Vorgeschwommen
Ein erster Ausblick auf den zweiten Band des maritimen Fantasy Epos Gischtgeboren
Ein erster Ausblick auf den zweiten Band des maritimen Fantasy Epos Gischtgeboren
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Aggra, @@@@@, MMMCDLXVII Anno Urbis<br />
Conditæ, Hora Prima<br />
(Unterwasserstadt,@@@@@@@)<br />
Ich kauerte hinter einem Stein und versuchte mit dem Grau des<br />
Bodens zu verschmelzen.Vorsichtig schielte ich über den Rand<br />
und sah zur Aggra.<br />
Da war sie, meine Heimat.<br />
Endlich ...<br />
Ich hatte einen harten Kloß im Hals.<br />
Nur wenige Flossenschläge trennten mich von der<br />
wundervollen Stadt. Sie war auf und in den Schirm einer<br />
gigantischen Tiefseequalle gebaut. Die Kuppel ersetzte die<br />
Oberglocke, verfloss auf halber Höhe des Schirms an der<br />
Ringfurche scheinbar mit der Außenhaut des Tieres und bildete<br />
eine organisch anmutende Einheit.<br />
Eine uralte, unbewegliche Qualle, die eine ganze Stadt trug. Das<br />
Meisterwerk der Schattensänger.<br />
Ein magischer Ort - ich hatte seine Schönheit nie zu schätzen<br />
gewusst, als ich noch dort leben durfte.<br />
Die Kuppel glomm kurz auf, dann legte sich eine perlmuttartige<br />
Patina über sie. Die Hora Duodecima ging in die Vigilia Prima<br />
über, es wurde Nacht. Für die Bewohner der Stadt sah es so aus,<br />
als würden zahllose glitzernde Sterne am Firmament aufziehen.<br />
Ich schluckte.<br />
Vater hatte recht, die Aggra war weit mehr als die Reste einer<br />
toten Kultur der Menschen. Es war das Wunder meines Volkes,<br />
in dem wir uns, die Menschen und unseren Lebensraum<br />
miteinander verwoben hatten. Selbst für die Qualle war es die<br />
2
perfekte Symbiose: Sie beschützte uns mit ihren Nesselfäden,<br />
während wir sie mit unseren Abfällen fütterten.<br />
Sie schimmerte in einem sanften Blau, und während die riesigen<br />
Randlappen in leichten Kontraktionen pulsierten, schwangen<br />
die Tentakel kaum sichtbar in der Strömung.<br />
Ich konnte einen Schwarm Junge erkennen, die übermütig<br />
zwischen den Fangarmen herumtollten.<br />
Die letzten Runden, bevor sie zu den Teichen der Tiefe<br />
schwimmen und für die Nacht zu ihren Eltern zurückkehren<br />
würden.<br />
Die Sturmsänger passten auf, dass sie sich nicht in den<br />
Fangarmen verhedderten oder den Nesselfäden zu nahekamen.<br />
Ich schloss die Augen und biss mir so fest auf die Unterlippe,<br />
dass ein metallischer Geschmack meinen Mund flutete.<br />
Ich konnte kaum atmen und diesmal lag es nicht an der<br />
i´Tascha.<br />
Die Halbform war ein Witz. Ein dämlicher Scherz, wenn man<br />
den Kopf aus dem Wasser strecken wollte und vielleicht ganz<br />
lustig, um ein paar Seeleute zu erschrecken oder ihnen eine<br />
Beule in die Hose zu zaubern aber nutzlos, um längere Strecken<br />
zu schwimmen.<br />
Der menschliche Oberkörper konnte fast keinen Schleimfilm<br />
bilden und die Atemwege waren kaum in der Lage, bei<br />
Anstrengung genug Wasser zur amphibischen Lunge zu<br />
transportieren.<br />
Nach dem ersten Tag meiner Flucht war ich nur noch nachts<br />
und an der Wasseroberfläche geschwommen. Tagsüber lag ich<br />
auf dem Meeresboden und schlief oder ließ mein Leben Revue<br />
passieren, und landete immer wieder im Riff.<br />
Ich hatte mich nie aus den Korallenstöcken befreit, oder von<br />
ihm.<br />
3
Sein Geschmack, sein Geruch, seine Bewegungen, sie waren<br />
allgegenwärtig, ein bleierner Mantel, der mich einhüllte und<br />
erdrückte und den ich weder abschütteln noch in einer Therme<br />
abwaschen konnte, egal, in wie viel Tonnen Wasser ich badete<br />
und wie viele Schwämme Harim auf meinem Rücken<br />
zerschrubbte.<br />
Es war wie eine Algenpest, die mich langsam erstickte.<br />
