzt. Hier sind f, g vorgegebene Funktionen,<br />

ϕ ist gesucht. Angenommen, wir hätten zwei Lösungen ϕ1, ϕ2 ∈ C 2 (G) . Dann erfüllt die<br />

Differenz ψ = ϕ1 − ϕ2 das Randwertproblem (∆ ist linear !)<br />

∆ψ = 0 in G , ψ = 0 auf ∂G .<br />

Die erste Greensche Formel lautet für ϕ = ψ,<br />

�<br />

{ψ∆ψ + |∇ψ| 2 } dV =<br />

was in unserem Fall �<br />

G<br />

G<br />

�<br />

∂G<br />

|∇ψ| 2 dV = 0<br />

ψ∂nψ dσ ,<br />

ergibt. Daraus schließen wir ψ = const. und wegen der Randbedingung ψ = 0, also ϕ1 = ϕ2 .<br />

3.6 Weitere Integralsätze vom Gauß – Typ<br />

Formal verknüpft der Gaußsche Integralsatz das Volumenelement dV mit dem vektoriellen<br />

Oberflächenelement dσ = n dσ, mit dem wir (formal) rechnen können wie mit einem Vektor<br />

¯<br />

des IR n . Aus der Beziehung �<br />

�<br />

∂iϕ dV = niϕ dσ ,<br />

G<br />

∂G<br />

wird ersichtlich, daß – auch wieder formal – der Operator ∂i ersetzt wird durch ni . Daher<br />

erhalten wir für skalares ϕ und vektorielles u die Integralsätze<br />

�<br />

�<br />

∇ϕ dV = ϕ dσ ,<br />

¯<br />

�<br />

G<br />

G<br />

�<br />

∇ × u dV =<br />

∂G<br />

∂G<br />

�<br />

dσ × u = −<br />

¯<br />

∂G<br />

u × dσ ¯ ,<br />

Die Bedeutung von ∇ × u wird im nächsten Kapitel genauer erläutert. Diese Integralsätze<br />

können in einer Formel zusammengefaßt werden,<br />

�<br />

�<br />

dV ∇ ◦ A = dσ ◦ A ,<br />

¯<br />

G<br />

wobei A ein skalares oder vektorielles Feld bezeichnet und ◦ eine der Operationen ” · ”, ” ”<br />

oder ” × ” ist.<br />

28<br />

∂G


4 Der Integralsatz von Stokes<br />

4.1 Der Rotationsoperator<br />

Def. 4.1 Sei u = (u1, u2, u3) ein stetig differenzierbares Vektorfeld auf einem Gebiet G ⊆<br />

IR 3 . Dann heißt<br />

⎛<br />

⎞<br />

die Rotation von u.<br />

Man kann die Rotation formal als<br />

deuten; denn setzen wir<br />

rot u =<br />

⎜<br />

⎝<br />

∂2u3 − ∂3u2<br />

∂3u1 − ∂1u3<br />

∂1u2 − ∂2u1<br />

rot u = ∇ × u<br />

∇ =<br />

als formalen 3–Vektor an, so gilt tatsächlich<br />

⎛<br />

⎜<br />

∇ × u = det ⎝<br />

⎛<br />

⎜<br />

⎝<br />

∂1<br />

∂2<br />

∂3<br />

⎞<br />

⎟<br />

⎠<br />

e1 e2 e3<br />

∂1 ∂2 ∂3<br />

u1 u2 u3<br />

⎞<br />

⎟<br />

⎠<br />

⎟<br />

⎠ = rot u .<br />

Mit dieser Darstellung oder direkt aus der Definition lassen sich die folgenden Rechenregeln<br />

beweisen.<br />

Rechenregeln: Für skalares ϕ und Vektorfelder u, v gilt:<br />

(i) rot (αu + βv) = αrot u + β rot v α, β ∈ IR (Linearität) ,<br />

(ii) rot (ϕu) = ∇ϕ × u + ϕ rot u ,<br />

(iii) div rot u = 0 ,<br />

(iv) rot ∇u = 0 .<br />

Physikalisch läßt sich die Rotation an Hand eines stationären Geschwindigkeitsvektors u(x)<br />

einer Strömung deuten. Dann gilt<br />

rot u = 2ω,<br />

wobei ω die Winkelgeschwindigkeit des Partikels am Ort x ist.<br />

∆y<br />

y<br />

α∆y∆t<br />

α∆y∆t<br />

x<br />

29<br />

Zur Erläuterung betrachten wir die Scherströmung<br />

u(x) = (αy, 0, 0) T und legen eine<br />

Rolle in die Strömung. Nach einer Zeit<br />

∆t möchte sich das Röllchen oben und unten<br />

um den Winkel −α∆t drehen, die Achse<br />

in x-Richtung möchte in dieser Position<br />

verharren, so daß für die Resultierende gilt<br />

ω = 1 2<br />

(−α + 0) = −α<br />

2<br />

. Wegen rot u = −α<br />

ist obige Beziehung für diesen Spezialfall<br />

bewiesen.


