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Das Jahrhundert der Bilder 1949 bis heute Herausgegeben von ...

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<strong>Das</strong> <strong>Jahrhun<strong>der</strong>t</strong><br />

<strong>der</strong> Bil<strong>der</strong><br />

<strong>1949</strong> <strong>bis</strong> <strong>heute</strong><br />

<strong>Herausgegeben</strong> <strong>von</strong> Gerhard Paul<br />

Vandenhoeck & Ruprecht


Inhalt 4<br />

Umschlagabbildungen<br />

Vor<strong>der</strong>seite: Brandenburger Tor – Photonet.de, I.N.C./Lehnartz;<br />

Marilyn Monroe – AP Photo/Matty Zimmermann;<br />

World Trade Center 9/11 – picture-alliance/dpa;<br />

Finale <strong>der</strong> Fußballweltmeisterschaft 1954 – ullstein/ullstein bild;<br />

Mao Zedong – Swim Ink/Cor<strong>bis</strong>.<br />

Buckrücken und Rückseite: Lara Croft – © Eidos;<br />

Hanns Martin Schleyer – Keystone Pressedienst;<br />

Mondlandung – Cor<strong>bis</strong>.<br />

Bibliografische Information <strong>der</strong> Deutschen Nationalbibliothek<br />

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in <strong>der</strong><br />

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind<br />

im Internet über abrufbar.<br />

ISBN 978-3-525-30012-1<br />

© 2008 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen<br />

Internet: www.v-r.de<br />

Alle Rechte vorbehalten. <strong>Das</strong> Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt.<br />

Jede Verwertung in an<strong>der</strong>en als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf <strong>der</strong><br />

vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG:<br />

We<strong>der</strong> das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung<br />

des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer<br />

entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke.<br />

Printed in Germany.<br />

Redaktion: Verena Artz, Bonn<br />

Gestaltung: Ulrike Bade, Vandenhoeck & Ruprecht und Frank Köster, Dörlemann Satz<br />

Satz: Dörlemann Satz, Lemförde<br />

Druck und Bindung: Offizin An<strong>der</strong>sen Nexö Leipzig<br />

Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.


5 Inhalt<br />

Inhalt<br />

Der Bildatlas – ein Streifzug durch unser<br />

kulturelles Gedächtnis 9<br />

Gerhard Paul<br />

<strong>Das</strong> <strong>Jahrhun<strong>der</strong>t</strong> <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong><br />

Die visuelle Geschichte und <strong>der</strong> Bildkanon<br />

des kulturellen Gedächtnisses 14<br />

Gerhard Paul<br />

<strong>1949</strong> – 1959<br />

«Abschied vom Pathos» – Beginn eines<br />

«Mythos»<br />

Die visuelle Gründungskonstruktion<br />

<strong>der</strong> Bundesrepublik 40<br />

Michael Ruck<br />

EuroVisionen<br />

Die Bildsprache des sich einigenden Europa 48<br />

Daniela Kneißl<br />

«Führer <strong>der</strong> Arbeiterklasse»<br />

Der visuelle Kult um die «Liebe»<br />

<strong>der</strong> Genossen 56<br />

Rainer Eckert<br />

Bild-Zeitung<br />

Die Bil<strong>der</strong>welt einer umstrittenen<br />

Boulevardzeitung 64<br />

Jürgen Wilke<br />

Doppelhelix<br />

Die Karriere eines Wissenschaftsbildes 72<br />

Martina Heßler<br />

Der Aufstand<br />

Die In-Szene-Setzung eines Volksaufstands 80<br />

Christoph Hamann<br />

«Alle Wege des Marxismus führen<br />

nach Moskau»<br />

Schlagbil<strong>der</strong> antikommunistischer<br />

Bildrhetorik 88<br />

Gerhard Paul<br />

«<strong>Das</strong> Wun<strong>der</strong> <strong>von</strong> Bern»<br />

Die Bundesdeutschen als virtuelle<br />

Gemeinschaft 98<br />

Stefanie Schüler-Springorum<br />

Der Playboy <strong>der</strong> DDR<br />

Die heile Bil<strong>der</strong>welt <strong>der</strong> Diktatur<br />

im Magazin 106<br />

Rainer Eckert<br />

Marilyn<br />

Diva und Sexikone <strong>der</strong> 50er Jahre 114<br />

Elisabeth Bronfen<br />

Der «Käfer»<br />

Die Ikone des Wirtschaftswun<strong>der</strong>s 122<br />

Erhard Schütz<br />

Geheimnisse eines Kinoerfolgs<br />

Die Verfilmung <strong>von</strong> Des Teufels General 1955 130<br />

Ulrike Weckel<br />

<strong>Das</strong> Bild vom demokratischen Soldaten<br />

Die Werbung <strong>der</strong> Bundeswehr um<br />

ihren Nachwuchs 138<br />

Thorsten Loch<br />

Starschnitt<br />

Die Bil<strong>der</strong>sprache <strong>der</strong> Bravo 146<br />

Detlef Siegfried<br />

Die Halbstarken<br />

Bil<strong>der</strong> einer neuen Jugend 154<br />

Kaspar Maase<br />

Coca-Cola<br />

Globale Werbeikone und Symbol <strong>der</strong><br />

Amerikanisierung 162<br />

<strong>von</strong> Rainer Gries<br />

Die Bil<strong>der</strong> <strong>der</strong> Tagesschau<br />

Die Mutter <strong>der</strong> bundesdeutschen<br />

Nachrichtensendungen 170<br />

Knut Hickethier<br />

Arkadien, Dolce Vita und Teutonengrill<br />

Tourismuswerbung und das Italienbild<br />

<strong>der</strong> Deutschen 178<br />

Cord Pagenstecher<br />

Soraya<br />

Die «geliehene Kaiserin» <strong>der</strong> Deutschen 186<br />

Simone Derix<br />

«Keine Experimente»<br />

Adenauer als altern<strong>der</strong> Staatsmann 194<br />

Frank Bösch<br />

Laika<br />

<strong>Das</strong> Bild, das dem «Sputnik-Schock»<br />

ein Gesicht gab 202<br />

Robert Kluge<br />

<strong>Das</strong> Atomium<br />

<strong>Das</strong> Symbol des Atomzeitalters 210<br />

Jochen Hennig


Inhalt 6<br />

<strong>Das</strong> HB-Männchen<br />

Die Werbefigur <strong>der</strong> Wirtschaftswun<strong>der</strong>gesellschaft<br />

218<br />

Gerhard Paul<br />

Mit kühnem Blick in die Zukunft …<br />

Unser Sandmännchen erobert die<br />

Kin<strong>der</strong>zimmer 226<br />

Volker Petzold<br />

1960 – 1969<br />

Che<br />

Eine globale Protestikone des 20. <strong>Jahrhun<strong>der</strong>t</strong>s 234<br />

Stephan Lahrem<br />

Der Degendieb <strong>von</strong> Léopoldville<br />

Robert Lebecks Schlüsselbild <strong>der</strong><br />

Dekolonisation Afrikas 242<br />

Jörn Glasenapp<br />

Hand-Zeichen im Kalten Krieg<br />

Propaganda auf ost- und westdeutschen<br />

Plakaten 250<br />

Silke Betscher und Inge Marßolek<br />

«Was ich <strong>von</strong> <strong>der</strong> Mauer wissen muss»<br />

Zur Kunst- und Kulturgeschichte eines<br />

politischen Bauwerks 258<br />

Michael Diers<br />

Fluchtbil<strong>der</strong><br />

Schlüsselbil<strong>der</strong> einer mör<strong>der</strong>ischen Grenze 266<br />

