dräum | ausgabe 1 | 03/2015
dräum ist ein periodikum von andreas leonhard hilzensauer – dräum is a periodical by andreas leonhard hilzensauer
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STRACCIATELLA<br />
Sein Weg zum Suizid begann an einem Pissoir. Die Blase man ihn ärgern, man auch gerne manchmal Konnie oder<br />
wollte – vom kühlen Blond genötigt – schnellstmöglich Radl rufen konnte.<br />
in das Hinterzimmer, und Konrad hatte dem wie immer<br />
nichts entgegenzusetzen. Doch diesmal war es anders, Wie immer auch, ein Arzt kam rein und blätterte im Krankenblatt,<br />
sah dann zum Bett des Kranken und verkündete<br />
diesmal machte das Rufen der Natur keine allzu natürliche<br />
Figur. Die Farbe war es, die irritierte: zwar durchaus die frohe Kunde: Nichts. Alles bestens. Man empfehle<br />
gelblich und gesund, aber halt eher so außen rum, dort, ein wenig Urlaub, mehr Bewegung, generell etwas mehr<br />
wo der Urin nicht dunkelschwarz gepunktet war. „Stracciatella“<br />
fiel ihm ein, während sein Schock dem Horror cken‘s am Tag eine kleine Handvoll Globuli – dann haben<br />
Gesundheit im Beamtenalltag, und für die Nerven schlu-<br />
noch das Bettchen machte.<br />
Sie binnen ein paar Tagen alles wieder voll im Griff.<br />
Als die Punkte – in der Schüssel angelangt – dann auch Aber, mein Urin! Eine genaue Untersuchung hat keine<br />
noch Laufen lernten, auf acht Beinchen über die Fliesen Auffälligkeiten gezeigt, wie gesagt, alles bestens, Farbe<br />
um ihr Leben hetzten, da war‘s um Konrad schnell geschehen.<br />
Und draußen, im Gastraum, da läuteten bei ligkeiten welcher Art auch immer.<br />
normal, Konsistenz normal, Geruch neutral, keine Auffäl-<br />
allen schleunigst alle Glocken vom panischen Geschrei,<br />
das aber – als der erste in den Kloraum sprang – schon Konrad verbarg den tiefen Schock, der im lymbischen System<br />
Quartier bezog; jetzt bloß nichts anmerken lassen,<br />
wieder stumm am Boden lag, den Schwanz noch in der<br />
Hand, die letzten Tröpfchen still der Schnürlsamthose sonst lernst du heute noch Steinhof von innen kennen.<br />
anvertrauend.<br />
Man schüttelt sich die Hand, bedankt sich lieb, schiebt<br />
alles auf den Stress und auf das Wetter, schlüpft links in<br />
Im Spitalsbett sitzend, betrachtete der Konrad still die die Jeans, dann rechts, macht alles wie vor langer Zeit<br />
Hand, in der er seinen Probenbecher hielt. Darinnen tummelte<br />
sich eine kleine Spinnenstadt, mit Bürgermeister, sich durch die Nacht nach Haus.<br />
gelernt, meldet sich am Empfang gesund und schleicht<br />
Straßenstrich und Fabriksgebäuden. Dunkelgraue Autobusse<br />
mit 8 Augen bogen um Kurven, die im Kreis verliefen.<br />
Wie öd das sein muss, dachte Konrad, den, wollte man sich was einbildet, dass man was sieht, wo gar nix<br />
Der Stress ist aber auch ein Hund, kann schon sein, dass<br />
ist;<br />
vielleicht ist man ja zu schnell vom Hocker in den Stand,<br />
sodass der Kreislauf a bissl später nachgekommen ist. Das<br />
kennt man ja, wenn man sich im Fachgeschäft etwas im<br />
untersten Regal anschaut und konzentriert die Produktdetails<br />
studiert, dann schnell zur Kasse will und sich im<br />
atemlosen Taumel ans nächstbeste klammern muss. So<br />
hat Konrad ja schließlich auch seine Frau, Gott hab sie selig,<br />
damals kennen gelernt, als er aus Versehen nach Ihrer<br />
schlanken Schulter griff, um nicht ins Schwarz zu kippen.<br />
(Aus den Latschen hat‘s ihn dann ja doch gehauen, wie er<br />
durchs rosa Flimmern der Frieda ins Gesicht geschaut und<br />
an der drohenden Ohnmacht vorbei ihr „Geht es ihnen<br />
