16.05.2015 Aufrufe

Das Monster-Zeitzeugnis - geschichte-luzern.ch

Das Monster-Zeitzeugnis - geschichte-luzern.ch

Das Monster-Zeitzeugnis - geschichte-luzern.ch

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

PRAXIS<br />

Zivils<strong>ch</strong>utzbunker im Luzerner Sonnenberg<br />

<strong>Das</strong> <strong>Monster</strong>-<strong>Zeitzeugnis</strong><br />

Die Zivils<strong>ch</strong>utzanlage Sonnenberg wurde 1976 so konzipiert, dass darin bis zu 20 000 Personen<br />

Platz gefunden hätten. Sie war Autostrasse dur<strong>ch</strong> den Berg und ziviler Notbunker in einem, was<br />

einst als besonders clever galt. Mittlerweile wurde die Anlage redimensioniert, die Tunnels dienen<br />

nur no<strong>ch</strong> dem Verkehr.<br />

Von Jürg Stadelmann*<br />

Eine Zei<strong>ch</strong>nung der<br />

Sonnenberg-Zivils<strong>ch</strong>utzanlage:<br />

Zwis<strong>ch</strong>enwände<br />

sollten die 64er-S<strong>ch</strong>lafzellen<br />

von Trockenklosetts oder<br />

Was<strong>ch</strong>installationen<br />

abtrennen.<br />

Der Sonnenbergtunnel dient<br />

heute nur no<strong>ch</strong> dem Transitverkehr.<br />

Von 1976 bis 1987<br />

war er au<strong>ch</strong> eine Überlebensunterkunft<br />

für 20 000 – und<br />

no<strong>ch</strong> bis 2006 eine Notunterkunft<br />

für 17 000 Personen.<br />

Zivils<strong>ch</strong>utzanlagen gibt es in der S<strong>ch</strong>weiz Tausende.<br />

Warum sollen gerade die Luzerner Sonnenberg-Panzertore,<br />

die zwei Kavernen und der<br />

Bombentri<strong>ch</strong>ter für die Na<strong>ch</strong>welt erhalten werden?<br />

Da diese Anlage als <strong>Zeitzeugnis</strong> eine aussergewöhnli<strong>ch</strong>e<br />

historis<strong>ch</strong>e Quelle darstellt, die<br />

vers<strong>ch</strong>iedenste Fragen beantworten kann.<br />

Einzigartiges Bauwerk<br />

Der Bau ist zunä<strong>ch</strong>st eine Highte<strong>ch</strong>-Ingenieurleistung<br />

seiner Zeit. Zuerst galt es, Tunnels dur<strong>ch</strong><br />

den Berg zu bauen. Später sollte dort unter dem<br />

Boden au<strong>ch</strong> ein Drittel der Stadtbevölkerung im<br />

Notfall überleben können. Deshalb musste die<br />

Strasse entlüftet, der Bunker aber zuerst wie ein<br />

Unterseeboot abgedi<strong>ch</strong>tet und dann belüftet werden.<br />

Wer im Bombentri<strong>ch</strong>ter steht, erkennt den<br />

geradezu unheimli<strong>ch</strong>en Perfektionsanspru<strong>ch</strong> der<br />

Zeit. Er sieht aber au<strong>ch</strong> den vor Ts<strong>ch</strong>ernobyl no<strong>ch</strong><br />

ungebro<strong>ch</strong>enen Glauben an die te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>e Planund<br />

Ma<strong>ch</strong>barkeit.<br />

Ein Blick auf die heute do<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> zugängli<strong>ch</strong><br />

gema<strong>ch</strong>ten, einst mobilen und 1,5 Meter dicken<br />

Panzertore bestätigt dies. Die Tore mit dem Gewi<strong>ch</strong>t<br />

eines Jumbo-Jets hätten den Tunnel vers<strong>ch</strong>lossen<br />

und so den zivilen Grosss<strong>ch</strong>utzraum<br />

erst ges<strong>ch</strong>affen. Ihre Betonkonsistenz belegt, mit<br />

wel<strong>ch</strong>er zerstöreris<strong>ch</strong>en Gewalt man re<strong>ch</strong>nete und<br />

wovor man Angst hatte. Vor gewaltigem Druck,<br />

für<strong>ch</strong>terli<strong>ch</strong>er Hitze und atomarer Verstrahlung<br />

sollte diese Flu<strong>ch</strong>tburg s<strong>ch</strong>ützen (so wie einst von<br />