Christoph Hamann<br />

Die Kuba-Krise<br />

Luftbil<strong>der</strong> am Rande eines Weltkrieges 274<br />

Manuel Köppen<br />

Der <strong>Jahrhun<strong>der</strong>t</strong>mord<br />

Attentat vor laufen<strong>der</strong> Kamera 282<br />

Sibylle Machat<br />

<strong>Das</strong> Schweigen<br />

Ein Film schockiert die Deutschen 290<br />

Werner Faulstich<br />

Der deutsche Michel<br />

<strong>Das</strong> Autostereotyp <strong>der</strong> Deutschen 298<br />

Tomasz Szarota<br />

Der «Vorzeigegastarbeiter»<br />

Die Begrüßung des millionsten<br />

Gastarbeiters als Medienereignis 306<br />

Veit Didczuneit<br />

Versandhauskataloge<br />

Die neue, bunte Welt des Konsums 314<br />

Michael Wildt<br />

Mao<br />

<strong>Das</strong> Porträt als Reliquie und Pop-Ikone 322<br />

Gerhard Paul<br />

Sgt. Pepper & Co.<br />

Plattencover als Ikonen <strong>der</strong> Popkultur 330<br />

Detlef Siegfried<br />

Der Tod des Benno Ohnesorg<br />

Ein Foto als Initialzündung einer<br />

politischen Bewegung 338<br />

Marion G. Müller<br />

Kollektiver Rückenakt<br />

Symbolbild <strong>der</strong> sexuellen Revolution 346<br />

Gerhard Paul<br />

Der Schuss <strong>von</strong> Saigon<br />

Gefangenentötung für die Kamera 354<br />

Stephan Schwingeler und<br />

Dorothée Weber<br />

Studentenrevolte<br />

Mediale Protestbil<strong>der</strong> <strong>der</strong> Studentenbewegung<br />

362<br />

Kathrin Fahlenbrach<br />

My Lai<br />

Die neuen Opferbil<strong>der</strong> des Krieges 370<br />

Lars Klein<br />

«Die Macht <strong>der</strong> Ohnmächtigen» im Bild<br />

Die Ikone des Prager Frühlings<br />

aus Bratislava 378<br />

Elena Demke<br />

Jimi Hendrix<br />

Ikone <strong>der</strong> psychodelischen Popkultur 386<br />

Gisela Theising<br />

«Der Mond ist ein Ami»<br />

Bil<strong>der</strong> <strong>der</strong> Mondlandung und die<br />

Inszenierung <strong>der</strong> Wissenschaft 394<br />

Martina Heßler<br />

1970 – 1979<br />

«Anarchistische Gewalttäter»<br />

Zur Mediengeschichte <strong>der</strong> RAF-Plakate 402<br />

Susanne Regener<br />

Der Kniefall <strong>von</strong> Warschau<br />

Spontane Geste – bewusste Inszenierung? 410<br />

Christoph Schnei<strong>der</strong><br />

«Vorsicht Kunst»<br />

Die Fotomontagen des Klaus Staeck 418<br />

Gerd Blum


7 Inhalt<br />

<strong>Das</strong> Mädchen Kim Phúc<br />

Eine Ikone des Vietnamkriegs 426<br />

Gerhard Paul<br />

<strong>Das</strong> Blutbad <strong>von</strong> München<br />

Terrorismus im Fernseh-Zeitalter 434<br />

Klaus Forster und Thomas Knieper<br />

Willy Brandt<br />

Vom Reformer zum Denkmal 442<br />

Daniela Münkel<br />

Tod eines Kameramannes<br />

Fotografen und Kameraleute zwischen<br />

den Fronten 450<br />

Andreas Elter<br />

«Sie kommen»<br />

Selbst- und Fremdbil<strong>der</strong> <strong>der</strong> Neuen<br />

Frauenbewegung 458<br />

Silke Eilers<br />

Die Entführung<br />

Die RAF als Bil<strong>der</strong>maschine 466<br />

Rolf Sachsse<br />

Die Grünen<br />

Neue Farbenlehre <strong>der</strong> Politik 474<br />

Kathrin Fahlenbrach<br />

1980 – 1989<br />

Blockade<br />

Friedensbewegung zwischen Melancholie<br />

und Ironie 482<br />

Fabio Crivellari<br />

Im Sucher <strong>der</strong> Staatssicherheit<br />

<strong>Das</strong> heimliche Auge <strong>der</strong> Macht 490<br />

Karin Hartewig<br />

Der Händedruck <strong>von</strong> Verdun<br />

Pathosformel <strong>der</strong> deutsch-französischen<br />

Versöhnung 498<br />

Ulrich Pfeil<br />

Turnschuh-Minister<br />

Die Physiognomie <strong>der</strong> Macht 506<br />

Eva-Maria Lessinger und<br />

Christina Holtz-Bacha<br />

Die Birne<br />

Helmut Kohl in <strong>der</strong> Satire 516<br />

Anja Besand<br />

Tschernobyl<br />

Die Unsichtbarkeit <strong>der</strong> atomaren<br />

Katastrophe 524<br />

Gerhard Paul<br />

Scharfe Konturen für das Ozonloch<br />

Zur Öko-Ikonografie <strong>der</strong> Spiegel-Titel 532<br />

Joachim Radkau<br />

In <strong>der</strong> Badewanne<br />

Die fotografische Ikone einer Politik- und<br />

Medienaffäre 542<br />

Gerhard Paul<br />

<strong>Das</strong> Geiseldrama <strong>von</strong> Gladbeck<br />

Mediale Komplizenschaft als Echtzeitkrimi 550<br />

Steffen Burkhardt<br />

Unschärfe<br />

Unscharfe Bil<strong>der</strong> in Geschichte und<br />

Erinnerung 558<br />

Bernd Hüppauf<br />

Der Tank Man<br />

Wie die Nie<strong>der</strong>lage <strong>der</strong> chinesischen<br />

Protestbewegung <strong>von</strong> 1989 visuell<br />

in einen Sieg umgedeutet wurde 566<br />

Benjamin Drechsel<br />

Der Fall <strong>der</strong> Mauer<br />

Bil<strong>der</strong> <strong>von</strong> Freiheit und/o<strong>der</strong> Einheit 574<br />

Godehard Janzing<br />

1990 – 1999<br />

Die nackte Republik<br />

Aktfotografie <strong>von</strong> Amateuren in <strong>der</strong> DDR 582<br />

