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Gischtgeboren Nach dem Sansibar

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Der Mond wirft verwaschene Lichterbahnen in das Zimmer, es ist ruhig, nur ein paar Möwen<br />

krächzen in der Ferne und vom <strong>Sansibar</strong> weht leise das Gelächter junger Leute herüber, bevor<br />

sie zum Strand gehen.<br />

Insgeheim hatte ich mir den Abend wohl auch so erhofft, eine Frau kennenlernen, nach ein<br />

oder zwei Drinks zum Strand gehen, romantischer Spaziergang am Meer und dann...<br />

...naja.<br />

Das ist vermutlich auch der Grund warum ich nach Lütjeoog geflohen bin, hier habe ich vor<br />

Jahren meine große Liebe getroffen, Agnes aus Kassel, kastanienbraunes Haar, französischer<br />

Zopf, braune Augen.<br />

Sie hat etwas in mir berührt, etwas zum Schwingen gebracht, das ich nie wieder erlebt habe.<br />

Echte Liebe oder nur der Rausch der ersten Hormone?<br />

Ich weiß es bis heute nicht.<br />

Auf jeden Fall sind mein Briefe nie schwülstiger, sehnsüchtiger und feuchter und meine<br />

Nächte nie schlafloser als in jenen zwei Wochen gewesen.<br />

Habe ich insgeheim Agnes gesucht?<br />

Nein, natürlich nicht, aber vielleicht den Zauber jenes Sommers.<br />

Das Gefühl bedingungslos zu einem anderen Menschen zu gehören.<br />

Ehrlichgesagt, habe ich dieses Gefühl mit Sabrina nie erlebt.<br />

Ist es daran gescheitert?<br />

Dass ich mich selbst nie komplett darauf eingelassen habe und nie mit ganzem Herzen dabei<br />

war?<br />

Habe ich immer irgendwo nach der wahren Liebe gesucht?<br />

Ich schließe die Augen und will nicht weiter in diese Richtung nachdenken. Ich liege wie ein<br />

überfahrener Frosch auf <strong>dem</strong> Kingsize Bett, mein Kopf dröhnt und mir ist kotzübel, das<br />

Hotelzimmer dreht sich um mich als würde ich in einem Karussell sitzen.<br />

Meine Gedanken rotieren zwischen Sabrina und der Fremden hin und her, ich nicke immer<br />

wieder für Minuten ein, habe seltsame Träume an die ich mich nur vage erinnern kann und<br />

aus denen ich schweißgebadet wieder aufschrecke.<br />

Um drei Uhr halte ich es nicht mehr aus, gehe zum <strong>Nach</strong>tportier und bitte ihn um eine<br />

Ibuprofen. Er rät mir eher zu Aspirin, das würde bei einem Sonnenstich besser helfen, ich<br />

erzähle ihm natürlich nichts von meinem Erlebnis in der Toilette des <strong>Sansibar</strong>, aber das kurze,<br />

normale Gespräch mit ihm tut mir gut.<br />

Was soll ich mit der Fremden und ihrer zusammengefalteten Serviette machen?<br />

Nichts, wegwerfen, das wäre das vernünftigste!<br />

Morgen früh die Koffer packen und nach Hause fahren, der Trip auf die Insel war eh<br />

idiotisch.<br />

Aber dann würde spätestens zwei Stunden nach<strong>dem</strong> ich den Schlüssel bei mir ins Schloss<br />

gesteckt habe wieder Sabrina vor der Tür stehen, und ich habe im Moment nicht die Kraft für<br />

weitere acht Runden mit ihr im Ring.<br />

Also einfach von der Fähre zum nächsten Flughafen und Last Minute irgendwohin, egal wo,<br />

nur weit weg von den Problemfrauen.<br />

Wäre eine Idee, noch zwei oder drei wirklich erholsame Wochen und dann in eine neues,<br />

Sabrina freies Leben durchstarten.<br />

Am Besten mit großer Wohnungsentrümpelung und anschließen<strong>dem</strong> Beutezug durch Ikea,<br />

das würde mich auch vor der unvermeidlichen Peinlichkeit bewahren, dass meine Zukünftige<br />

zur absoluten Unzeit einen letzten Slip von Sabrina aus einer Sofaritze fischt.<br />

Wohnungen tendieren dazu sich in schwarze Löcher zu verwandeln, die alles mögliche und<br />

unmögliche verschlingen und genau dann wieder frei geben wenn man es absolut nicht<br />

brauchen kann.<br />

Und Sabrina könnte "ihren" Kram dann von Sperrmüll holen.<br />

Die Vorstellung wie sie im Müll wühlt gefällt mir gerade ausgesprochen gut.


Phuket vielleicht?<br />

Ich wollte schon immer tauchen lernen und ein Urlaubsflirt mit einer hübschen Thai ist schon<br />

fast im Preis inklusive.<br />

Dass es für die Frauen ein Geschäft aus wirtschaftlicher Not ist verdränge ich mal, ich befinde<br />

mich in einer emotionalen Ausnahmesituation.<br />

Vielleicht liegt meine etwas sehr vereinfachte Sicht der Dinge aber auch an den Pillen vom<br />