In manchen Büchern wird rot u auch als Wirbelvektor bezeichnet, was im Hinblick auf die<br />

Scherströmung, bei der keine Verwirbelung der Strömung vorhanden ist, etwas verwirrend<br />

erscheint.<br />

4.2 Das vektorielle Kurvenintegral<br />

In der Ingenieurmathematik III hatten wir Kurven als stetige, stückweise differenzierbare<br />

Funktionen x : [a, b] → IR n , n = 2, 3 , eingeführt, die einen Anfangspunkt x(a), einen Endpunkt<br />

x(b) und damit eine Orientierung besitzen. Mit<br />

hatten wir das Kurvenintegral durch<br />

�<br />

C<br />

ds = |x ′ (t)| dt<br />

� b<br />

f(x)ds := f(x(t))|x ′ (t)| dt<br />

a<br />

definiert, wobei x(t) die Kurve C parametrisiert. Nach Kenntnis des Oberflächenintegrals<br />

können wir die rechte Seite auch so interpretieren, daß die Funktionswerte von f zusammen<br />

mit der Längenverzerrung, die x(t) auf das Intervall [a, b] ausübt, aufsummiert werden und<br />

dann der Grenzwert gebildet wird. Die anschauliche Bedeutung des Kurvenintegrals ist für<br />

n = 2 und f ≥ 0 genau die gleiche wie beim gewöhnlichen Integral, nämlich der Flächeninhalt,<br />

den f oberhalb der Kurve mit dieser einschließt.<br />

Es sei an die Bedingung der regulären Parametrisierung x ′ (t) �= 0 als Grundvoraussetzung<br />

erinnert, die garantiert, daß wir mit<br />

(4.1)<br />

t = x′<br />

|x ′ ∈ IRn<br />

|<br />

die Einheitstangente der Kurve bestimmen können.<br />

Def. 4.2 Sei C eine durch x : [a, b] → IR n regulär parametrisierte Kurve und u(x) ein stetiges<br />

Vektorfeld des IR n . Dann heißt<br />

�<br />

� b<br />

u · ds := u(x(t)) · x<br />

¯ ′ (t) dt<br />

C<br />

das vektorielle Kurvenintegral oder auch das Kurvenintegral zweiter Art, wobei<br />

das vektorielle Kurvenelement genannt wird.<br />

a<br />

ds ¯ = x ′ (t) dt<br />

Mit (4.1) können wir das vektorielle Kurvenelement auch in der Form<br />

ds ¯ = t ds<br />

schreiben. Wir hatten im Abschnitt 3.4 für ebene Gebiete ebenfalls ein vektorielles Kurvenelement<br />

verwendet, nämlich n ds, für das wir keine eigene Notation verwenden wollen.<br />

30


γ<br />

C 2<br />

C 1<br />

Wenn wir die zur Kurve C entgegengesetzt orientierte<br />

Kurve mit −C bezeichnen, so gilt nach<br />

Definition das Integrals � �<br />

C = − −C . Weiter ist<br />

das Integral über Teilstücke der Kurve additiv,<br />

� � �<br />

+ = . Aus diesen Eigenschaften folgt<br />

C1 C2 C1+C2<br />

das Zerlegungsprinzip für Kurvenintegrale zweiter<br />

Art. Z.B. kann man im nebenstehenden Bild statt<br />

des Integrals � �<br />

+ auch das Integral über die<br />

C1 C2<br />

geschlossene Kurve, die über die Hilfslinie führt,<br />

berechnen.<br />

Beispiel 4.3 Das Vektorfeld u(x) = (x1x2, x2x3, x2) T ∈ IR 3 soll längs der Schraubenlinie<br />