Wenn Mutter noch da gewesen wäre ... Aber so blieb nur Vater,<br />
auf den ich meinen gesamten Zorn abwettern konnte.<br />
Ein alter Mann, der mit der Agonie seiner Tochter überfordert<br />
war und gleichzeitig unser Volk durch seine wahrscheinlich<br />
schwerste Zeit manövrieren musste.<br />
Als er jung war, kämpften die Menschen mit Schwert und<br />
Schild. Wie sollte er Ingenui mit Smartphones oder die Welt des<br />
21. Jahrhunderts begreifen?<br />
Hasse ich ihn?<br />
... nein.<br />
Ebenso wenig wie Karl.<br />
Was hätte er machen sollen?<br />
Mich nicht kaufen, ja klar.<br />
Aber dann wäre es eben ein anderes Arschloch gewesen ...<br />
Bin ich wirklich so selbstzerstörerisch, dass ich jeden in meiner Umgebung<br />
zwinge, mich zu quälen?<br />
Keine Ahnung ...Und eigentlich war es auch egal.<br />
Ich musste Vater sagen, was mit den natiff´Te´tala geschah. Er<br />
musste wissen, dass wir nur ein paar Jahre in der e´Tascha<br />
überleben konnten, ohne uns zurückzuverwandeln.<br />
Und dann?<br />
Ein Happy End?<br />
Wieder keine Ahnung.<br />
Meine Gedanken gingen nicht über dieses eine Gespräch mit<br />
ihm hinaus.<br />
4
Ich hatte keinen Plan, was danach geschehen sollte.<br />
Für diesen einen Moment setzte ich alles aufs Spiel und warf<br />
mein Leben in die Waagschale. Fühlt es sich so an, wenn man<br />
Verantwortung für jene übernimmt, die man liebt?<br />
Ja, wahrscheinlich.<br />
Ich drehte mich auf den Rücken und starrte in das Dunkel über<br />
mir.<br />
Jetzt übernehme ich doch noch Verantwortung für mein Volk, Vater.<br />
Ich schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter, mein Magen<br />
knurrte. Das letzte Mal, dass ich etwas gegessen hatte, war die<br />
Pizza im Strandkorb mit Roy.<br />
Rhygifarch Ross. Bescheuerter Name.<br />
Ob er mit Eckhard Ross verwandt ist?<br />
Ein seltsamer Gedanke, aber er entsprach wohl kaum der<br />
Wirklichkeit. Der Kapitän war ein Ingenui gewesen.<br />
Ein weiterer Nachteil der i´Tascha. Ohne einen richtigen<br />
Schleimfilm über meinem Körper war ich so langsam, dass mir<br />
eine altersschwache Makrele mit Krückstock entkommen<br />
konnte.<br />
Ich musste grinsen, als ich mir eine Makrele mit einem Stock an<br />
der Brustflosse vorstellte.<br />
Also, wie komme ich in die Aggra?<br />
Das war die große Frage und in den langen Stunden hinter dem<br />
Stein waren mir nur zwei Lösungen eingefallen.<br />
Entweder stellte ich mich den Sturmsängern oder ich schlich<br />
mich irgendwie hinein. Nur, wie schleicht man sich in eine<br />
Unterwasserstadt?<br />
Wenn ich mich hingegen stelle, bringen sie mich zum Kommandanten.<br />
Es gab zwar kein Protokoll dafür, was zu tun war, wenn eine<br />
natiff´Te´tala zurückkehrte – das war noch nie vorgekommen –<br />
aber ich würde es so machen.<br />
Der Kommandant wird mich einsperren und Vater benachrichtigen.<br />
5
Und dann?<br />
Was mache ich, wenn er nicht mit mir reden will? Dann säße ich hilflos<br />
in einer Zelle im Keller des roten Turms.<br />
Um es mit Nermins Worten auszudrücken: Epic fail!<br />
Ich konnte es natürlich dem Kommandanten sagen, dem Boten<br />
und jedem, dem ich auf den Weg in die Zelle begegnete, … aber<br />
wenn ich wirklich etwas erreichen wollte, musste ich mit Vater<br />
sprechen. Er war der amasch´Lareff und der Einzige, der<br />
tatsächlich etwas ändern konnte. Sich zu stellen, war eine<br />
betörend einfache Lösung und wahrscheinlich würde Vater<br />
entgegen meiner Bedenken im Sturmschritt gerannt kommen,<br />
um mich aus der Zelle zu holen. Aber es konnte einfach zu viel<br />
schief gehen.<br />
Also würde ich es doch mit dem Hineinschleichen versuchen müssen.<br />
Der einzige Weg in die Aggra führte durch die Teiche der Tiefe.<br />
