17.04.2015 Aufrufe

Problematische Seiten der digitalen Signatur - Vischer

Problematische Seiten der digitalen Signatur - Vischer

Problematische Seiten der digitalen Signatur - Vischer

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Problematische</strong> <strong>Seiten</strong> <strong>der</strong> <strong>digitalen</strong> <strong>Signatur</strong><br />

Missbrauch und mögliche Folgen müssen gut bedacht sein<br />

Von Prof. Dr. Frank <strong>Vischer</strong> und Dr. Andreas C. Albrecht*<br />

Der Bundesrat hat einen Vorentwurf für ein neues Bundesgesetz über die elektronische <strong>Signatur</strong><br />

(EBGES) vorgelegt. Im Begleitbericht wird das Instrument <strong>der</strong> elektronischen <strong>Signatur</strong><br />

gelobt: «Die Sicherheit, die dieses Verfahren bietet, übersteigt jene <strong>der</strong> traditionellen schriftlichen,<br />

d. h. eigenhändig unterzeichneten und mit <strong>der</strong> Post verschickten Erklärung.» Diese<br />

Aussage ist zumindest stark simplifiziert.<br />

Der für das Anbringen einer elektronischen <strong>Signatur</strong> benötigte private <strong>Signatur</strong>schlüssel ist<br />

nichts an<strong>der</strong>es als eine Computerdatei. Eine solche kann beliebig oft kopiert werden. Wer in<br />

den Besitz einer Kopie eines fremden <strong>Signatur</strong>schlüssels gelangt, kann jedes beliebige Dokument<br />

mit einer auf den Eigentümer des Schlüssels hinweisenden elektronischen <strong>Signatur</strong> versehen.<br />

Das ist aus zwei Gründen beson<strong>der</strong>s relevant:<br />

1. Eine traditionelle, schriftliche Unterzeichnung kann nur eigenhändig, nicht aber durch<br />

eine Drittperson erfolgen. Es ist ein fundamentales Wesensmerkmal <strong>der</strong> traditionellen<br />

Unterschrift, dass diese nicht «aus <strong>der</strong> Hand gegeben» werden kann. Diese Eigenschaft<br />

ist <strong>der</strong> elektronischen <strong>Signatur</strong> fremd.<br />

2. Im Unterschied etwa zu einer Kreditkarte, einer Smart-Card o<strong>der</strong> einer im E-Banking<br />

üblicherweise verwendeten Passwort-Streichliste bemerkt <strong>der</strong> Inhaber eines elektronischen<br />

<strong>Signatur</strong>schlüssels nicht, wenn ihm dieser gestohlen wird. Ein solcher «Diebstahl»<br />

ist ein reiner Kopiervorgang, bei dem <strong>der</strong> Original-Schlüssel beim Inhaber<br />

verbleibt und weiter verwendet werden kann.<br />

Sicherheit hängt vom Benutzer ab<br />

Zwar ist es nach heutigem Wissensstand unmöglich, den Code einer elektronischen <strong>Signatur</strong><br />

innert nützlicher Frist zu knacken und diese zu fälschen. Aber ein Missbrauch muss nicht notwendigerweise<br />

mittels einer Fälschung bewerkstelligt werden; <strong>der</strong> <strong>Signatur</strong>schlüssel kann<br />

auch einfach kopiert werden. Mit <strong>der</strong> Möglichkeit des (befugten o<strong>der</strong> unbefugten) Kopierens<br />

des elektronischen <strong>Signatur</strong>schlüssels ist ein Sicherheitsproblem verbunden, das auf Grund<br />

<strong>der</strong> Natur <strong>der</strong> Sache bei <strong>der</strong> eigenhändigen Unterschrift gar nicht existiert. Die Frage, wie<br />

sicher o<strong>der</strong> wie missbrauchsanfällig die Verwendung einer elektronischen <strong>Signatur</strong> ist, hängt<br />

in erheblichem Mass davon ab, wie <strong>der</strong> Inhaber des <strong>Signatur</strong>schlüssels mit diesem umgeht.<br />

Verhaltensweisen wie etwa das Weitergeben des Schlüssels an Drittpersonen zur «Vereinfachung»<br />

<strong>der</strong> Geschäftsabwicklung und das sorglose Verwahren des <strong>Signatur</strong>schlüssels auf<br />

nicht unter Verschluss befindlichen Disketten bergen neue Risiken.<br />

Der bundesrätliche Gesetzesentwurf sieht vor, dass ein <strong>Signatur</strong>schlüssel (bzw. das entsprechende<br />

Zertifikat) auf Antrag des Inhabers für ungültig erklärt werden kann, etwa weil <strong>der</strong><br />

Inhaber vermutet, dass Unbefugte in den Besitz einer Kopie des Schlüssels gelangt sind.