Klaus Honnef<br />

Madonna<br />

Die Konstruktion einer Popikone im<br />

Musikvideo 590<br />

Jan-Oliver Decker<br />

<strong>Das</strong> neue Gesicht des Krieges<br />

Cockpit- und Raketenbil<strong>der</strong> im<br />

Zweiten Persischen Golfkrieg 598<br />

Markus Lohoff<br />

«<strong>Das</strong> Boot ist voll»<br />

Schreckensvision des vereinten Deutschland 606<br />

Cord Pagenstecher<br />

Gestürzt<br />

Zur Ikonografie des Denkmalsturzes<br />

in Osteuropa 614<br />

Eva Bin<strong>der</strong><br />

Videoüberwachung<br />

<strong>Das</strong> Interesse am Ungewöhnlichen<br />

im gewöhnlichen Alltag 622<br />

Jan Wehrheim


Inhalt 8<br />

Die blutige Uniform<br />

Oliviero Toscani und die «Benetton-Plakate» 630<br />

Jürgen Döring<br />

Bildbruch<br />

Die visuelle Provokation <strong>der</strong> ersten<br />

Wehrmachtsausstellung 638<br />

Hannes Heer<br />

Lara Croft<br />

Die virtuelle Ikone <strong>der</strong> Mediengesellschaft 646<br />

Astrid Deuber-Mankowsky<br />

Der Medienkanzler<br />

Die mediale Inszenierung des<br />

Gerhard Schrö<strong>der</strong> 654<br />

Andreas Dörner und Ludgera Vogt<br />

Johannes Paul II.<br />

Der Schmerzensmann 662<br />

Petra Dorsch-Jungsberger<br />

Die Reichstagskuppel<br />

Symbol <strong>der</strong> Demokratie wi<strong>der</strong> Willen 670<br />

Horst Bredekamp<br />

2000 – <strong>heute</strong><br />

Mohammed Al Durah<br />

Die Ikone <strong>der</strong> zweiten Intifada 678<br />

Esther Schapira<br />

Aufmerksamkeitsterror 2001<br />

9/11 und seine Inszenierung als<br />

Medienereignis 686<br />

Stephan A. Weichert<br />

The Falling Man<br />

Bil<strong>der</strong> <strong>der</strong> Opfer des 11. September 2001 694<br />

Godehard Janzing<br />

Der «Kapuzenmann»<br />

Eine globale Ikone des beginnenden<br />

21. <strong>Jahrhun<strong>der</strong>t</strong>s 702<br />

Gerhard Paul<br />

Tsunami<br />

Bil<strong>der</strong> einer Katastrophe 710<br />

Martin Hellmold<br />

Die neue Transparenz<br />

Reisen und Flanieren auf <strong>der</strong> virtuellen<br />

Erde mit Google Earth und Virtual Earth 718<br />

Florian Rötzer<br />

Holocaust-Denkmal<br />

Stolpersteine im Regierungsviertel 726<br />

Claus Leggewie<br />

Die authentische Katastrophe<br />

Handy-Fotos aus London und ihre<br />

Bedeutung für den Bildjournalismus 734<br />

Kay Dohnke<br />

Die Kanzlerin<br />

Die vielen Gesichter <strong>der</strong> Angela Merkel 742<br />

Gerhard Paul<br />

<strong>Das</strong> Bild des Propheten<br />

Der Streit um die Mohammed-Karikaturen 750<br />

Sabine Schiffer und Xenia Gleißner<br />

Second Life<br />

Virtuelle Bil<strong>der</strong>welt und <strong>der</strong> Traum<br />

vom Metaversum 760<br />

Karin Wehn<br />

Danksagung 769<br />

Ausgewählte Literatur 771<br />

Die Autorinnen und Autoren 775<br />

Bildnachweis 779<br />

Geografisches Register 781<br />

Personenregister 785<br />

Inhalt Band 1 795


1977<br />

Die Entführung<br />

Die RAF als Bil<strong>der</strong>maschine<br />

<strong>von</strong> Rolf Sachsse<br />

Zum «Metaphernnebel» (Wolfgang Kraushaar) des sogenannten Deutschen Herbstes 1977 gehört ein<br />

prägnantes Bild: Hanns Martin Schleyer, damaliger Präsident <strong>von</strong> BDI und BDA, sitzt kurz nach<br />

seiner Entführung unter dem Signet <strong>der</strong> Roten Armee Fraktion und hält ein Schild mit Datum und dem Text<br />

«Gefangener <strong>der</strong> RAF» hoch. Kein an<strong>der</strong>es Bild sammelt so in einer einzigen Ansicht die komplexen<br />

Ereignisse des Jahres 1977: die Gefährdung <strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschland durch linken Terrorismus wie<br />

durch die Aushöhlung des Rechtsstaats durch staatliche Ausnahmeregelungen. Allein die<br />

Ansammlung <strong>von</strong> Schlagworten zur Kennzeichnung des Geschehens aus <strong>der</strong> historischen Distanz <strong>von</strong> drei<br />

Jahrzehnten führt vor, dass die sprachliche Annäherung wesentlich schwieriger ist als die<br />

symbolhafte Bündelung durch ein Bild, das – so war es <strong>von</strong> den Akteuren durchaus gewollt – zur Ikone<br />

wurde. Ikone auch deshalb, weil das Bild als Ganzes wirkt. Kein Detail des Bildes spricht allein aus<br />

sich heraus, we<strong>der</strong> das Gesicht des Opfers noch seine Hände, die Körperhaltung o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Raum; kein Detail<br />

des Bildes lässt sich extrahieren. Warum ist das so und was bedeutet das für die Wirkung dieses<br />

Bildes über die letzten drei Jahrzehnte?<br />

Nur selten reproduzierte Polaroid-Aufnahme <strong>der</strong> RAF <strong>von</strong> Hanns Martin Schleyer vom 6.9.1977;<br />

hier reproduziert nach dem Abdruck innerhalb des Artikels «Der Bil<strong>der</strong>krieg» <strong>von</strong> Martin Walser<br />

in Der Spiegel, Nr. 21, 2004, S. 190, <strong>der</strong> aber keinen Herkunftsnachweis enthält. Von<br />

Bildagenturen wie etwa Keystone wird vom 6.9.1977 ein hochformatiges Schwarzweißfoto<br />

<strong>der</strong> RAF angeboten, das Schleyer in fast identischer Haltung, aber in an<strong>der</strong>em Schnitt zeigt.<br />

Die RAF fotografierte Schleyer demzufolge mit zwei verschiedenen Apparaten.


1977<br />

Rolf Sachsse 468<br />

y Die Bil<strong>der</strong><br />

<strong>Das</strong> Bild sind eigentlich mindestens vier: Als Fotografien<br />

gezeigt und unendlich reproduziert werden drei<br />

Ansichten <strong>von</strong> Hanns Martin Schleyer hinter einem<br />

Pappschild mit Text und vor dem RAF-Stern sowie<br />

einmal mit einer weiteren Tafel zum «Kommando<br />

Siegfried Hausner». Benannt ist dieses Kommando<br />

nach einem Terroristen, <strong>der</strong> im Frühjahr 1975 bei<br />

einer Bombenexplosion in Schweden schwer verletzt<br />

wurde und im Gefängnis Stuttgart-Stammheim starb.<br />

<strong>Das</strong> chronologisch erste dieser Bil<strong>der</strong> ist wohl das am<br />

weitesten verbreitete: Eine nahezu quadratische Aufnahme<br />

(78 × 79 mm) aus einer Polaroid-Kamera <strong>der</strong><br />

Serie SX 70 zeigt Hanns Martin Schleyer in einer weinroten<br />

Sportjacke mit schwarzen Bündchen, darunter<br />

ein dunkles Unterhemd; in beiden Händen hält er eine<br />

Papptafel mit dem Text «6. 9. 1977 GEFANGENER<br />

DER R.A.F.»; augenscheinlich sitzt er auf einem Hocker<br />

vor einer weißen Wand, an die ein größeres Plakat<br />

mit dem gedruckten Logo <strong>der</strong> RAF geklebt ist.<br />

Wenn es das Original dieser Fotografie noch gibt,<br />

so dürfte es in den Farben einigermaßen verwaschen<br />

sein; die Dicke seiner Farbschichten hat vom ersten<br />

Tag an dafür gesorgt, dass es nicht sehr scharf reproduziert<br />

werden konnte. Ob das Bild seinerzeit direkt<br />

farbig reproduziert und in dieser Form den Nachrichtenagenturen<br />

übergeben wurde o<strong>der</strong> ob die späteren<br />

farbigen Reproduktionen des Bildes am Computer generiert<br />

wurden, ist mit den mir vorliegenden Mitteln<br />

nicht zu entscheiden. Eine <strong>von</strong> <strong>der</strong> Fläche her vollständige<br />