x(t) = (cos t, sin t, t) T , t ∈ [0, 2π] , integriert werden. Mit<br />

⎛ ⎞<br />

− sin t<br />

⎜ ⎟<br />

ds = ⎝ cos t ⎠ dt<br />

¯<br />

1<br />

erhalten wir<br />

�<br />

C<br />

u · ds ¯ =<br />

=<br />

� 2π<br />

0<br />

⎛<br />

⎜<br />

⎝<br />

cos t sin t<br />

t sin t<br />

sin t<br />

⎞<br />

⎛<br />

⎟ ⎜<br />

⎠ · ⎝<br />

�<br />

− cos t + 1<br />

�<br />

sin 2t<br />

2 4<br />

− sin t<br />

cos t<br />

1<br />

⎞<br />

⎟<br />

⎠ dt =<br />

� 2π<br />

�<br />

t cos 2t<br />

− −<br />

2<br />

1<br />

3 sin3 ��<br />

��� 2π<br />

t = −<br />

0<br />

π<br />

2 .<br />

0<br />

�<br />

sin t + t sin t cos t − cos t sin 2 �<br />

t dt<br />

Physikalisch läßt sich das vektorielle Kurvenintegral an Hand der Bewegung eines Massenpunktes<br />

in einem Kraftfeld K(x) ∈ IR 3 deuten. Wenn das Kraftfeld konstant ist, so gilt nach<br />

der Schulphysik ”Arbeit = Kraft × Weg” oder<br />

Arbeit = K · (xb − xa) ,<br />

wenn das Teilchen gradlinig von xa nach xb bewegt wird. Für kleinere Teilstrecken ist diese<br />

Formel auch bei variablem K(x) ungefähr richtig, sodaß wir für die geleistete Arbeit über<br />

einer Kurve C erhalten<br />

�<br />

Arbeit = K · ds .<br />

¯<br />

4.3 Der Satz von Stokes<br />

Sei F ⊆ IR 3 eine Fläche mit stückweise glattem Rand ∂F und stetiger Normalenfunktion<br />

n(x) . Wir sagen, die Randkurve(n), die ∂F parametrisieren, sind positiv orientiert, wenn<br />

beim Durchlaufen der Kurve mit dem Kopf in Richtung der Normalen das Gebiet links liegt.<br />

Diese Vereinbarung stimmt mit der bisherigen Orientierung der Teilflächen des IR 2 überein,<br />

wenn man davon ausgeht, daß der Normalenvektor in Richtung der z-Achse zeigt. Erinnert<br />

sei an das vektorielle Flächen– bzw. Kurvenelement in parametrischer Form,<br />

dσ ¯ = n dσ = xu × xv d(u, v) , ds ¯ = t ds = x ′ (t) dt .<br />

31<br />

C


Satz 4.4 (Integralsatz von Stokes) Sei F ⊆ IR 3 eine Fläche mit positiv orientierter Randkurve<br />

C und w : F → IR 3 ein stetig differenzierbares Vektorfeld. Dann gilt<br />

�<br />

�<br />

rot w · dσ = w · ds<br />

¯ ¯<br />

F<br />

Beweis: Sei F einfach zusammenhängend mit x(u, v) über B ⊆ IR 2 parametrisiert. Dann gilt<br />

�<br />

�<br />

rot w · dσ = (∇x × w)(xu × xv) d(u, v)<br />

F ¯ B<br />

Nun gilt für 3–Vektoren<br />

für den Integranden daher<br />

(a × b) · (c × d) = (a · c)(b · d) − (a · d)(b · c) ,<br />

(∇x × w)(xu × xv) = xu · (∇xw) T xv − xv · (∇xw) T xu .<br />

Wir können ∇x mit der Hilfe der Kettenregel beseitigen,<br />

xu(∇xw) T xv = ∇xw xu · xv = ∂uw · xv ,<br />

xv(∇xw) T xu = ∇xw xv · xu = ∂vw · xu ,<br />

und erhalten mit dem Gaußschen Integralsatz<br />

�<br />

�<br />

�<br />

rot w · dσ =<br />

¯<br />

(∂uw · xv − ∂vw · xu) d(u, v) =<br />

F<br />

B<br />

�<br />

=<br />

∂B<br />

C<br />

B<br />

{w · xu du + w · xv dv} .<br />

{∂u(w · xv) − ∂v(w · xu)} d(u, v) =<br />

Als Parametrisierung der Randkurve von ∂F können wir x(u(t), v(t)) nehmen, wobei (u(t), v(t))<br />

eine Parametrisierung von ∂B ist. Dann gilt<br />

ds ¯ = x ′ (t) dt = (xuu ′ (t) + xvv ′ (t)) dt ,<br />

d.h. auf der rechten Seite steht das gewünschte Kurvenintegral über ∂F . Für mehrfach zusammenhängende<br />