gut?“ vernommen hat). So in etwa muss es diesmal auch<br />
gewesen sein. Und die Rotweinflasche widersprach so gut<br />
wie gar nicht.<br />
Das Problem daran, wenn man Probleme dieser Art mit Alkohol<br />
behandeln will, ist in der Regel, dass man, je mehr<br />
man trinkt, desto wahrscheinlicher eben wieder dem Problem<br />
begegnet. Und was sag ich: bei jedem weiteren Toilettgang<br />
gebar der Konrad tausend neue schwarze Punkte. Da<br />
half auch kein flaches Klatschen auf die Stirn oder intensives<br />
Studium der Scheuermilch-Ingredienzen – früher oder<br />
später krabbelte es überall im sanitären Weiß von schwarzen<br />
Viechern auf acht Beinchen.<br />
Nachdem es auch am Folgetag nicht anders war – statt wie<br />
sonst im Stehen, probierte es Konrad dieses Mal im Sitzen,<br />
weil er sich dachte, dass es dadurch vielleicht anders wäre,<br />
mit dem Resultat, dass er schleunigst unter die Dusche<br />
springen musste, weil sie, anstatt auf den Fliesen, dann auf<br />
seinem Rücken rannten – nahm Konrad sich vor, sich mit<br />
den kleinen Gfrastern zu arrangieren, sich mit der neuen Situation<br />
abzufinden und fortan keine Hirngespinste mehr zu<br />
fürchten. Das ging auch solange gut, wie die Tierchen nicht<br />
den gleichen Plan gefasst hatten. Mit einem Tage nämlich<br />
hörten sie auf, den großen Mann mit Schwanz in der Hand<br />
zu flüchten. Mit einem Tage hatten sie sich ihre Ängste abgewöhnt<br />
– und Konnie offenbar als Herrchen akzeptiert.<br />
Von da an war er keinen Augenblick mehr solo in seinem<br />
Leben. Wohin er auch ging, was er auch tat, wen er auch<br />
traf und mit wem er auch reden mochte – im Gefolge hatte<br />
er jetzt stets millionenfach Begleitung wie ein schier grenzenloses<br />
Rudel treuer Hunde. Konrad googelte „Psychotherapie<br />
Wien“ und ließ sich vom Psychosozialen Dienst zwei<br />
Adressen geben.<br />
Als sich der Kalender endlich entschlossen hatte, das richtige<br />
Datum anzuzeigen, betrat Konrad zum ersten Mal das<br />
sporadische Büro des Seelendoktors und nahm Platz. Gut,<br />
dass der nicht viele Möbel hat, dachte Konrad, sonst müssten<br />
wir unser Gespräch wohl draußen führen. Man muss<br />
erklären, dass dem Konrad mittlerweile eine hüfthohe und<br />
einige Meter lange Welle schwarzer Punkte folgte. Und<br />
hielt er abrupt an, so wie jetzt, wo er sich in den geschmeidigen<br />
Ohrensessel warf, der für Patienten bereit gestellt<br />
war, schwappte die schwarze Masse in ihrer Trägheit dem<br />
Konrad ins Gesicht.<br />
Er wolle zwar keine voreilige Diagnose stellen, aber er<br />
habe mit derlei Tierchen vorher schon Kontakt gehabt,<br />
meinte der Herr Doktor. Gedanken und Gefühle seien diese<br />
schwarzen Punkte, meist Schuldgefühle und Zukunftssorgen,<br />
Zweifel, Ängste, Unsicherheiten, die man immer<br />
wieder hinunterschluckt und zu vergessen sucht. Das rächt<br />
sich halt, ergänzte der Arzt, und schrieb ein schnelles Rezept.<br />
Das sollte helfen, damit sie kurzfristig besser mit der<br />
Situation zurecht kommen, auf lange Frist werden wir uns<br />
jedoch ausführlich mit den Inhalten Ihrer Kameraden auseinandersetzen<br />
müssen – uns jeden einzeln unter die Lupe<br />
hieven, jeden einzeln sezieren und katalogisieren, um die<br />
Fauna Ihres Unbewussten künftig besser zu verstehen.<br />
Man nickte eifrig und bedankte sich auch bei diesem Spezialisten,<br />
ging nach Hause und schenkte sich ein Gläschen<br />
ein. Gesprächstherapie, ließ es sich der Konrad auf der<br />
Zunge zergehen. Als er wieder pissen ging, ertrank er in<br />
Stracciatella.