Reproduktion des ganzen Bildes ist mir ebenfalls<br />

nicht bekannt.<br />

Die drei an<strong>der</strong>en Bil<strong>der</strong> dieser Geiselnahme sind<br />

Varianten desselben Typs, immer ist dasselbe Plakat<br />

mit dem RAF-Logo zu sehen; Größenunterschiede ergeben<br />

sich allein aus <strong>der</strong> unterschiedlichen Distanz<br />

zwischen Wand und Kamera. Die zweite Aufnahme<br />

zeigt Schleyer seitlich vor dem RAF-Logo sitzend; das<br />

Schild mit dem Text «SEIT 20 TAGEN GEFANGENER<br />

DER R.A.F.» ist sorgfältig geschrieben und wurde dem<br />

Hanns Martin Schleyer<br />

geb. 1915 in Offenburg; Dr. jur.; ab 1937 als NSDAP-Funktionär<br />

Leiter des Studentenwerks; 1943–45 im Zentralverband <strong>der</strong> Industrie<br />

für Böhmen und Mähren; <strong>1949</strong>–51 Referent <strong>der</strong> Industrie-<br />

und Handelskammer Baden-Baden, ab 1951 bei <strong>der</strong> Daimler-Benz<br />

AG in Stuttgart; 1962–68 Vorsitzen<strong>der</strong> des Verbands<br />

<strong>der</strong> Metallindustrie Baden-Württemberg; 1974 erschien ein umfassen<strong>der</strong><br />

Bericht über Schleyers NS-Vergangenheit im Stern,<br />

auf den sich die Terroristen später beriefen, um die Auswahl<br />

ihres Opfers zu legitimieren; 1973 Präsident <strong>der</strong> Bundesvereinigung<br />

<strong>der</strong> Arbeitgeberverbände (BDA) in Köln, 1977 zudem<br />

Präsident des Bundesverbands <strong>der</strong> Deutschen Industrie (BDI).<br />

Aufnahme <strong>der</strong> RAF <strong>von</strong> Hanns Martin Schleyer vom 25.9.1977,<br />

das an die Pariser Zeitung Liberation geschickt wurde.<br />

ullstein bild<br />

Titelseite Liberation vom 28.9.1977 unter Verwendung <strong>der</strong><br />

RAF-Aufnahme vom 25.9.1977.<br />

ullstein bild<br />

BDA-Präsidenten umgehängt. Die dritte Aufnahme<br />

stammt vom 6. 10. 1977, ähnelt im Arrangement <strong>bis</strong> in<br />

Details <strong>der</strong> zweiten, auch die Aufschrift «SEIT 31 TA-<br />

GEN GEFANGENER» entspricht weitgehend dem<br />

Vorbild vom 25. September. Möglicherweise wurden<br />

beide Bil<strong>der</strong> in <strong>der</strong>selben Wohnung angefertigt. Die<br />

letzte Aufnahme stammt vom 13. 10. 1977, zeigt nur<br />

eine kleine Tafel mit dem Datum und an <strong>der</strong> Wand neben<br />

dem Logo <strong>der</strong> RAF noch ein weiteres Schild mit


469 Die Entführung 1977<br />

Aufnahme <strong>der</strong> RAF <strong>von</strong> Hanns Martin Schleyer vom 13.10.1977.<br />

ullstein bild<br />

dem Text «Commando Siegfried Hausner Commando<br />

Martyr Halimeh»; hier ist das Opfer bereits sichtlich<br />

<strong>von</strong> den Strapazen seiner Gefangenschaft gezeichnet.<br />

Von allen drei Aufnahmen sind mir nur schwarzweiße<br />

Reproduktionen bekannt.<br />

Zu diesen insgesamt vier Bil<strong>der</strong>n gibt es noch eine<br />

kleine Anzahl <strong>von</strong> Ausschnitten und Standbild-Clips<br />

aus mindestens zwei Videoaufzeichnungen, die die<br />

Entführer <strong>der</strong> Presse und den Verfolgungsbehörden<br />

zugespielt hatten. <strong>Das</strong>s diese Bil<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Rezeption<br />

zu einem einzigen verschmolzen sind, liegt an <strong>der</strong><br />

Ähnlichkeit ihrer Inszenierung. Jedes Bild enthält drei<br />

Ebenen, die <strong>von</strong> unten nach oben o<strong>der</strong> <strong>von</strong> vorn nach<br />

hinten gelesen werden können: das Schild, den Mann,<br />

das Logo. Dabei ist die Reihenfolge wichtig: Erst die<br />

propagandistische Information, dann das Bild des<br />

Opfers als Beleg, darüber o<strong>der</strong> dahinter <strong>der</strong> teleologische<br />

Bezug zur Macht, das Logo als Signet. Diese Doppelung<br />

<strong>der</strong> Bezugsebenen hat sich in Täterbil<strong>der</strong>n des<br />

Terrors <strong>bis</strong> <strong>heute</strong> erhalten, da sie gleichermaßen auf<br />

zwei kulturelle Grundmuster rekurriert: auf die Illustration<br />

persischer Firdausi-Epen aus dem 15. <strong>Jahrhun<strong>der</strong>t</strong><br />

mit ihrer strikten Anordnung <strong>von</strong> unten nach<br />

oben wie auf die europäische Malerei mit ihrer räumlichen<br />

(Zentral-)Perspektive <strong>von</strong> vorn nach hinten.<br />

Die räumliche Enge des Ganzen signalisiert Ausweglosigkeit<br />

o<strong>der</strong> – aus <strong>der</strong> Tätersicht – Entschlossenheit.<br />

Beides, Bildaufbau wie Raumdarstellung sind Muster<br />

einer Gedächtnis-Topologie, die die gesamte Bildgeschichte<br />

<strong>der</strong> Menschheit durchzieht und einige Kulminationen<br />

in <strong>der</strong> christlichen Ikonografie gefunden<br />

hat. Da es sich bei den Tätern <strong>der</strong> RAF durchweg um<br />

Menschen mit <strong>der</strong> Medienerfahrung <strong>der</strong> bundesdeutschen<br />

1950er Jahre handelte, vor allem mit einer starken<br />

Affinität zur Popkultur <strong>der</strong> 1960er Jahre, ist diese<br />

Bildinszenierung <strong>von</strong> einer – <strong>heute</strong> als postmo<strong>der</strong>n<br />

beschriebenen – Mehrfachcodierung geprägt.<br />

y Die Vorbil<strong>der</strong><br />

<strong>Das</strong>s Menschen gedemütigt werden, indem man sie<br />

öffentlich zur Schau stellt und dabei eine beschriftete<br />

Tafel vor sie hält, ist in allen Kulturkreisen so lange bekannt,<br />

wie es schriftliche Überlieferungen gibt. Ein<br />

prägnantes Beispiel findet sich in <strong>der</strong> Legende des<br />

Bischofs Pothin, dessen frühchristliche Gemeinde in<br />

Lyon im Jahr 177 <strong>von</strong> den Truppen des römischen<br />

Kaisers Marc Aurel ausgehoben und in einem mehrtägigen<br />

Spektakel öffentlich gefoltert und ermordet<br />

wurde; dabei wurde ein Mann namens Attalus mit<br />

einem Schild durch die Straßen getrieben, auf dem<br />

stand: «Dieser ist ein Christ». Ähnliche Inszenierungen<br />

sind als Strafen im ara<strong>bis</strong>ch-asiatischen Raum wie<br />

im europäischen Mittelalter bekannt; umgekehrt setzt<br />

ein Maler wie Lukas Cranach <strong>der</strong> Ältere 1533 zwei<br />

Porträts sächsischer Fürsten hinter Bekenntnistexte,<br />

die auf den hölzernen Bildträger geklebt wurden. Die<br />

erkennungsdienstliche Behandlung <strong>von</strong> Tatverdächtigen,<br />

wie sie Alphonse Bertillon am Ende des 19. <strong>Jahrhun<strong>der</strong>t</strong>s<br />

