Herbst 2015
Parodos Herbstvorschau 2015
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Inhalt<br />
I. ESSAYS<br />
Vierzehn gemischte Doppel für intuitive und diskursive<br />
Partner<br />
1. Kurz vor Toresschluss<br />
2. Wenn das Es über dem brodelnden Kessel denkt<br />
3. Doktor Watson’s Dilemma<br />
4. Das geht mich nichts an<br />
5. Die Intuition des falschen Films<br />
6. Wenn die Ahnung winkt<br />
7. Intuitiv gefunden<br />
8. Es ist zum Staunen!<br />
9. Diskursiv regsam, intuitiv einsam<br />
10. Der intuitive Wandervogel<br />
11. Die schwankende Intuition<br />
12. Rhythmus und Kippfigur<br />
13. Der intuitive Schmelzzustand<br />
14. Die Intuition und die Spatzen auf dem Dach<br />
3. Eine Erfahrung und Intuition als Fundamentalkritik<br />
4. Kleists antagonistische Intuitionen<br />
5. Walter Benjamin: Die Intuition auf der Lauer<br />
6. Bestimmte Unschärfen<br />
7. Das diskursethische Match<br />
8. Atmosphären als intuitive Räume<br />
9. Intuition hat keine Zeit<br />
III. APHORISMEN<br />
Gedankensplitter und Passstücke<br />
Literatur<br />
II. LESARTEN<br />
Von der verborgenen Tektonik philosophischer<br />
Gedanken zur Revision der Philosophiegeschichte<br />
als Begriffsgeschichte.<br />
1. Vom Verschwinden und der Wiederkehr der Intuition<br />
2. Philosophische Praxis: Intuition und Übung<br />
Textprobe<br />
Die Philosophie nutzt Quellen, die der Vernunft Inhalte zuspülen,<br />
nicht aber ihren kritischen Maßstäben unterliegen.<br />
Wollte man dem Staunen, das schon die antiken griechischen<br />
Denker als ein Geburtsmoment der Philosophie bezeichneten,<br />
mit allzu engen Vernunftkategorien auf den<br />
Leib rücken, dann wäre seine Faszination schnell erloschen.<br />
Kaum dass man in Worte bringen könnte, worüber<br />
man staunt und was dies womöglich zu bedeuten hätte, verscheucht<br />
ein analytisches Verhör jede Sensibilität. Staunen<br />
bedeutet, etwas zu merken und eine Aufgabe für das eigene<br />
Denken zu übernehmen, die eben hier und jetzt weder<br />
klar noch gelöst sein kann. Ebenso dürfte es das abrupte<br />
Ende der Intuition bedeuten, verlangte man von jedem sich<br />
vage ankündigenden Gedanken, auf dem Parcours der Kritik<br />
sofort eine gute Figur zu machen. Hätte sie alles logisch<br />
geordnet, so wäre sie ja keine Intuition.<br />
Weder das Staunen noch die Intuition sind in ihrer Geburtsstunde<br />
despotisch oder dogmatisch. Oft werden sie<br />
es, kaum dass sie das Licht der Welt erblickt und ihre Taufe<br />
erlebt haben. Sie werden mit großen Worten und Begriffen<br />
gehandelt. Glaubenssysteme vereinnahmen sie als<br />
willkommenen Beweis ihrer eigenen Authentizität. Die Vagheit<br />
der Intuition ist schutzlos der Versicherung ausgesetzt,<br />
einen privilegierten Zugang zu den Geheimnissen gefunden<br />
zu haben, von denen das eigene System schon immer<br />
sprach.<br />
Selten darf Intuition bleiben, was sie ist: unscheinbar, tastend,<br />
suchend, etwas überraschend Gefundenes festhaltend,<br />
weiterfragend oder schauend, was vor Augen liegt.<br />
Vielleicht lassen sich an Intuitionen überhaupt keine hochtrabenden<br />
Weltbilder anschließen. Dennoch scheinen sie<br />
oft von Geburtshelfern aller Art, besorgten Winkeladvokaten<br />
und ambitionierten Erben umstellt zu sein. Sie erklären den<br />
intuitiven Moment zur grandiosen Epiphanie, die das eigene<br />
System zuvor so schön ausgemalt hatte. Der zirkuläre<br />
Kurzschluss des Denkens ist durchaus salonfähig. In diesen<br />
Fällen scheint die Erbfolge schon an der Wiege entschieden<br />
und trickreich verkehrt: Die Erben sind immer die Alten.<br />
Intuitionen, eigentlich eher leise und zurückhaltend, werden<br />
mit lauter Stimme unters Volk gebracht. Mit der Inspiration<br />
wird ihnen eine resolutere Schwester zur Seite gestellt,<br />
enorm selbstbewusst und verkündigungsfreudig. Als<br />
geistdurchwirkte Eingebung auf der Suche nach dem passenden<br />
Megaphon, wurde sie zur Botin höherer Mächte stilisiert.<br />
Sie machte den machtlos, den sie erwählte. Der Inspirierte<br />
musste selbst nicht einmal verstehen, was ihm da<br />
über die Lippen kam. [...]<br />
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