Flächen läßt sich wieder das Zerlegungsprinzip verwenden.<br />

Für den Spezialfall ∂F = ø, also eine geschlossene Fläche, liefert der Satz<br />

�<br />

rot w · dσ = 0 ,<br />

¯<br />

was man auch mit dem Gaußschen Integralsatz hätte beweisen können,<br />

�<br />

�<br />

rot w · dσ = div rot w dV = 0 ,<br />

¯<br />

wobei V ⊆ IR 3 mit ∂V = F .<br />

F<br />

F<br />

V<br />

Die obige physikalische Deutung der Rotation als Winkelgeschwindigkeit bleibt auch für<br />

zweidimensionale Strömungen u(x) ∈ IR 2 richtig, wenn wir die Rotation als eine skalare Größe<br />

erklären,<br />

rot u = ∂xu2 − ∂yu1 .<br />

32


Für G ⊆ IR 2 lautet der Integralsatz von Stokes<br />

�<br />

�<br />

�<br />

u · t ds = u · ds =<br />

¯<br />

∂G<br />

∂G<br />

G<br />

rot u dV ,<br />

was auch direkt aus dem Gaußschen Integralsatz bewiesen werden kann. Man bezeichnet<br />

�<br />

∂G u · t ds auch als Zirkulation der Flüssigkeit längs der Randkurve, sodaß uns der Satz von<br />

Stokes zeigt, daß der Ausdruck rot u als die spezifische Zirkulation oder die Zirkulationsdichte<br />

an einer bestimmten Stelle zu betrachten ist. Statt des Wortes Zirkulation pflegt man auch<br />

das Wort Wirbelstärke (längs einer Kurve) zu gebrauchen. Der Satz von Stokes besagt dann,<br />

daß die Wirbelstärke längs der Kurve C gleich dem Integral der Wirbeldichte über dem<br />

eingeschlossenen Bereich ist.<br />

Auch hier sind wieder solche Strömungen von besonderem Interesse, bei denen längs jeder<br />

geschlossenen Kurve die Zirkulation Null ist, und somit wegen des Stokeschen Integralsatzes<br />

auch die Wirbeldichte überall verschwindet. Eine solche Strömung heißt wirbelfrei. Sie ist<br />

durch das Bestehen der Gleichung<br />

rot u = 0<br />

charakterisiert.<br />

4.4 Weitere Integralsätze vom Stokes – Typ<br />

Formal wird im Integralsatz von Stokes der Ausdruck dσ × ∇ ersetzt durch ds, denn<br />

¯ ¯<br />

�<br />

�<br />

�<br />

�<br />

rot w · dσ =<br />

¯<br />

(∇ × w) · n dσ = (n × ∇) · w dσ =: (dσ × ∇) · w .<br />

¯<br />

F<br />

F<br />

Setzen wir speziell wj = ϕ, wi = 0 für i �= j, so erhalten wir für skalares ϕ<br />

�<br />

F<br />

F<br />

�<br />

(dσ × ∇)ϕ =<br />

¯<br />

∂F<br />

ds ¯ ϕ ,<br />

und die Ersetzung von w durch w × a , a ∈ IR 3 , liefert (13 = Einheitsmatrix)<br />

�<br />

F<br />

�<br />

rot (w × a) · dσ =<br />

¯<br />

sowie �<br />

F<br />

� �<br />

((a · ∇)w − div w) dσ = a · (∇w)<br />

¯ F<br />

T �<br />

− div w 13 dσ =<br />

¯<br />

∂F<br />

�<br />

= a · (dσ × ∇) × w<br />

F ¯<br />

�<br />

(w × a) · ds = −a w × ds .<br />

¯ ∂F ¯<br />

Da diese Beziehung für alle a ∈ IR 3 richtig ist, erhalten wir<br />

�<br />

�<br />

(dσ × ∇) × w == − w × ds .<br />

¯ ¯<br />

F<br />

33<br />

∂F<br />

F


Diese Integralsätze lassen sich zusammenfassen in<br />

�<br />

�<br />

(dσ × ∇) ◦ A = ds ◦ A ,<br />

¯ ¯<br />

F<br />

wobei A ein skalares oder vektorielles Feld bezeichnet und ◦ eine der Verknüpfungen ” · ”,<br />