in die Polizeiarbeit eingeführt hat (y I: Verbrechergesichter),<br />

kennt ebenfalls die Einfügung eines<br />

Namens- o<strong>der</strong> Nummernschildes vor das Porträt en<br />

face, gelegentlich vor dem Hintergrund einer Größenskala<br />

o<strong>der</strong> eines an<strong>der</strong>en Informationsträgers.<br />

Die Entführung<br />

Am 5. 9.1977 gegen 9 Uhr wird <strong>der</strong> Dienstwagen Schleyers<br />

in Köln gestoppt; die Täter eröffnen das Feuer und töten drei<br />

Sicherheitsbeamte und den Fahrer. Schleyer wird nach Erftstadt-Liblar<br />

gebracht, wo er in den ersten Tagen in einer Wohnung<br />

in einer Hochhaussiedlung gefangen gehalten wurde.<br />

Am 6. 9.1977 stellen die Täter ein erstes Ultimatum und for<strong>der</strong>n<br />

die Freilassung <strong>von</strong> elf RAF-Gefangenen; dem Brief wird<br />

das erste Polaroidfoto beigelegt. Die Bundesregierung weigert<br />

sich, dem Druck <strong>der</strong> Entführer nachzugeben; eine Klage des<br />

Sohnes vor dem Bundesverfassungsgericht auf Erfüllung <strong>der</strong><br />

For<strong>der</strong>ungen wird am 15.10. nie<strong>der</strong>geschlagen. Schleyer wird<br />

in die Nie<strong>der</strong>lande, später nach Brüssel verbracht. Am 25.9.<br />

und am 8.10.1977 entstehen weitere Fotografien, die jeweils<br />

einem Brief mit neuen For<strong>der</strong>ungen beigelegt werden. Am<br />

13. 10.1977 entführt ein palästinensisches Kommando das<br />

Flugzeug «Landshut» <strong>der</strong> Lufthansa; am 18. 10. gelingt die Befreiung<br />

<strong>der</strong> Maschine in Mogadischu/Somalia, nachdem die<br />

Entführer am Tag zuvor den Piloten erschossen haben. Am selben<br />

Abend wird Schleyer <strong>von</strong> seinen Entführern erschossen.


1977<br />

Rolf Sachsse 470<br />

Möglicherweise kannten die RAF-Täter solche erkennungsdienstlichen<br />

Bil<strong>der</strong> <strong>der</strong> Gestapo <strong>von</strong> Wi<strong>der</strong>standskämpfern<br />

gegen die NS-Herrschaft. Ein an<strong>der</strong>es<br />

Arrangement war zuvor <strong>von</strong> nationalsozialistischen<br />

SA-Horden ab 1933 mehrfach aufgenommen worden:<br />

die Positionierung eines jüdischen Mitbürgers mit einer<br />

Frau hinter einem Spottschild und vor einer Phalanx<br />

<strong>von</strong> SA-Männern o<strong>der</strong> Polizisten. Diese Aufnahmen<br />

waren für einige Jahre nicht publizierbar; erst die<br />

Vorbereitung systematischer Pogrome in den Jahren<br />

1937 und 1938 ließ eine <strong>der</strong>artige Bildpolemik in antisemitischen<br />

Kampfblättern zu. Und als 1945 faschistische<br />

Würdenträger in Italien hingerichtet wurden,<br />

trugen sie auf dem Weg zum Henker ebenso Schrifttafeln<br />

um den Hals. Die Ambivalenz solcher Inszenierungen<br />

vor den Augen <strong>der</strong> Öffentlichkeit und <strong>der</strong> Kamera<br />

ist <strong>bis</strong> <strong>heute</strong> erhalten geblieben. Zwar schaffen<br />

die Texttafeln eine eindeutige Beschreibung des Bildgeschehens,<br />

sie konnotieren die Symbolik jedoch im<br />

Gebrauch jeweils neu und an<strong>der</strong>s für den gerade notwendigen<br />

Zweck einer Publikation.<br />

Die theologische Wirkung des Bildes beruht selbstverständlich<br />

auf einem weiteren Detail: <strong>Das</strong> Logo <strong>der</strong><br />

RAF prangt auf jedem Bild hinter bzw. über dem Kopf<br />

des Opfers und symbolisiert wie in Christentum und<br />

Islam gleichermaßen das Auge Gottes, das sieht und<br />

straft. Die Verdichtung des Pentagramms – als esoterisches<br />

Zeichen steht es für absolute Vollkommenheit<br />

(die vier Elemente plus <strong>der</strong> menschliche Geist) und ist<br />

damit Ausweis höchster Elite – durch die Maschinenpistole<br />

– für deutsche Terroristen selbstverständlich<br />

ein deutsches Fabrikat – mit dem Schriftzug RAF in<br />

<strong>der</strong> Compacta Outline kann ohne Weiteres als Auge<br />

gelesen werden, aber auch als heraldisches Signum des<br />

Herrschaftsanspruchs auf ein Territorium o<strong>der</strong> Staatsgebilde.<br />

Die Differenzen <strong>der</strong> räumlichen Beziehungen<br />

zwischen dem Kopf des Opfers und dem Logo sind<br />

eher wenig bedeutend; sicher aber ist die Tatsache,<br />

Rote Armee Fraktion (RAF)<br />

Anfang 1970 tun sich durch Vermittlung des Anwalts Horst<br />

Mahler das Paar Andreas Baa<strong>der</strong> und Gudrun Ensslin und die<br />

ehemalige Journalistin Ulrike Meinhof zusammen. Sehr bald<br />

stoßen weitere Männer und Frauen hinzu. Sie werden <strong>von</strong><br />

<strong>der</strong> Presse, vor allem den Blättern des Springer-Konzerns, als<br />

«Baa<strong>der</strong>-Meinhof-Bande» o<strong>der</strong> «Baa<strong>der</strong>-Meinhof-Gruppe» gebrandmarkt.<br />

Nachdem die ganze Gruppe im Frühsommer 1970<br />

eine Nahkampfausbildung in Jordanien absolviert hat, nennt<br />

sie sich im August 1970 «Rote Armee Fraktion», um sich als<br />

Vorhut einer künftigen, großen Bewegung darzustellen. Als<br />

Signet wählt sich die RAF einen fünfzackigen Stern, <strong>der</strong> <strong>von</strong><br />

einer Maschinenpistole des Typs MP5 <strong>von</strong> Heckler & Koch<br />

überschnitten wird, davor prangt das Kürzel RAF in den Lettern<br />

einer Durchreibeschrift.<br />

dass Hanns Martin Schleyer auf dem letzten Bild <strong>der</strong><br />

Serie, kurz vor seinem Tod, deutlich unterhalb des<br />

Plakats mit dem Logo sitzt, ein intendierter Hinweis<br />

auf eine baldige, endgültige Lösung <strong>der</strong> inzwischen<br />

jenseits aller Politik und Herrschaftsansprüche angelangten<br />

Aktion.<br />

Ein son<strong>der</strong>bares Detail des Bildes, das sich in allen<br />

Varianten wie<strong>der</strong>findet, bildet die Schreibweise<br />

<strong>der</strong> Selbstbezeichnung RAF, hier immer mit einem<br />

Punkt hinter jedem Buchstaben. Es ist in erster Linie<br />

als Verweis auf die Rezeptionsgeschichte <strong>der</strong> Gruppenbezeichnung<br />

zu lesen, die je nach Sichtweise <strong>der</strong><br />

Autoren <strong>von</strong> Baa<strong>der</strong>-Meinhof-Bande <strong>bis</strong> zur Roten<br />

