oder: was winkelmesskästchen im 2. staats - UniDAZ
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12 <strong>UniDAZ</strong> 01/2012 STUDIUM<br />
STUDIUM<br />
01/2012 <strong>UniDAZ</strong> 13<br />
BUCHBESPRECHUNG<br />
ALLES DRIN<br />
LANGNER/BORCHERT/MEHNERT: „BIOPHARMAZIE“<br />
Dass die Biopharmazie von vielen Studenten eher stiefmütterlich behan-<br />
delt wird, lässt sich ganz einfach erklären: Es gibt genug Anderes zu tun. Da<br />
erscheint dieser auf den ersten Blick doch recht trockene Stoff als unange-<br />
nehme Randerscheinung, die man nur schnell hinter sich bringen möchte.<br />
Schade ist das allemal, da hier doch eigentlich die Stärken der pharmazeu-<br />
tischen Ausbildung ineinander laufen.<br />
Ob man sich nun gezwungenermaßen<br />
<strong>oder</strong> vielleicht sogar gerne und aus<br />
echtem Interesse mit dem Thema auseinandersetzt,<br />
irgendwoher muss man sich das<br />
entsprechende Wissen aneignen. Zu einem<br />
Lehrbuch mit dem Titel „Biopharmazie“ zu<br />
greifen ist da nur naheliegend. Nun stellt<br />
sich die Frage: Kann dieses Buch auch, <strong>was</strong><br />
der Titel verspricht, nämlich den Studenten<br />
in diese doch komplexe Materie einweihen?<br />
ZUM INHALT<br />
Angefangen wird mit einer allgemeinen Begriffserklärung<br />
mit Blick auf die Historie.<br />
Danach (Kapitel 2) geht es ans Eingemachte:<br />
Grundprinzipien des Stofftransports. Dazu<br />
ist ein Exkurs in die Biologie und Biochemie<br />
nötig, der aber zum Glück nicht zu sehr ausschweift,<br />
sondern bei den biopharmazeutisch<br />
relevanten Aspekten bleibt. Das schöne<br />
daran: Zwar sollte das in diesem Kapitel<br />
Angesprochene vom geneigten Leser/Studenten<br />
vorrausgesetzt werden können, aber<br />
eine kontextbezogene Wiederholung hilft<br />
ungemein, sich ein Gesamtbild zu machen.<br />
Im nächsten Kapitel (3) geht es um das<br />
LADME-Modell, selbstredender Bestandteil<br />
eines Buches, welches sich die Biopharmazie<br />
zum Thema macht. Für die auf diesem<br />
Gebiet noch Unbedarften: „LADME“ ist das<br />
Akronym aus den Worten Liberation (Freisetzung),<br />
Absorption (Resorption), Distribution<br />
(Verteilung), Metabolism (Verstoffwechselung)<br />
und Excretion (Ausscheidung).<br />
Also das, <strong>was</strong> in (meist) chronologischer<br />
Reihenfolge mit Arzneistoffen <strong>im</strong> Körper<br />
passiert. Schön ist, dass die Autoren daran<br />
gedacht haben, die verschiedenen Resorptionsräume<br />
wie Mundhöhle, Magen, aber<br />
auch weniger geläufige wie z.B. die Resorption<br />
aus dem Pleuraspalt, genauer zu beleuchten.<br />
Bioverfügbarkeit und Biotransformation<br />
werden später in separaten Kapiteln noch<br />
ausfühlich(st) ausgebreitet, daher findet sich<br />
hier nur ein kurzer Abschnitt darüber.<br />
Kapitel 4 n<strong>im</strong>mt sich die pharmakokinetische<br />
Analyse vor. Freundlicherweise wird<br />
man zuerst schonend in Textform vorbereitet,<br />
um danach von dem gesammelten Formelwerk<br />
beinahe erschlagen zu werden. Ein<br />
Schmankerl für Freunde des kompr<strong>im</strong>ierten<br />
Wissens, der gewöhnliche Student hat hier<br />
et<strong>was</strong> zu kämpfen. Da muss man sich dann<br />
doch wieder ins Gedächtnis rufen, dass man<br />
dieses Buch ja nicht nur zum Spaß liest. Dafür<br />
wird man danach für seine Mühen belohnt:<br />
Während man sich die Zusammenfassung<br />
zu Gemüte führt, stellt man doch fest,<br />
dass man nun beinahe alles verstanden hat.<br />
Schade nur, dass hier weder Übungsaufgaben<br />
noch andere Möglichkeiten zum Selbsttest<br />
vorhanden sind. Ich bin mir sicher, dass<br />
sich darüber auch Assistenten gefreut hätten,<br />
und das Erstellen von Testatfragen zum Thema<br />
verliefe in gelenkteren Bahnen.<br />
Wer denkt, damit sei das Buch am Ende,<br />
liegt falsch. Jetzt kommen mit den Kapiteln<br />
„Bioverfügbarkeit“ (5), „Biotransformation“<br />
(6) und „Einflussfaktoren auf pharmakokinetische<br />
Parameter und Biotransformation“<br />
(7) noch einmal rund 300 Seiten. Aber keine<br />
