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HOFFNUNG KIND SCHMERZ GEHEIMNIS ... - Sven Assmann

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Eine telefonische Nachricht, die eine Frau<br />

auf Josefs Mailbox hinterlassen hat, und<br />

die Hanna heimlich abhört, ist ihre erste<br />

Begegnung mit dem schwer Verwundeten:<br />

„Josef. Ich bin’s. Ich lese gerade die “Briefe<br />

einer portugiesischen Nonne”. Schon wieder.<br />

Ich weiß, es ist albern. Aber wenn ich<br />

das Buch lese, hab ich das Gefühl, ich rede<br />

mit dir. Dann bin ich dir nah. Und immer,<br />

wenn ich dir nah bin, fühl ich mich nicht<br />

mehr schuldig. Vielleicht weil ich, bevor ich<br />

ins Bett gehe, deine Nachricht anhöre, in<br />

der du sagst, wie sehr du deine Sehnsucht<br />

nach mir genießt. Ich liebe dich, Josef. Wie<br />

die portugiesische Nonne. Nur noch viel<br />

mehr! Bitte, ruf mich an.“<br />

Die Frauenstimme auf dem Anrufbeantworter<br />

spricht von Liebe und von der Gemeinsamkeit<br />

stiftenden Erfahrung der Wörter,<br />

von den geschriebenen („Liebesbriefe einer<br />

portugiesischen Nonne“ von Maria Alcoforado)<br />

und von den gesprochenen Wörtern.<br />

Die schweigsame Hanna, die jede Kommunikation<br />

auf das Nötigste reduziert, hört<br />

sich diese Aufzeichnung immer wieder an,<br />

gerade so, als finde sie darin das verlorene<br />

„Geheimnis der Wörter“ wieder. Auf jeden<br />

Fall erfährt sie hier ein Geheimnis ihres Patienten,<br />

eine ungewollte erste Annäherung.<br />

„Mein ganzer Körper juckt. Heißt das, dass<br />

ich noch lebe?“ scherzt Josef. Er wehrt sich<br />

mit sanftem Humor gegen seine Qualen.<br />

Seine Erblindung hat ihn von der Welt getrennt.<br />

Durch Reden versucht er den Graben<br />

zu überbrücken. Hanna macht es ihm nicht<br />

leicht. Ihre Überlebensstrategie<br />

baut auf die Undurchlässigkeit<br />

der Grenzen, die<br />

sie um sich gezogen hat.<br />

Was sie nicht erreicht, das<br />

kann sie auch nicht verletzten,<br />

egal ob das Blicke<br />

oder Beziehungen, Schlemmereien<br />

oder Wörter sind.<br />

Josef plaudert. Wie ihr<br />

Name sei, möchte er wissen.<br />

Keine Antwort. Er nennt sie<br />

Cora. Eine Art Arbeitshypothese,<br />

die die Annäherung<br />

erleichtern könnte. Bist du<br />

eine Nonne? Wovon trä-<br />

umst du? Josef fragt und erzählt. So gelingt<br />

es ihm sie zu einem Lächeln zu verführen<br />

– und zu kleinen Antworten. Während Hanna<br />

ihn mit seinem Lieblingsnachtisch füttert,<br />

versucht er etwas über ihre kulinarischen<br />

Vorlieben zu erfahren. Hanna antwortet:<br />

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