2<br />

Hinter <strong>der</strong> Möglichkeit, einmal ausgestellte Schlüsselzertifikate nachträglich für ungültig erklären<br />

zu lassen, verbirgt sich ein fundamentales Problem. Es kann nämlich nicht zuverlässig<br />

festgestellt werden, zu welchem Zeitpunkt eine elektronische <strong>Signatur</strong> an ein bestimmtes<br />

Dokument angebracht wurde. Folglich kann bei einer digital signierten E-Mail-Nachricht nicht<br />

zuverlässig festgestellt werden, an welchem Datum und zu welcher Zeit diese signiert und<br />

verschickt wurde. Zwar enthalten E-Mail-Nachrichten in <strong>der</strong> Regel entsprechende Datums-<br />

und Zeitangaben im Kopfteil («Hea<strong>der</strong>»), aber diese Angaben sind von <strong>der</strong> Authentizitätsgarantie<br />

<strong>der</strong> elektronischen <strong>Signatur</strong> nicht mit abgedeckt und können deshalb relativ einfach<br />

manipuliert werden.<br />

Ein geschäftsreuiger Autor einer im Rechtsverkehr abgegebenen Verpflichtungserklärung hat<br />

demnach die Möglichkeit, nach dem Versand einer von ihm digital signierten E-Mail-Nachricht<br />

sein Schlüsselzertifikat für ungültig erklären zu lassen und anschliessend zu behaupten, die<br />

betreffende Nachricht sei erst nach dem Zeitpunkt <strong>der</strong> Ungültigerklärung des Schlüsselzertifikates<br />

digital signiert worden, weshalb ihm die <strong>Signatur</strong> nicht zugerechnet werden könne und<br />

er an die in <strong>der</strong> betreffenden Nachricht abgegebenen Erklärungen nicht gebunden sei. In<br />

technischer Hinsicht kann in einer solchen Situation nicht zuverlässig nachgewiesen werden,<br />

dass die Signierung in Wirklichkeit zu einem Zeitpunkt erfolgte, als das Schlüsselzertifikat<br />

noch gültig war.<br />

Wer also eine digital signierte Nachricht erhält und sicherstellen will, dass er im Falle eines<br />

späteren Streits den Erhalt <strong>der</strong> mit einer gültigen <strong>Signatur</strong> versehenen Nachricht beweisen<br />

kann, muss nicht nur die signierte Nachricht aufbewahren, son<strong>der</strong>n zusätzlich noch den Zeitpunkt<br />

des Erhalts dieser Nachricht prozesswirksam festhalten (etwa durch Deponierung einer<br />

Kopie <strong>der</strong> Nachricht bei einem Notar o<strong>der</strong> durch sofortiges Verlangen einer Echtheitsbestätigung<br />

im Sinne von Art. 21 Abs. 1 EBGES). Dies ist für die Praxis des täglichen Geschäftsverkehrs<br />

unbrauchbar. Eine elektronische <strong>Signatur</strong> erfüllt ihren Zweck nur dann, wenn <strong>der</strong> Empfänger<br />

einer signierten Nachricht zur Sicherung <strong>der</strong> Beweislage neben <strong>der</strong> blossen Aufbewahrung<br />

<strong>der</strong> Nachricht keine zusätzlichen Anstrengungen unternehmen muss; je<strong>der</strong> Mehraufwand<br />

ist unpraktikabel.<br />

Das führt zu folgendem Schluss: Der Umstand, dass <strong>der</strong> Zeitpunkt des Versandes einer elektronischen<br />

<strong>Signatur</strong> im Nachhinein nicht zuverlässig festgestellt werden kann, verbunden mit<br />

<strong>der</strong> Möglichkeit, dass ein bestimmter <strong>Signatur</strong>schlüssel je<strong>der</strong>zeit pro futuro für ungültig erklärt<br />

werden kann, lässt den Beweiswert einer elektronischen <strong>Signatur</strong> unter die Schwelle des<br />

im Geschäftsverkehr Akzeptablen sinken.<br />

Ein «Zeitstempel» als Lösung<br />

Im Begleitbericht zur Vernehmlassungsvorlage wird mit Recht darauf hingewiesen, dass die<br />

technische Möglichkeit besteht, den Beweiswert einer elektronischen <strong>Signatur</strong> insofern zu<br />

erweitern, als bei <strong>der</strong> Übermittlung einer digital signierten Nachricht ein von einer autorisierten<br />

Stelle zertifizierter «Zeitstempel» (Time-Stamping) angebracht werden kann. Mit einem<br />

solchen «Zeitstempel» könnten die oben geschil<strong>der</strong>ten Vorbehalte beseitigt werden. Es wäre<br />

denkbar, die Gesetzesvorlage dahingehend zu än<strong>der</strong>n, dass die für elektronische <strong>Signatur</strong>en<br />

vorgesehenen Rechtswirkungen nur dann eintreten, wenn die signierte Erklärung mit einem<br />

solchen «Zeitstempel» versehen ist. Eine solche Regelung wäre unbedingt in das Gesetz aufzunehmen.