” ” oder ” × ” ist.<br />

5 Stammfunktionen und Wegunabhängigkeit von Kurven– und<br />

Flächenintegralen<br />

5.1 Gradientenfelder<br />

Gegeben seien ein Gebiet G = IR n , n = 2, 3 , und ein stetiges Vektorfeld u : G → IR n . Wann<br />

existiert eine skalare Funktion ϕ ∈ C 1 (G) mit<br />

(5.1)<br />

∂F<br />

u(x) = ∇ϕ(x)<br />

in G ? Für n = 1 läuft diese Frage auf die Bildung der Stammfunktion ϕ = � u dx hinaus,<br />

was ja klar ist und daher hier ausgeschlossen wird. Im IR n muß es nicht zu jedem Feld eine<br />

Stammfunktion geben.<br />

Def. 5.1 u heißt konservatives Vektorfeld, wenn (5.1) für ein ϕ erfüllt ist. ϕ wird in diesem<br />

Fall auch Potential genannt.<br />

Beispiele 5.2 (i) Wenn ϕ = ϕ(r), r = |x| , rotationssymmetrisch ist, so ergibt sich wegen<br />

∂i|x| = |x| −1 xi , i = 1, . . . , n , ∇ϕ(r) = 1<br />

r ∂rϕ(r) x ,<br />

ein kugelsymmetrisches Feld. Vektorfelder der Form u(x) = h(r)x sind also konservativ und<br />

besitzen das Potential ϕ = � r h(r) dr .<br />

(ii) Für ebene Bereiche (n = 2) hat das Vektorfeld u(x, y) = (y, −x) T kein Potential, denn<br />

die Beziehungen ∂xϕ = y , ∂yϕ = −x führen auf<br />

und damit zu einem Widerspruch.<br />

ϕ = yx + c(y) , ϕ = −xy + c(x)<br />

Wenn es ein Potential ϕ zu einem Vektorfeld u(x) gibt, so ist dieses bis auf eine Konstante<br />

c eindeutig bestimmt, denn aus ∇ϕ1 = u, ∇ϕ2 = u folgt ∇(ϕ1 − ϕ2) = 0 , was auf der<br />

zusammenhängenden Menge G zu ϕ1 = ϕ2 + c führt.<br />

Für ein stetig differenzierbares ebenes Vektorfeld u(x, y) können wir die Beziehungen<br />

u1(x, y) = ∂xϕ(x, y), u2(x, y) = ∂yϕ(x, y)<br />

differenzieren und erhalten aus dem Satz von Schwarz<br />

rot u = ∂xu2 − ∂yu1 = 0 .<br />

Im dreidimensionalen Fall läßt sich auf jedes Paar der drei Beziehungen u = ∇ϕ das gleiche<br />

Argument anwenden. Also gilt:<br />

34


Satz 5.3 Für die Existenz eines Potentials für ein stetig differenzierbares Vektorfeld u(x) ∈<br />

IR n , n = 2, 3 , ist die Bedingung<br />

rot u = 0<br />

notwendig.<br />

Wir wollen die Untersuchung, wann die Rotationsfreiheit eines Feldes auch hinreichend für<br />

die Existenz eines Potentials ist, verknüpfen mit einem anderen Problem.<br />

Def. 5.4 Sei u : G → IR n , n = 2, 3 , ein auf einem Gebiet G ⊆ IR n definiertes stetiges<br />

Vektorfeld. Das orientierte Kurvenintegral �<br />

C u · ds heißt wegunabhängig, wenn sein Wert nur<br />

vom Anfangs– und Endpunkt der Kurve C, aber nicht vom sonstigen Verlauf von C ⊆ G<br />

abhängt.<br />

C 1<br />

C 2<br />

Offenbar ist die Wegunabhängigkeit des Kurvenintegrals<br />

eine Eigenschaft von u, hängt aber auch – wie wir später<br />

sehen werden – von der Wahl des Definitionsbereichs G<br />

ab.<br />

Aus der nebenstehenden Zeichnung ergibt sich ein äquivalentes<br />

Kriterium für die Wegunabhängigkeit. Denn wenn<br />

� �<br />

�<br />

= , so folgt = 0 , also:<br />

C1<br />

C2<br />

C1−C2<br />

Die Wegunabhängigkeit ist äquivalent dazu, daß das Kurvenintegral über geschlossene Kurven<br />

