Vergessenes Brünn - Schmalka - Znaim
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BRÜNN-SCHMALKA<br />
<strong>Vergessenes</strong> Brünn<br />
Im Schatten alter Zinshäuser, die in den Jahren 1935 bis 1937 neuen modernen<br />
Baublocks Platz machten, befand sich ein den Brünnern fast vollkommen unbekanntes,<br />
einzigartiges Wohnviertel. Es war dies eine Kolonie von 44 ebenerdigen<br />
Arbeiterhäuschen der ursprünglichen Brünner Textilindustrie<br />
Die in zwei engen Gassen gelegenen Häuschen, von denen aus man leicht mitt der Hand<br />
das Dach erreichen konnte, waren so im Zentrum der Stadt versteckt gelegen, daß<br />
tatsächlich nur ein Teil der Brünner dieses inmitten hoher Bauten liegende Dorfidyll<br />
kannte.<br />
Eine Kolonie voll Romantik und Tradition, in der noch vor nicht allzu langer Zeit kleine<br />
Gewerbetreibende unter freiem Himmel arbeiteten und in der sich alte Volksbräuche<br />
erhielten.<br />
Sie hieß zwar „<strong>Schmalka</strong>" nach dem bedeutenden Brünner Textindustriellen Heinrich<br />
Schmal, sie wurde jedoch 1789 vom eigentlichen Begründer der Brünner Textilindustrie,<br />
Johann Leopold Köfflller, geschaffen. Mit dem Namen dieses Industriellen verbindet sich<br />
auch die erste Tuchfabrik Brünns, die auf direkte Anregung Kaiser Josephs II. geschaffen<br />
wurde, dem die industrielle Entfaltung der Stadt sehr am Herzen lag.<br />
Da nach damaligen Vorschriften nur der Landesherr Fabrikunternehmen gründen durfte,<br />
wurde diese erste Fabrik der k. k. Tuchmachergesellschaft unter Leitung von Köfflller<br />
verpachtet, der rheinländische Fachleute nach Brünn berief, insbesondere Johann<br />
Bartholomäus Seitter und Johann Heinrich Offermann aus der Tuchmacherstadt Montjoie<br />
im Rheingebiet, ferner den Vogtländer Johann Gottfried Bräunlich, den Uckermärker<br />
Johann Christian Gloxen sowie den Werkmeister Munthe vom Oberrhein, der sich später<br />
Mundy nannte. Alle diese Kolonisten machten sich später in Brünn ansässig und waren<br />
Pioniere der Brünner Textilindustrie.<br />
Im Jahre 1780 ging die erste Brünner Tuchfabrik vollends in Privatbesitz von Köfflller<br />
über, nachdem sie sich vorher unter der Leitung des Direktors Seitter auf 120 Webstühle<br />
vergrößert hatte und schon über 1000 Arbeiter beschäftigte.<br />
Am 13. September 1781 besichtigte Kaiser Joseph II. besonders eingehend die Fabrik.<br />
Einen Monat nach diesem Besuche gab er das Toleranzpatent heraus, da er sich gerade<br />
in Brünn überzeugt hatte, wie tüchtig und arbeitsam die deutschen Protestanten waren,<br />
die die neue Industrie errichtet hatten.<br />
1781 verfügte die Fabrik bereits über 170 Webstühle und mehr als 2000 Arbeiter,<br />
welche auch in der selbständigen Färberei und Walkerei arbeiteten. In dieser Zeit ließ<br />
Direktor Seitter nach dem Muster der Augsburger Fugger eine Arbeiterkolonie errichten,<br />
welche die Wiege des Brünner Protestantismus wurde.<br />
1782 gestattete auch der Kaiser nach einer Sonderaudienz von Köfflller, der selbst
Katholik war, die Errichtung einer evangelischen Kirche, in der die erste Predigt von dem<br />
württemlbergischen evangelischen Pfarrer Dr. Viktor Riecke gehalten wurde.<br />
Infolge der späteren Ereignisse, insbesondere der Türkenkriege, geriet die Fabrik jedoch<br />
in Schwierigkeiten, einige ihrer Kompagnons machten sich selbständig; infolge dieser<br />
Konkurrenz ging die Fabrik schließlich derart zurück, daß der Appreteur Heinrich Schmal<br />
den größten Teil davon aufkaufte.<br />
Diese kurze Geschichte der Anfänge der Brünner Textilindustrie, vielen Brünnem gut<br />
bekannt, mußte deswegen vorausgeschickt werden, um zu zeigen, welche Besonderheit<br />
die alte Arbeiterkolonie innerhalb der Brünner Mauern darstellte, die erst in jüngster Zeit<br />
der Baubewegung von Groß-Brünn gewichen ist.<br />
Als Spitzhacke und Spaten ihr Werk verrichteten, wurde eine alte Gedenktafel entfernt,<br />
die die Aufschrift trug: „Dem Kenner und Gönner der Fabriken Josef II., 13. September<br />
1781".<br />
Diese Gedenktafel wird mit Recht als besonderes Denkmal für ewige Zeiten im<br />
städtischen Lapidarium aufbewahrt.<br />
Heute sind von der „<strong>Schmalka</strong>" nur noch geringfügige Reste vorhanden. Durch die<br />
Unterfahrt des neueren großen Doppelhauses der Wohlfahrtsstiftung Valentin<br />
Falkensteiners wurde sozusagen quer durch die Kolonie eine neue Gasse gelegt, die nach<br />
dem tschechischen Brünner Kommunalpolitiker der Nachumsturzzeit Jan Máša benannt<br />
wurde. Diese Gasse wurde am anderen Ende mit der Antonsgasse verbunden. Zwischen<br />
der Neugasse und der Kaunitzgasse wurde dann unter Benützung des Durchganges des<br />
Passage-Hotels die alte Gasse „v Mezirce" verlängert.<br />
Die neue Mášagasse<br />
Foto: Döller<br />
Mochte die Verbauung beider Gassen wegen der ungewohnten Eigentumszersplitterung<br />
mühsam gewesen sein, die sich in zahlreichen Schwierigkeiten hauptsächlich bei der<br />
Parzellierung äußerte, gelang es doch, aus der neuen Mášagasse, durch geeignete<br />
Regulierung eine wichtige entlastende Verbindung für Fußgänger und Fahrzeuge
zwischen der Innenstadt und den dichtbevölkerten Wohnvierteln im Norden der Stadt zu<br />
schaffen.<br />
Die Mášagasse mit ihren architektonisch bedeutsamen Zinshäusern hat eine Breite von<br />
fast 25 Metern, so daß bei einer vierstöckigen Verbauung räumlich und lichtmäßig ein<br />
äußerst günstiges Straßenprofll geschaffen wurde. Die niedrige Grünzone in der Mitte der<br />
Straße, die angelegt wurden und die grüne Wand des Alumnatsgartens in der<br />
Augustinergasse verleihen dieser Straße, einen schönen Blickabschluß und machen sie<br />
so zu einer der beachtenswertesten Straßen des schönen Brünns. Dabei trägt diese<br />
Straße einen ausgesprochenen Wohncharakter wegen ihrer Stille innerhalb des<br />
lärmenden Stadtzentrums.<br />
Somit verschwand ein Stück des alten, in seiner Art auch schönen Brünn, das vielen<br />
Brünnern, besonders den jüngeren Jahrgängen unbekannt war.<br />
Anton Döller, Stuttgart (BHB 1952)