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Mensch

Geschichten vom Leben

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<strong>Mensch</strong> — Geschichten vom Leben<br />

Die Flensburger Kinderpsychotherapeutin<br />

sieht sie jeden Tag:<br />

Die Schwierigkeiten im Leben vieler<br />

<strong>Mensch</strong>en beginnen in frühester<br />

Kindheit. Mehr als die Hälfte<br />

der Säuglinge und Kleinkinder<br />

findet keine sichere Bindung zu<br />

ihren Eltern, schreibt Funk-Klebe<br />

unter Verweis auf aktuelle Erkenntnisse<br />

aus der Hirnforschung.<br />

Das bedeutet, dass sie<br />

nicht erfahren, wie es ist, ohne<br />

Bedingung oder Leistungsanforderungen<br />

geliebt und geachtet zu<br />

werden, einfach so wie sie sind.<br />

Sie erfahren kaum Bestätigung,<br />

werden nicht ermutigt, eigenständig<br />

zu handeln und haben Angst<br />

vor schlimmen Konsequenzen,<br />

wenn sie Fehler machen. Das hat<br />

Folgen. Je nach Veranlagung reagieren<br />

die Betroffenen mit aggressivem<br />

Verhalten, um Aufmerksamkeit<br />

zu bekommen oder sie<br />

sind überangepasst. „Und mit diesen<br />

Verhaltensmustern werden sie<br />

erwachsen, gründen Familien, gehen<br />

in die Arbeitswelt und gestalten<br />

unsere Gesellschaft.“<br />

Über 50 Prozent der Bevölkerung<br />

sind es in Deutschland. Die Buchautorin<br />

beschreibt das anstrengende<br />

Leben der Betroffenen, die<br />

auf der ständigen unbewussten<br />

Suche nach der elterlichen Anerkennung<br />

und Geborgenheit sind,<br />

nach der Anbindung, die es nicht<br />

gab und so nicht mehr geben wird.<br />

„Da sind ihre Hoffnungen in die<br />

Umwelt.“ Leistungswillig und<br />

ständig gut erreichbar seien viele,<br />

manchen machen gerne Geschenke,<br />

sind damit beschäftigt,<br />

es anderen recht zu machen oder<br />

stellen aggressive Forderungen<br />

oder demonstrieren für ideelle<br />

Ziele – und „laufen so von einer<br />

Enttäuschung zur nächsten“.<br />

Denn die Anerkennung und Wertschätzung,<br />

die kindliche Anbindung,<br />

die es zuhause nicht gab, es<br />

gibt sie nicht mehr.<br />

Und Schwäche zu zeigen, ist dabei<br />

nicht möglich. Als Kind war es lebensgefährlich,<br />

für die Erwachsene<br />

sind Schwächen ein gesellschaftlicher<br />

Makel, sie machen ihnen<br />

Angst und werden verleugnet<br />

– bis sie sich mit Macht ins Leben<br />

drängen, die eigenen Schwächen.<br />

„Spätestens in der Lebensmitte,<br />

wenn die Kräfte nachlassen, die<br />

Augen und der Körper sich verändern,<br />

kommt die Krise“, prophezeit<br />

die Fachfrau. Dann sind sie<br />

da, die berühmten Fragen: Warum<br />

tu ich mir das an, was will ich<br />

eigentlich im Leben und ist das,<br />

was ich habe, eigentlich das, was<br />

ich will. Und: Was will ich eigentlich?<br />

„Die Emotionen klopfen so<br />

heftig an die Tür, dass wir auf unsere<br />

Biografie gestoßen werden:<br />

Was fehlt mir, welche Bedürfnisse<br />

und Wünsche habe ich? Häufig<br />

werden die Betroffenen psychisch<br />

oder körperlich krank.“ Krise, das<br />

bedeutet Schmerzen. Und an dieser<br />

Stelle entscheidet es sich, ob<br />

jemand die Schmerzen aushält,<br />

sich ehrlich mit seinem Lebensthema<br />

auseinandersetzt und sich<br />

der Situation quasi als Passagier<br />

aussetzt: Was kommt da, welche<br />

<strong>Mensch</strong>en, welche Anregungen<br />

und Ideen in Büchern oder Filmen,<br />