verschwindet.<br />

Satz 5.5 Sei G ⊆ IR n , n = 2, 3 , ein einfach zusammenhängendes Gebiet und u(x) ∈ IR n ein<br />

stetig differenzierbares Vektorfeld in G . Dann sind äquivalent:<br />

(i) rot u = 0<br />

(ii) Es existiert ein Potential ϕ ∈ C2 (G) zu u, das sich berechnen läßt mit<br />

�<br />

(5.2)<br />

ϕ(x) = u · ds ,<br />

¯<br />

wobei C eine beliebige Kurve ist mit Anfangspunkt x0 ∈ G und Endpunkt x ∈ G . ϕ hat<br />

dann die zusätzliche Eigenschaft ϕ(x0) = 0 . Für dieses ϕ gilt<br />

�<br />

(5.3)<br />

u · ds = ϕ(x(b)) − ϕ(x(a))<br />

¯<br />

C<br />

für alle Kurven C ⊆ G, wobei x : [a, b] → IR n die Parametrisierung der Kurve bezeichnet.<br />

Insbesondere ist das Kurvenintegral wegunabhängig und sein Wert läßt sich durch Auswerten<br />

von ϕ in den Endpunkten der Kurve bestimmen.<br />

Beweis: Wir zeigen nur den Fall n = 3 . Der ebene Fall kann auf diesen zurückgeführt werden,<br />

wenn man für u(x, y) = (u1(x, y), u2(x, y)) setzt<br />

Dann gilt rot u = (rot v)3 .<br />

v3(x, y, z) = 0 , vi(x, y, z) = ui(x, y) , i = 1, 2 .<br />

Jede geschlossene Kurve kann mit Hilfe des Zerlegungsprinzips so in einfachere geschlossene<br />

Kurven C unterteilt werden, sodaß für die einfacheren Kurven folgendes gilt. Zu C ⊆ G<br />

C<br />

35


gibt es eine einfach zusammenhängende Fläche F ⊆ G mit ∂F = C . Der Integralsatz von<br />

Stokes lautet dann �<br />

�<br />

(5.4)<br />

rot u · dσ =<br />

¯<br />

u · ds .<br />

¯<br />

F<br />

Daher verschwindet das Kurvenintegral für konservative Felder über geschlossene Kurven.<br />

Wenn umgekehrt eine Komponente von rot u, sagen wir die erste, in x0 ∈ G nicht verschwindet,<br />

so gilt auch (rot u)1(x) �= 0 in einer Umgebung von x0 . Wir wählen für F ein kleines<br />

Flächenstück in dieser Umgebung, das parallel zur x2, x3– Ebene liegt. Dann gilt für die<br />

Normale n = e1 und nach (5.4) verschwindet das Kurvenintegral über ∂F nicht. Wir haben<br />

gezeigt:<br />

rot u = 0 ⇔ Das Kurvenintegral ist wegunabhängig .<br />

x 0<br />

C 1<br />

y y+he 1<br />

� b+h<br />

ϕ(y + he1) − ϕ(y) =<br />

b<br />

C<br />

In diesem Fall ist (5.2) jedenfalls eine sinnvolle Definition<br />

und stellt eine eindeutig bestimmte Funktion<br />

ϕ(x) dar. Zu einem Punkt y ∈ G können wir eine<br />

beliebige Kurve C1 wählen, die x0 und y verbindet<br />

und durch x : [a, b] → IR 3 parametrisiert wird.<br />

An diese heften wir die Kurve x : [b, b + h] → IR 3 ,<br />

x(t) = y +(t−b)e1 , sodaß gilt x(b) = y , x(b+h) =<br />

hy + he1 . Dann<br />

u(x(t)) · x ′ � b+h<br />

(t) dt = u1(x(t)) dt = hu1(ξ) ,<br />

wobei nach dem Mittelwertsatz ξ ein Punkt auf der Strecke zwischen y und y+he1 ist. Division<br />

durch h und Grenzübergang h → 0 liefert ∂1ϕ(y) = u1(y) . Analog erhält man ∇ϕ = u .<br />