<strong>Nach</strong>tportier und <strong>dem</strong> Alkohol, der noch durch meine Adern zirkuliert. Langsam fühle ich<br />

mich in ein, nicht unwillkommenes, Hochgefühl hineindämmern.<br />

Nüchtern Betrachtet würde mein Konto einen zweiten Urlaub kaum überstehen und bei<br />

meinem Glück reiße ich in Thailand eine durchgeknallte Schlangenbeschwörerin auf, die mir<br />

ein Rudel tollwütiger Kobras an den Hals hetzt.<br />

Mal ganz abgesehen davon, dass ich dann vor zwei Frauen davonlaufe.<br />

Keine erstrebenswerte Situation!<br />

Ich lasse mich wieder auf mein Bett fallen, was immer mir der Portier auch gegeben hat,<br />

simple Ibuprofen oder Aspirin waren es nicht, wahrscheinlich könnte man mir mit den<br />

Dingern beim Kaffeekränzchen ein Bein abnehmen und ich würde es nicht merken.<br />

Zwar wirbelt jetzt nicht mehr die Welt um mich herum aber dafür umkreisen mich die<br />

meerfarbenen Augen der Fremden.<br />

Toller Tausch!<br />

Aber zumindest dröhnt mein Kopf nicht mehr als würde ich auf einer Baustelle schlafen.<br />

Ich will nicht in irgendetwas hineingezogen werden oder Teil eines perversen Spiels sein...<br />

...und doch, sie hat mich berührt.<br />

Ein wenig so wie Agnes damals.<br />

Morddrohung, Gehirnerschütterung...<br />

...und ich philosophiere über Liebe?<br />

Wann bitteschön bin ich denn in die Hardcore SM Fraktion gewechselt?<br />

Teufel, was hat der Kerl mir gegeben?<br />

Dagegen war ja das Trennungsgespräch mit Sabrina wie seelische Streicheleinheiten.<br />

Und trotz<strong>dem</strong> gehen mir die Augen nicht mehr aus <strong>dem</strong> Kopf, wie sie mich angesehen hat in<br />

der Toilette.<br />

Sie hatten so etwas bittendens...<br />

...flehendes.<br />

Verdammt!<br />

Wie waren noch mal die beiden Namen, die ich googlen sollte?<br />

Damian Seehorst und Tim Metzger.<br />

Ich stehe auf, hole mein Tablet und google Damina Seehorst.<br />

Im Rheinblatt werde ich fündig, Familienvater, zwei Kinder, Mitte 30, arbeitete bei den<br />

Stadtwerken als Trambahnfahrer, vor sechs Monaten hat er sich vor eine einfahrende<br />

Straßenbahn geworfen und verstarb noch auf <strong>dem</strong> Weg ins Krankenhaus, niemand hatte mit<br />

einem Selbstmord gerechnet, die Ehe war glücklich und die Familie hatte keine Schulden,<br />

einen Unfall schloss die Polizei nach Auswertung der Überwachungsvideos der Haltestelle<br />

aus.<br />

Ich schlucke und gebe den zweiten Namen ein.<br />

Tim Metzger war neunzehn, er verstarb unter bisher ungeklärten Umständen im Juni, ein<br />

Jogger fand die Leiche nahe einem Waldweg bei Passau, Todesursache Herzversagen.<br />

Arme Schweine.<br />

Und was soll mir das jetzt sagen?<br />

Dass Karl den Trambahnkutscher zum Selbstmord gezwungen hat und der Junge gestorben ist<br />

weil die Fremde einen heißen Strip im Wald hingelegt hat?<br />

Nicht sehr wahrscheinlich.<br />

Da hätte ich schon eher ein Youtube Video erwartet, vielleicht mit einem schwarzen


Geländewagen, die Türen gehen auf und zwei Passanten sinken von Maschinengewehrfeuer<br />

durchsiebt zu Boden.<br />

Ja, so etwas in der Art,<br />

Aber wenn ich ehrlich bin würde ich es genau so machen, wenn ich jemanden töten wollte,<br />

unauffällig, so dass bestenfalls eine Fußnote im regionalen Käseblatt erscheint.<br />

Mit ein wenig suchen bei Google würde ich aber wahrscheinlich hunderte solcher<br />

"mysteriöser" Todesfälle finden, Bauer von Mähdrescher überrollt, Tierarzt von Kuh<br />

totgetrampelt, Taxifahrer bei Unfall gestorben, etc.<br />

Dass Karl hinter je<strong>dem</strong> dieser Tode steckt bezweifle ich dann mal und das katapultiert mich<br />

wieder zurück zu meinem Problem mit der Fremden.<br />

Was will sie?<br />

...und das ausgerechnet von mir.<br />

Wenn man sämtliche Absurditäten beiseite lässt, soll ich einen jungen Mann davon abhalten<br />

ihr nachzustellen.<br />

Und damit bin ich mitten im Zentrum ihres Spieles.<br />

Nur wie weit geht das Spiel?<br />

Das ist die alles entscheidende Frage.<br />

Was passiert wenn ich vor <strong>dem</strong> Haus des jungen Mannes auftauche?<br />

Hüpft jemand mit einer Kamera aus einem Heckenrosenbusch und ich finde morgen mein<br />

dämlich glotzendes Gesicht auf Youtube?<br />

Was passiert wenn ich mich verweigere und einfach nicht mitspiele?<br />

Schwebt der Junge wirklich in Gefahr?<br />

Ich kann es mir nicht vorstellen,<br />

Wenn ich mit Sabrina oder einer anderen Freundin hier wäre, hätte ich sie wahrscheinlich<br />

schon längst in der Schublade "die hundert Irren des Tages" abgelegt, aber da ich nun mal<br />

alleine bin bleibt meinem Verstand nichts anderes übrig als sie wieder und wieder zu<br />

umkreisen, wie die Schmeißfliege das berühmte Klohäuschen eben.

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