3<br />

Im Übrigen ist die <strong>der</strong> Vernehmlassungsvorlage in erster Linie zugrunde liegende Absicht, <strong>der</strong><br />

elektronischen <strong>Signatur</strong> die gleichen rechtlichen Qualitäten zuzuerkennen wie <strong>der</strong> eigenhändigen<br />

Unterschrift, zu unterstützen. Es ist sowohl unter dem Aspekt des Übereilungsschutzes<br />

als auch unter demjenigen <strong>der</strong> Beweissicherung grundsätzlich richtig, dass Geschäfte, für<br />

welche das Gesetz die Schriftform vorschreibt, auch mit elektronischer <strong>Signatur</strong> abgeschlossen<br />

werden können.<br />

Gefährliches Missbrauchspotenzial<br />

Die grösste mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf verbundene rechtliche Schwierigkeit liegt<br />

darin, dass die Rechtsfolgen <strong>der</strong> unbefugten Verwendung eines fremden <strong>Signatur</strong>schlüssels<br />

festgelegt werden müssen. Der Gesetzesentwurf sagt zunächst, dass <strong>der</strong> Inhaber eines <strong>Signatur</strong>schlüssels<br />

sich jede Verwendung dieses Schlüssels entgegenhalten lassen muss, es sei<br />

denn, er beweise, dass <strong>der</strong> <strong>Signatur</strong>schlüssel ohne seinen Willen zum Einsatz gelangt ist. Im<br />

Interesse <strong>der</strong> Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs mag diese Regelung zu begrüssen sein.<br />

Allerdings ist ein allfälliger Missbrauch des <strong>Signatur</strong>schlüssels durch Unbefugte äusserst<br />

schwierig zu beweisen, wodurch <strong>der</strong> Schlüsselinhaber allenfalls in die Situation versetzt wird,<br />

Verpflichtungen erfüllen zu müssen, die er nie eingehen wollte.<br />

Sofern <strong>der</strong> Schlüsselinhaber den Missbrauchs- Beweis erbringen kann, muss er sich die entsprechende,<br />

digital signierte Erklärung nicht entgegenhalten lassen. Immerhin haftet er aber<br />

für den Schaden des gutgläubigen Dritten, sofern er nicht «alle nach den Umständen zumutbaren<br />

Vorkehrungen» getroffen hat, um den Schlüssel so aufzubewahren, «dass eine Verwendung<br />

durch unbefugte Drittpersonen ausgeschlossen werden kann» (Art. 17 Abs. 3<br />

i. V. m. Art. 16 Abs. 2 EBGES). Im Weiteren wird auf die Regeln <strong>der</strong> Stellvertretung verwiesen<br />

(Art. 38 und 39 OR).<br />

In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass es sich bei <strong>der</strong> Verwendung frem<strong>der</strong> <strong>Signatur</strong>schlüssel<br />

nicht um einen Tatbestand des Stellvertretungsrechts handelt, weil <strong>der</strong> Täter<br />

nicht in fremdem Namen, son<strong>der</strong>n unter fremdem Namen auftritt. Der in Art. 17 EBGES enthaltene<br />

Verweis auf Art. 38 und 39 OR ist deshalb nicht sachgerecht. In zivilrechtlicher Hinsicht<br />

wären stattdessen die allgemeinen Bestimmungen über die unerlaubte Handlung (Art.<br />

41 ff. OR) für anwendbar zu erklären.<br />

Ob die rechtliche Situation des <strong>Signatur</strong>schlüsselinhabers gemäss <strong>der</strong> vorgeschlagenen Regelung<br />

akzeptabel ist, ist letztlich eine Wertungsfrage. Die vorgeschlagene Regelung würde jedenfalls<br />

dazu führen, dass ein Schlüsselinhaber sich durch mangelnde Sorgfalt in erhebliche,<br />

ja vernichtende Schwierigkeiten bringen kann. Ob die mit dem Instrument <strong>der</strong> elektronischen<br />

<strong>Signatur</strong> verbundenen volkswirtschaftlichen Vorteile dieses Risiko rechtfertigen, müssen die<br />

politischen Instanzen entscheiden.<br />

* Die Autoren sind Anwälte bei VISCHER, Anwälte und Notare, Basel und Zürich.<br />

NZZ vom 21. Mai 2001, S. 18.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!