den Museggmauern für die ganze Stadt erhofft).<br />

Die Panzertore s<strong>ch</strong>ufen mit dem Belüftungssystem<br />

einen zusammenhängenden Bunkerraum<br />

im Berg, der für einen demokratis<strong>ch</strong>en Willen<br />

steht, der vorgibt, allen hier Wohnenden – au<strong>ch</strong><br />

Wer Anfang 1990 in Berlin vor dem Brandenburger<br />

Tor auf der Mauer stand,<br />

konnte unter si<strong>ch</strong> zwölf hintereinander<br />

vermauerte Betonplatten zählen. Er erlebte vor<br />

dem Abriss gerade no<strong>ch</strong> mit, wie die gegen Westen<br />

geri<strong>ch</strong>tete, 28 Jahre lang existierende europäis<strong>ch</strong>e<br />

Front und innerdeuts<strong>ch</strong>e Trennung tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong><br />

ausgesehen und gewirkt hatte. S<strong>ch</strong>ön,<br />

dass dieser Zustand getilgt ist. Heute zeigt ledigli<strong>ch</strong><br />

eine Pflastersteinlinie den einstigen Mauerverlauf.<br />

Do<strong>ch</strong> obwohl die feine Narbe das bekannteste<br />

Bauwerk des Kalten Krieges no<strong>ch</strong> verortet<br />

– das Physis<strong>ch</strong>e ist weg. Es ist kaum mehr zu<br />

spüren und na<strong>ch</strong>zuvollziehen, woran erinnert wird.<br />

Wer über das erste Autobahntrassee der<br />

S<strong>ch</strong>weiz auf der A2 dur<strong>ch</strong> den Sonnenberg in Luzern<br />

fährt, sieht an der Tunnelwand dreimal in<br />

grossen Lettern deklariert: «20 000 im Berg». Im<br />

Internet stösst man dazu auf einen Wikipedia-Ar-<br />

tikel und das Angebot der Firma «Unterirdis<strong>ch</strong><br />

überleben». Dies alles entsprang der eingangs<br />

ges<strong>ch</strong>ilderten Einsi<strong>ch</strong>t, dass sol<strong>ch</strong>e Zeugnisse,<br />

gerade wenn sie von riesenhaftem Umfang sind,<br />

in ihrer Physis erhalten und zugängli<strong>ch</strong> gema<strong>ch</strong>t<br />

werden sollten.<br />

«Die Ende der 1970er-Jahre wohl weltgrösste<br />

Zivils<strong>ch</strong>utzanlage Sonnenberg in der Stadt Luzern<br />

dokumentiert als Ganzes ein funktional verglei<strong>ch</strong>sloses<br />

Zeitphänomen der 1960er- und<br />

1970er-Jahre. Sie ist als einzigartiges Bauwerk<br />

LINKTIPP<br />

Auf baublatt.<strong>ch</strong>/monster finden Sie<br />

eine Bilderstrecke zum Zivils<strong>ch</strong>utzbunker<br />

im Luzerner Sonnenberg.<br />

ein staatspolitis<strong>ch</strong>es wie kulturelles <strong>Zeitzeugnis</strong>,<br />

das als authentis<strong>ch</strong>e historis<strong>ch</strong>e Quelle zur Ans<strong>ch</strong>auung<br />

erhalten werden muss!» Diese These<br />

entstand, als es bei der Renovation der Sonnenbergtunnels<br />

als bes<strong>ch</strong>lossene Sa<strong>ch</strong>e galt, die beiden<br />

Eingangsstollen sowie die vier Panzertore<br />

einzumauern. Die 350 Tonnen s<strong>ch</strong>weren Betonwände,<br />

die pro Fahrbahn je oben und unten im<br />

re<strong>ch</strong>ten Winkel zur Strasse in der Tunnelwand bereitstanden,<br />