Armee Fraktion – als die sie 1970 gegründet worden<br />

war – reichte. Offensichtlich soll zum einen ein Unterschied<br />

zum Kürzel <strong>der</strong> britischen Royal Air Force<br />

gemacht werden, zum an<strong>der</strong>en aber soll durch die<br />

Abkürzung eine Aufwertung signalisiert werden, ganz<br />

im Sinn allegorischer Verfahren des 16. und 17. <strong>Jahrhun<strong>der</strong>t</strong>s<br />

als politischer Rhetorik. Eigenartigerweise<br />

hat kurz nach diesem «Deutschen Herbst» eine liberale<br />

Partei <strong>der</strong> Bundesrepublik zum gleichen Verfahren<br />

gegriffen, um ihr politisches Profil zu verstärken.<br />

Den Terroristen ging es in diesem Akt wahrscheinlich<br />

noch um eine zweite Aufwertung: Mit <strong>der</strong> gesamten<br />

Aktion <strong>der</strong> Schleyer-Entführung, die angeblich über<br />

20 Monate lang vorbereitet worden war, wollte die<br />

zweite Generation <strong>der</strong> RAF den inhaftierten Grün<strong>der</strong>n<br />

und Grün<strong>der</strong>innen die eigene Stärke demonstrieren.<br />

In zahlreichen Texten zu diesem Bild ist auf diverse<br />

Vorbil<strong>der</strong> aus an<strong>der</strong>en Entführungsfällen hingewiesen<br />

worden, speziell auch im Hinblick auf die politischtheologische<br />

«Selbstermächtigung» <strong>der</strong> Täter (Terhoeven<br />

2007). Die Vorbildfunktion <strong>der</strong> italienischen<br />

Brigate Rosse und <strong>der</strong> uruguayischen Tupamaros ist in<br />

diesen Fällen sicher zu konzedieren, doch gibt es ein<br />

– meines Wissens unpubliziertes – Vorbild aus den<br />

eigenen Reihen: Im März 1972 war eine sogenannte<br />

Sympathisantin, nach ihrer Aussage bei <strong>der</strong> Polizei,<br />

geteert und mit einem Schild, das sie als Verräterin deklariert,<br />

fotografiert worden. Auch bei früheren Entführungen<br />

<strong>der</strong> RAF war diese Bildform erprobt worden,<br />

wenn auch weniger präzise und symbolhaft als<br />

bei Hanns Martin Schleyer.<br />

Ganz vermessen wäre es, hier eine Komplizenschaft<br />

zwischen Täter und Opfer zu konstruieren, doch<br />

sicher hatte Schleyer die Bil<strong>der</strong> des wenige Monate zuvor<br />

entführten CDU-Politikers Peter Lorenz im Kopf,<br />

sobald er <strong>der</strong> Aufnahmeprozedur zugeführt wurde.<br />

Vielleicht kannte er auch an<strong>der</strong>e Beispiele solcher Bil<strong>der</strong><br />

aus <strong>der</strong> Geschichte und hat versucht, <strong>der</strong> demütigenden<br />

Inszenierung durch eine eigene Haltung entgegenzuwirken<br />

– was ihm im Lauf des Geschehens<br />

auch zunehmend besser gelang. Insofern ist auch die<br />

unendliche Reproduktion des ersten Bildes <strong>der</strong> vier


471 Die Entführung 1977<br />

Varianten eine öffentliche Verlängerung <strong>der</strong> Demütigung<br />

des Opfers durch die Medien.<br />

y Die Bil<strong>der</strong>macher<br />

<strong>Das</strong> Bundeskriminalamt zählte für den Herbst 1977<br />

genau 20 Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> terroristischen Vereinigung<br />

RAF, <strong>von</strong> denen fünf zu den Haupttätern <strong>der</strong> Entführung<br />

gehörten und dafür auch verurteilt wurden:<br />

Peter-Jürgen Boock, Brigitte Mohnhaupt, Adelheid<br />

Schulz, Christian Klar und Stefan Wisniewski. Ihre<br />

Sozialisation ist ebenso hinreichend untersucht wie<br />

je<strong>der</strong> einzelne ihrer Wege in den Terrorismus, das<br />

Schlagwort vom «Terror im Schlaraffenland» (Backes<br />

1994) hat sich über die Jahre eingebürgert und auch<br />

für einige Rezeptionsverän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> RAF in den<br />

1990er Jahren gesorgt, bevor die Ereignisse des Herbstes<br />

2001 den Begriff des Terrors neu zu definieren begannen.<br />

Die fünf Haupttäter kommen gleichermaßen als<br />

Urheber des Bildes vom entführten Hanns Martin<br />

Schleyer wie <strong>der</strong> dabei benutzten Texttafeln in Betracht.<br />

Die notwendige Ausrüstung – eine Polaroidkamera<br />

vom Typ SX 70 und eine leichte Videokamera<br />

– gehörten zu dieser Zeit bereits weitgehend<br />

zum gehobenen bürgerlichen Standard des visuellen<br />

Dokumentierens <strong>der</strong> eigenen Familie. Die Polaroidkamera<br />

hatte zudem den Vorteil, dass man kein Fotolabor<br />

zur Ausarbeitung <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong> benötigte, was <strong>der</strong><br />

Kamera einen eher zweifelhaften Ruhm bescherte:<br />

Ein Großteil des weltweiten Umsatzes ging in die private<br />

Pornoproduktion, sodass <strong>der</strong> Hersteller gerade<br />

in den späten 1970er Jahren mit einem umfangreichen<br />

Kunstprogramm den eigenen Ruf zu verbessern suchte.<br />

Für die Rezeption des Schleyer-Bildes hat die technische<br />

Genese keine Bedeutung gehabt.<br />

Die Nutzung dieser Technik wie <strong>der</strong> damals noch<br />

nicht so ganz einfach zu bedienenden Videokamera<br />

stellte für die Täter kein Problem dar; sie waren zwar<br />

keine Medienprofis wie die erste Generation <strong>der</strong> RAF<br />

– Baa<strong>der</strong> als Fotomodell, Meinhof als Journalistin,<br />

Meins als Kameraassistent –, doch als um 1950 Geborene<br />

aus gutbürgerlichem Haus waren sie durchweg<br />

mit hoher technischer und designerischer Kompetenz<br />

ausgestattet. Mit <strong>der</strong>selben Leichtigkeit, mit<br />

<strong>der</strong> die Popkultur <strong>der</strong> 1960er und 1970er Jahre das<br />

gesamte Repertoire <strong>von</strong> Kunst- und Musikgeschichte<br />

auf eingängige Motive und Logos verkürzte (Weibel<br />

2004), konnten sich die Täter sowohl die Bildformen<br />

<strong>der</strong> christlichen Ikonografie wie <strong>der</strong> – auch auf<br />