Angst, diese Kapitel sind deutlich angenehmer<br />
zu lesen als Kapitel 4, auch wenn sie von<br />
Fakten überquellen.<br />
FAZIT<br />
Vieles, <strong>was</strong> sowohl wissenswert als auch prüfungsrelevant<br />
ist, wird eingebettet in den jeweiligen<br />
Kontext präsentiert. Dadurch ist das<br />
Buch angenehm zu lesen und Fakten lassen<br />
sich leichter merken. Schön sind auch die<br />
vielen gut gemachten Graphiken und Schaubilder,<br />
die ein anschauliches Bild des jeweils<br />
behandelten Kapitels ermöglichen, ohne den<br />
Lesefluss zu stören. Auch die Zusammenfassungen<br />
am Ende jedes Kapitels sind hilfreich.<br />
Einziger Wermutstropfen: Einem Buch, dass<br />
sich in erster Linie an Studenten wendet,<br />
würden einige kleine Übungsaufgaben gut<br />
zu Gesicht stehen.<br />
Alles in allem ein Buch, mit dem man<br />
als Student viel anfangen, in dem man aber<br />
auch mal et<strong>was</strong> nachschlagen kann.<br />
Von Matthias Hohner,<br />
Pharmaziestudent in Mainz<br />
Langner / Borchert / Mehnert<br />
Biopharmazie<br />
Pharmakokinetik - Bioverfügbarkeit -<br />
Biotransformation<br />
4., völlig neu bearbeitete und<br />
erweiterte Auflage 2010.<br />
Gebunden, 524 S., 250 s/w Abb., 98<br />
Tabellen, EUR 44,90<br />
Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft<br />
Stuttgart<br />
ISBN: 978-3-8047-2554-6<br />
Ganz einfach bestellen unter<br />
www.deutscher-apotheker-verlag.de<br />
service@deutscher-apotheker-verlag.de<br />
Tel: 0711/25 82-341<br />
Kostenlose Bandaufzeichnung rund um<br />
die Uhr: 0800-29 90 000<br />
STANDPUNKT<br />
„IT’S THE PATIENT - STUPID“ ODER:<br />
WAS WINKELMESSKÄSTCHEN IM <strong>2.</strong> STAATS -<br />
EXAMEN MIT DER HEIL BERUFLICHEN AUS-<br />
BILDUNG ANGEHENDER APOTHEKER ZU<br />
TUN HABEN<br />
Auf ihrer Homepage informiert die<br />
ABDA, als Bundesvereinigung Deutscher<br />
Apothekerverbände quasi die höchste<br />
Berufsorganisation der Apotheker, angehende<br />
Pharmaziestudenten über das<br />
Pharmaziestudium mit folgendem Text:<br />
Schwerpunkte sind Pharmakologie, Klinische<br />
Pharmazie, Technologie, Biologie und<br />
Chemie. In der Pharmakologie erfahren die<br />
Studenten, wie und warum Arzne<strong>im</strong>ittel <strong>im</strong><br />
Organismus wirken und warum welche Nebenwirkungen<br />
auftreten können. In enger<br />
Beziehung dazu steht die Klinische Pharmazie,<br />
die sich unter anderem mit speziellen Patientengruppen<br />
wie Kindern und der Beurteilung<br />
klinischer Studien beschäftigt. In der<br />
Pharmazeutischen Technologie befassen sich<br />
die Studenten intensiv mit den verschiedenen<br />
Arzneiformen und Herstellungstechniken.<br />
Wesentlicher Inhalt der Pharmazeutischen<br />
Biologie sind Arzneipflanzen und molekularbiologische<br />
Themen.<br />
Dieser Aussage könnte man eigentlich uneingeschränkt<br />
zust<strong>im</strong>men. Nur: wie wir<br />
alle wissen, sieht die Realität an deutschen<br />
Hochschulen doch et<strong>was</strong> anders aus.<br />
Ich finde es – mit allem Respekt – sehr<br />
amüsant, dass die ABDA die Chemie an die<br />
letzte Stelle der Übersicht setzt. In der Praxis<br />
steht die Chemie doch an erster Stelle<br />
und die Pharmakologie sowie die Klinische<br />
Pharmazie sind das „Allerletzte“, obwohl<br />
diese Fächer doch für die Mehrzahl der Studenten<br />
der Hauptgrund sind, Pharmazie zu<br />
studieren.<br />
Wie ich der Homepage ebenfalls entnehmen<br />
konnte, sieht die Apothekerschaft<br />
ihre Zukunft in der Stärkung der heilberuflichen<br />
Kompetenz des Apothekers. Aus diesem<br />
Grund hatte der Deutsche Apothekertag<br />
2010 auf Antrag des Bundesverbandes<br />
der Pharmaziestudierenden in Deutschland<br />
„die an der Ausbildung beteiligten Organisationen“<br />
aufgefordert, ein Konzept zu entwickeln,<br />
wie die Klinische Pharmazie so in<br />
Studium, Praktisches Jahr und den praktikumsbegleitenden<br />
Unterricht integriert<br />
werden kann, dass die theoretischen Kenntnisse<br />
auch in der Praxis umgesetzt werden<br />
können. Wie die <strong>UniDAZ</strong> <strong>im</strong> Oktober 2011<br />