um bei Bedarf mit einer Seilvorri<strong>ch</strong>tung<br />

eingezogen zu werden, hätten bis anhin erst<br />

den Bunker ges<strong>ch</strong>affen.<br />

Überholte Idee<br />

Die Zivils<strong>ch</strong>utzanlage Sonnenberg wurde 1976<br />

so konzipiert, dass pro Röhre 10 000 Personen<br />

Platz gefunden hätten. Na<strong>ch</strong> der Übung «Ameise»<br />

von 1987 – der einzigen grossen Funktionsprobe,<br />

die bei fast allen Beteiligten eine Art Trauma hinterlassen<br />

hat – wurde die Gesamtkapazität auf<br />

17 000 Personen reduziert. Na<strong>ch</strong> 25 Jahren gab<br />

man die einst gefeierte Multifunktionalität auf:<br />

Autostrasse dur<strong>ch</strong> den Berg und ziviler Notbunker<br />

in einem galt einst als besonders clever, da<br />

zur Finanzierung zwei nationale Geldzuflüsse genutzt<br />

werden konnten. Heute gehören die Tunnels<br />

nur no<strong>ch</strong> dem Strassenverkehr.<br />

Denno<strong>ch</strong> spri<strong>ch</strong>t die Zivils<strong>ch</strong>utzorganisation bis<br />

heute ni<strong>ch</strong>t von einer aufgegebenen Sonnenberganlage:<br />

Sie wurde redimensioniert. So sind in den<br />

fünf- und siebenstöckigen Kavernen – das sind<br />

zwei Ho<strong>ch</strong>häuser im Berg, die als Reiterbauten in<br />

der Mitte auf den Tunnels stehen – wohl um Rückforderungen<br />

aus Bern vorzubeugen, planeris<strong>ch</strong><br />

immer no<strong>ch</strong> 2000 Plätze vorgesehen. Heute nutzt<br />

die Polizei die Räume des Notspitals als Gefängnis.<br />

Die Kavernen dienen zudem Unterhaltsmitarbeitern<br />

von Stadt und Kanton Luzern.<br />

Bilder: Büro für Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, Luzern<br />

20 baublatt Nr. 33, Freitag, 16. August 2013 Nr. 33, Freitag, 16. August 2013 baublatt 21


PRAXIS<br />

Quer über den jeweils 1,7 Kilometer langen Autobahnröhren thronen<br />

im Berg die beiden 5- und 7-stöckigen Kavernen. In früheren<br />

Zeiten beherbergten sie zivile Kommando- und Logistikzentralen<br />

sowie auf vier Stockwerken Notspitäler.<br />

Sparen mit der Wir Bank<br />

algoo Boussys: bs 1,6% Zins<br />

der ausländis<strong>ch</strong>en Bevölkerung – S<strong>ch</strong>utz zu bieten.<br />

Wäre dem wirkli<strong>ch</strong> so gewesen? (1970 wurde<br />

die S<strong>ch</strong>warzenba<strong>ch</strong>-Initiative im Kanton Luzern<br />

deutli<strong>ch</strong> angenommen).<br />

Die Dimension der einst riesigen Anlage wird<br />

allen bewusst, die dur<strong>ch</strong> die Kavernen gehen und<br />

realisieren, wie für einen Ernstfall mit dem Zeithorizont<br />

von zwei Wo<strong>ch</strong>en bestmögli<strong>ch</strong> vorgesorgt<br />

wurde. Es wird dabei deutli<strong>ch</strong>, dass ein starker<br />

Widerstandswille eine erkannte Ohnma<strong>ch</strong>t überdecken<br />

sollte. Dieser gegen Fatalismus und Defaitismus<br />

umgesetzte Präventionswille des no<strong>ch</strong><br />

von Männern allein bestimmten Staates beeindruckt.<br />

Vieles kommt aber zu sehr als Reissbrettkonstrukt<br />

daher, was von der Absi<strong>ch</strong>t her berührt,<br />

letztli<strong>ch</strong> do<strong>ch</strong> eher naiv und etwas peinli<strong>ch</strong> wirkt.<br />

Spannendes eröffnet ein Blick auf den vorgesehenen<br />

Betrieb der Anlage. Zum Glück musste<br />

dieser nie umgesetzt werden. Es wird aber si<strong>ch</strong>tbar,<br />

wie behördli<strong>ch</strong>erseits ri<strong>ch</strong>tiges Verhalten im<br />

Ernstfall einfa<strong>ch</strong> imperativ angeordnet wurde.<br />

Dabei ging man davon aus, dass es in der Not<br />

glücken würde. Diese Vormunds<strong>ch</strong>aft spiegelt<br />

den paternalistis<strong>ch</strong>en Zeitgeist re<strong>ch</strong>t unverblümt.<br />