Es war zwar Nacht, aber an den Becken war immer jemand.<br />
Und wenn es nur die Sklaven waren, die darauf warteten,<br />
Heimkehrer und Besucher abzutrocknen und in eine Toga zu<br />
hüllen.<br />
Doch wenn ich dort gesehen wurde … Eine aman`Natur, die in<br />
ihrer i´Tascha auftauchte und ein Halsband der Ingenui trug.<br />
Das wäre ein riesen Spaß.<br />
Schreiende Sklaven, entgleiste Gesichtszüge. Ich brauchte nicht<br />
viel Fantasie, um mir die dämlichen Fratzen und das Getuschel<br />
vorzustellen. Und weit werde ich nicht kommen, bevor der halbe rote<br />
Turm um die Ecke trabt.<br />
Es war meine va´Arna, aber im Moment waren sie einfach im<br />
Weg.<br />
Ich seufzte, ließ eine Luftblase von meinen Lippen aufsteigen<br />
und folgte ihr mit den Augen, bis sie in der Schwärze<br />
verschwand.<br />
6
Also, doch stellen?<br />
Scheiße!<br />
Nein.<br />
Es gibt immer einen Weg!<br />
Karls Satz!<br />
Er hatte es von einem bettelarmen preußischen<br />
Flüchtlingsjungen zu einem der reichsten Firmenmagnaten der<br />
Welt geschafft. Und ich wollte aufgeben, nur weil kein goldenes<br />
Tor mit einem Fanfarenchor auf mich wartete.<br />
Ich nehme mir jetzt aber nicht gerade Karl Dragus als Vorbild ...<br />
Doch.<br />
Egal wie ich zu ihm stand, egal wie ich ihn sah und egal ob er<br />
der Arsch war, der mich die letzten Jahre gequält und gevögelt<br />
hatte – er hätte nie aufgegeben oder den leichten Weg<br />
genommen.<br />
Er stand wie kein anderer für den Unterschied zwischen uns<br />
und den Menschen. Wo wir uns so leicht in unser Schicksal<br />
fügten, kämpften sie.<br />
Niemals aufgeben, es gibt immer einen Weg!<br />
Ich rollte mich auf den Bauch, kniff die Augen zusammen und<br />
beobachtete die verdammte riesige Qualle.<br />
Es ist ein Gallertklumpen und keine beschissene Sardinendose, also musste<br />
es eine Möglichkeit geben hineinzukommen, auch wenn ich gerade keinen<br />
Schimmer habe, wie die aussehen soll.<br />
Ob ich Karl jemals wiedersehen werde? Oder Roy?<br />
Die Randlappen bewegten sich sanft.<br />
Was würde Karl jetzt machen?<br />
Sein Scheckbuch zücken und die Patrouille bestechen.<br />
Nein, das ist unfair, er ist schließlich nicht immer reich gewesen.Sein<br />
Studium hatte er sich hart erarbeitet.<br />
Eine seiner Lieblingsgeschichten. Bevor er Francesco traf,<br />
wohnte er in einem einfachen Studentenwohnheim und trug<br />
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Glossar der Flossen<br />
etash´Mari - der Wasserbringer<br />
aman´Natur - die Seegeborenen<br />
natiff´Te´tala - Opfer für die Vielen<br />
leren´Velan - Schatten, genauer: treuer Begleiter, oder der an<br />
meiner Seite schwimmt<br />
aman´Ih´gor - die hohe Garde<br />
amasch´Lareff - erster unter Gleichen<br />
Limbaba - die Klänge der Tiefe<br />
eom´Fala - die Gezeiten des Lebens<br />
i ´Tascha - Halbform, klassische Nixe<br />
va Lascha - Fischform<br />
e ´Tascha - menschliche Form<br />
va´Arna - grob Kaste, aber deutlich durchlässiger als das<br />
indische Kastensystem.<br />
Sturmsänger - Wächter, Farbe Rot<br />
Wellensänger - Heiler, Farbe Blau<br />
Gischtsänger - Lehrer, Farbe Weiß<br />
Flutsänger - Händler, Farbe Gelb<br />
Schattensänger - Baumeister, Handwerker, Farbe Schwarz<br />
Ma´anan - die Ewigen, aman´Natur die so leben, wie vor<br />
Jahrtausenden<br />
aman´Maesch - die Stimme des Volkes<br />
faen´Faren - die Gesänge der Macht<br />
faen´Laman - die innige Verbindung<br />
araff`Mean - die Trennung<br />
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fa´Lira - Fußfessel<br />
nam´Valach - die Halle des Wassers<br />
va´Eora - Teiche der Tiefe<br />
nurasch´Valu - die Bitte<br />
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