dieser beruhenden – Befreiungsbewegungen in aller<br />

Welt aneignen. Den metaphorischen und allegorischen<br />

Aufwand, den die erste Generation mit <strong>der</strong><br />

Namensgebung und dem Logo <strong>der</strong> RAF betrieben<br />

hatte, brauchte die zweite Generation nicht mehr; sie<br />

konnte sich auf einfache Übernahmen <strong>von</strong> Bildformen<br />

und Arrangements beschränken, <strong>der</strong>en Wirkung<br />

sich ohnehin, unabhängig <strong>von</strong> ihrem Tun, einstellen<br />

würde.<br />

Vielleicht mag auch ein spätes Erstaunen über diese<br />

Wirkmächtigkeit dazu beigetragen haben, dass viele<br />

Täter und Täterinnen dieser Gruppe ihre Sozialisation<br />

während und nach <strong>der</strong> Haft in Medienberufen gesucht<br />

haben. Die eher nachlässige Inszenierung des Bildes<br />

und seiner Varianten während <strong>der</strong> Entführung, die<br />

we<strong>der</strong> beson<strong>der</strong>s ruppig – wie Bil<strong>der</strong> <strong>von</strong> Tupamaroo<strong>der</strong><br />

Brigate-Rosse-Entführungen – noch beson<strong>der</strong>s<br />

sorgfältig erscheint, lässt vom späteren Medienprofessionalismus<br />

<strong>der</strong> Interviewpartner, Talkshowteilnehmer<br />

und Bildredakteure aus dieser RAF-Generation<br />

noch wenig erahnen.<br />

y Die Nachbil<strong>der</strong><br />

<strong>Das</strong> Bild <strong>von</strong> Schleyers Entführung ist unendlich reproduziert<br />

und in vielerlei Hinsicht neu kontextualisiert<br />

worden, vom Magazintitel über literarische Essays<br />

(Walser 2004) <strong>bis</strong> zum Doku-Fiction-Spielfilm<br />

im Jahr 1997. Gleich wie das Bild dabei beschnitten<br />

wurde, blieben doch die drei konstituierenden Elemente<br />

erhalten: Schild, Opfer, Logo. Seltene Ausnah-<br />

Titelblatt Der Spiegel, Nr. 38, 12.9.1977, unter Verwendung<br />

einer RAF-Aufnahme vom 6.9.1977.<br />

Der Spiegel, Hamburg


1977<br />

Rolf Sachsse 472<br />

men <strong>von</strong> dieser Regel waren <strong>der</strong> erste Spiegel-Titel<br />

vom 12. 9. 1977, noch während <strong>der</strong> Entführung, als die<br />

Schrifttafel nicht gezeigt wurde, und die Clips aus den<br />

Videoaufnahmen <strong>der</strong> Täter, ebenfalls ohne Schrifttafeln.<br />

Sobald jedoch Hanns Martin Schleyer <strong>von</strong> seinen<br />

Entführern ermordet worden war, erhielt die Schrifttafel<br />

jene Bedeutung, die ihr <strong>von</strong> den Tätern zugedacht<br />

worden war: die archaische Bestrafung durch<br />

Demütigung. Die Medien verhielten sich dabei genau<br />

so, wie es die Terroristen vorhergesehen und intendiert<br />

hatten – <strong>der</strong> Hinweis auf die RAF-Gefangenschaft<br />

war demütigen<strong>der</strong> als <strong>der</strong> Verweis auf die<br />

Verstrickungen in die NS-Zeit, die ebenfalls auf <strong>der</strong><br />

Tafel hätte stehen können o<strong>der</strong> sollen. Hanns Martin<br />

Schleyer wurde damit je<strong>der</strong> Bezug auf Individualität<br />

genommen, er wurde zu einem mehr o<strong>der</strong> min<strong>der</strong> zufällig<br />

ins Visier <strong>der</strong> Täter geratenen Opfer (Wisniewski<br />

1997).<br />

Schleyers Haltung als Opfer hat <strong>der</strong> europäischen<br />

Öffentlichkeit eindeutig imponiert und dafür gesorgt,<br />

dass spätere Opfer, insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> italienische Politiker<br />

Aldo Moro bei seiner Entführung und Ermordung<br />

im Mai 1978, auf ähnlich arrangierten Bil<strong>der</strong>n<br />

mit großer Gelassenheit agierten. Der Bildtypus selbst<br />

war für mehr als ein Jahrzehnt tabu; es gab keine Inszenierungen<br />

als Zitat. Selbst als am Ende <strong>der</strong> 1980er<br />

Jahre eine Reihe <strong>von</strong> Künstlerinnen und Künstlern<br />

sich mit <strong>der</strong> RAF und ihrem Terrorismus zu beschäftigen<br />

begannen, wurden zahlreiche Bildtypen – <strong>von</strong> den<br />

Fahndungsfotografien <strong>bis</strong> zu Aufnahmen und Arrangements<br />

aus dem Gefängnis Stuttgart-Stammheim –<br />

wie<strong>der</strong> aufgegriffen und künstlerisch bearbeitet, dieser<br />

jedoch nicht. Auch die durchaus umstrittene Gedächtnisausstellung<br />

zur RAF in Berlin im Jahr 2005<br />

hat dieses Bild nicht benutzt. <strong>Das</strong>s die verklärende<br />

Selbstdarstellung <strong>der</strong> RAF auf <strong>der</strong> Basis Grimm’scher<br />

Märchen, wie sie Astrid Proll 1996 mit ihrem Buch<br />

Hans und Grete vornahm, wohlweislich auf dieses Bild<br />

verzichtet, scheint selbstverständlich.<br />

Dem Logo <strong>der</strong> RAF war eine an<strong>der</strong>e Geschichte beschieden:<br />

1999 stellten eine Ausstellung in London<br />

und eine Modekollektion in Hamburg den damals angesagten<br />

radical chic nahezu gleichzeitig unter das Label<br />

«Prada Meinhof», eine phonetische Verballhornung<br />

des offiziellen Namens <strong>der</strong> Terrorgruppe. Bis<br />

in den Sommer 2001 hinein finden sich eine ganze<br />

Reihe <strong>von</strong> Übernahmen des RAF-Logos in diverse modische<br />

Formen <strong>der</strong> Pop- und Punkkultur. <strong>Das</strong> alles<br />

ist schlagartig mit dem September 2001 vorbei; erst<br />

nach <strong>der</strong> vieldiskutierten RAF-Ausstellung 2005 in<br />

Berlin und nach den Entlassungen (und Nicht-Entlassungen)<br />

mehrerer Täter <strong>der</strong> Schleyer-Entführung im<br />

Frühjahr 2007 greifen Kabarettisten und Karikaturisten<br />

das Thema neu auf – und übernehmen auch das<br />

Bild des entführten Hanns Martin Schleyer.<br />

Ob sie Gerichtsverfahren wegen des möglichen Tat-<br />

bestands <strong>der</strong> Verhöhnung <strong>der</strong> RAF-Opfer nach sich<br />

ziehen o<strong>der</strong> nicht: Diese Bildübernahmen bestehen<br />

immer aus den exakt gleichen Elementen, die zur Ikonenbildung<br />

des ersten Bildes geführt haben. Die dargestellte<br />

Person sitzt hinter einem Schild, dessen Text<br />

das Wort «Gefangener» sowie eine Zeitangabe enthält,<br />

und unter einem fünfzackigen Stern mit einem eingeschriebenen<br />

Logo. Es ist anzunehmen, dass sich auf<br />

diesem Weg die Inszenierung und Visualisierung <strong>der</strong><br />

Schleyer-Entführung als weitere Leerform in das kollektive<br />

Gedächtnis <strong>der</strong> Deutschen einschreibt und damit<br />

endgültig <strong>von</strong> den vergangenen Konnotationen des<br />

politischen Wi<strong>der</strong>stands wie des Terror-Opfers löst.<br />

y Die Bil<strong>der</strong>maschine<br />

<strong>Das</strong> Bild des entführten Hanns Martin Schleyer ist unzweifelhaft<br />

ein Teil <strong>der</strong> umfangreichen RAF-Bil<strong>der</strong>maschine<br />

geworden, vielleicht sogar <strong>der</strong> schmerzhafteste.<br />

Es ist das Wesen einer jeden Maschine, ihre Produktion<br />

unabhängig vom Verursacher weiterzuführen, solange<br />

Rohstoffe und Energie zugeführt werden; dies<br />

gilt auch für mediale Prozesse und <strong>der</strong>en Tendenz zur<br />

Verselbstständigung <strong>von</strong> Informationen. Die Mitglie<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> RAF waren sehr darauf bedacht, ihr Bild in <strong>der</strong><br />

