Tamara Staudt. BRD 1999 Film-Heft von Ingeborg Havran
Tamara Staudt. BRD 1999 Film-Heft von Ingeborg Havran
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Die metaphorische Bedeutung der<br />
Räume/Orte<br />
Reduziert wie die Personenzahl des <strong>Film</strong>s<br />
sind auch die Räume, in denen Swetlana<br />
sich bewegt. Diese Begrenzung stellt eine<br />
Analogie zum isolierten und eingeschränkten<br />
Leben der Spätaussiedler im <strong>Film</strong> dar.<br />
Swetlanas räumliche Bezugspunkte beschränken<br />
sich im Wesentlichen auf ihr<br />
Zuhause - die kleine Wohnung in der Maxstrasse<br />
– das unansehnliche Übergangswohnheim<br />
der Spätaussiedler, die Schule<br />
und Saids Laden<br />
Die neue Dreizimmerwohnung der Familie<br />
in der Maxstrasse symbolisiert einen neuen<br />
Status der integrationswilligen Eltern.<br />
Swetlana dagegen fühlt sich dort gar nicht<br />
zu Hause, viel eher ganz eingesperrt. Auf<br />
den Vorschlag der Mutter, mit Vika doch<br />
die Zeit hier zu verbringen, antwortet sie:<br />
„Was sollen wir denn hier tun?“ Bezeichnenderweise<br />
spielen sich auch alle Konflikte<br />
mit dem Vater nicht in einem der Zimmer,<br />
sondern in dem engen kahlen, grünlich<br />
getünchten Flur der Wohnung ab. In<br />
den entsprechenden Szenen sieht man<br />
Swetlana zur Wohnungstür hereinkommen<br />
(vgl. Materialien A 1) und – wie<br />
durch einem Kanal – gezwungenermaßen<br />
direkt auf den Vater zusteuern, der dort<br />
auch schon wartet um sie zur Rede zu<br />
stellen. Ihr Zimmer stellt auch keine echte<br />
Rückzugsmöglichkeit dar, weil sie es mit<br />
dem kleinen Bruder Andrej teilen muss,<br />
der sie zudem immer wieder beim Vater<br />
anschwärzt. Als Rettung vor weiteren gewalttätigen<br />
Übergriffen des Vaters, nachdem<br />
er ihr sie ins Gesicht geschlagen hat,<br />
dient das schmale Badezimmer – und <strong>von</strong><br />
dort auch bricht sie aus. Doch nach ihrer<br />
Trennung <strong>von</strong> Artur kehrt sie in die elterliche<br />
Wohnung zurück und findet in einer<br />
ganz privaten Ecke am Schreibtisch ihres<br />
und Andrejs Zimmers einen Platz, an dem<br />
sie die Geschichte ihrer Auswanderung<br />
niederschreibt. In doppelter Hinsicht löst<br />
sie also ihr Problem <strong>von</strong> innen heraus,<br />
ideell durch das eigene Schreiben und<br />
materiell durch den Ort des Schreibens,<br />
ihrem Zimmer, bei den Eltern.<br />
Einen Fluchtpunkt für Swetlana und Artur<br />
stellt der Fluss dar, dort verbringen sie<br />
auch ihre erste Liebesnacht. Durch seine<br />
Ähnlichkeit mit dem Platz am Fluss zu<br />
Hause ist der Ort mit Erinnerungen an Russland<br />
aufgeladen. Deshalb können die beiden<br />
dort ihren romantischen Traum <strong>von</strong><br />
der gemeinsamen Rückkehr nach Russland<br />
träumen, der sich jedoch in der Realität<br />
als pure Illusion erweist.<br />
Den äußeren Rahmen <strong>von</strong> Swetlanas Existenz<br />
bildet die Schule, – die Eingangssubsequenz<br />
spielt im Klassenzimmer –<br />
mit der sie zunächst wenig anfangen<br />
kann und die mit negativen Erfahrungen<br />
besetzt ist (die Türken, die sie als „Russki“<br />
verachten). Am Ende des <strong>Film</strong>s aber<br />
wird die Klasse zum Forum einer kleinen<br />
Öffentlichkeit, als Swetlana der Klasse<br />
die Geschichte ihrer Auswanderung vorliest.<br />
In dieser Geschichte bringt sie ihre<br />
Erfahrungen nach außen und setzt damit<br />
ein Zeichen des Neuanfangs. Es ist auch<br />
insofern konsequent, den Raum „Schule“<br />
am Ende als Metapher des Neuanfangs zu<br />
begreifen, da die Lehrerin Swetlana für<br />
die Realschule vorschlagen will und damit<br />
einen Weg in eine bessere Zukunft eröffnet.<br />
Der mit exotischen Früchten und anderen<br />
fremdartigen Lebensmitteln gefüllte Laden<br />
Saids ist Synonym für Unbekanntes und<br />
Verlockendes. Swetlana zieht es immer<br />
wieder dorthin, in seinem „Reich“ entfaltet<br />
Said seinen ganzen Charme (sein Fingerspiel,<br />
die Gewürzkette, die er Swetlana<br />
umhängt) und hier – im „Hinterzimmer“<br />
– ist sie auch verführt ihn zu küssen.<br />
18 ... <strong>Film</strong>-<strong>Heft</strong>