�<br />

C<br />

Die Formel (5.3) beweist man mit Hilfe der Kettenregel:<br />

� b<br />

u·ds = u(x(t))·x<br />

¯ ′ � b<br />

(t) dt = ∇ϕ(x(t))·x ′ � b d<br />

(t) dt = ϕ(x(t)) dt = ϕ(x(b))−ϕ(x(a)) .<br />

dt<br />

a<br />

a<br />

(x,y)<br />

Für die praktische Berechnung des Potentials wählt<br />

man am besten einfache Kurven, deren Teilstücke<br />

(x0,y0) (x,y0) in Richtung der Koordinatenachsen verlaufen und<br />

direkt über der jeweiligen Koordinatenachse parametrisiert<br />

werden. In drei Dimensionen liefert die<br />

Vorgehensweise wie in der Abbildung<br />

� x<br />

� y<br />

� z<br />

ϕ(x, y, z) = u1(ξ, y0, z0) dξ + u2(x, ξ, z0) dξ + u3(x, y, ξ) dξ .<br />

x0<br />

y0<br />

z0<br />

In diesem Fall ist ϕ(x0, y0, z0) = 0 .<br />

Beispiele 5.6 (i) Das orientierte Kurvenintegral soll für (n = 2)<br />

C :<br />

� � �<br />

x(t) sin<br />

=<br />

y(t)<br />

100 �<br />

(t)<br />

,<br />

cos(t)<br />

�<br />

t ∈ 0, π<br />

�<br />

2<br />

für das Vektorfeld u1(x, y) = 2x − y 2 , u2(x, y) = −2xy bestimmt werden. Die direkte Berechnung<br />

ist hier sehr aufwendig. Daher untersuchen wir die Rotation<br />

rot u = ∂xu2 − ∂yu1 = −2y + 2y = 0<br />

36<br />

b<br />

a


und können nun eine Stammfunktion bestimmen mit<br />

� x � y<br />

ϕ(x, y) = (2ξ) dξ + (−2xξ) dξ = x 2 − xy 2 .<br />

C<br />

0<br />

Für das Kurvenintegral folgt dann<br />

�<br />

�<br />

u · ds = ϕ sin<br />

¯ 100<br />

� � � ��<br />

π π �<br />

, cos − ϕ sin<br />

2 2<br />

100 �<br />

(0), cos(0) = 1 − 0 = 1 .<br />

(ii) Wir betrachten das ebene Vektorfeld<br />

0<br />

�<br />

u1(x, y) = − x 2 + y 2� −1<br />

�<br />

y , u2(x, y) = x 2 + y 2� −1<br />

x<br />

im Definitionsbereich G = IR 2 \ {0} . Wegen<br />

�<br />

−rot u = − x 2 + y 2� −1 �<br />

+ 2 x 2 + y 2� −2<br />

y 2 �<br />

− x 2 + y 2� −1 �<br />

+ 2 x 2 + y 2� −2<br />

x 2 = 0<br />

ist dieses zwar rotationsfrei, aber für das Kurvenintegral über dem Einheitskreis erhalten wir<br />

� � � � � �<br />

2π − sin(ϕ) − sin(ϕ)<br />

u · ds =<br />

·<br />

dϕ = 2π .<br />

¯ cos(ϕ) cos(ϕ)<br />

C<br />

0<br />

Das letzte Beispiel zeigt, daß bei mehrfach zusammenhängenden Gebieten das Kurvenintegral<br />

für rotationsfreie Vektorfelder nicht wegunabhängig zu sein braucht. Umschließt jedoch eine<br />

geschlossene Kurve einen Teilbereich von G, so läßt sich G soweit verkleinern, daß die Kurve<br />

γ<br />

C 2<br />

C 1<br />

C 1+γ+C 2 -γ<br />

umschliesst das<br />

Loch<br />

nicht !<br />

5.2 Stammfunktionen für die Rotation<br />

über einem einfach zusammenhängenden Bereich<br />

verläuft und das Kurvenintegral verschwinden muß.<br />

Zusammen mit dem Zerlegungsprinzip folgern wir<br />

aus dieser Betrachtung, daß – bei rotationsfreien<br />

Feldern – allein die Anzahl der Umläufe um ein<br />

Loch den Wert des Kurvenintegrals bestimmt. In<br />

der nebenstehenden Abbildung erhalten wir z. B.<br />

� �<br />

= . Dieser Gedanke wird in der komplexen<br />

C1 C2<br />

Analysis weiterverfolgt.<br />

Im Gebiet G ⊆ IR 3 sei ein Vektorfeld u : G → IR 3 gegeben. Gesucht ist ein Vektorfeld<br />

