STREIFZUG - Wetterauer Zeitung
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REPORTAGE<br />
In einigen Punkten habe die Gesellschaft<br />
noch Vorurteile und Ängste gegenüber Homosexuellen.<br />
»Ich glaube, dass die Angst<br />
vor Schwulen auch dadurch entsteht, dass<br />
in den Medien immer nur krasse Schwule<br />
zu sehen gibt. Mit Handtasche und so«,<br />
meint Christopher Löffler.<br />
Übrigens: Mit seiner Mutter hat er an dem<br />
Abend seines Outings per SMS nicht mehr<br />
gesprochen. Sie lauerte nicht – wie er es<br />
damals befürchtete hatte – an der Haustür<br />
auf ihn, sondern unterhielt sich erst am<br />
nächsten Morgen in aller Ruhe mit ihm.<br />
Heute sagt Christopher Löffler stolz:<br />
»Meine Eltern stehen voll hinter mir und<br />
dem Projekt.« (lk)<br />
»Da in Mittelhessen viele Menschen mit<br />
unterschiedlichen Orientierungen leben,<br />
die nicht der allgemeinen Norm entsprechen,<br />
möchten wir die Akzeptanz vergrößern«,<br />
sagt Holger Kleinert von der Aidshilfe.<br />
Zu diesem Zweck wird am 1. September<br />
in Gießen der erste Christopher Street Day<br />
Mittelhessen stattfinden. Eine Demonstration<br />
durch die Innenstadt, ein Straßenfest auf<br />
dem Kirchenplatz und eine Abschlussparty<br />
sollen auf das queere Leben in der Stadt<br />
hinweisen.<br />
Das Motto des ersten CSD Mittelhessen, der<br />
um 12 Uhr am Rathaus mit einer Demonstration<br />
beginnen wird, lautet »Queer denken!<br />
Bunt leben!«. Geplant ist, dass der<br />
Veranstaltungsort in Zukunft von Jahr zu<br />
Jahr wechselt, sodass möglichst alle Städte<br />
der Region eingebunden werden. Das Ende<br />
der Demo soll eine Kundgebung auf dem<br />
Kirchenplatz bilden, zu der sich auch der<br />
ehemalige Marburger Bernd Aretz angesagt<br />
hat. Der Rentner, Autor und Jurist war<br />
schon früh der Schwulenbewegung verbunden.<br />
HIV politisierte ihn Mitte der 1980er.<br />
Heute ist er Mitglied des Nationalen<br />
Aidsbeirates.<br />
Gegen 14 Uhr soll dann ein buntes Straßenfest<br />
mit Live-Musik starten, das durch<br />
verschiedene Info-Stände und diverse<br />
Workshops (etwa Homophobie im Hip-Hop<br />
oder Schwulsein im Alter) abgerundet wird.<br />
Durch das Programm wird die Drag Queen<br />
Auf der Homepage werden Themen wie Coming-out und Safer Sex angesprochen.<br />
Christopher Street Day feiert Debüt in Gießen<br />
6 streifzug 9/2012<br />
Foto: dpa<br />
und Travestiekünstlerin Jessica Walker aus<br />
Frankfurt führen. Zudem treten mehrere<br />
Bands auf. Im Rahmen des Bühnenprogramms<br />
findet außerdem gegen 17 Uhr eine<br />
Talkrunde statt, zu der Vertreter und Vertreterinnen<br />
der lesben- und schwulenpolitischen<br />
Arbeitskreise, der im Hessischen<br />
Landtag vertretenen Parteien eingeladen<br />
wurden. Um 20 Uhr wird im Jokus das Musical<br />
»Verqueerte Welt«, das die Diskriminierungsproblematik<br />
aufgreift, uraufgeführt.<br />
Jugendliche aus dem Café Queer in Gießen<br />
haben es gemeinsam mit der Aidshilfe erarbeitet.<br />
Den Abschluss des ersten CSD bildet<br />
eine große Party (ab 21 Uhr) in der Ess-<br />
Bahn am Gießener Hauptbahnhof.<br />
Der CSD Mittelhessen ist in seiner Gesamtheit<br />
als eine emanzipations- und bildungsfördernde<br />
Veranstaltung konzipiert und bewusst<br />
in die eher ländliche Region gelegt<br />
worden, um »queeres« Leben dort sichtbar<br />
zu machen. Mit der Durchführung des CSD<br />
in einer Stadt wie Gießen und nicht wie üblich<br />
in einer Großstadt sollen die Strukturen<br />
gefördert werden, um sich auch auf dem<br />
Land bzw. in der Provinz sein Leben einrichten<br />
zu können, ohne ständig gegen Vorurteile<br />
und Ausgrenzungen ankämpfen zu<br />
müssen.<br />
»Erfahrungsgemäß helfen solche Veranstaltungen<br />
dabei, das eigene Lebensumfeld neu<br />
zu erfahren und das Selbstbewusstsein zu<br />
stärken«, sagt Holger Kleinert. Anfang der<br />
1990er hatte es bereits abwechselnd CSDs<br />
in der Provinz gegeben. 1994 machte diese<br />
Reihe auch in Gießen einmal Station. Das<br />
war’s. Die regionalen queeren Gruppen haben<br />
sich daher notgedrungen in den letzten<br />
Jahren auf eine Präsenz auf dem CSD<br />
Frankfurt beschränkt. »Dort sehen wir die<br />
Problematiken, die man im ländlichen<br />
Raum hat, aber nicht adäquat vertreten«,<br />
meint Kleinert.<br />
Für viele Homo-Bi-Trans-Queer-Personen in<br />
Gießen und Mittelhessen sei es immer noch<br />
sehr schwierig, offen zu ihrer Veranlagung<br />
zu stehen. Sie können sich nicht in der Anonymität<br />
verstecken, wie es in einer Großstadt<br />
möglich wäre. Für viele Betroffene sei<br />
die Flucht dorthin aber keine Alternative,<br />
weil sie dort familiäre und soziale Anknüpfungspunkte<br />
verlieren würden. Jedoch führt<br />
die Unterdrückung eines wesentliches Teils<br />
der eigenen Persönlichkeit dazu, dass man<br />
sich wertlos fühlt, dass man psychisch instabil<br />
und krank wird. »Der CSD soll dabei<br />
helfen, eine Verbesserung dieser Situation<br />
herbeizuführen«, sagt Mattiello, ehrenamtlicher<br />
Vorstand des schwul-lesbischen Sportvereins<br />
Regenbogen aus Gießen. (bf)<br />
Was ist ein CSD?<br />
Der Christopher Street Day ist ein Festtag,<br />
Gedenktag und Demonstrationstag<br />
von Lesben, Schwulen, Bisexuellen<br />
und Transgendern. Gefeiert und demonstriert<br />
wird für die Rechte dieser<br />
Gruppen sowie gegen Diskriminierung<br />
und Ausgrenzung. Der CSD erinnert an<br />
den ersten bekannt gewordenen Aufstand<br />
von Homosexuellen und anderen<br />
sexuellen Minderheiten gegen die Polizeiwillkür<br />
in der New Yorker Christopher<br />
Street. Am 28. Juni 1969 fand in<br />
der Bar Stonewall Inn der Stonewall-<br />
Aufstand statt. Zu dieser Zeit gab es immer<br />
wieder gewalttätige Razzien der<br />
Polizei in Kneipen mit homosexuellem<br />
Zielpublikum. Es kam in der Folge zu<br />
Straßenschlachten zwischen Homosexuellen<br />
und der Polizei. (bf)