In diesem patriar<strong>ch</strong>alis<strong>ch</strong>en Selbstverständnis<br />

wird denn au<strong>ch</strong> die klassis<strong>ch</strong>e Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terzuständigkeit<br />

in der Gesells<strong>ch</strong>aft deutli<strong>ch</strong>.<br />

Der Bau als Ganzes gesteht uns heute ein,<br />

dass die Souveränität der S<strong>ch</strong>weiz hier ni<strong>ch</strong>t mehr<br />

vorhanden ist. Mit dem Akzeptieren sol<strong>ch</strong>er Gefahren<br />

blieb nur die Vorsorge für die Bevölkerung.<br />

Der Luzerner Plan, 20 000 Personen in dieser Anlage<br />

unterbringen zu wollen, zeigt die Staatsautorität<br />

no<strong>ch</strong> uneinges<strong>ch</strong>ränkt. Dies wird aber<br />

1987 dur<strong>ch</strong> die süffisanten Beri<strong>ch</strong>te eines journalistis<strong>ch</strong>en<br />

«Ameisis» während der Grossübung<br />

unterminiert. Ebenso zeigt das mediale Gelä<strong>ch</strong>ter<br />

über das verspätete S<strong>ch</strong>liessen der Panzertore<br />

vor der wartenden Weltpresse, dass diese<br />

Autorität wohl nur de jure existiert hatte.<br />

Plötzli<strong>ch</strong> wieder aktuell<br />

Wer si<strong>ch</strong> fürs s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e Denken und Wahrnehmen<br />

in den 1960er-Jahren – no<strong>ch</strong> vor dem<br />

gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Aufbru<strong>ch</strong> der 1970er-Jahre –<br />

interessiert, dem kann die Zivils<strong>ch</strong>utzanlage Sonnenberg<br />

als <strong>Zeitzeugnis</strong> etli<strong>ch</strong>e Einsi<strong>ch</strong>ten vermitteln.<br />

Es kann aber au<strong>ch</strong> sein, dass ein historis<strong>ch</strong>es<br />

Bauwerk plötzli<strong>ch</strong> wieder aktuell wird, wie<br />

die S<strong>ch</strong>reckensna<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>t aus Fukushima 2011<br />

zeigte. Damals wurde bekannt, dass in Japan die<br />

glei<strong>ch</strong>en Notaggregate versagt hätten, die au<strong>ch</strong><br />

im Kernkraftwerk Mühleberg im Einsatz waren.<br />

Und man erinnerte si<strong>ch</strong> daran, dass drei sol<strong>ch</strong>er<br />

Geräte 30 Jahre lang im Sonnenberg gestanden<br />

waren. Eines davon wurde 2006 notfallmässig<br />

ausgebaut und na<strong>ch</strong> Mühleberg gebra<strong>ch</strong>t, um ein<br />

dort ausgefallenes Notaggregat zu ersetzen. ■<br />

* Jürg Stadelmann ist Historiker und Gymnasiallehrer in<br />

Luzern. Sein Artikel wurde ursprüngli<strong>ch</strong> in der Zeits<strong>ch</strong>rift<br />

«Heimats<strong>ch</strong>utz/Patrimoine» Nr. 2/2013 des S<strong>ch</strong>weizer<br />

Heimats<strong>ch</strong>utzes veröffentli<strong>ch</strong>t (www.heimats<strong>ch</strong>utz.<strong>ch</strong>).<br />

Als Erinnerungsmarke verweist die Bes<strong>ch</strong>riftung der Tunnelwand auf weitere Informationen zum<br />

<strong>Monster</strong>-<strong>Zeitzeugnis</strong> im Internet.<br />

IhrBau-Ausstatter<br />

■ S<strong>ch</strong>utzsysteme,Gitterwandtrennsysteme<br />

■ Mass-undNormgitterroste<br />

■ Fassaden-undS<strong>ch</strong>a<strong>ch</strong>tleitern,Steigte<strong>ch</strong>nik<br />

■ BriefkastenanlagenswissBox<br />

■ FahrradparksystemeundÜberda<strong>ch</strong>ungen<br />

■ Lo<strong>ch</strong>ble<strong>ch</strong>e,Ges<strong>ch</strong>weissteGitter,Streckmetalle<br />

GitterrostDrawagAG<br />

Industriestrasse28,CH-8108Dällikon<br />

T+41434888080,F+41434888081<br />

www.gd-metall.<strong>ch</strong>,info@gd-metall.<strong>ch</strong><br />

www.wb.<strong>ch</strong><br />

tlfo 0848 947 947<br />

44332<br />

43305<br />

22 baublatt Nr. 33, Freitag, 16. August 2013

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!