Standbild aus dem ARD-Fernsehspiel «Todesspiel» <strong>von</strong><br />

Heinrich Breloer aus dem Jahr 1977 mit Hans Brenner in <strong>der</strong><br />

Rolle des Hanns Martin Schleyer.


473 Die Entführung 1977<br />

Öffentlichkeit durch einprägsame Visualisierungen zu<br />

fixieren: Von Anleihen bei Filmen wie Bonny & Clyde<br />

über diverse Inszenierungen in <strong>der</strong> Tradition früherer<br />

Wi<strong>der</strong>standsbewegungen <strong>bis</strong> zur Übernahme <strong>von</strong> Signets<br />

<strong>der</strong> Befreiungsarmeen aus Südamerika erarbeitete<br />

sich die erste Generation ein mediales Profil, das<br />

ganz im gewünschten Sinn funktionierte. Einerseits<br />

konnten sich die Täter als filmisch-theaterhafte Desperados<br />

im Stil Robin Hoods präsentieren, gerade<br />

auch durch die Macho-Allüren <strong>der</strong> beteiligten Männer;<br />

an<strong>der</strong>erseits implizierten diese Inszenierungen<br />

auch eine Sensibilisierung jenes Umfeldes <strong>der</strong> Nach-<br />

1968er-Studentenbewegung, aus dem man Sympathisanten<br />

und eine zweite Generation <strong>von</strong> Tätern zu rekrutieren<br />

suchte.<br />

Diese wie<strong>der</strong>um sahen sich verpflichtet, gerade auch<br />

in <strong>der</strong> Entführung <strong>von</strong> Hanns Martin Schleyer, die<br />

früheren Taten symbolisch zu übertreffen. So scheint<br />

es nachgerade konsequent, dass genau das Bild <strong>der</strong><br />

Entführung mit dem ersten Text aus Bekennerschreiben<br />

und For<strong>der</strong>ungen am Tag <strong>der</strong> Aufnahme einem<br />

evangelischen Geistlichen in Wiesbaden zugespielt<br />

wurde. Offensichtlich wollten die Täter sicherstellen,<br />

dass <strong>der</strong> legendäre Ursprung ihrer Bildinszenierung<br />

<strong>von</strong> Anfang an richtig verstanden wurde. Nicht bedacht<br />

haben sie, dass sich diese richtige Annahme sehr<br />

bald gegen sie selbst kehren würde: Erst dieses Bild hat<br />

y Literatur<br />

sie zu den bösartigen Kriminellen gestempelt, als die<br />

sie in die Geschichte eingegangen sind.<br />

Die Beziehungen zwischen Terror und Design sind<br />

eng, da beide als Oberflächenphänomene begriffen<br />

werden können, Ersterer als solches <strong>der</strong> Politik, Letzteres<br />

als solches <strong>der</strong> Ästhetik. In dieser Oberflächlichkeit<br />

synthetisieren sie alltägliche und sinnliche Erfahrungen,<br />

um sie zu außergewöhnlichen Ereignissen<br />

werden zu lassen. Die RAF ist – gerade auch durch die<br />

Auswahl ihrer Symbole und Inszenierungen – zum Synonym<br />

einer ins Kriminelle abgerutschten Elite <strong>der</strong><br />

1968er Studentenbewegung geworden; als Bil<strong>der</strong>maschine<br />

produziert diese RAF ununterbrochen Erinnerungen<br />

und Gedächtnispartikel weiter, die umso<br />

leichter konsumiert werden können, je älter sie werden<br />

und je weiter sie sich vom Erfahrungskontext ihrer<br />

Zeitgenossen entfernen. <strong>Das</strong> Bild des entführten<br />

Hanns Martin Schleyer kommt als Gegenthese aus<br />

<strong>der</strong>selben Bil<strong>der</strong>maschine und führt – wie alle Legenden<br />

– die Hinfälligkeit körperlicher Existenz im Vergleich<br />

mit <strong>der</strong> Macht historischer Beschreibungen vor:<br />

Dieses Bild prägt das hohe Ansehen des Mannes stärker<br />

als alle Funktionen, die er zu Lebzeiten innehatte.<br />

Nach Hanns Martin Schleyer sind <strong>heute</strong> Sporthallen,<br />

Straßen und Plätze benannt – damit ist er als Person<br />

<strong>der</strong> politischen Geschichte kein Opfer mehr. Auch das<br />

ist eine Wirkung dieses Bildes.<br />

Uwe Backes, Terror im Schlaraffenland. Die biographische Perspektive, in: Konrad Löw (Hrsg.), Terror und Extremismus in Deutschland.<br />

Ursachen, Erscheinungsformen, Wege zur Überwindung, Berlin 1994; Klaus Biesenbach (Hrsg.), Zur Vorstellung des Terrors. Die RAF, 2<br />

Bde., Göttingen 2005; Regina Griebel/Marlies Coburger/Heinrich Scheel, Erfasst? <strong>Das</strong> Gestapo-Album zur Roten Kapelle, Eine Foto-<br />

Dokumentation, hrsg. in Verbindung mit <strong>der</strong> Gedenkstätte Deutscher Wi<strong>der</strong>stand, Halle/Saale 1992; Wolfgang Kraushaar, Der nicht<br />

erklärte Ausnahmezustand. Staatliches Handeln während des sogenannten Deutschen Herbstes, in: Ders. (Hrsg.), Die RAF und <strong>der</strong> linke<br />

Terrorismus, Bd. 2, Hamburg 2006; Astrid Proll (Hrsg.), Hans und Grete, Bil<strong>der</strong> <strong>der</strong> RAF 1967–1977, Göttingen 1998; Petra Terhoeven,<br />

Opferbil<strong>der</strong> – Täterbil<strong>der</strong>. Die Fotografie als Medium linksterroristischer Selbstermächtigung in Deutschland und Italien während <strong>der</strong><br />

70er Jahre, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 58 (2007) 7/8; Georg Christoph Tholen, Die Zäsur <strong>der</strong> Medien. Kulturphilosophische<br />

Konturen, Frankfurt/M. 2002; Peter Weibel, Im Bauch des Biestes: Logokultur. Vom Symbol zum Logo: Zeichen des<br />

Realen, in: Ders., Gamma und Amplitude, hrsg. und kommentiert <strong>von</strong> Rolf Sachsse, Berlin 2004; Stefan Wisniewski, Wir waren so<br />

unheimlich konsequent … Ein Gespräch zur Geschichte <strong>der</strong> RAF, Berlin 1997.

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