im täglichen Leben rühren<br />

und an, welche Bemerkungen<br />

oder Träume geben Informationen,<br />

die in der Auseinandersetzung<br />

mit sich selbst helfen?<br />

„Da ist vieles möglich, wenn Du<br />

offen bist.“ Wer jetzt die Chance<br />

ergreift, kann neue Fähigkeiten<br />

und Talente entwickeln – und in<br />

einer erwachsenen Anbindung „an<br />

die Gesellschaft, an das große<br />

Ganze“, Sicherheit finden. So<br />

kann die Wende hin zu einem zufriedenen<br />

Leben aussehen, vielleicht<br />

auch nur ein erster Schritt,<br />

dem eine weitere Krise und ein<br />

weiterer Schritt folgen. „Wichtig<br />

ist es, den Krisenverlauf rückblickend<br />

zu betrachten. Zumeist werden<br />

sich die Botschaften ähneln.<br />

Dann kommt es darauf an, sie zu<br />

verstehen.“<br />

Allerdings: Wer sich und sein bisheriges<br />

Leben auf diese grundlegende<br />

Weise in Frage stellt, der<br />

verändere sich und das führe häufig<br />

zu einer Verunsicherung seiner<br />

Umwelt und sehr häufig zu Ablehnung,<br />

warnt Anja Fun-Klebe,<br />

denn: „Da funktioniert ja plötzlich<br />

einer nicht mehr. Das gefährdet<br />

das gesamte System. Die Angriffe,<br />

die daraus folgen, muss ich als Erwachsener<br />

aushalten.“<br />

Professionelle Hilfe sei in dieser<br />

Phase sinnvoll, auch wenn es<br />

Kommentare gibt wie: „Na, gehst<br />

Du in die Klappse“ oder „flüchtest<br />

Du mal wieder ins Kranksein?“<br />

Soviel Druck kann nicht jeder verkraften<br />

und so flüchten manche<br />

<strong>Mensch</strong>en an dieser Stelle. Sie lassen<br />

sich nicht auf ihre Gefühle und<br />

Bedürfnisse ein, wollen diesen<br />

„Humbuk“ nicht und spalten die<br />

eigenen unangenehmen Schwächen<br />

ab. „So sehe ich sie dann umso<br />

mehr bei den anderen,<br />

kritisiere sie und erhöhe mich<br />

über sie, um mir selbst einen Wert<br />

zu geben, um mich zu schützen.“<br />

Viele <strong>Mensch</strong>en, die auf diese<br />

Weise verfahren, schließen sich<br />

einer Gruppe an, die gemeinsame<br />

Standpunkte eine gemeinsame<br />

Meinung hat, die sie nach außen<br />

vertritt. „Das macht den Einzelnen<br />

stärker.“ Neue Fähigkeiten und<br />

Kompetenzen, ein fröhlicheres Leben<br />

wird er auf diese Weise nicht<br />

entwickeln. Anja Funk-Klebe<br />

blickt nachdenklich in sich hinein.<br />

Dann ist er wieder da, dieser direkte,<br />

forschende Blick: „Unsere<br />

Gesellschaft sollte sich auf die Fähigkeiten<br />

und der Stärken der Einzelnen<br />

besinnen. Weder Eltern,<br />

Freunde, Schule, Arbeitgeber<br />

noch die Gesellschaft können über<br />

den Wert eines <strong>Mensch</strong>en befinden“,<br />

sagt sie. „Mir war beim<br />

Schreiben des Buches wichtig, den<br />

<strong>Mensch</strong>en zu sagen: Schon mit<br />

dem Lebensbeginn sind wir wertvoll<br />

und unersetzbar, weil es keinen<br />

<strong>Mensch</strong>en auf dieser Erde ein<br />

zweites Mal gibt“ – das ist ein<br />

guter Grund, gut mit sich selbst<br />

umzugehen.□<br />

Im Winter 2014 veröffentlicht<br />

Anja Funk-<br />

Klebe ihr zweites Buch.<br />

Auf der Suche nach dem<br />

„Wie soll’s weitergehen?“,<br />

kommen ihre<br />

Anregungen vielen<br />

<strong>Mensch</strong>en gerade recht.<br />

Die Fotos zeigen sie bei<br />

einem Vortrag im Medienhaus<br />

des sh:z (Schleswig-Holsteinischer<br />

Zeitungsverlag).<br />

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