berichtete, wird dieser Antrag vom Apothekertag<br />
2010 von der ABDA „zur Zeit noch<br />
bearbeitet“.<br />
Selbstverständlich kann ich nachvollziehen,<br />
dass ein solch weitreichender Antrag<br />
eine sehr intensive Bearbeitung benötigt,<br />
aber warum so lange?<br />
Bis es hier zu einem Ergebnis kommt,<br />
werden die Professoren an deutschen Hochschulen<br />
die Freiheit der Lehre weiterhin<br />
sehr individuell auslegen. Zur Prüfung der<br />
heilberuflichen Kompetenz unserer jungen<br />
Kollegen wird es dann auch weiterhin<br />
unbedingt erforderlich sein, solche für die<br />
pharmazeutische Betreuung von Patienten<br />
extrem wichtigen Themen wie die bei vielen<br />
Studenten zu Recht so beliebten Vollsynthesen<br />
von biogenen Arzneistoffen <strong>oder</strong> die<br />
praktisch täglich in der Patientenversorgung<br />
vorkommenden „Winkelmesskästchen“ parat<br />
zu haben.<br />
So fachlich hoch qualifiziert in Naturwissenschaften<br />
die Apotheker in Deutschland<br />
jedoch auch sein mögen, in Tests zur<br />
Beratung in öffentlichen Apotheken fallen<br />
die öffentlichen Apotheker mit schöner Regelmäßigkeit<br />
durch. Da hilft es auch nicht,<br />
dass die Apotheker, wie die ABDA uns <strong>im</strong>mer<br />
wissen lässt, bei der Bevölkerung sehr<br />
beliebt sind. Beliebtheit ist kein Zeichen von<br />
Qualität.<br />
Eine der Hauptursachen für diese Misere<br />
ist die Ausbildung der Pharmaziestudenten.<br />
In Deutschland mangelt es zur Zeit an<br />
einer patientenorientierten Sichtweise, die<br />
Ausbildung der Pharmazeuten ist straff na-<br />
turwissenschaftlich ausgerichtet und extrem<br />
einseitig arzne<strong>im</strong>ittelorientiert.<br />
So kommen in den ersten 6 Semestern<br />
des Studiums so exotische und für eine naturwissenschaftliche<br />
Sichtweise total unbedeutende<br />
Dinge wie Patienten sowie die Zusammenarbeit<br />
mit anderen Berufsgruppen<br />
<strong>im</strong> Gesundheitswesen (insbesondere der<br />
Ärzteschaft) so gut wie nie vor, dafür aber<br />
Ausbildungsinhalte, die ohne Probleme<br />
auch <strong>im</strong> Fach „Geschichte der Pharmazie“<br />
behandelt werden könnten.<br />
Dabei maße ich mir als jemand, der nur<br />
ein ganz einfacher öffentlicher Apotheker<br />
ohne deutschen Professorentitel ist, hier<br />
nicht an, eine fertige Lösung für die Neugestaltung<br />
des Pharmaziestudiums anbieten<br />
zu können.<br />
Ich möchte nur die ABDA bitten, das<br />
umzusetzen, <strong>was</strong> auf ihrer Homepage steht<br />
bzw. <strong>was</strong> auf dem Deutschen Apothekertag<br />
2010 beschlossen wurde. Entwickeln Sie ein<br />
neues Konzept, um die Klinische Pharmazie<br />
und die patientenorientierte Sichtweise<br />
so in die Ausbildung zu integrieren, wie es<br />
andere Länder uns schon längst vorgemacht<br />
haben. Deutschland hinkt hier mal wieder<br />
weit hinterher.<br />
Will der Berufsstand aber zukunftsfähig<br />
bleiben, sollte er sich tunlichst darüber Gedanken<br />
machen, wofür die Gesellschaft ihn<br />
eigentlich bezahlt. Um mit Prof. Derendorf<br />
von der University of Florida zu sprechen:<br />
„It’s the patient, stupid“ und das auch und<br />
gerade in der Ausbildung unser jungen Kolleginnen<br />
und Kollegen. Und liebe ABDA,<br />
bitte nicht erst in 10 <strong>oder</strong> 20 Jahren!<br />
Apotheker Jochen Pfeifer, PharmD<br />
Hinweis:<br />
Der Autor ist Clinical Assistant Professor<br />
für Professional Education am College of<br />
Pharmacy der University of Minnesota und<br />
approbierter Apotheker in Deutschland,<br />
Großbritannien und in der Schweiz. An der<br />
University of Florida erwarb er 2006 seinen<br />
Doctor of Pharmacy (PharmD). Neben Lehraufträgen<br />
in den USA und Deutschland beschäftigt<br />
er sich wissenschaftlich insbesondere<br />
mit internationalem und vergleichenden<br />
Apotheken- und Gesundheitswesen. Jochen<br />
Pfeifer ist Fachapotheker für Allgemeinpharmazie<br />
und Inhaber der Adler Apotheke in<br />
Velbert.<br />
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