A : G → IR 3 mit<br />

rot A = u .<br />

A heißt dann Vektorpotential von u . Die Frage der Eindeutigkeit des Vektorpotentials klärt<br />

man ähnlich wie im letzten Abschnitt. Wenn rot A1 = rot A2 = u, so folgt rot (A1 − A2) = 0<br />

und A1 − A2 ist konservativ. Auf einfach zusammenhängendem Gebiet liefert Satz 5.5<br />

A1 = A2 + ∇ϕ<br />

für ein skalares Feld ϕ : G → IR . Diese Gleichung zeigt, daß wir im Gegensatz zum Potential<br />

über eine große Freiheit bei der Wahl von A, falls es existiert, verfügen. Eine Normierung von<br />

ϕ erreicht man z. B. mit der Forderung div A1 = 0, das heißt ∆ϕ = −div A2 .<br />

37


Satz 5.7 Sei G ⊆ IR 3 ein Quader. Dann existiert zu einem Vektorfeld u ∈ C1 (G) genau dann<br />

ein Vektorpotential A, wenn div u = 0 in G . In diesem Fall läßt sich A = (A1, A2, A3) T z. B.<br />

durch die Formeln<br />

A3 = 0 ,<br />

� z<br />

� y<br />

A1(x, y, z) = u2(x, y, ξ) dξ − u3(x, ξ, z0) dξ ,<br />

z0<br />

y0<br />

� z<br />

A2(x, y, z) = − u1(x, y, ξ) dξ<br />

berechnen, wobei (x0, y0, z0) T ein beliebiger Punkt von G ist.<br />

Beweis: Wegen div rot A = 0 ist die Bedingung div u = 0 notwendig für die Existenz des<br />

Vektorpotentials. Mit den in der Behauptung angegebenen Formeln läßt sich A für jeden<br />

Punkt in G bestimmen. Es gilt<br />

mit<br />

rot A =<br />

⎛<br />

⎜<br />

⎝<br />

z0<br />

−∂zA2<br />

∂zA1<br />

∂xA2 − ∂yA1<br />

⎞<br />

⎛<br />

⎟<br />

⎠ =<br />

⎜<br />

⎝<br />

� z<br />

v =<br />

=<br />

− {∂xu1(x, y, ξ) + ∂yu2(x, y, ξ)}dξ + u3(x, y, z0) =<br />

z0<br />

� z<br />

∂zu3(x, y, ξ)dξ + u3(x, y, z0) = u3(x, y, z) .<br />

z0<br />

Der Satz gilt auch für allgemeinere Gebiete als Quader, wenn auch Schwierigkeiten bei der<br />

bestimmung von A auftreten können. Wenn u ein Vektorpotential A besitzt, gibt es wieder<br />

einen Zusammenhang mit dem Integralsatz von Stokes; nämlich für zwei Flächen mit gleicher<br />

Orientierung der Normalen und gleicher Randkurve C gilt<br />

�<br />

�<br />

� �<br />

u · dσ = rot A · dσ = A · ds = u · dσ .<br />

¯ ¯ ¯ ¯<br />

F1<br />

F1<br />

Das Flächenintegral hängt also nur von der Randkurve ab; insbesondere verschwindet das<br />

Integral über geschlossene Flächen, wenn es auf der Fläche ein Vektorpotential gibt.<br />

Beispiel 5.8 Für u(x) = |x| −3 x in IR 3 \ {0} gilt div u = 0, aber für die Einheitssphäre F<br />

�<br />

F<br />

�<br />

u · n dσ =<br />

F<br />

⎛<br />

⎜<br />

⎝<br />

x<br />

y<br />

z<br />

⎞<br />

⎛<br />

⎟ ⎜<br />

⎠ · ⎝<br />

x<br />

y<br />

z<br />

C<br />

⎞<br />

⎟<br />

⎠ dσ =<br />

�<br />

u1<br />

u2<br />

v<br />

F<br />

⎞<br />

⎟<br />

⎠<br />

F2<br />

dσ = 4π .<br />

Daher existiert aufgrund der Singularität im Ursprung kein Vektorpotential, obwohl das Feld<br />

divergenzfrei ist.<br />

38

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