Herbst 2015
Parodos Herbstvorschau 2015
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Inhalt<br />
Vorwort<br />
1. Einleitung<br />
2. Menschenbild und gegenwärtiger Zeit-„Geist“<br />
3. Das Unbewusste bestimmt die Wirklichkeit<br />
a) Das „ungelebte Leben“ – Viktor von Weizsäcker<br />
b) Die Macht der Hintergrundbilder –<br />
Charles Taylor und die Kritik am Naturalismus<br />
c) „Archetyp“ und „Schatten“ – C.G. Jung<br />
4. Der unbewusste Gott – und seine Substitute<br />
a) C.G. Jung<br />
b) Viktor Frankl und Slavoj Žižek<br />
c) Peter Sloterdijk<br />
d) Atheismus als Gott-Ersatz – Friedrich Nietzsche<br />
e) Naturalismus als Gott-Ersatz<br />
f) … und weitere Ersatz-Götter<br />
5. Vernunft und Moral – Die Verdrängung des Bösen<br />
6. Die böse Seite Gottes<br />
7. Erich Neumann und die „neue Ethik“<br />
8. Ethik der Selbsterkenntnis<br />
a) Die Stoa<br />
b) Selbst – Ganzheit – Gott<br />
c) Die Polarität von Gut und Böse<br />
d) Bewusstsein und Unbewusstes – Innen und Außen<br />
e) Der Sündenbock<br />
f) Individuation, Erzählung, starke Werte, andere<br />
Selbste<br />
9. Schlussbetrachtungen: Moral, Natur, Gott<br />
10. Bibliographie<br />
Textprobe<br />
Die einseitige Orientierung am Gott der Naturwissenschaftlichkeit,<br />
an strenger Methodik und ausschließlicher Rationalität<br />
ist so dominierend, dass der eigentliche Bezugspunkt,<br />
nämlich der Mensch in seiner ganzen lebendigen Rationalität<br />
und Irrationalität, völlig aus dem Blick gerät. Ebenso aus<br />
dem Blick geraten die tatsächlich existierenden Probleme,<br />
denen eine ihrer Vielfalt gerecht werdende moralphilosophische<br />
Einordnung gut täte, die sich nicht nur an Prozeduren<br />
oder semantischen Eigenheiten orientiert, sondern<br />
am realen Menschen mit seinen Widersprüchlichkeiten. Ein<br />
solcher wirklicher Mensch verfügt über Bewusstsein und<br />
ist durchaus vernunftbegabt. Aber: Ein großer Teil seiner<br />
Psyche oder Seele ist unbewusst. Wir haben gesehen, wie<br />
sehr das Unbewusste den Menschen beeinflusst.<br />
Darum geht es hier: Die ethischen Theorien beziehen<br />
sich in aller Regel auf menschliches Handeln als bewusstes<br />
und (zumindest idealiter) rationales Denken und Tun. Vom<br />
großen Terrain des Unbewussten und Irrationalen ist – zumindest<br />
von Seiten der akademischen Philosophen – bei<br />
Ethikkonzepten nichts zu hören oder zu lesen. Diese Konzepte<br />
– von Habermas über Rawls bis hin zu naturalistischevolutionären<br />
Ansätzen – bewegen sich in einem idealen<br />
Bereich, den es natürlich nicht gibt: Dieser rein rationale<br />
und wertfreie Mensch existiert leider nicht. In der akademisch-philosophischen,<br />
auch soziologischen Diskussion<br />
der letzten 50 Jahre ist der Bereich des Unbewussten und<br />
Irrationalen weitgehend ignoriert worden – außer in Teilen<br />
der französischen Philosophie (z.B. Paul Ricœur). Über die<br />
Schattenseite der menschlichen Natur wird nur ungern geforscht;<br />
lieber richten wir uns am Ich-Ideal der Aufklärung,<br />
auf die wir so stolz sind, aus (s. Lamp, 2009).<br />
Diese „Verdrängung“ des Unbewussten inkl. des Dunklen,<br />
Undeutlichen, Minderwertigen in Philosophie und Ethik<br />
– für Schelling und Schopenhauer war die Bedeutung dieses<br />
Bereichs noch selbstverständlich – kommt einer Flucht<br />
vor dem „Schatten“ gleich, wie ich ihn oben beschrieben<br />
habe. Sprachanalytische, naturalistische und diskurstheoretische<br />
Ethiken bewegen sich allesamt auf der Ebene des<br />
Freud’schen Über-Ich, eines Ich-Ideals bzw. der Jung’schen<br />
Persona, also einem idealisierten Terrain, wie man es aus<br />
der Tradition der Aufklärung heraus postuliert. Hier wird immer<br />
nur eine Seite der Medaille beschrieben. Die der Welt<br />
abgekehrte Seite des Mondes wird ignoriert. Es gibt sie einfach<br />
nicht. [...]<br />
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